Abschied von Olevano

Trauernd tief stand Sir Juseppe
In dem Saal der Casa Baldi,
Wohl war keiner je so traurig.
Traurig packt er seine Koffer,
Packt die Studien in die Mappen,
Zahlt die lange Wirtshausrechnung,
Zahlt den Schwarm der Ragazzini,
Buben, Träger, Maultiertreiber,
Zahlt acht Paul auch für den Schuster,
Jenen gottverfluchten Zögling
Macchiavellis, der die Stiefel
So heimtückisch weiß zu sohlen,
Daß nach vierundzwanzig Stunden
Sie von neuem ruiniert sind.
Leer war Portemonnaie und Börse,
Auch in seinem Skizzenbuch lag
Kein Papiergeld mehr verborgen,
Und die Westentasch', wo fröhlich
Der Bajokk' sonst vorgeklimpert,
Klang jetzt hohl – doch war's nicht dieses,
Was ihm seine Stirne furchte.
Nein, die Stunde war gekommen,
Wo der Mensch zur Abfahrt rüstet,
Wo selbst rauhgebeizte Maler
Dem Novemberwind sich beugen
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Und gen Genazzano schreiben,
Daß der schnöde Raganelli
Sie nach Rom zurückbefördre.
Abschied – Abschied! bittre Stunde!
Darum brannt' er sich wehmütig
Einen Scelto an und dampfend,
Während schwerer Sturm und Regen
An die mürben Fenster prasselt,
Sprach er solches:
»Wohl in manche gute Herberg'
Kam ich schon auf meinen Fahrten,
Hab' an manchem guten Tropfen
Da und dort schon mich geletzet,
Stahl mir auch von schönem Mund schon
Manchen Kuß als Gotteslohn.
Aber nirgend war's so wohl, so
Waldursprünglich grundbehaglich
Wie allhier in Casa Baldi
Ob der Stadt Olevano.
Hochgesegnet sei der Biedre,
Der auf steilen Sandsteinhügel
Hier sich einst die Villa baute,
Wo der Kardinal Borghese
In dem samtgeschmückten Armstuhl
Einstmals seines Rundbauchs pflegte
Und – zwar schweiget die Geschichte,
Doch dem Dichter ziemt Vermutung –
Die schwarzbraunen Römerdamen,
Deren Kontrafei noch jetzo
Im Salon so herrlich pranget,
Kirchenväterlich und würdig
In die Wangen einstens kniff.
Hochgesegnet sei der andre,
Der die wirkliche Bestimmung
Dieser Villa tief erfühlend,
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Strengerem Privatbesitze
Sie entzog und menschenfreundlich
Sie zur Malerherberg' umschuf.
Denn nur Maler und wem sonst noch
Künstlerische Adern pulsen,
Wissen ihren Wert zu schätzen,
Mehr als Scipio Borghese,
Kardinal und Arciprete.
Hier im Zentrum der Gebirge
Lauschet Tag für Tag dem stillen
Ewig jungen Herzensschlage
Der Natur der Eingeweihte,
Und es kreisen die Gedanken,
Wie die Geier bei San Sisto,
In des Äthers reinen Höhen.
Unter uns, in fernem Nebel,
Liegt der ganze Menschenkehricht,
Und aus Fels, aus Baum, aus Fernen
Lesen wir die alte Keilschrift,
Die der Haufe nie verstehn mag,
Das Gesetz des ewig Schönen.
Wannen werd' ich diese Pfade
Wieder klimmen, wo aus grünen
Schattigen Kastanienwäldern
Der Serrone stolz emporsteigt;
Wo auf altkyklopischer Mauer
Jetzt die Sau von Civitella
Grunzend ihre Eicheln frißt,
Und die Hüterin der Schweine,
Die blauäugige Salomea,
Fruchtlos den Bajokko bettelt?
Wannen werd' ich bei den alten
Eichen in der Serpentara
Wieder Mittagmahlzeit halten,
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Wo gelockt vom Duft der Schüsseln
Züngelnd uns die Schlange naht?
Wannen endlich – denn dem Schönen
Eng verbunden ist das Gute –
Werd' ich wieder hier am Tische
Solche Makkaroni kosten?
Solche Hühner – solche Tauben?
Solche Fritti – solche Trauben?
Und dazu auf Diskretion das
Indiskrete Quantum tilgen
Dieses rot samnitischen Landweins?
