Hugo von Hofmannsthal
Das Bergwerk zu Falun

Personen

[84] Personen.

    • Elis Fröbom.

    • Der alte Torbern.

    • Die Bergkönigin.

    • Der Knabe Agmahd.

    • Frau Jensen, Wirtin.

    • Ilsebill.

    • Regine.

    • Kathrine.

    • Peter,
    • Klaus,
    • Portugieser, Matrosen.

    • Der alte Fischer.

    • Seine Frau.

    • Sein Sohn.

    • Pehrson Dahlsjö.

    • Christian, sein Sohn.

    • Anna, seine Tochter.

    • Die Großmutter.

    • Das Kind.

    • Handwerksbursch.

    • Ein Bursch.

    • Erste Magd.

    • Zweite Magd.

    • Knecht.

    • Die Hochzeitsgäste.
    • [84]

1. Akt

Erster Akt

Der Meeresstrand einer kleinen Hafenstadt. Rechts Fischerhütten. Zwischen ihnen Netze zum Trocknen ausgespannt. Zur Linken eine ärmliche Matrosenschenke, davor Tische und Bänke. Hie und da spärliches Buschwerk. Im Hintergrund ist ein Fischerboot halb an den Strand gezogen. Jenseits der Meeresbucht in der Ferne blaue Bergketten.
Der alte Fischer, nachher seine Frau, treten aus der vordersten Hütte.

DER FISCHER
tut ein paar Schritte gegen das Wirtshaus hin, murmelt.
's ist niemand da.

Kehrt wieder um.
DIE FRAU
in der Tür ihrer Hütte stehend.
Nu, hast du ihrs gesagt?
Hast du sie angeredet um den Dienst?
FISCHER.
Sie hat ja doch kein Mannsbild in der Wirtschaft.
Wir lassen ihn. Ist alles eins.
FRAU.
Drei Mädel
Sind drin.
FISCHER.
Kein Mensch!
FRAU.
Drei junge starke Mädel,
Ich weiß doch! Jesus, geh doch, red sie an!
FISCHER
geht gegen die Schenke, kehrt wieder um.
Von woher sollten denn drei Mädel da sein,
Wer sollten denn die sein?
FRAU.
Zwei städtische,
Und eine ist die Ilsebill vom Schneider.
FISCHER.
Für was sind die daher?
FRAU.
Na, Vater.
FISCHER.
So.
Nu ja. Ei so. Mit Branntwein und mit Bier
Macht sie nicht viel Geschäft, die Jensen.
[85]
FRAU.
Nein,
's ist gar zu abgelegen. Aber so,
Das bringt schon dann und wann Matrosen her.
Die trinken dann halt besser in Gesellschaft.
So bitt sie doch, jetzt ist die Luft so schön.
Er möchte besser atmen.
FISCHER.
Das ist so
Das Ganze, was er hat: wenn das nicht wär,
So möcht man ihn grad in die Grube legen,
Und wär kein Mord. Denn wo kein Leben ist,
Ist auch kein Mord.
FRAU.
Na, geh jetzt, Vater, geh,
Und red dich nicht hinein.
FISCHER
kehrt wieder um.
Sie hat uns erst
Den Branntwein geben. Ich mag nicht schon wieder ...
FRAU.
So geh doch. Soll er ganz verkümmern drin
In der stinkigen Kammer? Und du bringst ihn
Doch nicht heraus mit deinem Arm.
FISCHER.
Du, Alte,
Was Glück ist so, das haben wir schon nicht:
Bei mir ein Tau, der halbe Arm ... schön, schön!
Bei ihm die Rah ... der Kopf. Da liegt er so,
Lebt nicht und stirbt nicht.
FRAU JENSEN
tritt aus der Schenke.
Nun, was macht der Sohn?
FISCHER.
Der Sohn, der macht nicht viel. Er liegt halt so.
Wir möchten Sie schön bitten, wegen ... weil
Ich ihn nicht tragen kann.
FRAU.
Wir möchten ihn
Ins Schiff hinlegen, daß er doch die Luft
Einatmet.
FISCHER.
's ist das einzige, was er hat.
FRAU JENSEN.
Wir tragen ihn heraus. Geh, Ilsebill,
Und eine von den Fischermädeln; welche
Ist denn die stärkere? ...
EINE STIMME
aus dem Hause links.
[86] Geh du!
ANDERE STIMME.
Ich mag nicht!
ERSTE.
Ich hab nicht Zeit!
ZWEITE.
Ich kämme mir mein Haar!
ERSTE.
Sie lügt, sie liegt im Bett!
ILSEBILL
tritt aus der Schenke.

Sie ist blond und voll, noch jung, doch mit Spuren des Verblühens. Sie geht hinüber gegen die Fischerhütte. Ruft nach rückwärts.

So kommt ihr doch!

DAS EINE MÄDCHEN
aus dem Fenster.
Hast du uns zu befehlen?
ILSEBILL
stampft zornig auf.
Komm, du Hex!

Vor Mitleid aufgeregt.

Er schaut aus wie ein Totes!
STIMME DER ZWEITEN
aus dem Haus.
Du, ich geh,
Ich möcht ihn sehn.
ERSTE
tritt vom Fenster zurück.
Nein, ich!
ZWEITE
drinnen.
Jetzt will ich gehen!
ERSTE
drinnen, schreit.
Sie riegelt mir die Tür!
ZWEITE.
Sie will mich schlagen!
ILSEBILL
an der Tür der Fischerhütte.
Kommt ihr einmal! Wär ich ein Bursch, ich schlüg euch!

Die beiden Mädchen, ziemlich hübsch, verwahrlost, treten aus der Schenke, gehen hinüber.
Ilsebill und das größere Mädchen tragen den Fischerssohn aus der Hütte in das rückwärts liegende Boot. Das kleine Mädchen geht neugierig hinterher. Der alte Fischer hilft mit dem linken Arm tragen.
DES FISCHERS FRAU
zu Frau Jensen; rechts vorne.
Zehn Tag liegt er nun so: seit in der Früh
Am letzten Mittwoch.
FRAU JENSEN.
Er steht schon noch auf.
FISCHERSFRAU.
Zehn Tag, zehn Nächte liegt er so: kein Bissen
[87] Im Mund, kein Tropfen Wasser durch die Kehle.
Sein Puls geht schwach, ein ungebornes Kalb
Im Mutterleibe drin hat stärkern Herzschlag.
FRAU JENSEN.
Nu, schlägt doch fort.
FISCHERSFRAU.
Am Mittwoch in der Früh
Seh ich ihn stehn und reden: da genau,
Wo Ihr nun steht, mit einem fremden Herrn.
Mutter, sagt er, ich fahr den Herrn hinüber,
Und zeigt über die Bucht, dann geht der Fremde
Ein bißl weg, und er tritt her an 'n Zaun
Und sagt: muß ein Engländer sein, drei Taler
Krieg ich, sagt er und lacht, und geht zum Schiff
Und richtet dem ein Kissen her zum Sitzen.
's geht Landwind. Nun, was denn? vor Sonnenaufgang
Was soll da gehn? Er bückt sich: da auf einmal
Schlägt der Wind um und packt von draußen her
Das Segel wie mit Fäusten, schlägt die Rah
Ihm dröhnend auf den Schädel; ohne Taumeln,
Eh ich aufschreien kann, fällt er ins Schiff ...
DER ALTE FISCHER
ist dazugetreten.
Und seitdem geht der Wind vom Meer herein,
Nicht eine Mütze voll geht umgekehrt,
Bald stark, bald schwach. Ich sitz an dreißig Jahr
Hier an dem Ufer, in den dreißig Jahren
Hab ich das nicht erlebt, Ihr merkt das nicht,
Ich merks, und was es ist ... 's ist nicht natürlich!

Der Fischer und seine Frau gehen in ihre Hütte, Frau Jensen in die Schenke. Die Mädchen stehen im Hintergrund und betrachten flüsternd den Regungslosen.
Von rechts her treten auf: der kurze Peter, der faule Klaus, der Portugieser, einer hinter dem andern, dann Elis Fröbom. Peter umschauend. Klaus tabakkauend, Elis den Blick starr zu Boden gerichtet.
PETER.
Hier sind wir.
PORTUGIESER.
Hier?
PETER.
Zur Stelle.

[88]
Frau Jensen tritt aus der Schenke. Peter geht auf sie zu, schüttelt ihr die Hand. Die andern stehen hintereinander: Klaus phlegmatisch, der Portugieser neugierig, Elis den Blick zu Boden.
FRAU JENSEN
knicksend.
Vielleicht, die Herren treten hier herein,
Wenns so gefällig sein wird...

Die drei stehen verlegen.
PETER.
Geht! Die hol ich!

Springt nach rückwärts zu den Mädchen. Er bringt die Kathrine und Regine nach vorne. Indessen stehen Klaus und der Portugieser unbeweglich.
Elis hat sich auf eine der Bänke vor dem Wirtshaus gesetzt, ohne sonst auf jemand zu achten.
Peter bringt die beiden Mädchen zu den Matrosen.
Klaus nimmt Kathrine am Kinn.
KATHRINE
schlägt nach seiner Hand.
Pfui, Tran!
FRAU JENSEN
weist auf Elis.
Was ist mit dem? Gehört der nicht zu euch?
PETER
halblaut.
Das ist ein Neriker, laßt den in Ruh.
Wo der her ist, da scheint die Sonne nicht,
Da füllt ein blasses Licht, dem Mond vergleichbar,
Höhlichte Täler, dran das Elchwild äst,
Da sitzt der Nöck am Wassersturz und singt.
Schau sein Gesicht nur an, ists nicht so schleirig
Wie Eulen ihrs? Sein Vater war grad so,
War Steuermann und hatt ein zweit Gesicht
Und wanderte in Moor und Bergesklüften,
Indes sein Leib bei uns an Bord umherging.
Nun kommt er heim und findt die Mutter tot:
Das hat ihm ganz den schweren Mund verschlagen.

Sie wenden sich alle, ins Haus zu gehen.
PETER
im Abgehen zu Frau Jensen, die inzwischen Elis einen Becher auf den Tisch gesetzt hat.
Ach! neunzehn Wochen kein vernünftiger Hafen!

Alle treten in die Schenke. Elis bleibt auf seinem Platz. Nach einer Weile tritt Ilsebill geräuschlos aus dem Hause und stellt sich vor Elis hin.
[89]
ILSEBILL.
Kennst mich noch, Elis?
ELIS
nickt.
Bist die Ilsebill.
Da, trink.
ILSEBILL.
Ich dank dir schön.

Setzt sich neben ihn, trinkt.
Pause.
ELIS
gleichgültig.
Wie lebst?
ILSEBILL
schiebt den Becher zurück.
Ich dank dir, gut.

Steht auf.

Ich stehl dir deine Zeit.
ELIS.
Ich brauch sie nicht.
Ich wart auf einen, der ja so nicht kommt.
Auf Niels, den Sohn vom frühern Kirchspielschreiber.
ILSEBILL.
Sagst du mit Fleiß den Namen da vor mir,
Damit du mir was tust? Dann geh ich fort.
ELIS.
Was ist mit dir und dem?
ILSEBILL.
Es ist gar nichts.
Es war nur was.

Mit abgewandtem Gesicht.

Ein Kind hab ich gehabt
Von ihm. Der arme Wurm ist tot.
Ich leb. Und jetzt geht mich der Niels nichts an.
ELIS.
So, so.
ILSEBILL.
Es ist gar lang her, daß du fort warst.
ELIS
mit künstlicher Gelassenheit.
Ja, ja. Die Mutter muß jetzt so was sein,
Wie da an meinem Stiefel hängt. Und ist
Nicht etwa schnell gestorben...
ILSEBILL
nickt.
Deine Mutter.
ELIS.
Und da wir gingen, war sie aus dem Zeug
Wie du und ich, nur besser. Ihre Augen
So rein, ihr Mund viel frischer wie der deine.
Drei Jahr sind freilich eine lange Zeit.
[90]
ILSEBILL.
Und du hasts nicht gewußt?
ELIS
anscheinend gleichmütig, mit der Ironie tiefsten Schmerzes.
Nein, nein, o nein.
Erst beim Anklopfen. Erst hab ich gemeint,
Es ist ein falsches Haus. Es steht ein Ofen,
Wo sonst ihr Bette stand; und wo ihr Leib
Erkaltete im Tod, da wärmt ein Hund
Den seinen. Und dem Kirchspielschreiber Niels
Hab ich geschrieben, daß er mir das Amt
Ansagt, wo ich die Sachen holen kann,
Wenn was geblieben ist, wie man so schreibt:
Nach Abzug der Begräbniskosten.

Starrt vor sich hin.
ILSEBILL
wischt sich die Augen.
Elis!
Laß deine Hand anschauen, nein, die andre.
Weißt du noch, was das ist?
ELIS.
Die Narbe da?
Das ist ja alles nicht mehr wahr. Wann war das?
ILSEBILL.
Elis, wir gingen aus der Sonntagsschule,
Da tratest du mir in den Weg.
ELIS.
Ach ja ...
Und fragte dich...
ILSEBILL.
Du fragtest nicht, du sprachst:
Was ich jetzt tu, das tu ich zum Beweis,
Daß ich dich liebhab und damit dus glaubst:
Sonst will ich nichts.
ELIS.
Und schnitt mich da hinein?
ILSEBILL.
Du bücktest dich, da lag ein roter Scherben
Von hartem Ton, und damit fuhrst du dir
Wild über deine Hand, daß schweres Blut
Aufquoll.
ELIS.
Ich schnitt beinah die Sehnen durch.

Lacht trocken.
Ilsebill bückt sich auf den Tisch und drückt die Lippen auf seine Hand.
[91] Elis zieht die Hand weg, rückt mit dem Stuhl fort.
ILSEBILL.
Zudringlich bin ich.

Pause.

Elis!

Elis sieht sie an.
ILSEBILL
mit ängstlich flehendem Blick.
Gar nichts mehr?

Elis zuckt die Achseln, klopft seine Pfeife aus.
ILSEBILL
zögernd.
Wenn du nicht wüßtest, wo du wohnen solltest ...
Weil ja die Mutter tot ist, hätt ich nur
Gemeint, du könntest ja bei mir...
ELIS.
Schön Dank.
Ich schlaf an Bord.

Ilsebill sieht vor sich hin.
ELIS
sucht in seinen Rocktaschen, nimmt ein buntes Tuch, zieht aus der Geldkatze zwei Goldstücke, wickelt sie ins Tuch, schiebt es hin, wo es ihre Hand berührt.
Das Tuch da nimm und trags,
Ist indisch Fabrikat. Wers kennt, erkennts.
ILSEBILL
wickelt die Goldstücke aus und schiebt sie ihm wieder hin.
Sei schön bedankt fürs schöne Tuch. Dein Geld
Behalt. Das will ich nicht. Das wär mir nichts,
Von dir Geld nehmen. Dein Geld brauch ich nicht.
Ich schwimm im Gelde, wie man spricht. Ich habs
Nicht nötig.

Lacht, näher dem Weinen.
DER PORTUGIESER
sieht aus dem Fenster der Schenke.
Blas doch nicht immer Trübsal, Elis, trink
Und laß das Mädel trinken.
ELIS
hält Ilsebill den Becher hin, sie schüttelt den Kopf; er trinkt den Branntweinbecher aus, atmet tief auf und lehnt sich zurück.
Schön warst du freilich. Nun ich trunken hab,
Kommt mirs zurück. Die Züge scharfgezackt
Wie die Korallen, die tief drunten wachsen,
Blaß das Gesicht, allein so rot die Lippen ...
So schön warst du, wo hast dus hingetan?
[92]
Hör auf mit Weinen. Kann auch sein, du bist
Nicht gar so anders. Ich hab andre Augen.
Den Star hat mirs gestochen, und mir kehrt
Das Leben wie ein Wrack sein Eingeweide zu.
Wenn ich dich anschau, fest, so seh ich deutlich
Zwei Augen, glasig Zeug, gefüllt mit Wasser,
Zwei Lippen, rund wie Egel, auch geformt,
Sich festzusaugen. Was steckt da dahinter,
Was denn für große Lust? Und dann nachher
Was für ein Schmerz? was weiter für ein Schmerz?
Was ist daran so viel?

Schlägt sich an den Kopf.

Wie konnt ich träumen
Und danach hungern, immerfort danach!
Es ist doch über alle Maßen schal!

Er streift seine Ärmel auf.

Da trag ich auch so was. Die küßte mich
Und bohrte ihre kleinen Zähne ein:
Ein javanesisches Geschöpf: ihr Reden
Verstand ich so, wie ich ein Tier versteh;
In ihren Augen war was Bittendes,
Wie Hunde bitten, und sie wollte immer,
Daß ihrer Zähne Spur mir nicht verginge –
Denn ihre Lippen freilich waren weich
Wie Blumenblätter – da brannt ich mir das
Als Zeichen ein, damit mirs immer bliebe.
Da lachte sie vor Freude ... vor dem Spiegel
Hab ichs gemacht, mit Nadeln macht man das
Und reibts mit Pulver ein.
ILSEBILL.
Das bleibt dir nun.
ELIS.
Die Haut ist freilich zäh.

Nach einer Pause.

Der arme Hund, das Mädchen, wollt ich sagen,
Von Java ... einmal stieß ich so nach ihr,
Wie man nach Hunden stößt ... denselben Abend
Dacht ich an dich: mir war, der Unterschied
Wär riesengroß: ich seh, es ist gar keiner:
[93] So schal bist du mir nun wie damals die.
ILSEBILL
dumpf.
Elis!
ELIS.
Den Namen wußte die dort auch.
Denselben Abend ...

Starrt vor sich.
ILSEBILL.
Elis!
ELIS.
... ist mein Vater
Verbrannt. Allein der Hund blieb ganz gesund,
Der Schiffshund, ja. Er schlief mit ihm in einer
Kabine. Die Kabine brannte aus,
Mein Vater mit. Der Hund lief heil heraus,
Mein Vater schlief. Er hatte ein Gesicht
Drei Tage früher.

Starrt vor sich.
ILSEBILL
ängstlich.
Elis!
ELIS
in sehr hartem Ton, abweisend.
Liebes Mädchen,
Verstehst du,

Er steht auf, geht auf und ab.

meines Vaters Sohn zu sein,
Das war kein Kinderspiel. Er war nicht hart,
Allein sein Wandeln war stille Verzweiflung.
Tief war sein Sinn. Er lebte in der Furcht.
Er hatte ein Gesicht, ehdem er starb,
Und wußte seinen Tod drei Tage vorher,
und ging so hin, der alte Mann, und schwieg.
...
Gleich nachher kam die Sehnsucht über mich,
Nach ihm nicht, nach der Mutter!

Setzt sich wieder, flüstert.

's war ein Auftrag
Von ihm, drum kams so plötzlich über mich:
Sie geben solchen Auftrag, die dort unten.
Mir fuhr das Schiff zu langsam: in den Adern
Quoll mir das Blut wie schweres glühndes Erz
Und drückte mich zur Nacht: da ward aus mir
Jedwede andre Sehnsucht ausgeglüht:
Dies einzige Verlangen fraß die andern
[94] Im Finstern auf; wär ich im Krampf erstarrt
Und so gestorben, auf den Lippen hätte,
Den starren, jedes Aug den Laut gelesen,
Mit dem du anhebst, wenn du Mutter sagst.

Er steht auf.

Die war schon unten, als ich kam. Die Reden,
Die mir im voraus von den Lippen trieften,
Wie Wasser aus des gierigen Hundes Lefze,
Die schlugen sich nach innen. Mir ist übel,
Die Landluft widert mir, mir widert Seeluft.

Setzt sich wieder.

Mir ist das Bett verleidet und der Becher;
Wenn ich allein bin, bin ich nicht allein,
Und bei den andern bin ich doppelt einsam.
ILSEBILL.
Dein Blut ist schwer. Dich hat der große Kummer
Tiefsinnig werden lassen. Geh mit mir.
ELIS.
Ich könnte stundenlang auf meine Hände
Hinunterstarren und den fremden Mann
Mir träumen, dem die zwei gehören können.

Ilsebill legt ihr Gesicht auf seine Hände.
ELIS
seine Hände wegziehend, rauh.
Hab ichs nicht schon gesagt, ich schlaf an Bord.

Ilsebill nickt unterwürfig, schleicht sich lautlos fort.
Elis sitzt allein.
Die andern drinnen lärmen und singen. Der faule Klaus und der Portugieser kommen ans Fenster.
PORTUGIESER
beugt sich aus dem Fenster zu Elis.
Wo bist du wieder?
ELIS
spricht über die Schulter, ohne sich umzusehen.
Ich, ja, Portugieser,
Ich bin hinüber.
PORTUGIESER.
Was?
ELIS.
Ei ja. Herum
Ums letzte Kap und schwimm mit nackten Masten
Und ohne Steuer in der großen Drift,
Der großen Drift, dort drunten, von woher
Kein Schoner wiederkommt und keine Brigg.
[95]
PORTUGIESER.
Er redet wie ein Pfarrer!
KLAUS.
Sauf und schweig!

