Hugo von Hofmannsthal
Der Turm (Neue Fassung)
Ein Trauerspiel

Personen

Personen.

    • König Basilius.

    • Sigismund, sein Sohn.

    • Julian, der Gouverneur des Turmes.

    • Anton, dessen Diener.

    • Bruder Ignatius, ein Mönch, ehemals Kardinal-Minister.

    • Olivier, ein Soldat.

    • Ein Arzt.

    • Der Woiwode von Lublin.

    • Der Palatin von Krakau.

    • Der Großkanzler von Litauen.

    • Der Oberste Mundschenk.

    • Graf Adam, ein Kämmerer.

    • Der Starost von Utarkow.

    • Der Beichtvater des Königs.

    • Simon, ein Jude.

    • Ein Reitknecht.

    • Ein Offizier.

    • Eine Bauernfrau.

    • Der tatarische Aron,
    • Der Schreiber Jeronim,
    • Indrik der Lette, Aufrührer.

    • Gervasy,
    • Protasy, Spione des Königs.

1. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Vor dem Turm. Vorwerke, halb gemauert, halb in Fels gehauen. Zwischen dem Gemäuer dämmerts, indessen der Himmel noch hell ist.
Olivier, der Gefreite, und ein paar invalide Soldaten, unter ihnen Aron, Pankraz und Andreas, sind beisammen.

OLIVIER
ruft nach ihnen.
Rekrut! Hierher!
REKRUT
ein flachshaariger Bauernbursch, springt herzu.
OLIVIER.
Spring, Rekrut, und hol mir Feuer zur Pfeife!
REKRUT.
Ja, Herr!

Will weg.
ARON.
Zu Befehl, Herr Gefreiter, hast du zu sagen!
OLIVIER.
Hols Feuer! Marsch!
REKRUT.
Ja, Herr!

Nach einer Pause.
ANDREAS.
Ist das wahr, Gefreiter, daß du ein Student gewesen bist?
OLIVIER
gibt ihm keine Antwort.

Pause.
PANKRAZ.
So bist du demnach unser neuer Wachkommandant?
OLIVIER
gibt keine Antwort.
REKRUT
kommt und bringt eine glimmende Lunte.
OLIVIER.
Von wo kommt der Wind?
REKRUT.
Weiß nicht, Herr.
OLIVIER.
Stell dich zwischen die Pfeifen und den Wind, Bestie.
REKRUT.
Ja, Herr!
OLIVIER
zündet sich eine Pfeife an.

Das verdammte Klopfen soll aufhören. Marsch hin, Aron. Ich befehls, Holzhacken wird eingestellt. Es alteriert mich.

PANKRAZ.
Es hackt niemand Holz. Es ist der dahinten: der Gefangene.
OLIVIER.
Der Prinz, der nackig geht, mit einem alten Wolfsfell um den Leib?
PANKRAZ
sieht sich um.
Sprich: der Gefangene. Nimm das andere Wort nicht auf die Zunge. Es bringt dich vor den Profosen.

Olivier lacht lautlos.
ARON.
Die Zeitläufte sind nicht darnach, daß sie einen, wie den, schurigeln könnten.
OLIVIER
sieht nach links.
Was treibt die Bestie? Was rumort er in seinem Käfig?
ARON.

Er hat einen Pferdsknochen ausgescharrt, damit schlägt er unter die Ratten und Kröten, wie ein Hirnschelliger.

PANKRAZ.
Sie kujonieren ihn, kujoniert er sie wieder.
REKRUT.

Er hat einen Wolfsleib, aus dem ist ein Menschenkopf gewachsen. Er reckt fünffingerige Händ und faltets wie ein Mensch.

OLIVIER.
Sieht das Vieh so kurios aus? Den muß ich sehen. Schmeiß einen Stein, Rekrut, und jag ihn auf.

Er nimmt eine Pike und geht hin.
ARON.
Er hält seinen Blick nicht aus! Da schaut, wie er sich verkriecht, der Wolfsmensch.
ANDREAS
tritt dicht an Olivier heran.
Ich warn dich, Gefreiter. Denk an die scharfe Instruktion.
OLIVIER.
Weiß von keiner.
ANDREAS.
Da sind zehn verbotene Artikel – auf die wird hier jedermann vereidigt.
ARON.
Auf die pfeift er dir! Gelt, Olivier?
ANDREAS.

Nicht auf zehn Schritt dem Gefangenen nahe. Kein Wort mit ihm, kein Wort über ihn, bei Leib und Leben.

PANKRAZ.
Die hat hier der Gouverneur erlassen, dem wir allesamt untergeben sind.
ANDREAS.
Der hat das schleunige Recht. Dem ist Gewalt gegeben über unsere Hälse.
ARON.

Gewalt gegeben! Über alte Kaschbettler vielleicht, über solche Marodierer, wie ihr seid! Nicht über eine Person wie den da!

OLIVIER.
Wo ist der Gouverneur? Ich will ihn sehen!
PANKRAZ.

Den siehst du nicht. Wenn der uns Ordre zu geben hat, läßt er dreimal Habt acht blasen. Dann schickt er seinen Bedienten.

ARON.
Seinen rotzigen Bedienten an dem seine martialische Person? Hast du gehört?
OLIVIER.

Halts Maul, bis Zeit ist. – Horcht, da! Der Dudelsack. Jetzt spielts wieder. Und jetzt still. Signale sinds. Juden, Schmuggler.

ARON.
Da sollten wir streifen.
OLIVIER.
Laß die. Ist uns grad recht, was die schmuggeln.
ARON.
Was denn?
OLIVIER
leise.

Waffen, Pulver und Blei, Piken, Morgenstern, Äxte. Aus Ungarn herauf, aus Böhmen herüber, aus Litauen herunter.

ARON.
Verfluchte Juden!
OLIVIER
halblaut.
Die spüren, was los ist. Riechen im voraus den roten Hahn aufm Dach.
ARON
nahe bei ihm.
Sind die alle mit einverstanden, sag mirs, gestrenger Kapitän!
OLIVIER.
Wirst es erfahren, bis Zeit ist.
REKRUT
geheim, ängstlich.

Ein dreibeiniger Has hat sich sehen lassen, ein hageres Schwein ist dahergekommen, ein glühäugiges Kalb rennt durch die Gassen.

OLIVIER
nur zu Aron.

Alle gehen gegen alle. Es bleibt kein Haus. Die Kirchen werden sie mit dem Kehrichtbesen zusammenkehren.

ARON.
Und was wird mit denen werden, die heute die Herrenleut sind?
OLIVIER.
Die werden kopfunter in den Abtritt fahren.
ARON.

Das geht mir in den Leib wie ein Schnaps. Und unser werden so viele sein, daß wir die gewältigen werden?

OLIVIER
halblaut.
Zehntausend in den Häusern, zehntausend in den Wäldern, hunderttausend unter der Erden.
DER STELZBEINIGE
der bisher geschwiegen hat.

Sie werden ihn hervorziehen, und das Unterste wird zuoberst kommen, und dieser wird der Armeleute- König sein und auf einem weißen Pferde reiten.

ARON.
Halts Maul, böhmischer Bruder.
DER STELZBEINIGE.
In den feuchten Bergen wird von ihm ein Reich gegründet werden.
ARON.
Halt dein Maul!
OLIVIER
halblaut, zu Aron.

Auch solche wie den da werden wir brauchen. Und den da hinten auch. Den richt ich mir ab wie ein Hund; der soll mir apportieren.

ARON.

Ich verstehs nicht, aber ich weiß, daß du kommandieren wirst. Denn du schaust auf Menschen, wie einer auf Steine schaut.

OLIVIER.
Der wird kommandieren, dem die politische Fatalität sich anvertraut.
ARON.
Ist die so großmächtig, die Fatalität?

Ein Hornsignal. Gleich wieder eines. Ein drittes.
PANKRAZ
leise.
Da habt ihrs. Er läßt dreimal Habt acht blasen. Und da kommt der Bediente.

Anton erscheint auf einer hölzernen Brücke überm Vorwerk und schickt sich an herunterzukommen. Die Soldaten, außer Oliver, verziehen sich.
ANTON
tritt von hinten auf Olivier zu.
In hohem Auftrag!

Grüßt.
OLIVIER
gibt keine Antwort.
ANTON.
In hohem Auftrag Seiner Exzellenz!

Grüßt abermals hinter Oliviers Rücken.
OLIVIER
dreht sich um, mißt Anton mit einem verächtlichen Blick.
ANTON
grüßt abermals, sehr freundlich.

Dem Herrn Wachkommandanten einen guten Tag zu wünschen. – In hohem Auftrag: Der Herr zieh Seine Wach hier ab und besetz die Zugäng. Aber seine Wachposten sollen den Rücken kehren und dabei alles im Aug behalten. Es bekümmert den Herrn nichts, was hier vorgehen wird, aber ich sags Ihm: der Gefangene wird zur ärztlichen Visite vorgeführt. Hat der Herr verstanden? Ich bitt den Herrn, daß Er den Befehl ausführt.

OLIVIER
spuckt aus und geht weg.
ANTON
ihm nachsehend.

Ein freimütig soldatischer junger Herr. Mit dem einen Moment beisammenstehen, ist wie mit einem anderen eine Stund diskurieren.

OLIVIER
außen.
Wache antreten! Wache rechts um!

Kurzer Trommelwirbel.
ARZT
kommt den gleichen Weg wie Anton auf die Bühne.
Wo find ich den Kranken?
ANTON.
Der Herr will sagen: den Gefangenen. Gedulde sich der Herr. Ich führ Ihm die Kreatur heraus.
ARZT.
Wo ist das Zimmer?
ANTON.
Was für ein Zimmer?
ARZT.
Nun, das Verlies, der Gewahrsam.
ANTON
deutet nach hinten.
Dort!
ARZT.

Wie dort? Wendet sich hin. Ich sehe einen kleinen, offenen Käfig, zu schlecht für einen Hundezwinger. – Du willst mir nicht sagen, daß er dort – oder hier ist ein Verbrechen begangen, das zum Himmel schreit!

ANTON
zuckt die Achseln.
ARZT.
Dort? Tag und Nacht?
ANTON.
Winter und Sommer. Im Winter wird eine halbe Fuhr Stroh zugeschmissen.
ARZT.
Seit wie lange?
ANTON.

Vor vier Jahren ist alles verschärft worden. Von da ab schläft er auch nachts im Zwinger da, hat keinen freien Ausgang, die Füß an der Kette, eine schwere Kugel dran, die stinkende Wildschur am Leib, ob Sommer ob Winter, sieht die Sonn nicht mehr als im hohen Sommer zwei Stunden lang.


Man hört wieder die dumpfen Schläge, wie am Anfang.
ARZT
tritt näher hin.
Mein Auge gewöhnt sich. Ich sehe ein Tier, das an der Erde kauert. Tritt zurück.
ANTON.
Das ist schon der Betreffende.
ARZT.
Das! – Ruf ihn. Führ ihn her vor mich.
ANTON
sieht sich um.
Ich darf vor keiner fremden Person mit ihm reden.
ARZT.
Ich trage die Verantwortung.
ANTON.

Sigismund! – Er gibt keine Antwort. – Achtung! Er leidet nicht, daß man ihn angeht. Er hat sich einmal mit einem Fuchs verbissen, den die Wächter ihm zur Kurzweil übers Gitter werfen taten.

ARZT.
Kannst du ihn nicht rufen? nicht zureden? Ist er denn ohne Vernunft?
ANTON.

Der? Kann Latein und wird mit einem dicken Buch fertig, wie wenns eine Speckseiten wär.Nähert sich dem Zwinger, sanft anrufend. Komm der Sigismund. Wer wird dann da sein? Der Anton ist da. Er öffnet die Tür mit der Pike, die an der Mauer gelegen hat. Da, jetzt leg ich meinen Stecken weg. Er legt die Pike auf die Erde. Jetzt sitz ich aufm Boden. Jetzt schlaf ich. Leise zum Arzt. Geb der Herr Achtung. Erschrecken darf er nicht, sonst wirds bös.

ARZT.
Hat er denn eine Waffe?
ANTON.

Immer einen Roßknochen. Sie müssen früher in dem Winkel das Vieh verscharrt haben. – Es ist innerst eine gute Kreatur, geb ihm der Herr was ein, daß er wieder sanft wird.

ARZT.
Wo die ganze Welt auf ihm liegt. Es ist alles zusammenhängend.
ANTON.
Pst! er rührt sich. Er schaut die offene Tür an. Das ist nichts Gewohntes!
SIGISMUND
tritt aus dem Zwinger hervor, in einer Hand einen großen Stein.
ANTON
winkt ihm.
Geh, da setz dich zu mir.
SIGISMUND
redet nach.
Setz dich zu mir!
ANTON
auf der Erde sitzend.
Ist ein Herr kommen.
SIGISMUND
gewahrt den Arzt, zuckt zusammen.
ANTON.

Nicht fürchten. Ein guter Herr. Was denkt der Herr von dir? Leg den Stein weg. Er denkt, du bist ein Kind. Bist aber zwanzig Jahr.


Steht auf, geht langsam hin, windet ihm sanft den Stein aus der Hand.
ARZT
ohne den Blick von Sigismund zu verwenden.
Ein ungeheurer Frevel! Nicht auszudenken ist das.
ANTON.
Grüß den Herrn! oder was soll der Herr denken? Der Herr ist weither kommen.
ARZT
tritt näher.
Möchtest du anderswo wohnen, Sigismund?
SIGISMUND
schaut zu ihm auf, dann wieder weg, spricht dann schnell vor sich hin wie ein Kind.

Vieher sind vielerlei, wollen alle los auf mich. Ich schrei: Nicht zu nah! Asseln, Würmer, Kröten, Feldteufel, Vipern! Sie wollen alle auf mich. Ich schlag sie tot, sinds erlöst, kommen harte schwarze Käfer, vergrabens.

ARZT.
Hol ein Licht, ich muß ihm ins Auge sehen.
ANTON.
Ich laß den Herrn nicht allein mit ihm, darfs nicht! Ruft nach hinten. Einen Kienspan daher!
ARZT
geht hin, legt Sigismund die Hand auf die Stirn.
Hornsignal draußen. Was ist das?
ANTON.
Es heißt, daß jetzt niemand heran darf, oder es wird scharf geschossen.
SIGISMUND
sehr schnell.

Deine Hand ist gut, hilf mir jetzt du! Wo haben sie mich hingetan? Bin ich jetzt in der Welt? Wo ist die Welt?

ARZT
für sich.

Die ganze Welt ist gerade genug, unser Gemüt auszufüllen, wenn wir sie aus sicherem Haus durchs kleine Guckfenster ansehen. Aber wehe, wenn die Scheidewand zusammenfällt!


Ein Soldat kommt und bringt einen brennenden Kienspan.
ANTON.
Da ist die Kienfackel!

Reicht sie dem Arzt.
ARZT.

Ich muß sein Auge sehen. Drückt Sigismund, der an seinen Knien lehnt, sanft gegen sich und leuchtet ihm von oben ins Gesicht. Bei Gott, kein mörderisches Auge, nur unermeßlicher Abgrund. Seele und Qual ohne Ende. Er gibt die Kienfackel zurück, Anton tritt sie aus.

SIGISMUND.

Licht ist gut. Geht herein, machts Blut rein. Sterne sind solches Licht. In mir drin ist ein Stern. Meine Seele ist heilig.

ARZT.

Es muß einmal ein Strahl in ihn gefallen sein, der das Tiefste geweckt hat. So hat man doppelt an ihm gefrevelt.


Julian, der Gouverneur, von einem Soldaten begleitet, der eine Laterne trägt, erscheint droben auf der hölzernen Brücke, sieht herab.
ANTON.
Seine Exzellenz sind selbst hier. Es wird gewinkt von oben. Da soll die Untersuchung zu Ende sein.
ARZT.
Das bestimme ich. Er fühlt Sigismund den Puls. Was gebt ihr ihm zu essen?
ANTON
leise.
Es ist für einen räudigen Hund zu gering. Leg der Herr ein Wort ein!
ARZT.
Ich bin zu Ende.
ANTON.
Jetzt geht der Sigismund schön hinein.

Sigismund zuckt, kniet am Boden. Anton nimmt die Pike auf, öffnet ganz die Tür zum Zwinger. Sigismund bleibt auf den Knien, streckt die Hand aus.
ARZT
verhält sich die Augen.
O Mensch! o Mensch!

Sigismund stößt einen klagenden Laut aus.
ANTON.
Sollen sie mit Stangen kommen, dich eintreiben?
ARZT.

Ich bitte dich, geh für heute an deine Stätte. Ich verspreche dir, daß ich tun werde, was ich vermag.

SIGISMUND
steht auf, verneigt sich gegen den Arzt.
ARZT
vor sich.

O mehr als Würde in solcher Erniedrigung! Das ist eine fürstliche Kreatur, wenn je eine den Erdboden trat.

SIGISMUND
ist in den Zwinger zurückgegangen.
ANTON
hat den Zwinger von außen verschlossen.
Der Herr erlaubt, daß ich vorangeh. Der Herr ist sogleich droben im Turm erwartet.

Sie gehen hinauf.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Gemach im Turm, eine größere, eine kleinere Tür. Julian, Anton.

JULIAN.
Ist der Simon herein? Er soll gesehen worden sein. Sobald er sich blicken läßt, wirds mir gemeldet.
ANTON
deutet hinter sich.
Der Herr Doktor.
JULIAN.
Eintreten.
ANTON
öffnet die kleine Tür.

Der Arzt tritt ein, verneigt sich.
Anton tritt ab.
JULIAN.
Ich bin dem Herrn für die beschwerliche Herreise sehr verbunden.
ARZT.
Eure Exzellenz hatten zu befehlen.
JULIAN
nach einer kleinen Pause.
Ihr habt die Person in Augenschein genommen?
AKZT.
Mit Schrecken und Staunen.
JULIAN.
Wie beurteilt Ihr den Fall?
ARZT.
Als ein grausiges Verbrechen.
JULIAN.
Ich frage nach dem ärztlichen Befund.
ARZT.
Der Ausgang wird ergeben, ob man, unter anderem, den Arzt nicht zu spät gerufen hat.
JULIAN.

Ich will nicht hoffen! Der Herr gebrauche seine gepriesene Überlegenheit. Es sollen keine Kosten gescheut werden.

ARZT.

Vom Leib aus allein kann nur Pfuscherei den Leib heilen wollen. Es geht um mehr. Der ungeheure Frevel ist an der ganzen Menschheit begangen worden.

JULIAN.

Wie kommt der Herr zu solchen Divagationen? Es ist von einer einzelnen privaten Person die Rede, die unter meiner Obhut steht.

ARZT.

Mitnichten. An der Stelle, wo dieses Leben aus den Wurzeln gerissen wird, entsteht ein Wirbel, der uns alle mit sich reißt.

JULIAN
sieht ihn an.

Ihr nehmt Euch viel heraus. – Ihr seid eine berühmte Persönlichkeit. Die Fakultät feindet Euch an, aber das hat Euch nur noch mehr in Evidenz gebracht. Ihr habt ein großes Gefühl von Euch selbst.

ARZT.

Eure Exzellenz ermangeln der Möglichkeit, sich die Vorstellung zu bilden, wie gering ich von mir selbst denke. Mein Ruhm ist vielfach Mißverständnis. Denen, die im Bodendunst gehen, scheint jede Fackel groß wie ein Kirchentor.

JULIAN
geht auf und ab, dann plötzlich vor dem Arzt stehenbleibend.
Grad heraus! Wen vermutet Ihr in dem Gefangenen? Antwortet ohne Scheu. Ich frage als Privatperson.
ARZT.

Ihr möget als was immer fragen. Ich habe nur einerlei Rede: Hier ist das höchste Geblüt in der erbärmlichsten Erniedrigung gehalten. – Eure hochadelige Person allein, die sich hergibt zum Hüter und Kerkermeister eines Unbekannten –

JULIAN.

Wir lassen mich aus dem Spiel. Ich sehe, Ihr seid hergekommen in einer sonderbaren vorgefaßten Meinung.

ARZT.

Ich schließe nichts aus der Nachricht, alles aus dem Eindruck. Dieses Wesen, vor dem ich da unten stand, bis an die Knöchel im Unrat, ist eine quinta essentia aus den höchsten irdischen Kräften.

JULIAN.

Ihr beliebt mit Phantasie zu reden, ohne Einblick in die Umstände. Ich bleibe in der Wirklichkeit, soweit das Staatsgeheimnis mir nicht den Mund verschließt. Das in Rede stehende junge Mannsbild war ein Opfer von Koinzidenzien. Ich habe getun, was an mir lag. Ohne mich wäre es kaum am Leben.

ARZT.

Er wäre am Leben, so ohne Euch als ohne mich, und wenn seine Stunde kommt, wird er hervorgehen. Das ist der Sinn der Konzidenzia.


Es klopft.
JULIAN
sieht ihn an.

Ich wünsche mich mit Euch noch zu unterhalten. Vor allem über das, was zu tun ist. Der Gefangene, ich gebe es zu, war vernachlässigt. Ihr werdet mir einschneidende Maßregeln vorschlagen.

ARZT
neigt sich.
ANTON
ist eingetreten, mit Bechern auf einer silbernen Platte.
JULIAN.
Im Augenblick bin ich behindert. Man hat für Euch im Nebenzimmer einen kleinen Imbiß aufgetragen.
ANTON
auf einen Wink tritt heran, mit den Bechern.
JULIAN
ergreift einen Becher.

Einen Satteltrunk, darf ich bitten. Meinen Dank nochmals, für die Hingabe kostbarer Zeit. Ich tue Bescheid.

ARZT
nachdem er getrunken.
Aber nur mit dem Rand der Lippen.
JULIAN.

Es nimmt mir neuerdings den Schlaf. Es muß so gut ein Gift in dem edlen Getränk liegen als ein Balsam.


Er wendet sich zu Anton, sie reden heimlich.
ARZT.

Al-kohol: das Edelste. Im Innern unserer Muskulatur auftretend im gleichen Augenblick, wo, vierundzwanzig Stunden nach dem Tod, Verwesung ihren ersten Hauch tut. Aus dem Heillosen die Kräfte der Heilung. Das ist encheiresin naturae.

ANTON
meldet halblaut.
Der Getaufte Simon ist herein, mit einem Brief für Eure Gnaden.
JULIAN.
Her mit ihm.
ANTON.
Ist schon da.

Läßt Simon zur größeren Tür eintreten, Arzt ist mit einer Vernewigung zur kleinen abgetreten.
Simon überreicht Julian einen Brief.
JULIAN.
Auf welchem Weg empfangen?
SIMON.

In der bewußten Weise durch die bewußte Person. Es ist hinzugefügt worden, ich soll mich beeilen: es ist wichtig für Seine Gnaden.


Julian erbricht hastig den Brief, winkt Simon abzutreten. Simon geht ab.
JULIAN
liest den Brief.

