Henry von Heiseler
Peter und Alexéj
Tragödie

[Motto]

Die Gestalten, die zwischen dir und dem Feuer sind, erscheinen dir dunkel.

Leonardo da Vinci

Personen

[322] Dramatis Personae.

    • Peter.

    • Katharina.

    • Alexéj. 1

    • Awdótja, verstoßene Gemahlin des Zaren, Mutter des Alexéj.

    • Afróssja, die Geliebte des Alexéj.

    • Costa, der Narr.

    • Oberst Gordon.

    • Tolstoí.

    • Ménschikof.

    • Stepán Glébof,
    • Kíkin,
    • Dolgorúki,
    • Abrám, Bruder der Awdótja,
    • 1. Bojar,
    • 2. Bojar,
    • 3. Bojar, , Verschwörer.

    • Der Alte, Stimmführer der Deputation.

    • Sechs alte Männer, Deputierte.

    • Der Kammerdiener des Zaren.

    • Iwánuschka, sein Sohn.

    • Mons, Kammerherr.

    • Iwán Afanássjitsch, Kammerdiener des Alexéj.

    • Vater Warlaám (stumme Person).

    • Ein Arzt (stumme Person).

    • Ein Offizier.

    • Ein Soldat.

    • 1. Diener.

    • 2. Diener.

    • 3. Diener.

    • Bojaren, Soldaten, Edelleute, Hofdamen, Diener.

Fußnoten

Note: Note:

1. Akt

Erster Akt

Moskau. Das Zimmer des Alexéj.
Afróssja in einfacher Nationaltracht – nur Hemd und Rock, durchaus nicht bunt – sitzt auf dem Schreibtisch links. Ihr glattes blondes Haar ist in zwei Zöpfe geflochten, die sie nach vorn über die Schultern herabhängen läßt. Iwán Afanássjitsch, der Kammerdiener des Prinzen, räumt auf. Russische Bauerntracht. Costa der Narr sitzt in einem Sessel dem Mädchen gegenüber – seine Kleidung ist bürgerlich, Rock, Weste, Kniehosen, Strümpfe, Schnallenschuhe, auf dem Kopf die Narrenhaube mit lang niederhängendem Zipfel.

COSTA.
Das ist der Streit von Flut und Feuer, Kind.
Du fragst, wer stärker ist? dies zeigt sich so
Wie's eben kommt. Den Tropfen frißt die Flamme,
Der Regen löscht den Herd.
AFANÁSSJITSCH.
Was schwatzest du!
Den Zaren meinst du, wenn ich dich verstand,
Und meinen Herrn, den Prinzen.
COSTA.
Ei, wen sonst?
Was auch begreifst du nicht? der Vater ist
Ganz Flamme, siehst du, denn er hat den Schweden
Gebrannt und den Bojaren, die sich sträubten,
Die Bärte abgesengt: so große Flamme
Löscht kein so stilles Wasser. Du Afróssja,
Ich sprech im Ernst, was träumst du da ...
AFRÓSSJA.
Nun, Spaß ...
COSTA.
Was sagst du? welch ein Spaß?
AFRÓSSJA.
Er liebt ihn doch.
COSTA.
Liebt? wen?
AFRÓSSJA.
Der Prinz, mein Liebster, liebt den Zaren
Viel mehr als mich.
COSTA.
Und du, du lachst?
AFRÓSSJA.
Nun ja,
Da wird er ihm nichts tun, der Zar dem Prinzen.
Wer liebt, ist kein Verräter.
COSTA.
Glaubst du das?
Dann sage mir ...
AFRÓSSJA.
Ich will's beschwören. Nie
Hat er vor mir gezittert ...
AFANÁSSJITSCH.
Vor dem Vater
Doch zittert er? du Närrin, das ist Furcht
[323] Und keine Liebe.
COSTA.
Still, du Alter! Furcht
Und Liebe sind Geschwister.
AFANÁSSJITSCH.
Das ist mehr
Als ich begreifen kann.
COSTA.
So muß ich stets
Die Zeit an dich verschwenden: hast du nie
Dein Weib geschlagen?
AFANÁSSJITSCH.
Nein.
COSTA.
Wo ist dein Weib?
Gestorben?
AFANÁSSJITSCH.
Weiß nicht.
COSTA.
Nun?
AFANÁSSJITSCH.
Es ging mir durch
Mit einem Aktenschreiber. Doch das weißt du.

Costa pfeift und springt auf.