Gehen vom Fenster weg.
ELIS
vor sich.
Ich bin heruntergekommen. Ich war jung,
Da war mir nur ums Fahren. Einen Fußtritt
Gab meinem Kahn der Vater, und die Mutter
Blies ihren letzten Atem in die Leinwand,
Da kam ich gleich hinüber. Und da ist
Die Drift, die große, totenhafte Drift.
PORTUGIESER
wieder am Fenster.
Komm doch herein und iß jetzt einen Bissen!

Geht wieder weg.
ELIS
vor sich hin.
Sagt einer ›guten Bissen‹, so sag ich:
Den besten essen doch die Würmer, freilich ...
Sagt einer: ›Schau, das Mädel, schöne Brüste‹,
Sag ich: ein Stein wär besser. Diese Steine,

Er stößt mit dem Fuß gegen den Erdboden.

Die sind doch auch herum ums große Kap,
Die haben ausgespielt, die spüren nichts.

Er versinkt in ein finsteres Hinträumen. Die drinnen singen. Der alte Fischer schleicht aus seiner Hütte zu dem Ohnmächtigen hin, betrachtet ihn traurig, geht mit gesenktem Kopf wieder nach Hause.
Frau Jensen, die beiden Mädchen und der Peter kommen aus der Tür herausgetanzt, einander umschlungen haltend.
KATHRINE.
Wo ist dein Mann?
REGINE.
Wo ist dein Mann?
ALLE DREI.
So sind wir halt drei Witwen dann!
KATHRINE.
Der meine wollte mich verkaufen
Und's Geld versaufen,
Da bin ich fortgelaufen!
[96]
REGINE.
Mir lief der meine selber fort!
FRAU JENSEN.
Der meine sitzt an einem Ort,
Da möcht er gern und kann nicht fort.
ALLE DREI.
Ach Gott, mir ist das Herz so schwer!
Wo nehm ich schnell einen andern her?
REGINE
setzt sich dicht zu Elis.
Ich möcht einen Mann!
PETER.
Eine Maultrommel nimm und marschier voran!
PORTUGIESER
ist mit Klaus auch herausgetreten; sie stehen auf den Türstufen.
Wo solls denn hin?
PETER.
Meint ihr, wir verhocken den Abend hier?
Ich möcht ein bißl noch was andres haben
Als fades Bier und die paar Mädel da.
Ich weiß euch ein Lokal: ein Keller ists,
Hui, wenn du da hinabkommst, weißt du nicht,
Ob du nicht gar im Meer bist: nichts als Licht
Und Spiegel vorn und hinten, daß dich schwindelt.
Du schiebst dich weiter, und in eine Höhle
Trittst du, da ist kein Licht, kein Öl, nicht Kerzen;
Die ganzen Wände leuchten wie Karfunkel,
Und Bänke stehen drin von rotem Samt,
Da sitzen dir zwei, drei, die können singen!
Du meinst, es wäre künstlich, nicht natürlich!
Und wenn sie dann gesungen haben, wenn sie
Sich zu dir setzen, weißt du gar nicht erst,
Was du mit einer solchen reden sollst:
Dir nimmts den Atem, wie sie nach Vanille
Und Rosenwasser riecht. Und willst du trinken,
Greifst in die Wand der Höhle, wo du willst,
So faul du kannst, das Mädel auf den Knien,
Drehst einen Hahn, hältst unter, rot und grün
Kommt ein Getränke, stark und süß zugleich,
[97] Wie Feuersirup, und die Mädel, du ...

Geht auf Elis zu, schüttelt ihn an den Schultern.

Du willst nicht mit? Du bist ja gar kein Seemann,
Hätt ich ein Schiff, mir tät es grausen, grausen,
Dich mitzunehmen, dich.
ELIS
sieht einen Augenblick ihm ins Gesicht, dann zu Boden.
Das kann wohl sein,
Daß ich kein Seemann mehr bin, kurzer Peter!
PETER
zornig, daß ihm Elis nicht widerspricht.
Ein Maulwurf bist du, weiter nichts!

Links vorne ist unscheinbar der alte Torbern aufgetreten. – Er ist ein kräftiger, etwas gebeugter Mann, dem Ansehen nach kaum siebzig. Trägt altertümliche Bergmannstracht, völlig abgetragen und verschossen. Hat blutumränderte merkwürdige Augen. Steht dort in der linken Ecke, an den Zaun gelehnt, von niemandem beachtet, und läßt seine Augen auf Elis ruhen.
ELIS
sieht Peter groß an.
Ja, Peter,
Das kann schon sein. Mir ist, du hast ganz recht.
Das ist nicht dumm, was du da sagst. Mir wär
Sehr wohl, könnt ich mich in die dunkle Erde
Einwühlen. Ging es nur, mir sollt es schmecken,
Als kröch ich in den Mutterleib zurück.

Er steht auf, fährt mit den Händen wie staunend an seinem Leib herab.

Mir löst sichs jetzt, daß dieser hier mein Leib
Nur ein Geköch ist aus lebendigen Erden,
Verwandt den Sternen auch. Wär das nicht so,
Wär nicht gewaltsam nur die Nabelschnur
Zerrissen zwischen mir und den Geschöpfen,
Den andern, dumpfen, erdgebundenen:
Wie dränge mir ans Herz des Hirschen Schrei?
Wie möchte dann der Linde Duft mein Blut
Bewegen? wie verschlänge mich die Nacht
In schwere Träume? wie gelüstete
Mein Leib, die Gleichgeschaffnen zu berühren?

Tut ein paar schwere, gleichsam gebundene Schritte nach vorwärts; spricht gegen den Boden.

Du tiefes Haus, was streben wir von dir,
[98] Wir sinnentblößt Wahnwitzigen aufs Meer,
Dem Lügensinn, dem Aug allein gehorchend,
Der uns vorspiegelt, was für ewig uns
Verborgen sollte sein, die bunte Welt,
Die wir doch nie besitzen!
Seht, die Unke,
Das tagblinde verborgene Geschöpf,
Ist strahlend gegen unsre Finsternis
Und winkt mir mit bediademtem Haupt:
Denn ihr ist noch Gemeinschaft mit der Erde!
REGINE
schreiend.
Nimm dich in acht, es hört dir einer zu!

Springt weg, schlägt ein Kreuz über ihn.
Torbern ist einen Schritt näher getreten.
Die anderen stehen rechts rückwärts beisammen, im Begriff, wegzugehen.
KLAUS.
So war sein Vater, wenns ihn überfiel!
PETER.
Laßt ihn allein. Nachher wird er wie immer.

Sie wenden sich zum Gehen.
ELIS
an dem Busch, der vorne steht; immer gegen den Erdboden sprechend.
Haus, tu dich auf! gib deine Schwelle her:
Ein Sohn pocht an! auf tu dich, tiefe Kammer,
Wo Hand in Hand und Haar versträhnt in Haar
Der Vater mit der Mutter schläft, ich komme!
Entblößt euch, ihr geheimnisvollen Adern,
Ausbluten lautlos sich die meinen schon!
Mein Haar sträubt sich vor Lust, bei euch zu sein,
Ihr Wurzeln, die ihr an dem Finstern saugt,
Euch funkelnd nährt aus jungfräulicher Erde!
Mein Herz will glühn in einem Saal mit euch,
Blutrote Funkelsteine, hocherlauchte,
Schlaflose Lampen, täuscht mich nicht, ich seh euch,
Ich seh euch glühen wie durch fahles Horn,
Versinkt mir nicht, ich halt euch mit der Seele!

Tiefer gebückt, wild atmend.
[99] Die anderen sind fort.
Torbern steht vor ihm, hüllt ihn in seinen Blick.
ELIS
auffahrend, in völlig verändertem Ton.
Wer bist du, der mir zuhört? Was hab ich
Geredet? Wer bist du? Die Worte brachen
Aus mir hervor ...

Stark.

Das hast du mir getan!
TORBERN.
Und wie?
ELIS
ohne ihn anzusehen.
Das frag ich mich. So warst dus nicht?
Du warsts! Du sprachst ein Zauberwort.
TORBERN
sehr laut.
Sprach ich?

Kleine Pause.
Flüsternd.

Bedurft es dessen auch? Entquoll den Lippen
Von selber nicht das rechte Wort? Entglomm
Dem Aug von selber nicht der starke Strahl?
ELIS.
Mir war, ich sähe in den Grund. Mein Blut
Macht mir was vor.
TORBERN.
Du blöder Tor, gib acht.
ELIS.
Zuerst so leise, nun so überlaut!
Willst du betrügen?
TORBERN
sehr leise.
Meiner Stimme Klang
Bin ich entwöhnt.
ELIS.
Wo kamst du her?
TORBERN.
Von dort.
Wo du hin willst.
ELIS
zurücktretend.
Ich weiß nicht, was ich sprach.
TORBERN
leise.
Doch sinds der Seele tiefgeheimste Wünsche,
Die sich dem unbewußten Mund entringen.
ELIS.
Wer seid denn Ihr?
TORBERN.
Ein Bergmann. Hast du keinen noch gesehn?
[100]
ELIS.
Der Mutter Vater war ein Bergmann auch.
Sein Kleid war ähnlich, doch auch wieder anders.
Was wollt Ihr von mir?
TORBERN.
Nur den Weg dir zeigen.
Ich kam, weil du mich brauchst.
ELIS.
Ich brauch dich nicht.
TORBERN.
Du brauchst mich, wie ich dich.
ELIS.
Ich bin ein Seemann ...
TORBERN
lacht.
ELIS
stutzt; fährt dann fort.
Zurück aus Indien und nehm nächstens Handgeld
Nach Grönland. Guten Abend.

Will gehen.
TORBERN
hält ihn sanft.
Elis Fröbom ...
ELIS.
Wir haben miteinander nichts zu schaffen,
Als ... etwa ... da ...

Will ihm Geld geben.

Was hältst du meine Augen
Mit deinem Blick?

Macht sich los.

Ei, geht und laßt mich gehn.

Er geht einige Schritte, wird langsamer, bleibt stehen.
TORBERN
sieht ihm nicht nach, bückt sich, betrachtet einen Kiesel.
Ich halt Euch nicht.

Elis geht, wie gezogen, wieder zu ihm zurück.
Torbern richtet sich jäh auf.
ELIS.
So ists ein Auftrag, den du hast an mich?
TORBERN.
Nenns immer so. Mir ist es aufgetragen,
Daß ich den Weg dir zeig, und dir ...
ELIS
fieberhaft.
Und mir?
TORBERN.
Daß du ihn gehst.
ELIS
wie verloren.
Ich wollte jetzt fortgehn.
TORBERN.
Doch kamst du wieder.
[101]
ELIS.
Wußtest dus voraus?

Pause.

Womit bezwingst du mich?
TORBERN
rasch.
Mit deinem Willen.
ELIS.
Der war, zu gehn!
TORBERN.
Der ist: mit mir zu gehn
Nach Falun und ein Bergmann dort zu sein.
ELIS
tonlos.
Zu werden?
TORBERN.
Keiner wird, was er nicht ist.

Eine starke Pause.
ELIS.
Was hält mich hier?

Er spricht mehr zu sich als zu dem andern.

Was soll ich mir gewinnen
Und was der Preis, womit ichs zahlen soll?
Hier steh ich, Elis Fröbom, ein Matros
Und eine Waise: wenn dies hier die Falltür
Der Hölle ist, und der des Teufels Bote,
Und meine Seele das, worauf er ausgeht,
So gib mir du, an den mein Flehn sich klammert,
Ein Zeichen, dran ich mich ermannen kann!

Pause.

Wenn ich mich zwingen wollte und es lügen:
Die Zunge bäumt sich gegen meinen Willen,
Und sie bekennt: in mir geht etwas vor!

Er befühlt sich.

Was immer nun dies sei, ich kann nicht anders!
Die Knie werden schwer...
TORBERN.
Denn es verlangt sie
Hinabzusteigen.
ELIS.
Wolken droben, Bäume,
Sie werden fahl...
TORBERN.
Dein Aug will Schönres sehen!
ELIS.
Mich faßt aus Klüften ein gewaltiger Hauch ...
[102]
TORBERN.
Dir widert Landluft, Seeluft widert dir.
ELIS.
Der Boden wankt!

Klammert sich an den Busch.
TORBERN.
Steh! Seemann, schwindelt dich?
ELIS
schon im Versinken.
Ich sinke ja! es nimmt mich ja! ich muß!

Er versinkt völlig.
Rasche Verwandlung
Im Innern des Berges. Ein nicht sehr großer Raum, rechteckig, dessen Wände aus dunklem, fast schwarzem Silber. Zwischen Pfeilern rechts ein Ausgang, von Finsternis völlig verhangen, zu dem drei runde Stufen aufsteigen. Die Decke flach gewölbt. Alles aus dem gleichen, prunkvoll finsteren Stoff gebildet.
ELIS
steht mit dem Rücken an die linke Seitenwand gelehnt, die Augen weit aufgerissen; das Weiß seiner Augen ist im Anfang das einzige Helle in dem finsteren Raum, auf dem die Schwere undurchdringlicher Wände lastet.
Ich hab geträumt! Jetzt lieg ich wach! Ich lieg
In meiner Koje. Nein, ich steh. Ich bin
Ganz angezogen. Hier ist Hartes: Stein.
So bin ich blind! Ich fiel: doch schmerzt mich nichts.
Ich fiel endlos durch rötlich schwarze Schlünde.
Ich bin nicht blind. Ich sehe meine Hände!
Ich bin allein in einem finstern Raum.
Nein, nicht allein! Da! da! da! da!

Die Bergkönigin ist zwischen den finstern Pfeilern rechts hervorgetreten und steht auf der obersten der drei dunklen Stufen. Vom Scheitel bis zur Sohle ist sie in ein schleierhaftes Gewebe gehüllt, dem ein sanfter Glanz, das gedämpfte Leuchten ihres Körpers, entströmt. Am stärksten leuchtet ihr Scheitel, wo ein fast glühender Reif in funkelndem Haar den Schleier zusammenhält. Die lautlose Gestalt, die unmerklich bebt wie eine hochstielige Blume, [103] strömt in den ganzen Raum eine mäßige Helle aus, und die finstern Silberwände blinken manchmal auf.
ELIS
auf die Gestalt hinstarrend.
Ich träum
Und träum nur, ich bin wach.
KÖNIGIN.
Nein, Elis Fröbom,
Nun träumst du nicht.
ELIS.
Es spricht zu mir.
KÖNIGIN
ohne sich zu regen.
Er meint,
Er liegt im Traum. Bring ihm zu trinken, Agmahd.

Der Knabe Agmahd kommt lautlos die Stufen herab. Er ist völlig schwarz gekleidet. Sein Kopf ist hell, mit weichem blondem Haar. Er hat meergrüne Augen, die seltsam ins Leere zu starren scheinen. Er trägt auf silberner Schüssel einen silbernen Becher, aus dem schwaches Leuchten steigt. Lautlos gleitet er auf Elis zu und bleibt vor ihm stehen, den Becher aufwartend.
ELIS.
Du liebliches Gesicht, wo kommst du her?
Laß mich dein Haar anrühren! Kennst du mich
Nicht mehr? Ich bins, der bei dir lag, so oft, so oft,
Dort bei den Palmen, dort am stillen Fluß.
Weißt dus nicht mehr? wie ich dich lehrte, dich
Zu spiegeln hier in meinen beiden Augen,
Und wie ich mir dein Zeichen in den Arm
Einschnitt? Sieh mich doch an, weißt du nichts mehr?
Wie? Trinken soll ich, weil die dort es will.

Er nimmt den Becher und trinkt.

Es glüht und schäumt und schüttert durch mein Innres hin.
Bieg mir dein Antlitz her! Verfärbst du dich?
Wie anders scheinst du nun! Du bist kein Mädchen ...
Du bist es, du Ertrunkener, lieber, lieber!
Nicht wahr, wir waren Freunde! Daß du starbest!
Wir zogen dich heraus, da lagest du:
Dein Leib war hell und kühl wie Elfenbein:
Ich kaufte ein geweihtes Licht und saß
Die ganze Nacht bei dir, es drückte mich,
Daß ich nicht weinen konnte, und ich sah dich an.
Kommst du jetzt, mir das danken? Bleib doch hier!
Was schwankst du fort? Laß mich nicht hier allein.

[104] Der Knabe Agmahd hat sich von ihm entfernt, ist plötzlich im Dunkel der Wände wie verloschen.
ELIS.
Und du! Du bebst! Bebst du vor Ungeduld?
Sinnst du auf meinen Tod? Du! du!
KÖNIGIN.
Ich acht auf dich.
ELIS.
Mir grauts vor dir.
KÖNIGIN.
Warum? Du kennst mich nicht!

Sie wirft mit einer ungeduldigen Bewegung die Arme nach rückwärts und faltet die Hände im Nacken, so daß die weiten Ärmel zurücksinken und die wundervollen Hände sichtbar werden.
ELIS.
Den Händen, die du hast, entblüht ein Glanz,
Mir ist, als trät mein Blut aus mir ins Freie,
Wenn ich hinseh.
KÖNIGIN
streckt die Rechte aus.
Tritt her und rühr sie an.
ELIS
unbeweglich an seinem Platz.
Ich kann nicht. Wir sind nicht aus einer Welt.
Ich kanns nicht fassen, daß ich hier steh, ich!
Warum denn ich? Droben sind Tausende!
Warum denn ich? Mich schauderts bis ins Mark.
KÖNIGIN.
Und ich hab mich so lang nach dir gesehnt.
Wohl hundert Jahr. Was zuckst du? Grauts dich so?
Sieh, ich kann doch für dich nicht fremder sein,
Nicht unbegreiflicher als du für mich.
Mich schauderts nicht. Und glaub mir, manches, was ich weiß
Von euch da droben, ist wohl schauerlich.
Ich weiß, ihr kennt das Angesicht des Wesens,
Das euch geboren hat. Ihr nennt es ›Mutter‹,
Wohnt unter einem Dach mit ihm, berührt es!
Das macht mich grauen, wenn ichs denken soll.
Ich weiß, ihr schlummert niemals lang, doch wenn
Ihr euch hinlegt zu einem langen Schlaf,
So seid ihrs schon nicht mehr: der Erdengrund,
[105] Der mich mit klingendem Gehäus umschließt,
Euch löst er eure Glieder auseinander,
Und Bäume wachsen auf aus eurer Brust,
Und Korn schlägt seine Wurzeln euch im Aug.
Und die dann droben leben, die ernährt,
Was also aufkeimt aus der Brüder Leib.
Mich dünkt, ich stürb vor Graun, müßt ich so leben
Hervor aus einem Leib, hinab zu Leibern.
Und wenn ich eurer einen atmen seh,
Werd ichs nicht los, mir ist, als müßt an ihm
Noch hängen Ungewordnes und Verwestes,
Als wär er nie allein, wo er auch geht und steht.
Und dennoch lieb ich dich und will dich halten!

Ringt ungeduldig die Hände.

Graut dir, daß ich schon war, bevor du warst?
Macht dich das zornig, daß ich schlafen kann,
So lang und rein und tief? Daß ich allein bin,
Nur spielend mit Geschöpfen, die mir dienen?
Gib mir doch Antwort, steh nicht stumm und hart!
Sieh: euch da droben flutet ohne Halt
Die Zeit vorüber, doch mir ists gegeben,
In ihren lautlosen kristallnen Strom
Hinabzutauchen, ihrem Lauf entgegen
Und ihren heiligen Quellen zuzugleiten!
Heft nicht so dumpf den starren Blick auf mich!
Begreifst du nicht: das uralt heilige Gestern,
Ruf ich es auf, umgibts mich und wird Heut:
Und Dunkelndes und Funkelndes vergeht,
Und Längstversunknes blüht und glüht herein.

Indem die Wand des Hintergrundes durchsichtig wird, tut sich eine tiefe Landschaft auf. Über hellgelb leuchtende Gewässer neigen sich ungeheure Bäume, bald von glühenden, bald von zarten Farben. Im fernen Hintergrunde werfen mächtige dunkle Abgründe und Felsenwände einander geheimnisvollen metallischen Schein zu.

Und wieder tauch ich auf und laß dies alles
Hinunterrollen in die ewigen Tiefen!

Indem sie so weiterspricht, ohne sich im geringsten zu wenden, [106] steht rückwärts wieder die finstere, dann und wann aufblinkende Wand von dunklem Silber.

Ahnst du denn nicht, wie mächtig Geister sind,
Und bist doch einer! Wirst du immer bleicher?
Vielleicht ist dies Musik vor deinem Ohr!

