Karl Immermann
Alexis
Eine Trilogie

[253] Die Bojaren
Schauspiel

Personen

[253] [252]Personen.

    • Peter Alexiewitsch, Zar von Rußland.

    • Alexis Petrowitsch, sein Sohn.

    • Katharina Alexiewna, Peters Gemahlin.

    • Eudoxia Lapuchin, Peters frühere Gemahlin, verstoßen, unter dem Namen Helena im Kloster Susdal.

    • Fürst Alexander Menzikof.

    • Oberst Gordon, ein Schotte, Begleiter Peters.

    • Dosithei, Erzbischof von Rostow.

    • Stephan Iwanowitsch Glebof, Generalmajor,
    • Basil Dolgoruki, Generallieutenant,
    • Alexander Kikin, Admiral,
    • Abraham Lapuchin, Eudoxiens Bruder, , Bojaren.

    • Euphrosyne, Geliebte des Alexis.

    • Oberst Schepelew, Kommandeur der Preobraschinskyschen Grenadiere.

    • Hauptmann Markof.

    • Ein Page Menzikofs.

    • Ein Diener Kikins.

    • Ein Diener Glebofs.

    • Ein Adjutant Dolgorukis.

    • Ein Schiffer.

    • Ein Steuermann.

    • Zwei Matrosen.

    • Zwei Bürger von Moskau.

    • Bojaren.

    • Wachen, Soldaten, Bauern und Volk.

1. Akt

1. Szene
Erste Szene
Moskau. Eine Straße. Zwei Bürger. Später Ein Schiffer und Volk.

ERSTER BÜRGER.
Und du, du selber hört'st es, Sokolof?
ZWEITER BÜRGER.
Bin ich ein Narr, der nach Gerüchten schwatzt?
ERSTER BÜRGER.
Tot, sagst du?
ZWEITER BÜRGER.
Tritt beiseit', hier kommt der Schiffer,
Der ihn gefahren hat.

Ein Volkshaufen kommt. Darunter ein Schiffer.
DAS VOLK.
Nun redet, Schiffer.
DER SCHIFFER.
Ihr guten Russen ...
EINIGE.
Heda! Schließt 'nen Kreis.
SCHIFFER.
Ihr guten Russen, ach, warum muß ich
Euch diese schauderhafte Neuigkeit ...
EINER.
Erst sagt uns an: Wer seid Ihr, fremde Seele?
[255]
SCHIFFER.
Claus Madsen, Madsens Sohn aus Kopenhagen,
Ein wackres Schifflein hatt' ich untern Füßen,
Und fuhr ums Eiland Ösel. Wisset nun:
Ich hatte Euren großen, gnäd'gen Zar
In Lübeck eingenommen. Jetzt versteht mich:
Im Finnenmeer, dort um das Eiland Ösel,
Starrt es von Klippen, gleich 'ner Hechel. – Wie?
Mein Steuermann ... (Er brenne in der Hölle!)
Der steuert quer. Er war so was betrunken.
Auf einmal gibt's 'nen Stoß. Alles fällt hin.
Ich kucke über Bord ...
EINER.
Fielt Ihr nicht auch?
SCHIFFER.
Wer? Ich? Warum nicht gar! Ich hätt' ja sonst
Nicht über Bord ...
EINER.
Ihr bliebt alleine stehn?
ANDRE.
Laßt ihn, er macht's natürlich, daß man's sieht.
SCHIFFER.
Kuck' also über Bord. Ei, schönes Zeug!
Wir sitzen fest auf einem Stück von Fels,
Von Sandbank, oder sonst dergleichen Ding.
»Hülfe!« ruft's unten. Eine mächt'ge Faust
Streckt aus den Wellen sich. Zornrot geschwollen
Sieht Eures Zaren Haupt empor. Lang fluten
Die aufgelösten schwarzen Haare nach.
Er hatte spähend auf dem Deck gestanden,
Und war von dem gewalt'gen Stoß hinab-
Geschleudert in die Flut. Nun setzt' ich eilig
Ein Boot mit sechszehn starken Kerlen aus,
Den Herrn zu retten. Aber jählings warf
[256] Der wilde Strom das Boot zum Schiff zurück.
Es schaffte nichts. Und jammernd, aus dem Schiff,
Sahn wir den Leib des Herren weitertreiben,
Zuletzt verschwand der Leichnam in der Brandung;
Drei Tage fischten wir, jedoch umsonst.
O Rußland, in dem Meer erlosch dein Licht,
Und auf dem Grunde liegt der Kerze Stumpf.
Mich strafe Gott und hol' der Teufel, sagt' ich
Ein Wort zuviel, zuwenig, oder falsch!
Zu melden dies den mächtigen Bojaren
Schickt Admiral Apraxin mich von Kronstadt.

Ein dumpfes Schweigen unter dem Volke.
EINER
nach einer Pause.
Hm!
EIN ZWEITER.
Ja!
EIN DRITTER.
Und ist der Zar denn also tot!
EIN VIERTER
zu einem Fünften, der weint.
Was schluchzest du, Iwaschka?
DER FÜNFTE.
Ach Batuschka!
Ach unser Väterchen! Du heller Mond,
Der über Rußland schien!
DAS VOLK
herzudringend.
Wer weint?
DER VIERTE.
Iwaschka.
DAS VOLK.
Warum?
[257]
DER VIERTE.
Er weint um unsres Zaren Tod.
VOLK.
So, darum weint er.
SCHIFFER.
Nun Adjes, Ihr Leute.
EINER.
Wir gehn mit Euch. Ihr sollt noch mehr erzählen.
Wir hören's gern zweimal. Wie der nur mocht'
Aussehn im Todeskampfe!

Zu den beiden Bürgern.

Geht ihr mit?
ZWEITER BÜRGER.
Behüt' uns Gott!

Das Volk mit dem Schiffer ab. Die beiden Bürger bleiben.
ERSTER BÜRGER.
Was das nun geben wird?
ZWEITER BÜRGER.
Ich denke: Knute.
ERSTER BÜRGER.
Weil der Zar gestorben?
Aus welchem Grund?
ZWEITER BÜRGER.
Aus welchem Grund? – Du Tropf!
Die Ursach' liegt im Stiel und in den Riemen.
ERSTER BÜRGER.
Das ist ein furchtbar Land!
ZWEITER BÜRGER.
Wenn man drin aufwuchs,
Kommt's einem ganz natürlich vor. Ich war
Mit meinen Zobelfell'n auf Handel, weit
[258] In Ungarn, Hamburg, Sachsen, Amsterdam.
Dort sind sie anders, menschlicher. So heißt's.
Mir konnt's da nicht gefallen. Immer dacht' ich
An unser altes, heil'ges Russenreich.
ERSTER BÜRGER.
Wer wohl den Thron besteigen wird?
ZWEITER BÜRGER.
Schweig still
Von Thron und solchen Sachen, Erich Igel!
Wir schwören Treu', wir Bürger, wenn die Herrn
Bojaren, Erzbischöfe, Bischöf', Äbte
Die Sache abgemacht. Bis dahin, Ruh'!
Wie ist's? Gehst mit? Ich hab' ein Fäßchen Kwaß
Vom besten, kriegt' auch Hausen von der Wolga.
Nun? Auf 'nen Imb's? Nicht wahr?

Sie wollen abgehn.
2. Szene
Zweite Szene
Alexander Kikin. Basil Dolgoruki. Beide mit Gefolge. Vorige.

KIKIN
zu Dolgoruki.
Dort stehn zwei Bürger.

Zum zweiten Bürger.

Bist du nicht Sokolof, der Pelzhändler?
ZWEITER BÜRGER.
Zu deiner Gnaden gnädigstem Befehl.
Ich küsse deines Rockes Saum, Erlaucht.

Er küßt den Rock des Bojaren.
[259]
KIKIN
zum ersten Bürger.
Und Ihr? Wie heißt Ihr?
ERSTER BÜRGER.
Zeugschmidt Erich Igel;
Patentisiert vom Hof.
DOLGORUKI.
Der Mann bleibt aufrecht;
Er muß ein Fremder sein.
ERSTER BÜRGER.
Aus Kexholm, Fürst.
KIKIN.
Hier war ein Auflauf. Sprecht, was gab's?
ZWEITER BÜRGER
furchtsam.
Erlaucht,
Das Volk schrie durcheinander. Man vernahm
Kein Sterbenswort.
ERSTER BÜRGER.
Wozu die Lüg'? Die Fürsten
Begehren es zu wissen. Hohe Herrn,
Der Zar ertrank im Finnenmeer.
DOLGORUKI.
Sankt Niklas,
Ein schwerer Schlag für Rußland!
KIKIN.
Wer bracht's aus?
ERSTER BÜRGER.
Der Schiffer, Herr, der unsren Zaren fuhr.
[260]
KIKIN
rasch.
So muß man's glauben! Hört Ihr? Glauben muß man's!
Verschließt die Häuser, gute Bürger, harrt
Des Ausgangs still. Groß Ding steht nun bevor.

Zum ersten Bürger.

Kannst du mir tausend Stück Gewehre liefern?
ERSTER BÜRGER.
Zweitausend, gnäd'ger Herr, wenn Ihr befehlt.
KIKIN.
Bring sie zu Stepanof, dem Waffenmeister.
Ich zahle bar und auf der Stelle. Geht.

Die Bürger ab.
DOLGORUKI.
Du bist zu rasch.
KIKIN.
Zu langsam du, Basil.
Ich hab' von diesem Peter was gelernt;
Die Eile zwingt den Stärksten.
DOLGORUKI.
Nun, was soll's?
KIKIN.
Jagd auf das fremde Wild in Rußlands Forst.
Hast du verschlafen diese zwanzig Jahre?
Verträumt die Not, den Druck, die Peinigung?
Verschmerzt die Schwielen, und der Ehre Wunden?
DOLGORUKI.
Oho! Ich bin ein Russ', heiß' Dolgoruki.
Ein Dolgoruki focht an Wladimirs
Des Großen, Seit'. Dein Stamm? Wo war er damals?
Der Name Dolgoruki ist ein Merkwort
Von allem Preislichen seit Ruriks Tagen.
[261] Doch hört ich nie von meinen Ahnen, daß
Sie auf dem Markt gestürmt, getost. Der Pöbel
Lärm' in den Gassen! Einem Fürsten ziemt's
Zu schweigen und zu handeln.

Zu seinem Gefolge.

Öffnet weit
Die Pforten meines Hauses! Geht umher,
Und ladet mir die Freunde zum Gelag!
Es ströme der Tokaier! Deckt die Teppich'
Von Samarkand auf Bank' und Tische!

Zu Kikins Gefolge.

Helft
Ihr Euren Kameraden! Euer Herr,
Mein Freund, erlaubt es Euch.

Die beiden Gefolge ab.
KIKIN.
Was soll's?
DOLGORUKI.
»Was soll's«?
So fragst du selber nun. Hör' Alexander:
Der Atem des Tyrannen streift', ein Nebel,
Ob unsrem unglücksel'gen Vaterland.
Im Nebel kennt man die Gesichter nicht.
Nun denk' ich so: Wir schaun der Freunde Antlitz
Zuerst genauer an, und haben wir
Die frühern Lineament' erkannt, so gehn
Wir allesamt ...
KIKIN.
Wohin?
DOLGORUKI.
Zu Stephan Glebof.
KIKIN.
Warum zu dem?
DOLGORUKI.
Er ist, du weißt's wir alle
Sind dessen kundig; mehr noch, als ein Freund
Von der Zariza.
[262]
KIKIN.
Welcher?
DOLGORUKI.
Kahler Scherz!
Ich denk', für uns gibt es nur eine Zarin,
Und 'ne gekrönte Bauerdirne.
KIKIN.
Dann?
DOLGORUKI.
Glebof ist Freund, Vertrauter, Rat der Zarin.
Der Zarewitsch will, was die Zarin will,
Und unsere Gedanken, denk' ich, wandern
Nur eine Straße. Über Kloster Susdal
Führt sie ins Haus des arg gekränkten Sohns.
Der Glebof steht in dieses Weges Mitte,
Recht wie ein Mal von Stein, so stumm und kalt.
An diesem Male ziemt's, sich zu versammeln,
Und weitern Rat zu pflegen.
KIKIN.
Laß ihn fort.
Er hielt sich fern von uns, liebt nur sein Laster.
Er hat kein Herz, sieht immer spöttisch aus,
Beleidigend sind seine Reden oft.
DOLGORUKI.
Zuwider ist er mir, wie dir. Doch wenn
Der Kampf um Kronen geht, heißt's nicht: Wen mag ich?
Man fragt: Wer nützt uns? Und der Glebof ist
Der Mann des Tags, der Not, des Nutzens! – Komm!

Beide ab.
3. Szene
[263] Dritte Szene
Saal in Glebofs Hause.
Glebof. Der Schiffer.

GLEBOF.
Wie nahm das Volk die Nachricht auf?
SCHIFFER.
Sie nahmen
Sie gar nicht auf.
GLEBOF.
Wie das?
SCHIFFER.
Die Lüge liegt
Noch auf der Straß', wo ich sie fallen lassen.
»Hm!« »So!« und: »Ei!« war alles, was ich hörte.
Sprach ich vom Wetter, macht's dieselbe Wirkung.
GLEBOF.
Gut.
SCHIFFER.
Bloß ein paar zerlumpte alte Weiber
Schrien, daß die Hunde an zu bellen fingen:
»Daß Gott erbarm'! So war die Prophezeihung
Von unsres Zaren bald'gem Tod doch richtig!«
GLEBOF.
Gut.
SCHIFFER.
Dem hochwürd'gen Erzbischof von Rostow,
Sei's, sagten sie, im Traume so erschienen.
GLEBOF.
Gut.
SCHIFFER.
Drauf versetzte wer: »Was kümmert's uns?«
[264]
GLEBOF.
Gut.
SCHIFFER.
Gut? – Mein gnäd'ger Herr, was ist da gut?
Ich dacht', Ihr hättet deshalb aus den Eisen
Mich losgemacht, in Schifferrock und Hose
Gesteckt, und auf mein leider zu bekannt
Gesicht, den Hut gedrückt mit breiter Krempe;
Ihr hättet deshalb mir ...
GLEBOF.
St! – Glaubten sie's?
SCHIFFER.
Beim heiligen Georg! Ich meine, denen
Könnt' man vorschwatzen; außer Rußland sei
Die Welt zu Ende, wie 'nes Sünders Leben.
Ach ja, geglaubt ward's wohl.
GLEBOF
nach einem Tische deutend.
Dort liegt ein Beutel;
Nimm den zum Lohne. Flieh!
Verbirg dich fern am Irtysch in der Wüste.
Du bist nun frei. Sieh deine Wunden an,
Die dir die Fessel rieb; und denke stets,
Daß Galgen stehn in Rußland!
DER SCHIFFER.
Freilich! Freilich!
Ich dank' für deine Lehre dir, Erlaucht,
Und werde sie befolgen. Meiner Treu'!
Je wen'ger man zu leben wert, so mehr
Liebt man, zu leben.

Ab.
4. Szene
[265] Vierte Szene
Glebof. Nachher: Ein Diener.

GLEBOF
allein.
Dieser Schelm sagt mir
'Ne bittre Wahrheit. – Meine Tage sind
Ein wüst Gewirr von Lust und Ekel. – Still!
Weshalb den Kläger spielen gegen dich?

Vor einem Kalender und einer Landkarte.

Heut ist der sechste Junius. Meines Wissens
Ist Peter noch in Lübeck. Vierzehn Tage
Gehn auf die Fahrt nach Kronstadt. Dann verlaufen
Der Tage fünf, bis wir erfahren, daß
Er angekommen. Also neunzehn Tage
Sind unser zu des Plans Gedeihn. Nun, mehr
Hat Cäsar nicht gehabt, um Rom zu stürzen. –
Das Volk ist gut, hielt meine Probe aus.
Sie waren Sklaven, blieben's, sind's noch mehr
Durch dich geworden, Zar.

Ein Diener tritt auf.

Was gibt es, Bursch?
DIENER.
Herr, die Bojaren kommen truppweis vom
Palaste Dolgoruki.
GLEBOF.
Hieher?
DIENER.
Ja.
Die Säbel klirr'n, der Balaleika Ton
Begleitet ihren Zug.
GLEBOF.
Wen sahst du?
DIENER.
Viele;
Den Alexander Kikin, den Basil
[266] Und Fedor Dolgoruki. Die Wasemskys,
Die Narischkins und ihre Sippschaft, Woinofs,
Den Bruder der Zariza, Abraham,
Den heil'gen Erzbischof von Rostow, und
Noch manchen andern.
GLEBOF.
Führ' die Herrn zu mir.

Diener ab.
Am Fenster stehend.

Ein wackrer Haufen. Eine Herde, die
Des Hirten noch bedarf. – Wird's glücken? Wird's?
In solchen Stunden, da verlohnt's, zu leben.
Dann ist der Tag was wert, wenn an dem Tage
Das Los von Tausenden, gleich einer Frucht,
Gezeitigt hängt. – Ha, wird es auch wohl glücken?
Wer gibt den Barometer uns, an dem
Der menschlichen Gedanken Stand sich zeigt?
In jeglichem Gemüte ist ein Wechsel
Von allen Jahreszeiten, jeden Tag.
So kann auch ich, auf Sommerhitze rechnend,
Den trägen Winter finden. – Prüfen wir's!

Er setzt sich an einen Tisch zu Büchern und Papieren.
5. Szene
Fünfte Szene
Glebof. Kikin. Dolgoruki. Abraham Lapuchin in Trauer Erzbischof von Rostow. Viele Bojaren. Sie treten nacheinander ein.

KIKIN.
Guten Morgen, Glebof.
DOLGORUKI.
Wir begrüßen dich.
[267]
LAPUCHIN.
Der Zeiten Not zwingt Lapuchin zu dir.
ERZBISCHOF.
Ich geb' dir Gott zum Gruß.
DOLGORUKI.
Er hört uns nicht.
ERZBISCHOF.
Was? Ist er so vertieft?

Er rührt ihn an.

Sieh auf, mein Sohn.
GLEBOF
emporblickend.
Wer ist? ... Mein Gott! Hochwürd'ger Erzbischof,
Wie komm' ich ...

Er steht auf.

All Ihr Heiligen! Verzeiht
Sehr edle Herrn! Ich hab' Euch nicht bemerkt.
Wenn ich bei meinen Büchern bin, ist nur
Der träge Leib am Platz; die Seele wandert,
Wohin die Lettern sie geleiten; oft
Hat dies vertiefte und zerstreute Wesen
Mich lächerlich gemacht. – Seid mir gegrüßt!
Welch' eine vornehm glänzende Versammlung
In Eures armen Dieners Haus! Ich seh'
Die Blüte Rußlands.

Zu Kikin.

Gebt mir Eure Hand,
Herr Admiral!

Zu Dolgoruki.

Auch Eure, Generallieutenant.

Da beide ihre Hand zurückziehn.

Wie? Weigert Ihr dem Freunde dieses Zeichen?
KIKIN.
Der Admiral des Zaren ist nicht hier.
[268]
DOLGORUKI.
Nennt nicht die Titel, welche jünger sind,
Als unser wahrer Ruhm.
EIN BOJAR.
Ich bin ein Narischkin.
Kein Mensch auf Erden kann die Narischkins
Erhöhn. Ihr Name ist das Höchste.
GLEBOF.
Wohl!
Ich rechte nicht mit so erlauchten Gästen.
Nach altem Brauche: Vettern, Brüder! also.
Stephan Iwanowitsch Glebof dankt von Herzen
Für den Besuch. Nun setzt Euch. Heda, Mundschenk!
KIKIN.
Wir haben schon gefrühstückt. Laßt's.
GLEBOF.
Setzt Euch
Denn mindestens.

