Neueres

Festgruß der sechzehnten Versammlung deutscher Architekten und Ingenieure dargebracht von der Stadt Karlsruhe

1872.


Willkommen hier, baukundige Wandergäste,
Septembersonne lacht auf euren Pfad
Und Land wie Leute grüßen auf das beste
Der Deutschen Technik Hort und Ehrenrat.
Nicht Hamburgs Alster zwar, noch Wiens Paläste,
Bescheiden ist, was man zu zeigen hat,
Doch sonder Bangnis rüstet sich zum Feste
Karl Wilhelms wohlgeplante Fächerstadt.
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Sie wuchs als Kind im Hardtwald, knapp gehalten,
Weinbrenner wies ihr, wie man »klassisch« baut,
»Gefrorene Musik« hieß er sein Walten,
Drum ist sie auch so lang' nicht aufgetaut.
Spät erst durch Hübsch erlöst vom Bann des Alten,
Ward sie des Werts der Schönheit sich bewußt,
Nun darf ihr Fächer sich modern entfalten,
Vertraun auf gute Zukunft schwellt die Brust.
In Heidelberg umschwebt euch ander Wesen
Wie Geisterhauch. Beredt, ehrwürdig, groß
Weiß ein Kollegium Renaissance zu lesen,
Das alte Schloß in seiner Trümmer Moos;
Doch, eh' man noch am Neckar froh gewesen,
Führt euch der Festzug zu des Schwarzwalds Schoß,
Zum Quellendampf, drin Gichtische genesen,
Zur Bäderstadt im milden Tal der Oos.
Wenn dort vor Badens Burg nach Festessitte
Ihr tafelt unter grünem Wipfeldach,
So kommt noch einer mit bedächt'gem Schritte
Den Berg empor. Das Richtscheit zeigt sein Fach,
Barett und Mantel sind stilvoll im Schnitte,
Verwittert und steinrötlich sein Gesicht;
Er nimmt vertrauend Platz in eurer Mitte,
Hebt den Pokal, ergreift das Wort und spricht:
»Als ältster Baurat dieses Badischen Landes
Und Torwardein des Polytechnikums,
Doch längst bei Steinbach froh des Ruhestandes,
Begrüß' ich euch, Genossen deutschen Ruhms;
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Daß dies Jahrhundert ein der Kunst verwandtes
Ist Saat und Frucht des Bauingeniums;
Ihr legt die Schienen engen Volksverbandes
Und schafft das Wohnhaus freien Bürgertums.
Ich hab' mein Werk spitzbogig einst gewoben
Und viel mit Maß- und Stabwerk mich gepeint;
Harmonisch hat mein Langhaus sich erhoben
Und ›gut in Wirkung‹, wie Freund Lübke meint.
Auch darf man der Fassade Reichtum loben,
Mein Rosenfenster ist nicht schlecht erdacht,
Und der durchbrochne Turmhelm strebt nach oben
Wie ein Gedankenflug in kühner Pracht.
Seht dort des Rheines Streif, den silberweißen,
Dort ragt, was ich ersann, verklärt und fern
Im Purpurduft des Abends, und mit leisen
Glutstrahlen küßt die Sonne seinen Kern.
Das war ein Mauern, Meißeln, Grundrißreißen,
Da Bischof Konrad mich als Hüttenherrn
Zu jenem Bau berief, da galt's, sich fleißen;
Doch Frau und Sohn und Tochter folgten gern.
Gott und dem Reich in freiem Steinmetzorden
Zu dienen, schien uns frommer Zunftberuf,
›Aus rauhem Stein sind zarte Heil'ge worden‹,
Schrieb man zum Bildwerk, das Sabina schuf.
Doch wie wir unserer Zeit gerecht geworden,
So freut uns, was bewußt die eure schafft,
Nicht schickt sich eines stets und allerorten,
In neuer Form bewährt sich neue Kraft.
Drum soll ein Trinkspruch kräftig hier erschallen
Zu meiner Heimat goldnem Mauerwein:
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Dem Bau der Zukunft!‹ – bis die Schranken fallen,
Leg' Süd wie Nord vorplanend Ehre ein:
Zwei Preisaufgaben stell' ich heut euch allen
Und wer sie löst, mag Baudirektor sein:
Architektur: des deutschen Reichstags Hallen,
Ingenieurs die Brücken übern Main!«

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Scheffel, Joseph Viktor von. Gedichte. Gaudeamus. Lieder aus dem Engeren und Weiteren. Neueres. Festgruß. Festgruß. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-C215-3