Zehnte Romanze

Also war nun sein geworden
Spanien zu Gottes Ruhme,
Und Sankt Jakob, des Apostels;
Kaiser Karl in Frieden ruhte.
Nur Marsir von Babylonien,
Riese Belligant, sein Bruder,
Die der große Sultan dorten
Sandt' einst nach den span'schen Fluren,
Noch bei Saragossa thronten,
Heimlich Tück' und Rache suchend;
Treu' und Liebe war erlogen,
Tief im Herzen Haß gewurzelt.
Kaiser Karol sandte fodernd,
Daß getauft im Christenbunde
Gott sie gleich bekennen, oder
Sich verpflichten zum Tribute.
Ganelon von Mainz war Bote,
Der Verrates schuldig wurde,
Durch den schnöden Lohn bestochen,
Daß mit falscher Frevelzunge,
Er den Heiden angelobte,
Sie zu sättigen im Blute
Kaiser Karls und seiner Stolzen,
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Die nichts Arges sich vermutend,
In die Schling' er locken wollte,
Wie an Hand und Fuß gebunden.
Dreißig Rosse schwer von Golde,
Edelstein und span'schem Gute,
Sandten sie zu Karls Gebote,
Als ein Zeichen, daß sie huld'gen;
Auch beladen vierzig Rosse
Süßen Weines zum Genusse;
Blühend dann, wie volle Rosen,
Tausend Mädchen holder Jugend.
Zwanzig Rosse schwer von Golde,
Teppiche gestickt mit Blumen,
Gaben sie zu seinem Lohne
Ganelon dem faschen Buben.
Heimgekehrt zu Karles Hofe,
Spricht er von der Heiden Schwure,
Ihm zu huld'gen, wenn er komme,
Treu zu sein dem Christentume.
Karol sandte, so betrogen
Nach dem Roncisvaller Grunde,
Mit den besten der Genossen
Roland, aller Ritter Blume.
Die, bis durch die Berge oben
Mit dem Heer er Bahn gefunden,
Sollen unten seiner dorten
Harren, wachend sich gedulden.
Bald vergaßen sie der Sorge,
Von dem süßen Weine trunken,
Von der Wollust süßern Wonne
Ganz beraubt des alten Mutes.
Ganelon ward dessen frohe,
Gab den Heiden gleich die Kunde.
Funfzig tausend Heiden kommen
Frühe aus des Waldes Dunkel,
Wo, im Hinterhalt verborgen,
Sie geharrt der günst'gen Stunde,
Tobend jetzt hervorgebrochen,
Daß von Schwertern alles funkelt.
Hinten sind die grimmen Mohren
In das Lager eingedrungen,
Wo die Kämpfer nicht geordnet,
[130]
Oder lagen noch im Schlummer.
Doch die Helden nimmer flohen,
Tapfer in die Mohren schlugen,
Bis zur dritten Stund' vor Morgen,
Daß die Heiden sinken mußten,
Ihrer keiner ist entkommen.
Heimgewendet nun zur Ruhe
Seh'n ein andres Heer sie vorne,
Größer noch als das sie schlugen,
Wilder auch und grimm'ger tobend.
Da entsinkt das Herz dem Mute,
Und sie fühlen sich verloren,
Matt wie jeder ist und blutend,
Können fürder nichts mehr hoffen;
Jetzt zu siegen wär' ein Wunder,
Doch ist keiner noch geflohen.
Eingedenk des alten Ruhmes,
Kämpfen sie in Blutes Strome,
Bis ermattet von den Wunden,
Endlich in den Arm des Todes
Alle nieder sind gesunken.
O was war da für ein Morden
Von den grimmen Heidenbuben,
Die auch keines nicht verschonten,
Der noch gab des Lebens Spuren.
Den mit Lanzen sie durchbohrten,
Andre schlugen sie mit Ruten,
Auch zerfetzend mit den Dolchen,
Die am Baum sie fest gebunden.
Andre mit dem Beil zerstoßend
Werfen sie in Flamm' hinunter,
Marternd noch mit wildem Spotte
Sie bis in des Todes Schlunde.