Sie setzen sich. Lapuchin unten.

Da unten, Lapuchin?
Nein Abraham, nicht unten ist dein Platz.
Den Ehrenstuhl für Abraham Lapuchin!
LAPUCHIN.
Soll Schand' auf einem Ehrenstuhle sitzen?
GLEBOF.
Du edler Trauernder!
LAPUCHIN.
Ich trage Schwarz
Um meiner Schwester Los. Wollt' Gott im Himmel,
Ich hätte keine andre Trauer, Glebof!
[269]
GLEBOF.
Heut ist ein Tag, an dem mein Glück gelacht.
Mich dünkt, du sahst mir scheel, mein Abraham,
Und miedst den Freund. Doch das ist nun vorüber,
Denn Lapuchin sitzt auf des Glebof Stuhl.
LAPUCHIN.
Ich setzte mich auf deinen Stuhl, wie ich
Auf einen Balken mich mit meinem Todfeind
Im Schiffbruch setzen würde. Spottest du?
Ich bin ein Mann von alter, reiner Art,
Verstoßen hat der Zar Eudoxien,
Glebof hat sie beschimpft.
GLEBOF
die Hand am Säbel.
Dies Wort verdient ...
Dolgoruki Laßt Eure Zänkerein!
GLEBOF.
Ja wohl, ja wohl.

Er ist an seinem Tische stehn geblieben.

Nun, was ist Eu'r Begehren, meine Herrn?
ERZBISCHOF.
Du weißt, welch' eine Post mit Feuerschritten
Durch Moskaus Straßen ging. Der Schutzverwandte,
Der Bürger, Gast, Kosak und Hattaman,
Stadthäupter, Älteste, Bojarenkinder,
Sie alle rufen: »Unser Zar ist tot!«
Zum dritten Mal auf Fahrt nach fremdem Land,
Ich weiß nicht, welche fremde Kunst zu holen,
Dem falschen Meere lieber sich vertraund,
Als Rußlands treuer Erde, schlang ihn ein
Das falsche Meer.
[270]
GLEBOF.
Ihr habt's vorhergesagt.
ERZBISCHOF.
Unsel'ge Ahnungsgabe! – Stirbt ein Fürst,
Versammeln sich des Reichs geborne Pfleger
Gemeiner Wohlfahrt halber. Drum sind wir
Vereinigt. – Wir entschlossen uns, auch dich
In unsern Rat zu ziehn.
GLEBOF.
Ihr? Mich? – Recht gut.
Indes ...

Nach einer Pause.

Ich bin der General des Zaren.
ALLE.
Was?
GLEBOF
kalt.
Menzikof verwaltet loco regis
Mit Katharinen dieses Land. Sie sind
Die treu'n Gefäße seines höchsten Willens.
DOLGORUKI.
Kath'rina! Menzikof!
KIKIN.
Siehst Du? Er meint
Es falsch. Ich sagte dir's.
GLEBOF.
Zu ihnen geht,
Und fragt, was der, wie's heißt, ertrunkne Zar
In casum mortis angeordnet.
LAPUCHIN.
Kommt!
Bojaren auf!

Sie sind im Begriff aufzubrechen.
[271]
GLEBOF.
Halt, einen Augenblick!
DOLGORUKI.
Was willst du noch von uns?
GLEBOF.
Daß Ihr die Lobschrift
Vernehmt, die auf den Toten ich entworfen.
ALLE.
Die Lobschrift?
GLEBOF
mit erhobner Stimme.
Nun? Soll ein so großer Mann
Denn ungerühmt zum Grabe gehn? Das wäre
Stumpfsinn von uns, den er so oft gescholten.
LAPUCHIN.
Ich sage, kommt nach Haus!
DOLGORUKI.
Ich sage, bleibt!
Ich wittr' ein Schauspiel.
GLEBOF
beiseite.
Recht. »Die Narrn des Glebof.« –

Er nimmt ein Papier vom Tische und beginnt zu lesen.

»Lobschrift, verfaßt mit ungeschickter Feder
Von Stephan Glebof, auf den großen Zar.«
EINIGE.
Sind wir um Possen hier?
ANDRE.
Still! Still! Hört zu.
[272]
GLEBOF
liest.
»Rußlands Bojaren zogen auf im Land,
Ein jeder mit zehntausend Pferden mindstens. –
Rußlands Bojaren setzten Herrscher ein,
Und Herrscher ab. Aus ihrem Munde floß
Die Quelle der Gesetze. Also war's. –
Da kam ein Zar, hieß Fedor. Dieser ließ
Die Bücher bringen auf den heil'gen Kreml,
Worin verzeichnet unsre Titel, Vorzüg',
Und unser uraltfestgewalt'ges Recht.
Zar Fedor sprach: ›Entzündet mir ein Feuer!‹
Und als das Feuer lodert' im Kamin,
Da warf der Zar die Bücher all' hinein,
Und sprach: ›Hiemit verbrenn' ich Euer Recht.‹ –
Der Roßrad flog als Asche in die Luft,
Und die Bojaren sahn's und blieben stumm.«
EINER.
Ich nicht. Ich murrt'.
GLEBOF.
Ja doch, und sprachst kein Wort.

Liest.

»Dann kam ein Zar, hieß Peter. Dieser fand
Nur Sklaven von der Newa bis zum Don.
Ein Großer und Gewalt'ger! Sprach: ›Ich will
Der Knechte ganzer Herr sein! – Ihre Körper
Gehorchen schon, nun soll'n die Seelen auch,
Wie Puppen, tanzen an des Lenkers Draht.‹
Fuhr übers Meer nach Holland, Frankreich, Deutschland,
Und – lernte Schiffe baun: Der große Mann!
Und – lernte schmieden Erz: Der große Mann!
Und weil er's vorgelernt, so sollten's ihm
Nachlernen die verkleinerten Bojaren,
Und werden Schmied' und Zimmerleut' ...«

Bewegung in der Versammlung.
[273]
ERZBISCHOF.
Ein Lob,
Das kann man gelten lassen.
DOLGORUKI.
Warum uns
Bekannte Schand' erzählen?
MEHRERE.
Weiter! Weiter!
GLEBOF
liest.
»Die Fürsten waren ungefüg, und lernten
Langsam das edle Handwerk. Alsobald
Ließ dieser große Mann von fern herbei
Sich schnell're Köpfe kommen, bess're Schüler.
Da strömt' es über unsres Reiches Grenzen
Aus England, Welschland, Frankreich. Fremde führten
Das Heer; das doppelaar'ge Siegel; Fremde
Führten die neugeschnitzte Flott'. Was sag' ich?
Fremd war ja niemand hier, als just der Russ'!
Nicht alle Russen, nein nicht alle! Nur,
Was hoch und herrlich war! Nein, mit dem Staub
Auf heim'schem Boden, schloß der große Mann
Ein innig Wahlverbündnis. In die Hand
Nahm er hier Staub, dort Staub, und formte draus
Gewalt'ge Untergötter! –
Weil Alexander Menzikof sehr schmackhaft
Pasteten buk, war er nach dem Geschmack
Des großen Manns, und ist ein Fürst. Und weil
Die Witwe des Dragoners schöne Augen
Besaß, taugt sie – das Aug' des Reichs zu sein.«

Die Bewegung in der Versammlung ist immer stärker geworden.
EINIGE.
Ha wackrer Glebof!
[274]
ANDRE.
Guter Lobredner!
EINIGE.
Tod diesem Menzikof!
ANDRE.
Tod Katharinen!
DOLGORUKI.
Tod dem Tyrannen!
GLEBOF
ihn scharf fixierend: lachend.
Ei, der ist ja tot!

Liest.

»So schändete der Zar ...«
EINIGE.
Ihr sollt nicht mehr
Vom Zaren lesen!
ANDRE.
Sollt uns führen!
ALLE
außer Kikin, Dolgoruki, dem Erzbischof und Lapuchin.
Sollt
Des Unternehmens Haupt sein.

Sie erheben sich.
GLEBOF.
Das klingt anders.
DOLGORUKI.
Hört mich, Bojaren!
LAPUCHIN.
Nicht im Sturme ...
KIKIN.
Halt!
[275]
GLEBOF
wirft das Papier zu Boden.
Wer ruft hier: »Halt!« wenn ich gebiete: »Vorwärts!«

Er zieht den Säbel. Die Bojaren desgleichen, bis auf Kikin, Dolgoruki, Lapuchin.

Die alte Moskau, unser Heiligtum,
Ward zur verhöhnten Wüste! In dem Qualmsumpf
Der Newa baute der Despot die Zwingburg!
Wir sind gekränkte Bettler! Um den Thron
Des Rurik wuchern Pilze! In dem Kreml
Seufzt unsre Hoffnung, unsrer Bräuche Freund!
Gehaßt, weil er uns liebt, beschimpft, weil er
Uns Ehre gönnt! Hochherzige Bojaren,
Folgt mir zum Zarewitsch!

Sie wenden sich nach der Türe.
6. Szene
Sechste Szene
Eudoxia durch die Flügeltüre auftretend. Vorige.

ALLE
bei Eudoxias Anblicke zurücktretend.
Ha, die Zariza!
GLEBOF.
Was? Sie? Wo kommst du her?
EUDOXIA.
Aus meiner Gruft.
GLEBOF.
Was suchst du hier?
EUDOXIA.
Ein Reich und eine Krone.
[276]
GLEBOF.
Wer hat dir das erlaubt?
EUDOXIA.
Ich selbst mir selber.
GLEBOF.
Du solltest bleiben, bis ich dich beriefe!
EUDOXIA.
Bis dahin wär' Eudoxia gestorben.
GLEBOF.
Folgt mir zum Zarewitsch!
EUDOXIA.
Hört seine Mutter!
GLEBOF.
Hört sie nicht an!
ERZBISCHOF.
Wie? Die Zariza? Glebof,
Du bist gewaltig kühn.
MEHRERE.
Sprecht, hohe Frau.
GLEBOF.
Fluch allen Weibern!

Er tritt zur Seite.
EUDOXIA.
Bin ich überflüssig?
Wenn Rußlands Fürsten dieses Landes Leid
Erwägen, fehlte dann Eudoxia
In solchem Kreis? Ist ein Gebäude fertig,
Bevor der Giebel ward gefügt? Ihr baut
Von Schmerz ein Haus! Was habt Ihr? Fundamente!
Die Spitze fehlt dem Turm. Was littet Ihr,
Das nicht vergütet könnte sein? Was mißt Ihr,
[277] Das nicht mit Zins und Wucher jeder Tag
Euch rückerstatten könnte?
Mein Leiden ist ein unerschöpfter Born,
Mein Schmerz ist eine ew'ge Qualenwunde!
Ihr seid Vasallen im Gebiet der Trübsal,
Ich aber bin die Königin des Jammers!
EIN BOJAR.
Ach, arme Frau!
EIN ZWEITER.
Wie sie so majestätisch
Umherblickt!
EIN DRITTER.
Seht, sie weint!
EIN VIERTER.
Das schöne Weib!
EUDOXIA.
Moskau prangt gülden in begrünter Au!
Im Föhrenwald graut Susdal, bleich und tot.
Der Thron des Zaren ist des Lebens Sitz,
Der Betstuhl Kloster Susdals ist ein Sarg!
Wer liegt im Sarg? Eudoxia! Das ist,
So hör' ich sagen, ja dieselbe, die
Vorlängst auf jenem Sitz des Lebens saß.
Ei, die muß eine große Sünderin sein!
Unglück, Ihr Fürsten, macht Gedächtnis stumpf;
Ich hab' vergessen der Eudoxia Frevel.
Warum, Ihr Fürsten, ward Eudoxia
Vor ihrer Zeit ins Grab verstoßen? Kann's
Mir einer sagen, der verbindet mich!
Ich bitt' Euch, sagt es mir ...
DOLGORUKI.
Er hat unmenschlich
An Euch gehandelt.
[278]
LAPUCHIN.
Um die Buhlerin
Verstieß er Dich.
EUDOXIA.
Das kann nicht möglich sein!
Ihr irrt Euch ganz gewiß. Wie? um 'ne Buhlerin?
Ein pflichtgetreues Weib! O nicht doch! Nicht doch!
In Nacht und Tod die Zarin um 'ne Metze?
Und solche Untat hätt' zwölf Jahre lang
Die Erde Gottes getragen, und Rußlands Adel?
Um eine Buhlerin! Ich, Tochter aus
Dem Stamm der Lapuchin! Durchs Sakrament
Geweihet als sein Fleisch! Ich, die Gekrönte!
Ich weiß, ein großer Mann wägt nicht genau
Die Taten ab, doch das? O brich mein Herz!
Denn was zuviel ist, ist zuviel! Um eine –
Stirb, Seele, hin in ein entsetztes Ach! –
Um eine Buhlerin ...

Sie wankt. Glebof unterstützt sie.
GLEBOF.
Kommt, Ossudara,
Denn Ihr seid krank, und kränker, als Ihr meint.

Er führt sie durch eine Seitentüre ab.
7. Szene
Siebente Szene
Die Bojaren ohne Eudoxia. Sie stehen gruppenweise zusammen.

EINER.
Ihr Schmerz zermalmt das Herz.
EIN ZWEITER.
Das Recht' erwogen
Sind wir Ersatz ihr schuldig.
[279]
EIN DRITTER.
Sagt mir doch,
Wie war's? ...

Ein Teil der Versammlung redet heimlich untereinander.
Glebof tritt wieder ein, und stellt sich seitwärts allein.
KIKIN
zu Dolgoruki und dem Erzbischof.
Gebt acht, sie rufen sie noch aus.
ERZBISCHOF.
Verhüte Gott die Spaltung.
KIKIN.
Und das alles
Ist abgemachtes Spiel von diesem Glebof.
Hättst du uns nicht hieher geführt, Basil!
DOLGORUKI.
Ich kann's nicht glauben. Seht, er steht beiseit,
Nagt an den Lippen, birgt mit Müh' den Zorn.
Nein, das Konzept des Falschen ward verrückt
Durch jene Stürmerin. – Zagt nicht! Ein Vorteil
Ward uns bereits; das Heft der Leitung ist,
Das er so schlau uns aus der Hand gewunden,
Nun wieder ihm entschlüpft. Bleibt nur gelassen.
EINIGE
aus der Versammlung.
Ja, so soll's sein.
ANDRE.
Vivat Eudoxia!
DIE ERSTEN.
Tragt auf dem Stuhle sie durch Moskaus Gassen!
DIE ZWEITEN.
Dem Volk die neue Herrscherin gezeigt!

Sie bewegen sich gegen die Seitentüre.
[280]
LAPUCHIN
tritt ihnen entgegen.
Nein, Nieswurz für Eu'r krankes Hirn gekauft!
EINER.
Was? Du? Ihr Bruder?
LAPUCHIN.
Nieswurz sag' ich, Nieswurz!
Ich bin Eudoxias Bruder, Rußlands Sohn;
Im ersten Grad mit Rußland, nur im zweiten
Verwandt mit der Eudoxia. So steht
Mir Rußland näher. – Dank für Euer Mitleid!
Höchst grausam hat der Zar an ihr gehandelt,
Und eine Säule will ich richten lassen
Hoch, daß der Wanderer von fern sie schaut,
Woran geschrieben stehn soll, daß unschuldig
Eudoxia litt. – Rach' jenen Ohrenbläsern,
Die ihren Sturz erschlichen! Doch, wer wird
Drum herrschenswert, weil er beklagenswert?
Sie soll gerochen werden, nicht gekrönt.
EINER.
Was hast du nur? Fraunherrschaft, gute Herrschaft.
LAPUCHIN.
Für Schleicher, Klätscher, Ränkeschmiede –

Mit einem Blick auf Glebof.

Buhler! –
EINER.
Gehorchten wir nicht der Sophia?
LAPUCHIN.
Soll'n
Die Zeiten der Chawanskys wiederkehren?
Die Tage der Strelitzen-Greul? Und dann
War sie 'ne Romanow. Sind Eide nichts?
Kaum hundert Jahr, und dieser Boden hörte
[281] Die biedern Väter dem Mikaila schwören.
Der Tartar Boris hatt' in Blut getaucht,
In unsrer Väter Blut das Wappen Rußlands,
Der Busen Rußlands war zerrissen worden
Von dem verlaufnen Mönch Otrepiew,
Der zum Demetrius sich log. Wo suchte
Das Volk die Heilung? Bei dem Romanow.
So lang ein Sproß von diesem Baume grünt,
Ist's Frevel, anderswo nach Schatten spähn.
Kurz, wer ein Freund des Rechts, der folgt mir jetzt,
Und meidet diese irrende Versammlung.
Beim ew'gen Gott! Für Weiberregiment,
Das schlechtste, schimpflichste von allen, hebt
Abraham Lapuchin nicht Faust noch Schwert.
Ruft mich, wenn Glocken hall'n von Iwans Turm,
Wenn sich das Volk zur Kirche drängt, die Fürsten
Zur Huldigung bereit, am Altar stehn;
– Glebof nach seinem Rang in diesem Reigen,
Nicht eine Stelle höher oder tiefer –
Und Ihr, Herr Erzbischof, das Chrisma holt,
Den Romanow zu salben.

Er geht.
EIN BOJAR.
Recht hat er.
ANDRE.
Man muß zu ihm sich halten. Er meint's treu.
EIN ANDERER BOJAR.
Kehrt Euch nicht an den alten Murrkopf! Laßt
Uns unsern Schluß vollziehn.
KIKIN
zu Dolgoruki.
Du siehst, wie's geht.
Sprich du zu ihnen.
DOLGORUKI.
Hört mich, meine Brüder!
[282]
MEHRERE.
Was soll das viele Plaudern? Hört ihn nicht.
ANDRE.
Wir woll'n zum Schluß.
ERZBISCHOF
zu Glebof.
Glebof! stillt diese Menge!
Der Himmel wird's vergelten.
GLEBOF.
Würd'ger Bischof,
Wozu den Himmel stets bemühn?

Er tritt vor.

Bojaren!
ALLE.
Still! Hört den Glebof! Glebof redet wieder.
GLEBOF.
Bojaren! Eure Meinung hat entschieden
Für die Zariza. Nun, so wartet ruhig
Jetzt ab, wie die Zariza sich entscheidet.
Ihr saht den Zustand dieser armen Frau;
All ihre Lebensgeister kämpfen wild
Mit schmerzlicher Erinnrung; wahrlich, Brüder,
Es ist die Stunde der Entschlüsse nicht;
Doch hat das Land vor Abend noch den Herrn. –
Stärkt Euren Anhang! Ist der Zar auch tot,
So leben noch Kath'rina, Menzikof,
Und viele leben, deren Glück im Boden
Der neuen Dinge Wurzeln trieb. Sie alle
Sind unsre Feinde, heiße nun das Wort:
Sohn oder Mutter. Wacht, und rüstet Euch!

Die Bojaren gehn. Kikin, Dolgoruki und Erzbischof von Rostow wollen folgen. Diesen winkt Glebof, worauf sie zurückbleiben.
8. Szene
[283] Achte Szene
Glebof. Kikin. Dolgoruki. Erzbischof von Rostow.