– Des Königs Neffe auf der Jagd gestorben! Mit dem Pferd in eine Wolfsgrube gestürzt! – Das ist ungeheuer. Der zwanzigjährige baumstarke junge Fürst. Das ist Gottes sichtbarliche Fügung! Tritt hin und her, liest dann weiter. Der König allein, zum erstenmal allein; zum erstenmal seit dreißig Jahren verlassen vom allgewaltigen Berater. Liest. Der Kardinal-Minister, dein mächtiger unbeugsamer Feind, ist ins Kloster, ohne Abschied vom König – er hat seine Hand aus den Geschäften gezogen, für immer – Spricht. Ich träume! es kann nicht möglich sein, daß so viel auf dem kleinen Fetzen Papier steht! Tritt ans Fenster ins Helle, liest wieder. – in eine Wolfsgrube gestürzt – der Kardinal-Minister ist in ein Kloster – alle Würden abgetan – unter dem Namen: Bruder Ignatius – Er läutet mit einer Handglocke.

SIMON
herein.
JULIAN.

Ich habe da überraschende Nachrichten. Es sind große Dinge vorgegangen. – Was gibts in der Welt? Was reden die Leute?

SIMON.

Die Welt, gnädigster Herr Burggraf Exzellenz, die Welt ist ein einziger Jammer. Sobald man mit Geld nix mehr kaufen kann – nu, kauft das Geld was? Was is Geld? Geld is Zutrauen zum vollen Gewicht. Wo ist ein lötiger Taler? Hat einer an lötigen Taler gesehen, hat er gemußt machen ä große Reis.

JULIAN
zu Anton.
Den Schlüssel!
ANTON.
Die Exzellenz hat ihn in der Hand. –
JULIAN.
Den andern!
ANTON.
Da liegt er vor Augen.
SIMON.

Hat der Krieg angefangen, is gezahlt worden mit silberne Taler der Soldat, der Lieferant. Is der Krieg ins zweite Jahr gegangen, war der Taler ä Mischung, im dritten Jahr war das Silber ä versilbertes Kupfer. Aber genommen habens die Leut. Hat der König erkennt, man kann machen Geld, wenn man sein Gesicht und Wappen prägt auf Zinn, auf Blech, auf Dreck. Haben die großen Herren erkennt, haben die Stadtbürger erkennt, haben die kleinen Herren erkennt. Macht der König Geld, machen die Grafen Geld, wer macht nicht Geld? Bis alles geschwommen is in Geld.

JULIAN
hat die Augen wieder auf dem Brief.
SIMON.

Aber wer hergegeben hat schweres Geld, soll der nehmen leichtes? Wie denn nicht? Steht doch dem König Er nimmt die Kappe ab. sein landesherrliches Bildnis darauf. Aber für Abgab und Steuern wird das neue Geld verboten! Und die Soldaten und die Bergleut sollen nehmen das leichte Geld? Was tut sich? Die Bergleut fahren nicht mehr in Berg, die Bäcker backen nicht mehr, der Arzt lauft vom Krankenbett, der Student von der Schul, der Soldat von der Fahn. Dem König sein Zutrauen ist dahin. Dann is in der ganzen Welt nix geheuer. Auf einen Blick Julians. Aber was brauch ich Seiner Gnaden Exzellenz zu erzählen? Wenn heut am Abend einer der größten Herren vom Hof wird hieher zu reiten gekommen sein, wird er bereden mit Euer Gnaden Exzellenz die Staats- und politischen Sachen –

JULIAN
stutzt.
Wer wird gekommen sein zu reiten hieher? Was ist das?
SIMON.

Der großmächtige Herr Woiwod von Lublin, mit einem Gefolg von mindestens fufzig, darunter Edelpagen und Hartschierer, den ich hab hinter mir gelassen um zwei drei Stunden. – Euer Gnaden Exzellenz schaut auf mich, als wenn ich aus dem Mund brächt eine Überraschung, wo doch Euer Gnaden halten in Händen die Briefschaft, darin es muß geschrieben stehen schwarz auf weiß.

JULIAN.
Es ist gut. Hinauslassen.

Simon ab. Anton zurück.
JULIAN.

Anton! Der stolzeste größte Woiwod am ganzen Hof! Geschickt an mich! Vom Herren selber geschickt an mich! Du! sie machen die Leiche lebendig! Ich – ich – hörst du? Was schneidest du für ein Gesicht?

ANTON.

Kann ich mir vielleicht nicht denken, was da in Ihnen vorgeht! Das bedeutet doch nicht mehr und nicht weniger, als daß man Sie zurückholt an den Hof, daß man Ihnen aufdrängt die Ehren, soll heißen die Beschweren, die Würden, soll heißen die Bürden, die Vertrauensstellen, die Sinekuren und Sekkaturen, alles das, wovor Ihnen graust, wie dem Kind vor der bitteren Medizin!

JULIAN.
Es wird nicht wahr sein. – Mein Gott, wenn es wahr wäre!
ANTON.

O du mein Heiland! Wie echappieren wir jetzt! Wie kommen wir aus? Da ist guter Rat teuer. Wenn sich Euer Gnaden krankstellen täten? Ich mach das Bett auf!

JULIAN.

Schweig das Gewäsch! Das getäfelte Zimmer wird eingerichtet für Seine Erlaucht den Woiwoden. Mein eigenes Bett hinein. Aus meinem besten Reitpelz die Marderfelle heraustrennen und eine Fußdecke daraus vors Bett für Seine Erlaucht.

ANTON.
Daß er nur in Gottesnamen die Füß bald wieder woanders hinsetzt!
JULIAN.
Den Trompeter hinauf aufs Vorwerk!
ANTON.
Den Trompeter?
JULIAN.

Sobald er die Kavalkade gewahr wird, ein Signal! Eines! ihm einschärfen: sobald es gewöhnliche Reiter sind. Ists aber eine fürstliche Kavalkade –


Er muß sich vor Erregung an dem Tisch halten.
ANTON.
Dann?
JULIAN.
Dann drei Stöße nacheinander, wie vor dem König! – Was glotzt du so auf mich? Soll ich –
ANTON.

Ich sag schon nichts. Sieht ihn von der Seite an. Muß ein glorioses Gefühl sein, wenn man weiß: meiner bin ich sicher! Komm her, Satanas, breits aus vor mir, die Herrlichkeit, wie einen Teppich – und jetzt hebs schnell wieder weg, sonst spuck ich dir drauf, denn das hab ich überwunden.Es klopft an der Tür. Anton geht hin. Der Herr Doktor haben abgesessen und bitten aufwarten zu dürfen. – Soll er?

JULIAN.
Laß eintreten. Und dann fort, alles ausführen.

Arzt ist eingetreten, er trägt einen Zettel in der Hand.
Anton geht ab.
ARZT
vor Julian stehenbleibend, der in Gedanken verloren dasteht.
Ich finde Eure Exzellenz verwandelt.
JULIAN.
Ihr seid ein scharfer Physiognomiker. – Was seht Ihr in meinem Gesicht?
ARZT.

Eine gewaltige hoffnungsvolle Erregung. Weite Anstalten! Große Anstalten! Ein ganzes Reich umspannend. Euer Gnaden sind aus einem heroischen Stoff gebildet.

JULIAN
muß lächeln, unterdrückt aber das Lächeln sogleich.
ARZT.

Aber – ich muß es in einem Atem aussprechen: die Quelle selber ist getrübt. Die tiefste Wurzel ist angenagt. In furchtbarem Schlangenkampf ringen Gut und Böse in diesen gebieterischen Mienen.

JULIAN.

Gebt meinem Puls mehr Stetigkeit, das ist alles was ich brauche. Mir stehen große Aufregungen bevor. – Ich brauche andere Nächte.


Schließt die Augen, schlägt sie schnell wieder auf.
ARZT
den Blick auf ihm.

Euer Puls geht nicht gut, und doch – ich verbürge es – ist der Herzmuskel kraftvoll. Aber Ihr verleugnet Euer Herz. – Herz und Hirn müßten eins sein. Ihr aber habt in die satanische Trennung gewilligt, die edlen Eingeweide unterdrückt. Davon diese bitter gekräuselten Lippen, diese Hände, die sich Weib und Kind zu berühren versagen.

JULIAN
nickt.
Furchtbar einsam waren meine Jahre.
ARZT.

Furchtbar, aber gewollt. Was Ihr suchet, ist schärfere Wollust: Herrschaft, unbedingte Gewalt des Befehlens.

JULIAN
sieht ihn an.
ARZT.

Der Gang zeigt mir heroischen Ehrgeiz, in den Hüften verhalten von ohnmächtigem, gigantisch mit sich zerfallenem Willen. Eure Nächte sind wütendes Begehren, ohnmächtiges Trachten. Eure Tage sind Langeweile, Selbstverzehrung, Zweifel am Höchsten – die Flügel der Seele eingeschnürt in Ketten!

JULIAN.
Ihr kommt einem, nahe! Zu nahe!
ARZT.

Auf das Übel hinzuweisen, dort wo ich es gewahre, ist mir gegeben. Die Verschuldung an diesem Jüngling, das ungeheure Verbrechen, die Komplizität, die halbe Miteinwilligung: alles steht in Eurem Gesicht geschrieben.

JULIAN.

Genug. Der Herr redet, ohne die Dinge zu kennen. Geht an die Wand, läßt ein Fach aufspringen, nimmt ein Blatt heraus, daran ein Siegel hängt. Ich habe ihm das Leben gerettet, mehr als einmal. Er sollte verschwinden, ausgetilgt werden. Man mißtraute mir. Ich hatte ihn zu gutherzigen Bauern gegeben vom achten bis zum dreizehnten Lebensjahr. Es wurde imputiert, ich hätte ehrgeizige Pläne auf das Weiterleben des Gefangenen gesetzt. Ich mußte ihn wieder in den Turm setzen.

ARZT.
Ich verstehe.
JULIAN.

Ich beließ ihn zuerst in einem menschenwürdigen Kerker mit Fenstern. – Durch das Fenster fiel ein Schuß in der ersten Nacht und streifte ihn am Hals, ein zweiter gegen Morgen und ging ihm zwischen Arm und Brust hindurch. – Ohne mich wäre er erwürgt. – Ich wünsche nicht von Euch verkannt zu werden. Er hält ihm das Blatt hin. Der Herr sieht! Das allerhöchste Siegel. Die eigenhändige Unterschrift der höchsten Person. – Ich gehe sehr weit mit Euch.

ARZT
liest aus dem Blatt.

– »überführt eines geplanten Attentates auf die geheiligte Majestät –« – Dieser Knabe! – Die Schrift ist neun Jahre alt. Damals war er ein Kind!

JULIAN.

Sterne haben, bevor er geboren war, auf ihn gewiesen, wie mit blutigem Finger. Das Verkündete traf ein, punktweise, ihn gräßlich zu bestätigen, als den, der außerhalb der menschlichen Gemeinschaft steht. Er war überführt, ehe seine Lippen ein Wort bilden konnten.

ARZT
hebt die Hände zum Himmel.
Überführt!
JULIAN.
Des Majestätsverbrechens. – Was vermag ich!

Schließt das Blatt ein.
ARZT
nimmt einen Zettel aus dem Gürtel.

Ich hatte im währenden Essen aufgeschrieben, was ich fürs Unerläßlichste hielt. Ein menschenwürdiger Gewahrsam, der Sonne zu, eine reine Nahrung, der Zuspruch eines Priesters.

JULIAN.
Gebt her.
ARZT.

Nein, es ist zu wenig, ich zerreiße es. Er tuts. Nur Wiedergeburt heilt einen so Zerrütteten. Man führe ihn in seines Vaters Haus zurück, nicht übers Jahr, nicht über einen Monat, sondern morgen zu Nacht!

JULIAN
auf und nieder.

Und wenn es ein Dämon und Teufel ist, vorwitziger Mann? Ein Aufrührer gegen Gott und die Welt! – Da! Er horcht.


Trompeten in der Ferne.
JULIAN
schließt erblassend die Augen.

Der Herr ist zu auskultieren gewohnt und hat ein scharfes Ohr. Darf ich fragen, ob ich richtig gehört habe?

ARZT.
Drei Trompetenstöße in großer Entfernung.
JULIAN
schlägt die Augen wieder auf, atmet tief auf.
ARZT.
Jetzt habt Ihr im Nu einen kühnen und furchtbaren Gedanken ausgeboren. Euer Gesicht flackert.
JULIAN.
Ich sehe wie durch plötzliche Erleuchtung die Möglichkeit einer Probe.
ARZT.
Wodurch man den Unglücklichen retten könnte?
JULIAN.

Ich halte für möglich, daß vieles wird in meine Hand gegeben werden. Der Herr ist imstande, einen sicher wirkenden, gewaltigen Schlaftrunk –?

ARZT.
Darf ich fragen –
JULIAN.
Ich würde einen Reitenden darum schicken.
ARZT.

Errate ich? Ihr wollt den Bewußtlosen in eine andere Umgebung schaffen. Ihm gewisse Personen vor Augen bringen?

JULIAN.
Wir wollen kein Wort zuviel aussprechen. Ich spiele um meinen Kopf.
ARZT.
Und wenn er die Probe nicht besteht? – Wenn er mißfällt. – Was wird aus ihm?
JULIAN.
Dann wird es – vielleicht – gelingen, ihm das gleiche Leben zu fristen, das er bisher geführt hat.
ARZT.
Dazu biete ich nicht die Hand. Tritt zurück. Es hieße ein Geschöpf Gottes in den Wahnsinn treiben.
JULIAN.
Ich gebe Euch eine halbe Minute Bedenkzeit. Überlegt Euchs.
ARZT
nach einigen Sekunden.

Der Reitende kann den Schlaftrunk morgen nacht bei mir abholen. – Die Dosis ist streng bemessen. Euere Exzellenz schwöre mir, daß der Gefangene den Schlaftrunk aus keiner anderen Hand –

JULIAN.

Aus meiner eigenen Hand. Wofern ich die Zulassung zur Probe bewirken kann. Das steht bei höheren Personen.


Er zittert, läutet mit der Handglocke.
ARZT.
Ich bin entlassen?
JULIAN.

Mit der Bitte, diese geringfügige Entlohnung anzunehmen Reicht ihm eine Börse. und dazu diesen Ring als ein Andenken. Zieht den Ring vom Finger, reicht ihn hin, die Hand zittert ihm dabei heftig.

ARZT.
Euer Gnaden belohnen fürstlich. Neigt sich, zieht sich zurück.

Anton zur anderen Tür herein, einen schönen Überrock auf dem Arm und Schuhe. Eilig. – Er hilft Julian das Hausgewand ausziehen, den schönen Rock anziehen.
JULIAN.
Wie nahe sind sie? Ich habe einen einzelnen Reiter heransprengen sehen.
ANTON.
Ja, ja.

Nestelt das Gewand zu.
JULIAN.
Ein Vorreiter, ein Kurier? Was?
ANTON.
Ich sags nicht, es täte Sie ärgern. Ein aufgeblasener Kerl!
JULIAN.
Was will man von mir?
ANTON.

Daß sie ein königliches Handschreiben bringen, das steigt so einem Stallputzer in die Nase. Soll der König nicht auch einmal einen Brief schreiben? Hat er keine Hände?

JULIAN.
Ein Handschreiben – an meine Person?

Er muß sich setzen.
ANTON
zieht ihm die Schuhe an.
Ich hab ja gewußt, es wird Ihnen unangenehm sein. – Aber daß es Sie so grausam angreift –

Julian sagt nichts.
JULIAN
auf, atmet fliegend.
Sind meine Leute aufgestellt?
ANTON.
Spalier.

Bindet ihm die Schuhe.
JULIAN.
Du voraus ans Tor mit dem Leuchter.
ANTON.

Sind ja die Kienfackeln an der Treppe. Wer wird sich strapazieren für Leute, die einem nur Unerwünschtes ins Haus bringen!

JULIAN.

Angezündet! Du kniest nieder am untersten Treppenabsatz. Wenn Seine Erlaucht, der Woiwod, an dir vorbei ist, springst ihm vor, leuchtest die Treppe hinan. Ich geh ihm entgegen, vom obersten Absatz drei Stufen, keinen Schritt mehr.

ANTON
zündet an.

So recht. Er soll verstehen, der Hofschranz, daß wir auf ihn nicht gewartet haben, die neunzehn Jahr lang.


Vorhang.

2. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Kreuzgang im Kloster. Im Hintergrund die Eingangspforte. Zur Rechten Eingang ins Klosterinnere.
Der Pater Guardian, vor ihm die beiden königlichen Spione Gervasy und Protasy.

GERVASY.
Wie wir Euer Ehrwürden melden. Er selbst in allerhöchster Person.
PROTASY.
Will aber nicht gekannt sein.
GERVASY.
Gekannt vielleicht – aber nicht erkannt.
PROTASY.
Alles im strengsten außergewöhnlichen Geheimnis.

Man pocht. Pförtner geht aufschließen.
GERVASY.
Wir verziehen uns untertänig.
PROTASY.
Wir erwarten draußen den erlauchtigen Woiwoden von Lublin. Der ist hierher befohlen.

Sie verneigen sich tief, verschwinden im Kreuzgang.
Pater Guardian entfernt sich. Pförtner schließt auf. König Basilius und Höflinge treten ein. Ein Bettler kommt hinter ihnen herein.
KÖNIG.
Ist dies der Ort, wo der Bruder Ignatius die empfängt, die mit einem Anliegen zu ihm kommen?
PFÖRTNER.
Hier stellt euch hin und wartet alle.
JUNGER KÄMMERER.
Vorwärts du, und melde, wie ich dir sagen werde.
PFÖRTNER.
Ich darf nicht melden. Das ist nicht meines Amtes. Meines Amtes ist Aufschließen, Zuschließen.
JUNGER KÄMMERER.
Weißt du, wer vor dir steht?
PFÖRTNER.

Weiß nicht. Darfs nicht wissen. Ist nicht meines Amtes. Diesen kenne ich. Weist auf den Bettler, tritt zu diesem. Stell dich daher. Er wird sich freuen, daß du wiedergekommen bist.


Bettler stellt sich schweigend abseits.
KÖNIG.

Dies ist ein schwerer Gang. Ich will die Vettern, die ihn mit mir getan haben, über alle Woiwoden, Palatine und Ordinaten erhöhen.


Die Höflinge neigen sich.
JUNGER BRUDER
tritt von rechts heraus; schön, leise, mit einem beständigen Lächeln.
Seiet leise!
KÖNIG.
Schläft er so früh am Tag, daß man ihn nicht stören darf?
JUNGER BRUDER.

Gegen Morgen, wenn die Sterne bleich werden, erst dann schläft er ein, und wenn die Vögel sich rühren, ist er wieder wach. Tritt zum Bettler, der betet, das Gesicht in den Händen. Was begehrst du?


Bettler regt sich nicht.
PFÖRTNER.

Es ist der ohne Namen, der herumzieht von einer heiligen Stätte zur anderen und Winter und Sommer übernachtet auf den steinernen Stufen der Kirchen. Er hat schon einmal mit ihm gesprochen.

BETTLER
nimmt die Hand von den Augen, und man sieht, daß eines seiner Augen ausgestochen ist.
Unwert!
PFÖRTNER.

Verlaufene Soldaten, wie es jetzt überall gibt, haben ihm ein Auge ausgeschlagen. Er aber hat ihnen vergeben und betet für sie.

BETTLER.
Unwert!

Stellt sich hinter die Höflinge.
KÖNIG.
Melde! melde, es ist einer da, Basilius, und in großer Not, und sein Anliegen ist dringend.
JUNGER BRUDER
neigt sich.
Er wird bald kommen. Gedulde sich die Herrschaft. Geht rechts hinein.
EIN DUMPFER GESANG
wird hörbar.
Tu reliquisti me et extendam manum meam et interficiam te!
KÖNIG
tut einen Schritt vor, sieht nach oben.

Heut ist St. Ägydi Tag: da geht der Hirsch in die Brunft. – Ein schöner, heller Abend: die Eltern fliegen paarweise vom Nest ohne Furcht für ihre Jungen, und der Fischer freut sich: sie laichen bald, aber sie sind noch begierig und springen im frühen nebligen Mondschein, ehe es noch Nacht ist. Es bleibt lange noch schußlicht zwischen dem Fluß und dem Wald, und groß und fürstlich tritt der Hirsch aus dem Holz und löst die Lippen, daß es scheint als ob er lache, und schreit machtvoll, daß die Tiere im Jungholz ihre zitternden Flanken aneinanderdrücken vor Schreck und Verlangen. – Wir waren wie er und haben majestätische Tage genossen, ehe das Wetter umschlug, und den schönen Weibern lösten sich die Knie beim Laut Unseres Kommens, und wo Wir beliebten einzutreten, da beschien der silberne Leuchter oder der rosige Kienspan die Vermählung Jupiters mit der Nymphe. Er stützt sich auf den jungen Kämmerer. Und diesem schien kein Ende gesetzt, denn Unsere Kräfte waren fürstlich. – Nun aber ist seit Jahr und Tag die Hölle los gegen Uns, und es lauert eine Verschwörung gegen Unser Glück unter Unseren Füßen und über Unseren Haaren, die sich sträuben, und Wir können die Rädelsführer nicht greifen. Wir wollen dahin und dorthin und Unsere Gewalt befestigen, und es ist, wie wenn der Boden weich würde und Unsere Schenkel ins Leere sänken. Die Mauern wanken von den Grundfesten aus, und Unser Weg ist ins Nichtmehr-Gangbare geraten.

EINER DER HÖFLINGE.

Das haben die feisten Bürger in den Städten verschuldet, die Pfeffersäcke und Wollkratzer, und über alles die Juden: sie haben dem Land das Mark aus den Knochen geschlürft. Sie haben aus dem Geld das Silber herausgesogen und in unseren Händen das rote stinkige Kupfer gelassen, dessengleichen sie als Haar auf den Köpfen tragen, die Judasse!

EIN ZWEITER
tritt von hinten hinzu.

Sie liegen auf königlichen Schuldverschreibungen wie auf Gansdaunen, ihr Fuchsbau ist tapeziert mit Pfandscheinen von Grafen und Bannerherren – und wenn du ihrer zehntausend in deine geharnischten Hände nimmst, bis sie ausgepreßt sind, so wird Blut und Schweiß auf die Erde fließen, und aus den Ähren wird das Gold und Silber fallen auf die polnische Erde.

DER ERSTE.

Lasse die Königliche Majestät uns reiten mit unseren getreuen adeligen Vasallen gegen die Juden und Judenknecht, die hinter Pfählen sitzen, gegen Aufrührer, entlaufene Mönch, entsprungene Schullehrer, und in sie arbeiten mit so viel Schwertern, Piken, Kolben, als uns noch in unseren fürstlichen Händen verblieben sind – ehe es zu spät wird.

KÖNIG.