Schlägt in die Hände. Der alte Torbern steht plötzlich da, das Gesicht ihr zugewendet, in dem von ihr ausgehenden Lichte regungslos wie ein ehernes Standbild.
KÖNIGIN.
Sprich zu ihm, Torbern. Hilf mir du, ihn fassen!
Dich wird er hören, weil du auch ein Mensch.
TORBERN.
Mich ekelt seine Dumpfheit. Königin,
Ist dies das letztemal, daß ich dich sehe?
KÖNIGIN.
Ich weiß nicht.
TORBERN.
Wohl, ich weiß! Und er steht da,
Wo ich einst stand!
KÖNIGIN.
Sprich nicht davon!
Sag ihm, wie über aller Menschen Lose
Dein Los anschwoll. Wie du verlernen durftest,
Zu messen dich mit ihrer Zeiten Maß.
Wie dir zu Dienst das wogende Gewässer
Vor deinen Füßen starrte, dich zu tragen.
Wie dich die Kraft, die in dir wuchs und wuchs,
Hin über Klüfte riß, wie ihre Sterne
Herniederstürzten, deinem Pfad zu leuchten.
Sag ihm...
ELIS.
Nun, wie geschah dies, Torbern, wie?
TORBEBN.
Vom Anfang soll ich reden, nun das Ende
So nah? Entkräftend faßts mich an wie fahle Träume.
Es ist so lange her. Die nun im Sarge liegen,
Damals stand noch der Baum in jungem Saft,
Der später, später gab das Holz zu ihren Wiegen.
Verlernen durft ichs, mich mit ihrem Maß zu messen.
Verlernen durft ich alles, was sie meinen.
Die ganze Welt, die sie mit dumpfem Sinn
[107] Aufbaun, brach mir in Stücke. Ob ein Mensch,
Ich ward ein Geist und redete mit Geistern.
Von ewiger Luft umwittert, ward ich schnell
Dem dumpf umgebend Menschlichen entfremdet:
Mir galt nicht nah, nicht fern: ich sah nur Leben.

Er tut einen tiefen Atemzug.

Da droben waren welche, die mit Armen
Und Lippen klammernd als an einem Teil
Von ihrem Selbst an mir inbrünstig hingen:
Ich schüttelte sie weg von meiner Brust.
Mein Herz schwoll auf und redete bei Tag
Und Nacht mit den Abgründen und den Höhen,
Und meinem seligen Aug entblößte sich
Die Schwelle deines Reichs...
KÖNIGIN
schnell.
Nichts davon, Torbern,
Hier steht er ja und weiß nicht, wie ihm ist!
Nun geh.
TORBERN.
Muß ich?
KÖNIGIN.
Hast du noch nicht gelernt
Zu fühlen, was du mußt?
TORBERN.
So schwank ich denn im Kreis dem Anfang wieder zu,
Und so begegn ich dem, der nach mir kommt.
KÖNIGIN.
Er wird dich rufen.
TORBERN.
Mag er folgen,
Wo er mich schreiten sieht, doch stumm, mich ekelt
Gespräch der Menschen. Mag er sich von Zeichen
Zu Zeichen tasten, endlich trifft er her.
Und ich – er soll schnell kommen! – in mir flackerts
Und zuckts und will verlöschen! Jahre glitten
An meinen Wimpern ab wie leichter Duft
An Felsenwänden ... und nun zehrt der Hauch
Von einer einzigen Nacht mit Wut an mir;
Und wo ich ruhe, mein ich schon zu sinken.

Er verschwindet.
ELIS.
Ihn treibt ein ungeheurer Geist umher,
[108] Er kam zu dir und durfte bei dir wohnen,
Die Jahre hatten ihm nichts an, er hing
An deinem Aug, an deinem Leib ... Erbarm dich meiner:
Er trat heran, er durfte dich berühren,
Er! er! doch ich! wie ich?
KÖNIGIN.
Du bist wie er.
ELIS.
Die Stimme, die du hast, greift mir ins Innre.
Ich will mit dir sein können!
KÖNIGIN.
Bist dus nicht?
ELIS.
Dies Grauen ...
KÖNIGIN.
Wirfs von dir!
ELIS.
Wie konnt ich kommen?
KÖNIGIN.
Fragst du aufs neu? Weil du ein Geist wie ich.
Dein Mund sprach mächtige Worte aus.
ELIS.
Doch wann?
KÖNIGIN.
Du sehntest dich herab, den Boden schlug
Dein Fuß, unwillig trugst du, zornig atmend,
Den Druck der irdischen Luft, dein Blick durchdrang
Die Niedrigkeit, dein Mund verschmähte sie,
Ein ungeheurer Strahl entglomm dem Aug,
Und das Gewürme floh, die Finsternis
Trat hinter sich, so wie sies tut vor mir!
ELIS.
Wie kam es über mich!
KÖNIGIN.
Es schläft in euch.
Doch ahnt ihrs nicht. Du warst zu Tod erstarrt,
Dein Mund verhangen, deine Augen öd.
Da trats in dir empor, und wie im Traum
Griffst du mit Aug und Mund nach Strahlendem,
Gebunden wie ein Kind, und doch ein Zauberer!
Und halb noch dunkel, halb wie Geister leuchtend,
Ergriffs dich, unbewußt herabzusteigen!
War dir, du fielest? war dir nicht, du flogest?
Und fühltest nicht, wie ich im Dunkel stand
Und bebte?
[109]
ELIS.
So darf ich hingehn und dein Antlitz sehn?
KÖNIGIN.
Tritt her!

Elis tritt zu ihr.
Königin steigt die Stufen herab, ihm entgegen, hebt mit der Linken den Schleier von ihrem Antlitz, so daß sein Gesicht, von unten ihr entgegengehoben, ganz von ihrem Abglanz überflutet wird.
ELIS
schreit auf.
Ah!

Duckt sich, geblendet, gegen den Boden.
KÖNIGIN
läßt den Schleier wieder zufallen, richtet sich auf, spricht sanft.
Sinn ich auf deinen Tod? Wirst dus ertragen,
Mit mir zu sein? Wirst du die ganze Welt
Bei mir vergessen können?
ELIS
vor ihren Füßen, seiner Stimme nicht mächtig.
Sprich langsamer. Dein Antlitz funkelt so
Vor meinen Sinnen!
KÖNIGIN.
Elis!
ELIS.
Wie?
KÖNIGIN.
Merk auf!
Du darfst nicht bleiben.
ELIS.
Wie?
KÖNIGIN.
Du mußt hinauf
Und wiederum herab. Komm bald! komm bald!
Du!
ELIS
schwach, völlig vor ihr liegend.
Ich muß sterben, wenn du mich verhöhnst.
KÖNIGIN.
Hör mich: es muß so sein.
ELIS.
Wie?
KÖNIGIN.
Hör mich, Lieber.
Ich darf dich noch nicht halten. Ich kann dir
Noch nicht gehören. Deine Sinne sind
Mit Sehnsucht vollgesogen noch nach denen
Da droben.
ELIS.
Wie?
[110]
KÖNIGIN.
Dir ist es nicht bewußt.
Doch hab ichs wohl gesehn. Der Knabe Agmahd,
Ein schwankend wesenlos Gebilde ists:
Ein Spiegel. Jedem zeigts, was heimlich ihm
Am Herzen ruht. Du stießest sie von dir,
Die droben, aber etwas lebt von ihnen,
Noch etwas lebt in dir. Du mußt hinauf ...
ELIS
schwach.
Ja.
KÖNIGIN.
Und ein Bergmann sein. In Einsamkeit
Tief eingewühlt in Dunkel. Immer näher ...
ELIS.
Ja.
KÖNIGIN.
Geh dem Alten nach, er weiß den Weg,
Ob widerwillig auch, er zeigt ihn dir.
ELIS.
Ja.
KÖNIGIN
berührt ihm leise die Schulter.
Auf, mein Zauberer!
ELIS.
Weh, du wirst mir bleicher!

Die Gestalt der Königin wird undeutlicher, endlich unsichtbar.

Ich seh dich nicht! Erbarmen! Gib mir Antwort!
Sag noch ein einzig Wort zu mir!
STIMME DER KÖNIGIN.
Komm bald!

Verwandlung
Die Szene wie zu Anfang des Aufzuges.
Elis taucht aus dem Erdboden empor, liegend, mit geschlossenen Augen. Es dunkelt. Die Fenster der Schenke, die nun geschlossen sind, blinken noch einmal auf, erblinden dann.
ELIS
schlägt die Augen auf, richtet sich jäh auf.
Dorthin! dorthin! Nun zeig den Weg! Wo bist du?

Läuft ans Fenster der Schenke, schlägt daran, versucht hineinzusehen.
[111]
FRAU JENSEN
aus der Schenke tretend.
So kommt Ihr wieder? Nun, mir war nicht bang.
ELIS
ohne Atem.
Der Alte, wo?
FRAU JENSEN.
Der da war, der? der Bettler?
ELIS.
Ein Bettler, er, der Könige machen kann!
Weib, wo er ist?
FRAU JENSEN.
Ja, was weiß ich?
ELIS.
Vernichtung!

Besinnt sich.

Hier, nehmt Euch selbst.

Wirft ein Geldstück hin.

Und nun ist Eins zu sorgen.
Ich muß nach Falun.
FRAU JENSEN.
Wos hinuntergeht
Ins Innere des Berges?
ELIS.
Recht! Und das
Sogleich, eh diese Nacht zu Ende geht.
FRAU JENSEN.
Wie wollt Ihr das?
ELIS
seine Geldkatze in der Hand.
Ich reit ein Pferd zu Tod
Und kauf ein neues, wo das erste fiel.
FRAU JENSEN.
Nicht in drei Tagen und dazu drei Nächten
Trägt Euch ein Saumtier durch die Pässe hin,
Zu Wasser aber...
ELIS.
Also denn zu Wasser.
Hier wohnen Fischer, schaukelt doch ein Boot,
Des Menschen ist es wohl, der drinnen schläft:
Ich weck ihn denn!
FRAU JENSEN
hält ihn.
Den rührt nicht an, der schläft nicht irdischen Schlaf:
Wo der liegt, ist die Schwelle schon zum Jenseits!
ELIS.
Die will mein Fuß betreten: Er soll aufstehn
Und mir den Weg nicht sperren!

Des Fischers Sohn richtet sich auf und tritt aus seinem Boot ans Land.
[112]
FRAU JENSEN
aufschreiend.
Gott im Himmel!

Fliegt an des Fischers Haus.

Alt-Fischer, Fischer-Mutter, Euer Sohn!

Der alte Fischer läuft heraus, reißt die Mütze vom Kopf.
Seine Frau hinter ihm.
DER ALTE FISCHER.
Mutter, Mutter, still!
DES FISCHERS SOHN
ein großer, starker, blondbärtiger Mann, geht ruhig auf Elis zu, macht einen Kratzfuß, sagt.
Das Schiff wär fertig, wenn der Herr jetzt will.

Fischer und Frau kommen von der Seite, betrachten den Sohn mit scheuer Ehrfurcht.
DER ALTE FISCHER
nimmt mit gespreizten Fingern den Sohn bei der Hand, mit zitternder Stimme.
Mein Sohn, mit dir hat sich ein großes Wunder
Begeben!
DER SOHN
ruhig.
Mutter, führ den Vater weg:
Er hat schon trunken, eh die Sonne auf ist.
Ich hab nicht Zeit, ich muß den Fremden führen.
Nach Falun will der Herr!
DER ALTE FISCHER.
Mein Kind, erkennst
Denn nicht, die Sonn ist unter, Nacht bricht an!
DER SOHN.
Laß, Vater, wir sind eilig, und der Landwind
Ist stark und gut. Grad hat er mir die Rah
So hinters Ohr geschlagen, wie zum Zeichen,
Daß ich mich nicht versäumen soll.
DER ALTE FISCHER
feierlich.
Der Landwind,
Der ist verschwunden seit zehn Tagen, Sohn.

Ein starker Windstoß.
DER SOHN.
Und da sollt Abend sein!
DER ALTE FISCHER
erregt.
Mein Sohn, mein Sohn!
DER SOHN
zur Mutter.
So führ ihn weg! Er redet nicht Verstand.

Zu Elis, munter.

Das ist der rechte Wind auf Falun zu.
[113] Der Herr wird wohl zufrieden sein. Geh, Mutter, Bring
mir die Mütze noch. Gleich, Herr, sogleich!

Er geht zum Schiff, tut noch die letzten Handgriffe. –
Der Wind wird stärker, der Himmel immer dunkler. Das Folgende rufen die beiden einander zu, indem sie die Hände schallverstärkend an den Mund heben. –
In der Ferne, über den blauen Bergen, die nun nicht mehr sichtbar sind, fällt ein Stern.
ELIS.
Du! du! Fiel nicht ein Stern?
DER JUNGE FISCHER.
Ja, Herr, grad über Falun hin!
ELIS.
Der tote Mann stand auf zu meinem Dienst,
Die Sterne stürzen, meinem Pfad zu leuchten,
Und wenn dies Boot zerscheitert unter mir:
Die grüne Woge starrt und wird mich tragen.
Mein Innres schaudert auf, und fort und fort
Gebierts in mir ihr funkend Antlitz wieder ...
Und was mir widerführ, nun sterb ich nicht,
Denn dieser Welt Gesetz ist nicht auf mir.

Er springt ins Boot, das sogleich vor dem Wind liegt.
Der Vorhang fällt.
[114]

2. Akt

Zweiter Akt

Die große Stube in Pehrson Dahlsjös Haus. Die linke Wand der Stube wird von der Felswand des Berges gebildet, an den das Haus angebaut ist. Nur ganz vorne links ist der Raum für eine kleine Tür, die in einen schmalen Gang führt. Rechts zwei Fenster in den freundlichen Garten. In der Mitte des Hintergrundes eine Tür ins Vorhaus, daneben links eine kleine Tür zu Annas Kammer. Rechts vorne eine Tür zu Dahlsjös Stube. Im Hintergrund rechts von der Ausgangstür noch ein Fenster in den Garten: hier werden alle zuerst sichtbar, die ins Vorhaus und von dort in die Stube treten. Mitten ein schwerer eichener Tisch, links vorne ein altertümlicher Lehnstuhl für die Großmutter. In der linken natürlichen steinernen Wand an Haken allerlei altertümliches Berggerät: Bergeisen, Spitzhämmer, Handfäustel, Grubenlampen.
Pehrson Dahlsjö steht an der Tür im Hintergrund. Vor ihm der Knecht, der ein mäßig großes Felleisen hält. Christian vorne, reisefertig, seine Kappe in der Hand, steht zwischen der Großmutter, die in ihrem Lehnstuhl sitzt, und Anna, die seine linke Hand in ihren beiden hält.

DAHLSJÖ
zum Knecht.
Die Lis ist krumm? So spann den Falben ein
In Gottes Namen. Acht auf das Felleisen,
Sind gute Kleider drin, daß es nicht naß wird.

Der Knecht mit dem Felleisen ab.
Dahlsjö am rückwärtigen Fenster, weist ihm noch etwas.
CHRISTIAN.
Schwester, leb wohl; du weinst nicht, du bist brav.
Es ist auch nicht zum Weinen. Wer ein Mann
Will heißen, muß die Welt gesehen haben.
Was seh ich hier? Das Tal ist eng und klein.
Nein, schöner, schöner – weiß ich – ist es nirgends!
Allein, müßt ich hier bleiben immerfort,
Mich täts ersticken. Du verstehst das nicht,
Weil du ein Mädel bist.
[115]
ANNA.
O ich versteh dich.
Wär ich ein Bub, wie gern ging ich mit dir,
Schlief jede Nacht in einem andern Bett,
Säh jeden Tag was Fremdes.
CHRISTIAN.
Darum ists nicht.
Ich spür es nun einmal, ich muß hinaus.
Da drunten in den großen Städten, wo wir
Die Handelsfreunde haben, muß ich wohnen,
Muß mich umtun, muß sehen, wie sies treiben.
Hier rollt im alten Gleise alles fort,
Und was geschieht, mir ist, als wär es nichts.
Ich will gehorchen lernen und befehlen,
Ertragen was ich soll, und wagen was ich darf,
Will sehn, wies zugeht dort, wo Bettelbuben,
Emporgewühlt vom blinden Ungefähr,
Fürstliche Töchter heuern, wo verfallne
Berühmte Männer, die ein Flugblatt schildert,
Sich irgendwo in einem finstern Stall
Mit Hund und Katz um einen Knochen balgen,
Wo alles zu gewinnen ist und alles
Der Preis kann werden, den man zahlen muß,
Wo tausend Falltür'n lauern, wo – was weiß ich! ...
DAHLSJÖ
hinzutretend.
Laßt ihn nur gehn. Ihn leidets nicht bei uns.
Er hat ganz recht. Da ist ein zu eintönig Leben.
Da ist ein Vater, der einsilbig wird,
Ein Bergwerk, dessen Adern allgemach
Versiegen, alles das schleppt sich so hin,
Dann kommt ein Tag, da wird es stocken. Laßt ihn:
Er ist so eine von den klugen Ratten:
Er geht rechtzeitig seines Weges, laßt ihn!
CHRISTIN.
So bitter, Vater, du! und, Kleine, dein Gesicht
Auch blaß und bebend vom verhaltnen Weinen?
Großmutter, so hilf du mir, sag es ihnen:
Was nütz ich hier dem Werk, wenn ich gleich bleib.
Ich will was lernen, ich will durch die Welt,
So wie dein Vater: triebs den nicht zu uns
[116] Durch Gott weiß wieviel Königreich' und Länder?
Von drunten aus dem Venezianischen
Kam er, als hätte ihn ein Stern geführt,
Hierher in unser Tal. Sags ihnen doch!
In manchem Menschen steckts so wie in jungen Bäumen,
Daß er umgraben werden muß, auf daß
Die Wurzeln ihm im Boden nicht verwesen.
Wie gern wär ich schon wieder da, nur laßt mich!
GROSSMUTTER.
Ja, ja, laßt ihn den Weg gehn, den er will,
Zwängt ihr zu bleiben ihn, er könnte sich
Auch wachend schwerer Träume nicht erwehren.
Ein Etwas treibt ihn vorwärts: laßt ihn gehn,
Ausschütten all sein Finstres in die Welt!
Kehrt er zurück, wie hell ist ihm das Tal,
Wie gern umarmt er die, die dann noch da sind.

Dahlsjö hat inzwischen aus der Stube rechts vorne einen gefüllten Lederbeutel gebracht, den er Christian zusteckt.
CHRISTIAN
halblaut.
Vater, das ist mehr, als die Abred war.
So haben wirs doch nicht.
DAHLSJÖ.
Laß gut sein, Christian,
Du wirst es brauchen. Nein, nicht viele Worte!

Er tritt mit Christian etwas nach rechts, von den Frauen weg.

Ob deines Vaters Haus ein gutes Haus war,
Das wirst du draußen, kann sein, innewerden.
Christian, wirf dich nicht weg: bleib lieber durstig,
Als daß du trinkst, wo dich der Becher ekelt.
Es schwindet alles, alles gleitet hin,
Dein Leib bleibt dir nicht treu, kaum bist dus noch,
Doch daß du deine Lippe hast befleckt,
Das bleibt, und wär die Lippe weggeschwunden.

An der Türe rechts vorne.

Komm her, schau noch einmal hinein: da drinnen
Steht deiner Mutter Bette und das deine:
Da drin bist du geboren und die Anna,
Und deine Mutter starb da drinnen.

Leise.

Christian,
[117] Eh dir ein Weib was wird, so frag dich selber,
Ob sie dir gut genug wär, da hinein
Mit ihr zu gehn. Die's nicht ist, rühr nicht an!
Jetzt geh, mach schnell.
ANNA.
Ich fahr mit dir im Wagen
Bis zu der Mühle, dann lauf ich zurück.
Ich wollt, ich wär ein Bub, sei lustig, Bruder!
CHRISTIAN.
Du, bis ich wiederkomm, vielleicht –
ANNA.
Nein, nein, nein!