GLEBOF.
Ihr kamt hieher, als Euren Nebenmann
Mich anzuwerben. Das mißlang. Ich sollt'
Am Seile gehn, und mich mit einem Brocken
Dann kümmerlich begnügen. Nun, Ihr saht;
Ich hauche mit dem Atem meines Mundes
Die Seifenblas' hinweg.
KIKIN.
Das trag' ich nicht!
Mißreden solcher Art ...
GLEBOF.
Laß gut sein, Kikin;
Ich muß das Kind bei seinem Namen nennen.
Ihr liebt mich nicht. Ich weiß das. Tut auch nichts;
Ich macht's an Eurer Stelle grad' wie Ihr.
Doch glaubt einmal; ich red' als Freund zu Euch,
Tut's Euch zu lieb', nicht mir! Ich mein' es gut.
Ihr seid die Ersten, Vordersten – nach mir.
(Seht, ich bin offen.)
Nicht mächtig g'nug, der Dinge Lauf zu lenken,
Doch stark genug, mir Widerpart zu halten.
Ihr habt zwei Wege. Stört mich, irrt mich, kreuzt mich,
Verbündet Euch dem Hasser Lapuchin,
Laßt seine Tugend Eure Maske sein,
Regt auf Parteiung! Wirkt, daß unsre Kraft,
Statt nach dem Ziel zu dringen, wie ein Kernschuß,
Zwecklos auf halber Bahn ermatte, sich
Zerstreue, unnütz kämpfend in verschiedner
Feindsel'ger Richtung! 'S ist der eine Weg.
Wählt ihn, ich hindr' Euch nicht. Ihr sollt mich finden.
Nur das vernehmt, Ihr Herrn, und glaubt, es wird
Eintreffen sicher, wie Dezemberschnee;
[284] Den Kopf bringt Ihr aus diesem Kampf nicht heim!
Denn eh' wir dessen uns versehn, und wenn wir
Recht in der Höh' und Hitz' des innern Strudels
Uns abmühn, wird ein ungeheures Schicksal
In unsrer Mitte stehn, und Freund und Feind
Mit Riesenarmen stoßen in das Grab.

Sie sehen betroffen vor sich nieder.

Des andern Weges Anfang liegt in Glebofs
Hier ausgestreckter Rechte.

Er streckt seine Hand aus.

Wer schlägt ein?
KIKIN.
Ich, wenn Du ehrlich bist.
GLEBOF.
Was willst du?
KIKIN.
Herrschen.
GLEBOF
zu Dolgoruki.
Und Ihr?
DOLGORUKI.
Nun – herrschen.
GLEBOF
zum Erzbischof.
Ihr, Hochwürd'ger Herr?
Ich bitt' Euch, sprecht aufrichtig.
ERZBISCHOF.
Hm! Die Herrschaft
Zur Ehre Gottes.
GLEBOF.
Wohl. Und herrschen will auch ich.
Rußland ist groß, man kann sich drum vertragen.

Zum Erzbischof.

Ihr sollt den Patriarchenthron besteigen.

[285] Zu Dolgoruki.

Ihr sollt das Land vom Don zur Wolga haben.

Zu Kikin.

Verwaltet Ihr Smolensk und Nowgorod.
Ich bleib' in Moskau. Ist's Euch so genehm?
ALLE.
Mag es denn sein.
GLEBOF.
So werd' ich auf der Stelle
Verfertigen den König, der uns taugt.

Die Bojaren gehen durch die Haupttüre ab. Glebof durch die Seitentüre.

2. Akt

1. Szene
Erste Szene
Gemach bei Glebof.
Eudoxia ruht mit geschloßnen Augen in einem Lehnstuhl.
Glebof steht zur Seite, düster, in sich gekehrt.

GLEBOF.
Der erstgeborne Teufel, der Regent
Der andern all', heißt Ungenügsamkeit! –
O mir ist weh! – Mein junges Weib ging von mir.
»Stephan,« sprach sie, und blickte stolz auf diese,
»Ich will in meines Vaters Haus zurück.«
»Natalia«, sagt' ich, »warum das mir?« – »Stephan,
Du weißt es ja.« –
Ja wohl, ich weiß es. Oh! – –
Nach einer Trän' in ihrem Auge späht' ich,
Sie sah gelassen aus. Ich schwör': der Schmerz
[286] Besaß die zarte Brust wie ein Tyrann,
Doch weint sie nie! Sie hat gelächelt, als
Des Pfuschers Hand sie folterte. – So ging
Sie ohne Abschied, schweigend, leise, wie
Ein Traum der Unschuld uns verläßt, wenn uns
Die Nacht zurückgetäuscht in alte Reinheit.
O Gott, welch schwarzer Böse wicht bin ich!
Ein König gäbe seine Kron' um sie!
Ein Heil'ger fühlte seine Seligkeit
Erhöhter, säh er sie! – Und ich verwarf sie!
Es ist ein Glück für sie. Nur keine Reu!
In dieser Brust gedeiht bloß Lolch und Schierling.
An unser männlich Werk!

Er nähert sich Eudoxien und berührt sie.

Eudoxia!
EUDOXIA
fährt heftig empor.
Zerschmolz das moskowitsche Eis?
GLEBOF.
Die Guten!
Ihr habt sie so gerührt. Bist du denn endlich
Nun bei dir selbst? Kannst du ein ruhig Wort
Vernehmen?
EUDOXIA.
Aus dem Palast weggestoßen
In schale Wüstenei! ...
GLEBOF.
Um eine Buhl'rin.
EUDOXIA.
Gekröntes Gestern, ausgehöhntes Heut!
Beschimpft, zerfetzt ...
GLEBOF.
Ein pflichtgetreues Weib.
EUDOXIA.
Aus tausend Wunden blutend ...
[287]
GLEBOF.
Um 'ne Buhl'rin.
EUDOXIA.
Zerrbild 'ner Königin! ...
GLEBOF.
Tod und Elend!
EUDOXIA.
Spott!
Belachte Schmach! Zielscheib' des Ärgernisses!
O Glebof, kalter, frecher, höhn'scher Glebof,
Mir ist hart mitgespielt!
GLEBOF.
Gib dich nur hin
Dem eitlen Wortgeräusch! Verdirb die Zeit,
Die unersetzliche, mit leerer Klage!
Verstöre meinen Plan, zerbrich mein Werk!
Mich dünkt, schon naht auf tück'schen Augenblicks
Windflücht'ger Schwinge das Verderben.
EUDOXIA.
Glebof!
Ach, warum schicktest du den Boten mir
In Susdals Gruft, und hießest mich zum Leben,
Zur Hoffnung neu erwachen? Sieh, die Schlangen,
Die mir das Blut vom Herzen abgetrunken,
Waren eingeschlafen in dem Moderduft
Von Susdals Halle. Weh! Im Strahl des Lichts,
Am Frühlingswehn der Freiheit wachen auf
Die Nattern all', und ach, mein Herz hat Blut noch,
Des Bluts zu viel. Will das nicht enden? Glebof,
Wälz' deine glühnden Blicke nicht so zornig
Auf die zertretene Eudoxia!
Weißt du, wie mir zumut?
[288]
GLEBOF.
Und weißt denn du,
Wie mir zumut, seitdem ich hab' getragen
An deiner Liebe Joch?
Weißt du, wie mir zumut, wenn meine Lippen
Auf deinen Lippen ihre Gluten suchten,
Und nur Verwünschung fanden deines Feinds,
Und Sehnsucht nach dem alten Glück? – Weißt du,
Wie mir zumut, wenn lechzend deine Seele
Ich in die meine ganz zu ziehen dürstete,
Und dursten mußt' und dursten, weil dir die
Gedanken nur wandern gingen in des Zaren Haus?
Weißt du, wie mir zumut, wenn ich mir sagte:
Sie liebt dich nicht, sie feilscht mit ihren Küssen
Sich den Genossen!
EUDOXIA.
Glebof!
GLEBOF.
Fluch dem Band,
Das uns verknüpft! – Bei meinem Stamm! Wenn du
Noch säßest auf dem Thron im Kreml, und wenn
Glebof dem Throne nahte, Liebe flehnd,
Du stießest mit dem Fuße mich hinweg,
Und sprächst: »Was willst du, Wurm, von deiner Zarin?«
EUDOXIA.
Stephan!
GLEBOF.
Es mag drum sein! – Das fehlte noch.
Ich hielt mein Herz, und halt's mit eh'rner Faust,
Und will es schrein, so drück' ich's, daß es stumm
In seinen Qualen zuckt. Wir stehn zu hoch
Für Schäferleid und zarten Torenzwist.
Ich bin gefaßt, und will Vernunft von dir.
EUDOXIA.
Sprich, teurer Glebof, was ich soll?
[289]
GLEBOF.
Heut abend
Versamml' ich alle Häupter bei Alexis.
Du trittst dann schwarz, in deiner Klostertracht,
Das Kreuz in deiner Linken, und die Krone
In Deiner Rechten haltend, vor den Sohn;
Beugst ihm das Knie, und rufst, wie in Begeistrung:
»Heil unsrem Zar Alexis Petrowitsch!
Huldigt, Bojaren, Eurem wahren Herrn!«
Ich sorge für das übrige.
EUDOXIA.
Bin ich
Denn nicht vorhanden?
GLEBOF.
Das ist Eure Weisheit
Von heute früh.
EUDOXIA.
Warum dem Sohn die Herrschaft?
GLEBOF.
Ich will's! – Und hier die Gründe. Weil nur er
Die Stimmen all' besitzt, sobald die Deine
Mit in des Jünglings Waage fällt. Weil uns
Furchtbare Not einmüt'ges rasches Handeln
Gebietet ... Weil der Sinne Spaltung uns,
Die mind'ste Zögrung in den Abgrund stürzt,
Weil ...
EUDOXIA.
Weil? – Du stockst?
GLEBOF.
Eudoxia, ich muß
Ein großes Wort Dir sagen ...
EUDOXIA.
Sprich.
[290]
GLEBOF.
Ich wag'
Das Heil der Sache.
EUDOXIA.
Weil ...
GLEBOF.
– Der Zar noch lebt!
EUDOXIA.
Er lebt?
GLEBOF.
Er lebt. Sei stark. Beweise Dich
Als sein gewes'nes Weib, und fürchte nicht,
Den alle fürchten. Hör' mich aus. Die Memmen,
Sie hätten nichts gewagt an dem Lebend'gen,
So band er alle Geister zauberisch.
Drum hab' ich ihn getötet mit dem Munde.
Nun atmen sie, nun wagen sie, den Arm
Zu regen. Und bevor sein mächt'ger Fuß
Auf Rußlands Boden tritt, ist umgewandelt
Die Form des Reichs, sind Volk und Truppen schon
In Eid und Pflicht genommen, und Verzweiflung
Wird die Bojaren in dem Kampfe stärken,
Der uns bevorsteht. Es gilt Haupt und Leben
Für jeden dann. Unrettbar bloßgestellt
Hat jeder sich.
EUDOXIA.
Er lebt!
GLEBOF.
Seit Jahren sann
Ich auf den Augenblick, wo was zu wagen.
Und wie der Sternekundige nicht müd wird,
Den Lauf der Lichter
Am Firmament zu schaun; Planetenbahnen
Auszustudieren und Kometenirrläuf',
So schaut' ich unverwandt in unsre Nacht,
[291] Auf Rußlands ernsthaft-wandelnde Planeten,
Wildschweifende Kometen, kleine Monde;
In den Gesetzen ihrer Bahnen still
Sie zu erforschen. – Nun, ich weiß genug.
Vom Höchsten bis zum Niedrigsten durchdrang
Gährung die Herzen.
Was Russ' ist, steht zu uns. Und drüben sind
Glücksritter nur und eingedrungne Fremde.
Fern schwimmt der Zar auf seinem Meer. Die Truppen
Sind aus dem Land nach Mecklenburg.
Der Schwede Karl droht an der Grenze. Will
Das Schicksal uns beschützen, hat es jetzt,
Jetzt oder nimmer die Gelegenheit.
EUDOXIA.
Er lebt!
GLEBOF.
Ich hab's gesagt. Werd' ich's bereun?
EUDOXIA.
Was sprichst du da? Kennst du Eudoxien nicht?
Er lebt! Nun jauchze Herz! Weht, Wünsche, weht,
Wie rote Siegesfahnen über Trümmern!
Ich wähnt' ihn tot, da mußt' ich wohl verzweifeln;
Nur seinem Schatten sandt' ich eiteln Haß
Unmächtig nach ins nie erreichte Haus
Der ew'gen Finsternis! Er lebt! Ich kann
Ihn in Gedanken morden, martern! Was
Lebendig, steht in dem Bereich der Rache.
Jetzt schöpf ich Luft, jetzt hoff' ich schöne Tage,
Ich lieb' mein Leben, Zar, weil du noch lebst!

Zu Glebof.

Zum letztenmal vermummt, mit Kreuz und Schleier
Erwart' ich dich.

Sie geht.
2. Szene
[292] Zweite Szene
Glebof. Nachher: Ein Diener. Später: Hauptmann Markof.

GLEBOF.
Das Erste kann geschehn sein.

Er klingelt. Ein Diener tritt ein.

Ist Markof da?
DIENER.
Der Hauptmann harrt schon lange.

Diener ab. Hauptmann Markof tritt ein.
GLEBOF.
Nun Markof?
MARKOF.
Sie sind entflohn.
GLEBOF.
Wie? Beide?
MARKOF.
Beide.
Der Pastetenbäcker und die Litauerin.
GLEBOF.
Schilt unsre Feinde nicht! Laß uns sie schlagen.
Wie war's? Erzähle mir.
MARKOF.
Nach deinem Wort
Begab ich mich mit zwanzig tücht'gen Leuten
In den Palast. Wir hatten, was wir brauchten,
Stumm ihren Mund zu machen. Da vernahm ich,
Fürst Menzikof sei mit der Zarin, gleich
Sobald die Post erscholl vom Tod des Zaren,
Verhängten Zügels fortgesprengt.
[293]
GLEBOF.
Schlimm! Schlimm!
So ist uns Petersburg verloren. Wie
Steht's mit den Truppen?
MARKOF.
Nicht zu sicher, Herr.
Die Semenowskyschen sind wie im Sturm.
Sie weinten laut, als sie vernahmen, daß
Ihr Väterchen, wie sie ihn heißen, starb.
Ich sah, die die Montierung sich zerrissen
Vor ungestümem Schmerz.
GLEBOF.
Ich dacht' es fast.
Das Heer ist stets des Helden. Was zu tun?
Sie sollen all' nach Astrachan für jetzt;
Ich will's mit Bauern und Milizen machen.
Sie solln nach Astrachan. Ich will die Ordre
Gleich zeichnen. Folg mir, Markof.
MARKOF.
Menzikof
Hat auch den Zarewitsch entführen wollen.
Doch der hat standhaft sich geweigert.
GLEBOF.
Nun,
So haben wir den Prinzen. Hm! der gilt
Noch mehr als Petersburg. Moskau sei Burg
Und Grab der Tapfern! Kommt Okolnitsch Markof.

Sie gehen ab.
3. Szene
[294] Dritte Szene
Zimmer im Kreml.
Alexis. Euphrosyne.

EUPHROSYNE.
Was wollte nur der Fürst?
ALEXIS.
Weiß nicht, mein Mädchen.
EUPHROSYNE.
Ich hab' ihn niemals so gesehn, sein Antlitz
War häßlicher, als je. Er zerrt' Euch wild
Am Saum des Kleids, und nach der Türe deutend,
Rief er: »Folgt mir nach Petersburg!« Ihr rißt,
Empört von so unwürdigem Begegnen,
Euch los, und standet stolz, den Rücken wendend
Dem schlechten Mann.
ALEXIS.
Du hast nicht recht gesehn.
EUPHROSYNE.
Nicht recht gesehn?
ALEXIS.
Das tat Alexis nicht.
EUPHROSYNE.
Nun freilich tatet Ihr's. Ihr blicktet kühn;
Die Hand am Säbel, Aug' gen Himmel, fest
Auf Euren Füßen ... ach, recht wie ein König!
Ich hätt' die Hand Euch küssen mögen.
ALEXIS.
Kind,
Das war Alexis nicht.
[295]
EUPHROSYNE.
Wer war's denn sonst?
ALEXIS.
Ich kann dir das nicht sagen. Doch Alexis
War jener stolze Trotz'ge nicht.
EUPHROSYNE.
Ihr scherzt.
ALEXIS
in Tränen.
Es ist ja auch in Rußland lust'ge Zeit.
EUPHROSYNE.
Ihr habt die Laune heut.
ALEXIS.
Bleibst du dabei?
Der Menzikof ist ein verruchter Schalk,
Ein Bube und ein Wolfsherz! Ward vom Zar
Gesetzt zum Hüter seines blöden Sohns.
Ein ungetreuer Knecht! Er goß dem Sohn
Gift in jedweder Stunde Trank, erniedernd
Höchst frevelhaft den Samen Romanows!
Riß Vaters Herz von Sohnes Herzen, tückisch
Begrub er seines Herren Kind in Schmach.
Ein Bau'r empörte sich ob solchen Drangs;
Was tut's dem Zarewitsch? Alexis, wisse,
Vernahm in seinem Geiste nie das Wort
Der Ehre. »Nur der Edle fühlt den Schimpf,
Und Schmerz hört auf, wo niedrer Sinn beginnt.«
Weißt noch? So steht's geschrieben in dem Buch,
Das du mir jüngst des Abends vorgelesen.
Alexis' Brust ist ein zerstörtes Schloß,
Worin ein Frevler hauste. Wüst Getier
Durchkriecht die Trümmer. Ja, der hätt' den Mut
Gehabt, dem mächt'gen Menzikof zu trotzen!
[296]
EUPHROSYNE.
Weh, warum schmäht Ihr Euch?
ALEXIS.
Muß ich's denn nicht?
Es sagt's der Zar, ich sag's dem Zaren nach,
Der Zar hat immer recht.
EUPHROSYNE
Ihr seid nicht so.
Ich war ein armes Mädchen, näht' und spann,
Den Schwächling hätt' ich nicht geliebt! Ja, wär' ich
An deinem Platz geboren, sollte mir
Die nächste Sonn' in meiner Feinde Blut
Rot untergehn! Hut in die Stirn gedrückt,
Schwert in der Hand ...
ALEXIS.
Du bist auch tapfer, Mädchen.
Mit mir ist's anders, armes Kind. Alexis
Ist feig!
EUPHROSYNE
stampft mit dem Fuße.
Du sollst nicht lügen!
ALEXIS.
Kleine Bosheit!
Es sagt's der Zar, ich sag's dem Zaren nach,
Der Zar hat immer recht.
EUPHROSYNE.
Der Zar! Dein Feind!
ALEXIS.
Der Vater, der den Sohn doch kennen muß.
Ich will dir's auch beweisen. Sieh, den Zaren
Ergreift Gelüst, dem Türken was aufs Haupt
Zu geben, der in Stambul nickt und träumt,
[297] Und gern in Ruhe wär'! Flugs wird getrommelt
Nach Osten zu. Fünfhundert Feuerschlünde
Sie donnern Schreck ins Herz dem Padischach.
Ist's dort vorbei, geht's an den Schweden, der
Uns auch wohl ließe, ließen wir ihn nur
Sein Haferbrot verzehren. Schuß um Schuß!
Der Schwede flieht, man nimmt ihm ein Stück Land.
So gibt es Schlacht auf Schlacht, und Sieg und Ruhm,
Und Orden für die Tapfern. Mich, mein Mädchen,
Sah nie der Batterien gekrauster Dampf.
Ich hab' mich krank gemacht, um wegzubleiben.
Lorbeern von ihm! O pfui! Bei St. Georg!
Riss' auch der Zar die große Gottessonne
Vom Himmel, sprach': »Die Sonne geb' ich dir
Als Ordensstern für deinen ersten Sieg!«
Mich reizt' es nicht. So bin ich nun. Gott helf mir!
Da frag' ich dich, ob das nicht Feigheit ist?

