Uber ihren vermeynten todt

B.N.


Der weit-erschollne tod der schönen Sylvia/
Der nur/ der meynung nach/ nicht in der that geschah/
Gieng ihrem Celadon so ungemein zu hertzen/
Daß er das feld verließ/ und voll entbrannter schmertzen
In eine wüste lieff/ allwo er lange zeit
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Für vielen seuffzern schwieg: bald aber weit und breit
(Nachdem ein thränen-guß die erste regung stillte)
Die ausgespannte lufft mit diesen klagen füllte:
Betrübter Celadon/ was hast du doch erlebt?
Ein liebes-faden ward mit weh und angst gewebt/
Mit schmertzen wird er nun auch wieder abgeschnitten
Du hast sehr viel gehofft/ noch aber mehr erlitten.
Ein tag schloß deinen geist in schwere ketten ein:
Itzt heist ein andrer dich frey/ aber elend seyn.
O himmel/ erd' und lufft/ erhöret meine lieder!
Schafft meine Sylvia/ schafft meine liebste wieder.
Mich dünckt/ ich kan den ort annoch im traume sehn/
Wo unser erster blick/ wo unser kuß geschehn.
Hier hat das liebe kind mir blumen abgepflücket;
Dort hab ich ihren mund mit süsser milch erqvicket.
Hier sang/ hier spielte sie/ dort weinte sie für leid/
Und küßte/ da sie schied/ mich voller traurigkeit.
O himmel/ erd' und lufft/ erhöret meine lieder!
Schafft meine Sylvia/ schafft meine liebste wieder.
Die sterne strahlen sehr/ noch schärffer Cynthia;
Doch lange nicht so schön/ als meine Sylvia.
Für ihrem munde must' Aurora selbst erbleichen;
Narcissus durffte sich nicht ihren wangen gleichen/
Ihr hals und ihre brust war schnee und elffenbein/
Ihr süsses augen-licht ein steter sonnenschein.
O himmel/ erd' und lufft/ erhöret meine lieder!
Schafft meine Sylvia/ schafft meine liebste wieder.
Wenn ich mein morgen-brod mit saltz und thränen aß/
So fiel sie neben mich in das bethaute gras/
Und sang/ ob wolte sie die gantze welt bewegen.
Die winde musten sich auff ihre seuffzer legen:
Die blitze stunden still/ und Phöbus trat die bahn/
So offt er sie ersah/ mit vollen freuden an.
O himmel/ erd' und lufft/ erhöret meine lieder!
Schafft meine Sylvia/ schafft meine liebste wieder.
Ihr qvellen/ die ihr mich mit wasser offt getränckt/
Ihr wisst/ wie sehr ich mich durch lieben abgekränckt:
Doch wolt' ich gerne noch mein gantzes gut hingeben/
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Könt' ich bey Sylvien nur arm und elend leben.
Ich liesse hauß und hoff/ und alle schafe stehn/
Und wolte/ wär es noth/ nach brodte betteln gehn.
O himmel/ erd' und lufft/ erhöret meine lieder!
Schafft meine Sylvia/ schafft meine liebste wieder.
Ach! (sprach das arme kind beym scheiden für und für)
Mein liebster Celadon/ das hertze sagt es mir/
Du wirst mich heute wohl zum letzten mahle sehen.
So wie sie mir gesagt/ so ist es auch geschehen.
Ein tag und eine nacht begräbet mich und sie;
Sie todt und ohne schmertz/ mich lebend und voll müh.
O himmel/ erd' und lufft/ erhöret meine lieder!
Schafft meine Sylvia/ schafft meine liebste wieder.
Ihr Götter/ saget nur/ liegt sie in eurer schooß/
So bitt ich sie vielleicht durch meine seuffzer loß:
Hat sie der feuer-schlund der schwefel-lichten höllen/
So lösch ich ihre glut mit meinen thränen-quellen:
Und hat sie endlich gar Neptunus tieffes hauß/
So zehr' ich seinen strohm durch meine flammen aus.
O himmel/ erd' und lufft/ erhöret meine lieder!
Schafft meine Sylvia/ schafft meine liebste wieder.
Jedoch es ist umsonst/ betrübter Celadon!
Der himmel hörte nicht mehr deiner lippen thon:
Der wald erzittert zwar für deinen schweren klagen;
Doch will er/ was du fragst/ nicht mehr zurücke sagen.
Feu'r/ wasser/ erd und lufft befördern deinen tod/
Und ieder augenblick mehrt deine sterbens-noth.
Was sinnstu weiter denn auff ungereimte lieder?
Du kommst zu Sylvien/ doch sie zu dir nicht wieder.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Neukirch, Benjamin. Gedichte. Gedichte. Uber ihren vermeynten todt. Uber ihren vermeynten todt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-60BC-B