Ich kann das Geschmeiß nicht greifen. Ich reite an: sie sind Bettler. Aus abgedeckten Hütten kriechen sie mir entgegen und recken abgezehrte Arme gegen mich. Sie fressen die Rinde von den Bäumen und stopfen sich die Bäuche mit Klumpen Erde. Er schaut vor sich, der Kopf fällt ihm nachdenklich auf die Brust. Auch dies war in der Prophezeiung. Es waren Greuel darin, von denen jeder gesagt hätte, daß sie nur können bildlich gemeint sein, und sie fangen an im wörtlichen Verstande einzutreffen. Der Hunger ist in der Prophezeiung; die Seuche ist in der Prophezeiung; die Finsternis, erleuchtet von brennenden Dörfern – der Soldate, der die Fahn abreißt und seinem Oberen die Halfter ums Maul schlägt, der Bauer, der vom Pflug läuft und seine Sense umnagelt zur blutigen Pike – es ist alles in der Prophezeiung. Er seufzt tief auf, der andern vergessend. Nun aber kommen die Hauptstück: daß die Rebellion ihre Fahne bekommt: die ist ein Bündel klirrender, zerrissener Ketten an einer blutigen Stange, und der, dem sie vorangetragen wird, das ist mein leiblicher Sohn, – und sein Gesicht ist wie eines Teufels Gesicht, und er ruht nicht, bis er mich findet und seinen Fuß auf mein Genick setzt. – So prophezeit! wortwörtlich geschrieben, wie ich es spreche! Er stöhnt und besinnt sich dann, blickt zurück auf sein Gefolge. Ich fühle mich sehr krank, meine Getreuen! Ich hoffe, ihr habt mich zu einem Arzt begleitet, der mir helfen kann.


Der Großalmosenier wird von rechts herausgeführt. Zwei Mönche stützen ihn. Der junge Mönch von früher schreitet daneben, ein aufgeschlagenes Buch in der Hand; ein Laienbruder folgt, der einen Faltstuhl trägt. Sie stellen den Faltstuhl hin und lassen den Großalmosenier darauf nieder. Er ist ein neunzigjähriger Greis; seine Hände und sein Gesicht sind gelblich weiß, wie Elfenbein. Die Augen hält er meist geschlossen, doch wenn er sie öffnet, so vermag ihr Blick noch Schreck und Ehrfurcht zu verbreiten. Er trägt das Habit der einfachen Mönche. Alle sind von seinem Eintreten an still.
DER GESANG
wird deutlich hörbar: eine einzige drohende Stimme.

Ecce ego suscitabo super Babylonem quasi ventum pestilentem. Et mittam in Babyloniam ventilatores et ventilabunt eam et demolientur terram eius.

GROSSALMOSENIER
mit halbgeöffneten Augen.

Das Licht des Tages. Eine fahle Finsternis. Lies aus dem Guevara. Hier ist ein Blumengarten – ein Gallert, bunt und stickig. Er schließt die Augen.

CHOR.
Et demolientur terram eius! Et cadent interfecti in terra Chaldaeorum.
GROSSALMOSENIER
schlägt die Augen auf, gewahrt den Bettler, winkt ihm lebhaft.
Sieh da, welch ein Gast ist über unsere Schwelle getreten!

König beziehts auf sich, will vortreten.
Großalmosenier, ohne ihn anzusehen, winkt ihm verächtlich ab, wie einer eine Fliege scheucht.
HÖFLINGE
fahren auf.
Ha! Was! was untersteht er sich?

König winkt ihnen, sich zu bezähmen.
GROSSALMOSENIER
zu dem Bettler in gespannter Teilnahme.
Wie geht es dir, mein Teurer? und wirst du nun bei uns bleiben, zumindest einen Tag und eine Nacht?
BETTLER
schweigt.
GROSSALMOSENIER.
Führet mich zu ihm, wenn er nicht zu mir kommt, daß ich ihn umarme und seinen Segen empfange.

Will auf, von den Mönchen unterstützt.
BETTLER.
Unwert!

Entspringt.
CHOR.
Et demolientur terram eius! Et cadent interfecti in terra Chaldaeorum.
GROSSALMOSENIER.
Lies im Guevara, solange Licht ist.
JUNGER BRUDER
hebt das Buch und liest.

Fahr hin, Welt, in deinen Palästen dient man ohne Bezahlung, man liebkost, um zu töten, man ehrt, um zu schänden, man straft ohne Verzeihen.

KÖNIG
tritt an den Großalmosenier heran.
Herr Kardinal, Euer König und Herr wünscht Euch einen guten Abend.

Großalmosenier fährt mit der Hand durch die Luft, als scheuchte er eine Fliege.
HÖFLINGE
murren, wenden sich, als wollten sie gehen.
Unerhört! Unwürdiges Schauspiel!
KÖNIG
tritt auf sie zu.
Bleibet, meine Getreuen! Gehet nicht von mir!
EIN HÖFLING
in Wut, aber mit gedämpfter Stimme.
Man sollte ihn aus dem Sessel reißen und ihm das Maul an die Erde drucken!
KÖNIG.

Ich will den königlichen Städten ihre Freiheiten nehmen! Ich will die Juden aus meinem Schutz stoßen, und alles soll in eure Hände gegeben werden, wie es zu Zeiten Unserer Vorfahren war. Bleibet!


Höflinge beugen ihre Knie, küssen ihm Hände und Saum des Gewandes. – Der König lächelt. Der
Gesang hat aufgehört.
GROSSALMOSENIER.
Lies im Guevara. Ich bins müde, daß noch immer Tag ist.
JUNGER BRUDER
liest.

Da wird der Aufrichtige in den Winkel gestellt und der Unschuldige verurteilt. Da ist für den Herrschsüchtigen Kredit, und für den Redlichen ist kein Kredit. –

KÖNIG
zu den Höflingen.
Tretet alle hinweg. Wendet euch ab. Es muß sein.

Die Höflinge gehen weg und bleiben unsichtbar. Auch die Mönche, außer einem.
König geht hin, fällt vor dem Großalmosenier auf die Knie und steht wieder auf.
GROSSALMOSENIER
sieht ihn lange und durchdringend an.
Ich kenne den Herrn nicht! Lacht lautlos.
KÖNIG.

Kardinal Großalmosenier! Großkanzler der Krone! Großsiegelbewahrer des Reiches! Ich hebe zu dir die Hände und begehre deinen Rat!

GROSSALMOSENIER
lacht noch stärker, aber lautlos.

Du hast deinen Krieg verloren, Basilius. Eitel war dein Krieg, unzeitig war dein Krieg, frech und freventlich war dein Krieg. Und als er verloren war, da ist der vom Ratstisch gejagt worden, der seine Hände aufgehoben hatte und geschrien wider diesen Krieg. – Denn es bedurfte der Selbstbezwingung, so war dieser Krieg zu vermeiden, – und der Weisheit: und hart ist der Pfad der Weisheit zu treten, denn er ist voller Dornen. Aber leicht war es, das Eitle zu tun und zu reiten, anstatt zu raten!

KÖNIG.
Genug!
GROSSALMOSENIER
nickt.

Es steht geschrieben: Der verdorbene Mensch liebt nicht den, der ihn strafet. Das Wort Eitel, merke, hat zweierlei Sinn. Einmal heißt es: prahlen von sich selber, Zuschauer sein sich selber, geistige Buhlschaft treiben mit sich selber. Zum zweiten heißt es: nichtig, für nichts, im Mutterleib verloren. – Eitel war dein Gedachtes, dein Getanes, dein Gezeugtes, von dir selber im Mutterleib vereitelt.

KÖNIG.

Du Basilisk, daß ich aus dir herausreißen könnte die Wahrheit, denn immer hast du das Letzte vor mir verborgen, wie die boshafte Stiefmutter vor der armen Waise.

GROSSALMOSENIER.
Die Wahrheit, die da ist hinter allem Scheine, wohnt bei Gott.
KÖNIG.
So ist es Gott oder der Satan, der durch die Sterne redet? Antworte mir! – Lügen die Sterne?
GROSSALMOSENIER.
Wer sind wir, daß sie uns lügen sollten?
KÖNIG.

Ich habe meinen einzigen Sohn von mir getan, dahin wo ihn die Sonne nicht bescheint. Denn es ist prophezeit, er wird seinen Fuß auf mei nen Nacken setzen, bei hellichten Tag und in Angesicht meines Volkes!

GROSSALMOSENIER.

Und du wirst wackeln mit dem Steiß vor ihm, wie ein Hund vor seinem Herrn, und wirst begehren das Schlachtmesser zu küssen, mit dem er dich abtut.

KÖNIG.

Verhöhnst du mich? Glaubst du nicht an die Prophezeiung? Dann antworte mir! Wie können sie gesehen haben, was nicht ist? Wo ist der Spiegel, der auffängt, was nirgends gewesen ist?

GROSSALMOSENIER.

Recht so! Halte dich an das, was deine Augen sehen, und ergetze dich mit Ehebrecherinnen und Jagdhunden! – Aber ich sage dir: Es gibt ein Auge, vor dem ist heute wie gestern und morgen wie heute. Rückt ihm näher. Darum kann die Zukunft erforscht werden, und es steht die Sibylle neben Salomo und der Sterndeuter neben dem Propheten.

KÖNIG
vor sich.

Ich war unfruchtbar, so viele Jungfrauen und Weiber ich erkannte, und es wurde gesagt: fruchtbar im Brachmond an der Königin, und meine Königin wurde guter Hoffnung im Brachmond. Das Kind wurde geboren und zerriß der Mutter den Leib, widerstrebend der weisen Frau und dem Arzte. – Es wollte da sein, nackt aus dem Nackten, tödlich aus dem Tödlichen, und wahrmachen die Prophezeiung vom ersten Schrei an. –

GROSSALMOSENIER.
Und es ist dein Kind, gewonnen in heiliger Ehe!
KÖNIG.

Aber ich habe ihn nie gesehen und muß mich gegen ihn verbergen mit Riegeln und Ketten und Spießen und Stangen.

GROSSALMOSENIER.
Es entflieht keiner der großen Zeremonie, der König aber und der Vater ist in die Mitte gesetzt.
KÖNIG.

Wenn ich das Geschöpf unschädlich gemacht habe in einem Turm mit Mauern, zehn Schuh dick – und der Aufruhr soll zu keinem Haupt gelangen –, zu welchem Ende – ich frage dich! – ist dann der Aufruhr über mein Reich gekommen? Soll ich der Verlierer sein bei Tag und Nacht und geprellt um meines Reiches Glanz und um meines Gewissens unbefleckten Spiegel, zugleich um beides? Sind das Spiegelfechtereien? Ist Gott wie der Herzog von Litauen, der sich aufs Blüffen legt?

GROSSALMOSENIER.

Wunderbar gefügt aus zwei Schneiden ist die Zange, und auch die schlaffe Frucht, wenn man sie preßt, gibt einen Tropfen Öl!

KÖNIG.
Schweig und höre. Ich habe befohlen, den Mann vor mein Angesicht zu bringen, der ihn bewacht.
GROSSALMOSENIER.

Nein! Du hast nicht gewagt den Schleier zu lüpfen, der behütet war von allen Schrecken der Majestät und bewacht von zehnfacher Drohung des Todes!

KÖNIG.

Ich habe befohlen, den Mann herbeizubringen, der ihn bewacht, und ihn vor mein Angesicht zu stellen und vor das deine. Und du, du wirst heraussteigen aus deinem hölzernen Sarg und wirst vorsitzen einem Gericht über diesen Knaben, dessen Angesicht Wir nie gesehen haben. – So wird es an den Tag kommen, ob dieser ein Dämon ist und ein Aufrührer von Mutterleib: dann wird sein Haupt fallen und vor deine Füße rollen. Oder aber: ich werde mein Kind in meine Arme nehmen, und die Krone, geflochten aus dreien Kronen, wird nicht ohne Erbe sein. – Daran will ich erkennen, ob Gott dich zu meinem Ratgeber bestellt hat – oder der Satan.

GROSSALMOSENIER.

Gott! Gott! nimmst du das Wort in deinen nassen Mund? Ich werde dich lehren, was das ist, Gott! – Du kommst zu mir um Hilfe und Erquickung und findest, was dich nicht freut. Statt eines vertrauten Wesens, worein du wie in einen Spiegel dich hineintust, als in die Gesichter der vor dir wedelnden Menschen, findest du eine ungerührte Miene, vor der dich graust. Ein Etwas spricht mit meinem Mund, aber wie aus dir selbst heraus, auf dich selber zielend; es nimmt dich nicht, und es läßt dich nicht los; statt daß du von einem zum andern kommst, kommt eines ums andere zu dir: nichts Neues, nichts Altes, abgelebt, doch nicht ausgelebt, öd, lahm, doch wirbelnd. – Du kannst nichts mehr, ermachst nichts mehr, zergehend und zugleich Stein: in nackter Not doch nicht frei. Aber da ist noch etwas! Du schreist: es ist hinter deinem Schrei und zwingt dich und heißt dich deinen Schrei hören, deinen Leib spüren, deines Leibes Schwere wiegen, deines Leibes Gebärde wahrnehmen, wie Wälzen von Schlangen mit schlagendem End, dein Zergehen einatmen, deinen Gestank riechen: Ihr hinterm Ohr, Nase hinter der Nase. Es verzweifelt hinter deiner Verzweiflung, durchgraust dich hinter deinem Grausen und entläßt dich nicht dir selber, denn es kennt dich und will dich strafen: das ist Gott.


Er sinkt zusammen mit geschlossenen Augen.
KÖNIG
schreit.

Herbei meine Getreuen, faßt ihn an. Mein Herr Minister ist mir Rat schuldig und will mir sein Schuldiges veruntreuen! –


Höflinge mit einem Sprung heran, Mönche hervor, heben abwehrend die Hände. Großalmosenier liegt wie ein Toter.
GESANG.
Ecce ego suscitabo super Babylonem quasi ventum pestilentem.
KÖNIG
kehrt sich ab.
Hebet ihn weg.

Mönche nehmen den Großalmosenier auf und tragen ihn weg. Es pocht draußen. Pförtner schließt auf, läßt den Woiwoden von Lublin und Julian eintreten sowie Gervasy und Protasy, hinter ihnen Anton.
GERVASY UND PROTASY
treten auf den König zu, beugen die Knie und melden.
Der Woiwod von Lublin.
WOIWOD
tritt vor den König, beugt sein Knie.

Vergebe deine Hoheit die Verspätung. Die Straßen sind verlegt von Rebellen. Wir haben uns durch die Wälder ziehen müssen. Hier bringe ich den Edelmann!


Julian tritt vor, kniet vor dem König hin.
KÖNIG.
Dieser? Sein Wächter? Er tritt argwöhnisch zurück.
JULIAN
bleibt knien.
KÖNIG.

Wir erinnern Uns gnädig einer früheren Begegnung. Reicht die Hand zum Kuß, winkt aufzustehen. Wir werden zu belohnen wissen. – Aber Wir fürchten, in deinem Aug das Spiegelbild eines Dämons zu gewahren.

JULIAN
aufstehend, aber mit gebogenem Knie.
Es ist ein sanfter, schöner, wohlgeschaffener Jüngling.
KÖNIG.
Voll Haß im Innern?
JULIAN.
Arglos. Ein weißes unbeschriebenes Blatt.
KÖNIG.
Ein Mensch? Ah!
JULIAN.
Oh! gefiele es dem undurchdringlichen Ratschluß –
KÖNIG
runzelt die Stirn, tritt zurück.
JULIAN.
– den Jüngling einer Prüfung zu unterziehen –
KÖNIG
tritt noch einen Schritt zurück.
JULIAN.
Man ließe ihn, bestünde er sie nicht, in ewiger Kerkernacht wiederum verschwinden.
KÖNIG.
Der Traum einer Nacht? Kühn – und zu kühn! Wer könnte sich verbürgen –
JULIAN.
Ich! Eurer Majestät für alles! Mit diesem Kopf!
KÖNIG
lächelt.

Ein Berater! Endlich ein Berater! –Mit Beziehung auf das Vorige; er winkt ihn ganz nahe zu sich. – Wie viele Jahre waltest du des schweren Amtes?

JULIAN.
Zweiundzwanzig Jahre weniger einen Monat. Sein Alter.
KÖNIG.
Beispiellos! Lernet, meine Großen, lernet, was Hingabe ist. Zweiundzwanzig Jahre!
JULIAN
beugt sich über die dargereichte Hand, er hat gleichfalls die Tränen in den Augen.
Sie sind in diesem Augenblick ausgelöscht.

Anton nähert sich von hinten, unmerklich, spitzt seine Ohren.
KÖNIG.

Das Wiedersehen hat Uns sehr bewegt. Es sind deine Arme, die Unseren Verwandten betreuen. Er zieht ihn an sich, mit der Gebärde einer Umarmung. Wie würden Wir es ertragen, ihn selbst – Sein Gesicht verändert sich, aber nur für einen Moment. Die Nähe eines treuen Mannes, welch ein Schatz! Berater! Tröster! Du hast mir das Leben wiedergegeben. Winkt Julian vertraulich zu. Er folgt Uns an Hof. Wir haben viel mit Ihm vertraulich zu beraten.


Julian neigt sich tief. König winkt dem Pförtner, der aufschließt. Höflinge treten zu Julian heran. Anton trachtet unauffällig seinem Herrn immer näher zu kommen.
EIN HÖFLING
unter einer leichten Verneigung.

Wir sind nahe Verwandtschaft. Euer Gnaden Großmutter war meines Herrn Großvater Schwester. Ich wollte nicht hoffen, daß Euer Gnaden dessen wären uneingedenk worden in den Jahren, da man Sie nicht bei Hofe gesehen hat.


Anton spitzt die Ohren.
ZWEI ANDERE
ebenso.

Gebe der Herr uns seine Protektion. Wir sterben des Herrn bereitwilligste und verpflichtetste Diener!

JUNGER KÄMMERER
an Julian herantretend, mit einer tiefen Verneigung.
Ich küsse Eurer Exzellenz die Hände!

Alle gehen.
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Im Turm. Fünfeckiges Gemach mit engem vergitterten Fenster. Hinten in einer Ecke eine kleine eiserne Tür. An der Wand ein großes Kruzifix. Eine hölzerne Bank, ein Eimer, ein Waschbecken. Im Hintergrund auf halbverbranntem Stroh sitzt Sigismund. Er trägt einen reinlichen Anzug aus Zwilch und hat nackte Füße, aber ohne Ketten. Man hört von draußen aufsperren.
Anton tritt herein. Er nimmt einen Besen, der nächst der Tür lehnt, sprengt aus dem Eimer Wasser auf den Boden und fängt an auszukehren. Sigismund sieht auf ihn, schweigt.

ANTON
im Kehren, er schnuppert in die Luft.

Was ist das? Hast gezündelt im Stroh? Mächtig viel Stroh verbrannt, Reiser, alles! – Gnad dir Gott, wenns ein Wächter bemerkt hätt. – Was hast getrieben und zu welchem End?

SIGISMUND
schnell.
Mein Vater war im Feuer.
ANTON.

Wie hat er denn ausgschaut? Ein Feuergesicht, ein rauchiger Mantel, ein glühblauer Bauch und rote Schuh?

SIGISMUND
sieht weg.
Mein Vater hat kein Gesicht!
ANTON.

Du Fledermaus! Sprengt geweihtes Wasser über ihn aus einem kleinen bleiernen Becken, das unterm Kruzifix an der Mauer hängt. Aufräumen jetzt! Bist ein Mensch? der graust sich, wenn ein Zimmer ausschaut wie dem Teufel seine Bettstatt.

SIGISMUND
angstvoll.
Anton, was ist denn das: ein Mensch – wie ich ein Mensch bin?
ANTON
gießt ihm Wasser ins Becken.

Da, wasch dir dein Gesicht, so kommst auf andere Gedanken.Man hört die Tür von außen aufsperren. Da hast ein Tüchel. Wirft ihm ein bunt baumwollenes Tuch zu, Sigismund wischt sich ab. Und jetzt! Da schau hin! Heimgsucht wirst!


Von außen ist die eiserne Tür geöffnet worden. Eine Bauernfrau, Sigismunds Ziehmutter, ist eingetreten, bleibt unweit der Tür stehen. Sigismund kehrt sein Gesicht gegen die Wand.
BÄUERIN
tritt näher, zu Anton.
Ist derselbige krank? Weiß er nichts von sich?
SIGISMUND
verbirgt Kopf und Hände im Stroh.
BÄUERIN.

Sieben Jahr hab ich ihn nicht gesehen. Ists wahr, daß ihm Krallen gewachsen sind? Glühende Augen, wie bei einem Nachtvogel?

ANTON.
Gelogen! Zeig deine Händ, Sigismund. – Dort ist er, schau Sie!
SIGISMUND
faßt sich.
Mutter, bist du zu mir gekommen?
BÄUERIN
tritt zu ihm.
Dein Haar ist wirr. Wo hast du deinen Kamm? Gib ihn mir, daß ich dich kämme.
ANTON
reicht ihr aus einer Wandnische einen bleiernen Kamm.
BÄUERIN
kämmt Sigismund das Haar.

Ebenbild Gottes, halt auf dich. Weißt nicht mehr, wie die Bäuerinnen durch den Zaun gespäht wegen deiner weißen Wangen, rabenschwarzen Haare? Milch und Honig vor die Tür gestellt, ich dich hab verstecken müssen, Fensterladen zurammeln! Streng war das Verbot!

SIGISMUND.
Wo ist der Mann?
BÄUERIN.
Der Ziehvater ist tot seit vier Jahren. Bet mit mir für seine Seele.
SIGISMUND.
Wo ist aber meine Seele?
BÄUERIN.
Wie denn? Wie fragst du da?
SIGISMUND.

Ich frag recht. Weißt du noch das Schwein, das der Vater geschlachtet hat – es schrie so stark, und ich schrie mit. Dann ist es an einem queren Holz gehangen, im Flur an meiner Kammertür, ich konnte bis in das Innere schauen. War das die Seele, die aus ihm geflohen war bei dem entsetzlichen Schreien, und ist meine Seele dafür hinein in das tote Tier?

BÄUERIN
betet.
Vater unser, der du bist im Himmel –
SIGISMUND.
Wo ist mein leiblicher Vater, daß er mich im Stich läßt! Da er mich doch gemacht hat!
BÄUERIN
zeigt aufs Kruzifix.

Da ist dein Vater und dein Erlöser! Sieh hin auf den! – Drück dir sein Bild ins Herz, drücks ein, wie einen Stempel und Prägestock!

SIGISMUND
sieht lange hin, ahmt die Stellung nach, mit ausgebreiteten Armen, dann läßt er die Arme sinken.

Ich brings nicht auseinander, mich mit dem dort und aber mich mit dem Tier, das aufgehangen war an einem queren Holz und innen blutschwarz. Mutter, wo ist mein End und wo ist dem Tier sein End? Er schließt die Augen.

BÄUERIN.

Auf die Augen! Schau hin! Verlassen vom Vater im Himmel! Mit Dornen gekrönt, mit Ruten geschlagen, ins Gesicht gespien die Kriegsleut! Erschau das! – Schau hin, Widerspenstiger!

SIGISMUND
schreit auf.
Mutter, erzürne mich nicht! Er stößt sie von sich.
BÄUERIN
faltet ihre Hände, betet.

Ihr heiligen vierzehn Nothelfer, ihr starken Kämpfer und Diener Gottes, verherrlichet und gekrönet mit goldenen Kronen, fahret herbei, diesem zu Hilfe, tuet ab von ihm gefletschte Zähne, geballte Fäuste, lieber lasset die Hände abfallen, die Füße lahmen, die Augen erblinden, die Ohren ertauben und bewahret seine Seele vor der Gewalttat und dem Übel. Amen. Sie schlägt das Kreuz über ihn.