Will lachen, muß aber weinen, läuft zur Tür hinaus, ihr Weinen zu verbergen.
Christian umarmt die Großmutter.
ANNA
ruft durchs Fenster herein.
Schnell du, der Falbe scharrt schon!
CHRISTIAN.
Vater, Vater!
DAHLSJÖ.
Leb wohl.
CHRISTIAN
geht, man sieht ihn und Anna rasch am Fenster vorbeikommen.
DAHLSJÖ
nachdem er durchs Fenster nachgesehen, tritt nach links vorne in die Nähe der Großmutter; seine Stimme klingt gepreßt.
Da geht er fort: mir ist recht schwer ums Herz.
Die Kinder, das ist wahr, die stürmen hin
Und wissen nicht, was in den Eltern vorgeht.
Und öfter wärs mit einem Fremden leichter
Zu reden als mit ihnen. Mutter, hörst du mich?
GROSSMUTTER.
Ja, mein Kind, ja.
DAHLSJÖ.
Es steht nicht, wie es soll,
Mit uns. Und ich glaub, ich bin schuld daran.
Ich hab das Bergwerk wohl geerbt vom Vater,
Allein das andre hab ich nicht geerbt.
GROSSMUTTER.
Was denn?
DAHLSJÖ.
Die große Kraft und Ständigkeit,
Die Macht. Siehst du: sie waren andre Leute.
[118] Der Vater, der Großvater, ihnen wär
Nicht widerfahren, was mir widerfährt.
Wo sie den Balken legten, stand der Fels
Und drängte nicht herab; wo sie dem Wasser
Ein Wehr hinbauten, duckte sich das Wasser;
Wo sie die Knappen hießen Licht hintragen,
Da floh der Dunst und fraß das Licht nicht auf.
Wo ich mein Bergwerk führ, frißt mich das Wasser,
Das Wetter schlägt, der Felsen drückt mich tot.
Weich ich zurück und bleib, wo sie mirs bauten,
So weicht das Erz vor mir in seinen Adern
Nach rückwärts. Mutter, hörst du, was ich sag?
GROSSMUTTER
nickt.
DAHLSJÖ.
Manchmal, wenn ich im Bett lieg und nicht schlafe,
Ist mir, ich seh sie aus der Nische treten
Und hör sie leise reden über mich.
Da sagt der Vater zum Großvater – beide
Deuten auf mich –: »Das ist ein schwacher Herr,
Der wird das Haus vertun, das wir ihm bauten.«
Da überläufts mich siedendheiß, ich mach
Ein Licht und geh umher im Haus und alles,
Mein ich, sieht mich mit stillem Vorwurf an.
GROSSMUTTER.
Komm, setz dich her zu mir.
DAHLSJÖ
setzt sich zu ihr.
Ja, Mutter, alles
Sieht mich so an: das Bett, drin meine Frau
Im Wochenfieber starb, die Türen, hinter denen
Die Kinder schlafen, dieser Stuhl da, der,
In dem der Vater immer saß, das alles!
Mutter, könnt ich dir in die Augen schaun!
GROSSMUTTER
streichelt seinen Kopf.
Mein Sohn! bist mehr als fünfzig und so weich!
Dein Vater war wohl anders ...
DAHLSJÖ.
Nicht wahr, Mutter!
GROSSMUTTER.
Allein darum bist du nicht schlimmer. Hast du
Noch nicht gefühlt, wie alles sich verzweigt?
[119] Wer ist denn stark, wer ist denn schwach? Mein Sohn,
Sieh, wie ich jung war, dünkt mich jetzt, ich war
Ganz Sehnsucht, nichts als ein beseeltes Auge.
Mit meinen Augen sog ich wie im Traum
Die Welt in mich hinein, von innen trat
Die Seele an dies Fenster, und dein Vater
Liebte mich um nichts andres auf der Welt.
Nun starben mir die Augen ab – und ich
Bin drum nicht minder ganz: im Innern drängt
Sich ein Gewinde, ein Gewühl empor,
Verbunden alles wie in Blumenketten.
Dich und die Kinder und die nicht mehr sind,
Ihr aller Schicksal fühle ich in Einem,
Wie wenn die Hände Blüten und Gezweige
Von einem Strauch betasten. Alles blüht!
Aufwachsen laß die Kinder, häng dein Herz
Nicht an dein Haus, hängs nicht an dein Gewerb:
Du kannst das Glück nicht in verschlossnen Höhlen
Dir halten, denn es atmet nur im Flug!
DAHLSJÖ.
Mutter, wie leicht muß dir die Seele sein!
Ich kann mein Herz nicht auftun, auf mir lastets!

Er steht auf.
GROSSMUTTER.
So geh nur deinen Sorgen nach. Bald, bald
Wechselt auch das. Ich hab so viel, so viel
Schon wechseln sehen. Wie der Christian sagte:
»Der Anna ihr Gesicht ist blaß«, da dacht ich:
So ist sie wieder anders: ein Jahr her,
Da wurde sie noch kindisch rot vom Weinen.
Hörst du die Amsel draußen? Die sitzt jetzt
Beim Singen nicht mehr, wo sie früher saß:
Wie schön das alles ist, auch wenn mans nicht sieht!
Hörst du die Anna kommen? Wie sie springt!
Sie ist doch noch ein rechtes Kind. Geh, geh,
Dein Bergwerk kommt auch wieder in die Höh.
DAHLSJÖ.
Wüßt nicht, wie das geschehen sollte, Mutter,
[120] Es stiege denn der Vater aus dem Grab
Und stieß mich weg und legte seine Hand an.

Er geht durch die Türe rechts hinaus.
ANNA
kommt mit der fünfjährigen Rigitze rückwärts herein.
Ich hab mir die da mitgebracht vom Nachbarn,
Daß ich Gesellschaft hab. Da, geh hinein
Und hol dir eine Puppe aus der Kammer.

Nimmt aus einem Schrank an der rechten Wand Tischzeug und fängt an, aufzudecken.
KIND
geschäftig bei ihr.
Ich helf dir.
ANNA.
Bin schon fertig.
KIND.
So erzähl mir!
ANNA.
Was?
KIND.
Von der Königstochter.
ANNA.
Welcher?
KIND.
Die
Hat gehen müssen und dem fremden Mann ...
ANNA.
Du weißts ja so.
KIND
wichtig.
Der Mann war ein Soldat!
ANNA.
Was hat sie müssen?
KIND.
Ihn bedienen, alles:
Stiefel ausziehen, Zimmer kehren.
ANNA.
Nun?
KIND.
Warum hat sie ihm dienen müssen?
ANNA.
Weißts ja!
KIND.
Weil er die Lampe angezündet hat?
Ja? Sag!
ANNA.
Die Lampe freilich.
KIND.
Von der Hexe die?
ANNA
indem sie den Tisch deckt.
Da zog es sie, sie mußte hin zu ihm
Und hatte beide Augen halb geschlossen
Und wußte nichts von sich und diente ihm.
[121]
KIND.
Gibts solche Lampen, Anna? Sag mir, Anna!

Zupft sie.
ANNA
singt halblaut, indes sie Messer und Gabel zu jedem Gedeck legt.
Er blickte ihr ins Herz hinein:
Du mußt mir ganz leibeigen sein!
Den Willen mach dem meinen gleich,
So wird mein Herz so freudenreich.

Indessen trippelt das Kind in die rückwärtige Kammer, deren Tür links von der ins Vorhaus führenden größeren Tür.
ANNA.
Da leg ich für den Christian ein Besteck!
Der Platz bleibt heute leer. Nun wein ich doch!

Nach einer Pause.

Daß unsereins die Welt so gar nicht kennt!
Es gibt so viele schlechte Menschen, heißt es.
Wie die nur sind? Mit Absicht schlecht, Großmutter?

Eine kleine Pause.

Ob er zu solchen kommen wird, die ihn
Darum nicht leiden mögen, weil er fremd ist?
Ob er manchmal auf seinem Bett wird sitzen
Und gar nichts um sich haben, was ihm lieb ist,
Nichts Heimliches, nichts Zutrauliches fühlen
Als seine eigenen zwei armen Hände
Vor dem Gesicht! Großmutter, wird das sein?

Eine kleine Pause.

Großmutter, schläfst du?
GROSSMUTTER.
Nein, ich denk und seh
Den Christian in einem fremden Haus.
ANNA.
Und wie denkst du dirs aus? Sind sie ihm freundlich?

Eine kleine Pause.

Großmutter, wenn zu uns ein fremder Mensch
Tät hereintreten, wär er häßlich auch
Und rauh und gäb er uns kein freundlich Wort,
Ich mein: wärs einer, der die Menschen haßt,
Vielleicht, weil sie ihm unrecht tun, verstehst du,
[122] Solch ein Verfolgter, wie man manchmal hört ...
Ich kann mir gar nichts so wie du ausdenken,
Ich bin recht dumm. Allein, ich mein, wir müßten
Gut sein zu ihm, nicht wahr?
GROSSMUTTER
aufstehend.
Ja freilich, Kind.
ANNA.
Gehst du in Garten?
GROSSMUTTER
die kleine Tür links vorne aufdrückend.
Nein, in meine Kammer.

Anna summt vor sich hin, indem sie mit dem Aufdecken zu Ende kommt.
Kind in der rückwärtigen Kammer, schreit kläglich.
ANNA.
Das Kind! Was ist mit dir, Rigitze, was?
KIND
läuft auf sie zu, preßt den Kopf an sie.
ANNA.
Was ist? Ich bin bei dir!
KIND
mühsam.
Ich fürchte mich!
ANNA.
Warum denn? Sag mir doch, warum!
KIND.
Am Fenster ...
ANNA.
Am Fenster ist kein Mensch, schau hin! kein Mensch!
KIND
stockend.
Er war am Fenster, draußen...
ANNA.
Wer?
KIND
von Angst geschüttelt.
Der Torbern!
Der alte Torbern! Ich hab ihn gesehn!

Verbirgt den Kopf.
ANNA
küßt sie.
Wer hat dir denn von dem erzählt?
KIND.
Der Pehr,
Und auch der Onkel, Anna!
ANNA
nimmt sie in den Arm.
Kind, mein Kind:
Der alte Torbern lebt ja längst nicht mehr!
KIND.
Ja, ja! Er ist ein Zauberer! Der wars!
[123]
ANNA.
Warum muß ers gewesen sein?
KIND.
Er hat so ausgeschaut.
ANNA.
Wie denn?
KIND.
Mit blutigen Augen, und der Hals
So lang und nackt!
ANNA.
Rigitze, jetzt merk auf:
Der Torbern war einmal ein weiser Bergmann,
Den hat der Berg verschüttet, und das ist
Zweihundert Jahr jetzt her.
KIND.
Zweihundert Jahr?
Das ist sehr lang?

Nickt.

Er ist sehr alt.
ANNA.
Mein Kind,
Kein Mensch kann so lang leben.
KIND.
Gar kein Mensch?
Warum?
ANNA.
Weil alle früher sterben müssen.
KIND.
Warum?
ANNA.
Halt, wenn sie alt sind. Manche auch
Schon früher.
KIND.
Mußt du auch bald sterben? Sag!

Klammert sich an sie.
ANNA.
Merk auf: jetzt gehen wir hinein ins Zimmer,
Und ich näh deiner Puppe für den Sommer
Ein weißes dünnes Hemd.
KIND
ängstlich.
Nein, nicht hinein!

Eine Pause.
KIND
aufs neue furchtsam.
Sie haben doch gesagt, er geht herum!
ANNA.
Wer denn?
KIND.
Der Torbern.
ANNA.
Früher hat man das
Geglaubt.
[124]
KIND.
Erzähl mir, was?
ANNA.
Daß er herumgeht ...
KIND
fürchtet sich.
Ja, ja!
ANNA.
Nein, nein, nicht hier: im Land da draußen.
Und wenns an Bergleuten gefehlt hat hier,
So hat er neue hergeschickt.
KIND.
So alte?
ANNA.
Nein, junge.
KIND.
Hergeschickt?
ANNA
gleichmütig.
Aus den Seestädten,
Und sonst vom Land.
KIND
ängstlich.
Fehlts jetzt an Leuten, Anna?
Ich fürcht mich!
ANNA.
Hör doch auf, wir gehn in Garten
Und holen Petersil.
KIND
läuft ihr voraus, am rückwärtigen Fenster in den Garten spähend, schreit es.
Da! da!
ANNA
läuft hinzu.
KIND
bei ihr.
Ein Mann!
Ein fremder Mann! Er kommt! Er ist im Garten!
ANNA.
Der ist ja jung! Wie einen du erschreckst!
Schau selber!
KIND
den Kopf in Annas Schoß versteckt.
Kommt er? Hat er blutige Augen?

Elis wird am rückwärtigen Fenster sichtbar.
ANNA.
Wie du und ich!
KIND
weint.
ANNA.
Du Ding, gib Ruh, ein Fremder
Wirds sein, der sich vergangen hat.
KIND
an ihr hängend.
Nicht gehn!
ELIS
tritt durch die Eingangstür, unschlüssig, die Klinke nicht loslassend.
Verzeiht, nicht in die Stube wollt ich treten,
Auch nicht ins Haus. Es führt ein Weg wohl durch ...
[125]
ANNA.
Wie?
ELIS.
An den Berg.
ANNA.
Ein Pfad?
ELIS.
Ja, durch den Garten,
Wohl hinterm Haus.

Sieht sich um.
ANNA
schüttelt den Kopf.
Kein Pfad führt hinterm Haus.
ELIS.
So trat er hier herein?
ANNA.
Wer trat herein?
Wen sucht Ihr?
ELIS.
Den, der eben vor mir kam.
ANNA.
Hier kam

Stockend.

kein Erdenmensch vorbei.
KIND.
Der Torbern!
ELIS.
Was sagt das Kind?
ANNA
sieht ihn groß an.
Das Kind ist schreckhaft.
ELIS
zwischen Tür und Angel.
Ja, verzeiht, ich geh.

Unschlüssig, vor sich.

Doch hab ich ihn gesehn: er sah sich um
Und zögerte am Kreuzweg, schritt dann links
Und deutete ... Der Weg führt durch den Garten?
ANNA.
Ins Haus, nicht weiter.
ELIS.
Aber an den Berg?
ANNA
zeigt auf die Wand links.
Der Berg ist hier. Er springt uns hier ins Haus.
ELIS
geht mechanisch hin, befühlt die steinerne Wand, schüttelt den Kopf, wendet sich, fortzugehen.
Ei ja. Ich geh. Schön guten Abend.
ANNA
plötzlich, fast heftig.
Nein, sitzt nieder.
Ihr seid ermüdet, ich bring Euch zu trinken.
Ich fühl, Euch dürstet. Setzt Euch! Hier, ans Fenster.
[126] Ihr seht die Straße, und der, den Ihr sucht,
Wird wiederkommen – nicht? – nach Euch zu sehen!
Ich bitt Euch, ruht Euch aus!
ELIS
steht an der Tür.
Was ist die Uhr?

Sieht nach der Wanduhr, für sich.

Noch sieben nicht. Gestern um diese Zeit
Da wars noch nicht.
ANNA
zutraulich.
Der Vater kommt auch bald,
Er ist im Berg.
ELIS
tut einen Schritt auf sie zu.
Er dient im Berg, nicht wahr?
ANNA.
Der Schacht, in dem er anfährt, ist sein eigen.
Wollt Ihr nicht sitzen, ich hol Euch schnell was.

Elis läßt sich an der untern Schmalseite des Tisches auf einen Stuhl nieder, halb umgewandt, daß er das Fenster rechts im Auge behält und auf die Straße achten kann.
KIND
kommt zutraulich auf ihn zu.
Ich weiß ein Sprüchel!
ANNA
die links rückwärts am Schrank kniet.
Quäl den Herrn doch nicht!
ELIS
streichelt das Kind, halb zerstreut.
So sags nur, du.
KIND.
Seeleut sind lustige Leut,
Bauersleut sind geizige Leut,
Stadtleut sind schlechte Leut,
Bergleut sind rechte Leut.

Anna kommt nach vorne, stellt einen Krug und ein Brot vor Elis.
Eine kleine Pause.
ELIS.
Seeleut sind nicht so lustig, wie sie meint.
ANNA.
Ihr seid auch einer?
ELIS
nach einer kleinen Stille.
Wo ich geboren bin, da sind auch Berge.
Dann zogen wir hinab.
ANNA.
Da ists wohl anders.
[127]
ELIS.
Mit dreizehn kam ich auf ein Schiff.
ANNA.
So jung!
ELIS.
Nun ists mir wie im Traum, daß ich einmal
Im Herbst des Hirschen Schrei gehört, im Sommer
Des Kuckucks Ruf, und Lindenduft geatmet!
ANNA.
Wir haben auch drei Linden, da.

Zeigt durchs Fenster.
ELIS
blickt hinaus.
Und drüben
Laubbäume viel.
ANNA.
Ja, dort den Bach entlang.
ELIS.
Mit Vögeln in den Kronen? Sterne blinken
Durchs Laub?
ANNA.
Zuweilen sind so schöne Nächte,
Doch lebt man immer hier, man achtets kaum.

Sie lehnt sich an den Tisch, zutraulich plaudernd.

Mit vierzehn, fünfzehn, da lief ich herum,
Bis dunkel war, und tief hinein in Wald.
Manchmal schlugs mir den Atem ein, mir war,
Es käm des Nöcken Singen durch die Luft,
Den ich erlösen müßte, ich allein.
Dann wieder triebs mich in den Büschen fort,
Und wie der Kuckuck rief und rief, so riefs
In mir, es war kein Wünschen, süßer wars
Als Sehnsucht, so beklommne Fülle wars
Und süße Leere, und er rief und floh
Und rief ... bis alles um mich dunkelte
Und durch das Laub die feuchten Sterne drangen.
Und wie sie winkten, da und dort um mich
Im stillen Bach aufblinkten und am Rand
Der dunklen Berge ruhten still wie Lämmer,
Da fing ich an zu zählen, aus dem Bette
Stieg ich im Dunklen und ich zählte sie,
Und die ich mir gezählt, die waren dann
Mir untertan und mußten mir einmal
Wünsche erfüllen. Gar wenn einer fiel!
[128] Wie einem das entschwindet. Wenn nun Nacht ist
Und sie aufziehen droben ohne Zahl:
Ich mag gar nicht hinaufschaun, mich verwirrts.
Ja, gestern wie wir baden, weißt, Rigitze,
Im Dämmer, da fiel einer nah von uns,
So nah, daß ich mich unters Wasser duckte,
Denn er erhellte wie ein Wetterleuchten
Die Uferstauden rings. Ich red vor Euch
Schon alles! Was Ihr nur Euch denken müßt.
KIND
eifrig.
Die Puppe war auch mit im Bad.
ANNA
verlegen.
Ja, ja.
ELIS
zerstreut, nach einem suchenden Blick durchs Fenster, wieder zu ihr gewandt.
Ein Wetterleuchten? Und Ihr ducktet Euch?
ANNA.
Nein doch, ein Stern, der fiel. Ihr macht mich rot.
ELIS.
Ich sah Euch auf den Mund und gab nicht acht.
Ein Stern, habt Ihr gesagt? ein Stern, der fiel?
Im Abenddämmern? fiel? Hier fiel mein Stern!

Steht auf, vor sich.

Es sind nicht Träume, oder dieses All
Träumt mit. Hier ist das Ende meines Weges.
Von hier muß ich hinab.
ANNA.
Seid Ihr unruhig,
Daß Euer Freund nicht kommt? Ihr seht verstört.
Wüßt ich nur ein gescheites Wort zu sagen.
Wollt Ihr nicht essen? Sagt, kommt Ihr weither?
ELIS.
Wenn, Anna, du einmal wirst meiner denken,
So wird es sein, als wie an einen Gast,
Der dir herabkam flüchtig, schattengleich
Von einem Stern, von einem funkelnd roten,
Des ganze Lebensluft ein schwindliges Gemisch
Von Wonne und Entsetzen. Niemals geht
Ein zweiter dir vorbei mit gleichem Schicksal.
ANNA
sieht ihn mit großen Augen an.
Ich weiß nicht, was für ein Geschäft das sein mag,
[129] Das Euch hierhertrieb. Draußen in der Welt
Muß vieles sein, das unsereins nicht ahnt.
Allein Ihr seid noch jung und sprecht so wild
Und blickt so scheu um Euch, und Eure Augen
Sind überwacht. Ich bitt Euch, bleibt bei uns:
Wir sind zu drei; der Vater ist so gut,
Und wohnt Ihr hier bei uns, so kann Euch niemand
Was anhaben. Seht, hier ist ein Platz leer
An unserm Tisch, der Bruder ist heut fort
Für lang, und seine Kammer steht auch leer.
ELIS
für sich.
Mit vielen Zeichen weisest du den Weg!
ANNA
indem sie den in sich Versunkenen leise anrührt, wie Kinder tun.
Die Kammer ist nicht groß, doch licht und rein.
Merkt: – wenn Ihr aufsteht, morgen in der Früh,
So tretet leise auf, daß Ihr das Kind
Nicht weckt. Sie schläft mir dann nicht wieder ein:
Ich hab sie öfters über Nacht bei mir,
Und Eure Kammer ist der unsern über.
Hört Ihr? Nicht wahr, Ihr bleibt? Wärs auch für kurz!

Das Kind hat sich weggestohlen, ist in Annas Kammer gegangen und hat die Türe hinter sich angelehnt gelassen.
ELIS.
Jetzt steht die Tür von deiner Kammer offen:
Da wirst du leben drin und deine Tage,
Die werden kommen und vorüberrinnen

Anna geht, indessen er redet, leise hin und macht die Türe zu.

