[357] Der Geisterring.

In einem fast ganz von Felsen umschlossenen, der Welt aber ganz unbekannten Thale lebte ein glückliches Hirtenvolk. Weil das Thal so schön und so fruchtbar war, und Hirten und Hirtinnen so unschuldig und voll Liebe, hatten sie es das Thal des Friedens genannt. Die reichen Auen und Triften gaben den Heerden reichliche Weide, und die Heerden nährten und kleideten die Einwohner. Schattige Wälder zogen sich anmuthig da und dort durchs Thal hin, und an den Abhängen standen Fruchtbäume, die zu allen Jahrszeiten Blüthen und Früchte hatten, und hauchten Wohlgeruchduft, und trugen das lieblichste Obst. Die milde Luft war heiter, und von Sturm und Ungewittern wußten die ältesten Bewohner des Thales nichts.

Wie hier die Natur war, waren die Menschen auch. – Alles schön, mild und sanft. – Sie hatten keine Oberherren, nicht Fürsten noch Richter, denn sie hatten keine Händel und Unfrieden unter einander; sie wußten nicht, was Haß und Neid war, und kannten selbst nicht einmal die Namen davon; und Gesetze bedurften sie also auch nicht, denn sie liebten sich ja untereinander herzlich, und die Liebe ersetzt alle Gesetze, und wo sie wohnt, thut Keiner dem Andern weh.

[358] O glückliches, seliges Thal! Wer doch zu deinen Bewohnern könnte gehören! – Doch das Glück fände sich überall wohl, fänden sich nur immer Herzlichkeit und Liebe.

Aber wo ist auf Erden das Glück, welches vollkommen wäre? Der Segen und der Friede des Thales kamen von einem mächtigen Zauberer her, der einsam auf einem Berge in der Nachbarschaft wohnte und die guten Hirten unter seinen Schutz genommen hatte; aber von ihm kamen auch, wenn vier Jahre verflossen waren, der Jammer und der Schmerz und die Wehklage der Hirten und Hirtinnen.

Mit jedem vierten Jahre kam der Zauberer, Astramond genannt, und Alle sahen mit Furcht und Zittern dem Tage entgegen, wo er eintraf. Alle jungen Hirtinnen des Thales mußten ihm vorgestellt werden, die sechzehn Jahre erreicht hatten, und Eine darunter wählte er sich aus, und nahm sie in seinem Wolkenwagen mit; Niemand wußte weswegen oder warum und wozu? Da zitterten die Aeltern schon lange vorher für ihre Töchter, und die jungen Hirten für die Freundinnen und Gespielinnen, mit welchen sie aufgewachsen waren, und mit denen sie fröhliche Feste und Tänze gefeiert hatten. Je näher die Zeit kam, wo Astramond erschien, desto trübsinniger und freudenloser wurden Alle.

Einer der Hirten dieses Thales – sein Name warSadick – hatte eine Tochter, der Liebling aller ihrer Gespielinnen, obwohl sie das schönste Mädchen im Thale war. Sie hieß Naide. Sadick hatte auch noch einen Pflegesohn, Nadir genannt, den er wie einen eigenen Sohn liebte.

Er hatte ihn in den Tagen, als Naide geboren wurde, am Ufer des Meeres in einem Körbchen gefunden, welches ein kleines niedliches Hündchen mit seinen Pfoten aus allen Kräften nach dem Gestade des Meeres zutrieb. Er wuchs mit Naide kindlich und fröhlich auf, und wurde der schönste junge Hirte des Thales, und dazu von allen andern Hirten geliebt. Nadir und Naide waren die Seele [359] aller Spiele und Freuden, und das Fest war nur halb, an welchem sie fehlten.

Der Tag des Unglücks nahete heran, an welchem Astramond kommen und wählen würde, und Naide war so eben sechzehn Jahr alt geworden. Naide sahe den Tag kommen, aber ohne Unruhe, nicht aber also ihr Gespiele. Naide, die bescheidene sanfte Naide dachte, es habe keine Noth, daß der Zauberer sie nehmen würde, denn die andern Mädchen des Thales seien ja viel, o sehr viel schöner als sie. Aber Nadir meinte, es sei ja kein einziges Mädchen des Thales so schön und so hübsch als seine Gespielin; es könne nicht fehlen, daß der Zauberer sie wählen würde, so bald er sie nur mit einem einzigen Blicke würde gesehen haben. Der arme Nadir! Sein Herz hatte die ängstlichsten Beklemmungen, und er wollte dem Zauberer entgegen gehn, wenn derselbe käme, und ihn auf den Knien bitten, ihm seine Naide zu lassen.

»Das thue nicht, mein Sohn, sagte Sadick, dem er sich entdeckt hatte; das thue ja nicht! Du würdest den Zauberer gerade dadurch aufmerksam machen, da er sie sonst vielleicht übersieht.«

Naide war ruhig gewesen, aber sie war es nicht mehr, als sie Nadirs Angst sahe. Und sie konnten nun beide nichts thun, als sich ängstigen. Die armen Herzen! Es half freilich nichts, und kam daraus kein Rath hervor, aber wer kann es denn lassen, wenn er in solchen Beklemmungen sich befindet? – Und wie die Liebe die Freude erzeugt und den Muth, so auch den Schmerz und die Angst; das werdet Ihr einst schon erfahren.

Der Morgen des Unglücks und des Jammers brach an für alle Bewohner des Thales. Alle Mädchen, die in den letzten vier Jahren, sechzehn Jahr alt geworden waren, wurden mitten in der Aue in einem von Laubzweigen erbaueten Saale in Reihen gestellt, und um den Saal standen alle jungen Hirten, deren Gespielinnen in [360] dem Laubsaale waren, fürchtend und zagend. Alle standen in stummer Angst da, und unter ihnen Nadir mit todtbleichen Wangen.