Also bitter ward gelohnet
Denen, die es wohl verschuldet,
Weil obwohl im Dienste Gottes,
Sie vergaßen Sitt' und Tugend.
Alle liegen sie ermordet,
Rettung ward da nicht gefunden.
Roland einzig blieb verschonet,
Dieterich, und Rolands Bruder
Balduin, die im Wald verborgen,
Irrend rannten durch das Dunkel.
[131]
Da fand Roland einen Mohren
Bei des Dämmerlichtes Spuren,
Der in dunkeln Wald geflohen,
Band ihn fest an eine Buche.
In der Nacht beim Schein des Mondes
Stieg nun, alles zu erkunden,
Roland auf die Berge oben,
Schauend auf die Feinde drunten.
Bei dem ersten Strahl der Sonne,
Trüben Herzens, doch nicht murrend,
Griff er nach dem großen Horne,
Laut erschallt die Kraft des Mundes.
Zu dem wohlbekannten Tone
Eilet Balduin der Bruder,
Dieterich und mehr Genossen,
Andre Christen wohl an hundert.
Des ward Roland wieder frohe,
Gehet den Gefangnen suchend,
Der, mit manchem Tod bedrohet,
Sie zu führen ward gezwungen.
Nach Marsir fragt er den Mohren,
In Marsirus Herzensblute
Hat der Held sich angelobet,
Rein zu waschen seine Schulden.
»Jener hohe König dorten
Auf dem braunen Roß mit rundem
Schilde,« hat der Mohr gesprochen,
»Vor dem knieen all die Unsern.« –
Roland drauf und die Genossen,
Nach des Ruhmes Labsal durstend,
Gott geweiht zum frommen Tode,
Stürzen mutig nun hinunter.
Einen Riesen samt dem Rosse
Mitten durch in einem Schwunge
Spaltet Roland von der Schulter
In zwei Hälften bis zur Sohle.
Einzig den Marsir verfolgend,
Der entfliehend bleich schon wurde,
Hat er nieder all' geworfen,
Rechts und links, die Mohrenhunde,
Bis er dennoch ihn getroffen.
Und der Mohr wälzt sich im Blute,
Schrecklich des Verrats belohnet,
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Fährt er hin zum Höllenschlunde.
Angstvoll ist alsbald geflohen
Belligant weit in die Fluren,
Mit ihm alle seine Mohren,
Weil ihr Sultan war gesunken.
Doch auch jene hundert Frommen
Sind nach mancher herben Wunde
All' als Märtyrer gestorben.
Einsam Roland und voll Kummer,
Von vier Lanzen tief durchbohret,
Reitet er nach Balduin suchend,
Der wie Dietrich sich verloren;
Bis er endlich, schmerzgedrungen,
Abstieg von dem guten Rosse,
Bleich und kraftlos hingesunken,
Bei Ciseras Felsenpforte,
In des Baumes Schatten ruhte,
Neben einem Felsenblocke
Harten Marmors, der da stunde.
Hat sein Schwert alsbald gezogen,
Das so herrlich glänzt im Schmucke,
Schön verziert mit Stein und Golde,
Und im Schlagen recht ein Wunder.
Noch in später Zeit erscholle
Zu Durendas hohem Ruhme,
Rolands gutes Schwert zu loben,
Manches Lied von manchem Munde.
In den Anblick nun verloren,
Schauend auf sein Schwert, das gute,
Das so manchen Dank erworben,
Und gedenkend des Verlustes,
Hat er Tränen noch vergossen,
Klagend also ausgerufen,
Liebevoll zu ihm gesprochen,
Wie zum Freund im letzten Gruße:
»O du Schwert ganz ohne Tadel,
Schön geziert mit Gottes Namen,
Mit des goldnen Kreuzes Glanze,
Mit Beryll und mit Smaragden!
Soll ich dich, mein Schwert, verlassen,
Das ich trug nun schon so lange?
[133]
O wer wird dich künftig tragen?
Wohl ist selig der vor allen,
Darf vor keinem Feinde zagen.