So wie der Brunnen draußen, hör nur, hör.
Und Nächte auch, erst solche wie bisher,
Dann eine, wo du liegst und glühst im Dunkeln,
Weil der im Dunkeln steht, dem du gehörst ...
Doch vorher noch so viel: des Kuckucks Ruf
Wird durch den Abend dringen, weit herab,
Weit hin, nur nicht hinunter, Stürme werden
Am Fenster rütteln, sanfte Regenbogen
Aufsteigen aus den Schluchten, immer wirst du
Die Glocken läuten hören, Anna, Anna –,
Ich will nicht ganz vergessen sein hier oben!
[130]
ANNA.
Gott sei uns gnädig! Wollt Ihr denn ins Grab?
ELIS
die gefalteten Hände beschwörend vor seinen Mund erhoben.
Du bist so schön und gut, du mußt mich fassen!
Nimm, ich blieb lange hier, heroben, hier,
Bei euch im Haus, du sähst mich Tag um Tag ...
Dann käm ein Etwas und das zwänge dich,
An einem Morgen, einem Abend etwa,
Seis früher, später, einmal käms dich an
Und zwänge dich, mit einem andern Blick
Mich anzusehen: das käme so, das ist so:
Ich weiß vom Schiff, da war ein Junge drauf,
Ein halb Jahr aßen wir an einem Brett
Und schliefen in demselben Raum, ich sah ihn
Und sah ihn nicht, er war mir wie ein Holz,
Die Katz im Schiffsraum gab mir mehr zu denken. –
Bis einmal – er ist tot, er fiel von Bord –
Einmal, da lag er da und schlief, da kam ich
Und streift ihn und er schlug die Augen auf
Und zog den Kopf so zu der Schulter, da,
Da konnte ich ihn sehn, ich sah durchs Auge
Bis in sein Herz hinein, und von dem Tag
Half ich ihm bei der Arbeit, und des Abends
So setzten wir uns mit verschlungnen Fingern
In einem Winkel auf gerolltes Tau
Und sahen eins das andre an und schwiegen,
Und die uns spotten wollten, sagten: »Brautleut!«
Nimm, ich blieb lange hier, so käm der Tag,
Da du mich sehen könntest, wie ich bin ...
Allein, auch so, du hast nicht Ursach, freilich,
Allein so denk, du sitzest da im Garten
Und riechst zu deinen Blumen, und da tut
Der Grund sich auf und schlingt vor deinen Augen,
Der grüne Rasengrund, der dich sanft trägt,
Schlingt mich hinunter und im Sinken spräch ich
Zu dir, du fingst den letzten Seelenblick,
Der aus den schon verdrehten Augen schießt,
Mit deinen Augen auf, und eh die Erde
Den Mund mir füllte, rief ich noch zu dir:
[131] Du blasse rote Blume, wo du mein
Vergessen kannst, so hab ich nie gelebt,
Denn nichts bleibt auf der Welt, das mein gedenke.
ANNA.
So hast du keine Heimat, armer Mensch?
ELIS
faßt sie an.
In dir! Denn du sollst meiner denken, sollst!
ANNA
tritt einen Schritt zurück.
Weiß ich doch deinen Namen nicht einmal,
Nicht, wo du herkommst, nicht, wohin du gehst.
ELIS.
Und wenn ich dorthin geh, wo keiner rückkehrt?
ANNA.
Du willst dir Leid antun! Was ist auf dir?
ELIS
sanft.
Nicht fragen, wenn ich geh, wo keiner rückkehrt,
Nimm, wenn ich ginge, Liebe, hör mir zu:
Wenn sie – und brächten dir die Botschaft wieder:
Er kommt nicht, darf nicht, kann nicht mehr zurück:

Dicht an ihr.

Sie brächten dir die Botschaft hier herein,
Und du im Dämmer stündest da und wüßtest,
Nicht dächtest – wüßtest: der kommt nie mehr wieder,
Nie, nimmer, nimmermehr, sag, Anna, sag,
Wie denn geschäh dir? Anna, wär dir weh?
ANNA
schweigt.
ELIS.
Nicht wahr, du sagtest dir: was er mir war,
Eh ich ihn sah, das ist er mir nun wieder,
Kann sein, ich träumte auch am hellen Tag.
So sprächest du und schütteltest den Schauder
Von deinem Leib, wie nach dem Bad im Bach?

Er streckt die Arme gegen sie aus und schlägt dann die flachen Hände bittend wie ein Kind zusammen.

Nicht so? Nicht diese Rede? Anna, sag!
ANNA.
Was quält Ihr mich?
ELIS.
Du sollst mirs sagen, Anna!
[132]
ANNA.
Ich kann Euch doch nicht fassen, Eure Rede
Springt um, so wie ichs beim Großvater sah,
Bevor er starb. Du lieber Gott im Himmel,
Was kann ein Mann erleben, das ihm so
Den Sinn zerrüttet!
Ihr sprecht von mir, von Euch, vom Gehn, vom Bleiben,
Und wie Ihrs aussprecht, ängstet mich ein jedes.
Ich bitt Euch, sagt, wie ich Euch helfen kann.
Um welches Ding auf Erden tratet Ihr
In dieses Haus?
ELIS
sich völlig zusammennehmend.
Sei ruhig, gutes Mädchen.
Weil ich ein Bergmann werden will, darum.
Weil ich in deines Vaters Dienst will einstehn.
ANNA.
Nein, so dürft Ihr nicht zu mir sprechen, Herr.
Ich weiß, ich bin jung und nicht klug, doch nicht
Gewohnt zweideutige und schlechte Rede.
Das, was Ihr sagt, so viel versteh ich schon,
Daß Ihrs nicht meinen könnt.
ELIS.
Bei Gott, ich mein es.
ANNA.
Warum dann tratet Ihr mit einer Lüge
Herein, als wärt Ihr auf der Wanderung,
Als wär ein Freund vorauf, und was noch alles!
Sprecht lieber nicht mit mir. Kann sein, Euch liegt
Nicht viel daran. Ihr nehmts für einen Scherz ...
Mit mir spricht niemand so und mich verwirrts.
Es brächt mich um mein Zutraun zu den Menschen.
ELIS
tritt dicht vor sie.
Sieht so die Lüge aus?
ANNA.
Ich möcht Euch gern,
So gerne alles glauben, wie nur?
ELIS.
Anna, hör mich:
Der mich geführt hat, wird nicht wiederkommen:
An Zeichen hab ich erst erkennen müssen,
Daß ich am Ziel bin, daß ich her hab müssen
In euer Haus.
[133]
ANNA.
An Zeichen?
ELIS.
Sinn nicht nach.
Sinn nicht darauf. Du sinnsts nicht aus.
ANNA.
Das muß wohl sein. Und doch ist mir ... Nein, nein.
Ich möchte fragen. Nein, ich frag Euch nichts.
Mich schauderts an und ich begreif es nicht,
Und für Euch ist es Wirklichkeit, es ist.
Sie haben oft gesagt, ich bin so kindisch,
Ich faß nur, was ich mit den Händen greif:
Könnt ich denn das erfassen, was Ihr meint?
Ihr dürft nie lügen, Ihr, mit Worten nie
Und anders nie, ich bitt Euch. Denn wenn das
Geschäh, verlör ich allen Halt. Mir ist schon jetzt,
Als wär ichs nicht. Es gleitet alles so.
Mir scheint, da trat der Vater schon ins Haus,
Und wir stehn da. Sagt mir, was soll ich sagen?

Sie rührt ihn leise an.

Weiß ich doch Euren Namen nicht einmal.
ELIS.
So sag ihm, daß ich Elis Fröbom heiß
Und fahren will in seinen Schacht, weils mir
Zu fahren nicht mehr taugt auf weitem Meer.
ANNA.
Ich will ihm sagen, du heißt Elis Fröbom
Und willst einstehn als Knapp in seinen Dienst,
Ja?

Sie gibt ihm die Hand, ihn in des Vaters Kammer zu führen.
ELIS.
Wie kalt jetzt deine Hand ist, kalt wie Stein.
ANNA.
Acht nicht darauf, mir kann ein Kindermärchen
Das Blut erstarren machen. Elis Fröbom,
Nicht wahr, so heißt du? Mir ist wie im Traum.

Sie führt ihn an die Türe rechts, dort horcht sie einen Augenblick, klopft dann an die Tür.
Vorhang.
[134]

3. Akt

Dritter Akt

Die Landstraße vor Dahlsjös Haus. Links steigt die Straße in einem steilen Hohlweg den bewaldeten Berg empor. Rechts setzt sie über eine kleine Brücke talab. Den Hintergrund nimmt das Haus ein, mit Stall und Schuppen, in den Berg eingebaut. Rechts schließt ans Haus ein freundlicher bäurischer Garten, den das tiefe Bette des Baches durchschneidet. Rechts von der Haustür läuft unter den ebenerdigen Fenstern ein Rasenstreif mit blühenden Georginen. Ein an Gitterwerk gezogener Obstbaum greift an der Wand bis unter den hölzernen freien Gang, der in Stockhöhe ums Haus läuft.
Abendsonne.
Anna und die Großmutter treten aus dem Pförtchen im Gartenzaun auf die Landstraße heraus.

ANNA.
Riechst du den guten Duft vom frischgeschlagnen Holz?
Spürst du, wies kühl vom Wald herüberkommt?
Dort dämmerts schon, hier atmets noch im Licht,
Du, ich, die Georginen, unser Bach,
Und alles glänzt so sehr.
GROSSMUTTER.
Ich spür schon etwas Welkes in der Luft:
Es muß jetzt bald ein Jahr sein, daß der Christian
Fort ist von uns.
ANNA.
Und weißt du noch, Großmutter,
Den gleichen Tag – ist das nicht wunderbar? –
Den gleichen Tag wars, daß der Elis kam.

Eine kleine Pause.

Ich kanns kaum denken: heut vor einem Jahr,
Da kannten wir den Namen noch gar nicht.
Wie alles zugeht!

Eine kleine Pause. Anna heraußen, die Großmutter ruht am Gartenzaun aus.

Alles ist so schön.
Nun wird es Nacht, nun kommen sie bald heim!
[135] Da fliegt die Schwalbe in die Stalltür, siehst du?
Ach nein, du kannsts nicht sehen, sei nicht bös!
Allein wenn dann die vielen Sterne aufziehn
Und du die Hände ausstreckst, spürst du auch
Ihr feines Licht herniederrieseln, nicht wahr?
Und wenn der Mond ums Haus geht und den Glanz
Zwischen den wilden Wein legt und die Laube
Mit weichem Schatten anschwillt und der Bach
In halbem Schlaf so rauscht und wieder wegsinkt
Und wieder stärker rauscht, und über einem
Gehn Schritte in der Kammer – Großmutter,
Was sinnst du so und schaust so her auf mich?

Großmutter schweigt.
ANNA.
Ich bin so froh, daß über mir die Kammer
Nicht eine einzige Nacht hat leerstehn müssen.
Denn wie der Christian fortging, hab ich mich so sehr
Gefürchtet: ich wars so gewohnt, ihn gehn
Zu hören, so unheimlich wärs gewesen!
Da kam der Elis und wohnt seitdem drin.

Eine kleine Pause.

Sag mir, woran du denkst?
GROSSMUTTER.
Ich hör dich reden,
Und denk mir, wie du aussiehst, daß die Stimme
So anders klingt.
ANNA.
Wie denn?
GROSSMUTTER.
So anders, anders
Als früher. Sonst wars so ein kleines Ding,
Das lief umher und sprach.
ANNA.
Und nun, Großmutter?
Ich bin nicht anders worden, geh, Großmutter.

Eine kleine Pause.

Großmutter, hörst du nichts? Du hörst doch gut.
Sie kommen.
GROSSMUTTER.
Wer?
ANNA.
Sie kommen aus dem Berg.
's ist Feierabend. Willst du, gehen wir
Hinauf: sie sehn uns nicht, wir sehen alle
[136] Und hören, was sie sprechen. Ja, Großmutter?

Anna und Großmutter treten durch das Pförtchen zurück und verschwinden im Garten.
DAHLSJÖ
tritt mit dem Knecht aus der Stalltür.
Ein schöner Kerl, der neue Hengst. Was, Karl?
Der Spiegelglanz am Hals, die starke Krupp:
Sie haben keinen solchen in der Landschaft.

Dahlsjö kommt nach vorne, der Knecht ist in den Stall zurück.

Herr Gott, wär jetzt der Christian noch heim,
Wie schön stünd mir mein Haus da!

Sieht mit beschattetem Aug nach rechts in die Weite.

Ich bau dem Bach ein neues Wehr, und längshin
Setz ich Birnbäume an, und wenn ich alt bin,
Wie jetzt die Mutter, eß ich ihre Frucht
Und denk an das merkwürdige Jahr des Glücks.

Wendet sich gegens Haus zu.

Du altes Dahlsjö-Haus, nun siehst du nicht mehr
Mit stillem Vorwurf auf mich her, nun glänzt
Dein alter First, und aus den Fenstern dämmernd
Drängt sichs wie liebe Seelen still hervor.
Seid ihr da droben, ihr!

Anna und die Großmutter sind oben sichtbar, Anna am Geländer vorgelehnt, die Großmutter dahinter, im Halbdunkel.
ANNA
von oben.
Vater, mir hat heut nacht vom Christian geträumt!
DAHLSJÖ.
Was denn?
ANNA.
Es ging ihm gut.
DAHLSJÖ.
Das gebe Gott.

Tritt näher hinzu, spricht zu ihr hinauf.

In mir will manchesmal solch ein Gedanke
Nicht schweigen, als ob sichs an ihm da draußen
Müßt strafen, daß es uns hier allzu gut geht.
Als müßt ers zahlen irgendwie, Gott weiß,
Daß uns der Elis solch ein Glück ins Haus bringt.
ANNA.
Geh Vater, sicher kommt ein Brief bald wieder.
Was du dich quälst! Komm doch herauf zu uns.
[137]
DAHLSJÖ.
Ich muß was schreiben, dann komm ich zu euch.

Tritt ins Haus.
ANNA
abwechselnd vornübergeneigt, dann zur Großmutter zurücksprechend.
Jetzt kommen unsre Bergleut schon, Großmutter.
Der Vater? Nein, der ist ins Haus gegangen.

Es kommt ein Trupp Bergleute den Hohlweg herunter und am Haus vorbei. Dann noch ein paar einzelne.
ANNA.
Der Elis ist noch nicht da. Da! ich seh ihn!
Jetzt decken ihn die Bäume zu, Großmutter.
Wenn ich nur wüßt, wie du ihn dir vorstellst!
Wie du dir vorstellst, daß er aussieht. Wie?
Jetzt seh ich ihn schon deutlich. Wie die Menschen
Sich an ihn hängen! Immer, alle drängen
Ihm nach, wo er nur geht und steht. Ein Alter!
Was will denn der von ihm? Er hält ihn auf.
Nein, eine arme Frau ist das: er spricht
Mit ihr, jetzt streichelt er das Kind. Großmutter,
Die Kinder hängen alle so an ihm!
Jetzt könnt er hier sein! Jetzt ist er schon da:
Da treten wieder zwei ihm in den Weg!

Elis tritt links aus dem Hohlweg hervor.
Der Handwerksbursch und sein Bruder treten aus dem Gebüsch ihm in den Weg. Der Handwerksbursch hat rotbraun struppiges Haar und Bart, vorgequollne Augen. Sein Bruder hält sich hinter ihm, ist hager, jung, bartlos, von scheuem Ausdruck, mit dunklen Augen.
HANDWERKSBURSCH.
Herr Fröbom!
ELIS.
Woher weißt du meinen Namen?
HANDWERKSBURSCH.
O den weiß hier herum ein jedes Kind.
Ihr seid es doch, der Sonn und Regen macht
Im Bergbetriebe hier.
ELIS.
Was solls? was solls?
[138]
HANDWERKSBURSCH.
Wir möchten Arbeit haben hier bei Euch.
Im Förderschacht etwa.
ELIS.
Seid ihr vom Handwerk?
HANDWERKSBURSCH.
Ich bin ein Hufschmied.
ELIS.
Was dann suchst du hier?
HANDWERKSBURSCH.
Ihr war't auch kein Gelernter, Herr, ich weiß wohl:
Matros war't Ihr.
ELIS.
Ei ja, und da meinst du,
Du mußt mirs nachtun, mußt vom Handwerk laufen ...
HANDWERKSBURSCH.
Man geht halt hin, wo man sich besser steht.
ELIS.
Meinst du? Ich aber mein, man liebt sein Handwerk
Und freut sich dran: denn auf der weiten Erde
Dem Manne bleibt nichts Bessres, sich zu freuen.
Und wie er viel sich müht und sich sein Leib
In dumpfer Glut fast löst in den Gelenken
Und ihn Vergessen seiner selbst befällt –
Da regt sichs im Gestaltlosen um ihn,
Das Mächtige gibt auf den Widerstand,
Und er ... Auf Euch gehts nicht, was ich da red.
Allein seit sichs verbreitet hat im Land,
Es geht uns wohl, wir fördern viel, und Gott
Mag wissen was auch sonst für Lügenrede,
Seitdem da schwankts und schlürfts und stolperts her.
Wer hieß Euch hier heraufgehn, ich hab Bergleut
So viel ich brauch. Geht Eurer Wege, Mensch.
HANDWERKSBURSCH.
Es werden auch nicht lauter Heilige
In Euren Gruben schürfen.

Er geht widerwillig die Straße rechts ab.
ELIS
zu dem Jüngeren, der sich anschickt, langsam fortzugehen.
Und du, wer bist denn du?
DER BURSCH.
Ich bin sein Bruder.
[139]
ELIS.
Und wolltest?
DER BURSCH.
Ihr habts schon gehört! Ich geh.

Wendet sich zum Gehn.
ELIS
tritt auf ihn zu.
Bleib stehn. Du wolltest Arbeit haben hier?
DER BURSCH.
Ihr gebt mir keine und ich geh. Gleichviel.
Es ist ganz gleich.

Sieht immer zu Boden.
ELIS.
Kannst du dein Aug nicht heben?
DER BURSCH.
Ich sag Euch, laßt mich lieber gehen, Herr.
Ich bring kein Glück ins Haus.
ELIS.
Bist du so bitter?
Willst du dem Bruder nach?
DER BURSCH.
Der mag auch gehn
Wohin er will. Denn mir ist nichts gemein
Mit ihm.
ELIS.
So bist du ganz allein?
DER BURSCH.
Freuts Euch,
So viel zu fragen? Oder kann ich gehn?
ELIS.
Nein, denn ich heiß dich bleiben, denn ich will
Dich so anfassen, daß du dich ermannst,
Und diese Starrheit will ich von dir schütteln.
Komm, armer Bursch, komm.
DER BURSCH.
Nun, Herr, wenn Ihr wollt.

Elis geht an das Fenster rechts neben der Haustür, klopft an die Scheibe.
DAHLSJÖH
indem er das Fenster halb aufmacht, von drinnen.
Ich schreib was, Elis, gleich komm ich hinaus.

Schließt wieder.
Elis setzt sich auf die Bank links von der Haustür.
Der Bursch steht scheu mit niedergeschlagenem Blick vor ihm.
ANNA
oben.
Ich kann nicht hören, was er spricht mit diesem.
[140]
ELIS
halb für sich.
Da steht so einer da und starrt in Boden
Und beißt die Zähne zu und will nichts von der Welt.
Glaub mir, es löst sich auch der schwerste Krampf,
Und auch der tiefste Kerker tut sich auf.
Dann bist dus und erkennst dich selber kaum,
Im Duft von Nacht und Schauder, der um dich
Verfließt im Tag, dein Aug ist dir gelöst,
Du weißt nicht, wie du herkamst, doch es ist
Als wär zu atmen dir nur hier gegeben!
Zwar: hier ... vielleicht auch anderswo, allein
Wos ähnlich ist, wie hier. Wos hell und still ist,
Wo solch ein Bach ist, solch ein kleiner Garten
Sich an die Schwelle schmiegt von einem Haus,
Und wo du sitzen darfst am Abend, hören,
Wie sie drin auf- und niedergehn und droben,
Und wo der Hund dann herkommt, sich an dir
Zu wärmen, weil er weiß, du bist vom Haus:
Nicht fremd und flüchtig, wie das wilde Wasser,
Nicht starr und finster, wie der Fels da drüben!

Dahlsjö tritt aus der Haustür.
ELIS
vor ihm aufstehend.
Herr Dahlsjö, ich hab einen neuen Knappen
Auf sein Gesicht gedungen, scheltet Ihr?
Der Bursch da ists.
DAHLSJÖ.
Es war nicht anders, Elis,
Daß ich dich selber nahm. Kann ich da schelten?

Zu dem Burschen.

Geh hier ins Haus und setz dich zum Gesinde.

Der Bursch tritt ins Haus. Dahlsjö legt seinen Arm um Elis' Nacken. Sie kommen nach vorne gegangen.
ELIS.
Es kommen ihrer viel jetzt hergestrichen.
Man muß sich wahren. Der war jung und scheu.
Ich weiß nicht, was mich trieb. Er gab kaum Antwort.
DAHLSJÖ.
Es ist wie meine Mutter immer sagt:
Acht auf den Fremden, der die Schwelle tritt:
[141]
Es ist ein Baum, darauf von Höll und Himmel
Dir Früchte wachsen können.
ELIS
nachdenklich.
Sagt sie das?
ANNA
oben, zurücktretend.
Großmutter, ist dir kühl? Wir gehn hinein.