Plötzlich stand der Zauberer in dem Saale, Güte und Ernst und Ruhe auf seinem Gesicht, zugleich aber auch einen Ausdruck von Kummer. Mit gleichgültigem Auge betrachtete er flüchtig die Mädchen. Nadir hatte Naiden sein Hündchen mitgegeben, denn weil es so außerordentlich klug war, so trauten Beide ihm Alles zu, und hielten es für eine wohlthätig schützende Fee, und Nadir hatte gemeint, es könne die Gespielin schützen, wenn Gefahr sich finden sollte. Ruhig hatte das kleine Thier sich gehalten, aber als Astramond eintrat, zitterte es heftig am ganzen Leibe, und wollte entfliehen. Naide, um den kleinen Liebling nicht in der Menge zu verlieren, nahm es auf den Arm, und darüber wurde der Zauberer aufmerksam. Er betrachtete sich Naiden, er betrachtete das Hündchen, er gerieth in seltsame Gemüthsbewegungen, die sich auf seinem Gesichte ausdrückten, er berührte Naiden mit seinem Stabe, und im Augenblicke saß sie mit dem kleinen Hund an Astramonds Seite im Wolkenwagen, der blitzschnell den Augen der Nachschauenden entrückt war.

Die rückbleibenden Mädchen mit Aeltern und Gespielen freuten sich, daß sie das traurige Loos nicht betroffen hatte, aber es war um die Freude der guten Seelen geschehen, als sie den armen unglücklichen Nadir in Verzweiflung sahen. Sie trösteten, sie bedauerten, sie umarmten ihn, aber was half es ihm jetzt? Sonst war er durch ihre Theilnahme und Liebe so glücklich gewesen! – jetzt mußten sie ihn wie einen Todten nach Hause tragen. Wie todt lag er auch da, und als er erwachte, war er einem Wahnsinnigen gleich. Die Pflegeältern standen um sein Lager, und sahen ihn mit Jammer und Mitleid an; und als er wieder wüthen wollte, sagte Sadick sauft zu ihm: »Ach, mein Sohn, sind wir denn glücklicher als du?«

[361] Da besann sich Nadir, er drückte den treuen Aeltern, die er kläglich ansahe, die Hand; er nahm Trost und Ermahnung an, und nach einigen Tagen, in welchen er trübsinnig hinbrütete, fing die Hoffnung an in ihm zu erwachen, daß vielleicht die Gespielin noch zu gewinnen stehe, und als er erst bis zur Hoffnung gekommen war, kam er auch bis zu dem Entschluß, Naiden zu suchen; – ein Entschluß, den die liebevollen Aeltern sehr billigten, indem sie darauf rechneten, es könne sein Schmerz dadurch gemildert werden. Sie selbst ließen sich ihren Jammer nicht merken.

In einigen Tagen denn ging Nadir, Naiden zu suchen, und der Vater begleitete ihn bis zu einer gewissen Stelle des Gebirges, von wo aus sich Nadir in einem Felsengewirre verirrte.

Er kletterte und wand sich in seinem Gram in den dürren Felsen dahin und dorthin, und hatte schon acht Tage zugebracht, während welcher er aus den Waldbächen getrunken, wilde Beeren gegessen, und unter Felsenvorsprüngen auf kahlem Stein gerastet hatte. Er wußte nicht, wo er war, und sein verwirrter Kopf hatte nicht wahrgenommen, daß er immer im Kreise umhergegangen war. Da sah er auf einmal, er sei nicht tausend Schritte von der Stelle, wo er von Sadick Abschied genommen hatte. Er fiel in Verzweiflung darüber, und wurde ganz kraftlos, und in dieser Kraftlosigkeit sank er zu Boden, und mit dem erschöpften Körper schlummerte er ohnmächtig im Gefühl seines Elendes ein.

Er erwachte. Er erwachte gestärkter und ruhiger, und machte sich ordentlich daraus einen Vorwurf. Als er sich aber eben recht anklagen wollte, bemerkte er, er sei ganz wo anders als da, wo er eingeschlafen war – nämlich in einem freundlich schönen Zimmer, in einem weichen Bette, und zu den Füßen seines Bettes sein schwarz weißes kluges Hündchen, und auf seiner Achsel eine weiße Taube, zahm und fromm, von der er aber nicht wußte, wie sie daher kam?

[362] Sein Hündchen nahm er auf seinen Arm, und drückte den treuen Gefährten und Lebensretter an sich, und küßte ihn, und als er das Hündchen fragte: »Weißt du nichts von der lieben Naide?« da schlug das Täubchen mit lustigen Flügeln, und das Hündlein wedelte mit dem Schwanze und war gar fröhlich.