Du das schärfste von den scharfen,
Einzig bleibst du wie du warest,
Denn der Künstler, der dich machte,
Bildete nach dir kein andres.
O wie oftmals nahm ich Rache
Für den Herrn, den sie verraten,
An der Heiden bösem Stamme,
Sie mit deiner Kraft zermalmend.
Soll dich nun ein Heide haben,
Oder etwa ein Verzagter,
Muß ich es von Herzen klagen.«
Drauf, nach diesen Klageworten,
Hat er hoch das Schwert geschwungen,
Schlagend nach dem Felsenblocke
Harten Marmors, der da stunde,
Daß in Feindes Hand nicht komme
Dieses Schwert so hoher Tugend.
Mitten durch der Stein zerfloge
Von des Schwertes grausem Schwunge;
Unversehrt liegt das am Boden,
Unversehrt, wie er auch schluge.
Drauf nach seinem großen Horne
Griff er, schallend drein zu rufen,
Ob von jenen Kriegsgenossen,
Die im Tale irrend suchten,
Einer etwa nahen wollte,
Hülf' ihm in der Todestunde.
Und es war des Klanges Donner
Also stark, des Hornes Rufen,
Daß es mitten ist geborsten,
Ihm die Adern sind zersprungen.
Ja zu Kaiser Karles Ohren,
Der von Roncisvall nichts wußte,
Drang das Rufen jenes Tones,
Fern des Weges wohl acht Stunden.
Wie der Stimme Karol horchte,
Hat ihn Ganelon beruhigt,
Da er Hülfe senden wollte:
»Roland jagt wohl dort im Grunde,
[134]
Irgend da ein Wild verfolgend;
Nur zur Lust ist jenes Rufen,
Wie er oft zu tun gewohnte.« –
O der falschen Judaszunge
Zu Verrat geschickt und Morde;
Der recht gut von Roland wußte,
Seinem Leiden, seinem Tode! –
Nun fand Balduin den Bruder,
Der durch Zeichen Wasser fordert,
Liegend auf dem Wiesengrunde,
Einen Trunk zum letzten Troste,
Schmerzvoll, wie er war und durstend,
Nahe an des Todes Pforten.
Nirgends doch fand Quell noch Ufer
Irgend eines Bächleins, Stromes,
Balduin so angstvoll suchend.
Roland war schon nah' gestorben,
Balduin auf sein Roß geschwungen,
Eilte, seinen Weg verfolgend,
Daß kein Feind ihn etwa funde.
Da nun Balduin entflohen,
Nahet Dieterich zur Stunde;
Der ist klagend ausgebrochen,
Hat vermahnt ihn, alle Schulden
Zu bekennen seinem Gotte,
Daß, geschirmt vor dem Versucher,
Aufging zu des Himmels Pforten
Er aus diesem Sündenpfuhle.
Roland schlug die Augen offen,
Schauend nach dem Himmelsgrunde,
Inniges Gebet zu opfern,
Reue, Hoffnung, Glaub' und Buße.
»Wie vom Licht ja übertroffen,«
Sprach er, »wird des Schattens Dunkel,
So wird an dem sel'gen Orte,
Mir auch Sinn und Geist gesunden.
Was kein Aug' und Ohr vernommen,
Schau' ich dort im Himmelsgrunde,
Was in keines Herz gekommen,
Und das Ird'sche ist verschwunden;
Die er liebt, den Kindern Gottes,
Denen gibt er davon Kunde.« –
[135]
Dreimal nach dem Herzen fuhr er,
Mit der Hand die Brust sich klopfend,
Betet noch mit schwachem Munde
Für die lieben Kriegsgenossen,
Welche in der Schlacht gesunken;
Zeichnet mit des Kreuzes Troste
Vielmals sich zur ew'gen Ruhe.
Also hat Roland im Tode,
Wie uns Dietrich gab die Kunde,
Seine Passion vollzogen
Dort im Roncisvaller Grunde.

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TextGrid Repository (2012). Schlegel, Friedrich. Gedichte. Roland. Zehnte Romanze. Zehnte Romanze. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D6C9-3