Ein Schuß fallt durch das Fenster. Euphrosyne fliegt mit einem Schrei an Alexis Brust.

Bist du verletzt?
EUPHROSYNE.
O Gott!
ALEXIS.
Doch nicht verletzt?
EUPHROSYNE.
Ach was war das?
ALEXIS.
Ein Schuß, der mir vermutlich
Beschieden war von einem Dienstbeflissnen,
Den Zar der fernem Sorge zu entheben.
Du bist doch wirklich nicht verletzt?
EUPHROSYNE.
Nein! Nein!
Ach, meine Glieder zittern!
[298]
ALEXIS
lächelnd.
Zarte Heldin!
EUPHROSYNE
sich in Alexis Arme aufrichtend.
Und du? Wie ist's mit dir?
ALEXIS.
Was meinst du?
EUPHROSYNE.
Gib
Mir deine Hand.

Alexis reicht ihr die Hand.

Ei, die ist warm. So warm,
Als wie vorher.
ALEXIS.
Nun, warum soll sie kalt sein?
EUPHROSYNE
die Hand auf Alexis Brust legend.
Dein Herz, wie ruhig schlägt es!
ALEXIS.
Pocht das deine?
EUPHROSYNE.
Bist du denn nicht erschreckt?
ALEXIS.
Erschreckt? Wovon?
Ah so, der Schuß!
EUPHROSYNE.
Ihn wollten sie ermorden!
O du mein Herz! Dich! Dich! O die Verworfnen!
ALEXIS.
Sie weint und zittert. Wenn man es noch hört,
Da hat's ja keine Not. Beruh'ge dich.
[299]
EUPHROSYNE.
Ach, wie wird's enden, Lieber?
ALEXIS.
Hast du Furcht?
EUPHROSYNE.
Schilt mich, ich sollte stärker sein. Ach Lieber,
Wie endet dies?
ALEXIS.
Was soll an mir geschehn?
Das Schreckliche liegt hinter mir. Die Kugel,
Nun ja, sie hätt' mich treffen können. Selig,
Betaut von deiner Augen mildem Guß,
Ruht' aus der Zarewitsch. Sie flog vorbei. –
Tat nicht ihr äußerstes die Wut an mir?
Ward ich nicht abgesperrt von meinen Freunden,
Bewacht, gehegt, wie ein gefährlich Wild?
Wann sah ich einen Menschen? Weht das Lüftchen
Von draußen, das dem Sohn des Zaren Nahrung
Zu frevelnden Gedanken brächte? Ward
Die eigne Mutter nicht dem Sohn versagt,
So oft er auch gefleht, daß er die Hand
Dürft' küssen, die des Knäbleins schwachen Schritt
Gestützt! O meine Mutter! – Euphrosyne,
Gestorben bin ich schon – und Leichen sind
Frei, unantastbar.
EUPHROSYNE.
Du hast einst geatmet!
Vergiß'st du, was gewesen?
ALEXIS.
Das vergab er.
EUPHROSYNE.
Wenn du die ganze Wahrheit ihm bekannt.
[300] Alexis Mein Los verdient' ich, hätt' ich das getan.

Nach einer Pause.

Wir haben in Gedanken uns gewiegt,
Aus Einbildungen uns den Thron gebaut,
Empörung in der Wünsche luft'gem Reich
Gesponnen, bei des Vaters Leben, endlich
Es bis zur Flucht getrieben, um den Arm
Des Kaisers zu gewinnen für die Sache
Notschreinder Fürstensöhne! – Ha, es war
Nicht Recht! – Wer aber wagt, mir's vorzuwerfen?
Ich kam zurück, hab's eingestanden!
EUPHROSYNE.
Nahmst
Großmütig alles auf dein Haupt. Wart Ihr
Der einz'ge Schuldige?
ALEXIS
nach einer Pause.
Ich war es nicht.
Es sannen andre mit mir. Heimlich lief,
Gleich einem stillen Feu'r, mein Name durch
Des Reiches Adern. Was da litt und grollte,
War mein Vasall. Genug davon. Du weißt's.
Geh hin. Gib's an.
EUPHROSYNE.
Mitunter denk' ich, hier
Könn' ich auch dazu kommen. Laßt, ich bitt' Euch,
Die Briefe mich verbrennen.
ALEXIS.
Von der Mutter?
Tu's; wenn es dich beruhigt.
EUPHROSYNE.
Gleich geschieht's.

Sie will fort.
[301]
ALEXIS
hält sie zurück.
Es soll nicht sein. In ihren Zügen lacht
Durch allen wilden Schmerz, und durch den Frevel
Verwegner Plane, wie ein Götterantlitz
Die ganze Zärtlichkeit der Mutter. Mich
Erkiest sie drin zum Ritter ihres Unglücks;
So hat die Mutter ihren Sohn geehrt!
Zwei Menschen lieb ich auf der Welt,
Dich und die Mutter! Jeder Strohhalm ist,
Den Eure Finger rührten, heilig mir.
O wenn ein teures Haupt geschieden ist,
Dann möchten wir das Stäubchen selbst besitzen,
Auf das der Fuß des lieben Toten trat. –
Sie stirbt doch einst! Die Briefe meiner Mutter
Solln nicht verbrannt sein. Still von dieser Not,
Wenn du mich liebhast. Von 'ner andren: Hör,
Ich hab dir lang was sagen wollen. Heut
Ist's neu emporgeregt.
EUPHROSYNE.
Was meint Ihr, Prinz?

Alexis sieht starr vor sich hin.

Nein, sprecht denn auch. Ihr starrt hinaus, Ihr macht
Mir durch das Schweigen bang.
ALEXIS.
Die Welt ist ja
Nur eine Hölle! – – Ha, wozu das Tröpfchen
Von Freude in dem Ozean der Qual? –
Ich bitt' dich, liebe Euphrosyne, sei
Nicht bös, tu' ich dir weh.

Er tritt zu ihr und berührt ihr Haupt.

Senk deine Augen!
Seh' ich in die, vermag ich's nicht. – – Es ist
Durchaus bei mir entschieden. – Einz'ge Liebe:
Du mußt mich heute noch verlassen!
[302]
EUPHROSYNE.
Prinz?
ALEXIS.
Du mußt mich heute noch verlassen, Mädchen!
Sei still, und blick nicht auf. – Als ich dich fand
In deiner Fischerhütt', ein köstlich Perlchen
Am Meer, da dacht' ich: willst die Perle fassen
Ins Diadem, daß sie der Neid des Stolzen,
Die Lust der Guten sei, des Herrschers Wonne.
Und nahm die Perle auf vom Strand des Meers,
Und wahrte sie am Busen ...
EUPHROSYNE.
Alexis!
ALEXIS.
Anders
Ist es gekommen! – Meine Perle liegt
In eines Bettlers Hütte!
Fluch dem, der seine Lieb' zu sich erniedrigt!
Ich wollte dich erhöhn, das konnt' ich nicht,
Erniedrigt dich zu sehn, das duld' ich nicht:
Du mußt mich heute noch verlassen, Kind!
EUPHROSYNE.
Seid Ihr zu End'?
ALEXIS.
Er hat gewagt, vor deinem,
Vor der Geliebten Auge, Hand an mich
Zu legen! Er, der Knecht, der in dem Staub
Sich vor Alexis winden müßte, gäb's
Noch Väter, welche ihre Söhne höh'r,
Als ihre Grillen hielten – –
Vor deinen Augen, die vom Glanz der Majestät
Geblendet, schwimmend zucken müßten, staunend:
Ob dieser Glänzende Alexis sei?
Vor deinen Augen schändet mich der Knecht!
Das darf nicht wiederkehren! Geh hinaus,
[303] Verlaß den Kreml. O glaube, niemand hält dich,
Sprichst du: »Auch ich lass' jetzt den Zarewitsch«.
Zeuch einsam, stumm die Straße bis zum Meer,
Wo deine Hütte steht! Dort birg dich, Liebe,
Und harr' ein Weilchen! Bald, bald kommen Träume,
Trosthelle Träume dir. Vom großen Prinzen
Alexis, der in Macht und Herrlichkeit
Saß auf der Väter Stuhl; und – der dich lieber
Gehabt, als all' die Macht und Herrlichkeit! –

Er umfaßt sie.

Willst du wohl wandern gehn, daß bald so schöne,
So sanfte Träume kommen?
EUPHROSYNE.
Ich verlange
Nach Träumen nicht, mein Wachen ist mir süß.
Verbannte Fürsten suchen Einsamkeit,
Und leben dort in Frieden. Frischer grünt
Das Blatt des Baums, die Blume duftet würz'ger,
Kann Blatt und Blume einen König trösten.
Alexis! Deines Mädchens Brust ist nur
Ein Gärtlein, wird dir Rußland nicht ersetzen!
Doch alle Veilchen, die drin blühn, die Rosen,
Die drin sich aufgetan, und jeder Keim,
Der drinnen sproßt, das alles sproßt und blüht
Doch nur für dich! Das arme Gärtchen ist
So glücklich, daß es treu dem König blieb.
Du mußt, mein stolzer Prinz, dem stolzen Ding
Schon seine Laune lassen!

Sie entfernt sich.
4. Szene
Vierte Szene
ALEXIS
allein.
Halte fest,
Du Bild dort in den Lüften, goldne Krone!
[304] Halt stand der Faust, wie du dem Blicke standhältst!
Du schimmerst göttlich-lockend.
Weg Phantom!
Nein, bleib Phantom! Dies sind Gedankensünden.
Sie sind uns noch erlaubt. Die andern hat
Der Zar uns wohl verboten. Warum bin ich
Zu herrschen unwert?

Er geht nach dem Getäfel, in welches der Schuß gedrungen ist.

Mörderische Kugel,
Du hättest hier –

Auf seine Brust deutend.

Nicht lauter Tand und schimpfliche Gesinnung
Getroffen. Bei dem Blut der Romanow!
Kam' der Tartar, der Pol' vor Moskaus Tor,
Er sollt' erfahren, daß der Stuhl des Rurik
Von einem Zar besetzt sei. –
Wahn und Schaum!
Hier steht der Knabe mit der leeren Tasche,
Und schwatzt vom großen Lose. Armer Tor!
Wo dreht dein Glücksrad sich? Du hast den Einsatz
Nicht wagen wollen!
5. Szene
Fünfte Szene
Die Flügeltüre im Grunde öffnet sich. Man sieht in eine große, erleuchtete Halle.
Eudoxia steht in der Türe, in Klostertracht, das Kreuz in der Linken, die Krone in der Rechten. Glebof, Dolgoruki, Kikin, der Erzbischof von Rostow hinter ihr. In der Halle viele Bojaren, darunter Lapuchin.

EUDOXIA.
Sohn!
[305]
ALEXIS
sich umwendend und zurückfahrend.
Was!? Hat das Reich
Der Unterwelt begonnen? Schickt das Grab
In unsre Wüstenei Gesellschaft? Fort!
Ich bin kein Mann für solchen Anblick!
EUDOXIA.
Sohn!
Sohn, komm zu uns, sei dieser Fürsten Herr!
Die Toten stehen auf, die lebten, starben
Ich bin die Mutter, das ist Ruriks Reif!
ALEXIS.
Du bist die Mutter, das ist Ruriks Reif!
DIE BOJAREN.
Heil unsrem Zar!
ALEXIS.
Die Züge sind's, es ist
Der Schlei'r, das Klosterkreuz!
DIE BOJAREN.
Heil unserm Zar!
ALEXIS
mit einer wilden Bewegung.
Verräter, tretet ihr zu meinem Feinde?
DIE BOJAREN.
Heil unsrem Zar Alexis Petrowitsch!
ALEXIS.
Das ruft, als wär' es außer mir, doch sind's
Nur arge, list'ge Larven meiner Brust! –
Ich weiß, ihr schwindet, nah' ich mich, in Dunst,
Doch ihr umstrickt mich mit des Zaubers Kunst!
Habt mich! Hier bin ich! Gebt mir meine Krone,
Denn wie dem Vater, eignet sie dem Sohne!

[306] Er eilt durch die Flügeltüre ab, die sich hinter ihm schließt. Trompeten und Pauken hinter der Szene.

3. Akt

1. Szene
Erste Szene
St. Petersburg. Gemach im Palast.
Katharina. Menzikof treten ein.

MENZIKOF.
Nun Martha, müde von der Reis'?
KATHARINA.
Ein wenig.
Wir eilten ja, wie unterm Mantel Fausts.
MENZIKOF.
'S tat not. Ich kenne unsre Feinde. – Doch
Ich denk', die Hoffnung hab' ich ihnen gänzlich
Benommen, etwas durchzusetzen.
KATHARINA.
Wie?
MENZIKOF.
Sie münzen Aufruhr; das Gepräge macht
Die Münz', und mit dem Stempel wird geprägt,
Und den zerbrach ich ihnen.
KATHARINA.
Menzikof,
Du jagst mir Schrecken ein. Du bist so heftig!
Ich sah dich heimlich sprechen mit dem Dentschik,
Eh' wir von Moskau flüchteten.
[307]
MENZIKOF.
Der Dentschik
Hat eine gute Buchs' und ist ein Schütz,
Der seinen Mann trifft. Und der Zarewitsch
Ist – nicht von Eisen. Wie die großen Bärte
Erstaunen werden, sehn sie ihre Fahne,
Die alles führen, alles heil'gen sollte,
Zerschmettert und zerfetzt!
KATHARINA.
O Menzikof!
Ein Mord? ...
MENZIKOF.
Laß gut sein, Martha. Es war ratsam,
War nötig, war das kürzeste. Solang
Der Knabe lebt, ist unsre Hoffnung tot.
Zwar er entsagte. Possen! Würd' er Mönch,
Wir wären noch nicht sicher. Keinem nagelt
Man die Kapuze auf den Kopf. Das lehrt
Ihn Stephan Glebof. Kurz, der Anlaß bot
Sich jetzo meiner Hand. Sein Widerstand
Bracht' es zur Reife. Er ist nicht so schwach,
So stumpf, wie man ihn glaubt, wie ihn der Zar
Sich träumt, weil er ... ja, weil er von ihm weiß,
Was ich, daß er es wiss', für gut befinde.
Er war uns weit gefährlicher, als du
Dir ihn wohl vorgestellt, und würd' inmitten
Der tollen Köpfe, die ihr altes Reich
Von seiner Jugend wollen, dermaleinst
Das Feuer sein, das unsre Saaten fräße.
KATHARINA.
Unschuldig Blut vergossen! – Daß man brav,
Und doch so grausam sein kann! Armer Prinz!
MENZIKOF.
Laß gut sein, Martha. Du bist weich, du hast
Das beste Herz. Bekümmere dich um mich,
[308] Und meine Schritte nicht.
Der Fluch sei mein, der Segen bleibe dir;
Rein sollst du pflücken meiner Sorge Frucht.
Er hat dich mir geraubt, dafür will ich
Zu dieses Reiches Throne dich erheben!
Das ist mein Dichten, Trachten. Das der Wunsch
Des Tags, der Traum der Nacht. Das grub der Stirn
Die tiefen frühen Arbeitsfalten ein.
Mag er das Weib besitzen! Doch dem Künstler
Verbleibt sein Werk. Die Königin gehört
Nicht dem Geschlecht! Wenn dich der Purpur schmückt,
Von meiner Hand gewebt, hat Menzikof
Dich nie verloren.
KATHARINA.
Guter, treuer Freund!
Du siehst in mir, was deine Lieb' in mir
Erblicken will. Aufricht'ge Neigung ist
Ein Licht, das von dem Geber strömt, holdtrüglich
Den Gegenstand in seine Strahlen hüllt.
Sieh ohne Schimmer mich; er ist nicht mein.
Ich bin nur eine Frau! Grad' klug genug,
Zu wissen, daß der Frauen höchste Weisheit
Vertrauen zu dem weisern Manne ist.
Versuch mich nicht! Ich möchte gar zu gern
Von diesem Lote Urteil, das mir eigen,
Nichts missen, Menzikof. Das Weib sei dienstbar!
Im Tal gepflanzt, wie soll't ich oben stehn?
Gehorchen lernt' ich; das Gebieten lehrt
Kein Gott dem Schwachen.
MENZIKOF.
Liebenswürd'ge Demut! –
Was das betrifft, verlaß dich ganz auf mich.
Denn deines Armes Arm wird Menzikof,
Und deines Mundes Mund wird Menzikof
Für alle Zeiten sein. Du sollst genießen.
Die Müh', der Schweiß, die Pein für Menzikof,
Für Katharinen Freude, Lust und Pomp!
[309]
KATHARINA.
War's möglich ... wär' es irgend denkbar ... wär's
Nur freilich so gedenkbar, Menzikof!
Ach Freund, ich hab' ganz andre Ding' im Sinn.
Recht bis ins Herz bin ich betrübt. Der Aufruhr
Wird übergehn, wie viele übergingen!
Wer aber hält des Herren Werk? Dies Rußland,
Sein Rußland ist die Riesensäule, halb-
Vollendet von dem bauenden Giganten.
Was sind wir andern? Wer beschließt den Bau,
Wenn der erhabne Meister scheidet vom
Unfert'gen Werk?
MENZIKOF
lächelnd.
In deinem Bild zu bleiben:
Wir lassen diese Riesensäule stehn,
So wie sie steht, und tun nichts ab, noch zu.
Verwittert sie; ganz wohl! Zerfällt sie; recht!
Die Mauern Babylons sind auch ein Staub.
Du sollst mich glühn sehn für des Meisters Werk,
Solang die Glut mir Meisters Gnade schafft.
KATHARINA.
Nicht länger?
MENZIKOF.
Keinen Augenblick. Drei Regeln
Merk, Martha, dir. In zwanzigjähriger Schule
Hab' ich die Sprüch' erlernt. Zum ersten wisse:
Wer Menschen bildet, ist sein eigner Feind,
Denn leichter herrscht sich's über Dumme. Zweitens:
Rußland ist noch der Erde schönstes Los,
Wenn auch der Schwed' hier wieder Kupfer gräbt,
Und Petersburg zum Sumpfe wird. Das dritte
Sag' ich ins Ohr dir. 'S ist für Eingeweihte:
Ein großer Mann ist nur ein großer Tor.
KATHARINA.
Meinst du das wirklich so?
[310]
MENZIKOF.
Daß ich's gesagt,
Beweist, daß ich's so meine.

Ein Page tritt auf.
PAGE.
Fürst, man sucht Euch.
MENZIKOF.
Wer sucht mich?
PAGE.
Boten von Moskau und vom Meer.
MENZIKOF.
So gibt es Neuigkeit zu Land und Wasser.

Zum Pagen.

Führ' sie ins rote Zimmer.

Page ab.

Haben wir
Uns nicht vertieft in ein Gespräch, als ob
Wir auch bereits des Glebof Märchen glaubten!
Von Moskau und vom Meer? Die Boten bringen
Den Sinn zur Gegenwart zurück. Nun Martha,
Laß uns auf unsren Pfad sehn.