SIGISMUND
schreit angstvoll.
Mutter!

Hinten ist die Tür abermals aufgesperrt worden, und Julian ist eingetreten. An der Tür wird eine andere Person sichtbar, die wartet. Bäuerin neigt sich, küßt Julian den Rock. Julian bleibt stehen. – Sigismund flüchtet auf sein Strohlager.
JULIAN.

In der Art ist er gesänftiget? Hat das Weib nichts Besseres vermocht? und du – Tritt näher. Sigismund, ich bin zu dir gekommen. Winkt, Anton gibt ihm einen niedrigen Holzstuhl ohne Lehne, auf den er sich setzt. Ich komme, um dir Freude zu bringen, Sigismund. Achte gut auf das, was mein Mund jetzt spricht: du hast eine schwere, lange Prüfung überstanden. Fassest du meine Rede?

SIGISMUND
verbirgt seine Hände unter den Zwilchärmeln.
JULIAN.
Achtest du auf mich?
SIGISMUND.

Du bist oberste Gewalt über mir, vor dir zittere ich. Ich weiß, daß ich dir nicht entrinnen kann. Er verbirgt unwillkürlich seine Hände. Ich sehe auf deine Hände und deinen Mund, damit ich wohl verstehe, was du willst.

JULIAN.

Gewalt ist von oben verliehen. Von einem Höheren als ich bin, merke wohl. Ich war aber dein Retter. Heimlich goß ich Öl deiner Lebenslampe zu; durch mich allein ist noch Licht in dir. Das merke dir. – Dünke ich dir so fremd, Sigismund? Hab ich dich nicht neben mir an einem hölzernen Tische sitzen lassen und vor dir das große Buch aufgeschlagen und darin dir Bild für Bild die Dinge der Welt gewiesen und sie dir mit Namen genannt und dich dadurch ausgesondert unter deinesgleichen?

SIGISMUND
schweigt.
JULIAN.

Hab ich dir nicht erzählt von Moses mit den Tafeln und Noah mit der Arche und Gideon mit dem Schwert und David mit der Harfe, von Rom, der großen, mächtigen Stadt und ihren Kaisern, und daß von ihnen unsere erlauchten Könige abstammen? Hab ich dir nicht Begriff gegeben von Herr und Knecht, von Fern und Nah, von Schuld und Strafe, von Himmlisch und Irdisch? Antworte mir?


Sigismund starrt zu Boden.
SIGISMUND.

Ungleich dem Tier hab ich Begriff von meiner Unkenntnis. Ich kenne, was ich nicht sehe, weiß, was fern von mir ist. Dadurch leide ich Qual wie kein Geschöpf.

JULIAN.

Wunderbarer Vorzug! Danke mir! Denn dadurch wird der Mund des Menschen gewaltig, daß er in die Buchstaben seinen Geist eingießt, rufend und befehlend! – Warum stöhnst du?

SIGISMUND.
Ein furchtbares Wort aber ist: das wiegt alle anderen auf!
JULIAN.
Was ist das für ein Wort? Wie heißt das Wort? Ich bin begierig, was das für ein Zauberwort ist!
SIGISMUND.

Sigismund! Er fährt sich mit den Fingern über die Wangen und den Leib hinab. Wer ist das: ich? Wo hats ein End? Wer hat mich zuerst so gerufen? Vater? Mutter? Zeig mir sie!

JULIAN.
Deine Eltern haben dich von sich getan. Du warst schuldig vor ihnen.
SIGISMUND.

Grausig ist das Tier. Es frißt die eigenen Jungen noch feucht aus dem Mutterleib. Meine Augen habens gesehen. Und doch ist es unschuldig.

JULIAN.

Forsche nicht, bis der Vorhang zerreißt. Steh auf dir selber! Allein! So hab ich dich ausgestattet! Lichtgeist, vor dem Engel knien! Feuersohn, oberster! Erstgeborener!

SIGISMUND.
Warum redest du so groß zu mir? Was schwingst du in der Hand, das funkelt und glüht?
JULIAN.

Wonach Hirsch und Adler und Schlange lechzen: daß sie durch Pflanzen und Steine, durch Tränke und Bäder ihr Leben erneuern: denn zweimal geboren wird der Auserwählte. Feuerluft schwinge ich in der Hand, Elixier des neuen Lebens, balsamische Freiheit! Trink dies und lebe!


Sigismund schaudert vor dem Fläschchen in Julians Hand zurück.
ANTON.
Hurra! Sigismund! Wir machen eine Reis! Groß ist die Welt! Auf ausm Stroh!
SIGISMUND.
Muß ich ganz ins Dunkle zurück! So jung ich bin! O weh! so wird mein Blut über euch kommen!
JULIAN.
Ans Licht! So nah ans Licht, daß nur ein junger Adler nicht blind wird. – Trink dies.
SIGISMUND.
Du selber hast mich gelehrt, daß sie Gefangenen in einem Trunk vergeben.

Julian ist zur Tür getreten und hat gewinkt. Ein vermummter Diener, der einen Becher trägt, ist eingetreten. Julian nimmt den Becher, gießt aus dem Fläschchen ein, birgt das Fläschchen wieder in seiner Gürteltasche. Der Diener verschwindet.
JULIAN.
Trink dies!
SIGISMUND
fällt nieder.
Sag mir zuvor, wer ich bin?
ANTON.

Sie werdens dir schon sagen, bald du wo eingetroffen bist! Nur nicht im voraus viel fragen, das macht die Leut aufsässig! Bürst ihn weg, den Trank!

JULIAN
hält Sigismund den Trank hin.

Du bist du. Höre: Durch Taten ist die Welt bedingt. Hast du Begriff, was Taten sind? Trink und sieh zu.

SIGISMUND.
Hilf mir, Anton!
JULIAN.
Sollen dich die Knechte mit den Fäusten packen? Ich werde sie holen – vorwärts, ihr da!

An der Tür.
ANTON
kniet neben Sigismund nieder.
Nur leben lassen, Euer Gnaden, nur am Leben lassen!
SIGISMUND
nimmt den Becher und trinkt ihn schnell aus.
Indem du hart redest, hab ich es ausgetrunken um deinetwillen.

Er geht ein paar Schritte nach hinten und setzt sich auf den Boden, nachdem er Anton den Becher gegeben hat.
ANTON
läßt den Becher fallen.
Ich muß ihm den Kopf halten, er soll nicht sterbender am harten Stein lehnen.
JULIAN
hält ihn.
Schweig, Narr! wer redet vom Sterben! Der fängt jetzt erst zu leben an.
ANTON
kniet bei Sigismund, streichelt ihm die Füße.

Sieht denn Euer Gnaden nicht, er hat einen Heiligenschein überm Gesicht! O du heiliger verklärter Marterer du!

JULIAN.
Schweig und ruf die Knechte!
ANTON
geht gegen die Eisentür, die angelehnt ist.
Sind schon da!

Zwei vermummte Knechte sind leise eingetreten, halten sich nahe der Tür.
SIGISMUND
zu Julian und Anton, aber wie zu Fremden.
Es hebt mich auf. Ganz weg ist alle Furcht. Nur die Füße werden kalt. Wärm sie mir, Anton.
ANTON
bei ihm.
Erkennst mich denn?
SIGISMUND.

Heb sie mir in den feurigen Ofen, darin wandeln singend die Jünglinge, meine Brüder: Herr Gott, dich loben wir! Von Angesicht zu Angesicht! Auserlesen! Er wirft die Hände nach oben. Vater – jetzt komme ich – Fällt zusammen.


Die zwei vermummten Knechte treten vor.
JULIAN.
Das fürstliche Gewand bereitgelegt? Die Schuh, der Gürtel, alles? Ihn einkleiden, ehrerbietig!

Die Knechte nehmen Sigismund auf.
JULIAN
hat einen Mantel über ihn gebreitet, dann zu Anton.

Den Reisewagen anschirren lassen! Die Eskorte soll bereit sein zum Aufsitzen! Die Wache ins Gewehr treten. Gib's Zeichen! Vorwärts!


Anton zieht sein Tüchel heraus, läuft hinaus. Die Knechte tragen Sigismund hinaus. Julian folgt.
Trompetensignal draußen.
Julian winkt Olivier zu sich.
Olivier tut die Mütze ab, die ihn vermummt hat.
JULIAN.

Du reitest mit deinem Kumpan den näheren Weg. Wo wir uns begegnen, kennst du mich nicht. Du quartierst dich in der Vorstadt ein und knüpfst Bekanntschaft an mit Unzufriedenen, Steuerverweigerern, verlaufenen Soldaten.

OLIVIER.
Ist schon geschehen. Die Brüderschaft der Nichtbeter ist verständigt und die der Nichtzahler auch.
JULIAN.
Wer hat dir erlaubt vorzugreifen?
OLIVIER
verschmitzt.

Ich bin ein Drach mit vielen Schweifen. Meiner Person muß man sich so bedienen, wie sie geschaffen ist.

JULIAN
tritt hart an ihn heran.
Muß man?
ANTON
läuft herein.
Er liegt im Reisewagen. Alles bereit zum Aufsitzen.
JULIAN.
In Gottes Namen.

Er geht hinaus.
Nochmaliges Trompetensignal draußen.
Vorhang.

3. Akt

Dritter Akt

Das Sterbegemach der Königin, in der Königsburg. Im Hintergrund ein hohes Fenster. In der rechten Wand ein Alkoven mit dem Bett, durch einen Vorhang verschließbar. Links vorne ein Oratorium, von welchem man in die Kirche hinabsieht. In der Mitte der linken Wand der Eingangstür gegenüber ein Kamin. Aus dem Oratorium führt eine geheime Tür in einen schmalen Gang, von dem der Anfang noch in der linken Kulisse sichtbar ist. Die Fensterladen sind zu. Im Alkoven brennt ein ewiges Licht.
Der Kastellan sperrt von draußen auf und tritt mit zwei Dienern ein, indem sie nur einen Flügel der Haupttür öffnen. Die Diener öffnen die Holzladen an dem hohen Fenster im Hintergrund: draußen ist heller Tag.

KASTELLAN
mit dem großen Schlüsselbund klirrend.

Das Sterbegemach der hochseligen Königin! unbetreten durch diesen Haupteingang seit einundzwanzig Jahren. Die ehrwürdigen Schwestern von der Heimsuchung, deren zwei hier von Mitternacht bis Morgengrauen im Gebet verharren, betreten es durch diese kleine Tür, welche durch eine Wendeltreppe, die im Pfeiler verborgen ist, zur Sakristei hinabführt.


Man hört von unten die Orgel und den Gesang der Nonnen. Der Kastellan tritt an den Alkoven, besprengt das Bett mit Weihwasser aus einem silbernen Becken am Eingang des Alkovens, schließt dann ehrerbietig den Vorhang. Man hört draußen die Annäherung von Menschen. Dann das dreimalige Stoßen einer Hellebarde auf den Steinboden. Auf einen Wink des Kastellans eilen die Diener hin und öffnen die Flügeltür sperrangelweit. Der Hof tritt ein: Trabanten, Stabträger, Pagen mit Wachslichtern. Dann der Träger des Reichsbanners mit dem silbernen Adler, sodann ein Page, der auf karmesinrotem Kissen des Königs Gebetbuch und Handschuhe trägt. Der König, den krummen Säbel umgehängt, seinen polnischen Hut in der Hand. Dicht hinter ihm sein Beichtiger. Hofherrn paarweise, zuvorderst Julian allein; hinter den Hofherren vier Kämmerer. Zuletzt der Arzt, mit ihm sein Gehilfe – ein junger Mensch mit einer Brille –, hinter diesem Anton, der ein verdecktes silbernes Becken trägt. – Der König bleibt in der Mitte des Gemaches stehen, hält seinen Hut hin. Ein Page springt vor, nimmt den Hut mit gebogenem Knie. Der König nimmt seine Handschuhe von dem knieend dargereichten Kissen, zieht den linken an, steckt den rechten in den Gürtel. Die Trabanten und
die Stabträger sind rund ums Gemach und wieder zur Flügeltür hinaus gegangen, ebenso der Kastellan und die Diener. Die Flügeltür wird geschlossen. Zwei Stabträger nehmen an der Tür innen Stellung. Die Herren stellen sich, Julian am äußersten rechten Flügel, vor dem Oratorium auf. Der Arzt und der Gehilfe stehen nächst der Tür. Der König tritt auf den Alkoven zu. Ein Kämmerer eilt hin, zieht den Vorhang auf. Ein anderer Kämmerer reicht dem König den Weihwasserwedel. Der König besprengt das Bett, kniet dann nieder, verharrt einen Augenblick im Gebet. Der Beichtiger kniet mit ihm. Der König steht auf, tritt in die Mitte, Beichtiger seitlich etwas hinter ihm. Der Gesang und die Orgel haben aufgehört.
KÖNIG
zum Beichtiger.

Ich habe vor dem Sterbebette meiner seligen Gemahlin für mich gebetet und für ihn. Das kurze Gebet hat meine Seele wunderbar erfrischt. Er winkt dem Arzt zu sich. Ihr beharrt darauf, Euch zurückzuziehen?

ARZT.

Eure Majestät hat mir diese einzige Bedingung bewilligt, daß es mir erlassen bleibe, selbst vor das Angesicht des Prinzen zu treten, wenn sich die Nötigung ergeben sollte, nochmals eine Betäubung vorzunehmen. Mein Gehilfe ist von allem unterrichtet, das heißt von den Handgriffen, die nötig werden könnten – nicht von dem Tatbestand. Leiser. Er sieht in dem Prinzen einen geistig Kranken, an dem Eure Majestät um entfernter Verwandtschaft willen Anteil nehmen. Möge alles – – Ich habe einen Schwamm getaucht in Essenzen von unfehlbarer Wirkung. Der Diener dort trägt ihn in einer verdeckten Schüssel. Er war dem Gefangenen vertraut, er kann, wenn es notwendig ist, Beistand leisten. – Mögen sich diese Vorbereitungen als überflüssig erweisen, darum bete ich zu Gott.

KÖNIG.

So beten Wir unablässig seit neun Tagen und Nächten. – Ihr seid Uns in diesen Tagen sehr nahegekommen. Wir betrachten Eure illustre Person von Stund an als die Unseres zugeschworenen Leibarztes.


Reicht die Rechte zum Kuß, der Arzt beugt sich über die Hand. Der Arzt schreitet zur Tür, Stabträger öffnen ihm, der Arzt geht hinaus, an der Tür verneigt er sich nochmals.
KÖNIG.

Stärke mich unaufhörlich mit deinem Rat, ehrwürdiger Vater. – Ich habe mich von meinen Ratgebern überreden lassen. – Ich habe meine weiche menschliche Natur der höheren Einsicht unterworfen.

BEICHTIGER.
Auch die Heilige Schrift –
KÖNIG.
Ich weiß, auch die Heiden. Selber die Heiden. Sie standen nicht an, den eigenen Sohn –
BEICHTIGER.
Zweien Söhnen ließ der Konsul das Haupt an einem Tage vor die Füße legen.
KÖNIG.
Zweien! an einem Tag! Was waren seine Argumente?
BEICHTIGER.
Damit dem beleidigten Gesetz Genugtuung werde.
KÖNIG.
Wie, dem Gesetz? Das Gesetz? Ja – –
BEICHTIGER.
Das Gesetz und der Souverän sind eins.
KÖNIG.
Vatersgewalt – der Vater ist der Schöpfer- die Gewalt abgeleitet unmittelbar –
BEICHTIGER.
Von der Gewalt des schaffenden Gottes, dem Quell alles Daseins.
KÖNIG
tritt einen Schritt von den Höflingen weg, zieht den Beichtiger nach sich.

Und die Absolution, wenn ich mich genötigt sehe, ihn dorthin bringen zu lassen, wiederum – meinen leiblichen Sohn – wiederum hin, wo die Sonne ihn nicht bescheint –?

BEICHTIGER.
Du zweifelst? Zur Verhütung unabsehbaren Übels!

Es hat von draußen an der Tür gescharrt.
Kämmerer ist hingegangen, spricht mit jemandem durch die halboffene Tür. Tritt dann zum König, mit gebeugtem Knie, spricht heimlich zu ihm.
König winkt.
Stabträger öffnet, läßt Gervasy und Protasy
eintreten. Gervasy und Protasy eilen zum König, stehen mit gebeugtem Knie. König leiht Gervasy sein Ohr, der zu ihm flüstert.
KÖNIG.
Dieser Knabe sitzt zu Pferde wie ein fürstlicher Kavalier?

Er sieht Julian streng an.
JULIAN.
Er ist nie im Leben auf einem Pferde gesessen. Ich war des strengen Verbotes immer eingedenk.

Protasy flüstert indessen in des Königs anderes Ohr.
KÖNIG
strenge zu Julian.

Er würdigt die Personen, die wir ihm zum Gefolge gegeben haben, keines Blickes! Welche Sprache ist von ihm zu erwarten, wenn er vor Uns tritt?

JULIAN.

Die vielleicht die Engel sprechen. Seine Sprache ist Zutagetreten des inwärts Quellenden – wie beim angehauenen Baum, der durch eben seine Wunde einen balsamischen Saft entläßt.


Gervasy und Protasy ziehen sich mit gebeugtem Knie zurück.
KÖNIG
zu Julian, leise.

Der oberste Begriff der Autorität ist diesem Knaben eingeprägt? der Begriff unbedingten Gehorsams? Er sieht ihn scharf an.

JULIAN
hält den Blick aus.

Mein König bedenke, daß der Jüngling diese Welt nicht kennt, so wenig als seine Stellung in ihr. Er kennt ein Höchstes: er hebt seine Augen zu den Sternen und seine Seele zu Gott.

KÖNIG.

Wir wollen hoffen, daß dies genüge. Sehr hörbar. Denn die Welt ist außer Rand und Band, und Wir sind entschlossen, das um sich greifende Feuer zu ersticken, – und wenn nötig, in Strömen Blutes.


Die Höflinge, die zuhinterst, dem Feuer zunächst stehen, spähen hinab. Die Pagen drängen sich in der Nähe des Fensters zusammen und suchen unter einiger Unruhe hinunterzusehen. König bemerkt es, sieht hin.
KÄMMERER.
Der Prinz steigt vom Pferde. Er wendet sich gegen das Portal und tritt in die Burg.
KÖNIG
zu Julian, sich mit Mühe beherrschend.

Ich will ihn noch nicht sehen. Er führt Julian von den Höflingen weg, nach vorne. Ein großer Augenblick, ein furchtbar entscheidender Augenblick.

JULIAN
fällt auf die Knie.

Seine Worte klingen zuweilen heftig und jäh – bedenke Eure Majestät in ihrer Weisheit und Langmut: das Wesen hat nie einen Freund gehabt.

KÖNIG.
Auch ich habe nie einen Freund um mich gehabt.
JULIAN
auf den Knien.
Sein junger Fuß hat nie einen Schritt getan, ohne eine schwere hündische Fessel!
KÖNIG.
Auch ich, Graf Julian, habe nie einen freien Schritt getan.
JULIAN
auf den Knien.
Sei langmütig, großer Fürst, mit dem Geprüften!
KÖNIG
sieht ihn an.

Sei du für immer sein Berater, mein weiser Julian, milder ihm als der meine mir. – Du bist mir wert – fast schäme ich mich es zu zeigen, wie sehr! Er nimmt die goldene Kette mit dem Weißen Adler in Diamanten vom Hals und hängt sie ihm um, dazu sprechend. Sic nobis placuit!Reicht Julian die Hand zum Kuß, hebt ihn auf. Mit verändertem Ausdruck. Und dieses nicht zur Ruhe kommende Volk? Dieser halb erstickte, immer wieder fortschwelende Aufruhr? Wie denkst du darüber? Du hast allerorten deine Verbindungen, deine ruhelosen Hände sind überall – Er sieht ihn zweideutig an.

JULIAN
will sprechen.
Mein König –
KÖNIG.
Diese geheimen Brüderschaften – diese lichtscheuen unheimlichen Bündnisse? – Ich bin unterrichtet.
JULIAN.
Mit einer fürstlichen Gebärde – mit einer Tat, mein König –
KÖNIG.
Du meinst, Wir werden sie leicht niederwerfen, wenn Wir dir Vollmacht geben?
JULIAN.
Es ist leicht für einen großen König, das Vertrauen seines Volkes wiederzugewinnen.
KÖNIG.
Ah, du meinst, daß ich ihr Vertrauen wiedergewinnen muß – nicht sie das meinige?

Er sieht ihn starr an.
JULIAN.
Beides, mein Fürst, wird in einem geschehen.
KÖNIG.
Wenn ich abgedankt haben werde?
JULIAN.

Da sei Gott vor! – Die Milde gegen den einen wird die Herzen überwinden. Jeder einzelne wird sich vor Dankbarkeit überwältigt fühlen – da er einen solchen Born der Gnade springen sieht.

KÖNIG.

Oh, Ursache mir dankbar zu sein – er wird sie bekommen. Und meine Völker auch. – Wenn ich dir mein Inneres enthüllen könnte –


Man hört nun wieder die Orgel, aber ohne Gesang.
KÖNIG
winkt einen der Höflinge zu sich.
Versammle den Hof außen.

Die Stabträger öffnen die Tür, die Pagen laufen ab, die Stabträger treten ab. Die beiden jungen Kämmerer und einige Höflinge treten ab. – Der König zu der Gruppe, die geblieben. Der Kastellan ist eingetreten mit den Schlüsseln und übergibt sie dem Ältesten unter Verneigen, geht wieder ab.
KÖNIG.

Ihr meine Vertrautesten, durch heilige Eide gebunden – wartet hier innen. Die Anticamera, woselbst der Kleine Dienst der Königin sich vor der Messe zu versammeln pflegte – dort haltet euch auf. Was ich mit dem Prinzen zu sprechen habe, verträgt keine Zeugen. Trete ich aber mit meinem jungen Gast auf den Altan und lege ihm als Zeichen des Einvernehmens väterlich den Arm um seine Schulter, dann lasset Posaunen erschallen: denn dann ist für dieses Königreich eine große Stunde gekommen.


Die Höflinge verneigen sich und gehen. Man sieht sie durch die geheime Tür des Oratoriums in den kleinen Korridor links treten und sich nach links entfernen: außer dem Beichtvater. Ihnen folgt der Gehilfe des Arztes, hinter ihm Anton.
ANTON
im Vorübergehen zu Julian.
Mir hat von schmutzigem Wasser geträumt! es geht schlecht aus.
KÖNIG
winkt dem Beichtvater zu warten, ruft dann Julian durch einen Wink des Auges.

Jene Worte meines hochseligen Großoheims, Kaiser Karls des Fünften, treten mir vor die Seele, mit denen er seine Krone und Länder seinem einzigen Sohn, Don Philipp, übergab.

JULIAN
kniet nieder und küßt ihm die Hand.

Möge sich seine Seele dir offenbaren. Erringt nicht der Kristall unter gräßlichem Druck seine edle Gestalt? So ist er, wenn ihn dein Auge recht gewahrt.

KÖNIG.

Vielleicht werde auch ich mich für den Rest meiner Tage in ein Kloster zurückziehen – möge ein würdiger Sohn meinen Untertanen bezahlen, was er an Dank mir schuldig zu sein glaubt.


