Morgenwache

Nun, da diese alten Herrn
Tief im Rausche sanken,
Oben auch von Stern zu Stern
Morgennebel wanken:
Rücken wir zusammen
Unterm Gartentor,
Jetzt in neuen flammen
Schlägt die Lust empor!
Daß der junge Sonnenball,
Rollt er auf den Hügeln,
Sich im funkelnden Kristall
Klärlich kann bespiegeln:
Halten wir entgegen
Becher ihm und Glas!
Fließe, goldner Regen,
Glühe, dunkles Naß!
[294]
Jungfrau! Geh und sieh mir nach
Rings in allen Gärten,
Ob die Rosen schon sind wach:
Bring die tauverklärten!
Rosen, Rosen bringe!
Rosenduft soll wehn!
Wenn ich trink und singe,
Muß ich Blumen sehn!
Horch! Der tiefe Amselschlag
Schallet aus den Gründen;
Treue Wächter soll der Tag
Heiter in uns finden.
Wer wird denn vermissen
Eine kurze Nacht,
Wenn sie sangbeflissen,
Wacker durchgewacht?
Tief ist unsrer Freude Born,
Tiefer als das Leiden,
Doch es wacht der helle Zorn
Gleich in ihnen beiden.
Darum lasset rinnen
Letztes Glas und Lied!
Zornig uns von hinnen
Nun die Freude zieht!
Und der Lüge schwarzen Molch
Tapfer anzustechen,
Dem gemeinen Höllenstrolch
Kühn das Horn zu brechen:
Ja, die Nas zu finden,
Die uns nicht gefällt,
Ziehn mit allen Winden
Fort wir in die Welt!

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Keller, Gottfried. Gedichte. Gesammelte Gedichte. Trinklaube. Morgenwache. Morgenwache. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-9E4B-7