Nadir liebkosete nun beide Thiere, und es war ihm, als kehrten Ruhe und Hoffnung in ihn zurück, als mit ten unter dem Liebkosen ein ernster Mann voll Majestät ins Zimmer trat und zu ihm sprach:

»Ich bin der, der dir Verschmachteten das Leben rettete, aber der dir auch deine Naide und dein Hündchen genommen hat, weil ich hoffe, es soll gut sein, dir sowohl als mir. Ich bin Astramond.«

Nadir fiel höchst bewegt zu den Füßen des Mannes und weinte, und das Hündchen, ja selbst das Täubchen weinten mit. Astramond aber hob ihn auf und sagte: »Halte mich nicht für grausam, weil ich Naiden entführte; liebe sie immer, ich bin dir nicht entgegen, Wisse, daß wir beide, Du und Ich, einander zu unserm gegenseitigen Glück unentbehrlich sind, Du aber Naiden eher nicht besitzen kannst, bevor nicht der Ring der Geister in deinen Händen ist. Du wirst aber diesen Ring haben, wenn Du mir folgst.« –

»Höre!«

»Gehe sieben Tagereisen nach Mittag zu. Dann kommst du an den Palast des Geisterkönigs. Fordere den Ring der Geister, der Dir nicht wird verweigert werden. Ist er durch dich in meine Hände gekommen, so ist Naide auf immer dein. Mehr darf ich dir nicht sagen. Das Hündchen und das Täubchen kann ich dir nicht mitgeben. – Geh, und sei vorsichtig!«

Wie entzückt war Nadir, daß er Naiden wieder erlangen sollte. Er versprach den Ring der Geister um diesen Preis aus dem Mittelpunkt der Erde zu holen. Das Hündchen und die weiße Taube hätte er freilich so gern mitgehabt, der Zauberer aber sagte noch [363] einmal, er dürfe sie ihm nicht geben. So ging denn Nadir ohne sie.

Er ging, und ging mit tüchtigen Schritten, denn es galt ja Naidens Besitz. Er ging so rüstig, daß er schon am Morgen des siebenten Tages den Palast des Geisterkönigs Geonchas weit von fernher leuchten sahe, indem derselbe von lauter Edelsteinen erbauet war.

Gern wär er fortgeschritten, aber seine Kraft war von zu schnellem Gehen erschöpft, und er legte sich unter den Schatten eines Palmbaums hin, um ein wenig zu ruhen. Aus der Ruhe aber wurde ein süßer Schlummer.

Beim Erwachen fand sich Nadir in einem Zelte von Goldstoff, auf einem reichen Sopha liegend. Am Ende des Sophas saß ein Mann mit düsterer, aber majestätischer Miene, und seine Züge waren den Zügen Astramonds sehr ähnlich.

»Höre mich, mein Sohn! redete der Mann ihn an. Ich bin Astramonds Bruder, und ein Opfer seiner boshaften Künste, obschon ich eben sowohl ein Zauberer bin wie er. Seit meiner Geburt war er feindselig gegen mich. Mir selbst konnte er freilich nicht schaden, aber eine Fee, die meine Geliebte ist, konnte er mir rauben, weil ich einen Augenblick nicht wachsam genug war. Er hält sie in Gestalt eines kleinen Hundes gefangen, deine Naide aber in Gestalt einer weißen Taube. Dir und mir hilft nichts als der Ring der Geister, den Niemand erhalten kann als du. Wir wollen uns seiner zu unserm Glück und zur Rache gegen ihn bedienen. Sobald du den Ring hast, den Niemand wider deinen Willen dir nehmen kann, darfst du dich nur zu mir her wünschen, so bist du da. Mit dem Ringe bist du dann sein Herr. Leb wohl, Nadir. Ich könnte dich mit einem Namen nennen, der dir Ehrfurcht und Liebe abnöthigen würde, aber es ist noch nicht an der Zeit. – Morgen erwarte ich dich in meinem Palast.«

[364] Der Unbekannte verschwand und Nadir ging. Ihm waren die Worte dieses Unbekannten seltsame Worte, so dunkel und so klar! – Rache an einem Bruder nehmen, das war seinem sanften Herzen sehr fremd. Und dann – schien es denn nicht, als ob derselbe hätte sagen wollen, daß er sein Vater sei? welches sehr gut mit der Freundlichkeit zusammenstimmte, womit ihn der Mann behandelt hatte. Das Hündchen wäre dann gar seine Mutter?

Nadir wußte nicht klug daraus zu werden, und kam in Gedanken zu dem Palast des Geisterkönigs, von dessen Winken alle unsichtbaren Mächte abhingen. Hier wurde er freundlich aufgenommen, gütig bewirthet und sodann, weil es schon spät Abends war, in das Gemach der Träume geführt, welches nur denen wiederfuhr, welchen der Geisterkönig vorzüglich wohl wollte. Die, welche darin schliefen, erfuhren hier ihr Schicksal in Traumgestalten, denn in Worten durfte es ihnen selbst dieser gewaltige Geisterfürst nicht offenbaren. Auch Nadir träumte.

Es war ihm, er sei da, wo er des vorigen Tages den Unbekannten unter dem Zelte von Goldstoff traf. Dieser Unbekannte und Astramond waren dort auch, und zwischen ihnen stand ein ehrwürdiger Greis. Diesem gegenüber sah er ein Wesen, nach Angesicht und Gestalt weit über die menschliche Natur erhaben, obwohl menschenähnlich in aller Art. Sähe man es an, so wurden die Augen geblendet, wie wenn sie vom Sonnenglanze geblendet würden.

Der Greis übergab dem fremdartigen höheren Wesen einen Ring, in welchem ein geschnittener Türkisstein gefaßt war, und kaum hatte das überirdische Wesen den Ring empfangen und an den Finger gesteckt, so war es auch verschwunden, und der Greis und Astramond verschwanden mit ihm. Aber der Unbekannte von gestern blieb, und schien ihm Naide, seine geliebte Naide an der Hand mit Freundlichkeit zuzuführen. Entzückt flog er ihr im Traume entgegen, aber kaum war er ihr bis zur Umarmung nahe, so verwandelte sie sich [365] in eine andere Mädchengestalt, und der Unbekannte war in die Erde versunken.