Ab.
2. Szene
Zweite Szene
KATHARINA
allein.
Wer hat dir
Gesagt, daß wir zusammen wandern? Jetzt
Hab' ich dir in das Herz geschaut. – Du warst
Mir stets unleidlich, meiner Niedrigkeit
Verhaßter Spiegel! Martha nennst du mich ...
Katharin' Alexiewna soll gedenken
Des Mädchens von Marienburg. Du willst
[311] Die Bäu'rin auf dem Thron! Wie gut! Die Bürde
Nimmst du auf deine Schultern. Welche Großmut!
Man wird dir innig dafür danken müssen. –
Armseliger! Was kannst du? Morden. – Was
Ist all dein Witz? Ein wenig Lügen, Fälschen,
Und Geld zusammenraffen. Ja, um Gold
Verkauftest du Provinzen. Schmutz'ger Mäkler!
Wär' ich ein Mann, der Schwede sollt' es fühlen,
Das letzte Blut des Herzens strömt' ich hin
Für unser Petersburg!
Weh mir, daß ich ein Weib bin! Wir verfehlten,
O wir mißratnen Wesen! – Grausam gibt
Der Himmel Schönheit uns. So schenkt man Kindern
Haus, Hof und Stadt in einem Weihnachts-Kästchen.
Sei auch die Frau vollkommen, ist sie doch nur
Geschmücktes Nichts. Das Erz wächst für den Mann,
Die Eiche streckt sich, daß als Kiel dem Mann
Das Meer sie gebe unter seine Füße;
Die Völker schwellen an, damit der Mann
Mehr Diener habe, und der Himmel schuf
Der Sterne Heer, damit der Mann da droben
Unendliches in seinem Geist erobre,
Wenn er die Endlichkeit bezwungen hat! –
Und blieb uns gar nichts? Sind wir denn so ganz
Verwahrlost? Nein, wir haben auch ein Erbteil;
Gefäll'ge List, und eignen tiefen Sinn,
Einfält'ge Schalkheit, Lächeln in dem Herzen,
Im Auge Tränen! Auf der Lippe: »Ja«,
Im Haupte: »Nein«; und Schritte, zu leicht und leis
Für Euer Ohr. –

Sie macht einige Schritte in Gedanken. Dann ruft sie aus.

Wir wollen Kön'gin sein,
Doch nicht von deiner Gnade, Menzikof! –
Mein Leben ist ein Märchen. Keuchend grub
Der Vater seinen Acker, und – ich teile
Des größten Herrschers Bett. 'S ist alles! – Nichts!
Zitternd begann das Märchen ich zu lesen,
Jetzt bin ich eingelesen, und ich weiß,
[312] Daß diese Wunderfabel nur zum Schluß
Durch Wunder kommen kann. –
So wandre einsam
Geheimen Gang! Vertraue keinem! Sei
Dir selbst ein stummes Rätsel. Wie die Nacht,
Erzeug' in schwarzen Schatten, unbegriffen
Dir dein Geschick.

Sie sieht sich um.

Die Larve vor das Antlitz!
Hier kommt der Mann, der uns zu leiten denkt.
3. Szene
Dritte Szene
Menzikof. Katharina.

MENZIKOF
mit Briefen.
Da sind besondere Sachen, zwiegestaltet.
Von Kronstadt ward ein Schiff signalisiert,
Apraxin sagt, es sei des Zaren Flagge.
In Moskau griff der Aufstand weiter um sich;
Die Bauern rundumher stehn unter Waffen,
Nach Pleskow, Twer und Tula sind Rebellen
In Haufen abgegangen. Ernstlich scheint's.
Mein Dentschik fehlte.
KATHARINA.
Danke Gott.
MENZIKOF.
Wofür?
KATHARINA.
Daß er dich rein von Schuld erhielt.
MENZIKOF.
Zu weichlich,
Zu weichlich bist du, Martha. Schlimme Zeit!
[313] Ich darf dir keine Ruhe gönnen. Eilig
Dem Zar entgegen auf der schnellsten Jacht!
KATHARINA
durch das Fenster blickend.
Es ist so stürmisch.
MENZIKOF.
Hilft nichts; mir ist banger
Vor ihm, als vor dem Sturm. Wir müssen eifrig
Uns zeigen, und zuerst dem Herrn begegnen,
Sonst laufen die Verleumder uns den Rang ab,
Und schwärzen unser Handeln an. Ich fürchte
So ein Gewitter. Wenn man's recht nimmt, konnt'
Ich anders wohl verfahren. Liebe Martha,
Verlaß mich nicht, wenn es den Ausbruch gibt!
KATHARINA.
Katharinens armer Witz, gering Vermögen
Ist Menzikofs.
MENZIKOF.
So komm; dem Herrn entgegen!

Beide ab.
4. Szene
Vierte Szene
Auf dem Verdecke eines Schiffs. Im Finnischen Meerbusen. Sturm.
Der Steuermann auf einem erhöhten Platze am Steuerruder. Zwei Matrosen.

ERSTER MATROSE.
Ihr müßt mehr links halten, Steuermann.
[314]
ZWEITER MATROSE.
Nein, rechts mehr. Links kommen wir auf die Bank.
ERSTER MATROSE.
Steuermann, Ihr fahrt uns ja in die Klippen.
ZWEITER MATROSE.
Grigori, nimm Vernunft an!

Vom Mastkorbe wird gerufen: »Vorgesehen! Vorgesehen!«.
STEUERMANN.
Ja doch!
ERSTER MATROSE.
O böse Stelle!
ZWEITER MATROSE.
O greuliches Wetter!

Signalschüsse. Gleich darauf wird gerufen: »Ein
Boot! Ein Boot!«.
STEUERMANN.
Da kommen noch mehr Narren, die mit uns ersaufen wollen.
ERSTER MATROSE.
Denkst du, daß wir ersaufen werden?
STEUERMANN.
Wer kann vor Unglück?
ERSTER MATROSE.
O heiliger Georg!

Währenddessen wird von draußen wiederholentlich gerufen: »Vorgesehen!«.
5. Szene
[315] Fünfte Szene
Zar Peter. Oberst Gordon. Vorige.

PETER.
Was für ein Lärm?

Zu den Matrosen.

Auf Euren Posten, Mannschaft! –

Zu Gordon.

Dies Volk, zu Lande brav, ist blöd zu Wasser,
Und früher ging mir's selber so, mein Gordon.

Zu den Matrosen.

Ein Schiffer heult nicht um die Wette, merkt's Euch,
Mit Wind und Welle. – Eines Seemanns Antlitz
Ist, wie die Tiefe, stumm. Ich war, ihr Kinder,
Auf einem engeländschen Schiff im Sturm;
Doch wenn ich sagen wollt', es wär' dort anders,
Dort lauter zugegangen unterm Volk,
Als wie gewöhnlich, sagt' ich nur, was falsch.
Sie denken so: Zeigst du dem Meer die Furcht,
So macht es dich zu fürchten. 'S ist ein Prahler,
Der gern sich brüsten mag. Und was ein Brite
Imstand zu leisten ist, das, mein' ich, leisten
Wohl meine Russen doppelt. An die Arbeit!
Die See geht etwas hoch, das ist's, nichts weiter.

Die Matrosen gehn ab. Der Sturm ist stärker geworden.

Gordon Nebst einem Stückchen Schiffbruch allerhöchstens.

Über die Galerie blickend.

Das Meer, der Himmel sind ein kochender Brei,
Und bald im Munde haben wir die Probe.
Das kracht und schäumt! Am hohen Firmament
Zerreißen Blitze fahle Wolkenschichten,
Und durch die Spalten schießt ein gräßlich Licht
Auf diese Klippen, die wie Leichensteine,
Im weiten, nassen Kirchhof starr'n.
[316]
PETER.
Wer sagt dir,
Daß hier ein Kirchhof sei?
GORDON.
's ist eine Phrase.
Vor einer Schlacht, und in dem Sturm nimmt man's
Mit Worten nicht genau. Man spricht was hin,
Die Zeit sich zu vertreiben. Großer Zar,
Die Bucht von Kronstadt wäre wünschenswert,
Denn, unter uns, hier ist's verdammt gefährlich.
PETER.
Wo wäre nicht Gefahr? Und die, mein Gordon,
Aus der man nicht entrinnen kann, scheint mir
Die mindere zu sein. 'S gibt nur ein Unglück,
Und das heißt: Fliehn.
DER STEUERMANN
fällt an seinem Platze auf die Kniee.
O heil'ger Niklas, hilf!
GORDON
ist zum Steuermann getreten.
Goddam! Wir sind verloren!
PETER
besteigt den Platz am Steuerruder, und rückt an letzterem.
Schief gewandt!
So bricht man eine Strömung.

Zum Steuermann.

Sieh jetzo
Auf mich, und lerne, wie man steu'rt. Dein Zar
Wird dieses Schiffes Lenkung übernehmen.
Es ist, ich wiederhol's, kein rechter Sturm,
Sonst würden wir es lassen müssen. Doch
Dagegen kann man noch. Beruh'ge dich!

[317] Der Steuermann erhebt sich, und tritt zum Zaren.

Du fehltest nicht, die fehlten, die zu früh
In dieses Amt dich setzten.
GORDON.
Um und um
Gewirbel, Sandbank, Riff! Der Böse macht
Des Glebof Lüge wahr.
PETER
nach den Masten hinrufend.
Den Bogspriet nieder!
Die Segel ein! Mannschaften an die Pumpen!
Wär' ich der röm'sche Narr, ich spräche: »Schiff,
Du trägst den Cäsar und des Cäsars Glück«. –
Ei nun, ein Zar ist auch noch nie ertrunken.

Donnerschläge.
6. Szene
Sechste Szene
Katharina. Menzikof treten auf. Die Vorigen.

PETER.
Da kommen zwei, die ich nicht hören will.

Zu Gordon.

Schick sie in die Kajüte.
KATHARINA.
Sturm und Not!
Uns schreckt' es nicht. Du zürnst; was ist ein Sturm?
PETER
rückt am Steuer.
Zum Steuermann.
Mit solcher halben Wendung kommt das Schiff
Grad' um den Vorsprung dort.
[318]
STEUERMANN.
Der Zar versteht's!
PETER.
Es sind nur ein paar Handgriffe, mein Sohn,
Die man recht innehaben muß. Und dann,

Er klopft ihm auf die Schulter.

Hübsch Ruh' und kaltes Blut!
MENZIKOF
zu Katharinen.
Sprich! Laß nicht ab!
KATHARINA.
Kein Wort der Liebe, o mein güt'ger Herr?
Wir sind noch Neulinge. Ich hab' gefehlt,
Nur ich, dein schwaches Weib. Dein Menzikof,
Er wär von Moskau nimmer fortgegangen.
Denn bleiben wollt' er, ja, bei Gott, er wollt' es,
Daß er geflohn, ist, ach, mein rasend Werk!
MENZIKOF.
Großmüt'ge Lügen hörst du, Majestät.
Nein, bleiben wollte sie, bei Gott, sie wollt' es,
Und daß wir flohn, ist, ach, mein rasend Werk!
PETER
zum Steuermann.
Hier wallt die See zu stark für unsre Kraft.
Sieh her.

Am Steuer rückend.

Dann stellt man ganz das Steu'r zur Seite,
Den Stoß nicht zu vermehren.
KATHARINA.
Sind wir schon
Gestorben, Menzikof?
[319]
GORDON
zu Katharinen.
Geht, gnäd'ge Frau.

Zu Menzikof.

Fürst, wählt die bessre Stunde. Bei St. Dunstan!
Der Himmel macht ja Lärm genug.
PETER.
Gordon!
GORDON.
Zar!
PETER.
Was verwirken nach des Reichs Gesetz
Statthalter, die vom Posten fliehn?
GORDON.
Das Leben.
PETER.
Es hat sich kürzlich sowas zugetragen.
Vielleicht lass' ich die Schuld'gen ...

Starker Donner.
GORDON.
Herr! Denk' nicht
An dein Gericht. Dies Wetter macht aus uns
In zwei Minuten ein Gericht für Fische.

Ein gewaltiger Donnerschlag. Geschrei vom Mastkorbe und aus dem Innern des Schiffs.
KATHARINA UND MENZIKOF
zugleich.
Wir scheitern!
GORDON
zugleich.
Himmel sei uns Sündern ...
PETER
über den Bord gelehnt, drohend.
Du!!
[320]
STEUERMANN.
Nein Herrn! Nun ist's vorbei. Das war das Letzte.
So kommt es immer.

Der Sturm läßt nach.
GORDON.
Traun, die Luft wird hell.
Ein neues: »Quos ego«!
Ist hier kein Rubens, den Neptun zu malen?
Verdrießlich, gelb vor Ärger, kriecht das Meer
In seine Bucht,
Vom Herrn gescholten, wie ein murr'nder Hund!
PETER
in den Anblick des Meers versunken.
In deinem Grimm, in deiner Milde schön!
Atem der Erde! Mein geliebtes Meer!
Rußland hat wider seinen Arzt und Heiland
Den Schild erhoben, und das Schwert gezückt,
Und Ehr' und Treu' geworfen in den Winkel.
Und das empfandest du. Die Menschen sind
Gemein und bös. Das Element empfand
Die Kränkung seines Herrn.

Zum Steuermann.

Jetzt fahr' du besser.

Er steigt von dem Platze am Steuerruder.

Wir sind vor Kronstadt.

Hinausrufend.

Werft die Anker aus!

Er kommt in den Vordergrund.
KATHARINA.
Es muß gewagt sein.

Sie zieht einen Dolch aus dem Busen.

Gordon, nimm den Dolch!
GORDON.
Besinnt Euch doch, Zariza.
[321]
KATHARINA.
Nimm den Dolch!
Und sage deinem Zar, weil er sein Aug'
Von Katharinen wandte, soll den Dolch
In ihre Brust er stoßen. Sie versteht nicht
Zu leben ohne seine Gunst.
MENZIKOF.
Und ich,
Fürst Menzikof, will gleichfalls sterben, Gordon!
PETER.
Gordon, gib diesen Dolch zurück der Frau,
Und sag der Künstlerin: Zar Peter sei
Kein Bühnenheld und kein Theaterkönig.
Wer Rußlands Freund, sei sein Freund; wie man ihn
Für die Person verehr' und liebe, gelt' ihm
Ganz gleich.

Katharina und Menzikof entfernen sich mit Zeichen der Bestürzung.

Ich geh' nach Moskau. Mich empfängt
Das Land, wie immer, mit Geschäften. Nun,
Was jetzo zu besorgen ist, das denk' ich
Zu enden so, daß nichts dergleichen wieder
Mich je behell'gen soll.
GORDON.
Es ist ein Sprichwort:
Wer hastig jätet, rauft mitsamt dem Unkraut
Die Blumen aus.
PETER.
Gordon, ich hab' nicht Zeit
Zu langem Umschweif, Prüfen und Erwägen.
Ich bin jetzt fünfzig, und durch mein Gebein
Schleicht ein verborgnes Gift. Wie manches gibt
Es noch zu schaffen! Diese Fahrt legt mir
Schon wieder etwas auf. Das Meer ist schlimm.
[322] Leicht scheitert hier ein Schiff. Wir woll'n zurück,
Wenn wir in Moskau unser Werk getan.
Hier muß man Lotsen haben, tücht'ge Lotsen. –
Sobald der Zarewitsch enthauptet ist ...
GORDON
im höchsten Erstaunen.
Sobald der Zarewitsch ...?
PETER
gleichgültig.
Enthauptet ist,
Will ich hier eine Lotsenschul' errichten.

4. Akt

1. Szene
Erste Szene
Zimmer bei Dolgoruki.
Dolgoruki. Ein Adjutant.

DOLGORUKI.
Sind sie im Marsch?
ADJUTANT.
Die Trommel ward gerührt,
Grad, als ich Twer verließ.
DOLGORUKI.
Ist Schepelew
Mir sicher? Hast du ihn erforscht?
ADJUTANT.
Der Oberst
Ist ganz für dich gewonnen, und du darfst,
Ich bin des Bürge, auf ihn zählen. Lachend
[323] Sieht ihn das Glück, das du ihm zeigtest, an.
Auch hält er's für erlaubt, daß du den Zügel
Der Ding' ergreifst, weil du der erste bist,
Der ältste der Bojaren. Pflicht und Vorteil
Vereint, treibt ihn zu dir.
DOLGORUKI.
Das wär' in Ordnung.
Du kennst dein Amt. Wir lassen jetzt Alexis
Ausrufen, krönen in der Kathedrale
Zur Himmelfahrt Maria. Heut zu Nacht
Gibt's Fest und Lustbarkeit. Die Truppen bleiben
In der tartarischen Sloboda. Sprich,
– Wirst du gefragt – gleichgültig von dem Marsch,
Als einer Sach', die sich von selbst versteht;
»Denn eine Garde muß der neue Herr
Doch um sich haben« – Nachts, wenn alles still,
Und seinen Rausch das Volk verschläft, führst du
Das Corps in Moskau ein. Sie werden truppweis
Auf allen Plätzen lagern. Unverweilt
Verhaftst du Glebof, und die andern, die
Von seiner Farbe sind.

Nach einer Pause.

Wenn im Getümmel –
Der Glebof ist ein wilder, hitz'ger Kopf –
Ein Unglück etwa sich mit ihm ereignet ...
ADJUTANT.
Wirst du ergebnen Eifer, Diensttreu, nicht
Zur Untersuchung ziehn.
DOLGORUKI.
Gewiß nicht, Freund.
Mach alles gut. Du schaffst und sorgst für dich.
Du bist das Roß, das mich zu Berge trägt,
Und mit zum Gipfel kommt.

Der Adjutant geht. An der Türe ruft ihn Dolgoruki.

Eberlakof!
[324] Die Zarin wird gebührend ausgezeichnet,
Hörst du? Du gibst ihr eine Ehrenwache,
Sobald der Morgen graut.
ADJUTANT.
Wie du befiehlst.

Ab.
2. Szene
Zweite Szene
DOLGORUKI
allein.
Wir wollen nichts tun, was die Meinung schwächt
Von unsrer Redlichkeit. Die Zarin ist
Ein nützlich Werkzeug, wird uns angehören,
Wenn wir von ihrem Leid mit ihr zu reden
Beständig willig sind, und tun, als ob
Dies große Trau'rspiel heiß': Eudoxias Rache. –
Voreilig scheint mein Handeln, doch es ist
Erwogne Weisheit. Wie der Augenblick
Dem Augenblicke folgt, so folgt dem Ansehn
Vergessenheit. Der Menschen Urteil ist
Ein blindgebornes Kind. Man haßt den Glebof,
Und doch ist er der Held des Volks, der Edlen.
In Strömen leitet er die Macht, das Wirken
Zu seiner Schwell', und läßt uns kaum ein Bächlein
Von Einfluß. Alles sieht auf ihn, und wir
Stehn halbverwittert schon in seinem Schatten.
Ich hab' gefehlt. Der seichte Alexander
Gab guten Rat. Wir sollten überhaupt
Mehr von der Dinge Oberfläche halten,
Wir gingen sicherer, als wenn wir mühsam
Nach ihrem Kerne grübeln. Welch ein Schicksal,
Daß des Verstandes Aug' weitsichtig ist,
Und für die Nähe stumpf! – Kaum hab' ich Zeit,
Den Fehler zu verbessern.
3. Szene
[325] Dritte Szene
Glebof tritt heftig ein. Dolgoruki.

