7. Seliges Ende

In dem Vogel-Messingkäficht,
Welcher hing am Fensterkreuze,
Draußen in der Öd', im Nachtsturm,
Schwindelnd hoch ob Micromonas
Quaderhartem Straßenpflaster,
In dem fürchterlichen Käficht
Stand am Rande vor dem Abgrund
Noch der Held, Don Tulifäntchen.
Sprach: »Ein unerschrockner Tod
Sühnt die Schande dieses Tages.
Nicht geziemt's, das Haupt umrauscht
Von dem Flügelschlag der Kere,
Wild zu prahlen in die Lüfte,
Aber sagen darf ich kühnlich:
Ich bin größer, als mein Leib!
Heilen durch das letzte Mittel
Wir die Wunden unsrer Ehre!
So empfang, du grause Tiefe,
Mein zerschmettertes Gebein!«
Sprach's und sprang und stürzt' und stürzte,
Luftumpfiffen, tiefer, tiefer,
Gräßlichhaltlos! Schwindeltot!
Aber mit der ganzen Fabel
War die silberblüh'nde Wolke
Just darunter angelangt.
Tulifäntchen stürzt' und stürzte
Auf den schwanenweichsten Schoß
In die seidenzärtsten Arme.
Und aus Nacht zu sel'gem Schrecken
Seine Wimpern öffnend, sah er
[504]
Um sich, über sich, empor
Nur in Fee Libellens Augen,
Nur in Rosalindchens süße,
Kleine, himmeltrunkne Äuglein.
Fee Libelle herzt' ihn, drückt' ihn,
Und das Bräutlein küßt' ihn zärtlich.
Rief der Held: »Wo bin ich? Wonne!«
»Bei den Deinen!« sprach die Fee,
»Bei den Deinen!« sprach das Bräutlein,
»Bei den Deinen!« riefen alle
Glüh'nde Exzellenzen, alle
Gnomenpägelein, es riefen's
Alle liebliche Libellen,
Die Kapelle musizierte.
Und das schwirrt' und klang und glühte,
Und das jauchzt' und tanzt' und schwärmte,
Daß nun auch den Kopf verlor,
Daß nun auch zu schwärmen anfing
Die jüngst so verständ'ge Wolke.
Plötzlich kam ihr in den Sinn,
Sich zum Palast zu verwandeln.
Auseinanderfließend zog
Sie vier Mauern im Gevierte,
Schlanke Säulen sproßten auf,
Zierlich Schnörkelwerk von Dunst
Kräuselt' an den Kapitälen.
Blaues Dach darüber hin
Ragt' in Winkeln, mondbeglänzet,
Auf des Windes Rücken stand
Blank und schlank der Hochzeitpalast.
Und im Innern des Palastes
War bereits die ganze Fabel.
Wie aus weiter Ferne, leis'
Rief die zarte Fee Libelle:
»Fort, nach Ginnistan! Der Held
Hat vollendet auf der Erde.
[505]
Uns gehört er. Ewge Jugend
Kostet er nun in dem schönen,
Traumessel'gen, grünen, tiefen,
Wunderblüh'nden Reich der Geister!«
Auf des Windes Rücken schwebte
Jetzt empor der Wolkenpalast,
Prachtverklärt! Er schwebt' und schwebte,
Bis er schwand zum hellen Punkt,
Bis er schwand in den Azur.
Nicht auf Erden mehr gesehn
Ward der Held, Don Tulifäntchen.

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TextGrid Repository (2012). Immermann, Karl. Versepos. Tulifäntchen. 3. Balsamine. 7. Seliges Ende. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-89DB-8