Der Traum war aus, und Nadir erwachte; aber das Traumgesicht stand so lebendig vor seiner Seele da, als wär der Traum wachend vorgegangen. Er dachte den Traumgebilden nach, und hätte gern gewußt, was sie wohl möchten zu bedeuten haben; aber er brachte nichts Ordentliches heraus, denn einen Weissagergeist hatte der unerfahrne Jüngling ja nicht.

Indem er so sann und dachte, oder vielmehr noch nachträumte, ward er zum König der Geister beschieden, und erkannte in ihm beim ersten Anblick Denjenigen, der im Traumgebilde aus des Greises Hand den Türkisring empfing, und wie ihn der Anblick desselben schon im Traume geblendet hatte, wurde er nun noch mehr wachend geblendet, wiewohl der Geisterkönig mit mildem und huldvollem Auge ihn ansahe.

»Jüngling! sagte der Herr der Geister, ich kenne dich wohl! Ich weiß, du bist gut und recht, und darum liebe ich dich. Nun werde auch weise! – Hüte dich vor Fallstricken und vergiß empfangene Wohlthaten nicht! – Du empfängst ein Kleinod von mir, welches dich zum König der Erdwelt machen kann; benutze es mäßig und gerecht, sonst wirst du dennoch nicht glücklich damit, denn nur das Herz macht glücklich, und nicht die Macht. Das merke dir recht wohl, mein lieber Sohn! – Traue nie dem Schein, sondern suche die Wahrheit! – Erinnere dich deines Traums!«

So sprach Geonchas, der König der Geister, und gab ihm den Ring, den Nadir mit tiefer Ehrfurcht empfing. Der Geisterfürst entließ ihn hierauf.

Nadir wünschte sich in den Palast des Unbekannten von gestern und war, kraft des Ringes, im Augenblick dort. Es war Alles darin so schön als kaum in irgend einem Zauberschlosse in der Welt, und an schöne Knaben und Mädchen fehlte es eben so wenig, als[366] an Glanz und Herrlichkeit, doch war das Ansehn der Menschen und der Dinge düster. Nadir stand und sann den dunkeln Worten nach, welche der Geisterkönig zu ihm gesprochen hatte, als der Unbekannte, der Herr des Palastes, hereintrat und ihn mit seinem ganzen Hofe bewillkommte.

Nachdem dieser Nadirn mit der artigsten Freundlichkeit durch alle Säle und Zimmer geführt und ihm alle Kostbarkeiten und Seltenheiten gezeigt hatte, ging er mit ihm in den wunderschönen Garten, wo sie sich in eine einsame Laube niederließen. Hier wünschte derselbe Nadirn mit ausgesuchter Theilnahme und ungewöhnlicher Zärtlichkeit Glück zu dem Kleinod, das er von Geonchas empfangen hatte. Er suchte sodann den Jüngling dahin zu bringen, ihm diesen Ring zu überlassen, sowohl Naiden zu befreien, als den Zauberer Astramond zu bestrafen. Er sagte ihm: »Wie groß auch, mein lieber Sohn, des Ringes Gewalt ist, so ist sie es doch nicht in den Händen eines Jeglichen, und würde dir gegen den mächtigen Astramond wenig helfen, weil du in den Geheimnissen der Zauberei ganz unerfahren bist, in welche man tief eingeweiht sein muß, wenn man ganzen und glücklichen Gebrauch von dem Ringe machen will.«

Alles ging darauf hinaus, Nadir solle ihm den Ring anvertrauen, und dann gewiß sein, noch vor Abend den Zauberer Astramond zu seinen Füßen zu sehen, und seine Gespielin wieder zu haben. Ader Nadir erinnerte sich seines Traumes und der Worte Geonchas. Selbst die Art, wie ihn der Unbekannte überreden wollte, und daß er bloß Rache gegen einen Bruder im Sinn zu haben schien, mochten ihm gar nicht gefallen. Auch dachte er, es sei immer noch Zeit, einer fremden Hand den Ring zu vertrauen, zuvor wolle er erst versuchen, wie weit er selbst mit demselben komme. Kurz: Nadir behielt seinen Ring unter dem Vorwand, daß er sich von einem so hohen Kleinod nicht sogleich wieder trennen könne.

[367] Da runzelte sich die finstere Stirn des Zauberers, aber nur einen Augenblick, dann war sie wieder glatt und heiter. Treuherzig fuhr er fort: »Nun wohl, du sollst sehen, ob ich es ehrlich mit dir meine. Naiden dir wieder zu schaffen, vermag ich wohl durch meine Gewalt allein, und du sollst sie bald besitzen; aber daß sie dir nicht in Kurzem Astramond wieder entführe, das vermag ich nicht zu verhindern.«

Der Zauberer klatschte in die Hände, und sogleich eilte sein ganzer Hof herbei. »Freunde, sagte er, unterhaltet meinen liebenswürdigen Gast und zerstreuet seine Schwermuth, denn ich werde einige Stunden abwesend sein.« Hierauf fuhr er in seinem Wolkenwagen davon.

Nadir, im tiefen Sinnen über alle die Wunderdinge, welche ihm begegnet waren, nahm an den Vergnügungen wenig Theil, womit man ihn unterhalten wollte. Die seltenen kostbaren Dinge, welche man ihm zeigte, die Musik und die Tänze, die Schauspiele und der hellerleuchtete Saal mit der köstlich besetzten Tafel machten wenig Eindruck auf ihn, und um so wenigeren, da er einen großen Zwang und einen düsteren Trübsinn auf allen Gesichtern bemerkte, ungeachtet Alle Heiterkeit und Freude zu erkünsteln suchten.