Sein Gesicht verändert sich, er winkt den Beichtiger zu sich, Julian tritt zurück.
KÖNIG
zum Beichtiger, schnell.

Wo aber läuft der schmale Grenzrain, dessen Überschreitung – vor Gott und der Welt – die äußerste Härte rechtfertigen würde? wo? mein Vater? – Du schweigst. Wenn er seine Hand gegen mich erhübe?

BEICHTIGER.
Das verhüte Gott!
KÖNIG.

Welche werden auch dann noch sagen: das Opfer der Staatsräson sei seiner verstörten Sinne nicht mächtig gewesen.

BEICHTIGER.

Weise Richter, mein König, haben das Erkenntnis gefällt: ein fünfjähriges Kind wird straffällig und kann durch das Schwert vom Leben zum Tod gebracht werden, wofern es zu wählen versteht, zwischen einem vorgehaltenen Apfel und einem kupfernen Pfennig.

KÖNIG
lächelt.

Ein fünfjähriges Kind! Höchst weise ersonnen! Ein wunderbares Paradigma! Ein Prinz, der zu Pferde sitzt wie ein geborener König und ein fürstliches Gefolge vor Stolz keiner Anrede würdig, ist jedenfalls kein fünfjähriges Kind.

KÄMMERER
kommt eilig durch die Tür rechts, meldet knieend.
Sie kommen!
KÖNIG.
Wer ist mit ihm?
KÄMMERER.

Der Prinz hieß mit einer gebietenden Gebärde die Diensttuenden zurückbleiben. Graf Adam allein ist pflichtschuldig gefolgt und führt ihn die Treppe herauf hierher.

KÖNIG.

Fort, dort hinein. Zu den übrigen. Auch du, ehrwürdiger Vater. Beichtiger und Kämmerer ab. Zu Julian. Du bleibst!


Man sieht den Beichtiger, hinter ihm den Kämmerer, durch den Korridor abgehen. Dann treten der König und Julian in den Korridor und bleiben sichtbar stehen, indem sie durchs Fenster in das Gemach spähen. Das Gemach bleibt eine Sekunde leer, dann wird der junge Kämmerer, Graf Adam, an der Tür, die aufgeht, sichtbar: er öffnet von außen. Läßt Sigismund eintreten, tritt hinter ihm ein und schließt die Tür. Sigismund ist fürstlich gekleidet, trägt aber keine Waffen im Gürtel. Er tritt herein, sieht sich um, dann ans Fenster, sieht hinaus: dann wieder in die Mitte des Zimmers.
KÖNIG
mit Julian außerhalb des Gemaches als Zuschauer sichtbar.
Höchst edel! fürstlich in jeder Gebärde! Er stützt sich auf Julian.
KÖNIG.

Meine Frau, wie sie leibt und lebt! Gegen jedes Zunahetreten gewappnet mit schierer stummer Unmöglichkeit. Zu Julian. Hinein! und bereite ihn vor! ganz! Sag ihm alles!

JULIAN
leise.
Alles, auch das Letzte?
KÖNIG
von Tränen übermannt.
Auch das Letzte! Und dann öffne mir die Tür und laß mich allein mit ihm. Geh!

Julian tritt durch die geheime Tür ins Oratorium und von dort ins Gemach. Die Orgel war einen Augenblick stärker hörbar, weiterhin ist sie hie und da sehr leise vernehmlich. Der Kämmerer wird ihn zuerst gewahr, tritt zurück und verneigt sich. Auf einen Wink Julians geht er an die Tür, verneigt sich nochmals tief gegen Sigismund hin und geht hinaus. Sigismund wendet den Kopf, erblickt Julian, richtet sich jäh auf, kehrt Julian den Rücken. Er zittert heftig.
JULIAN
läßt sich hinter Sigismund, drei Schritte von ihm, auf ein Knie nieder.
Auch er kann seine Erregung kaum bemeistern. Leise. Prinz Sigismund!

Sigismund hebt die Hände wie flehend abwehrend vor sich hin, aber ohne sich Julian zuzuwenden, mit
einem leisen, kaum hörbaren Laut des Schreckens.
JULIAN.
Ja, ich. Eine Stille. Dies war die Reise, die ich dir versprach. Dies Haus ist ihr Ziel.

Sigismund sieht sich hastig um, wendet ihm sogleich wieder den Rücken.
KÖNIG.
Wie er ihn schräg von unten anblickt. Er haßt ihn offenkundig. Das ist Manna für meine Seele!
JULIAN
erhebt sich und spricht aus der gleichen Entfernung.

Du hast dir gesagt, daß es dein Vater ist, der so über dich gebietet. Du begreifst, daß deines Vaters Wege dir unerforschlich sein mußten, wie dem Getier deine Wege übers Getier. Du möchtest nicht leben, wenn nicht Höheres über dir wäre, so ist dein Sinn. – Du fragst nicht: Was ist mir geschehen? –

SIGISMUND
schüttelt den Kopf.
JULIAN.
Noch: Warum ist es mir geschehen? –
SIGISMUND
schüttelt den Kopf.
JULIAN.

Denn dein Herz ist uneitel. Du verehrest Gewalt, die über dir ist, dir ahnt immer das Höhere, weil du selbst von Hohem bist. Und nun bist du bereit?

SIGISMUND
verbirgt die Hände.
JULIAN.

Bleibe. Verbirg nicht deine Hände. Zeige sie ohne Scheu. Dies halte fest: ich bin deines Vaters Diener. Ein Mann ist bei jedem Atemzug des Höheren eingedenk.

KÖNIG
außerhalb, aber sichtbar, kniet nieder und betet.

Tu ein Wunder, Herr im Himmel! und versöhne ihn mit seinem Schicksal, dessen unschuldiges Werkzeug ich war. Amen. Sein Gesicht, wie er wieder aufsteht, ist von Tränen überströmt.

JULIAN
nachdem er sich umgesehen hat.

Sigismund, Kronprinz von Polen, Herzog von Gotland, ich habe dir den Besuch deines königlichen Vaters anzukündigen.


Sigismund fällt auf die Knie, birgt sein Gesicht in den Händen. Julian eilt hin, öffnet die Tür, läßt den König eintreten. Die Orgel wird leiser. Der König steht im Gemach, Sigismund liegt noch auf den Knien, das Gesicht in den Händen, wie sein Vater schon vor ihm steht. Julian tritt auf den Korridor hinaus, verschwindet nach links.
Die Orgel tönt nun stärker, schwillt mächtig an, die vox humana tritt gewaltig hervor.
Sigismund steht entgeistert, dann sucht er mit den Augen, wo dieser Klang herkomme, er sieht nach oben, zittert heftig. Tränen schießen ihm in die Augen.
KÖNIG
nach einer Pause.
Sprich, mein Sohn, laß mich deine Stimme hören.
SIGISMUND
auf den Knien, den Kopf zur Erde.
KÖNIG.

Sohn, Wir haben dir verziehen. Du bist heimgekehrt. Unsere Arme sind offen. Laß Uns dein Antlitz sehen!

SIGISMUND
zittert, zuckt; wendet sein Gesicht gegen die Wand; kniet dort nieder, abgewandt.
Drückt das Gesicht gegen die Mauer.
KÖNIG.

Nein, es ist an Uns. Wir demütigen Uns vor dem, der gelitten hat. Wir neigen Uns. Er neigt sich ein wenig.

SIGISMUND
zittert stärker, birgt den Kopf hinterm Sessel.
KÖNIG.

Wie Sankt Martin, da er den Bettler fand, den nackenden, vor Kälte zitternden. – Er greift ans Schwert. Sieh auf! Sollen wir Unsern königlichen Mantel mit dir teilen? oder Er stößt das Schwert wieder in die Scheide. kommst du an Unser Herz in seine ungeteilte Wärme? Er öffnet seine Arme.

SIGISMUND
steht auf.
KÖNIG.

Laß Uns deine Stimme hören, junger Fürst! Wir sind begierig nach ihr. Wir haben ihren Klang zu lange entbehrt.

SIGISMUND
redet, aber es dringt kein Laut über seine Lippen.
KÖNIG.
Was flüsterst du in dir? Möge es ein guter Geist sein, der aus dir flüstert!
SIGISMUND
kann nicht reden.
KÖNIG.

Dein Auge in Unseres! Vernimm einmal für alle Male, Erbe von Polen! Wir vermögen nicht mißzuhandeln als König an dem Untertan, als Vater an dem Sohn; und hätten Wir dir ohne Gericht das Haupt auf den Block gelegt: so war Uns heilige Gewalt verliehen, und da ist niemand, der wider Uns klagte. Denn Wir waren vor dir – so bist du in Unsere Hand gegeben von Gott selber.

SIGISMUND
deutet durch Zeichen, er habe Furcht vor Gewalt, Furcht vor des Königs Händen.
Stöhnt auf. Woher – so viel Gewalt?
KÖNIG
lächelt.

Nur die Fülle der Gewalt frommt: in der Wir sitzen, als der Einzige, einsam. So ist Gewalt des Königs. Alle andere ist von ihr geliehen und ein Schein.

SIGISMUND.
Woher so viel Gewalt? woher?
KÖNIG.

Von Gott unmittelbar. Vom Vater her, den du kennst. Am Tage, da es Gott gefiel, – sind Wir in Unser Recht getreten als Erbe. Ein Heroldsruf erscholl in die vier Winde, die Krone berührte das gesalbte Haupt, dieser Mantel wurde Uns umgetan. So war wieder ein König in Polen. Was ist dir?

SIGISMUND.

Gib schon dein Geheimnis preis! Laß schon dein Gesicht vor mir aufgehen! Er kommt mit seinen Augen dem Gesicht des Königs ganz nahe, tritt zurück.

KÖNIG
sieht ihn starr an.
SIGISMUND.
Ich habe nie einen Menschen geküßt. Gib mir den Friedenskuß, mein Vater!
KÖNIG.

Genug. Ich liebe solche Worte nicht. Komm zu dir, Prinz von Polen. Besinne dich, von wo ich, dein König, dich gerufen habe und wohin ich dich erhöht habe.

SIGISMUND.

Erhöht! Erhöhst du mich jetzt über mich selber zu dir? Ja? – Laß aufgehn dein Gesicht. Gib dich mir so, wie du mich genommen hast. Mutter, Vater! nimm mich zu dir.

KÖNIG.

Dich verzehrt die Begierde nach Macht. Das lese ich in deinen Zügen. – Aber man hat dich gelehrt, mit gefühlvollen Worten die Herzen gewinnen. Mit einem ironischen Lächeln. Mögen solche Gaben dir nach meinem Tode zugute kommen. – Jetzt aber setz dich hier zu meinen Füßen, mein Sohn. Er setzt sich auf den hohen Stuhl, Sigismund zu seinen Füßen auf den niedrigen. Mir vertraue und keinem sonst. – Eines ist Königen not: daß sie sich ihrer bösen Ratgeber erwehren lernen. Sie sind die Schlangen an unserem Busen. Hörst du mich, mein Sohn? Antworte mir.

SIGISMUND.
Ich höre, mein Vater.
KÖNIG
sieht ihm ins Gesicht.

Du hörst? Ich suche kindliche Ergebenheit in deinem Blick, und ich finde sie nicht. Du bist verschlossen, mein Sohn. Du bist schlau und selbstgewiß. – Gut. Ich sehe, du bist jedem Geschäft gewachsen. – Ich übertrage dir das erste und größte. Er steht auf, Sigismund gleichfalls.

KÖNIG.
Mache uns frei von der Schlange Julian, die uns beide umstrickt hat.
SIGISMUND.
Wie, mein Vater? was redet mein Vater?
KÖNIG
spielt auf Sigismunds Hand.

Wie, mein Vater? Wie? Jählings fürchterlich. In Ketten dich? unter seiner Peitsche den Erben dreier Kronen? und mir deine Wildheit vorgespiegelt? Meine Tage vergiftet, meine Nächte ausgehöhlt mit dem Schauermärchen von einem tobenden Knaben mit Mörderaugen! mit dem Gespenst eines geborenen Aufrührers! – In geändertem Ton. Und zu welchem Ende? Schwant dirs, mein armer Sohn? Dich an ihn zu ketten durch die Gemeinsamkeit des an mir begangenen Frevels – ihn zu deinem Herrn und Meister zu machen für immer – dich zu erniedern zum Werkzeug deines Werkzeugs – einen zweiten Basilius aus dir zu machen, einen zweiten Ignatius aus ihm – Er knirscht wild die Zähne. wenn du ihm nicht zuvorkommst. –

SIGISMUND
sieht ihn entsetzt an, schlägt die Hände vors Gesicht.
KÖNIG.

Her zu mir! Leise. Was ist das für ein allgemeiner Aufruhr, mit dessen Androhung er nun wieder mein ahnungsloses Herz bestürmt!

SIGISMUND.
Was für ein Aufruhr? ich weiß von keinem Aufruhr!
KÖNIG
zieht ihn an sich.

Ich frage dich nicht: wer schürt seit einem Jahr diesen Aufruhr in meinen Landen? in wessen Hand, wenn nicht in der seinigen, laufen diese Fäden zusammen? Still! Er legt ihm die Hand auf den Mund. Ich verhöre dich nicht. Ich begehre nicht, daß du mir deinen Lehrer preisgibst. Ich gebe ihn dir preis.

SIGISMUND.

Du gibst ihn mir preis? meinen Lehrer? Er hat mich gelehrt in einem Buch lesen. Alles hat er mich gelehrt.

KÖNIG.
In deinen Händen sei sein Geschick. Still. Nimm diesen Ring. Ich stecke ihn an deinen Finger.
SIGISMUND.
Diesen Ring!
KÖNIG.

Wer ihn trägt, ist der Herr. Meine Garden gehorchen ihm. Meine Minister sind die Vollstrecker seiner Befehle. Tritt hervor aus meiner Umarmung und sei wie der Blitz. Deine erste Tat sei jäh, erschreckend, besinnungraubend!

SIGISMUND.
Meine erste Tat! Sie ahnte mir, wenn ich den Roßknochen schwang überm Getier – ruf das nicht auf.
KÖNIG
dicht an seinem Ohr.

Verhafte diesen Verräter Julian und sieh zu, ob der angezettelte Aufruhr nicht dahinfällt wie ein Bündel Reisig!

SIGISMUND
wortlos.
KÖNIG
zieht ihn an sich.

Mit diesem Blick, den du jetzt auf mich wirfst, tritt vor ihn. Die Prärogative dieses Ringes an deiner Hand sind unermeßlich. Sie machen dich mir gleich, mein Sohn.

SIGISMUND.
Dir gleich? Deine Macht – ist jetzt da? –

Er hält ihm den Ring vor.
KÖNIG
leise zutraulich.

Sie legen den Griff des Richtbeils unmittelbar in die Hand des Trabanten, der dich auf einem nächtlichen Gang begleitet. Es ist auch von nun an nur ein König in Polen –

SIGISMUND.
Nur einer!
KÖNIG.

Aber er wandelt in zwei Gestalten, und eine davon ist neu und fürchterlich. Weh unseren Feinden! Er drängt ihn sanft hinweg. Geh! geh!

SIGISMUND
tritt zurück.
Wer bist du, Satan, der mir Vater und Mutter unterschlägt? Er schlägt ihm ins Gesicht.
KÖNIG.
Trabanten! Zu mir! Auf deine Knie, Wahnwitziger!
SIGISMUND
packt ihn.

Was fletschest du? Warum wird dein Gesicht so gemein? – Ich habe schon einmal einen alten Fuchs mit Händen erwürgen müssen! Er hat gerochen wie du! Stößt ihn von sich.

KÖNIG.

Nieder auf deine Knie, rebellisches Tier! Hört niemand! Wir werden dich züchtigen! Wir werden nicht anstehen, dich im Angesicht des Volkes auf den Richtblock zu schleifen.

SIGISMUND.

Ich bin jetzt da! – Ich will! An mir ist nichts vom Weib! Mein Haar ist kurz und sträubt sich. Ich zeige meine Tatzen. Diese Stunde, zu deinem Schrecknis, hat mich geboren.

KÖNIG.
Unantastbar! Die Majestät! Zu Hilfe!

Er will nach links, Sigismund vertritt ihm den Weg.
PAGE
von links.
Der König ruft!
SIGISMUND
bedrängt den König, reißt ihm das Schwert aus der Scheide, schwingt es.

Ich befehle! Da hinüber! Nieder auf den Boden! Ich will treten auf dich! – Seitdem ich da bin, bin ich König! Wozu riefest du mich sonst?

KÖNIG
stöhnt unter seinem Griff.
SIGISMUND.
Röhr doch! Mach Lärm! Rufe! Schrei dich tot! Her den Mantel!

König will entspringen. Julian wird in dem Korridor links sichtbar, stürzt herein und durch die Tür rechts wieder hinaus. Sigismund läuft dem König nach mit geschwungenem Schwert. König fällt zusammen. Sigismund reißt ihm den Mantel ab und hängt ihn sich um die Schultern.
PAGEN
im Korridor links, schreien auf.
Zu Hilfe!

Etliche Höflinge stürzen herbei, dringen durchs Oratorium ins Zimmer. Der Korridor füllt sich mit Hofherren, Kämmerern, Pagen.
ALLE
schreien durcheinander.
Wer ruft? Was ist geschehen? Da hinein! Es ist verboten! Der König ist tot!

Die ins Zimmer Eingedrungenen halten sich links.
SIGISMUND
den Blick fest auf ihnen.

Stille! Keinen Blick auf die alte Leiche! Auf die Knie mit euch! Küsset die Erde vor den Füßen eures neuen Herrn und werfet das alte Fleisch dort in die Grube – vorwärts hier! Die vordersten zwei!


Die Höflinge regen sich nicht. Hinter ihnen haben sich mehrere ins Zimmer geschoben. Die Tür rechts öffnet sich, Julians Kopf erscheint. Er sieht nach allen Richtungen, springt dann herein.
JULIAN
hat das Reichsbanner an sich gedrückt, wirft sich vor Sigismund auf die Knie, indem er ihm das Banner überreicht, und ruft.
Es lebe der König.
SIGISMUND
ergreift das Banner mit der Linken.

Herein da mit euch! Hier seht euren Herrn! Bereitet euch! Ich will mit euch hausen wie der Sperber im Hühnerhof! Mein Tun wird meinem Willen genugtun. Versteht mich! Meine Gewalt wird so weit reichen als mein Wille. Auf die Knie mit euch! Er wirft ihnen das nackte Schwert vor die Füße. Da! Ich brauche das nicht! Ich bin der Herr!


Einige der vordersten knien nieder.
GRAF ADAM
zwischen den Höflingen, schreit auf.

Der König lebt! Zu Hilfe Seiner Majestät! Er reißt aus Sigismunds Hand das Panier an sich. Es ist nur ein König in Polen! Vivat Basilius!


Zwei Kämmerer schieben sich an der linken Wand entlang und kommen Sigismund in den Rücken. Der eine wirft seine Arme von hinten um Sigismund und bringt ihn zu Fall. Mehrere stürzen sich nun noch auf ihn. Er wird in den Alkoven halb gerissen, halb getragen. Die älteren Höflinge und die Pagen eilen zum König, helfen ihm sich aufzurichten. Pagen bringen von hinten den Mantel, hängen ihn dem König um. Der Beichtiger stützt ihn.
Gleichzeitig.
EINE STIMME
aus dem Alkoven.
Er liegt!
EINE ANDERE STIMME.
Her mit dem Arzt!

Der Gehilfe des Arztes, Anton mit der verdeckten Schüssel neben ihm, sind als letzte aus dem Oratorium getreten. Der Gehilfe geht gegen den
Alkoven, von wo man ihm winkt. Er sieht sich nach Anton um. Anton preßt die verdeckte Schüssel gegen sich. Mehrere kommen gelaufen, reißen Anton die Schüssel weg, tragen sie hastig nach dem Alkoven. König hat sich aufgerichtet.
KÖNIG
zittert.

Es ist geschehen, wie prophezeit war. Er hat seinen Fuß auf mich gesetzt in Angesicht des Volkes. – Aber Wir sind Unserer Krone mächtig geblieben und können über ihn die Strafe verhängen! Ah! wer hätte das gewagt zu hoffen! Mich dürstet.

EIN HÖFLING.
Zu trinken für den König!

Etliche Pagen gehen eilig ab.
KÖNIG
berührt seine rechte Hand mit der linken.
Mein Ring!

Einer läuft hin zu dem Bette, bringt den Ring, überreicht ihn knieend.
KÖNIG.

Auch er muß mit Blut abgewaschen werden. Sieht ihn an. Er winkt mehrere nahe zu sich. In das niedrige Volk ist ja die Hirnwut gefahren! Sie liegen, höre ich, in den Kirchen und beten um einen neuen König, einen unschuldigen Knaben, der in Ketten ein neues Reich heranbringen wird. – Wir wollen ihnen ein heilsames Schauspiel geben. Man wird mitten auf dem großen Markt das Schafott er richten, höher als je eines errichtet war. Dreimal zwanzig Stufen hoch soll er steigen, bis er den Block findet, sein Haupt darauf zu legen. Lauter zu allen. Ich will alle Stände meiner Hauptstadt feierlich geladen wissen, und es sollen die Angeschmiedeten aus meinen Bergwerken und von meinen Galeeren losgemacht werden. Man soll sie in reinlichen Festgewändern aufstellen, und er soll auch vor ihnen vorbeigeführt werden, damit auch die letzten meiner Untertanen nicht ohne eine Ergetzung bleiben an einem solchen Freudentag.


Die Tür geht auf.
ZWEI PAGEN.
Platz für den Wein des Königs!

Drei Pfeifer spielend. – Der Obermundschenk.
Der Pokal, von einem Pagen getragen.
OBERMUNDSCHENK
reicht knieend den Pokal, steht wieder auf und ruft, indem der König den Pokal an den Mund setzt.
Der König trinkt!
ALLE.
Heil Eurer Majestät!

Obermundschenk empfängt knieend den geleerten Pokal, geht ab mit den Pfeifern und Pagen.
KÖNIG
steht auf.

Den Leibarzt! Wir bedürfen seiner Geschicklichkeit. Die Kreatur soll heil und ihrer selbst bewußt unter das sühnende Schwert!


Pagen ab.
König tut einige Schritte.
Höflinge geben den Blick auf diese Gruppe frei: Julian an der Wand von dreien umgeben, die ihre Dolche auf ihn gezückt halten.
Julian mit geschlossenem Auge, stöhnt.
ANTON
in seiner Nähe.
O mein, ist Ihnen so schlecht? Muß man Euer Gnaden zur Ader lassen?

König behält Julian im Auge, flüstert mit einem Höfling. Drei Pagen stehen nahebei.
HÖFLING.
Edelknaben, tut euren Dienst!

Pagen fallen Julian an und reißen ihm die Ordenskette ab und das königliche Siegel aus dem Gurt.
JULIAN.
Stehen! Aufrecht hier hinausgehen. Er fällt zusammen.

Arzt tritt schnell ein und auf den König zu.
KÖNIG.

