An Charatinen

B.N.


Wie irret doch das rad der menschlichen gedancken!
Wir bilden offtermahls uns diß und jenes ein:
Jedoch wenn schluß und rath kaum unterschrieben seyn/
So fängt der leichte sinn schon wieder an zu wancken.
Mein kind/ ich will dich nicht mit sitten-lehren speisen;
Mein brieff war neulich kaum nach – – abgeschickt/
Die augen waren erst vom schlaffe zugedrückt/
Da reitzte mich die lust schon wieder nachzureisen.
Pfuy! sprach ich/ lästu so die süsse zeit verschiessen?
Strahlt deine sonne dich mit todten blicken an?
Wer ist/ der deinem thun hier grentzen setzen kan?
Und wer/ der deinen geist in fässel denckt zu schliessen?
Wilstu die nase nun erst in die bücher stecken?
Ach allzuschwache krafft vor deine liebes-pein!
Da muß kein todes oel und fauler balsam seyn/
Wo sich die funcken schon in lichte flammen strecken.
Weg mit der phantasey! weg mit den feder-possen!
Ein mägdchen ist weit mehr/ als alle bücher werth.
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Der hat sein glücke schon in asch und grauß verkehrt/
Der in das Cabinet auch seel' und geist verschlossen.
Mit diesem sprang ich auff/ fing alles an zuschmeissen/
Riß zettel und pappier in hundert stück entzwey/
Und sprach: die last ist hin und Abimenin frey:
So muß ein tapffres hertz durch tausend stricke reissen.
Ein blat/ ein kahles blat soll meine freyheit binden?
Ja/ (fuhr ich weiter fort) das stünde schülern an:
Ich habe längsten schon dir/ liebste/ dargethan/
Daß ich in dir allein will meinen kercker finden.
Der eifer mehrte sich wie meine liebes-kohlen/
Gleich aber als ich noch die letzten Worte sprach/
Da trat des fuhrmanns knecht in unser schlaff-gemach/
Umb den verdienten lohn von neulich abzuholen.
Er ließ sich unverhofft durch meine lust bewegen/
Befohlen und geschehn/ war alles nur ein wort:
Ich saß mit Thyrsis auff/ und fuhren beyde fort/
Umb dir die liebes-schuld/ mein engel/ abzulegen.
Es schien/ der himmel selbst bestrahlte mein verreisen/
Die winde liessen nichts als amber-lüffte wehn/
Die wolcken musten uns in tausend rosen sehn/
Und auge/ mund und hertz mit voller anmuth speisen.
Die pferde säumten nicht den leicht-beladnen wagen/
Die räder flohen schnell/ wie pfeile/ strom und blitz/
Die glieder fühlten kaum den hart gebauten sitz/
Und wurden wie ein stein durch dicke lufft getragen.
Und so weit muste mich das blinde glücke küssen.
Darauff nahm Sandau uns zur abend-taffel ein:
Ach Sandau! daß du soltst mein trauer-denckmahl seyn!
Ach Sandau/ daß du mich in diese noth gerissen!
Warumb hab ich doch hier die liebe müssen brechen?
Warumb hat dich mein hertz mit thränen angeschaut?
Ach Sandau! hätt ich nicht auff deinen sand gebaut/
So dürffte nicht der todt itzt meine sünde rächen.
Verzeihe/ liebstes kind/ ich muß es nur bekennen/
Ein weib/ ein schwaches weib hat meinen krantz entführt;
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Doch wo dich noch ein strahl der alten liebe rührt/
So laß nicht deinen zorn wie meine laster brennen.
Nicht wundre/ schönste/ dich/ wie dieses zugegangen:
Ich nahm von ihrer hand nur einen becher wein/
Der becher flößte mir den liebes-nectar ein/
Und ich ward wider art/ gantz unvermerckt gefangen.
Da sah ich ihr gesicht als hundert sonnen blitzen/
Sie schien mir etwas mehr als Venus selbst zu seyn.