Nadir stand bald von der Tafel auf, und unter dem Vorwande ruhen zu wollen, ließ er sich ein einsames Gemach anweisen. Kaum ist er in demselben, so tritt der Zauberer hinein, und – o welch Entzücken! – hat Naiden an der Hand. »Da hast du die Entbehrte, sagt der Zauberer, und nun sei wieder froh!«

Nadir war froh; Naide war auch froh. Sie drückten sich die Hände, sie konnten sich nicht satt aneinander sehen und stammelten nur einzelne Worte. Naide fand zuerst die Sprache wieder.

»Nadir, sagte sie, lies in meiner Seele, wie glücklich ich bin, daß wir uns wieder haben. Aber laß uns zuerst dankbar sein gegen unsern [368] Retter und Wohlthäter; ich kann es nur mit Worten sein, du kannst es mit der That durch deinen Ring.«

»Nein, nein! unterbrach sie der Zauberer großmüthig, Ihr seid mir nichts schuldig; was ich für Euch that, that ich für mich selbst mit, und wünsche nur das Eine, daß Nadir Vertrauen zu mir fasse. – Ich lasse Euch allein, denn Ihr werdet zu sprechen haben.«

Sie waren allein, und Nadir wollte sich seinem Entzücken, das durch die Gegenwart des Zauberers war zurückgehalten worden, nun ganz überlassen; allein Naide sagte: »Nadir, berührt mich mit Eurem Ringe!« Nadir wollte wissen, wozu? allein sie bat, fast mit Thränen im Auge, noch einmal: »berührt mich mit Eurem Ringe, Nadir! – Ihr seid betrogen!«

Nadir erschrak und berührte sie, und eine schöne Mädchengestalt stand vor ihm, aber es war nicht Naide. In diesem Augenblick der Verwandlung stürmte der Zauberer ins Zimmer, Wuth im Auge. Er hob den Zauberstab gegen das Mädchen, das sich angstvoll hinter Nadir zu retten suchte. Nadir, noch in voller Bestürzung, berührte mit seinem Ringe den Wüthenden, und dieser stand da starr und fast wie eine Bildsäule von Stein.

Nadir bedurfte einiger Zeit sich zu erholen. Mit Erstaunen hatte er die beiden letztern Proben von des Ringes Allgewalt gesehen; mit Erstaunen betrachtete er den unbeweglich da stehenden Zauberer und doch auch mit heimlicher Furcht. Doch glaubte er bald an den Schutz des Ringes.

»Du unglücklicher Mensch, sprach er zu dem Unbeweglichen was hast du nun von deinen tückischen Absichten? Den Bruder und mich hast du verderben wollen, und dagegen hat Dich das Schicksal getroffen. – Kraft des Ringes aber verlang ich, sprich, was ist aus Naiden geworden?« sprich aber die Wahrheit!

[369] Jetzt kam wieder einiges Leben in den Erstarrten, obwohl er auf seiner Stelle blieb. Die Zauberruthe fiel ihm aus der Hand, und die Lippen fingen an sich zu regen. – Er sprach.

»Ich unterliege der stärkern Gewalt, und muß schon die Wahrheit sagen, falls ich es auch nicht wollte. Ich muß sogar noch mehr sprechen, als ich wollte, denn die Gewalt des Ringes zwingt mich dazu, und mein Sträuben hilft nichts.«

»Naide ist nicht in meiner Gewalt, sie ist sicher und wohl bewahrt bei Astramond. Meine Absicht war, Astramond zu verderben, Naiden, die ich gesehen habe, zu rauben, und selbst deinen Untergang zu bewirken, sobald ich in dem Besitz des Ringes wäre. O! daß ich die Wahrheit sprechen muß – muß! – – Höre, wer ich bin!«

»Ich heiße Neraor und bin in der That Astramonds Bruder, nur etwas jünger als er. Wir sind beide die Söhne eines Mannes, der in allen geheimnißvollen Künsten der erste und erhabenste war, und dem kein Zauberer den Rang streitig machen konnte. Alle Geister standen unter seinem Gebot, nur nicht der König der Geister, der aber dagegen sein Freund war.«

»An dem allgewaltiger Talisman, an dem Ringe nämlich, der jetzt in deinem Besitz ist, arbeitete mein Vater viele Jahre seines Lebens. Wir waren noch Jünglinge als das Werk vollendet war, und da wir in geheimnißvollen Künsten von dem Vater selbst sehr gut unterrichtet waren, so begriffen wir denn auch den Werth des Ringes sehr gut, und jeder wünschte ihn allein zu besitzen. Ich, der ich meinen Bruder nie eben geliebt hatte, fing jetzt an, ihn zu hassen – kurz, es fingen böse Händel unter uns an, die niemals mehr aufhörten und den Vater beunruhigten, der sich viel vergebliche Mühe gegeben hatte, uns zu vereinen. Da alle seine Mühe nun fruchtlos war, ließ er uns beide eines Tages kommen, und strafte uns mit harten Worten, und sagte, es solle nun keiner von [370] uns den Ring besitzen, der zwischen uns nur Haß und Feindschaft errege. In unserer Gegenwart warf er denselben in ein Gefäß mit Wasser, welches zu sieden und brausen anfing, als er einige geheimnißvolle Worte darüber ausgesprochen hatte. Dann stieg ein Adler aus dem Gefäße herauf und, den Ring im Schnabel, verschwand er vor unsern Augen in der Luft, nachdem der Vater ihm befohlen hatte, den Ring zu dem Geisterkönig zu bringen, wo derselbe bleiben solle, bis ihn nach dem Willen des Schicksals einer unserer Söhne erhielt. Er wiederholte es, daß ihn keiner von uns selbst besitzen werde. Aber wer zuerst sich des Herzens eines tugendhaften und liebenswürdigen Mädchens würde würdig machen und sie zur Gemahlin, und mit ihr einen Sohn bekäme, der hätte in diesem Sohn den Besitzer des Ringes und den mächtigsten Sterblichen der Erde.«