Nicht Wir! – Wir haben Uns eben eines sehr bösen Anfalles allein erwehrt. Dort bedarf man Euer. Und auch den Helfershelfer will ich bald seiner Sinne mächtig haben. Ich werde ihm in diesen drei Tagen noch einige Fragen stellen lassen. Dann sollen sie ihn auf einer Kuhhaut zum Hochgericht schleifen, und der Scharfrichter soll ihn als zweiten abtun.


Arzt tritt zu dem Bette, dort stehen Höflinge und Trabanten. Man macht ihm Platz.
Gervasy und Protasy treten lautlos ein, schleichen auf den König zu, tief gekrümmt, jeder einen Zettel in der Hand.
KÖNIG.
Ihr kommt zurecht, immer zurecht, meine Braven. – Jetzt bin ich Herr im eigenen Haus.

Gervasy und Protasy ab, mit gebogenen Knien.
KÖNIG
durchfliegt die Zettel, steckt sie zu sich, in den Gürtel, blickt um sich.
Der Hof im Halbkreis. Zdislaw!

Ein Großer tritt hervor.
KÖNIG.

Dein Sohn hat sich gestern nacht vor Zeugen so geäußert: Wenn es sich ergeben sollte, daß dieser geheimnisvolle Fremde wirklich königlichen Blutes wäre, und wenn dieser Prinz nach der Krone trachten sollte, so würde er sein Schwert nicht gegen ihn ziehen. – Das sind verräterische Wenn und mörderische Und! Es steht ein Turm leer im Gebirge, dort wollen Wir ihm Zeit geben, seine Reden zu bereuen. Steh auf. Tritt zurück. Zum Starost von Utarkow, den er heranwinkt. Du hast mit deiner Frau, als du mit ihr allein warst, gesprochen, es gäbe innerliche Stockungen und verrottete Säfte, deren Wirkung die sei, daß sie unversehens das überfüllte Haupt strangulieren. Mit dieser verdeckten Rede hast du angespielt auf Uns, das Haupt dieses Reiches.

STAROST VON UTARKOW.
Ich weiß nichts! Niemand kann das gehört haben!
KÖNIG.

Geh dort hinüber, Rebell. Die Wache wird dich abführen. – Ihr sollt euch alle ansehen und nicht wissen, welcher noch nicht verraten ist. Bohuslaw!


Ein alter Höfling tritt vor.
KÖNIG.

Was zitterst du so, wenn ich dich gnädig heranwinke? Leise. Deine beiden jungfräulichen Nichten sind sehr schön. Wir müssen, ob Wir wollen oder nicht, aus ihrer beiden Schönheit das Juwel dieser nahenden Festtage machen. Lauter. Unser gutes Volk wird sich nicht nehmen lassen, einen Freudenpfennig darzubringen. Zum Kanzler. Sorge, daß die Steuerlisten neu aufgelegt werden. Von der Judenschaft erwarten Wir ein freiwilliges Geschenk, solches Anlasses würdig. Wieder zu dem alten Höfling. Deiner Nichten Schönheit ist von köstlicher Besonderheit. Zum Kastellan von Krakau. Das Schafott mit schwarzem Stoff verkleiden. Auch die Statue der allerseligsten Jungfrau, dem Gerüst gegenüber, einhüllen in schwarzes Gewebe. – Ihn aber lasset ein Hemd aus blutfarbenem Scharlach tragen, denn wer die Hand gegen den geweihten König erhob, ist einem Vatermörder gleichzuachten – nicht wahr, Zum Beichtiger gewandt. mein Vater? Zu dem alten Höfling. Führe Uns die beiden Fräulein herbei, heute abend, und sei du allein der Wächter ihrer Ehre. Ordne alles an, nimm die Schlüssel Unseres Jagdschlosses an dich, sei Unser Zeremonienmeister. Geh! geh! Er drückt ihm die Hand, ehe der Alte sie küssen kann, entläßt ihn, wendet sich dann jäh zu Graf Adam. Adam, Wir stehen sehr in deiner Schuld für deine Geistesgegenwart. Steigere nur deine Verdienste nicht zu hoch, daß Wir in Sorge kämen, sie nicht mehr würdig vergelten zu können. Zu hoch gespannte Gunst verkehrt sich leicht in Abgunst. Da sei Gott vor! Folgt mir, mein Hof. Wir wollen heute noch einen starken Hirsch hetzen.


Er geht mit starken Schritten durch die Tür rechts, der Hof folgt ihm.
ARZT
im Alkoven.

Verbände an die Füße. Dies leichte Tuch über sein Gesicht – Wesen aus einem einzigen Edelstein, du darfst keine Schmach erleiden!

ANTON
läuft zu ihm.
Kommen dorthin, mein gnädiger Herr ist der ärgere Patient.

Julian liegt auf der Erde, das Haupt an einen Stuhl gelehnt, schwer atmend.
ARZT
tritt hin, reicht ihm ein Fläschchen aus seiner Tasche.

Trinken der Herr von diesem, es wird Ihnen die Kräfte geben, daß Sie auf meinen Arm gestützt bis in mein Zimmer kommen, wo ich Ihnen eine Ader schlagen werde. Zu den Wachen, die Julian fassen wollen, indem er sie abhält. Vorwärts! Hier befehle ich und bin der Majestät verantwortlich, sonst keinem. Leise zu Julian, der mit Antons Hilfe sich aufgerichtet hat. Jetzt mehr als je hat der Ihnen anvertraute hohe Jüngling Anspruch auf Ihre ganzen Kräfte.


Die Diener unter Aufsicht des Gehilfen haben Sigismund vom Bette aufgenommen und tragen ihn langsam hinaus.
JULIAN.
Was wollen Sie von mir? Welche Hoffnung ist noch zurück?
ARZT.

Die größte. Denn er lebt und wird leben, das verbürge ich. – So und nicht anders Er deutet auf den, der hinausgetragen wird. war von jeher den Heiligen gebettet zur Erwachung.

JULIAN.
Überm Haupt die Faust des Henkers! Sie hämmern schon an dem Gerüst!
ARZT
führt ihn noch einen Schritt gegen den Vordergrund, leise.

Acheronta movebo. Ich werde die Pforten der Hölle aufriegeln und die Unteren zu meinem Werkzeug machen: der Spruch war von Geburt an auf der Tafel Ihrer Seele geschrieben.


Sie gehen langsam der Tür zu, wo die Wache Stellung genommen hat.
JULIAN.
Wie darf ich Euch verstehen? So wisset Ihr –?
ARZT
stehenbleibend.

Gewaltig ist die Zeit, die sich erneuern will durch einen Auserwählten. Ketten wird sie brechen wie Stroh, granitene Mauern wegblasen wie Staub. Das weiß ich.

JULIAN.
Ja! Gewaltiger Mann! Wie dein Sehstern wissend leuchtet. Bleibe bei mir. Mit dir vereint –
AKZT.
Die Kräfte freizumachen ist unser Amt, über dem Ende waltet ein Höherer. – Wir müssen fort von hier!

Sie gehen, die Wache folgt ihnen.
Vorhang.

4. Akt

Vierter Akt

Ein Saal in der Burg. An der linken Seitenwand ein erhöhter Thronsitz unter einem Baldachin, daneben eine verborgene Tür. An der Wand gegenüber eine Flügeltür, die auf einen Balkon führt. Rechts vorne und in der Mitte der Rückwand die Haupttüren des Saales.
Einige alte Herren vom Hof und einige Damen. Pagen und Lakaien, Erfrischungen servierend. Ein Teil der Personen auf dem Balkon, ein Teil herinnen. Läuten des Armensünderglöckchens, anhaltend.

ERSTER ALTER HERR
einen Becher leerend.
Führt man den Menschen noch immer an den Tribünen vorbei? Das dauert endlos.
ZWEITER ALTER HERR
sieht hin.
Jetzt ist der Priester auf dem Schafott. Dort ganz hoch oben. Ein Paulaner.
DRITTER ALTER HERR
vom Balkon hereinkommend.
Einen Fächer der Gräfin, sie hat die Sonne im Gesicht.
ERSTER ALTER HERR.
Ein Fächer wird benötigt für die Palatina. Schafft einen, Pagen.
ZWEITER ALTER HERR.
Und Seine Majestät auf der Estrade mit der Sonne im Gesicht, seit zweige schlagenen Stunden!
ERSTER ALTER HERR.
Jetzt geht sie gleich hinter das Dach der Marienkirche.
ZWEITER ALTER HERR.
Gott sei Dank.

Die Unruhe gespannter Aufmerksamkeit auf dem Balkon. Page mit einem Fächer geht hinaus. Die drei alten Herren treten gleichfalls hinaus. Graf Adam und der Starost von Utarkow sind durch die mit einer Tapete verhängte Tür neben dem Thronsitz eingetreten. Beide sind sehr bleich. Sie gewahren die Personen auf dem Balkon und verhalten sich lautlos. Das Armensünderglöckchen bimmelt eintönig.
ADAM.

Wie ist dir zumute, Starost, daß du einer Hinrichtung zusiehst, an dem Tag, auf den deine eigene anberaumt war?

STAROST.

Meine Nerven sind zu gespannt, um witzige Fragen zu beantworten. Warum fällt der Signalschuß nicht? Da ist etwas nicht in Ordnung.

ADAM.

Der Schuß wird fallen, sobald das Glöckchen zu bimmeln aufgehört hat. Im gleichen Augenblick werfen sich die zweitausend Sträflinge auf die Garden zu Pferd.

STAROST.

Warum fällt der Schuß nicht? Eine Sache, die fünftausend Mitwisser hat, ist verloren, wenn sie sich um eine Minute verzögert.

ADAM.
Der Schuß wird fallen, sobald das Glöckchen zu bimmeln aufgehört hat.
STAROST.

Es ist nicht möglich, er muß längst auf der Treppe zu dem Schafott sein. Da stimmt etwas nicht. Wir sind verraten, Adam! Die Hand am Schwert. Lebendig soll mich der Basilius nicht haben.


Das Glöckchen ist stille. Sie horchen angespannt.
ADAM.

Ruhig, Starost. Jetzt spielen wir das große Spiel. In drei Sekunden stechen wir den König, oder der König sticht uns.


Unten fällt ein Schuß, gleich darauf noch mehrere. Geschrei. Unruhe auf dem Balkon. Ein Paar Damen auf. Ein Aufschrei.
ADAM.
Wir stechen den König! Vorwärts, Starost, auf deinen Posten.

Der Starost hebt die Tapete auf und verschwindet, Graf Adam läuft an die rückwärtige Tür, öffnet sie und verschwindet dort. Alle Damen, vom Balkon herein.
DIE DAMEN.
Was ist denn los? Was ist denn geschehen!
EINE DAME.
Sie reißen die Dragoner von den Pferden!
JUNGE DAME.
Ich habe die Bannerherren rings um den König die Säbel ziehen sehen! Was bedeutet denn das?
EIN ALTER HERR.
Aufruhr ist das! Eine hochverräterische Verschwörung ist das!
ZWEITER ALTER HERR.
Warum feuern denn die Garden nicht?

Sturmläuten von einer, dann von mehreren Glocken.
Alle herinnen durcheinander.
ERSTE DAME.
Man kann nicht unterscheiden. Sie schreien etwas.
ZWEITE DAME.
Ich fürchte mich.
ZWEITER ALTER HERR.
Warum feuern denn die Garden nicht! Zu Hilfe dem König! Er zieht.

Damen laufen zur Tür rechts vorne, kommen gleich wieder zurück.
Tafeldecker läuft an die verborgene Tür links.
ALTER HERR.
Wohin da?
TAFELDECKER.
Das Goldgeschirr in Sicherheit bringen. Es geht drunter und drüber.

Verschwindet durch die kleine Tür.
DIE DAMEN.
Die Haupttreppe ist abgesperrt. Man läßt niemand durch! – Wie, abgesperrt? Mit Truppen?
ALTE DAME.
Wir müssen hinaus! Wer kommandiert die Wache?
JUNGE DAME.
Dort hinüber! Durch die Kapelle!

Sie wollen nach dem Hintergrund.
GRAF ADAM
mit einem Offizier der Wache betritt den Saal durch die Tür im Hintergrund.
Hier geht niemand hinaus. Abführen, wer hier ist.
JUNGE DAME.
Was ist geschehen?
GRAF ADAM.

Die Damen dort hinüber, bitte. Durch die Kapelle. Die Treppe wird abgesperrt. Der König kommt sogleich hier herauf.


Unten Geschrei. Einige Schüsse.
ALTER HERR.
Unser König ist dort unten in den Händen von Rebellen.
GRAF ADAM
nach hinten.

Wache antreten! Zu den vorderen. Seine Majestät König Sigismund wird inmitten seiner getreuen Bannerherren sogleich hier sein. Zur Wache. Es lebe der König!

WACHE.
Vivat Sigismund!

Die Damen gehn durch die Wache ab.
DIE ALTEN HERREN.
Hochverrat!

Sie ziehen.
GRAF ADAM
sehr ruhig.
Entwaffnen! Abführen!

Die alten Herren werden abgeführt.
Graf Adam und der Offizier folgen ihnen. Die Tür wird sogleich geschlossen. Die verborgene Tür öffnet sich. Gervasy und Protasy heraus, ängstlich spähend.
Gervasy an der rückwärtigen Tür, horcht.
Protasy schleicht sich ans Fenster, hinunterzuspähen, dann an die Tür rechts.
Basilius' Gesicht hinter der Tapete hervorsehend.
PROTASY
leise zu Gervasy.
Versperrt?
GERVASY.
Das Zimmer ist voller Menschen, sie halten den Atem an, aber es klirrt trotzdem von Waffen.
PROTASY
lautlos zu ihm hin.
Dort ist ein Aug am Schlüsselloch. Sie schauen herein.
GERVASY
versucht durchs Schlüsselloch zu sehen.
Hier auch.

Basilius tritt hervor, in einem prächtigen aber zerstörten Gewand, das bloße Schwert in der Hand. Niemand ist bei ihm als ein alter Höfling.
Protasy und Gervasy winken ihm warnend.
BASILIUS.
Wie bin ich ihnen entkommen?
DER ALTE HÖFLING.
Sie haben nicht gewagt, die Hand an den gesalbten König zu legen.
BASILIUS
in bleicher Wut.

Nicht einer soll mir mit dem Leben davonkommen. Warum schießen meine Garden nicht? Schaff mir den Offizier, der die Schloßwache kommandiert. Hierher bring ihn mir.


Gervasy und Protasy nahe heran, die Hand auf dem Mund.
DER ALTE HÖFLING.
Zurück, mein gnädiger Herr! Zurück! durch die Kapelle. Hier bist du verloren.

Er hebt die Tapete. Basilius ab, der Höfling hinter ihm.
Gervasy will nach, Protasy hinter ihm.
GERVASY
prallt zurück.
Die Tür geht nicht auf. Sie ist von außen verriegelt. Jetzt haben sie ihn.

Sie horchen.
PROTASY.
In der Mausefalle haben sie ihn.
GERVASY.
Und uns mit ihm.

Draußen Fanfare.
Gervasy und Protasy bergen sich hinter einer Tapete. Die Flügeltüren hinter ihnen tun sich auf.
Graf Adam tritt ein, man sieht Garden hinter ihm.
Fanfare abermals.
Sigismund rechts herein, halb geführt, halb getragen von den Woiwoden. Er trägt ein langes weißes Hemd, darüber noch Fetzen des Scharlachgewandes. Zwei geleiten Sigismund auf
den Thronsitz. Die Wache leistet die Ehrenbezeigung. Draußen Fanfaren.
Alle Woiwoden knien vor dem Thron nieder.
Sigismund gibt ein schwaches Zeichen, aufzustehen.
PALATIN VON KRAKAU
bleibt knien.

Wir erbitten mit aufgehobenen Händen Verzeihung dafür, daß wir Eurer erhabenen Person diesen Gang über den Marktplatz nicht ersparen konnten. Wir bedurften des Aufruhrs der Niedrigsten, um alle fortzureißen und die Truppe zu überwältigen.

SIGISMUND.

Ich bitte, stehen die Herrn auf. Etwas stärker. Ich will niemand knien sehen! – Ich hätte in dieser Minute knien sollen und meinen Kopf auf den Block legen.

PALATIN VON KRAKAU
knieend.

Eurer Majestät Haupt umgibt nunmehr, ehe noch die Krone sich darauf gesenkt hat, der Goldglanz eines Heiligen und Märtyrers für ewige Zeiten.


Er steht auf. Alle mit ihm. Sie stehen Sigismund gegenüber. Woiwod von Lublin und Kanzler von Litauen treten zu dem sitzenden Sigismund, zu beiden Seiten des Thrones auf der untersten Stufe stehenbleibend.
WOIWOD VON LUBLIN.
Vermag Seine Hoheit uns Ihre Aufmerksamkeit zu gewähren?
KANZLER
nach hinten rufend.
Den Arzt! Seine Hoheit bedarf einer Stärkung!
PALATIN VON KRAKAU
nach hinten rufend.
Kämmerer her! Schafft Kleider für Seine Majestät!
ANTON
an der Tür im Hintergrund zu den dort Spalier bildenden Soldaten.
Lassen mich herein, ich muß zu meinem Herrn. Er wird durchgelassen.
SIGISMUND
sieht auf Anton, der sich ihm nähert.
Anton!
ANTON.

Ist mein Herr nicht da? Sieht sich angstvoll um. Eure Hoheit! Eure Majestät! Wo ist mein gnädiger Herr?


Sigismund sagt etwas, das unhörbar bleibt.
Woiwod von Lublin, Kanzler von Litauen treten ihm näher.
SIGISMUND.
Suchen! Meinen Lehrer!
KANZLER.
Wen befehlen Eure Hoheit zu suchen?
SIGISMUND.
Den, der mit mir im Kerker war! Den sie auf der Kuhhaut geschleift haben.
ANTON.
Soll ich gehen?

Sigismund nickt ihm zu.
WOIWOD VON LUBLIN.

Der Graf ist, dafür bürge ich, unversehrt. Er war von allem unterrichtet. Man wird ihn später herbeiholen. Aber jetzt bedürfen Euer Hoheit Ihrer ganzen Stärke zum unaufschieblichsten Staatsgeschäft.


Unruhe an der vorderen Tür.
RUFE AUS DER MITTE DER WOIWODEN.
Die Schreiber, herein, durchlassen die Schreiber! sonst niemanden!
KANZLER
geht hin, läßt zwei Staatsschreiber eintreten.
Jetzt tritt niemand mehr ein, der kein Bannerherr ist.
WOIWOD VON LUBLIN
ruft über die Wache hinüber.
Die Treppe hinabdrängen den kleinen Adel! In den Vorhof die Landboten. Absperren!
PALATIN.
Hier tagt der Staatsgerichtshof, und niemand betritt diesen Saal.
OFFIZIER.
Wache, kehrt euch!

Wache wendet sich gegen außen.
SIGISMUND.
Man soll ihn mir herbringen, den sie auf der Kuhhaut geschleppt haben.
ANTON
reißt die Scharlachfetzen von Sigismund ab.
Es sind welche gegangen, Eure Majestät!
MEHRERE.
Herbei mit dem Basilius! Keine Zeit zu verlieren!
KANZLER.
Hauptmann der Wache!
OFFIZIER
zu ihm.
KANZLER.

Der Herr übernimmt mit sechs Offizieren im Karabiniersaal die Person des ehemaligen Königs und macht dieselbe hier stellig.

OFFIZIER.
Zu Befehl, Euer Erlaucht.

Sigismund flüstert indessen mit Anton.
ANTON
geht hinten ans Spalier.
Ich muß Kleider holen für den König.

Er wird durchgelassen.
SIGISMUND
will vom Thron herab.
Ich will mit ihm gehen und den suchen, den sie auf der Kuhhaut geschleift haben.

Woiwod von Lublin und Kanzler von Litauen nötigen ihn sanft auf seinen Thronsitz zurück.
WOIWOD VON LUBLIN.

Wir bitten untertänig, sich zu fügen. Ein hochwichtiger Staatsakt verlangt Euer Hoheit Fassung und Geistesgegenwart.

KANZLER.
Es ist notwendig, gnädiger Herr! Es ist notwendig.

Trommel, langsam, umflort, von außen. Wache gibt die Tür rechts vorne frei und macht Spalier für den eintretenden Zug. Die Herren treten zurück und geben Raum.
Basilius, bloßköpfig, ohne Waffen, in einem prächtigen, aber zerstörten Kleid, zwischen den Hellebarden zweier Hartschierer. Vier andere nach, der Offizier mit gezogenem Degen voraus. Offizier salutiert mit dem Degen.
KANZLER
winkt ihm, mit der Wache beiseitezutreten, nimmt dann aus der Hand des einen Schreibers eine Rolle entgegen.

Basilius, Ihr seid vorgerufen worden, um das Manifest Eurer Abdankung mit lauter Stimme vorzulesen und vor uns aller Augen zu unterfertigen.

BASILIUS.

Es soll hier meine Abdankung beraten werden? – Ich begehre einen Kronanwalt. Wer steht hier für meine Rechte? Was ist das für ein Gerichtshof?

EINIGE STIMMEN
sehr scharf.
Genug!
KANZLER
die Urkunde ihm reichend, leise aber nachdrücklich.
Lest und unterschreibt!
BASILIUS
entfaltet die Urkunde und sieht hinein, dann.

Ich bin hier eingetreten, nachdem man mir im anderen Saal feierlich mein Leben zugesichert hatte. Wo sind die Herren? Warum haben sie mich nicht begleitet?

WOIWOD VON LUBLIN.
Verlies das Manifest, zu reden ist nichts!
BASILIUS
sieht Sigismund an, der ihn nicht zu beachten scheint, entfaltet die Urkunde und liest.
Ich, Basilius, ehedem König von Polen – Hier fehlen die übrigen Titel!
KANZLER.
Sie werden nachgetragen werden. Beeilt Euch!
BASILIUS
liest.

– König von Polen, von Gottes strafendem Blitz erleuchtet in der Blüte meiner Sünden, meine Unwürdigkeit zu erkennen, und herabgestürzt vom Gipfel meines Hochmuts, habe den Rat meiner allzeit getreuen, freundwilligen Vettern, der Fürsten, Palatine und Bannerherren –

WOIWOD VON LUBLIN.
Verneigt Euch!
BASILIUS
sieht ihn an, verneigt sich dann übermäßig, liest weiter.
gesucht, dem ich mich unterwerfe, unbedingt und ohne Murren.

Er seufzt.
PALATIN VON KRAKAU.
Weiter!
BASILIUS
liest.

Erkannt für einen Tyrannen und Räuber, Verräter am Reich und an meiner eigenen Krone – erkannt, wie? – Ah, von euch erkannt! –

MEHRERE STIMMEN.
Weiter!
BASILIUS
liest.

entsage ich dieser Krone, gebe aus der Hand das Siegel, lege nieder den Stab des Kriegsherren und die Standarte – die Standarte auch? –, begebe mich meiner Vorrechte und Ehren, entsage meinem Rang – Das? Inwiefern? Das kann ich nicht!

WOIWOD VON LUBLIN.
Stehet ruhig, Basilius!
STIMMEN.
Zu Ende! Der Kanzler soll lesen!
PALATIN VON KRAKAU
zuvorderst stehend, zum Kanzler.
Belieben Euer Erlaucht die Urkunde laut zu Ende zu lesen, damit wir zur Unterschrift kom men!
KANZLER
nimmt die Urkunde aus Basilius' Hand und liest.

