[17] Freundschaftliche Lieder

Thirsis hört den Damon an Horatzens Seite singen

Entferne dich, verhaßter Reimer-Schwarm,
Verstöhre nicht die heilge Stille,
Die ehrfurchtswürdig sich um das bepalmte Haupt
Des Sternen nahen Pindus ziehet.
Flieh, Battus Brut, von dem geweihten Fus,
Und scheue des Apollo Rache.
Mein stoltzes Ohr, zu hoch für dein Geheul,
Sucht auf den sonnenhellen Höhen
Die ewge Harmonie des göttlichen Gesangs,
Wodurch der weise Nebenbuhler
Des unermeßlichen Thebanschen Pindars
Das herrschend kluge Rom entzückt.
Erscheine mir, du Priester des Apoll,
Du Erbe der Thebanschen Leyer.
Erschein und sing in der gelehrten Wuth
Von Helden, Riesen, oder Göttern:
Wo nicht, so preise nur die Ruh und Lalagen
Auf deiner sanftgedämpften Zitter.
Hör ich dich nicht? Täuscht mich die Zauberey
Von deinen Jonisch stoltzen Träumen?
Wie oder reisset mich dein unbekannter Geist
Vom Dunst der weisen Rasereyen
Berauscht, entzündt, aus der gemeinen Welt
Ins Reich der fabelhaften Schatten?
Ja Flaccus kömmt, der gantze Hömus schallt
Von den unsterblichen Gesängen.
Es kommen überall aus dem gelehrten Hain
Und durch die unentweihten Schatten
Die keuschen Nymphen schon mit frohen Reihn
Ihn zu empfangen hergeeilet.
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Er jauchzt daher vom Bacchus gantz erfüllt;
Die Macht der feuerreichen Gottheit
Treibt ihn in neuer Wuth durch Felsen, Wald und Kluft.
Er singt, was nie ein Mund gesungen.
Die Welt hört ihn den würdigen August
Bis zu der Götter Rath erheben.
Er schweifft umher mit Libers Priesterin
In den schlaflosen tollen Nächten;
Er stutzt und sieht, wie sie, verwundrungsvoll
Die Thäler, Ufer, leere Wälder,
Und jauchzt und folgt dir, der Najaden Gott,
Durch tausend rühmliche Gefahren.
Welch deutscher Mund singt neben dir, Horatz,
Wer drückt mit noch verwegnern Solen,
O glücklich kühner Geist, als du selbst, deine Spur,
Auf diesen nie bestiegnen Felsen?
Was wagt er sich in seiner frechen Wuth
Nicht vor Verwüstung anzurichten?
Wohin, wohin, o Freund, o kühner Geist?
Erstaunst du nicht vor diesen Klüften,
Die rund um dich herum mit offnen Abgrund drohn?
Erstaunst du nicht vor diesen Höhen?
Wer Pindarn folgt, der stürtzt und stürtzt mit Spott;
Wer aber darf dem Flaccus folgen?
Umsonst heb ich die Flügel mühsam auf,
Und reisse mich vom Staub und Erde;
Umsonst sing ich von einem grossen Geist
Und seines Lebens Seligkeiten;
Umsonst streb ich, doch lachst du eckler Sinn,
Du lachst doch meiner matten Kräffte.
Laß, o Horatz, laß einen Augenblick
Den Dampf der klugen Wuth verdünsten,
[18]
Belehre mich, du Ehre deines Roms,
Du ihrer Leyer höchster Meister,
Wie flieget man verwegen, klug, und frey,
Und doch bewundrungswürdig glücklich?
Du setzest dich, du krönst die edle Stirn
Selbst mit den Zweigen grosser Helden.
Du nimmst dein Spiel, du stimmst; dein Antlitz wird voll Ruh,
Dein Geist voll göttlicher Gedancken,
Die Leyer tönt, des Vorspiels Kraft vertreibt
Den Schauer knechtisch banger Schrecken.
»Ein grosser Mann, der voll Gerechtigkeit
Nie von dem weisen Vorsatz wancket,
Wird durch des Pöbels Wuth, der tobend Laster heischt,
Und durch der rasenden Tyrannen
Ergrimmten Blick und Antlitz nimmermehr
In seinem festen Sinn erschüttert.
Er scheuet nicht den Zorn des Africus,
Des stürmschen Herrn der wilden Wellen,
Und selbst den grossen Arm des donnernd starcken Zevs.
Ja stürtzte gleich die Welt zusammen,
So würd ihn zwar der grausen Trümmer Last,
Doch unerschrocken, niederschlagen.«
Wohin fliegst du, wo findest du den Weg,
Wodurch der irrende Alcides
Durch jenes helle Thor beflammter Schlösser drang?
Wie hörtest du die hohe Juno,
Im Götter-Rath, des Schicksals strengen Schluß
Von Trojens Untergang vermelden?
Steigt, steigt zugleich durch die bestirnte Luft
Horatz und du, o deutscher Flaccus,
Und setzt der Doris Bild bey Ariadnens Krantz.
Ich will hier in den Thälern bleiben,
Und ihrer blühenden erhobnen Schilderey
Der sanften Lieder Ehre opfern.

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TextGrid Repository (2012). Pyra, Jakob Immanuel. Gedichte. Thirsis und Damons freundschaftliche Lieder. Freundschaftliche Lieder. Thirsis hört den Damon an Horatzens Seite singen. Thirsis hört den Damon an Horatzens Seite singen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8AD6-C