Anna und Großmutter verschwinden.
Es dunkelt merklich.
ELIS.
Ich wußte nicht, daß Eure Tochter hier war!
DAHLSJÖ
indem er einen Blick hinaufwirft.
Mir gibt es einen Stich, wenn ich dran denk,
Daß die Zeit kommt, wo ichs auch lernen muß,
Die Stimme zu entbehren.
ELIS.
Wie, Herr Dahlsjö?
DAHLSJÖ
indem er von dem lebendigen Gartenzaun Raupen abnimmt, sich hie und da gegen Elis umwendet.
Es kommt doch wohl der Tag, daß ich sie muß
Vermählen wo im Land. – Ein Raupenjahr!
Da hängen sie in ganzen Nestern gleich. –
Es müßte denn sich manches seltsam fügen,
Wie sich schon manches seltsam hat gefügt.

Eine kleine Pause.

Seht Ihr, da drüben will ich Birnen setzen.

Eine kleine Pause.

Man muß die Maulwurfsfallen wieder stellen,
Ist alles aufgewühlt.

Eine kleine Pause.

Doch meine Art
Ists nicht, zu lauern.
Man muß die Menschen lassen, wandelt doch
Gerad ihr Gutes wie im Traum dahin.
ELIS.
Herr Dahlsjö, sind die Worte, die Ihr redet,
Ein Hauch nur, den die Ruh des schönen Abends,
Der Anblick Eures Gartens und der Zufall
In Euch aufweckt, so bitt ich, heißt mich fortgehn!
Denn meine Ohren saugen sich an ihnen
Mit einem Etwas voll, das schwindeln macht.
Das war die Meinung nicht, nicht wahr, Herr Dahlsjö?
[142]
DAHLSJÖ
immer an dem Zaun geschäftig.
Siehst du, ich kenn mein Kind, und kenn sie nicht.
Auch ist es mir so widrig und verhaßt,
Wenn man nichts unberedet lassen kann:
Als hätt nicht grad das Beste auf der Welt
Gar keinen Namen, weils zu körperlos.
Wir wollen nun zum Essen gehn, nicht, Elis?
Es war mein ewig sorgend sinnend Herz,
Das anhub, vor dir von dem Kind zu reden.
Und wie gesagt, ich kenn sie, kenn sie nicht ...
ELIS
vertritt ihm den Weg.
Und mich?
Wißt Ihr denn, wer ich bin?
DAHLSJÖ
legt ihm die Hand auf die Schulter.
Ich denk, ich weiß es, Elis.
ELIS.
Der Unstete bin ich, der Heimatlose,
Der eines Abends eintrat hier zu Euch,
An Zeichen her sich tastend, was für Zeichen!
Der lang sein Brot an Eurem Tische brach
Und keinem wagte ins Gesicht zu schaun,
Im Innern grauenvolle Zwiesprach führend.
Der Finstre, dem der Hofhund winselnd auswich ...
DAHLSJÖ.
Nun aber folgt er dir und weint um dich,
Wenn du nicht da bist. Sind das deine Zeichen?
ELIS.
Was aber trieb mich her? welch ein Geschäft?
DAHLSJÖ.
Wärs zu verhehlen, riefst du es nicht auf!
Es kommt der Tag, da du es gern erzählst.
ELIS
zur Seite sehend.
Der Tag kommt nicht. Zumindest lang noch nicht.
DAHLSJÖ
lächelnd.
Du findest etwa hier, was dich vergessen lehrt.
Wie, oder nicht?
ELIS.
Herr Dahlsjö, habt Erbarmen!
[143]
DAHLSJÖ.
Wir wollens haben mit den warmen Speisen,
Die brennen wohl schon an. Komm, Elis, komm.

Es ist fast völlig dunkel geworden.
ELIS.
Hinein? zu ihnen, in die stille Stube?
Mir geht die Brust als ob sie springen sollte,
Und mich hinsetzen? reden dies und das?
DAHLSJÖ
lächelnd.
Ist doch ein Abend wie die andern alle.
ELIS.
Oh, nun nicht mehr! Es wuchs in mir, es wuchs,
Und drunten bei der schweigend dunklen Arbeit,
Da fiels mich an, da ward mir heiß, da warf ich
Den Mantel ab, vom innern Feuer glühend.
Seht Ihr: ich hab ihn nicht. Auch heut! noch heut!
Und nun brauch ichs zu bändigen nicht in mir,
Darfs nennen vor mir selbst, vor Euch, vor ihr!
Ich kann jetzt nicht hinein, laßt mich den Weg
Dort laufen, Worte ohne Sinn hinstammeln,
Die Augen, prahlend wie ein Trunkner tut,
Aufwerfen zu den Sternen! Ich will gleich,
Gleich wieder da sein. Ich find einen Grund:
Ich sag: ich lief mir meinen Mantel holen,
Wahrhaftig ja, das tu ich, er liegt dort
Wo wir das Werkzeug bergen, sicherlich,
Dort liegt er, und ich find ihn schnell, und schneller
Spring ich zurück, denn ich bin federleicht!

Springt weg, den Hohlweg aufwärts. Dahlsjö tritt ins Haus. Eine Pause. Übers Dach fällt Mondlicht auf die Straße.
ANNA
kommt aus dem Garten.
Kommt ihr noch nicht herein? Sie sind nicht da!

Sieht sich um, ist unschlüssig, ob sie ins Haus gehen soll, tut ein paar Schritte gegen den Stall, singt vor sich hin.

Er sah ihr in ihr Herz hinein:
Willst du mir ganz leibeigen sein?
Den Willen mach dem meinen gleich,
So wird dein Herz so freudenreich!

[144] Bleibt stehen.

Das Lied hab ich vom Christian. Wo der ist?
Und auch das Lied kommt mir verändert vor,
Als wie ein Kind, das recht gewachsen wär.
Ja so, ja so! ich denk doch nichts: das heißts:

Mit völlig verändertem Ton.

Den Willen mach dem meinen gleich,
So wird dein Herz so freudenreich!
DAHLSJÖ STIMME
aus dem Hause.
Anna!
ANNA
vor sich.
Das will das Lied! Wie oft hab ichs gesungen
Und nicht verstanden: nun versteh ichs gut,
So gut, nun sing ichs nur, wenn ich allein bin.
Ich schäm mich fast: 's ist so herausgesagt.
DAHLSJÖ
tritt aus dem Hause.
ANNA.
Vater, seid ihr schon drin, du und der Elis?
DAHLSJÖ.
Der Elis ist noch einen Sprung in Berg.
ANNA.
Im Berg? allein? jetzt bei der Nacht? im Berg?
DAHLSJÖ.
Zum Eingang nur vom Stollen. Seinen Mantel
Will er sich holen und ist gleich zurück.
Gehn wir hinein?
ANNA
schmeichelnd.
Nein, Vater, hier ists gut.
Spürst du schon etwas Welkes in der Luft?
Die Großmutter sagt, daß sies spürt. Ich nicht.
DAHLSJÖ
hat sich auf die Bank vor dem Haus gesetzt.

Eine kleine Pause.
ANNA
die ungeduldig nach dem Hohlweg späht.
Da!
DAHLSJÖ.
Was denn?
ANNA.
Nein, das war ein Schatten überm Weg,
Und nicht der Elis. Wie der Weg herleuchtet
Zwischen den Bäumen. Vater, komm ein Stück:
Wir gehen ihm entgegen!
[145]
DAHLSJÖ.
Ei, er kommt schon.
ANNA.
Wo? Siehst du ihn?
DAHLSJÖ.
Er weiß doch, was die Zeit ist.
Wir sprachen eben was, da sprang er fort,
Und rief: »Gleich bin ich wieder da!«
ANNA.
Nun, siehst du,
Und ist nicht da! Man sieht ja fast bis hin!
Und er kommt nicht! Das war noch keinen Abend.
DAHLSJÖ
lächelnd.
Vielleicht liegt ihm was andres heut im Sinn
Als andre Abende.
ANNA.
Weißt du, was, Vater,
Sag!
DAHLSJÖ.
Bist du so neugierig?
ANNA.
Vater, sag mir,
Sprachst du das nur so hin?

Nach einer Pause.

Er kommt nicht, kommt nicht!
Im Stollen ruhts doch jetzt, was tut er dort?
Wir gehen ihm entgegen, Vater, ja?
Und zeigen ihm, daß es besorgt uns macht.
Er tuts dann einen andern Abend nimmer!
DAHLSJÖ.
Doch bin ich nicht besorgt.
ANNA.
So bin denn ichs.
DAHLSJÖ.
Und zeigst ihms so?
ANNA.
Wozu denn ihms verbergen?
DAHLSJÖ
aufstehend, zu ihr gehend.
Bist du so weit mit ihm?
ANNA.
Wie meinst du, Vater?
DAHLSJÖ.
Verstehst du nicht, wie ich das meine, Anna?
ANNA.
Ich glaub wohl, ich versteh dich: du meinst so:
Da ich ein Mädchen bin, kein Kind doch mehr,
Und ohne Mutter, so für mich allein,
So müßt ich ... Ich hab oft schon nachgedacht,
[146] Wie andre Mädchen sind: die sind wohl anders.
Ich kanns nicht finden, wie ichs halten müßt.
Es quält mich oft. Allein, wenn ich um ihn
Mich ängstige, verbergen sollt ichs? tuen,
Als wär mir nichts? Und dreht sich mir doch alles,
Wenn ich den Weg dort seh und seh ihn nicht!
DAHLSJÖ
sieht ihr in die Augen.
So seid ihr – Anna, ich bin ja nicht bös,
Sags nur! – so seid ihr beiden einverstanden?
ANNA.
Vater, du meinst, ich rede was mit ihm
Von solchen Dingen? meinst, ich red mit ihm,
Wie ich zu ihm steh? Aber, Vater, nein,
Nein, nein. Wie ich mich das getraute, Vater!
Allein ich seh ihn doch und früh und spät
Denk ich an ihn. Wenn er nicht da ist, hör ich noch,
Was er geredet hat, ich lauer wo
Und sehe was er tut, und der Großmutter,
Die ihn nicht sehen kann, erzähl ichs dann.
Weil er den Pflock dort einschlug an der Brücke,
Sitz ich gern dort und lehn den Kopf daran.
Seitdem er ober mir wohnt in der Kammer,
Hab ich das ganze Haus viel lieber, nachts
Horch ich manchmal wie die Großmutter atmet
Und freu mich, daß sie lebt, und in der Früh
Seh ich der Schwalbe zu, die hat ihr Nest
Von außen an der Wand, an der er schläft.
Ich acht, wie er mit allen Leuten spricht,
Danach sind sie mir mehr und minder lieb,
Und du und alles – Vater, alles, alles
Erzähl ich dir, so viel du willst, nur jetzt –
Ich kann nicht denken, ich seh immer nur
Die Bäume, zwischen denen er nicht kommt!
Tu mirs zulieb, wir gehen beide, beide
Entgegen, und bevor wir völlig dort sind,
Begegnet er uns schon, nicht wahr? Komm, Vater!
Siehst du, er kommt ja nicht, hab Mitleid, Vater!
DAHLSJÖ
bei ihr.
Mit deiner Angst! Das kenn ich nicht an dir!
[147] Er ist ein Mann, kennt jeden Schritt und Tritt!
Wär er im Berg, was sollt ihm denn geschehn?
ANNA.
Das Fürchterliche, Vater, das was ich
Nicht weiß und immer spür, komm, Vater, komm!
DAHLSJÖ.
Du Kind!
ANNA
fieberhaft erregt.
Den ersten Abend, wie er kam ...
DAHLSJÖ
schnell.
Er war verstört, ihn schüttelte ein Fieber.
ANNA.
Nein, nein. Du weißt es nicht. Wir standen da
Im Dämmer und da faßte er mich an
Und sprach: »Wenn sie an einem Abend kämen
Und brächten dir die Botschaft hier herein:
Er kommt nie mehr zurück, nie, nimmer, nie!«
Dort drinnen wars, am ersten Abend, Vater,
Sprach ers zu mir, mir war er fremd, ich wußte
Noch seinen Namen nicht, da griff ein Etwas
In mich und tat mir heimlich einen Schmerz an,
Und davon hab ich etwas Dumpfes, Wehes
Nie aufgehört zu spüren, aber heut
Greift es in mich hinein wie eine Hand.
Weißt du denn nicht mehr, Vater, wie er herkam?
Siehst du, ich trag ihn ganz in mir und kann
Nichts, nichts vergessen, wollt ich noch so gerne!
Da war ein Etwas, das sich um ihn wob,
Das sich anzeigte, das im Dunklen winkte:
Vater, wenn sie ... und klopften an die Tür,
Und wir, wir wüßten: er kommt nicht zurück!
Vater, wir müssen schnell gehn, alle Leute,
Die wir begegnen, müssen mit, die schlafen,
Die müssen aufstehn, alle müssen leuchten
Und rufen alle, damit wir ihn finden!
Vater, ich seh ihn noch nicht! Vater, Vater!

Sie zieht in ihrer fieberhaften Hast den Vater hinter sich her, den Hohlweg hinauf.

[148] Schnelle Verwandlung
Ein Stollen im Bergwerk, gestützt mit gewaltigen Balken, auf die eine ungeheure Wucht finsteren Gesteins von allen Seiten hereinzudrängen scheint. Der Stollen verläuft nach rechts hin in undurchdringliches Dunkel. Links mündet ein anderer, um einige Stufen höher geführter Querstollen. Alles niedrig, luftlos, in Finsternis gehüllt.
ELIS
kommt die Stufen herab, in der Hand sein Grubenlämpchen, dessen unsicherer Schein über die finster lastenden Wände hinhuscht.
Seiner Stimme Ton ist harmlos fröhlich.
He, Grubenwächter! hört mich niemand rufen?
Ich möchte meinen Mantel, ich hab nicht
Viel Zeit, im Finstern hier herumzukriechen!
Heda, ihr die nicht schlafen dürft! he! auf!
Mantel, wo steckst du? Mantel, Mantel, Mantel!

Er späht herum.
Aus dem Dunkel rechts schiebt sich, vom Hals bis über die Knöchel in den dunklen Mantel gehüllt, eine Gestalt hervor, deren helles Haupt Annas Züge
trägt: der Knabe Agmahd.
ELIS.
Herr Gott! du dort im Mantel, wer bist du?
Wer bist du, der so lautlos auf mich zukommt?
Nun bleibst du stehn, nun schütt ich dir mein Licht
In dein Gesicht. Du, du, du! Anna! Anna!
Herr meiner Seele, wie kommst du hierher?
Du, Anna, Liebste, Kind, was kommst du her?
Stehst da, von scheuer Schönheit blaß und funkelnd,
In meinen finstern Mantel eingewickelt,
Stumm wie ein Bettelkind, du Süße, Liebe!
Nein, du hast recht, gib mir nicht Antwort, nicht
Wie immer dus erklärst, ob dus dem Vater
Hast abgeschmeichelt, ob dich heimlich her-
Gestohlen wie ein kleines Kätzchen, nichts
Ist so, wie daß du da bist, wundervoll!
So weißt du, Liebste, alles ohne Worte
Und drängst dein Alles, weils zu viel für Worte,
Zusammen in dies lieblich süß wortlose
[149] Dastehen, in dies unbegreifliche!
Weißts immerfort und tatest keinen Blick
Und keinen Wink, der zeigte, daß dus wußtest?
Weißt, daß um dich in diesen kalten Klüften
Glutwell um Well durch meinen Leib sich wühlend
Wie Fieber mich aus diesem Mantel trieb,
Und nimmst ihn auf und bringst in ihm mir dar
Dein Selbst, den jungen seelenfrischen Leib,
Vielmehr die Seele, die vor Staunen bebt
Ob ihrer eignen nackten Lieblichkeit,
Und zuckt im Licht, und schwankt, und Finsternis
Mit beiden Armen fester um sich wickelt.

Wie er dichter an die Gestalt herantritt, weicht diese lautlos zurück.
ELIS.
Weich nicht zurück! Nur wie der Mantel dich
Umschlägt, so schauert Langgebändigtes
Aus mir wie dunkles Feu'r um deine Glieder.
Weich nicht zurück, bieg mir dein Antlitz her,
Nicht meinen Lippen, meinen Augen nur!
Licht, zuck nicht so, sei ruhiger als ich!
Nun, Anna, sprich ein Wort, nun doch, dies Flackern
Entzieht dem Auge alles was es gab:
Du schwankst mir so, sprich nur ein Wort, das Ohr
Ist solch ein treuer Sinn und bringt so liebe Botschart!
Willst du nicht sprechen, Anna? Du erbleichst mir!
Soll ich dich halten? Nicht daß ich den Arm
Um dich will legen, aber sag doch, Anna!

Die Gestalt hält ihm einen Schlüssel hin.
ELIS.
Dies soll ich nehmen? dies? den Schlüssel da?
Wie gern! Sind deine Hände auch so kalt,
Wie der? Er schaudert mich. So sprich doch, Anna.
Du weichst ins Dunkle? Sprich doch, hat die Angst
Dich überkommen, schwindelt dich auf einmal
Vor deinem süßen unerhörten Tun?
Dein Antlitz ist wachsbleich, hörst du mich nicht?
Soll ich weggehen und die Lampe hier
Dir stehen lassen, daß du ruhen kannst?
[150] Ists Scham, die dir das Blut treibt aus dem Herzen?
Ich möchte bitten, flehen: Schäm dich nicht ...
Doch wag ichs nicht! So soll ich gehen, Anna?
Du sinkst mir ja!

Er läuft hin, die Gestalt sinkt rechts an der dunklen Wand zusammen.
ELIS.
Blendwerk und Grausen! Niemand!
Der Mantel leer! Das war der Knabe Agmahd,
Das wesenlose greuliche Gebild,
Auf den goß ich die süßen ersten Worte,
Die lieblichen, die niemals wiederkehren.
Mir grausts vor mir! Schlag, Finsternis, herein!

Seine Lampe erlischt.

Bist du schon da! So kommt ihr alle, alle,
Umstrickt mich wieder! Wer rief euch? wer? wer?
Ich war euch los, von Leib und Seele hatt ich
Euch weggeschüttelt.

Der Schlüssel in seiner Hand zuckt und leuchtet.

Bin ich nicht allein?
Was streicht Lebendiges so an mir hin,
Drückt mir die Hand? Ei du, was treibst du, Schlüssel,
Was drängst du mir für Unruh in den Arm!
Ich will dich von mir werfen und ich tus nicht,
Ich kanns nicht, er schlägt Wurzel ja in mir
Und ist ein Teil von meinem Selbst und drängt und glüht,
Ganz durch mich wühlt sichs hin, es hat mich wieder!

Aus einem Spalt im Gestein, nicht größer als ein Schlüsselloch, im Hintergrund, bricht ein starker Lichtstrahl.
ANNAS STIMME
aus großer Entfernung, von oberhalb.
Elis!
ELIS.
Sie rufen droben, meine Erdenträume!
Mich aber reißts, den Zauberer, den funkelnden,
An eine Tür, da! da! und da der Schlüssel!
ANNAS STIMME
näher.
Elis!

Elis zieht es nach dem Lichtstrahl, an die geheimnisvolle Tür. Er schlägt den Schlüssel ein. Die Tür springt auf. Blendender Glanz schlägt heraus.
[151]
ANNAS STIMME
sehr nahe, flehend.
Elis!
ELIS
an der leuchtenden Schwelle der Tür, zurückhorchend.
Wer? Einmal noch es hören! und dann fort!

Die Tür schlägt zu, ein fahler Blitz zuckt durch den Raum hin.
Elis liegt am Boden. Völliges Dunkel.
DAHLSJÖS STIMME
aus dem Querstollen, gleichzeitig von dort Schein von Fackeln.
Zurück die Fackeln! Schlagend' Wetter sinds!
ANNA
die Stufen herabsteigend.
Nein! her die Fackeln! Ich will sehen! sehen!

Tastet sich vorwärts.

Ich tret auf ihn, er liegt! Hier! Vater! Vater!
DAHLSJÖ
und Bergleute mit Grubenlampen.
Mein Kind, er atmet!
ANNA
Elis' Kopf aufrichtend.
Aber wie, wie schwer!
Er schlägt die Augen auf!
ELIS
schlägt die Augen auf.
Nicht dieses Blendwerk –
Geh weg, du gräßlich spiegelndes Gebild!
Laßt jeder Welt, was ihr gehört! Nehmt mich!

Läßt seinen Kopf sinken.
ANNA
bei ihm kniend.
Er schließt die Augen, er will mich nicht sehen!
Doch hält er meine Hand mit seinen Fingern –
Wie fest!
ELIS
matt, halbaufgerichtet.
Bist dus denn wirklich, diesmal wirklich?
DAHLSJÖ.
Er redet irr! Hinauf, nur schnell, nur schnell!
ANNA.
Faßt ihn nicht heftig!
ELIS
indem die Bergleute ihn aufheben, Dahlsjö leise anfassend, mit weitaufgerissenen Augen.
Das war kein Abend wie die andern alle!