– entsage meinem Rang und bin von Stund an nicht mehr König und Herr über den Ländern der Krone Polen, sondern der schuldbeladenste Untertan gedachter Krone und erharre, solcher Haft mich fügend als man mir verhängen wird –

BASILIUS.
Aber mein Leben ist mir gesichert! Folgt das endlich in der Schrift da?
KANZLER
mit erhobener Stimme.
die Beschlüsse, die der Staatsrat mit seiner Weisheit fassen wird.
BASILIUS.

Noch Beschlüsse? Aber nicht mich betreffend! Ich ziehe mich mit einem kleinen Hofstaat auf das Schloß zurück, das man mir anweist.

KANZLER
mit erhobener Stimme.
Gegeben in ehemals meiner Königsburg, am letzten Tage –
BASILIUS.
Letzten? Wieso letzten? Das könnte mißdeutet werden! –
KANZLER.

– am letzten Tag meines Verweilens in derselben, unter dem Insiegel meines Nachfolgers, auf dem der Segen des Allmächtigen ruhe.

BASILIUS.

Nicht Sohnes? Euere Hoheit sind noch in Anwartschaft? Er verneigt sich übertrieben im Kreise, nur nicht vor Sigismund. Gott sege Eure gesamte Majestät!

KANZLER.
Reichet ihm eine eingetauchte Feder.

Schreiber tuts.
BASILIUS
sieht in die Urkunde.

Das ist alles? So wenig Worte? So trocken? Er nimmt mechanisch die Feder aus der Hand des Schreibers. Das Wichtigste fehlt. Die Summe für meinen Unterhalt ist nicht genannt. Hier ist kein Tisch.

WOIWOD VON LUBLIN
zeigt auf die unterste Stufe des Thrones.
BASILIUS.
Der König winkt mir. Er scheint mich sprechen zu wollen.
WOIWOD VON LUBLIN.
Hier unterschreibt!
BASILIUS
kniet hin und unterschreibt; steht dann auf, spricht zu Sigismund.

Sohn, du hast einen armen Erdenwurm aus mir gemacht. – Ich gehe. Zu den Herren. Mein Leben und mein Unterhalt sind mir gesichert! Nochmals sich zu Sigismund zurückwendend. Unsere Vettern sind geschickter, Könige zu untergraben als zu stützen. Ich warne Eure Hoheit.

WOIWOD VON LUBLIN.

Schweiget, Basilius. Verneigt Euch vor Seiner Hoheit und vor den Herren, Euren Richtern, und tretet ab. Zu dem Offizier, der vortritt. Führt ihn dorthin ab.

BASILIUS.

Dorthin? Soll das heißen: in den Turm? Dorthin lasse ich mich nicht führen! Ich habe niemals einem alten Mann diesen Turm angewiesen. Ein Kind kann allein sein – ein alter Mann kann nicht allein sein. Laßt mich! Er springt beiseite. Ich habe kein todeswürdiges Verbrechen begangen. Ich habe ihn nicht getötet. Es stand bei mir, noch im letzten Moment die Begnadigung vorzunehmen. Wer kann wissen, ob ich nicht entschlossen war, mit einem weißen Tuch zu winken!

KANZLER.
Trabanten! Macht ein Ende!

Trabanten stehen unschlüssig, sehen auf ihren Offizier.
BASILIUS.

Wartet! Man kann mich in ein Kloster bringen. Das ist zulässig. Ich bin eine geistliche Person. Der König ist der Oberste Seelenhirt. Holt den Kardinal, er ist verantwortlich für meine Seele! Ich will keinen Hofstaat, aber man soll mir Bücher geben, die ich beherzigen kann – ich will erbauliche Bücher – deutlich gedruckt –

OFFIZIER.
Greift ihn, Trabanten!
BASILIUS
entläuft ihnen, klammert sich an den Fuß des Thronsessels.

– deutlich gedruckte mit faßlichen Bildern, denn mein Herz ist kindlich geblieben – nur die Welt hat mich verderbt. Ich appelliere! Ich mache verantwortlich!


Trabanten haben ihn gefaßt und aufgerichtet.
BASILIUS.

Man wird ein erbauliches Wunder erleben, wenn man mich sanft behandelt – aber wer mich in einen einsamen Turm sperrt, der wird es mit einem Verzweifelten zu tun haben!


Trabanten führen ihn ab.
Es ist halbdunkel geworden. Zur rückwärtigen Tür treten Diener mit Armleuchtern herein, andere, darunter Anton, mit Gewändern und einem Mantel; zuvorderst der Arzt.
ANTON.
Dem König seine Kleider, Herr Kommandant!

Das Spalier läßt sie durch.
WOIWOD VON LUBLIN.

Bevor wir Eure Hoheit lehenspflichtig auf den Knien als die Majestät unseres Herrn begrüßen, wird sie mit Hand und Mund einen Eid ablegen auf das Konstitutum, das ich Er winkt dem zweiten Schreiber. hier in Händen halte.


Sigismund erkennt Julian, der vermummt unter den Dienern eingetreten ist, erhebt sich.
PALATIN VON KRAKAU.
Gibt uns Eure Majestät Ihre Aufmerksamkeit? Es ist notwendig.
SIGISMUND.

Dürfen meine Kammerdiener zu mir treten? Die Herren sind angekleidet, und ich habe nur ein Hemde an. Er steigt die Stufen herab.


Die Diener treten hin, auch die mit den Leuchtern, und verdecken Sigismund. Man hört in der Ferne
schießen. Etliche der Woiwoden sehen zur Balkontür hinaus.
ERSTER DIENER.

Man hört schießen in der Vorstadt. Es wird nicht abgehen, ohne daß man den losgelassenen Pöbel mit blutiger Gewalt wieder an die Kette legt.

ZWEITER DIENER.
Der Teufel sät sein Unkraut zwischen den Weizen; das ist einmal so.

Sigismund tritt hervor.
Julian neben ihn.
SIGISMUND
leise zu ihm.
Bleibe jetzt dicht bei mir, mein Lehrer.
KANZLER
tritt vor Sigismund.

Es erscheint nötig, daß durch ein feierliches Konstitutum in allem die Befugnisse des Staatsrates festgesetzt werden. Es handelt sich darum, daß Eure Hoheit eidlich gebunden sein wird –


Sigismund reicht dem Arzt die Hand, der sie küßt. Setzt sich dann auf den Thron.
WOIWOD.

Geben Eure Hoheit dem Kanzler Audienz. Es ist vonnöten. – Man verzögere nicht den grundlegenden Staatsakt, zu dem wir hier sind.

SIGISMUND
steigt herunter, geht auf die Woiwoden zu.

An euch allen bin ich vorbeigeführt worden – Ich habe dein Gesicht gesehen – deines – deines! Du verbargst dein Gesicht in deinen Händen. Du sahest mich fest an, und ich verstand, daß du mir Trost geben wolltest. Du gabest mir ein Zeichen zum Himmel empor. Sie neigen sich tief und küssen ihm die Hand. Aber jetzt gehet, meine Vettern, und lasset mich allein mit diesem Mann, Er zeigt auf Julian. denn er wird mein Minister sein, und ich will mich mit ihm beraten.

WOIWOD VON LUBLIN
geht mit starken Schritten auf Julian zu.
Graf Julian, verlasset diesen Saal, den zu betreten Euch niemand ermächtigt hat.
PALATIN VON KRAKAU.

Das Konstitutum enthält die Namen der fürstlichen Personen, mit denen allein der König sich beraten darf.

KANZLER.
Das königliche Siegel verbleibet dem Staatsrat und dem König zu gemeinsamer Hand.
JULIAN.

Das Siegel ist in meiner Hand. In des Königs Namen: die Herren sind beurlaubt. Wenn man ihres Rates bedürfen wird, wird man sie zu finden wissen.

DIE WOIWODEN
drohend.
Wir werden sie zu finden wissen! Wir werden zu treffen wissen! Wir werden zu strafen wissen!
JULIAN.
Offizier! In des Königs Namen! Die Herren verlassen uns. Gebt ihnen den Ausgang frei.
DIE WOIWODEN
legen die Hand an die Schwerter.
Oho! Das werden wir sehen.
JULIAN
sehr stark.
Garden! Wer ist König in Polen?
OFFIZIER
stellt sich etwas neben Sigismund hin.
Standarte zu mir!

Standarte tritt hinter den Offizier. Fanfare draußen.
Garden, die Piken querhaltend, stellen sich zwischen Sigismund und die Woiwoden, so daß diese einen Schritt zurückweichen müssen.
JULIAN.
Die Herren sind geschickter, Könige abzusetzen als einzusetzen, man wird sie danach behandeln.

Garden, die Piken querhaltend, tun einen Schritt, die Woiwoden weichen einen Schritt gegen den Ausgang zurück.
PALATIN VON KRAKAU.
Ein königlicher Ratschluß ohne unsere Zustimmung ist null und nichtig!
DIE WOIWODEN.
So ist es!

Garden tun einen Schritt.
JULIAN.
Wir werden die königlichen Siegel vor Mißbrauch zu wahren wissen!
WOIWOD VON LUBLIN.
Du Hochverräter hast die Siegel gestohlen! Darauf steht der Tod!

Garden tun einen Schritt.
JULIAN.

Begeben sich die Herren unverweilt in ihre Häuser! Jeder einzeln! Jede Zusammenrottung wird als Hochverrat geahndet.


Garden tun einen Schritt.
DIE WOIWODEN
schon ganz nahe der Tür, schütteln ihre Fäuste.
Wir sprechen uns noch!
JULIAN.
Dazu, Ihr Herrn, sind Könige von Gott gesetzt, daß sie Unordnung in Ordnung überführen.

Die Woiwoden werden hinausgedrängt.
Wache an beiden Türen tritt ab.
Anton rückt für Sigismund einen Armstuhl heran, dann für Julian.
Arzt tritt in den Hintergrund.
JULIAN
tritt vor Sigismund, indem er sein Knie beugt, dann sich gleich aufrichtet.

O du mein König! O du mein Sohn! – denn von mir bist du, deinem Bildner, nicht von dem, der den Klumpen Erde dazu hergegeben hat, noch von ihr, die dich unter Heulen geboren hat, ehe sie dahinfuhr! Ich habe dich geformt für diese Stunde! Jetzt laß mich nicht in Stich! – Ich verstehe deinen Blick. Deine Seele hat leiden müssen um sich zu erheben – und alles andere war eitel.

SIGISMUND.

Du hast mich es fassen gelehrt. Eitel ist alles außer der Rede zwischen Geist und Geist. – Aber ich nun, dein Gezeugter, bin über dem Zeugenden. Wenn ich jetzt einsam liege, so geht mein Geist, wohin deiner nicht dringt.

JULIAN.
Ja? Erfüllt dich Ahnung? Herrliche Ahnung deiner Selbst? Gewaltige Zukunft?
SIGISMUND.
Zukunft und Gegenwart zugleich.
JULIAN.

Gepriesener, den kein Königsmantel erhöhen kann. Ich habe dich hinausgeführt aus deinem Turm, angetan mit fürstlichen Gewändern, aber was war das gegen die Ausfahrt, die ich dir jetzt bereitet habe!

SIGISMUND
lächelnd.
Richtig! Denn jetzt laufe ich nimmer Gefahr, daß der Wahn als ein Wahn sich ausweist.
JULIAN.
Du sprichst es aus, mein König. Denn diesmal bist du gesichert.
SIGISMUND.
Ja, das bin ich, Herr und König auf immer in diesem festen Turm.

Er schlägt sich auf die Brust.
JULIAN.
Jetzt sind wir die Weissager und die Wahrmacher zugleich.
SIGISMUND.
Das sind wir. Heil uns, daß wir gewitzigt sind!

Er setzt sich.
JULIAN.
Taten tun, das ist nunmehr uns vorbehalten.
SIGISMUND.
Das ist uns vorbehalten.
JULIAN.

Und jetzt sitz auf und reite mit mir dahin, wo du die Legionen der Deinigen so siehst, wie der Mond am Jüngsten Tag die Auferstandenen sehen wird, und sein Auge wird nicht groß genug sein, die Menge zu fassen. – Höre mich! Verstehe mich! Mein Tun, verborgen vor dir, war Verwirklichung; ein Plan, ein riesenhafter, unter dem allem. Noch auf der Kuhhaut war ich der Stärkere als alle zusammen Hörst du mich? Diese prahlerischen Großen waren die Fanghunde. Jetzt, da der Hirsch liegt, peitscht man sie weg. Ungeheurer Aufruhr, von ihnen nicht geahnt, schüttelt diese Nacht seinen Rachen über dem ganzen Land, wie der Bär, der auf das Dach eines Schafstalles geklettert ist. Ich habe durchgegriffen bis ans Ende, die Erde selber habe ich wachgekitzelt und was in ihr wohnt, dem Bauer, dem Kloß aus Erde, dem fürchterlich starken – ich habe ihm Atem eingeblasen –, aus Schweinsschnauze und Wolfsrachen stößt er deinen Namen hervor und erwürgt mit erdigen Händen die Büttel und Schergen, die sich ihm entgegenstellen. – Ich habe in deinem Namen die Schlachta aufgeboten – ihrer zehntausend von gemeinem Adel reiten und nehmen dich in ihre Mitte, fünfzigtausend Bauern sind auf und haben die Sensen umgenagelt zu Spießen.


Öffnet die Balkontür, Brandröte am Himmel.
ANTON.

Jetzt läuten sie Sturm von allen Kirchen in der Vorstadt, und der Wind bringt einen starken Brandgeruch mit. Auch grob schießen hört man. Was wäre denn jetzt das?


Ein Diener mit einem Reitgewand überm Arm ist von links eingetreten und wartet.
JULIAN.

Der lebendige Beweis meines Tuns – Das ist mein Geschütz, und die es bedienen, sind die Meinigen. Die Bergwerke haben ihr lebendiges Eingeweide hergegeben, mit angebrannten Pfählen gehen nackende Leute gegen ein Karree von Musketieren an – der Jüngste Tag ist da für alle, die die Zeichen der Zeit nicht verstanden haben. – Jetzt stehen die großen Herrn auf den Balkonen ihrer Paläste und pissen vor Angst. – Hörst du schreien? Es gibt niemanden, der diese Nacht nicht marschiert und deinen Namen schreit. – Aber ich halte sie dir zusammen: ich bändige die Gewalt mit der Gewalt, den Soldaten mit dem Bauer, das flache Land mit den festen Städten, die großen Herrn mit dem adeligen Aufgebot, das Aufgebot mit den Schweizer Regimentern, die ich auf dich vereidigt habe, und das Heft wird in deiner Hand bleiben. Nimm dort, mein König! Zieh an! Wir reiten. Was siehst du mich so an?

SIGISMUND.
Ich verstehe was du willst, aber ich will nicht.
JULIAN.
Du willst nicht? Versteht nicht. Ei doch! Vorwärts. Das Gewand her! Den Gürtel!
SIGISMUND.

Ich stehe fest, und du bringst mich nicht von der Stelle. Ich habe mit deinen Anstalten nichts zu schaffen.


Arzt tritt zu Sigismund.
JULIAN.
Mein König! Jetzt versag mir nicht, denn jetzt oder nie ist deine Stunde gekommen.
SIGISMUND.

Was weißt du von mir? Hast du Zugang zu mir? Der ich unzugänglich bin, wie mit tausend Trabanten verwahrt.

JULIAN.

Zieh dich erst an! Schnall nur den Degen um! Pferde sind bereit! Jetzt müssen sie dich sehen. Dann steh ich fürs Ende.

SIGISMUND.
Leb wohl, Julian.

Wendet sich.
JULIAN.
Mein König! Was tust du mir jetzt an?
SIGISMUND.

Du hast mich ins Stroh gelegt wie einen Apfel, und ich bin reif geworden, und jetzt weiß ich meinen Platz. Aber der ist nicht dort, wohin du mich haben willst.


Sie sehen einander in die Augen.
ARZT.
Bedenken Euer Exzellenz, welch einen Tag der König hinter sich hat.
SIGISMUND.

Nein, mein Freund. Sondern ich will nicht. Wenn ich aber sagen werde: ich will, dann sollst du sehen, wie herrlich ich aus diesem Haus hinausgehe.

ANTON
leise zu Julian.
Lassen der Herr. Er ist tiefsinnig geworden über dem, was man ihm angetan hat.

Die Tür rechts öffnet sich ein wenig. Simon schiebt sich herein.
ARZT.
Es ist hier unter diesem Saal ein Schlafgemach bereitet. Ich mit den Dienern werde wachen.
JULIAN
bemerkt Simon, tritt auf ihn zu.
Wie kommst du herein? Wie hat dich die Wache durchgelassen?
SIMON.
Wache ist nicht da. Kein Mensch im Vorsaal. Kein Mensch auf den Stiegen.
SIGISMUND.

Ich werde schlafen. Morgen wird viel geschehen, und da werde ich nicht beiseite bleiben dürfen. Leb wohl, Julian.


Er geht, Anton geht ihm voran, öffnet die Tür rückwärts; Arzt folgt ihm.
JULIAN.
Du kommst von drüben aus der Vorstadt?
SIMON.
Hinüber bin ich leicht gekommen, herüber war es schon schwer.
JULIAN.
Ich sehe einen starken Feuerschein. Aber das Schießen hat aufgehört.
SIMON.

Der was hat, hat sich in ein Mausloch verkrochen. Das Gesindel tanzt und springt. Auf wen sollen sie schießen?

JULIAN.
Die Schweizer halten die Brücke von der Vorstadt herüber?
SIMON.
Die Schweizer sind abgezogen.
JULIAN.
Abgezogen?
SIMON.
Auf Befehl des Staatsrats, heißt es.
JULIAN
ruft.
Jerzy!
REITKNECHT
tritt rechts ein mit Julians Hut und Degen.
JULIAN
zum Reitknecht.
Meine Pferde sind unten bei der Schloßwache?
REITKNECHT.
Die Pferde sind unten – aber Wache ist keine mehr da. Alles abgezogen in der Stille.
JULIAN.
Die Schloßwache abgezogen?
SIMON.

Das ist es eben. Sie haben die Losung verändert. Es ist überhaupt alles anders. – Vom neuen Herrn König ist keine Sprach. Von Euer Exzellenz ist keine Sprach. Der ohne Namen hat jetzt drüben alles in der Hand.

JULIAN.
Der ohne Namen heißt Olivier und handelt auf meinen Befehl.

Reitknecht tritt näher.
SIMON.

Sehr wohl. Der hat jetzt alles in der Hand. Die Geschütze und die Leut. Aber es schaut nicht aus, als ob der Befehl annehmen tät.

REITKNECHT.

Euer Exzellenz haben einen Offizier zu ihm geschickt: er soll aufhören mit Schießen und Brennen. Das hat der ihm vorgehalten. Hat er geantwortet: er fängt jetzt erst an. Und was das betrifft, daß er herüberkommen soll und sich hier melden, so wird er schon kommen, aber mit zwanzigtausend hinter ihm. Darauf ohne weiteres den Offizier vom Pferd heruntergeschossen. Der Reitbursch ist ausgekommen und hats gemeldet.

JULIAN.
Vor Morgengrauen ist das adelige Aufgebot in ihrem Rücken. Wo halten die Geschwader? Weiß man das?
SIMON.
Die Herrn sind alle in die großen Wälder- da drüben. Aber sie gehen nicht heraus.
JULIAN.
Wie? Sie gehen nicht heraus?
SIMON.

Ihre Füße sind in der Luft. – Die rebellischen Bauern sind über sie und haben sie alle in die Bäum hineingehängt.

JULIAN.
Ich habe die Hölle losgelassen, und jetzt ist die Hölle los. So muß ich ihr ins Gesicht schauen.

Schnallt den Degen um, setzt den Hut auf und geht schnell ab. Reitknecht folgt ihm, Simon schleicht sich hinaus.
Vorhang.

5. Akt

Fünfter Akt

Ein Vorsaal im Schloß, rechts ein eisernes Gitter, mit einer Tür darin gegen einen äußeren Vorraum. Links zwei Türen. Es ist Nacht, nahe am Morgen. An der linken Wand, unweit der hinteren Tür, ist ein niedriges Nachtlager.

ANTON
angekleidet, kauert auf dem Lager; erhebt sich dann, geht ans Gitter, spät hindurch.

Herr Offizier! – Sind Sie da? Niemand da? Gar niemand da? Holt sich ein Feuerzeug, zündet ein Licht an, leuchtet durchs Gitter. Wo sind die Garden? Wo ist der Posten? Herr Doktor! Mir ist entrisch! Geht an die vordere Tür links. Hören mich der Herr Doktor?

ARZT
tritt heraus.
Was ist, Anton?
ANTON.
Kein Wachtposten mehr da – niemand. Was ist denn das, Herr Doktor?
ARZT.
Schläft der König?

Horcht an der rückwärtigen Tür.
ANTON
im Hintergrund am Fenster.
Unten laufen welche mit Laternen. Sie bringen wen! Sehr entrisch ist mir.
JULIANS REITKNECHT
erscheint am Gitter.
Unglück! Der Herr ist hin!
ARZT
läuft zu ihm.
Ruhig, nicht schreien – der König schläft.
REITKNECHT.
Heruntergeschossen vom Pferd. Gestochen auf den Liegenden mit Piken. Sie bringen ihn.
ANTON.
Wer bringt ihn?
REITKNECHT.
Unsrige. Aber Unsrige nicht allein. Auch solche Bloßköpfige, Bloßfüßige.

Sigismund tritt leise aus seiner Tür, sie bemerken ihn nicht.
ANTON.
Jetzt gehts ans Leben. Jesus Maria und Josef!

Arzt ab durch die Tür im Gitter mit dem Reitknecht.
SIGISMUND.
Was beißt sich der Anton in die Fäust?
ANTON.
Verstecken sich! Sie schießen auf alles was herrisch ist.
SIGISMUND
tritt ruhig ans Fenster, sieht hinab.
ANTON
trippelt vor Angst.
Wenn das alles nicht so schnell ging'! Zwanzig Jahr ist alles recht langsam gegangen!

Menschen nähern sich rechts außerhalb des Gitters. Fackelschein.
ANTON.

Jetzt kommts: die Hand an die Gurgel, das Knie auf die Brust! – Wie bin ich denn in das vermaledeite Land hineingekommen? Ich kann mich auf gar nichts mehr besinnen!

STIMMEN
sehr nahe.
Sigismund! Sigismund!
ANTON.

Jetzt brüllen die Höllenteufel Ihren Namen! Verstecken sich doch um alles in der Welt, verstecken sich drin!

SIGISMUND.

Hier bin ich. Geh ihnen entgegen, weise auf mich und schrei laut: Hier steht er, den ihr sucht. Dann werden sie dir nichts tun.