GLEBOF.
Ist er hier?
Da ist er ja. Geh, du bist falsch, Basil!
DOLGORUKI.
Du stehst in meinem Hause, Stephan Glebof,
Und nicht in deinem.
GLEBOF.
Gebt mir einen Feind,
Der offnen Tod ins Angesicht mir schleudert!
Doch du bist falsch, Basil, falsch wie die Hölle.
DOLGORUKI.
Ich bin so wahr, wie Glebof.
GLEBOF.
Wer befahl,
Daß Truppen kommen soll'n von Twer?
DOLGORUKI.
Nun – ich.
GLEBOF.
Preobraschinsky Grenadiere?
DOLGORUKI.
Ja doch.
GLEBOF.
Gib Contre-Ordre.
DOLGORUKI.
Geh, was ficht dich an?
[326]
GLEBOF.
Gib Contre-Ordre, sag' ich.
DOLGORUKI.
Nur ein Weib
Befiehlt und widerruft gedankenlos.
Du kennst die Weiber, Glebof, doch du kennst
Den Dolgoruki nicht.
GLEBOF.
Gib schleunigst Contre-Ordre!
Zieh diese Truppen nicht herbei, umgarne
Uns nicht mit diesem Netz von Erz! Ich hab'
Die meinen weit hinweggeschickt.
DOLGORUKI.
So hört ich.
Was Glebof tut mit seinen Regimentern,
Hat Dolgoruki nicht zu schelten. Gleiches
Verlang' ich von dem Glebof. Schon beginnt
Die Anarchie ihr häßlich Haupt zu schütteln.
Der Pöbel plünderte. Ein paar Betrüger
Sind aufgetreten, schreind: »Noch lebt Zar Peter!«
Wie leicht, daß Aufruhr, Wirren und Gewalt
Die Zeit als Schaum auf ihren Wogen wälzt.
Es braucht bewehrter Faust, die Ruhe Rußlands
In solchem Drang zu schützen.
GLEBOF.
Gut, schon gut.
Ich schau in deine Brust, als trüg' sie Fenster.
Nicht um die Ruhe Rußlands kommen, Freund,
Die Regimenter.
DOLGORUKI.
Ich versteh' dich nicht.
GLEBOF.
Pflegt man zu sagen, wenn man nur zu sehr
Den anderen versteht. Seltsam, daß du
Mich für entbehrlich halten kannst!
[327]
DOLGORUKI.
Ich mag
Nicht länger diese Rätselsprüche hören.
Kurz, ich gab Ordre, und es bleibt dabei,
Denn es sind meine Truppen.
GLEBOF.
Bis wie lang?
DOLGORUKI.
Wie?
GLEBOF.
Bis wie lang? Maschin' ist der Soldat,
Sein Herz ist von der Farbe seines Rockes. –
Wenn Er erschiene, Dolgoruki, plötzlich,
Dem Blitz gleich, wie er pflegt ...
DOLGORUKI.
Er? Wer?
GLEBOF.
Basil! –
Du zwingst mich ... Ei ja wohl! Ihr habt die Mär
Des Schiffers auch geglaubt ... Wie klang sie doch?

Dolgoruki wendet sich verlegen ab.

Die andern? Kann wohl sein. Die Masse? Ja.
Doch Ihr? 'Ne Schiffersage ist ja eben
Kein Evangelium. – Nehmt Euch in Zukunft
Vor Schelmerei in acht. Vertraun zahlt Buße.
Basil, ich sah die Menschen vierzig Jahr,
Ich bin zu alt für Täuschung. 'S ist nicht gut,
Der Sache Blöße also aufzudecken.
Ohn' Wort hofft' ich mich zu verstehn mit Euch. –
Wenn er erschiene, Dolgoruki! Graut
Dir nicht bei dem Gedanken? Oft und vielmals
Ist er gekommen, ehe wir's gedacht.
Das Meer ist seine Magd; der Länder Weiten
Sind ihm ein Nichts. – Und kam' er nun, und fände
Das Messer auf dem Wege, das wir hirnlos
Ihm selber blank und scharf da hingelegt!
[328] Jetzt mög' er kommen. Hier ist's leer. Die Handvoll,
Dir mir ergeben ist, verblieb. Vom Norden
Ist alles fort nach Mecklenburg. Er steht
Allein, wagt er hieher zu gehn. Ich habe
Ein paar Strelitzen, die vom großen Blutbad
Noch übrig waren, unters Volk gestreut;
Die Bauern ringsumher sind aufgeboten.
Wir haben Schutz, zum mindsten nicht Gefahr.
Schick diese Truppen, Dolgoruki, weg,
Schick sie nach Woronesch!
DOLGORUKI.
Es soll geschehn;
Du hast mich überzeugt.
GLEBOF.
So führte dies Gespräch denn doch zum Zweck.
Leb wohl.
DOLGORUKI.
Wohin?
GLEBOF.
Nach Haus. Ein Berg von Arbeit
Liegt mir daheim. Zu mir kommt jeder. Niemand
Weiß hierzuland sich ohne Herrn zu helfen,
Und ich soll alles ordnen. Fast erdrückt mich's.
DOLGORUKI.
Willst du nicht in den Dom?
GLEBOF.
Entschuldigt mich.
Sagt, daß ich unpaß sei. Ich kann die Luft
In Kirchen nicht vertragen. Auf mein Wort:
Sie macht mir Schwindel, Herzweh und Beklemmung!
Kam ich zufällig in ein Gotteshaus,
Meint' ich vor Qualen zu vergehn. Mein Busen
Zerbrach an einem moderschwülen Elend. –
[329] Ich bitt' Euch, macht für mich die Zeremonie
Anständig mit.

Er geht.
DOLGORUKI
allein.
Ich hab' mein Leben nicht
Um Zeremonien gewagt; im Krönungsbild
Als lächelnd-gähnender Statist zu stehn.
Heut abend, Glebof, soll'n die Bajonette
Des Dolgoruki eine Fei'r beginnen,
Die dir noch weniger gefallen wird.
4. Szene
Vierte Szene
Erzbischof von Rostow. Dolgoruki.

DOLGORUKI.
Wie Herr? Nicht im Ornat? Nicht in der Kirche?
ERZBISCHOF.
Die Prachtgewand' und Weihrauchfässer sind
Zur Sakristei zurückgelangt.
DOLGORUKI.
Ihr scherzt.
Soeben woll't ich kommen.
ERZBISCHOF.
Bleibt zu Haus.
Das kann uns all' verderben!
DOLGORUKI.
Was denn, Herr?
ERZBISCHOF.
Die Nische unterm Baldachine ist
Des Löwen Höhle. Niemand wagt sich hin,
[330] Wenn auch der Löwe starb. Das Volk wird stutzig,
Rußland ist nicht der Leib, der seinen Kopf
Lang missen kann. Ich sag' Euch: Dieser Umstand
Ist äußerst schlimm.
DOLGORUKI.
Sprecht klarer, Dosithei.
ERZBISCHOF.
Er weigert sich.
DOLGORUKI.
Wer?
ERZBISCHOF.
Ei, der Zarewitsch.
So wißt Ihr's nicht?
DOLGORUKI.
Nein! Weigert? Wessen weigert
Der Jüngling sich?
ERZBISCHOF.
Den Willen uns zu tun.
DOLGORUKI.
Wo lebt der Mensch, der eine Krone haßt?
Ist's möglich, Dosithei? Weigert sich?
Warum?
ERZBISCHOF.
Man hätt' den Schein der Unterwerfung
Mehr wahren sollen. Ich riet stets dazu.
Es gibt Gemüter, deren Wachen Traum,
Und deren Träume, tönt des Rufers Wort,
In des Erweckten Wort und Tat sich spiegeln.
Wir irrten uns in diesem Knaben. Was
Uns Blödigkeit und weicher Sinn geschienen,
Wirft nun die Larve ab. Sprecht selbst mit ihm,
Versucht, ob Ihr ihm was erwidern könnt.
Ja, diese Romanows! Ein Spitzkopf war
Ihr Ahnherr; faltig sind der Enkel Seelen.
[331]
DOLGORUKI.
Ein böser Streich!
ERZBISCHOF.
Und Kikin ist entflohn. –
DOLGORUKI.
Entflohn? Weshalb?
ERZBISCHOF.
Ich mag davon nicht sprechen.
'Ne Nachricht ward ihm, die ihn blaß gemacht.

Nach einer Pause.

Wir wissen, Dolgoruki, was zu fürchten ...
Hör meinen Rat. Noch können wir uns retten.
So wie die Sachen stehn, läßt alles sich
Auf Glebof werfen. Bergen wir uns zeitig!
DOLGORUKI.
Das ist dein Rat; er duftet nach der Zelle.
Für Dolgoruki ist die rechte Zeit,
Wenn rauh durch blut'ge Stürme rast die Zeit.
ERZBISCHOF.
Ihr seid ein Mann des Kriegs. Ich geh nach Rostow.
Die Zukunft hab' ich nur vorher verkündet,
Sei's, wie es sei! Ich bin geborgen, hoff' ich.
Wer straft um Weissagungen einen Heil'gen?

Ab.
DOLGORUKI
allein.
Der Boden unsres Unternehmens schwankt,
Von Schrecken aufgewühlt. Dosithei fort,
Und Alexander fort! –
Die Wendung sieht
Bedenklich aus. – Mitnichten, 's ist ein Glück!
Folgt' ihnen Lapuchin! Wer sind die beiden?
Ein Tollkopf wen'ger, ist 'ne Hoffnung mehr;
»Mit Priestern teilt der Teufel sich zum Nachteil«
[332] Sagt unsrer Väter Spruch. Sei froh mein Herz!
Das Feld wird immer lichter. Nur noch Glebof.
In einen Zweikampf löst die Schlacht sich auf,
Und ich hab' wackre Sekundanten. – Jetzt
Zum Kreml! Wir woll'n versuchen, ob der Knabe
Nicht wird zu zwingen sein.

Er geht ab.
5. Szene
Fünfte Szene
Gegend unweit Moskau. Nacht.
Ein Haufen Bewaffneter Bauern um ein Feuer gelagert.

EINER.
Wenn wir den Zar nur hier hätten.
ZWEITER.
Spießen wollt' ich ihn.
DRITTER.
Ich wollte ihn köpfen.
VIERTER.
Ich würfe ihn ins Feuer.
FÜNFTER.
Ich vierteilte ihn am liebsten.

Zu einem sechsten.

Was würdest du mit ihm machen, Hendrik?
SECHSTER.
Ei, er sollte für mich den Acker meines gnädigen Herrn baun.
[333]
ERSTER.
Aber es ist doch gut, daß er schon tot ist.
DIE ANDERN.
Warum?
ERSTER.
Wenn er so auf einmal lebendig um die Fichtenecke träte ...
ZWEITER.
Zwei Männer. Wer da?
6. Szene
Sechste Szene
Zar Peter im Mantel. Gordon. Die Bauern.

DIE BAUERN.
Wer da? Sprecht, oder wir hauen zu.
PETER.
Freunde Rußlands.
ERSTER BAUER.
Wenn das ist, so trinkt mit uns einen Schluck.
PETER.
Wir nehmen's an.

Er setzt sich mit Gordon an das Feuer, etwas gesondert von den Bauern.
Zu Gordon.

Dies ist ein Meuterhaufen;
Wahnblödes, armes, irrgeführtes Volk.
Die schick' ich nun vorerst nach Hause.
GORDON.
Herr,
Wenn sie nur gehn.
[334]
PETER.
Sie tun's. Ich kenn' das Volk.

Laut zu den Bauern.

Landsleute, warum sind eurer so viele um das Feuer versammelt?
ERSTER.
Da ihr Russen seid, müßt ihr's wissen.
PETER.
Wir kommen aus der Fremde.
ERSTER.
Es hat sich eine Veränderung begeben in Moskau.
ZWEITER BAUER.
Der alte Wüterich ist gestorben und verdorben.
DRITTER.
Und unsre Hoffnung, unser Leben, der Zarewitsch soll nun regieren.
VIERTER.
Und darum sind wir zusammen.
FÜNFTER.
Und den wollen wir emporhalten gegen den Blutsauger, den Menzikof.
SECHSTER.
Nämlich, weil unsre gnädigen Herrn es uns befohlen haben.
PETER.
Habt ihr den alten Zaren gekannt?
ALLE.
Nein.
PETER.
Warum nennt ihr ihn einen Wüterich?
[335]
ERSTER.
Weil er uns nicht eine Stunde Ruhe gönnte.
ZWEITER.
Weil er unsre Söhne vom Schweden totschießen ließ.
DRITTER.
Weil wir seine neue Stadt bauen mußten, und uns das Fieber dort aus den Sümpfen holten.
VIERTER.
Weil er uns auf die Schiffe führte, auf die leidige See.
FÜNFTER.

Weil er alles um und um kehrte, und die Zeit sogar verrückt hat, daß man nicht mehr weiß, wie man mit Gott und den lieben Heiligen dran ist.

SECHSTER.
Weil unsre gnädigen Herrn sagen, er tauge ganz und gar nichts.
PETER.

Das sind schwere und harte Beschuldigungen. Ich will den Zaren nicht verteidigen. Er gönnte euch keine Ruhe? – Er gönnte sie sich selber noch weniger. Er hat sein Brot gegessen im Schweiße seines Antlitzes.

ERSTER.

Er hatte gut schwitzen! Er tat's, weil er Vergnügen dran fand; wir armen Bauern schwitzen, wir mochten wollen oder nicht.

PETER.

Er ließ eure Söhne vom Schweden totschießen? – Der Schwede trotzte und prahlte an der Grenze. Da dachte der Zar, das dürfe ein Russe nicht leiden.

[336]
ZWEITER.

Ist hier die Grenze? Sind wir für die Grenze da? Wir haben nichts vom Trotzen und Prahlen des Schweden gespürt.

PETER.

Ihr mußtet seine neue Stadt baun? Sie soll schön werden, diese neue Stadt. Er meinte, euer Land sei es wert, die schönste Stadt auf der Erde zu haben.

DRITTER.
Wer am Fieber verreckt, sieht die neue Stadt nicht fertig.
PETER.
Auf die Schiffe führte er euch? – Kinder, habt ihr das Meer, so besitzt ihr die Welt.
VIERTER.

Was sollen wir mit der Welt. Wir sind Russen. Unser Land ist das schönste auf der Welt, wir brauchen das übrige nicht.

GORDON.
Dennoch freßt ihr bloß Grütze.
ALLE.
Willst du ein Freund Rußlands sein? Und sprichst so? Die Grütze ist die erste Kost auf der Welt!
PETER.

Alles soll er umgekehrt haben? Das ist nicht wahr. Aber vieles stand auf dem Kopfe. Die Zeit hat er geändert und den Kalender. Ihr zählt von der Ernte euer Jahr; er dachte, es sei dem Menschen wohlanständiger, seine Tage zu rechnen nach dem Wandel der Lichter am Himmel, als nach dem Wachsen des Krautes auf der Erde.

ALLE.
Das verstehn wir nicht.
[337]
PETER.
Sein ganzes Leben war ein Dienst für euch,
Trug dieser Dienst ihm euren Fluch nur ein,
So ist sein Leben unnütz.

Er steht auf und wirft den Mantel zurück.

Seht ihn vor Euch!
Wer tötet ihn?
DIE BAUERN
sich tumultuarisch erhebend.
Der Zar! Der Zar! Er ist's!
Wir sind gehangen!

Sie werfen sich auf die Knie.

Gnade! Gnade! Batuschka!
PETER.
Das Feu'r brennt trüb'; ich kenn eu'r Antlitz nicht.
Die Rache schleicht nur um das Haupt der Fürsten;
Euch kenn' ich nicht. – Wer morgen Warfen trägt,
Stirbt übermorgen früh. Geht, arme Toren!
Müht ihr an eurer Scholl' euch ab, so denkt,
Daß ich noch härtern Acker bauen muß.
O, wenn wir rechneten, so stände wohl
Die Summe eurer Freuden höher. Geht!

Die Bauern ab.
7. Szene
Siebente Szene
Zar Peter. Gordon.
Der Zar sieht starr vor sich hin.

GORDON
betrachtet den Zar mit gekreuzten Armen.

Nach einer Pause. Deine Feinde sind Schwachköpfe. Man müßte ein Volk gegen dich Einzelnen führen und dann stände der Kampf immer noch zweifelhaft. Deine Feinde sind erbärmliche Schwachköpfe. [338] Sie meinen, dich durch Verschwörungen erdrücken zu können. Das ist, als wenn man den Kaukasus mit der Hand versetzen wollte.


Peter schweigt.

Ist der Zar traurig?
PETER.
Ein König der Bestien zu sein! – O Gordon! – –
GORDON.
Du richtest doch nur mit Bestien etwas aus.
PETER.

Wenn alles eine Torheit gewesen wäre! Alles umsonst! Warum mich unter diese werfen, du eigensinnige Macht? Gordon, man könnte darüber verzweifeln.

GORDON.
Wir müssen doch vorwärts.
PETER.
Richtig. Wir müssen. Und andre müssen mit! Es ist ein Schicksal. – Gordon!
GORDON.
Herr?
PETER.
Glaubst du, daß ein einziger Mensch es von Herzen mit mir meint?
GORDON.
Meinst du mit einem einzigen Menschen es von Herzen?
PETER.
Eine Frage, die treffend antwortet. Auch du nicht, Gordon?
GORDON.

Ich bin ein Schotte. Der Schotte geht nach Geld. Du gibst mir Geld, und ich liebe dein Antlitz auf deinen Münzen.

[339]
PETER
gibt ihm die Hand.

So hab' ich's gern. Gordon, es heuchelt mir alles. Ich bin dessen satt, bis in meine Eingeweide satt! –

GORDON.

Nun, jene Natur-Philosophen heuchelten dir ja auch nicht. Es war ein Parlament aus dem Stegreife. Doch horch! Ich höre Schritte. Und wie ich bei dem Scheine dieser Notfackel wahrnehme ...


Er stößt einen brennenden Pfahl aufrecht in den Boden.

ist es der Fürst. Du hast ihn nach Moskau vorausgesendet? Eine witzige Strafe.
PETER.
Er taugt zum Spionieren.
GORDON.

Er macht Schritte, wie der große Christoph. Seinen Jubel hättest du hören sollen, Zar, als er deine Vergebung erlangt hatte. Kein Hund, der nach empfangnen Prügeln wieder apportieren darf, kann sich aufrichtiger freun.

PETER.
Er hat was Hündisches in seiner Seele,
Doch ist er wohl zu brauchen. Ihm zuliebe
Zeig' ich bisweilen ihm ein finstres Antlitz.
Dann schlägt er seiner Sünden Liste auf,
Und dient, solang der Schreck dau'rt, wieder gut.
8. Szene
[340] Achte Szene
Menzikof. Die Vorigen.