»Der Vater mochte freilich wohl auf diese Weise unsern Bruderzwist beilegen wollen, indem er jedem von uns den Besitz des Ringes unmöglich gemacht hatte, aber unser Haß entflammte nun erst recht heftig.«

»Wir Brüder durchreisten die Erde; Astramond, um eine Gemahlin zu suchen, wie der Vater sie bestimmt hatte; ich aber folgte ihm nach, um aus aller Macht sein Glück zu vereiteln.«

»Die Tochter des Königs der unbekannten Inseln war ihrer blendenden Schönheit wegen eben so berühmt, als ihrer Tugend und Liebenswürdigkeit wegen. Mein Bruder zog dorthin – ich zog ihm nach, sobald ich Nachricht davon bekam. – Ich komme dort an, ich trete ins Zimmer, und finde die Prinzessin und meinen Bruder beim König, und alle drei schienen schon einig: aber die Prinzessin war schöner, o viel schöner als das Gerücht sie beschrieb, Hoch und stolz und mit drohenden Mienen bewarb ich mich auf der Stelle um sie.«

»Der König kannte meine und Astramonds Macht, und durfte es mit keinem von uns verderben.«

[371] »Ich will Euch einen Vorschlag thun, meine Prinzen, sagte der König, den Ihr ohne Zweifel werdet billigen müssen. Ich kenne Eure Verdienste und Tugenden. – Er kannte nämlich unsere Macht! – Seid Ihr es zufrieden, daß der meine Tochter erhält, welcher mein Volk glücklich macht?«

»Wir waren es Beide zufrieden.«

»Acht Tage nahm sich Jeder von uns Zeit, seine Anstalten zu machen. Binnen diesen Tagen folgte ich der Prinzessin auf allen Schritten und wurde immer mehr gewiß, daß Astramond in ihrer Gunst weit höher stand, denn ich, wodurch mein Haß gegen ihn immer mehr und mehr stieg.«

»Ich sann ernstlich darauf, wie ich den Preis gewinnen möchte. Reichthümer, dachte ich, sind es, die den Menschen der Mühe und Noth des Lebens überheben und ihm alle Lust und Freude gewähren; darum eben werden sie ja von Allen gewünscht, und Jeder strebt darnach.«

»Damit mein Bruder mir nicht zuvorkommen möchte, behauptete ich trotzig, daß Astramond das Recht der Erstgeburt in diesem Falle nicht dürfe geltend machen. Wir müßten entweder beide zugleich handeln, oder aber das Loos entscheiden lassen. – Ich fürchtete, er könnte auch auf meinen Gedanken gefallen sein, und hoffte ihn recht beschämt zu sehen, wenn ich eher als er denselben ausgeführt hätte.«

»Astramond lächelte und versicherte, er wolle hier sein Recht keineswegs geltend machen, und sei es um so mehr zufrieden, daß ich zuerst die Probe ablege, weil es ihm doch keinen Nachtheil bringen würde.«

»Sein Lächeln und seine Ruhe bei dieser Versicherung erbitterten mich aufs Höchste; indessen ich rechnete nun mit Gewißheit auf den Preis und auf seine Bestürzung, und nahm mir noch vor, mich zu seiner Zeit überdieß noch furchtbar an ihm zu rächen.«

[372] »Der bestimmte Tag kam. Das Volk der Stadt war auf einem großen Platze versammelt. Ich sprach: ›Ihr sollt Alle reich, Alle glücklich werden, lieben Freunde!‹ und schlug mit meinem Stabe die Erde, und unermeßlich viele Goldberge quollen überall aus dem Boden herauf. Ein Freudengeschrei erfüllte die Luft, das aber bald genug durch das Jammergeschrei der Unglücklichen unterbrochen wurde, die im Drängen nach den Goldhügeln zerquetscht oder erdrückt wurden.«

»Die Hügel verschwanden beinahe so schnell, als ich sie hatte entstehen lassen. Ich ließ neue Hügel aus dem Boden hervorsteigen, bis zuletzt Niemand mehr Gold fortbringen konnte. – Astramond blieb bei dem Allen zu meinem Erstaunen ganz ruhig.«

»Dieser Tag und die folgenden vergingen in tollem Lärmen und Schwelgen. Betrunkene taumelten sinnlos auf den Straßen umher; Händel und Schlägereien gab es überall: die Geringen höhnten die Hohen, denn sie hatten nun auch Gold, und nach den Gesetzen fragte Niemand in dem allgemeinen Taumel. Keiner wollte mehr arbeiten, sondern Alle nur jubeln, und in der Stadt war bald nicht mehr so viel an köstlichen Getränken und Speisen und an Sachen der Pracht und Ueppigkeit vorhanden, als verlangt wurde; auch nahmen sich die Kaufleute kaum die Mühe, ihre Waaren zu verkaufen, denn sie hatten ja Gold genug, oder sie ließen ihre Vorräthe nur um ungeheure Preise ab. Hie und da wurden die Kaufladen gestürmt, und da der Mangel einzutreten drohete, indem sich Niemand die Mühe gab Zufuhren kommen zu lassen, so stand bald Alles darauf, in einen allgemeinen Aufruhr auszubrechen. – Das sahe ich Alles. Schämen konnte ich mich nicht; aber ich ärgerte mich, ich wurde ergrimmt, und meine Wuth gegen Astramond stieg immer höher, denn nun hatte ich ihm ja offenbar vorgearbeitet und es ihm recht leicht gemacht, den Preis davon zu tragen, wiewohl ich nicht wußte, wie er das anfangen wolle.«