Und das verborgne gifft der stillen liebes-pein
Fieng an mit aller macht in meiner brust zu schwitzen.
Die taffel ward darauff mit tüchern überzogen/
Hier trug man löffel-kraut und hasel-hüner auff/
Und setzte vor begier die scharffen messer drauff/
Dort ward der süsse wein aus gläsern eingesogen.
Was uns der starcke safft vor geister eingegossen/
Wie sich die stille glut im busen angesteckt/
Was vor ein liebes-strom mir meine brust befleckt/
Und wie mein mattes hertz von flammen fast zerflossen/
Ist/ schönste/ diß papier zu wenig abzureissen;
Genug; der schlaff zerbrach den augen ihren schein/
Ein ieder scharrte sich ins weiche lager ein;
Ich aber fieng allein für trauren an zu kreissen.
Amanda (so will ich die geile Venus nennen)
Lag dichte neben mir zur seiten mit der brust/
Mein seuffzen war ihr trost/ und meine liebes-lust
Schoß auch verborgne glut/ ihr feuer anzubrennen.
Ach daß ich/ sagte sie/ dein leiden könte stillen/
Ach kühlte meine brunst auch/ liebster/ deine pein/
So müste diese brust itzt nicht verschlossen seyn.
Und dieser dünne zeug nicht meinen leib umhüllen.
Ich netzte deinen mund mit hundert tausend küssen/
Es würde nichts als lust aus allen adern gehn/
Die lippen müsten dir in vollem amber stehn/
Und mein erhitzter schooß mit muscateller fliessen:
Nun aber kenn ich nicht die qvelle deiner wunden.
Es muß was höhers seyn/ das deine freude bricht/
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Dein kummer stammt aus mir und meiner anmuth nicht/
Sonst wäre schon der trost für deine noth gefunden.
Mir ward durch dieses wort die seele fast entrissen/
Doch stieß ich/ wo mir recht/ noch diese seuffzer aus:
Bleibt/ schönste/ deine brust nur meiner wollust haus/
So weiß mein sonnen-licht von keinen finsternissen.
Was brust? versetzte sie/ das hertze steht dir offen/
Komm/ reiß den blumen-schatz nach deinem willen hin/
Komm/ küsse/ biß du satt/ ich aber krafftloß bin/
Und endlich beyde wir in liebe sind ersoffen.
Drauff ließ das kühne weib die feder-decke fliegen/
Und gab den geilen leib von allen ecken bloß/
Hier sprang das leichte schloß von ihren brüsten loß/
Dort sah ich noch was mehr in voller flamme liegen.
Das leichte marmel-spiel der apffel-runden ballen/
Der schnee-gebürgte bauch/ der purpur-rothe mund/
Und was noch etwan sonst hier zu berühren stund/
War leider! allzu starck zu meiner unglücks-fallen.
Ich ärmster konte mir nicht länger widerstreben/
Ich warff mich in den schlamm der sünden-vollen lust/
Ich druckte leib an leib/ und wieder brust an brust/
Und wünschte nichts als so mein leben auffzugeben.
Mein leben/ das allein an meiner liebsten augen/
Mein leben/ das allein an ihrem hertzen hieng/
Und das/ wenn meiner brust der athem gleich entgieng/
Doch wieder konte safft aus ihren lippen saugen.
Ich lernte/ wie sich fleisch und fleisch zusammen schickte/
Ich sanck vor matter pein in den gewölbten schooß/
Biß meine beste krafft wie warme butter floß/
Und wie die seele gar aus meinen adern rückte.
Gleich aber/ als wir noch der süssen lust genossen/
Kam und zerriß ihr mann die zucker-süsse ruh/
Und schaute mit bestürtzt- und blassen augen zu/
Wie unser leib und geist in einen klumpen flossen.
Der eyfer ließ ihn nicht viel donner-worte machen/
Diß war sein erster gruß: Ha/ hure/ liegst du hier!