MENZIKOF.
Heil unsrem Zar!
PETER.
Dank, Menzikof. Wie steht's
In Moskau?
MENZIKOF
in Eifer.
Mich hat Gott beschützt! Ich weiß,
Daß ich dir lang noch werde nützlich sein.
Mit seiner Engel Flügeln deckt' er mich
Auf meinem Weg zu meinem Haus. Vorm Auge
Der Feinde ging ich, und sie sahn mich nicht.
PETER.
Von Moskau will ich wissen, nicht von dir
Und deiner Todesangst! Ich glaub', ich bin
Der einzige, der nicht an sich denkt.
MENZIKOF.
Moskau
Ist leer von Truppen.
PETER.
Was?
MENZIKOF.
Die Semenowschen
Hat Glebof fortgeschickt nach Astrachan.
GORDON.
Der zeigt Verstand.
PETER.
Die Semenowschen fort!
Auf diese Truppen rechnet' ich. Das Reich
Ist bar und bloß. Das hat mich überrascht.
[341] Sonst pflegen sich Empörer mit der Macht
Der Waffen zu umgeben; darauf baut' ich,
Denn die Armee ist mein. Sei's drum! Ich geh'
Nach Moskau doch.
GORDON UND MENZIKOF.
Allein willst Du? ...
PETER.
Allein?
Ich geh' nach Moskau in Gesellschaft von
Poltawa, Liesna, Wiborg, Tweremünde!
Ins Kloster mit dem Zar, der zaudern kann,
Wenn er gehört, daß freche Untertanen
Am Throne rütteln! öffnet mir die Adern!
Mein Blut ist weißer Gischt geworden, will
Gen Himmel spritzen! Luft! Mich tötet's noch!
Nicht eine Nacht verschieb' ich's.
MENZIKOF.
Herr, geh nicht.
Versammelt sind im Kreml die Aufrührer,
Ihr Anhang wacht, ist stark. Das Volk zieht lärmend:
»Es leb' Alexis!« rufend, durch die Gassen.
Du stürzest dich in den gewissen Tod!
PETER.
Kann sein, doch glaub' ich's nicht. Mit meiner Faust,
Steht mir auch niemand bei, töt' ich die Hydra.
's mag tollkühn scheinen, ist es aber nicht.

Trommeln hinter der Szene. Gleich darauf Kommando und Rasseln der Gewehre.
9. Szene
[342] Neunte Szene
Oberst Schepelew. Offiziere. Vorige.

SCHEPELEW
zu seinen Offizieren.
Dort glänzen Moskaus Lichter. – Noch einmal:
Tut für Alexis nur die Hälfte dessen,
Was ihr für Petern tatet, dann sind wir
Die ersten Leute Rußlands. Dolgoruki
Hat beide Taschen voll von Stell'n und Orden.
PETER.
Hier kommen ja die Arme, die mir helfen.
GORDON.
'S ist Schepelew.
MENZIKOF.
Im Sold des Dolgoruki.
Die Garnison von Twer ist auf dem Marsch,
Verführt, bestochen, ins Komplott gezogen.
Herr, rette dich.
PETER.
Das will ich.

Er tritt auf Schepelew und die Offiziere zu.

Guten Abend
Kam'raden!
MENZIKOF.
Schwärmt er?
SCHEPELEW.
Wer begrüßt mich da?

Er erkennt den Zar und fährt zurück.

Alle gute Geister!
PETER
lächelnd.
Laß die Geister ruhn!
[343] Noch sprach ich nicht mit Alexander Newski,
Iwan Wasiliewitsch und Wladimir.
Man hat mich totgesagt, ich bin lebendig.
Ein Mißverständnis! Nun, das fügt sich wohl
Bei weiten Land- und Meeresfahrten. Oberst,
Habt Ihr die Truppen bei Euch?
SCHEPELEW.
Ha! Mein Gott ...
Welch ein Ereignis!

Zu den Offizieren.

Meine Herrn ... Was ist ...
Was ist dabei zu machen? Ratet mir.
PETER.
Ob Ihr die Truppen bei Euch habt? ... Herr Oberst,
Red' ich nicht laut genug?
SCHEPELEW.
Ob ich die Truppen ...
Zu Gnaden ... Nein ... Ei wie – wie sollt' ich nur ...
Ich stehe ja in Twer ... Indessen aber –
Ja freilich ... freilich ... Sozusagen, hab' ich
Die Truppen hier ... von Twer, drei Regimenter.
PETER.
Ihr seid ein wackrer Mann, der auf die Stunde
Erscheint, wenn man ihn braucht. Wir werden Eurer
Bei paßlicher Gelegenheit gedenken.
Gordon!
GORDON.
Mein Zar?
PETER.
Du nimmst die Grenadiere,
Besetzst des Kremlins innerste Gemächer.
Wann kannst du dort sein?
[344]
GORDON.
Schlag zwölf Uhr, mein Fürst.
PETER.
Punkt zwölf bin ich im Kreml. Laß mich nicht warten!
Du ziehst die Straß', ich reite auf dem Fußsteig.
Geheim schleichst du dich ein. Es soll kein Lärm
Die Zahl der Schuld'gen mehren. – Ans Geschäft!
GORDON
geht zu Schepelew.
Oberst, laßt Aufbruch trommeln.
SCHEPELEW.
Selbst befehl es! –

Er tritt zum Zaren.

Ich bin nicht würdig dessen mehr. Hier ist
Mein Degen, Majestät. Ich kam in andrer,
In schlimmer Absicht her.
PETER.
Behalt't den Degen!
Die Absicht gilt mir gleich, wenn Ihr gehorcht.
Gehorcht dem Oberst Gordon.
GORDON.
Kommt mit mir!
Der Himmel wechselt schnell bei Wind und Wetter;
Wollt Ihr beständ'ger sein? Marschieren wir,
Ihr notgedrungner Vaterlandserretter!

Gordon, Schepelew, die Offiziere ab. Gleich darauf hinter der Szene Trommeln, deren Schall sich nach und nach entfernt.
10. Szene
[345] Zehnte Szene
Zar Peter. Menzikof.

PETER.
Wer sind die Hochverräter?
MENZIKOF
ein Papier hervorziehend.
Das Verzeichnis
Nennt Eurer Majestät die Feinde.
PETER.
Gib.

Er geht mit dem Papiere zum Feuer.

Bei diesem trüben Schein will ich das Werk
Der Finsternis betrachten. –
Viele Namen!
»Glebof, Eudoxia, Lapuchin, Dosithei«,
Die kenn' ich freilich. »Dolgoruki«? Schade!
Ein guter Name. »Kikin«. – Kikin? Welcher
Von beiden ist's?
MENZIKOF.
Der Alexander Kikin.
PETER.
Dem schenkt' ich einst das Leben, als er mir,
Dem Schlummernden, mit Mörderhand genaht.
Er drückte auf mich ab, und es versagte;
Zu Füßen sank er mir, und zitternd rief er:
»Ich bin von Gott gesendet, dir zu melden,
Daß keine Bosheit dich zerstören kann;
Nimm hin mein Haupt, es ist an dir verwirkt.«
Und ich versetzte drauf: »Gesandte sind straflos,
Der Gott, dem ich vertrau', vergebe dir!«
Und jetzo wieder? Gut, sein Wort von damals
Soll gelten.
[346]
MENZIKOF.
Er entfloh, und Dosithei,
Der Erzbischof. Doch weiß ich den Versteck.
PETER.
Man wird sie holen.
MENZIKOF.
Ist bereits geschehn.
PETER.
Sie alle müssen fallen diese Nacht.
Du wirst das einzurichten wissen.
MENZIKOF.
Ja.
PETER
wieder lesend.
Noch immer Namen?

Er nimmt eine Kohle auf.

Du! Was halt' ich hier?
MENZIKOF.
Ne Kohle, die erloschen ist.
PETER.
So lischt
Dein Leben, Menzikof, ertapp' ich dich auf Trug!
Denk dran, du hast nichts Böses je getan,
Das ich nicht gleich erfahren hätt'. – Herr Fürst,
Ist diese Liste richtig?
MENZIKOF.
Ja, beim Himmel!
Ich lüge diesmal nicht.
PETER.
Sehr wohl gesprochen.
So glaub' ich diesmal dir. –
[347] Fürst Menzikof:
Der Zarewitsch fehlt noch in dem Verzeichnis.
MENZIKOF.
Er ist dein Sohn.
PETER.
Das spricht die Schlauheit, nicht
Ein menschliches Gefühl. Ging' es nach dir,
Läg' er erschossen.

Menzikof erschrickt.

Fürchte nichts. Es wär'
Vielleicht so besser, und erspart wär' uns,
Was aussieht wie Verlegenheit. Gib mir
Den Bleistift!

Menzikof reicht ihm das Verlangte.

So: Alexis Petrowitsch.
Du bist ein Name, gleich den andern. Jetzt
Ist das Verzeichnis fertig. Nun zu Roß.

Beide ab.

5. Akt

1. Szene
Erste Szene
Nacht. Zimmer im Kreml.
Eudoxia in prächtiger weltlicher Kleidung, sitzend. Ihr gegenüber steht Alexis, Dolgoruki, Lapuchin, viele Bojaren reich gekleidet, zwischen beiden gruppiert.

DOLGORUKI
zu Alexis.
Das Volk verlangt den Herrn.
[348]
ALEXIS.
Es ist nicht wahr.
Das Volk sitzt ruhig an dem eignen Herd,
Bezahlt Gesindel lärmt um den Palast,
Doch Ihr verlangt den Schattenkönig.
DOLGORUKI.
Prinz,
Ihr sprecht zu einem Fürsten.
ALEXIS.
Fürst, du sprichst
Zu einem Prinzen.
LAPUCHIN
nähert sich.
Laßt mich; ich beweg' ihn.
Er wird das Wort des Oheims achten. Neffe,
Eu'r Widerstand ist, wie der Regenbogen,
Schön anzusehn. Doch untersucht man den
Genauer, trifft man nur ein trübes Wasser.
So stammt Eu'r Zaudern aus verzagtem Sinn;
Ihr fühlt Euch jung, schwach, fähig nicht, unwürdig
Des Euch bestimmten Loses. Das klingt fein,
Ist aber nur das buntgefärbte Kleid
Der Herzensmattigkeit. Was die Bojaren
Euch zu vertrauen wagen, wagt getrost
Und kühnlich zu ergreifen.
ALEXIS.
Lieber Oheim,
Mir können die Bojaren nichts vertraun,
Das ich nicht ohne sie besitze. Greis,
Kehrt heim auf Eure Güter.
LAPUCHIN.
Höhnest du
Der Mutter Bruder?
[349]
EUDOXIA
steht auf.
Gehn wir!
ALEXIS.
Mutter, geh nicht!
EUDOXIA.
Nach Susdal, wo die Felsen, groß und stolz
Gen Himmel sehn.
ALEXIS.
Der Schmerz verwirrt dich, Mutter.
EUDOXIA.
's gibt freilich Seelen, die kein Unrecht kränkt.
ALEXIS.
Und Mächte gibt es, die dem Grolle groll'n.
EUDOXIA.
Bist du der Lehrer deiner Mutter? Wardst
Berufen du, ihr Weisheit vorzupred'gen?
Ist dieser Mensch mein Sohn?
ALEXIS.
Daß du so hart
Mit deinem Kinde sprichst!
EUDOXIA.
Nenn' dich nicht so,
Wenn ich in dir nicht meinen Mut gezeugt!
Seid Ihr ein Prinz?
ALEXIS.
Den seine Mutter schilt.
EUDOXIA.
Verachtet und verwünscht.
[350]
ALEXIS.
O Gott! Wie rauh!
Verwünscht mich nicht! Ihr habt nur einen Sohn,
Wer liebt Euch, schwind' ich hin an Eurem Zorn?
Ich brauche Segen, meine teure Mutter.
EUDOXIA.
Wenn du mich liebst, wenn du mich ehrst und fürchtest,
Wie recht, und wie geboten steht von Gott,
Gehorche mir!
ALEXIS.
Gar gern.
EUDOXIA.
Sei Rußlands Zar!
ALEXIS.
Das kann ich, darf ich, will ich nicht, o Mutter!
DIE BOJAREN.
Er darf nicht?
DOLGORUKI.
... will nicht. Es ist Eigensinn.
ALEXIS.
Ich war einst strafbar und des Landes Feind.
Ich werd' es nimmer wieder; denn ich weiß,
Daß von der Sünde schwere Träume kommen.
Rußland ist mein! Und die Entsagung, die
Zum Lohn für heiße Reue, mir Bedrängten
Unmenschlichkeit entrungen hat, sie soll,
Ich schwör's, an dem gesetzten Tag, mich nicht
Von meinem angestammten Recht entfernen.
In seine Hütten jag' ich, meine Mutter,
Den eingedrungnen fremden Pöbel! Traun,
Ich bin nicht hochgeartet. Engen Sinns,
Seh' ich in meines Vaters Taten nur
Ein ungeheures, ödes Possenspiel!
Denn dich verstieß er ohne Grund, und mich
Hat er gepeinigt ohne Grund ...
[351]
EUDOXIA.
O herrlich!
So sprichst du wahr. So fahre fort! Nun ende
Den würd'gen Spruch mit würdiger Entschließung!
Ich wußt' es ja, die edle Glut, nicht immer
Könnt' sie in tauber Asche ruhn ...
ALEXIS.
Du irrst.
Wollt' ich Verbrechen üben, übt' ich sie
Auf eigne Hand.
EUDOXIA.
Verbrechen?
ALEXIS.
Doch die Schleuder
In eines andern Faust zu sein, die nach
Des Schleudrers Ziel den frevelhaften Wurf tut;
Ball, Spieler nicht ... Pfui, über solche Schmach!
DIE BOJAREN.
Ihr redet dunkel.
EUDOXIA
verwirrt zu Alexis.
Schweig!
ALEXIS.
Ich bin vom Markt
Der menschlichen Geschäfte fern, ein Kranker,
Zu diesen letzten Tagen auf gewelkt!
Und deshalb glauben sie, Alexis sei
Ein Tauber und ein Blinder. Ich bin's nicht.
Der Helfer wird dem Unglück mitgezeugt.
Er heißt der Zweifel. – Falschheit – lernt' ich sonst
Auch wenig nur, hab' ich erkennen lernen! –
Denn ich sah Menzikof an jedem Tag
Durch zehn verfluchte Jahre.
[352]
LAPUCHIN.
Was soll das?
ALEXIS
zu Eudoxien.
In meine Kluft dringt deine Stimme; Sonnhell
Winkt mir in deiner Hand das höchste Glück.
Da dacht' ich einen Augenblick: Es ist so.
Nur einen Augenblick! Im nächsten rief
Der herbe Helfer: Tor und wieder Tor!
Sieh deine Menzikofs verdoppelt, sieh
Sie dreifach, vierfach!

Gemurmel unter den Bojaren.
DOLGORUKI.
Rußlands Adel ist
An eines Knaben Schmähung nicht gewöhnt.
Wir haben's so beschlossen, wir! Du wirst
Zur höchsten Stelle sitzen. Du gehörst
Nicht dir, nicht deinen Grillen. Du gehörst
Uns, und dem Land. Dein Geist, dein Leib, dein Sinn,
Und was du hast und bist, ist alles unser.
Wenn du nicht willst, so sollst du woll'n, Alexis!
ALEXIS.
Du bist ein Mensch, der mit gefäll'ger Tünche
Die Rohheit des Gemütes überzog.
Fein, höflich, unterwürfig, dienstgewandt;
Frech, aufgeblasen, rauh, gemein und wild.
Um deinesgleichen ist der Russen Name
Verachtet in der Fremde. – Soll'n und Woll'n?
Das Sollen ist an Euch, das Wolln an mir.
Ich bin Eu'r Fürst, beliebt's mir, es zu sein;
Nicht eine Stunde früher. – Mutter, du
Bist rein; ich schwör' auf deine liebe Seele!
Euch andern sag' ich: »Geht!« – Ich will allein sein.
Zerrissen ist der Bund! Ich scheid' auf ewig
Mein Recht von Eurem Unrecht!
2. Szene
[353] Zweite Szene
Glebof. Die Vorigen. Die Flügeltüre bleibt hinter Glebof offen.

GLEBOF.
Prinz Alexis,
Ich komm' als Bot' und Herold hohen Gastes.
Die Galerie hinunterblickend sah ich
Bekannte Zug' und ein gewaltig Haupt:
Gleich wird der Zar hier sein.
ALLE
entsetzt.
Ha!
LAPUCHIN.
Ich bin schuldlos!
DOLGORUKI.
Ich bin verloren!
ALEXIS
zu Glebof.
Du erschreckst mich nicht.
Ich wußt' es längst; die Ersten dieses Landes
Sind Schelm' und Buben worden!
EINIGE BOJAREN.
Flieht! Flieht! Flieht!
ANDRE.
Wohin? Hier ist kein Ausgang.
EIN BOJAR
nach der offnen Türe blickend.
Weh uns! Weh!
Er kommt! Er naht! Mit weiten, weiten Schritten
Dringt er hieher! Schon hat er uns erblickt!
[354] Nun zählt er seine Opfer! Strahlen schießt
Das große Auge, markversengende!
Löst euch, ihr Mauern des Kremlins! Stürzt ein!
Bergt uns in Schutt!
EUDOXIA.
Bist du ein Mann, Glebof?
GLEBOF.
So sehr, daß ich, vom ersten Schreck genesen,
Mich nun des Zufalls freu'. – Kommt es doch jetzt
Zum Ende vor dem Anfang! – Ich vollbring's.
An meiner Seite trag' ich einen Freund,
Der rasch entscheiden soll.

Alle haben sich nach der Seite gezogen. Eudoxia und Alexis stehn für sich, gesondert von den übrigen.
3. Szene
Dritte Szene
Zar Peter. Die Vorigen.

PETER
rasch eintretend, stutzend, beiseite.
Gordon nicht hier?

Er sieht auf seine Uhr.

Mein alter Fehler, Ungeduld! Was tut's?

Er tritt vor.

Seid mir gegrüßt. Ich kam soeben an,
Und sah die Fenster hell. Gesellschaft! dacht' ich.
Und weil ich noch nicht gar zu müd vom Weg,
Hab' ich gewünscht, mit euch zu Nacht zu speisen,
Wenn ihr's erlaubt.
GLEBOF
nach einer Pause.
Eur' Majestät ist früher,
Als wir erwartet, heimgekehrt.
[355]
PETER.
Ja, Glebof!
Ich blieb in Lübeck nicht, wie dir vielleicht
Berichtet ward; ich sehnte mich nach Hause.
Was macht dein Regiment?

Glebof schweigt.

Ah Dolgoruki!
Ist Eure Gattin wiederhergestellt?

Dolgoruki schweigt.

Habt Ihr 'ne gute Ernte auf den Gütern,
Abraham Lapuchin?

Lapuchin schweigt.

Mich dünkt, ich störte
Des Festes Heiterkeit. Das muß nicht sein.
Der Zar ist hier im Hauskleid, und ein Gast
Gleich andern Gästen. Nehmt es so, ich bitt' Euch.
Wer ist der Wirt? Gewiß der Zarewitsch!
Alexis, gebt Ihr mir wohl einen Trunk?

Alexis spricht mit einem Diener.
EUDOXIA
in der heftigsten Bewegung.
Glebof, dein Freund ist träg!

Allgemeines Schweigen.
PETER
nach Eudoxien blickend.
Drei'n Fragen ward
Die Antwort nicht, die vierte sei beglückter.
Wißt Ihr, ob Schwester Helena noch lebt
In Kloster Susdal?
EUDOXIA
langsam sich ihm nähernd, zitternd vor Grimm.
Ja, nach Eurem Wunsche.
Und weil Ihr gütig für die Arme sorgtet,
So betet sie: »Vergilt zehnfältig ihm
Die mir erwiesne Wohltat!«
[356]
PETER.
Edle Fremde,
Gern hör' ich von Helenens Sinnesmildrung!
Da Ihr Euch weltlich tragt, kennt Ihr die Welt.
Wißt denn: Der Zar hat niemals sie gehaßt;
Sie war ein albern-unbequemes Weib,
Anstatt an Peters Glanz, und Rußlands Ruhm
Genügen sich zu lassen, wollte sie
Von Petern nur den Hausmann. Lang ertrug's
Der Zar geduldig, endlich ward er's müd',
Und da verstieß er sie. –
Nichts mehr von Weibern!

Ein Becher Wein wird ihm gebracht.

Nun, unsern alten Spruch! Und wer ein Russ',
Der ruft ihn Petern nach. – Auf Rußlands Heil!