Nimmer wahrlich soll verstummen
Der Gesang des Danks und Preises,
Und wenn der Serrone selber
Ganz mit Lorbeer wär' bewachsen:
Nicht genügt's, den Kranz zu flechten,
Der der Schöpferin des Guten,
Der der Schaffnerin der Küche,
Der der würdigen Regina
Um das Haupt zu winden wäre.
Wenn wir jetzt schon solches denken,
Wie wird erst zu Rom im Lepre
Und im schäbigen Fiano,
Wenn der magre Tag beginnet,
Die Erinn'rung sich vergrößern?
Unerreichbar, duftig, glanzreich,
Stillverklärt wie erste Liebe,
Fern wie alte Heldensage
Wird der Mythus von Reginas
Feiner Küche vor uns stehn:
Von den Fritti – von den Trauben –
Von den Hühnern – von den Tauben
Einstmals in Olevano.
O Regina, stolzes, dunkles
Kleinod der Sabinerberge,
Warum lebten wir nicht beide
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In der Zeit des Frauenraubens
Unter König Romulus?
Bei dem Lob der kunstverständigen
Meisterin sei nicht vergessen
Sie, die in bescheidner Sphäre
Reinlich kaum, doch nützlich wirket,
Sie, der nächtlich der Capraro
Scheußlich monotone Weisen
An das Kammerfenster krächzt,
Die dem fremden Gast so gern ihr
Unerhörtes, sprachgewalt'ges
'rella mi!... entgegenjohlt.
Geltru – Geltru! nimmer wird zwar
Dieser Sang dein Ohr berücken
Wie die Lieder des Capraro,
Dennoch ruft er dir: ›Addio,
Ziegenhirtlich rauh geliebte,
Ritornellbesungne, kluge
Walterin des Hofs und Stalles,
Braune Tochter Samniums!‹
Oft noch wecke dich im Schlafe
Deines Landsmanns Klaggeheul:
›Avete l'occhio nero e il ciglio biondo,
Denti d'avojo e labbra di corallo,
Siete la maraviglia del mondo.‹
... Selbst das Kind, die pockennarbige
Lala mit der rauhen Stimme,
Die so ganz unsalonmäßig
Sich uns oft entgegentummelt,
Hat auf einen Platz in unserm
Herzen einen vollen Anspruch.
Denn sie trug so manchen großen
Ungemischten Krug vom Keller,
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Und sie lachte mit dem ganzen
Elfenbein der weißen Zähne:
›Trinkaswein alla tedesca!‹
Wannen endlich werd' ich wieder
Solch ein Häuflein treuer, biedrer
Farbenkundiger deutscher Meister,
Wie allhier, beisammen finden?
Deutschen Fleiß und deutsches Streben,
Deutsche Kunst im welschen Bergland!
Manchen seh' ich, der die Träne
Einst im Aug' zerdrücken wird,
Wenn er, rostend in der Heimat,
Seine Mappen wieder öffnet
Und die Bilder dieses Herbstes
Farbreich vor ihm auferstehn:
Der Mamellen feine Ründung,
Civitellas Kalkfelskämme,
San Francescos Klostertälchen;
Pagliano, Volskerberge,
Die Kastanien von Rojate
Und der Serpentara kühne,
Immergrüne Eichwaldpracht!
... Lebt nun wohl! Die Zithern schweigen,
Nimmer lockt des Tamburin Schlag
Uns zum kecken Saltarello;
Einmal nur wird unser Lied noch
Im Olivenhain erklingen,
Aber klagend, denn der Text heißt:
›Muß i denn zum Städtle 'naus!‹
Und dieweil ein deutsch Gemüte
Innersten Gedankens Ausdruck
Gern im Weine sucht und findet,
Füll' ich mir zum letztenmal das
Glas mit diesem dunkelroten:
›Dir gilt's, Hochland der Sabiner!
Dir gilt's, wackere Regina,
Dir, Bergnest Olevano!‹«
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Also klagte Sir Juseppe
In dem Saal der Casa Baldi,
Kummer furchte seine Stirne,
Keinen Tropfen trank er weiter,
Und als Denkmal schweren Abschieds
Schrieb er's in das Hausbuch ein.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Scheffel, Joseph Viktor von. Gedichte. Gaudeamus. Lieder aus dem Engeren und Weiteren. Aus dem Weiteren. Abschied von Olevano. Abschied von Olevano. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-C1CC-4