[449] 8. Erkenntnis des Schöpfers

Das Meisterstück mit Sorgen
Wer nur will schauen an,
Ihm nimmermehr verborgen
Der Meister bleiben kann.
Von oben muß uns geben
Das Licht und golden Schein,
In stetem Lauf und Leben
Sonn', Mond und Sterne sein.
Des Tags bis auf den Abend
Die Sonn' gar freundlich lacht,
Zu Nacht der Mond erlabend
Führt auf die Sternenwacht.
Wer deutet ihn' die Straßen,
Wer zeiget ihn' den Weg?
Daß nie sie unterlassen
Zu finden ihren Steg?
In lauter grüner Seiden
Gar zierlich ausgebreit,
Das Erdreich sich tut kleiden
Zur werten Sommerzeit.
Die Pflänzlein in den Felden
Sich lieblich schmücken auf,
Die grüne Zweig in Wälden
Auch schlagen aus mit Hauf.
In Gärten merk ich eben
Die schönen Blümelein,
Wie freudig sie da schweben,
Wann Wind nur spielt hinein.
O fröhlich' Gartenjugend.
O frisch und zartes Blut!
An Farben reich und Tugend
Zu geben Freudenmut.
Und wie gemalt dann blühet
Ihr Blümlein tausendfalt,
Da alles ihr doch ziehet
Aus schwarzer Erden kalt?
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All' Saft und Kraft und Wesen
Nehmt ihr von schlechter Erd',
Und doch wer euch geht lesen
Nichts Zierlichers begehrt.
Die Brünnlein sich ergießen
Und ihre Wasser klar
Wie Silberstrahlen schießen
Vom Felsen offenbar.
Die Sonn' es bald erblicket,
Drin kühlet ihren Schein,
Die Tier' es auch erquicket,
So heiß und durstig sein.
Frisch hin und her gehn wanken
Die klaren Bächlein krumm;
Und mit den Steinlein zanken,
Wenn sie sich biegen um.
Allweg sie süßlich sausen
Zum Sang und Gang gewohnt,
Das ganze Jahr ohn' Pausen
Man höret ihren Ton.
Das wilde Meer nun brauset
Und wütet ungestüm;
Nun still es wieder sauset,
Liegt fest in runder Krümm.
Gar lieblich tut's bestrahlen
Die Sonn' mit sanfter Glut,
Wann sie zu oftermalen
Sich drein erspiegeln tut.
Wer will die Bäum' nun zehlen
In jed' und jedem Wald,
Sein da doch ohne Fehlen
So tausend tausendfalt.
Gar hoch die Gipfel klimmen
In klare Luft hinauf,
Und gleich wie Wolken schwimmen,
Wann stoßt ein Windlein drauf.
Viel tausend sein der Zweige,
Der zarten Ästlein viel,
[451]
Und viel an manchem Zweige
Der Blättlein und der Stiel'.
Der Äderlein bei neben
Noch mehr man zählen tut,
Da nähret sich das Leben
Und Seel' in grünem Blut.
Wann dann schallt auf den Zweigen
Gesang der Vögelein,
Noch Laut', noch Harf', noch Geigen
Klingt also süß und rein.
Ihr lieblich's Musizieren
Dünkt mich so süß und gut;
Ihr künstlich's Colorieren
Bringt lauter Freudenmut.
Die Nachtigall ob allen
Steigt immer auf und auf,
Gar freudig tut's erschallen,
Wann's geht in vollem Lauf.
Man sagt, daß etlich' starben,
Die zu hoch wollten gahn,
Und mit zu starken Farben
Ihr Stimmlein streichen an.
Wer wollt' nun überdenken
Der vielen Vögel Zahl?
Die Sonne sich wird senken
Eh' man sie nennet all'.
Von Tieren muß ich schweigen,
Sie lassen ungezählt;
Will nicht zum Meere steigen,
Der Fischlein tiefes Feld.
Elfanten samt Kamelen,
Roß', Löwen, Hirsch und Bär,
All' Würm' und alle Seelen
So sein im wilden Meer.
Kein Ende da möcht' finden,
Wer auch die Müh' nicht spart,
Von Mensch und Menschenkinden
Die Wunder aller Art.
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O Schönheit der Naturen,
O Wunder-Lieblichkeit,
O Zahl der Kreaturen,
Wie streckest dich so weit.
Wer wollt' dann je nicht merken
Des Schöpfers Heiligkeit
In allen seinen Werken
Ganz voller Zierlichkeit.

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TextGrid Repository (2012). Schlegel, Friedrich. Gedichte. Trutznachtigall. 8. Erkenntnis des Schöpfers. 8. Erkenntnis des Schöpfers. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D5AF-7