Er trinkt.
LAPUCHIN.
Alt-Rußland wachs' und blüh!
DOLGORUKI.
Auf Rußlands Heil,
Das in dem großen Zar, in dieser Zeiten
Mirakel wohnt!
PETER
den Becher Glebof reichend.
Tu' mir Bescheid, Glebof.
GLEBOF
wirft den Becher zur Erde.
In deinem Blut! Das andre sagt mein Säbel.

Er zieht. Zu den Bojaren.

Seid klug und helft mir! Dieser sondert nicht!
DOLGORUKI.
Glebof hat recht; wir müssen!

Er zieht, die Bojaren gleichfalls.
[357]
DIE BOJAREN.
Nieder! Nieder!
ALEXIS
wirft sich zwischen die Bojaren und den Zar.
Zurück, ihr Mörder!
EUDOXIA.
Drauf, beherzte Russen!
Will er den Weg uns sperr 'n? Ich geb' ihn hin!
Er ist mein Sohn nicht, ist ein Wechselkind,
Ist angefälscht dem Stamm der Romanows!
Ihr stockt? Ihr bebt? Gebt einen Degen mir ...

Sie entreißt einem den Degen.

Ich zeichne purpurfarben euch die Straße
Zum qualerfinderischen Tiger!
PETER
Alexis wegstoßend.
Fort!
Ich will von Schelmen nicht verteidigt sein.
ALEXIS
stürzt in die Kniee.
Chaos und Weltgericht! O Vater! Mutter!
PETER.
Hier steht der Zar Peter Alexiewitsch,
Rußlands gesalbter und rechtmäß'ger Herr!
Des Himmels Legionen schweben schützend
Um eines Königs Haupt! Rebellen! Hunde!
Zermalmt euch dieser Blick nicht?
GLEBOF.
Tat für Wort!
Seht auf des Glebof Stahl! In jener Brust
Laßt zwanzig Degenspitzen sich begrüßen!

Er dringt mit gezücktem Degen auf den Zar ein. Die Bojaren folgen. In diesem Augenblicke erschallen[358] Hörner und Trommeln von allen Seiten. Gordon und Schepelew treten mit Truppen ein. Die Flügeltüre bleibt offen. Man sieht den Gang und die Galerie außerhalb mit Truppen besetzt. Die Verschwornen lassen die Degen sinken.
4. Szene
Vierte Szene
Gordon. Schepelew. Truppen. Vorige.

PETER.
Nun, das war Hülfe in der höchsten Not!
DOLGORUKI.
Nun, das erspart uns einen Königsmord!
GLEBOF.
Ja wohl, weil wir jetzt selbst zum Tode gehn.

Er zerbricht seinen Degen.
DOLGORUKI
zu Schepelew.
Oberst, tut Eure Pflicht.

Auf den Zar deutend.

Er ist geächtet.
SCHEPELEW
zum Zar, ohne auf Dolgoruki zu hören.
Herr, deine Ordre?
DOLGORUKI.
Was?
PETER.
Wo bleibt der Fürst?
[359]
GORDON.
Er kommt sogleich mit Kikin und dem Bischof.
Mein Zar, erlaubst du, deine Uhr zu stell'n?
Sie geht zu rasch.
PETER.
Hast recht. Sie wär' beinah'
Mit Reich und Leben heut davongerannt. –
Den Zarewitsch führt nach dem goldnen Saal,
Ich hab' mit ihm zu reden.
ALEXIS.
Und ich mit dir!

Er geht.
PETER
auf Eudoxien deutend.
Das Weib nach Schlüsselburg!
EUDOXIA.
Ich weiß im Arm
Der klugen Bäu'rin dich, und bin getröstet!
Wir sehn einander wieder! –

Sie geht.
GLEBOF
hat sein Haupt verhüllt, als Eudoxia an ihm vorüberging.
Nach ihrem Abgange enthüllt er sich.
Ging sie? – Sie ging, und ohn' ein Wort für mich.
Wohlan, jetzt bin ich fest.
5. Szene
[360] Fünfte Szene
Menzikof. Die Vorigen.

PETER
zu Menzikof.
Wo sind die Flücht'gen?
MENZIKOF.
Im Sarg. Der Priester rief ein Anathem;
Der andre faselte.
GLEBOF.
Ha, wackrer Renner
Mit Stundenglas und Hipp'! Du überholst
Schnellfüß'ge Furcht zuerst!
DIE BOJAREN.
Weh' und Verderben!
PETER.
Hast Du besorgt? ...
MENZIKOF.
Sandberg und Fackelschein,
Den finstern Mann, und sein geschliffnes Beil;
Bereit und fertig ist's im Hof des Kreml.
PETER.
Verfahr nach deiner Liste.
DIE BOJAREN
in wilder Bewegung.
Das ist gräßlich!
PETER.
Ihr ließt mich schaun die Zeit nach meinem Tod;
Ich hab' gelebt und lebe, sie zu wenden.
Meint ihr, dies sei mir eine Freudennacht?
[361] Verfahr nach deiner Liste, Menzikof.

Er tritt links in den Vordergrund und liest Briefe.
GORDON.
Ergebt euch, Herrn. Die Erde geht nicht unter
Um eines Menschen Fall.

Er tritt zum Zar. Glebof, Dolgoruki, Lapuchin, stehn dem Zar rechts gegenüber. Menzikof etwas zurück nach der Mitte. Schepelew macht mit den Soldaten eine Bewegung nach vorn, so daß nur jene Personen sichtbar bleiben, und die übrigen Bojaren nicht mehr gesehen werden.
MENZIKOF.
Abraham Lapuchin.
LAPUCHIN.
Ich sterbe schuldlos, so beglückter drum.
Zu meinen Vätern geh' ich unbefleckt,
Und sag': »Hier ist eu'r Sohn.« –

Gegen Peter gewendet.

Fluch über dich!
Du tilgst die Edlen weg von Rußlands Boden,
Drum sollen Knechte deiner spotten, Knechte
Soll'n dich verraten, und dein Weib verführe
Der Knecht, dem du vertraut! –

Gegen Glebof.

Fluch über dich!
Sieh jenseits reine Tugend.

Er wird abgeführt.
GLEBOF.
Das ist sinnreich.
MENZIKOF.
Basilius Dolgoruki.
DOLGORUKI
gegen Peter gewendet.
Fluch dem Zar!
Vergiftet Lächeln, honigsüßer Trug
[362] Sei deiner Tage Speis'! Der Dinge Form
Verwandle sich in deiner Hand! Das Feste
Zerfließe unter dir!

Gegen Glebof.

Fluch, Glebof, dir,
Der mich verleitet hat ...
GLEBOF.
Die Garnison
Von Twer herbeizurufen? – Sieh, Basil,
Zum letzten Male deine Truppen an!
Du nahmst das Maß der Grube allzu weit,
Wir haben beide Platz darin. Schlaf wohl!

Dolgoruki wird abgeführt.
MENZIKOF.
Stephan Iwanowitsch Glebof.
GLEBOF.
Herr, da bin ich.

Er blickt zum Himmel.

Wär' überm Klumpen: Welt, ein Fünkchen Sinn,
Und ein verständ'ges Etwas, betet' ich:
»Gib, daß ein unschuldvolles Herz vergesse,
Daß einst ein Mensch gelebt, der Glebof hieß!«
Wer aber mag ins Leere sprechen? –

Er nähert sich dem Zar.

Zar!
Du blühst in Mark und Füll, und ich bin hin.
Doch nur die Stunde früher oder später,
Ist unser Unterschied. – Bau' dir den Thron
Von Millionen Schädeln, web dein Kleid
Aus Alexanders Macht und Cäsars Glorie,
Du wirst vergessen um 'nen Wicht. –

Zu Menzikof.

Zum Schluß!

Er geht. Menzikof, Schepelew und die Truppen folgen. Der Zar und Gordon bleiben allein zurück.
[363]
GESANG
von außen, dumpf, monoton.
Leg in den Sarg mir mein grünes Gewand,
Trubor, Trubor!
Sporen zu Füßen, den Jagdspieß zur Hand,
Trubor, Trubor!
Füttre die Rüden, ich hab' sie geliebt,
Streichle mein Rößlein, es steht so betrübt.
GORDON
ist an das Fenster getreten.
Ihr Todesgesang! Sie stehn im Kreis, und halten
Einander bei den Händen, sehen starr
Auf ihre letzte Stätte, und die Bärte
Wehn schauerlich im Nachtwind. – Glebof nur
Steht stumm beiseit, schürzt höhnisch auf die Lippe.
Die Wachen aber singen's mit; es ist
Ein uralt Lied; ich hört' es oft im Lager.
GESANG.
Mach mir die Grube acht Fuß in dem Grund,
Trubor, Trubor!
Streich auseinander das Erdreich rund,
Trubor, Trubor!
Primeln entblühen dem Rasen im Mai,
Achtlos jaget der Tartar vorbei. –
GORDON.
So sangen Douglas' sieben Söhne einst
Im Turm zu Teviotdale.

Peter hat einen Brief eröffnet, erschrickt und läßt den Brief fallen.

Ein Unglück, Herr?

Er hebt den Brief auf.
PETER.
Ein groß Ereignis meldet Münnich mir:
Der König Schwedens fiel vor Friedrichshall.
[364]
GORDON.
So bist du Jupiter, und dieser Tag
Stürzt die Titanen all', die sich gebäumt,
Dein lichtes Reich zu finstern, in den Abgrund!
Herr, gib mir die Entlassung. Patrik Gordon
Will nicht dein Schmeichler werden.
PETER.
Welch Geschick!
Ach Karl, mein Bruder, wie ich dich beweine!
Kein Mensch auf Erden hätte dich geliebt,
Gleich Petern! O mein großer, lieber Feind!
Beglückter Fürst! Du führtest freie Männer
Im Rat, zur Tat, und ich – durchwate Blut.

Er geht. Gordon folgt.
6. Szene
Sechste Szene
Altertümlicher Saal im Kreml.
Alexis sitzt an einem Tische, den Kopf gestützt, blaß, von Schmerz entstellt. Wachen im Hintergrunde. Peter tritt mit Gordon ein. Gordon entfernt sich gleich darauf mit den Wachen. Peter tritt, wenn die übrigen Personen den Schauplatz verlassen haben, vor.

PETER.
Ein Wort zu Euch, Alexis.
ALEXIS
steht auf.
Ich erwart' es.
PETER.
Vernähmet Ihr den Ausgang der Genossen?
[365]
ALEXIS.
Ich habe keine Genossen.
PETER.
Das kann sein. –
Wie denkt Ihr über Euer Los?
ALEXIS.
Ihr habt
Den Quell des Denkens in mir ausgetilgt.
Doch ich besinne mich: Ihr seid allmächtig,
Und eine Antwort wollt Ihr. – Laßt denn sehn!
Ich denk', Eur' Majestät erscheint als Bote
Des Henkers.
PETER.
Eu'r Gewissen ist ein Plaudrer.
Ich find' Euch – sehr gefaßt. Spart diesen Mut!
Wahr ist's, ich kam nach Moskau, finstrer Absicht
Auch gegen Euch, Alexis, voll. – Ihr solltet
Für jahrelangen Trotz, verstockten Stumpfsinn,
Für Undank gegen jegliche Bemühung,
Zum Erben meines Sinnes Euch zu bilden,
Für endlich ausgeführten offnen Aufruhr,
In Eurem kranken Blute büßen. Gleichwohl
Schämt' ich mich nie, die Meinung aufzugeben,
Die mit dem Stand der Sachen stritt.
Der Schwachkopf
Muß immer recht behalten. Ich – bedarf's nicht.
Ich glaub', ich irrte mich in Euch. Das heißt,
Was dieser Tage Schuld betrifft. Es ist
Die Stund', es ist an Euch, zu sagen, ob
Mein früh'res Meinen Unrecht Euch getan.
ALEXIS.
Ich werde Rede stehn.
PETER.
Ihr wünscht, ich sah es,
[366] Nicht Eures Vaters Tod. Ihr warft entschlossen
Den Mördern Euch in Weg.
ALEXIS
bitter.
Ist dies die Tat,
Die mich erhöht in Euren Augen?
PETER.
Nein.
Von Lieb' und Achtung ist die Rede nicht,
Von Wahrheit nur und Recht.
ALEXIS.
Wahrheit und Recht!
Ihr armen Worte!
PETER.
Sprecht gesetzt und ruhig.
Kommt mir entgegen. Meines Dünkens hab' ich
An diesem Zuge Euch erkannt.
ALEXIS.
(Es ist
In seiner Red' etwas, das milde schimmert,
Wie'n einsam Blümchen in der schwarzen Wildnis.
Ein Schau'r der Menschlichkeit? Glaub's! Glaub' es, Seele!)
Laßt hören mich, mein Vater, was der Zug
Dem Zar berichtet hat?
PETER.
Hört es, Alexis.
Ihr seid ein Mensch, nicht abgeneigt dem Bösen,
Der wohl den Frevel will, wenn er gefahrlos.

Alexis wendet sich ab.

In Eurer Seele wart Ihr eng-vertraut
Mit schlimmen Wünschen. Wär' der Vater nur
Dahin gewesen! Euer schwörend Wort,
Das Euch den Thron versagt, war dann ein Wort,
[367] Nichts mehr. Ihr schwort mit Vorbehalt; nicht wahr?
Durch schlauen Trübsinn, Seufzer, list'gen Kummer
Habt Ihr die Schlechten Euch verkettet. – »Wenn
Es anders werden sollte ...« Und: »Alt-Rußland,
Das ist mein Wall ...« und so dergleichen mehr.
Doch nun erschien der Tag, an dem es galt,
Mit kühner Faust die böse Schrift des Herzens
In Rußlands Sand zu schreiben; mit dem Schwert
Die Bahn zu zeichnen, die der groll'nde Geist
Lang in der Still' entworfen. »Wage! Handle!«
Rief dieser Tag. Er suchte einen Helden,
Und fand – Alexis.
ALEXIS.
... Dahin zieltet Ihr!
Wie könnt' es denn auch anders sein?
PETER.
Was sagt Ihr?
ALEXIS.
Mir saß die Freude, einer Schwalbe gleich,
Die kurz verweilt, süß-zwitschernd in der Brust,
Und sang: Der Zar sinnt auf ein günst'ges Ende.
Sie regt die Schwingen, flattert fort. O Traum,
Den Leidende zu träumen nicht ermüden,
Daß Elend heilbar sei!
PETER.
Es endet günstig
In Eurem Sinn. Euch bleibt das Leben, hoff' ich.
Ich bin in Eurer Schuld von heute abend,
Ich will's nicht bleiben; ich bezahl' Euch. Selbst
Habt Eu'r Geschick in Händen Ihr. Wie steht's
Um Euren Teil an dieser Felonie?
Ich glaube, was Ihr sagt.
ALEXIS.
Ihr habt bereits
Euch den Bescheid gegeben. Mir gebrach
[368] Der Mut, den Nacken aus dem Joch zu ziehn;
Zu feig war ich für Zepterraub.
PETER.
So war's. –
Verachtungswürd'ge Unschuld! Halbe Tugend!
Viel fremder mir, als ganzes Laster ist.
Ich habe arg gefehlt, als ich von Napel
Zurück Euch holen ließ. Ihr seid bei mir
So freigesprochen, daß kein Kläger je
Was wider Euch vermögen soll.

Nach der Tür deutend.

Jetzt geht.
ALEXIS.
Wohin?
PETER.
Wohin Ihr wollt; mir gilt es gleich.
Ich kann Euch hier nicht dulden, Ihr begreift das.
Flieht! Ungeschädigt lebt, wo's Euch gefällt.
Den Feind vertilgt' ich, der gefährlich mir,
Euch mag ich atmen lassen. Geht doch! Geht!
Der Oberst Gordon wartet vor der Tür,
Zu schützen Eure Flucht.
ALEXIS.
Der Mann ist müd'. –
Laßt diesen Oberst schlafen gehn; ich brauche
Die Hülfe seines Degens nicht.
PETER.
Du brauchst sie,
Unruhig ist die Straße.
ALEXIS.
Ist sie's? Wohl,
So bleiben wir zu Haus.
[369]
PETER.
Du willst nicht fliehn?
ALEXIS.
Bei Eurer Größe: Nein!
PETER.
Du willst nicht fliehn?
ALEXIS.
In tiefster Ehrfurcht eines Knechtes: Nein!
Nein, nein, und aber nein!
PETER.
Was willst du denn?
ALEXIS.
Nichts Unbescheidenes; ich will Gericht!
PETER.
Gericht!? – Du selber ...
ALEXIS.
Ich will Reichsgericht
Um – Rebellion und Hochverrat.
PETER.
Du rasest!
ALEXIS.
Vergebt, ich bin bei Sinnen! – Diese Nacht
Hat mich erzogen! In der Mutter Antlitz
Sah ich der Furie Blick! Der Vater steht
Bis an den Hals in Blut, und höhnt den Sohn!
Ich faß' mich schaudernd an! Ward ich zum Hauch?
Nein, unsre Sehnen sind ein zäh Geweb'!
Es kommt der Tag, wo auch der Schwächste sich
Gerüstet fühlt. Die Menschen haben mich
Nicht sanft geführt;
[370] Drum hat der Himmel meiner sich erbarmt,
Und mündig mich gesprochen! –
Zusammen bricht mein sterblich Teil! Der Gott
Schwebt siegreich über des Alexis Leiche!
Nicht sehn' ich mich nach meines Mädchens Brust,
Nicht dürst' ich nach der Luft, dem Licht der Welt,
Nicht schmacht' ich nach dem Sakrament des Herrn!
Ich sehne mich, ich dürste, schmachte, lechze
Nach Fesseln, Schranken, Ladung, Frage, Spruch!
PETER.
Ihr sollt entfliehn!
ALEXIS.
Du kannst mich niederstoßen,
Du kannst den Richtern heißen, schmählich urteln,
In alle Zukunft hin verfälsch' mein Bild!
Das kannst du, doch was andres kannst du nicht!
PETER.
Alexis!
ALEXIS.
Großer Zar?
PETER.
Besinne dich.
ALEXIS.
Auf meine Ehre hab' ich mich besonnen.
Peter Nur meine Diener richten, deine Feinde.
ALEXIS.
Mit tausend Feinden kämpf' ich um den Preis.
PETER.
Weshalb der Kampf, wenn du so schuldlos bist?
ALEXIS.
Das soll verkündet werden aller Welt.
[371]
PETER.
Unsinniger! Ihr Wort wird lauten: »Tod!«
ALEXIS.
Die Schmach auf sie, die Ehre bleibt für mich!
PETER.
Bei meiner Macht! Trotz'st du auf Spruch und Recht,
Ist mir's, ich schwör's, nur ein gemeiner Fall!
Ich bin zu Großmutsstreichen nicht gestimmt.
ALEXIS.
Vor Eurer Großmut wolle Gott mich schützen!
PETER.
Ihr seid Eudoxiens Sohn! –

Er steht in Gedanken. Nach einer Pause.

Nun, nun, was gibt's
Denn hier so viel zu sinnen? Jeder Russe
Darf fordern, daß vor seine Obrigkeit
Man ihn gestelle. Die Befugnis ward
Ja für den Sohn des Zaren auch geschrieben.

Zu Alexis.

Ihr werdet Moskau morgen früh verlassen.

Er wendet sich zum Abgehn.

Gericht von Petersburg, nimm deinen Gang!

Der Vorhang fällt.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Immermann, Karl. Dramen. Alexis. Die Bojaren. Die Bojaren. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-89BE-C