Der Arzt, der Reitknecht und Anton bringen Julian getragen. Er hat die Augen geschlossen und sieht aus wie ein Toter. Zugleich betreten den Raum Aufrührer, teils bewaffnet, teils unbewaffnet. Darunter sind etliche mit strengen Gesichtern und langem Haar, die Fackeln in den Händen tragen; etliche halbnackt und noch mit abgerissenen Ketten an den Füßen und Eisen um den Hals. Die meisten von ihnen bleiben außerhalb und sehen durch das Eisengitter herein. Man legt Julian auf das niedrige Bett, von dem früher Anton aufgestanden ist.
DER VORDERE.

Sehet her, nackigte Brüder! erstgeborene Söhne Adams! Sehet: der Königssohn unter der Erde, mit Ketten geschmiedet an das fließende Gewölb! Dieser ist es!

EIN STELZBEINIGER
drängt sich vor.
Dieser ist der Armeleute-König, und sie werden vor ihm das Schwert und die Waage tragen.

Sigismund sieht, ohne sich zu regen, auf Julian.
ANTON
leise zum Arzt.
Muß unser Herr sterben?
EINER.
Sprich zu uns!
EIN ANDERER.
Rufet ihn bei seinem Namen!
EIN DRITTER.
Die ihn beim Namen genannt haben, denen ist die Zunge stumm geworden.
JULIAN
schlägt die Augen auf, erhebt den Oberleib und blickt um sich.

Zwei mit Fackeln stehen nahe seinem Bette. Wo bin ich? Er sieht im Kreise um sich, mühsam. Du – Gesicht einer Ratte! Du Schweinsstirn mit nach oben schielenden Augen! Du Schnauze eines Hundes! Klumpen ihr, wandelnde! Beim Licht dieser Fackel, ich will über euch lachen, ohne daß ihr mich kitzelt! Er hebt sich ganz auf. Tut eure Spieße fort! Sie geben Raum. Ha, du Nichts mit tausend Köpfen, steh unter meinem Blick. – Solange ich dich mit den Augen bändige, werde ich das Gefühl meines Selbst nicht entbehren!

EINER MIT EINER FACKEL.

Die Herde hat keinen Hirten. Die aber Stäbe und Schwerter in den Händen haben, sind Teufel. An denen vollziehen wir das Gericht. So bist du gerichtet.

JULIAN.
Du hast mich gerichtet? Du Kehricht, das ich allein zusammengekehrt habe!
SIGISMUND
tritt einen Schritt näher zu Julian.

Mein Lehrer, warum sprichst du zu ihnen? Was zu sagen der Mühe wert wäre, dazu ist die Zunge zu dick.

JULIAN
wendet sich ihm zu.
Bist du auch da, mein Geschöpf? – Er ist, wie er dasteht, mein Werk und erbärmlich.
DER MIT DER FACKEL.

Wir sind die Lichtträger, die Wiedertäufer im Feuer. Du bist unser Licht, und jetzt werden wir den Fürsten der Finsternis mit unsern bloßen Händen erwürgen.

EINER IN LUMPEN.
Wir sind bei dir! uns sprich zu, du unser König!
SIGISMUND
näher bei Julian.
Mein Lehrer, ich bin bei dir.
JULIAN.

Kehre dich ab von mir, du Kloß aus Lehm, dem ich das unrechte Wort unter die Zunge gelegt habe. Ich will dich nicht sehen.

SIGISMUND.

Du hast mir das rechte Wort unter die Zunge gelegt, das Wort des Trostes in der Öde dieses Lebens – und ich gebe es dir zurück in dieser Stunde.

JULIAN
legt sich wieder; er schließt die Augen.
SIGISMUND.

Ich lächle dir zu in deine Einsamkeit. – Dein Gebet ist nicht ohne Kraft, wenn du auch die Fäuste ballst, anstatt die Hände zu falten.

JULIAN
öffnet die Augen und schließt sie wieder.
Ich habe das Unterste nach oben gebracht. Aber es hat nichts gefruchtet.
SIGISMUND.

Du quälst dich, daß eine Ader in dir aufgehe, von der du trinken könntest. In mir aber fließt es ohne Stocken, und das ist dein Werk.

JULIAN
öffnet noch einmal die Augen, als wolle er reden, schließt sie dann und sinkt hin mit dem einen Wort.
Nichts!
SIGISMUND
blickt ihn an.
Er ist tot.
DEK MIT DER FACKEL.
Achte nicht auf den Toten; denn du wirst ewig bei uns bleiben.
EIN GREIS
drängt sich vor.

Sehet ihn an, unseren König, wie er dasteht. Wie im lebendigen Flußwasser gebadet, so glänzt er von oben bis unten.

EINER.
Sprich zu uns!
EIN ANDERER.
Weckt ihn nicht auf. Wenn er schreien wollte, würde uns allen die Seele bersten wie ein Sack.
EIN FAST NACKENDER
mit einer Kette am Fuß.

Wir kennen dich wohl. Du bist an uns vorbeigeführt worden, du Lamm Gottes, und jeden einzelnen von uns hast du gegrüßt mit deinen ersterbenden Augen!


Er bückt sich und küßt Sigismunds Kleid.
EIN ANDERER.
Bleibe bei uns! harre aus bei uns!
SIGISMUND
halblaut, wie für sich.
Ja, ich werde mit euch hinausgehen.
EINER.
Er spricht zu uns. Er sagt, er wird mit uns hinausgehen.
EIN ANDERER
niederknieend.
Daß wir nicht sterben, o Herr!
EINER.
Machet eine Gasse, damit alle, die draußen stehen, ihn sehen können.
SIGISMUND.
Ich spüre ein weites offenes Land. Es riecht nach Erde und Salz. Dort werde ich hingehen.
EINER.

Wir wollen einen Wagen rüsten und zwölf Paar Ochsen vorspannen. Auf dem sollst du vor uns herfahren, und eine Glocke soll läuten auf deinem Wagen, als wärest du eine Kirche auf Rädern.

STIMMEN
drinnen und draußen.
Bleib bei uns! harre aus bei uns!
EINER VON DEN NACKENDEN
mit einem Eisen um den Hals.

Wir sind unbekleidet – aber dürfen wir bekleiden? Will unser König gestatten, daß wir ihn bekleiden mit einem goldenen Gewand?

EIN ANDERER.
Wir haben es genommen vom Altar weg und wollen es mit Ehrerbietung dir umhängen.
SIGISMUND
betrachtet die Nackenden.

Das sind unverzierte Menschen. Wir wollen im Freien miteinander wohnen, die in Häusern wohnen gefallen mir nicht.

DER EINE MIT DER FACKEL.

Darum werden wir von den Kirchen keinen Stein auf dem andern lassen: denn Gott versteckt sich nicht in einem Haus.

EINIGE.
Laß uns dich aufheben und hinaustragen, damit alle dich sehen.
ANDERE
weiter hinten.
Herr, schütze uns! Harre aus bei uns! Sie seufzen.

Ein scharfer Trommelwirbel außen, ziemlich nahe.
Sigismund erschrickt.
DER MIT DER FACKEL.
Fürchte dich nicht, denn du bist eine Fackel, und niemand kann dich auslöschen.
SIGISMUND.
Wer ist das, der jetzt zu mir hereinwill? Ich höre seinen Schritt auf der Treppe.
EIN ANDERER VON DEN FACKELTRÄGERN.
Die Haare auf deinem Haupt sind gezählt, und es ist keiner, der gegen dich die Hand erhöbe.
SIGISMUND
sehr angstvoll.
Wer sind denn aber die, die jetzt hereintreten?
DER EINE NACKENDE.

Das sind die ohne Namen, die bis nun über uns den Befehl geführt haben. Dich aber setzen wir über sie. So komm auf unsere Schultern und sprich zu ihnen von oben.

SIGISMUND.
Nein, jetzt tritt einer herein, dem muß ich mich stellen.

Ein kurzer Trommelwirbel außen.
Olivier tritt herein, ganz in Eisen und Leder, Pistolen im Gürtel, einen Sturmhelm auf, eine kurze eiserne Keule in der Hand. Hinter ihm Jeronim, der Schreiber, und der Lette Indrik, diese auch mit kurzen Piken bewaffnet.
Das Volk gibt Raum.
Olivier tritt auf Sigismund zu, betrachtet ihn.
EINER.
Das ist der Erwählte! Er soll auf einem Glockenwagen vor uns fahren.
EIN ANDERER.
Alles, was geschehen ist, ist um seinetwillen geschehen.
EIN DRITTER.

Vor seinen Füßen werden sich alle küssen, und der Wolf wird das Lamm umarmen. Darum muß er auf einem Wagen vor uns herfahren.

OLIVIER.

Gut. Es wird so angeordnet werden. Er gewahrt den toten Julian, tritt hin, das Volk gibt Raum. Ich kenne ihn. Er war dein Kerkermeister. Er hat dich gehalten, ärger wie einen Hund, und jetzt ist ihm vergolten.

SIGISMUND.

Du bist irre. Er hat mich nicht gehalten wie ihm befohlen war, sondern er hat mich gehalten, wie er ausgesonnen hatte in der Erfüllung seines geistigen Werkes.

OLIVIER.
Schafft den toten Jesuiten hinaus.
SIGISMUND.
Nein, tragt ihn da hinein und leget ihn auf mein Bette.

Einige heben Julian auf und tragen ihn ins Nebenzimmer.
DER MIT DER FACKEL
zu Sigismund tretend.
Wir sind immer bei dir! Wir bleiben rings um dies Haus und achten auf deinen Ruf.
OLIVIER.
Vorwärts, gebt Luft hier.
EIN ZWEITER MIT EINER FACKEL
gegen Olivier gewendet.
Wir kennen keine Obrigkeit! Wollt ihr ohne Namen euch aufwerfen – so wird man euch richten.
OLIVIER.

Irrtum! Es ist keine Obrigkeit – aber es sind die, denen ihr auferlegt habt, zu sorgen, daß getan werde, was getan werden muß. – Lasset mich jetzt allein mit diesem Menschen.


Aron, Jeronim und Indrik halten ihre Piken quer und drängen das Volk aus dem Saal. Trommelwirbel draußen. Das Volk weicht lautlos zurück, alle mit den Augen auf Sigismund.
SIGISMUND
deutet auf Anton.
Der soll bei mir bleiben. Anton, mich dürstet. Bring mir zu trinken, Anton.

Arzt weicht als einer der letzten aus dem Zimmer, aber nicht mit den übrigen, sondern allein zur Tür rechts vorn.
Anton stellt einen Kerzenleuchter auf den Tisch.
OLIVIER
halblaut zu seinen drei Begleitern.

Ihr bleibt in Rufweite, meine Adjutanten, alle drei. Zu Aron noch leiser. Diese Brandstifter mit den Fackeln absondern im Hof. Mit verläßlichen Leuten umgeben, ohne Aufsehen.

ARON, JERONIM UND INDRIK treten ab.

OLIVIER.
Ich habe mit dir zu reden, und du wirst mir Antwort geben.
SIGISMUND
sieht ihn an, sieht wieder weg.
OLIVIER.
Weißt du, vor wem du stehst?
SIGISMUND
schweigt.
OLIVIER.

Wir sind deine Helfer. Wir haben dich unter dem Beil hervorgerissen, als es schon durch die Luft sauste.

SIGISMUND.

Ja, sie hatten meinen Kopf schon anderswo hingelegt. Dadurch, wie wenn einer einen eisernen Finger unter den Türangel steckt, haben sie vor mir eine Tür ausgehoben, und ich bin hinter eine Wand getreten, von wo ich alles höre, was ihr redet, aber ihr könnt nicht zu mir, und ich bin sicher vor euren Händen. Er setzt sich. Anton, schau hinaus, wo sind denn jetzt die, mit denen ich Freundschaft geschlossen habe? Ist der Doktor auch bei ihnen?

ANTON.
Achten lieber auf den Herrn da, der hat jetzt viel zu sagen.
OLIVIER.

Sigismund! Es ist an dem, daß du entschädigt wirst für das was du ausgestanden hast. Du sollst ein großes Amt bekommen.

ANTON
leise.
Bedanken sich!
OLIVIER.

Du wirst, wenn wir jetzt marschieren, auf einem Wagen fahren, und sie werden zu Tausenden herbeikommen und Heil rufen über dir, daß du deinen Vater vom Thron gejagt hast. Auf diese Weise wird das sprachlose Volk von uns durch eine Bilderschrift unterrichtet werden, und die Herren werden kopfunter in die Erde fahren. Dir aber wird wohl sein, statt aus einem irdenen Krug wirst du aus silbernen Humpen saufen, und Weiber werden dich in die Badstube führen und dir zu Diensten sein.

SIGISMUND
zu Anton.
Alle, die mir freund sind, sollen beisammen bleiben und mich abholen.
ANTON.
Achten auf den Herrn, der vermag viel!
OLIVIER.

Gibst du mir keine Antwort? Du hast es hinter den Ohren, Sohn des Basilius. Du witterst: jetzt muß Macht geübt werden, also willst du Macht und nicht Schein. Recht hast du! Die Klugen werden wir zu uns ziehen, auf den Dummen aber werden wir reiten. Also komm, und man wird sehen, wozu du verwendbar bist unter denen, die anordnen.

SIGISMUND
mit Verachtung.
Wer ist das, der dir Macht gegeben hat, daß du sie unter andere austeilst?
OLIVIER.

Siehst du dieses eiserne Ding da in meiner Hand? So wie dies in meiner Hand ist und schlägt, so bin ich selbst in der Hand der Fatalität. Das, was jetzt vor dir steht, das hast du noch nicht gekannt. Was du bis jetzt gekannt hast, waren jesuitische Praktiken und Hokuspokus. Was aber jetzt dasteht, das ist die Wirklichkeit.

SIGISMUND.

Ich verstehe dich gut. Ich weiß, das Jetzt und Hier legt viele an die Kette. Aber mich nicht, denn ich bin da und nicht da. Also hast du mir nicht zu gebieten.

OLIVIER.
Dazu habe ich dich und deinesgleichen, damit ich euch auferlege, wozu ich euch brauchen will.
SIGISMUND.

Du hast mich nicht. Denn ich bin für mich. Du siehst mich nicht einmal: denn du vermagst nicht zu schauen, weil deine Augen vermauert sind mit dem was nicht ist.

OLIVIER.
Das ist alles was du mir zu erwidern hast? Epileptische Kreatur, siehst du nicht, wer vor dir steht?
SIGISMUND.

Ich sehe, du hast einen Stiernacken und die Augen eines Hundes. Also taugst du gut zu dem Geschäft, das dir aufgegeben ist.

OLIVIER.
Das ist alles?

Anton faltet in Angst die Hände.
SIGISMUND.
Solche, wie du bist, habe ich in meinem Kofen schon immer um mich sitzen gehabt.

Er steht auf, kehrt Olivier den Rücken und geht langsam bei der Tür links rückwärts hinaus, Anton folgt ihm.
OLIVIER
schüttelt den Kopf dreimal mit furchtbarer Drohung.
Es ist genug. Es ist genug. Es ist genug. – Herein, meine Adjutanten, alle drei!
ARON, JERONIM UND INDRIK treten ein.
OLIVIER.
Der Basilius ist abgetan?
JERONIM.

Abgetan. Mit dem Glockenschlag sieben. An einer Kellerwand, einen Sack übern Kopf, und gleich dort vergraben.

OLIVIER.

Allmählich die Höfe räumen. Er sieht auf seine Taschenuhr. Um neun Uhr haben sie geräumt zu sein. Die äußeren Tore bleiben angelehnt, Geschütz dahinter, mit Kartätschen geladen. – Bis dahin aber – Er tritt ans Fenster. drei ausgewählte Scharfschützen dort drüben. Sie sollen die Fenster hier im Auge haben. Dies sofort.

JERONIM
ab.
OLIVIER.
Schaut dort hinein. Was seht ihr?
ARON
leise.
Den Sigismund, den Basiliussohn. Er steht beim Bett und bückt sich über den, der darin liegt.
OLIVIER.
Prägt euch sein Gesicht ein. Notiert euch im Kopf die Maße, wie er gebaut ist, die Haarfarbe, alles.
ARON.

Auf dem flachen Land geht sein Bild um, ein schlechter Kupferstich, und sie zünden Kerzen davor an wie vor einem Heiligenbild.

OLIVIER.

Ebendarum. Ich brauche einen Kerl, ähnlich ihm zum Verwechseln und der mir pariert wie der Handschuh an meiner Hand.

ARON.
Was brauchst du noch eine Konterfei, wenn du ihn selber hast?
OLIVIER.

Er selber ist nicht verwendbar. – Wir gehen. Den drei Scharfschützen werde ich persönlich Instruktion geben, Geht.


Aron und Indrik treten ab.
Arzt öffnet leise die kleine Tür links vorne, kommt schnell herein.
OLIVIER
sieht ihn, richtet seine Pistole auf ihn.
Wer da?
ARZT
hebt die Hände.
Gebe der Herr mir eine Minute Gehör! Ich bin der Arzt des Königs.
OLIVIER.

Der Mensch Sigismund ist bis jetzt nicht krank. Meint Ihr, er bedarf demnächst eines Arztes? Seid Ihr ein Wahrsager? – Ich weiß von Euch. An anderer Stelle wird man Verwendung für Euch haben. Meldet Euch beim Stadtkommando. Saget, ich habe Euch geschickt.

ARZT.

Ich bin hier an meinem Platz. Ich habe alles gehört, was Sie geredet haben. Faltet die Hände. Ahnen Sie, wen Sie töten wollen! Herr! Herr!

OLIVIER.

Gebärdet Euch nicht. Die Pfaffen- und Komödiantensprache ist abgeschafft. Es ist ein nüchterner Tag über der Welt angebrochen.

ARZT.

Ahnt Ihnen nicht, vor wem Sie gestanden sind? Ist Ihnen kein Organ gegeben für die Hoheit dieses Wesens?

OLIVIER.
Der Mensch da ist soeben vor seinem Richter gestanden. Das ist die nüchterne Tatsache.
ARZT.
Wer ist der Richter über die Reinheit? Wo hat die Unschuld ihren Richter?
OLIVIER.

Ich habe gemeint, der Herr ist ein Doktor, aber ich sehe, er ist ein Pfaff. Die Begriffe, mit denen der Herr operiert, sind abgetan und liegen auf dem Schindanger. – Du stehst hier – Basilius und der Jesuit da drinnen, der Volksbetrüger, die haben dich gemacht, der eine leiblich, der andere geistig – so bist du schuldig, das ist dir eingezeichnet von der Fatalität, und am Leibe wirst du gestraft werden, denn wir haben nichts, dich zu fassen, als den Leib. Das ist unsere Gerichtsordnung.

ARZT.
Erblicket die ganze Welt: sie kennt nichts Höheres, als in diesem Wesen uns entgegentritt.
OLIVIER.
Ich sehe auf die Welt, die dergleichen hervorbringt, wie auf eine Possenreißerbude.
ARZT.
Und die Menschen spüren es! Weit und breit, es bringt sie auf die Knie!
OLIVIER.
Eben alle diese kriechenden Angelegenheiten werden beseitigt werden.
ARZT.

Die Welt wird nicht vom Eisen regiert, sondern von dem Geist, der in ihm ist. Er ist ein gewaltiger Mensch. Hütet Euch!

OLIVIER.

Jetzt habt Ihr sein Urteil ausgesprochen. Darum muß er kassiert, annulliert, ausgelöscht werden. Dazu stehe ich hier. – Denn ich und einige, wir haben uns aufgeopfert und nehmen dem Volk die Last des Regimentes ab, damit es nicht schwindlich werde.

ARZT.
Dazu bist du hier eingetreten?

Er fällt vor ihm nieder.
OLIVIER.

Jawohl! man sollte nach Recht vor uns liegen, für das, was wir auf uns genommen haben, aber wir verschmähen es, und auch mit unseren Namen soll kein Götzendienst getrieben werden, darum halten wir sie geheim. – Lasset mich los, Herr, oder ich mache mich anders frei. Er stößt den Arzt weg und geht hinaus.


Arzt richtet sich auf. Es ist allmählich Tag geworden.
SIGISMUND
tritt aus seiner Tür.

Ist der Mensch fort? Den habe ich schon an einem anderen Ort gesehen, aber jetzt habe ich ihn zum letztenmal gesehen.

ANTON
ist hinter Sigismund eingetreten.
Sollen wir fort? Hinunter? Soll ich Leut rufen? Zeichen machen?
SIGISMUND
bleibt stehen und blickt auf die Wand neben der Tür zu seinem Zimmer, die vom Widerschein der Morgensonne schwach erhellt wird.

Der Bauer hatte ein Schwein geschlachtet, das war aufgehangen neben meiner Kammertür, und die Morgensonne fiel ins Innere, das war dunkel; denn die Seele war abgerufen und anderswo geflogen. Es sind alles freudige Zeichen, aber inwiefern, das kann ich euch nicht erklären. Er setzt sich.

STIMMEN
von außen.
Sigismund!
ANTON
am Fenster.

Jetzt kommen ihrer viele in den Hof herein. Sie schauen herauf. Er hat das Fenster geöffnet, tritt jetzt zurück.

SIGISMUND
sitzend.
Nicht wahr, sie werden mich abholen? Dann werde ich vorwärts gehen und mich nicht mehr umblicken.
STIMMEN
außen.
Sigismund! Bleibe bei uns! Harre aus bei uns, verlasse uns nicht!
SIGISMUND.
Ich bin allein und sehne mich verbunden zu sein.

Er steht auf.
STIMMEN.
Sigismund! Verlasse uns nicht!
ANTON.
Recht komödiantisch gebärden sich die. Das sind keine ehrlichen Leut.
SIGISMUND.
Ich will zum Fenster und mit meinen Gefreundeten reden, sie rufen mich.

Er geht langsam gegen das Fenster.
ANTON
ängstlich.
Gehen lieber nicht zum Fenster!
ARZT
vor sich.

Eine Wendung, alldurchdringender Gott! – Oder laß mir die Herzader brechen und im Zusammenstürzen mich den Himmel sehen, darin ich mit diesem sein werde!

STIMMEN.
Komme zu uns, Sigismund!

Sigismund tritt ans offene Fenster. Von draußen fällt ein Schuß. Arzt und Anton sehen, daß Sigismund getroffen ist, fangen ihn in ihren Armen auf und bringen ihn ins Innere des Zimmers, wo sie ihn auf einen Stuhl niederlassen.
ANTON
beißt sich in die Faust.
Von unten geschossen! Herr Doktor! Solche Mörder! So niederzüchtige Mordbuben!
SIGISMUND
schlägt die Augen auf.
Still, Anton, ich werde gleich sterben.
ANTON.
Solange Leben ist, ist Hoffnung. Das hab ich oft gehört. Sagen doch etwas, Herr Doktor!

Arzt hält Sigismunds Puls.
SIGISMUND.
Mir ist viel zu wohl zum Hoffen.

Er schweigt.
ANTON.
Uns haben der Herr König nichts zu sagen?
SIGISMUND
sieht den Arzt an.
Gebet Zeugnis, ich war da, wenngleich mich niemand gekannt hat.

Arzt und Anton knien nieder.
Sigismund fällt zurück, tut einen tiefen Atemzug und ist tot.
Vorhang.

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TextGrid Repository (2012). Hofmannsthal, Hugo von. Dramen. Der Turm (Neue Fassung). Der Turm (Neue Fassung). Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-7763-7