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Wacht denn ein ieder hund vor deiner kammer-thür/
Und stößt sich ieder fels an deinen liebes-nachen?
Mit diesem fing er mir vom schelmen an zu singen/
Da fühlt ich/ wie der zorn mir gall auff galle goß:
Die glieder brannten an/ die klingen giengen loß/
Und ieder suchte nun den degen anzubringen.
Inzwischen weiß ich nicht/ ob es sich schicken sollen/
Daß ich durch einen sprung zur erden niedersanck.
Da merckt ich/ daß der stahl durch meine ribben drang/
Und mir das warme blut kam aus der brust gequollen.
Wie/ wenn ein tieger-thier das leben sieht entweichen/
Nach blut-besprützter haut sich doppelt stärcker macht:
So ward mein eyfer auch in volle glut gebracht/
Und dachte mit gewalt den mörder abzureichen.
Ich schwang mit blosser faust mein eisen hin und wieder;
Ach aber nur umsonst! die adern wurden schwach/
Die seele selber floß durch meine purpur-bach;
Ich aber fiel erstarrt auff meinen rücken nieder.
Da sucht ich ärmster nun vergebens zu genesen/
Nachdem die wunde mir das halbe leben nahm.
Doch als ich wieder heim/ und zu mir selber kam/
Ist/ Charatine/ diß mein erstes wort gewesen:
Ach Abimenin! ach! was hast du doch verbrochen?
Wo bleibt die grüne treu/ wo der verliebte schwur/
Der neulich/ falscher/ dir aus deinem munde fuhr/
Als Charatine dir das hertze zugesprochen?
Geh hin/ und rühme dich der süssen liebes-wunden/
Geh/ sage wie ihr thau die lippen dir gekühlt/
Diß hast du nur geschmeckt/ und jenes nur gefühlt;
Denn beydes ist bereits auff einen tag verschwunden.
Verräther/ traust du dich wohl selber anzuschauen?
Muß so dein liebes-glaß in hundert stücken gehn?
Wer wird hinfüro mehr auff deine freundschafft sehn/
Und auff den porcellan der glatten worte bauen?
Doch/ Abimenin/ halt!/ halt deinen geist zurücke!
Bezähme qual und pein mit zügeln der gedult.
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Offt ist ein kleiner fall und hencker-werthe schuld
Zu der erwünschten gunst die beste gnaden-brücke.
Geh/ wirff dein angesicht zu ihren zarten füssen/
Und mache deinen fleck mit tausend thränen rein/
Laß ein beklemtes ach statt hundert worte seyn/
Und nichts als trauer-saltz aus beyden augen schiessen.
Das feur wird endlich doch die reine brust bewegen/
Die brust/ in welche sich mein falsches hertze schloß/
Die brust/ aus der die lust der keuschen liebe floß/
Und die mir kett und band hat wissen anzulegen.
Was aber hast du vor? was hoffst du? sprach ich wieder/
Auff zweiffel-volle gunst? Nein/ Abimenin/ nein.
Die sonne tilget nicht die flecken deiner pein/
Und stürtzt dich nur in grund des grösten kummers nieder.
Du wirst vergeblich nur die thränen hier vergiessen/
Dein abgeschicktes flehn ist keiner ohren werth.
Wer selbst den himmel ihm in höllen hat verkehrt/
Muß auch mit etwas mehr als schlechtem wasser büssen.
Hier riß die traurigkeit aus den gesetzten dämmen/
Ich stieß mit ungestüm den degen in die brust/
Und sprach: Wo gleich itzund die schmertzen meiner lust
Dich/ Charatine/ nicht mit wehmuth überschwemmen;
So solst du doch die treu aus meinem blute lesen.
Mein engel/ zittre nicht. Itzt folgt das ende drauff:
Denn hier erwachten mir die müden augen auff/
Da war das gantze spiel ein blosser traum gewesen.

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TextGrid Repository (2012). Neukirch, Benjamin. Gedichte. Gedichte. An Charatinen. An Charatinen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-603C-9