[373] »Astramonds Tag kam. Er zog mit seinem Stabe einen weiten Kreis in die Luft, und dann noch einen und sprach: ›Nun ist es gut!‹ Das Volk sah ihn bedenklich, fast könnte man sagen, höhnisch an, denn sie sahen ja nichts, und ich selbst war höchst verwundert. Aber wenn auch das Volk nichts sahe, so fühlte es doch bald desto mehr. Es gerieth über alles Volk ein Friede, eine Herzlichkeit und ein gegenseitiges Vertrauen, die sonst so Vielen ganz fremd gewesen waren. Bekannte, Nachbarn und Ehegatten, die in Feindseligkeit und langjährigem Zwist gelebt hatten, fielen sich versöhnt und liebend in die Arme. Gastmahle wurden gegeben, bei welchen die Freude neben der Mäßigkeit und Ordnung wohnte. Man suchte sich überall auf, man wollte Geld und Gut mit den Andern theilen, wenn sie dessen nicht genug hätten, aber Niemand nahm es, denn Jedermann fühlte sich glücklicher, als Geld und Gut machen können. Ueberall trat zugleich das arbeitsame Leben in seine alte Stelle ein, aber weit mehr Freundlichkeit und Gefälligkeit als einst. Handel und Wandel waren regsamer als jemals, und in zwei Tagen waren Vorräthe aller Art in Uebermenge vorhanden. Die Arbeit brachte Vergnügen und der Abend der Ruhe liebes trauliches Gespräch mit Nachbarn und Bekannten, und die Nacht liebliche Träume im gesunden Schlaf und Heiterkeit beim Erwachen am andern Morgen. Alle fühlten sich glücklich.«

»O! Astramond hatte den Geist der Liebe und den Geist der Ordnung über das Volk ausgegossen, und dieses, und nicht der König allein erkannte ihm die Hand der Prinzessin einstimmig zu. Meiner aber spottete man. ›Das laßt mir einen Weisen sein, hieß es, der die Menschen durch Gold allein beglücken will!‹ Man hatte sehr vernünftige Gedanken über die natürlichsten Quellen des Menschenglücks, und ich konnte die Wahrheit derselben nicht abläugnen, aber mich ärgerten sie doch.«

[374] »Ich sann wüthend auf schreiende Rache, nahm aber, um sie sicherer ausführen zu können, den Schein der gelassenen Gleichgültigkeit an. Ich wußte, daß Astramonds argloses Herz leicht konnte hintergangen werden.«

»Astramond mochte schon mehrere Monate verheirathet sein, als ich seine Gemahlin bei Gelegenheit einer Jagd entführte, ohne daß er im Stande war auf mich Verdacht zu werfen, denn meine Anstalten waren mit listiger Sicherheit getroffen.«

»Ich brachte die Prinzessin auf eine fern entlegene unbekannte Insel, und ihre Jammerthränen waren mein Labsal, und die Verzweiflung, in welcher sich Astramond befinden mußte, meine Wonne, mein Entzücken.«

»Die himmlische Schönheit der Prinzessin wirkte jedoch mit der Zeit auf mich. Ich unterließ sie zu quälen, ich fing an sie heftig zu lieben, aber sie verabscheute mich je länger je mehr. Da wollte ich ihres Gemahles Gestalt annehmen, aber ich konnte es nicht dahin bringen, welche Zauberkünste ich auch anwendete. Mir widerstand eine unbekannte Gewalt.«

»Mir war in einer Nacht der Geist des Vaters erschienen, mit einem strahlenden Schwert in der Hand, dessen Griff ein einziger Rubin war, und welches er gegen mich aufhob. ›Du elender Bösewicht, sprach der Greis, deine Versuche sollen vergebens sein. Verhüte dein Unglück!‹ – – Der Geist sprach es deutlich und vernehmlich und donnernd genug, als daß ich es hätte überhören können.«

»Noch versuchte ich vielfältig alle meine Kunst, mich in Astramonds Gestalt hineinzustehlen, ja hinein zu zwingen, aber nimmer wollt es mir gelingen. Alle Gestalten konnte ich annehmen, nur diese einzige nicht.«

»Ich wurde wüthend, und um so wüthender, weil die Prinzessin schwanger war, und aus den Prachtzimmern, worin die Prinzessin gelebt hatte, verstieß ich sie in ein tiefes modriges Gewölbe, [375] wohin sich niemals ein Sonnenstrahl hätte hineinstehlen können. – O! ich hatte teuflische Absichten, recht teuflische! – – Aber nach einigen Monaten erscheint mir der Geist des Vaters mit seinem Flammenschwert wieder, und spricht zu mir, mir Zorn in den Augen: ›Nimm ein Schiff und durchfahre mit des Bruders Weib alle Meere, und quäle es nimmerdar mehr. Zittre, wo du nicht gehorchst!‹«

»Ich gehorchte, aber freilich nur, weil ich mußte, denn mich trieb eine unwiderstehliche heimliche Gewalt.«

»Einen Monat lang segelten wir auf der See dahin und dorthin, ohne daß uns etwas Besonderes wäre aufgestoßen. Die Prinzessin brachte während dieser Zeit einen Sohn zur Welt, – Dich, Nadir.«