Sie tragen ihn, Anna geht an ihn geschmiegt.
Vorhang.
[152]

4. Akt

Vierter Akt

Der Garten. Im Hintergrund links, bergauf, das Haus, dahinter der Berg. Rechts, bergab, das Bette des Baches, von Weiden verdeckt. Den Hintergrund schließt der Zaun, dahinter eine schmale Landstraße, jenseits Buschwerk. Der ganze Garten ist ein grasbewachsener Abhang, auf dem unregelmäßig Obstbäume stehen. Abendsonne.
Elis liegt auf dem Boden, auf dem von der tiefstehenden Sonne durchwärmten Rasen. Sein Kopf ruht auf einem weißen Bettpolster. Seine Augen sind geschlossen. Großmutter und Anna stehen hinter ihm, Anna über ihn geneigt.

ANNA.
Siehst du, Großmutter, wie er nun sanft atmet?
Stell dich hierher, Großmutter, und ich will
Die Hand vorhalten, daß die Sonne ihm
Nicht auf die Lider scheint. Versteckt sie sich?
Wie gut! Das war die erste Nacht im Leben,
Die ich gewacht hab. So kommt alles einmal.
Zuerst warf er sich wild herum und sprach so wirr,
Dann nahm er wieder meine Hand in seine ...
Großmutter, später wenn ich seine Frau bin –
Großmutter, weißt du, daß es morgen sein soll?
Daß so etwas so wird! Kannst dus denn fassen?
Auf einmal war es da, war ausgesprochen!
Er liegt und hält mir fest die Hand in seiner,
Und mitten in sein schwaches Augen-Auf-
Und wieder Zuschlagen, da spricht der Vater
Als wie im Scherz und halb, ihn zu erfreuen,
Ein Wort und er, halbaufgestemmt im Bette,
Drängt seinen Blick in mich und dann zum Vater
Und »morgen« sagt er, »laßt es morgen sein«,
So ängstlich innig erst, dann noch einmal
Befehlend heftig und doch flehend »morgen!«
[153] Dann sank er hin und nahm auch mein Blut mit,
Daß ich kaum hörte, was der Vater ... Du,
Du sprachst dann noch, das gab den Ausschlag, du!
Und morgen! Die Verwandten werden kommen,
Den Vater freuts, nicht wahr, Großmutter? Sag!
Er gönnt mich ihm. Es hätt ja doch nicht anders,
Nicht wahr, es hätt nicht anders kommen können?
Sprech ich zu viel? Meinst du, ich weck ihn auf?
Ich kann nicht schweigen, schwieg ich doch die Nacht
Zu Tod beklommen, und vorher dies alles,
Es drückt mich tot, wenn ich nicht reden darf!
Großmutter, wenn ich seine Frau bin, weißt du,
Und er mein Mann ... Großmutter, wohin gehst du?
GROSSMUTTER
auf ihren Stock gestützt, im Begriff, gegen das Haus hinaufzusteigen.
Ich geh hinein und laß den großen Schrank
Auftun, der lang nicht offen war, den hohen:
Da hängt der Anzug, den der Großvater
Zu deines Vaters Hochzeit trug: er trug ihn
Nur dieses eine Mal, die Knöpfe dran
Sind schwere Silbertaler, den soll morgen
Der Elis antun, und du legst mein Kleid an,
Das her ist noch von meiner Mutter selig.
ANNA.
Das fremdartige, das ich mir als Kind
Nicht genug sehen konnte, wenns im Schrank hing?
Paßt das für mich?
GROSSMUTTER.
Für den Tag paßt es wohl,
Und daß der Elis von Statur fast gleich ist
Wie dein Großvater, hab ich wohl bemerkt
Im Stehn und Sitzen, wenn er mit mir sprach.

Sie entfernt sich.
ANNA
neben Elis niederkniend.
Ihr müßt ihm alles tun, daß er nicht merkt,
Wie nichts an mir ist, wie er da nichts hat!
Nun sind wir ganz allein. Wär ich was Andres,
Was mehr, was Schönres! Daß er sich nach mir
Verlangt! Wenn ich es denken will, verwirrts mich.
[154] Er hat mich ja schon ganz, was kann ich ihm noch geben?
Mir ist, als hätt ich niemals was gespürt,
Was sich nicht schon versteckt auf ihn bezog.
Sprang ich aus meinem Bett, die Stern zu zählen,
So wars um ihn, und zogs mich in den Wald,
Ich weiß, es war um ihn.
ELIS
richtet sich auf.
Du sitzt bei mir! So ist es wahr, sag, Anna!
Sag: morgen! sag mir, daß es wirklich ist!
Und daß dus warst, die ganze Nacht du, wirklich ...
ANNA.
Nicht fragen!
ELIS
plötzlich verfinstert.
Doch vorher!
ANNA.
Was denn vorher?
Denk nicht daran: du gingst um deinen Mantel,
Da faßte dich der böse schwere Dunst
Und schlug dich nieder.
ELIS
schüttelt den Kopf.
ANNA.
Elis, ich weiß jetzt,
Was ihr vorher gesprochen habt, ihr beide ...
ELIS
angstvoll aufgerichtet.
Wir beide?
ANNA
völlig harmlos.
Nun, du und der Vater, Elis.
ELIS.
Doch drunten dann die lieblich ersten Worte
Vergeudet, statt an dich! Kannst dus verzeihen?
Mich grausts, wenn ich es denk!
ANNA.
Sag, welche Worte?
ELIS.
Es kam aus seinem Dunkel auf mich zu
Und hatte dein Gesicht.

Bedeckt sich die Augen.
ANNA.
So wars ein Nichts!
Und ausgebrütet von der bösen Luft
Und Finsternis. Ich hatt einmal ein Fieber
Und war noch klein, da meint ich immerfort,
[155] Ich sähe eine Hand an meinem Bett,
Und wie das Fieber fort war, wars auch fort.
Denk nicht mehr an die Träume, nun ists hell,
Und wirds auch dunkel, sind wir beieinander.
Und künftig, wenn ich merk, du träumst so finster,
Und wenn du mirs erlaubst, so weck ich dich,
Dann plaudern wir, und wie du merkst, daß ichs bin,
Die dir gehört und die lebendig ist,
Besinnst du dich auf alles, und die Träume
Huschen so weg.
ELIS.
Du Liebe, in der Kammer,
In der du bist und mir gehörst, da brauch ich
Nicht Sonne und nicht Mond.
ANNA.
Nicht laut es sagen!

Eine kleine Pause.
ELIS
einen Gedanken verfolgend.
So weißt du denn, wie alles kam?
ANNA.
Geh, freilich:
Ich sah dich fort und fort und hatte dich
Ja lieb vom ersten Abend an!
ELIS.
Nicht so,
Ich meins nicht so! Ahnst nicht, ist nichts in dir,
Das ahnt, wie alles dies zusammenhängt?
ANNA.
Ich kann dich nicht verstehn, jetzt gar nicht, Elis.
Daß mich auch du anfingest liebzuhaben?
Du lieber Gott, freilich begreif ichs nicht!
Sag, meinst du das? Ists denn auch wirklich wahr?
Könnt ichs nur glauben! Zwar ich spürs, ich trau mich
Nur nicht zu glauben, daß es das auch ist,
Was ich so spür. Verstehst du, wie ichs mein?
ELIS
ohne auf sie zu achten.
Ich mein, ob du begreifst, wie ich herkam,
Was mich herführte, hier zu euch, zu dir?
ANNA.
Was gehts mich an, wie du mir kamst, ich hab dich!
ELIS
stärker erregt.
Du mußt mich hören! Das, was mich hierhertrieb,
[156] Das, dünkt mich, war im Dunkeln irgendwie
Drauf abgesehn, dich zu verderben!
ANNA
hält ihm den Mund zu.
Elis!
ELIS
macht sich frei, liegt aufgestemmt; immer erregter.
Sie kniet neben ihm.
Nein, laß mich reden. Es muß an den Tag.
Habt ihrs euch nie gesagt? Wer bin denn ich,
Daß ich, ich, der verlaufene Matros,
Hinunterfahren mocht in euren Schacht
Und eure alten Bergleut wie im Traum
Dahin und dorthin weisen, alles lenken,
Und euch reich machen, wie kein Mensch hier ist.
Habt ihr euchs nie geträumt, daß irgendwie
Ein Preis dafür gezahlt müßt worden sein?
Nahmt ihrs, wie ihr die Birnen nehmt vom Baum?
ANNA.
Ein Fürchterliches willst du mir jetzt sagen:
Dir im Gesicht arbeitet schon der Schein,
Dens voraus wirft. Elis, erbarm dich, schnell!
ELIS.
Hör mich: Ich, der hierherkam, hier zu wohnen,
Hier ging und stand und aß und schlief bei euch:
Ich durfte das nicht tun.
ANNA.
Was denn, mein Lieber?
ELIS.
Ich richtete manchmal bei Tisch die Rede
So halb an dich, daß du wohl fühlen konntest,
Mir wars um dich, ob ich nun sprach, ob schwieg!
ANNA.
Mir war, als wärs so.
ELIS.
Abends setzt ich mich
Dort hin, wo du vorübergehen mußtest?
ANNA.
Ja, Elis, oder nicht?
ELIS.
Und einmal nahm ich,
Einmal, am Zaun dort, dich bei deiner Hand?
ANNA.
Ja freilich. Das ist schon zwei Monat her.
[157]
ELIS.
Von meinem Vater und von meiner Mutter
Erzählt ich dir, und als du weintest, sprach ich ...
Was denn?
ANNA.
Ja hast dus denn vergessen, Elis?
ELIS.
Und überhaupt, hier oder dort und früh
Und spät drängt ich mich in dein Denken ein,
Wollt wissen, was dir lieb war, fragte dich
Um alles aus mit sehnsuchtsvollem Atem.
Wie? Oder nicht?
ANNA.
Nicht mehr mich fragen, Elis!
Was siehst du so auf mich? Verdrieß ich dich?
ELIS.
Dies alles, alles, alles durft ich nicht!
ANNA
sanft.
Du darfst an mir so tun, wie dir gefällt!
ELIS
wilder.
Ich durft es nicht!

Dumpf.

Ich warb und durfte nicht!
ANNA
springt auf.
Ich fleh dich an, verschon mich nicht, sag alles!
Du hast ein Weib in einem andern Land?
ELIS
aufgestemmt auf dem Rasen wie ein Kranker im Bett.
Kein Weib auf Erden, das zu mir gehört!
Mißhör mich nicht, komm näher her zu mir!
Ich selber, ich, bin so beschaffen, Anna,
Daß ich nicht mehr daheim sein kann auf Erden:
Mir widerfuhrs einmal, daß mich ein Etwas
Hindrängte an den Rand, dann zog es mich
Hinüber, ich gehör nicht mehr hierher,
Ich bin ein Gast, ein schauerlicher Gast!
Bitt nicht mit deinen Augen, daß ich schweige:
Es muß heraus, begreif mich!
ANNA.
Du bist krank.
ELIS.
Versteh mich doch. Es ist nicht bloß in mir:
Gemeinschaft hats mit Anderem, das draußen!
[158] Ist eine Welt wie eure, stärker, größer:
Die Sterne sind ihr untertan, die Zeiten.
Zu der gehör ich. Sieh, ich meinte auch,
Ich wähnte ja, man könnte ihr entrinnen.
Allein sie legt den Körper und den Geist
An ihre Ketten. Wollt ich ihr Geheimnis
Hinunterschlingen, es zerfleischte mir
Mein Inneres und bräch aus seinem Käfig.
Könnt ichs vergessen, mirs vom innern Aug
Wegblenden, sieh, dann wär ich selber nichts,
Gar nichts mehr, dies war alle meine Macht:
Was dich verfing an mich, war dieser Zauber,
Er sitzt in allen Fibern meines Wesens,
Und liebst du mich, so liebst du mich um Dinge,
Die mehr als Tod hinhauchen über dich.
Ich wollt es ja vergessen, wollte atmen
An dir, bei dir nur diese süße Luft.
Es ließ mich auch, es ließ mich, aber gestern
Sprangs aus dem Dunkel vor und nahm mich wieder
Und drückte mir den Schlüssel in die Hand ...

Er schaudert.
ANNA.
Hab Mitleid mit dir selber! Welchen Schlüssel?
ELIS.
Den, der die erste äußre Tür aufschließt.
Und drinnen stehts im Dunkel, bebt und schimmert
Und wartet ... Anna, bieg dein Ohr zu mir,
Ich will dir alles sagen, doch von innen
Schnürts mir die Kehle zu, von außen kommts,
Unsichtbar reckt sichs zwischen uns und saugt
Das Wort mir von den Lippen!
ANNA
umschlingt ihn und küßt ihn rasch auf die Lippen.
Elis, mich!
Fühl meine Lippen! Sieh, zum erstenmal,
Es kann nichts zwischen uns, ich halte dich.
Glaub mir, dies alles ist nichts, du bist krank.
Gibts nicht geheimnisvolle Krankheiten?
Greif her, wie kalt jetzt meine Hände sind:
[159] Dies ist, weil ich mich ängstig, wie du redest.
Siehst du, selbst ich, gesund und frisch und töricht,
Werd gleich etwas wie krank aus Einbildung.
Nun du! was kocht und schafft in dir nicht alles!
Das fällt dich nun auf einmal an, siehst du,
Und fürchterlich zuckts zwischen Geist und Leib
Dir hin und her, dich schwindelts, von den Lippen
Fällt dir die Rede wild, die Augen starren.
Ich aber rühr dich an und hab nicht Furcht:
Auch deine Krankheit graut mich nicht, weil sie
Von dir ein Teil. Glaub mir, fast bin ich froh.
Nun hab ich doch, was ich dir tuen darf,
Und hab das erste, was ich tragen muß
Um deinetwillen. Nun ists Angst nur halb,
Halb etwas Liebes. Um dich darf ich nun
Herumschleichen und fort und fort dich ansehn
Und schwätzen und dich nicht in Ruhe lassen,
Bis dies vorbei ist. Sinkst du so in dich
Wie jetzt und starrst so vor dich, Elis, Lieber,
So darf ich bitten: mich sieh an, nur mich!
Und keine Stelle, nirgends, nicht im Haus
Und nicht im Garten, wo dein Blick hinfällt,
Soll leer sein von Erinnerung, daß ich
Auch dort und da und dort und überall
So vor dir lag, ob nichtig auch, doch dein!

Sie hält einen Augenblick inne, sein Blick ruht auf ihr und scheint doch über sie hinauszustarren.

Und öfter war mir so, du sehntest dich
Danach ein wenig und ich würd es nicht
So vor dir sagen können, und nun kann ichs.
Bleib sitzen, bleib bei mir, was jagt dich auf?
ELIS
reißt sich und zugleich Anna, die sich an ihn klammert, vom Boden auf.
Er kommt auf uns zu!
ANNA.
Elis, bleib bei mir!

Torbern ist aus den dämmernden Weiden rechts unten hervorgetreten, barhaupt, noch verfallener als früher. Er steigt mit gewaltigen Schritten den Rasenhang hinauf, grüßt Elis im Kommen, mit der knochigen Hand schlenkernd.
[160]
ELIS.
Was grinsest du auf mich, was wälzest du
Auf die und alles deinen Blick!

Anna drückt sich an Elis, fast sinnlos vor Furcht.
TORBERN.
Wieder seh ichs!
Den Anfang wieder, nun das Ende da!

Er steht etwas oberhalb und hinter den beiden, wie ein im Vorübergehn Stehengebliebener.

Hier wars wohl etwa, hier, und solch ein Haus
Und solch ein Weib. Die Züge sind entschwunden,
Allein es schwankt ein Bild heran und gleicht
In etwas diesem ... Ob sie jung verstarb?
Ob alt, was die alt nennen – beides sinkt
Gleich weit zurück, ein Dunst trinkt alles auf.
Ich bin zu alt, mich hier noch zu erinnern.
ELIS.
Du fürchterlicher Knecht, was führtest du
Mich her, hier her? Konnt ich nicht diese Frist
In der Einöde hausen? Konnt ich nicht
Mich aus der Wildnis dort hinunter wühlen?
Was mußt ich her und dies Geschöpf verderben?
ANNA
zitternd an ihn gedrückt.
Elis, ich kann nicht hinschaun, deck mich zu!
TORBERN.
Ja, ja, ich brachte dich hierher. Mich freuts,
Wie stets dein Schicksal nur das meine äfft.
Triebs mich nicht auch aus solchen Armen weg!
Tritt nach, tritt nach. Weißt du noch, wie du saßest
Am Strand da drunten, wie aus deinem Mund
Der Ekel troff und Fluch auf diese Welt,
Wie dir sichs löste, daß es unsersgleichen
Gegeben ist, sie hinter sich zu lassen
Und ihre Niedrigkeiten abzutun?
Wie dir das Weib so schal war als ein Tier
Und jedes irdische Geschöpf mit Grauen
Trat hinter sich vor dir und deinem Blick ...
Da kam ich recht, da sogest du gewaltig
[161]
Den Hauch, da rissest du in dich die Macht,
Die mir aus Antlitz und Gebärden quoll.
Mich trieb ein Geist, er springt auf dich hinüber,
Tritt nach, Zeit ists, ich fahre hin wie Rauch.
ANNA
ohne aufzusehen.
Was spürt er noch umher und streut den Tod
Auf alles! Hab doch Mitleid, heiß ihn gehn!
TORBERN
umherblickend.
Habt ihr auch Kinder? Ist mir nicht, mir hingen
Auch Kinder um die Knie? Nun stehn sie auf,
Die letzten Tage! oder warens Jahre?
Ich witter einen Duft, der sie zurückbringt,
Die Zeit, die vor dem großen Weggehn war.
Da kämpft verworren eins gegen das andre,
Im dumpfen Herzen würgt sich Wunsch und Wunsch,
Und die empörten Teile lösen fast
Das Ganze auseinander – Tod ist nah.
Da bricht ein ungeheurer Morgen an,
Da stehst du auf, sie schlafen rings um dich,
Das Weib und deine Kinder, und dein Blick
Streift über sie und achtet ihrer kaum:
Den Hund, die Katze streift dein Blick, und sie,
Gleichmütig, ungerührt, von innen funkelnd:
Denn vor ihm, dem erlösten Adlerblick,
Entblößt sich die geheime Schwelle wieder.
Spürst du den Morgen herwehn, Elis Fröbom?
Ich aber spür den Morgen, der mich nimmt.

Er wendet sich zu gehen.
ELIS
dumpf.
Wo gehst du hin?
TORBERN.
Heißt du mich immer reden,
Und schon dies Denken saugt an meinem Mark.
Zu sterben geh ich, einen Wassersturz
Find ich wohl wieder, Bäume liegen dort,
Die brach ein Sturm der Nacht, die riesigen.
Dort leg ich mich, dort ziemt es mir zu liegen.
Dort fängt ein Mondstrahl sich im starren Aug
Und läßt es funkeln als einen Rubin,
[162] Nachtvögel kreisen durch den offnen Mund.
Es ziemt sich nicht, daß unsereiner sterbe,
Wo Menschen um ihn sind, denn da wir lebten,
Teilhaftig eines Bessern, stießen wir
Das Menschliche mit Füßen, redeten
Mit Höhn und Tiefen und genossen Glück
Von einem Leib, vor dem die Zeiten knien
Und dem die Sterne ihren Dienst erweisen.
ANNA
fast wimmernd.
Elis, ich will nicht hören, was er redet.
TORBERN.
Ich will dich nicht mehr sehn. Es zehrt an mir,
Daß du anhebst zu leben, da ich ende.