»Es kam nicht lange nach dieser Zeit ein Schiff auf uns zugesegelt. Da wir uns einander nahe genug waren, sahe ich, daß es von Astramond geführt wurde. Und sehen, uns einander wüthend angreifen, war Eins. – Ich suchte Astramond, um mit Einem Streiche unsern Kampf und meinem Haß zu enden, ich traf auf ihn, aber er hatte das strahlende Flammenschwert in den Händen, mit welchem der Vater mich bedroht hatte, und gegen welches ich nicht vermochte zu bestehen. Mein Blut erstarrte, meine Haare sträubten sich empor, meine Knie zitterten, meine Leute wurden bei meinem Anblicke muthlos. Wir wollten fliehen, wurden aber genommen und in Ketten geschlagen. Ich, die Prinzessin und ihr Sohn wurden vor Astramond vorgeführt. Dieser, der durch sein Elend mißtrauisch und grillig geworden war, zweifelte nicht, seine Gemahlin habe sich mit gutem Willen von mir entführen lassen, und in der ersten Uebereilung seines Zorns verwandelte er sie in eine schwarzweiße Hündin, und ließ sie nebst dem jungen Knaben im Korbe, den er nicht für den seinigen hielt, ins Meer werfen. Ich riß ihn nicht aus seinem Irrthum. Mir ließ er die Fesseln abnehmen, indem er sagte: ›Ich will dich nicht tödten, du Unwürdiger, denn du bleibst doch immer [376] mein Bruder. Geh und lebe, und wenn es dir noch möglich ist, so werde besser!‹«

»Ich wurde in ein Boot gesetzt, erreichte in wenigen Tagen das Land, und bauete mir diesen Palast, wo ich meinen Gram, meinen Unmuth, meinen Grimm durch mancherlei Zerstreuung zu heilen versuchte, und doch nicht geheilt habe. Es machte mir Vergnügen, den Aeltern ihre schönsten Söhne und Töchter zu entführen, und ich hatte meine Freude an dem Schmerz der Aeltern und der entführten Kinder, aber ich war dennoch nicht froh. Ich erfuhr, daß es Astramond auch nicht sei, und unweit des Thales der Ruhe und des Friedens in seinem Schmerze versunken lebte. Vor einigen Wochen erfuhr ich, er habe seine Gemahlin unter der Gestalt einer schwarzweißen Hündin wieder gesunden, und diese habe sich erboten, ihre Unschuld zu beweisen, wenn er seinen und ihren Sohn nach dem Ringe der Geister senden wolle. – Er that es, nachdem er zuvor deine Naide entführt und sie in eine weiße Taube verwandelt hatte, damit du nicht durch sie von der Reise zurückgehalten werden möchtest. – Das Uebrige weißt du selbst. – Räche dich nun und vertilge mich!«

»Rächen will ich mich auch, sagte Nadir, aber auf deine Art Rache verstehe ich mich nicht!«

Nadir wünschte, daß seine Aeltern und Naide erscheinen möchten, und im Augenblicke erschienen sie durch die Zaubermacht des Ringes, auf einem Wagen von weißen Tauben gezogen. Die Prinzessin aber war keine Hündin mehr, sondern hatte ihre Gestalt und Schönheit wieder, wie vor sechzehn Jahren, indem die Jahre der Verwandlung nicht zu ihrem Leben gerechnet wurden.

Nadir gab dem Vater seinen Ring, sich dessen immerdar zu bedienen. »Nein, mein Sohn, sagte Astramond, behalte du ihn, du bist würdig ihn zu besitzen. Nur einen Augenblick will ich Gebrauch [377] davon machen, und zwar gegen Neraor, um mich zu rächen.«

»Du willst ihn doch nicht verderben, mein Vater?« fragte Nadir.

»Ich will mich rächen, sagte dieser, wie du dich selbst gerächt haben würdest.«

Da gab ihm Nadir den Ring, und Astramond berührte mit demselben Neraors Stirne und Herz, und sprach: »werde weise und gut!«

In demselben Augenblick war es demselben als verzöge sich ein Nebel, der bisher sein ganzes Innere verhüllt hätte, und er wurde von Stund an tugendhaft und gut. Aber er blieb von nun an auch traurig und schwermüthig, wegen der Erinnerung voriger Schlechtheit und wegen der bitteren Reue darüber.

Astramond und seine Gemahlin vereinigten sich wieder mit Liebe und Zärtlichkeit; Nadir und Naide wurden ein beneidenswerthes Paar; allen eingesperrten Prinzen und Prinzessinnen gab Neraor ihre Freiheit wieder, und beschenkte sie mit den köstlichsten Gaben, daß sie allesammt glücklich wurden, er selbst aber blieb immerdar trübsinnig, wie sehr auch Astramond und seine Gemahlin und Nadir mit Naiden ihn zu erheitern suchten. Nur je zuweilen erheiterte ihn das Glück der Lieben, die er hatte verderben wollen, und die ihn geschont und gerettet hatten.


[378] Der Schlechten, die wie Neraor sind, giebt es noch viele, denn diese Art stirbt nimmermehr aus; aber leider! der Ring ist verloren gegangen, der sie gut machen könnte, und sie selbst denken nicht daran, besser zu werden, sondern bleiben wie sie sind bis ans Ende; – nämlich schlecht, so schlecht, daß sie selbst Brüder können hassen. O durch Gerechtigkeit und Liebe wären sie selbst und Alle mit ihnen glücklich und froh und selig gewesen!

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TextGrid Repository (2012). Löhr, Johann Andreas Christian. Märchen. Das Buch der Mährchen. Erster Band. Das Buch der Mährchen. Der Geisterring. Der Geisterring. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-1E77-C