Er geht mit großen schweren Schritten aufwärts, schief durch den Garten, tritt rückwärts auf die Straße hinaus, verschwindet drüben in der Dämmerung.
Eine Weile schweigen beide.
ANNA
sich aufrichtend.
Weh, grausam, grausam. Und du ganz wie er!
Du seinesgleichen, du! Vorbei. Ganz aus.
Aus, alles aus, zu Ende, tot, vorbei.
Nicht Träume, wirklich wie dies Herz das schmerzt.
Sprich nicht, ich hab alles verstanden, alles!
Ich weiß wohl, wer er war. Ich weiß, er ließ
Sein Weib, ich weinte, als sie mirs erzählten.
Ich weinte doch, und hielt es für ein Märchen.
Nun sah ich ihn, den seit zweihundert Jahren
Kein Auge sah, und sah, wie er zu dir
So redet, wie der Gleiche zu dem Gleichen.
An mir ist nichts, das zweifelt. Eine Hand
Griff fest in mich hinein und hielt mich in die Höh,
Daß ich nicht umfiel, und so wie ein Totes
Starr sein, und alles gleich begreifen konnte.
Nun glaub ich nicht mehr, daß es Träume sind.
So hat ein jedes Ding sein Recht zu leben:
Das fürchterliche Unbegreifliche
Grad so wie Liebes, Gutes. Hast du das
Immer gewußt? Und konntest doch so sein,
[163] So sanft, so lieb, so gut, so fröhlich, Elis,
Als wie du manchmal warst! Das faß ich nicht.
ELIS.
Bleib nah bei mir und küsse mich!
ANNA.
Du Lieber,
Hast dus denn nicht gehört, es kommt ein Morgen –
Wie bald! Hast dus denn nicht gehört: er saß
In seinem Bett und wälzte seinen Blick
Über sein Weib: sie war ihm wie ein Tier,
Er stieß nach ihr, wie man nach Hunden stößt,
Und lechzte in die Nacht mit glühnden Augen,
Nach der im Dunkel Stehenden, nach der,
Von der ein unsichtbarer Hauch Gewalt hat
Über dein Blut viel mehr, viel mehr als ich,
Ob ich mich lebend an dich häng, ob sterbend!
ELIS.
Anna, ich bin bei dir! Fühlst du mich nicht?
Bin nah und in mir ist kein Tropfen Blut,
Der sich nicht lechzend sehnt in dich hinein!
ANNA
sieht ihn traurig an.
Du, du! Dich ganz zu haben, daß ichs wähnte!
Daß ichs nicht besser spürte, wer du sein mußt!
Als du eintratest, ganz von ihr erfüllt:
Die Augen da, die Lippen, alles drängte
Dorthin! Ich rührte dich, weil ich noch dastand
Am Rand der Welt, von der dein Weg sich löste.
Da faßtest du mich an, da wars um mich getan.
ELIS
hastig, fieberhaft.
Komm mit mir weg von hier, wir gehn hinunter
In die Seestädte, wo ich früher war.
ANNA.
Wir machen uns nicht los, du warst doch drunten,
Da zog es dich herauf: warum nur hierher?
Ich war so jung, so ohne Arg. So hast du
Dich doch an mir gefreut, solangs gegeben war?
ELIS.
Wir sinds noch! Alles ist!
[164]
ANNA
schüttelt den Kopf.
Er sah dich ja
Schon einmal, ich habs wohl gehört, er sah dich,
Da stießest du ein Weib von dir zurück:
Sie war dir schal als wie ein Tier, die Arme!
Nun kommt mein Tag, weil ich die Zweite bin.
Du kommst herum um mich auf deinem Weg.
ELIS
wie von einem plötzlichen Krampf verzerrt.
Was für ein Wort du redest, Anna! Anna!
Gib acht, sprich nicht! Wie wirst du mir auf einmal?
Du scheinst mir so verwandelt, du verbleichst so!
So sag doch, daß dus bist!
ANNA
demütig.
Ich bin ja nichts,
Als was du machst aus mir. Nein, Elis, nein:
Das weiß ich wohl, daß ich mit meiner Lieb
Und meinem Leib und allem, was ich bin,
Dich niemals halten kann, dich nie, für den
Dies Leben hier nicht alles ist, wie mir.
Ist dir, du hättest Lust an mir? Da träumst du!
Die Augen hier, der Leib, den alles schüttelt,
Was kanns dir sein, der maßlos wünschen darf?
Ich müßt in deinem Arm vergehn vor Scham:
Mit dem enttäuschten Blick an mir hinwühlend,
Zerstörst du deine Lust und mich zugleich.
Was sollt ich tun, was lassen, dich zu halten?
Wahnsinnig müßt ich werden, stieg' mein Denken
Aus meinem Herzen auf in diesen Kopf.
Nichts bleibt mir, nichts, als Scham und Qual und Not.
Stehst du noch immer da und siehst mich an?

Dahlsjö und die Großmutter kommen aus dem Hause langsam den dämmernden Garten herab.
ANNA.
Daß dus nicht bist! Daß du noch anders bist!
Und wer du seist und wie du mich zerstörst,
Solang du hier willst bleiben, bin ich dein.
Mein Herz zerreißt, doch niemand soll es wissen.
Da kommen die. Willst du mich küssen, Elis?
Sie sollen es nicht sehen, daß ich starb.

Sie biegt ihm ihr Gesicht hin. Ihn treibt ein Schauder zurück und er weicht aus.
[165]
DAHLSJÖ
nahe herangekommen.
Elis, die Mutter will dir ein Wort sagen.

Elis wirft den Kopf zurück, steigt den Abhang hinauf zu der Großmutter.
Dahlsjö geht zu Anna. Diese wandelt langsam vor ihm her, nach vorne, dann von rechts gegen links vorne, so daß er ihr Gesicht nicht sehen kann.
DAHLSJÖ.
Mein Kind, ich tät dir gern was sagen, Anna.
Weil heut doch ein besondrer Abend ist.
Heut geht dir recht die Mutter ab, nicht wahr?
ANNA
schweigt.
DAHLSJÖ.
Gibst du nicht Antwort, ist dir über Reden?
Ist mir doch selber Weinen nah, so viel
Geht durcheinander in so einer Stunde.
ANNA.
Ich kann nicht reden, Vater, und nicht weinen.
DAHLSJÖ.
Als ich die Mutter freite, wars mir nicht
So feierlich als nun, da's wiederkommt.
Nicht wahr, obs auch der Weg zur Freude ist,
Es macht doch einen dumpfen Schmerz, nicht wahr?
ANNA.
Doch stürb man dran, nicht wahr, so ging ich nicht
Hier neben dir...
DAHLSJÖ.
Wie meinst du denn das, Anna?
ANNA.
Laß, Vater, laß. Wir gehen nun ins Haus.

Sie steigen an der linken Seite zum Haus hinauf. Elis, die Großmutter an der Hand führend, kommt an der rechten Seite herabgestiegen.
GROSSMUTTER.
So freuts Euch, daß Ihr meinem Mann sein Kleid
Anlegen werdet für den Ehrentag?
Einhergehn unter allen Anverwandten,
Als wär der Angesehene, der Gute
Ein Auferstandener in ihrer Mitte.
[166]
ELIS
läßt ihre Hand los, bleibt vor ihr stehen.
Ich will Euch Antwort geben, Frau, merkt auf.
Ihr habt ein altes Herz, das hat viel Leid
Erfahren und gelernt, viel zu begreifen.
Und da Ihr blind seid, müßt Ihr sehn ins Innre!
Merkt auf: die Hochzeit, die Ihr da ausrichtet
Für Euer Kind und mich, den Elis Fröbom,
Die wird ein Märlein, das nach hundert Jahren
Die Mägde sich erzählen, wenn es dunkelt.
Die Braut tritt hin, der Bräutigam ist nicht da:
Sie trägt den Kranz und klopft an seine Kammer,
Er ist nicht da, er gibt ihr keine Antwort.
Da reißt sie sich den Kranz aus ihrem Haar,
Ihr Aug verdreht sich und sieht durch den Grund:
Da sieht sie, wie ihr Bräutigam Hochzeit hält:
Da sieht sie stehen eine andre Braut:
Der ihrer Hand entblüht ein solcher Glanz,
Davon er blaß und rot wird wechselweis;
Wie die den Mund auftut, da schwillt sein Blut
Und tausend Sterne tanzen um ihn her;
Wie die den Schleier aufhebt, schwinden ihm
Die Sinne, fremd wird ihm sein eigner Leib
Und strahlend wie der neugeborne Tag!
Das sieht die droben und dann fällt sie hin.
Schweigt, alte Frau: eh wart Ihr blind und redend,
Nun macht ich Euch sehend, nun seid stumm!
Zwingt Euer Herz, Zeit kommt, dann tut den Mund auf!

Indem er die Großmutter, die schwankt, als wenn sie umsinken wollte, ergreift, sie gegen das Haus zu führen, fällt der Vorhang.
[167]

5. Akt

Fünfter Akt

Die Dekoration (große Stube) des zweiten Aktes. Grauender Morgen. Anna aus ihrer Kammer, in Strümpfen, die Zöpfe herabhängend. Sie horcht nach oben, ringt die Hände.

ANNA.
Es trieb ihn auf und ab in seiner Kammer
Die ganze Nacht. Mir wars, er sprach vor sich.
Ich stand und lag und stand und horchte hin.
Das ist mein Hochzeitsmorgen. Weh, ich Arme!

Am Fenster rückwärts.

Ob er nun ruht? Knarrt da nicht seine Tür?
Er kommt herunter. Unter seinem Tritt
Stöhnt jede Stufe leise wie mein Herz.
Wie anders war es sonst, wenn ich ihn hörte.
Und doch, daß ich ihn doch noch hören kann!
Ich muß hinein. Käm er, wie säh ich aus!

Schlüpft in ihre Kammer, läßt die Tür angelehnt.
Elis macht die Eingangstür auf, tritt herein, wirft einen langen Blick, wie abschiednehmend, umher.
ANNA
aus ihrer Tür.
Ich trags nicht! Elis, sprich zu mir!
ELIS
einen fremden Glanz in den Augen.
Ich geh nun.
Ich muß nun gehen. Zeit ist da. Starr nicht
So voller Graun auf mich. Denn ich bin fröhlich.
Hast du die Nacht geachtet, wie da alles
So voller Geheimnis war? Der Wind kam her,
Rührte mich an und wich wieder zurück,
Verneigend sich vor mir, weil ich ein Wunder.
Die Sterne wußtens auch. Der Berg erbebte.
Da wußte ich: nun ist die Zeit erfüllt,
Und alle Zeichen zogen noch einmal
Durch meinen Sinn: Der Vater mußt hinab,
Die Mutter mußte fort sein, da ich kam,
[168] Damit auf meinen Lippen ein Geschmack
Vom Tode säße so bei Tag wie Nacht,
Und Seeluft mir zum Ekel würd und Landluft.
Dann mußt ich einsam sitzen an dem Strand
In meinem Elend: da glitt ich hinab
Und durfte sie anschaun zum erstenmal.
Doch mußt ich noch herauf für eine Frist.
Und Botschaft über Botschaft sandte mir
Die Liebste, zu der ich nun eingehn soll.
Der tote Mann stand auf zu meinem Dienst,
Hinflog der Stern und wies mir meinen Pfad,
Ich fand den Tisch bereitet und das Bette,
Ich fuhr in Berg, der Berg gehorchte mir,
Ich wuchs und wuchs und diente meine Frist,
Bis daß der Alte herkam seines Weges,
Der mächtige, und seinen letzten Atem
Auf mich hinhauchte, mich, den Unbelehrten,
Und ich begriff, wie eins das andre zwingt.
Und nun die Zeit erfüllt, die sie mir setzte,
Die Botschaft über Botschaft mir gesandt ...
ANNA.
Er spricht zu mir und weiß nicht, daß ichs bin.
ELIS.
Ich hab dich nicht vergessen: auch in dir
Ward mir ein Zeichen übern Weg gesandt.
Mein Herz war noch nicht leer von irdischer Sehnsucht,
Noch sog ein Etwas dumpf an dieser Welt:
Sie weiß dies alles wohl, ein wundertätiger Spiegel
Verrät ihr, was im Herzen heimlich ruht.
Da mußtest du hier stehn, als ich hereintrat,
Anfassen mußt ich dich und alle Sehnsucht
Und alle dumpfen unbewußten Wünsche
Ausschütten hier auf dich. Wir mußten spielen
Das süße, das verworrne Spiel. So tief
Mußt eins ins andre sich verstricken, atmend
Bald nicht mehr wissen, welches atmete,
Eins in des andern Duft und Hauch verfangen.
Wie arm war ich vorher: da ward ich reich!
[169] Denn mein ward deine Lust und auch dein Schmerz
Und alle Höhn und Tiefen.

Anna sinkt in sich zusammen, vor seine Füße hin.
ELIS.
Sinkst du mir
An mir herab? So bist du auch ein Stern,
Der lieblichste, lebendigste, der letzte,
Der fallen mußte, meinem Pfad zu leuchten.
Denn eine Sehnsucht über alle Sehnsucht
Nach dir hat ausgeglüht aus meinem Innern
Jedwedes unbefangne dumpfe Trachten.
Das Aug, die Lippen wurden noch einmal
Verführt, sich an ein Etwas anzuklammern:
Der letzte Erdentraum nahm noch Gestalt,
Allein des Wunsches angespannte Sehne
Zerriß, sobald das Ziel getroffen war,
Und wie ein leerer finstrer Mantel sank
Die liebliche Gestalt im Dunkel hin:
Ich hatte dich, da warst du nicht mehr viel.
Wie dich, so schüttle ich die ganze Welt
Von meinem Fuß, und bin schon nicht mehr hier!
In meinem Ohr erklingt ein süßer Ton,
Der heißt: Komm bald! So komm ich denn, und bald!
Denn was ist ihr, vor der die Zeiten knien,
Die Frist, die ich mich unstet hier verweilte.

Er geht fort.
Es ist nun heller Tag.
Anna steht auf und schleppt sich in ihre Kammer. Gleich darauf kommen zwei Mägde und klopfen an Annas Tür.
ERSTE MAGD
an der Tür.
Jungfer, seid Ihr schon auf?
ANNAS STIMME.
Komm nur herein.

Erste Magd geht hinein.
Zweite Magd wartet vor der Tür.
ERSTE
tritt wieder heraus.
Sie will ihr Kleid. Sie sieht so seltsam aus,
Als hätt sie keinen Tropfen Blut. Komm jetzt.
Wir müssen zu der alten Frau, die hat
Den Schlüssel.
[170]
ZWEITE.
Welchen Schlüssel?
ERSTE.
Den zum Schrank,
In dem das Kleid ist.
ZWEITE.
Trine, dann will ich
Auch mit hineingehn und ihr anziehn helfen.
Du!

Zeigt der andern die Großmutter, die, lautlos erschienen, in der kleinen Tür links steht.
ERSTE.
Frau, die Jungfer will ihr Hochzeitskleid!
GROSSMUTTER
tritt an Annas Tür.
Anna, tritt her zu mir.

Horcht.

»Großmutter«, sagt sie,
»Großmutter, sprich jetzt nicht mit mir.«

Horcht abermals.

»Schick mir
Mein Kleid nur her, ich will mich jetzt anziehn.«

Richtet sich auf, gibt der Magd einen Schlüssel aus ihrem Schlüsselbund. Die Mägde gehen.
GROSSMUTTER
steht vor Annas Tür.
Wär eines jünger, nun vermöcht es nicht
Zu schweigen. Ich vermags und steh und warte.
Und wie die Toten heut in mir sich rühren!
Mein erster Sohn hebt seinen Kinderkopf
Auf aus dem stillen Bach, drin er ertrank:
Den zog ein Wasser mit gelassner Unschuld
In seinen frühen Tod, er war verträumt,
Da winkte ihn sein eigner Traum hinab.
Und über die da drinnen kommt es nun:
Sie ging so unbefangen hin, es trieb sie
Von Busch zu Busch dem Vogelsingen nach:
Es war kein Wünschen, süßer wars als Sehnsucht,
Des unberührten Herzens dumpfes Trachten,
Sich früh und rein und maßlos hinzugeben.
Da sog sie sich aus wolkenloser Luft,
Sehnsüchtig schuldlos Zauberkreise atmend,
Ein blaues Feuer nieder, das sie schnell verzehrt.
Wird jedem das, worauf sein Trachten geht.
Mir graut nicht mehr: dazu bin ich zu alt,
Durchsichtig wird mir alles wie ein Glas.
[171]
DAHLSJÖ
kommt aus der kleinen Tür links.
Mutter, ich such dich schon, wo ist die Anna?
Sie schien mir gestern abend so verstört.
Ist doch nichts zwischen den beiden, Mutter?
KNECHT
ruft durchs Fenster herein.
Herr, treten Gäst ins Haus und Anverwandte.
DAHLSJÖ.
Ich komm, ich komm. Sorg du um Pferd und Wagen.
ANNA
tritt aus ihrer Tür, angetan mit dem fremdartigen Kleid.
Geh, Vater, nur. Geh nur die Leut empfangen.
Wir warten hier.
DAHLSJÖ
zärtlich.
Nichts mehr zu sagen?
ANNA.
Nein.
DAHLSJÖ
geht.
ANNA.
Großmutter, was siehst du so her auf mich?
Spürst du an mir was Fremdes? 's macht das Kleid.
Wie schön es ist! Was schön ist, hab ich immer
Recht liebgehabt. Den Wald! die Regenbogen!
Wie ich ein Kind war, einmal, war ein Jahr,
Da waren gar so viele und so nah,
Ich glaubte, daß sie aus dem Garten wüchsen.
Großmutter, acht nicht so auf meine Stimme,
Tu nicht die Lippen auf, jetzt ist nicht Zeit.
Fehlt noch etwas an mir? Ach ja, der Kranz.
Da muß ich vor den Spiegel, das gehört sich.

Geht in ihre Kammer.
DAHLSJÖ
durch die Eingangstür.
Wo ist die Anna? Alle sind schon da.
Soll ich den Elis rufen?
GROSSMUTTER
lehnt, wachsbleich, an der Tür links.
Ruf nicht, ruf nicht!
DAHLSJÖ.
Anna! die Gäste.
ANNA
tritt heraus, einen schönen Kranz im Haar.
Ich bin fertig, Vater.

Durch die Eingangstür und durch die Tür links treten die Gäste ein: ernste Männer, stattliche Frauen, Mädchen, junge Männer, [172] Kinder, füllen die
ganze rechte Seite der Bühne mit steifer Feierlichkeit. Ganz vorne sind Rigitze und ein kleiner Knabe, ihr Bruder, beide mit Blumensträußen.
Dahlsjö gibt Anna die Hand. Sie verneigt sich.
DIE GÄSTE
flüstern.
Die Braut! die schöne Braut!
ANNA
zu Dahlsjö.
Ei ja, die Fraun mit ihren Männern alle.
Siehst du, die haben eins das andre immer
Bei Tag und Nacht, bis in den Tod. Nicht, Vater?
Sie tuen sich auch Leid an, aber doch:
Es ist gar nicht das Leid, es ist noch Leben,
Das fürchterliche Andre ist es nicht,
Das, was mit einemmal alles verzehrt.
DAHLSJÖ.
Willst du nicht hingehn und mit ihnen reden?
ANNA
tritt vor, Dahlsjö dicht hinter ihr.
Anna kniet bei den beiden Kindern nieder.
Ihr da? Rigitze und dein kleiner Bruder!
Ihr bringt mir Blumen! Habt ihr mich denn lieb?

Sie schiebt die Kinder heftig von sich weg und steht auf.

Ich mag die Kinder nicht. Ich mag die Blumen nicht.
Ich kann nichts mehr gernhaben in der Welt.
Er hat mich ganz vernichtet.

Tritt taumelnd nach links.
DIE BERGLEUTE
draußen im Garten, fangen hier an zu singen und singen während des Folgenden.
Der Bergmann fährt in finstern Schacht,
Daraußen läßt er Weib und Kind.
Es rühren ihn an mit großer Macht
Die Kräfte, so im Dunklen sind.
Herr! nimm ihn Du in Deinen Schutz –
Sonst ist ihm schnell sein Sinn verwirrt –,
Daß er, ein Mensch, mit Ehr und Nutz
Dem Finstern wiederum entwird,
Daß er an seines Hauses Schwell
Sich nicht erst lang besinnen muß,
Mit unverstörter Seele schnell
Sich freu an Menschenblick und -kuß.
[173]
ANNA
sowie sie anfangen.
Nun singen sie. Das Singen ist für nichts.
Es zieht ihn nicht zurück!

In der Ferne Glockenläuten.

Nun läuten sie.
Das Läuten ist für nichts. Er kommt nicht wieder.
Der Vater hat die Augen voller Tränen.
Mir ist nicht leid um ihn. Ich fühl nichts mehr.

Sie steht eine Weile, hört dem Singen zu.

Nun werden sie den Mund auftuen alle
Und werden fragen.

Sie schwankt.

Vater, führ mich fort.

Dahlsjö will sie auffangen, sie hält sich noch einmal und bleibt stehen.
DIE GÄSTE
flüstern.
Wo bleibt der Bräutigam? wo bleibt der Bräutigam?
ANNA
wendet sich gegen die Leute.
Der Bräutigam, der hätt nicht werben sollen.
Allein er tats, er trat herein im Dämmer:
Da faßte er mich an, da wars um mich getan.
Er nahm mich bei der Hand, er küßte meinen Mund
Und wars nicht, den ich zu umfassen meinte.
Ein Fremder wars, die Scham trieb mir das Blut
Empor, da wurde mir das Herz ganz kalt,
Die Hände kalt wie Stein. Nun klopf ich an –

Sie kehrt sich gegen die steinerne Wand.

Die Tür ist auch von Stein und er steht drinnen
Im Finstern und er funkelt wie ein Licht:
Rührt er mich an, so werd ich wieder warm!

Sie sinkt um, ehe der Vater sie auffangen kann.
Die Gäste drängen hin.
Die Bergleute draußen singen die letzte Strophe zu Ende.
Vorhang.

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TextGrid Repository (2012). Hofmannsthal, Hugo von. Dramen. Das Bergwerk zu Falun. Das Bergwerk zu Falun. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-7989-3