He was?
COSTA.
Afróssja, lache. Diesem Alten
Sag ich nichts weiter.
AFANÁSSJITSCH.
Was ...
COSTA.
Es ist erwiesen.
AFANÁSSJITSCH
zornig.
Ich weiß nicht mehr, was zu erweisen war.
Daß dich der Wasserteufel ... geh zur Hölle!

Er geht ab.
COSTA.
Afróssja, lache nicht. Sie schleichen alle
Um ihn herum und ziehen ihre Fäden
Eng, eng und enger und bevor er's merkt,
Ist er schon eingesponnen. Glaubst du denn
Das Kindermärchen von des Zaren Tod,
Das Glébof sich ersann und Kíkin treulich
Im Volk verbreiten ließ? frag deinen Prinzen,
Der glaubt es nicht und dennoch geht er hin
Und lauscht, wenn Kíkin singt und Glébof eifert,
Dann endlich hängt er fest und kann dem Netz
Nicht mehr entspringen, wenn die beiden kommen,
Zar Peter und der Tod. Zar Peter liebt
Den Ansprang aus dem Dunkel, dann erst macht
Er gräßlich Tag um sich mit Blut und Feuer.
Lehr mich ihn kennen. Hör – verbirgt er sich
Wie jetzt ... ich sage, löscht er jede Spur
Von seinen Tritten aus, so ist die Hand
[324] Zum Schlag erhoben und wir können nichts
Auf Erden tun, als warten, wessen Haupt
Er sich zum Hieb erspäht aus seiner Wolke.
AFRÓSSJA.
Und wär's auch wie du sagst! den Prinzen kann
Die Hand nicht treffen.
COSTA.
Willst du meine Kappe?
Die Narrheit hast du schon. Den Prinzen nicht?
Ihn, ihn vor allen! Peter fürchtet ihn,
Weißt du das nicht? er fürchtet ...
AFRÓSSJA.
Meinen Prinzen!
COSTA.
Glaub's oder nicht, ich weiß es. Und er hat
Ganz recht, daß er sich fürchtet, denn gefährlich
Ist Alexéj, der Sohn, und Alexéj,
Der Name, nicht dein träumend sanfter Prinz
Der lächelnd und in Einfalt süße Märchen
Um deine Schönheit rankt. Du aber kannst
Ihn wecken, darum tu's, es ist so leicht,
Nur beim Gebet am Abend und am Morgen
Zu sagen »hüte dich«.
AFRÓSSJA.
Mit deiner Furcht!
Mein Prinz hat Furcht und nicht der Zar. Dem rät
Die eigne Furcht schon »hüte dich«. Der fährt
Aus tiefstem Schlaf empor und mit der Lampe
Sucht er die Winkel ab und sagt im Fieber:
Zar Peter schlich sich ein und will mich morden –
Und suchen muß ich helfen. Und als wirklich
Ein Mörder auf ihn schoß, hat er gelacht
Und auf dem Meer im Sturm war ihm der Tod
Nicht eine Sorge wert – allein den Zaren,
Den Einen, fürchtet er und diesen Einen
Nur um so stärker.
COSTA.
Wohl, es gibt dergleichen.
AFRÓSSJA.
So feig und mutig ist mein liebster Prinz ...
COSTA.
Weil er es ist, so feig und mutig, Kind,
Wird Mut und Angst ihn locken in den Käfig
Zum Tiger einzutreten und zu nippen
Vom süßen Wein des Grauens, wenn das Tier
Geduldig hinnimmt Schlag und Wurf und gleich
Aufspringen wird, jetzt – jetzt – noch immer nicht –
Jetzt aber – und so weiter. Denn was ihm
Den Zaren wichtig macht, ist mehr als Liebe:
Ein schwindelnd heißer Zauber der Gefahr
[325] Der uns verliebt macht in den Blitz und uns
Den Kampf zu suchen treibt! was folgt daraus?
Nicht viel ... nur bist du klüger als du warst
Vor fünf Minuten nach der Pfauenuhr
Die sich Zar Peter bauen ließ, daß ihm
Kein Zifferblatt den Dienst erweise, den
Ein goldner Vogel leisten kann. Jetzt aber
Sei du dem Prinzen solch ein goldner Vogel
Mit deinem Morgensprüchlein: »hüte dich«.

Afróssja hat während der letzten Worte zur Tür hingehorcht, nun läuft sie dem Prinzen entgegen, der rasch eintritt, gefolgt von einem alten Mann in einfacher dunkler Kleidung. Alexéj trägt einen leichten schwarzen Anzug.
ALEXÉJ.
Prinzessin, auf dem Wasser lag die Sonne
Und das war schön und du warst nicht dabei,
Es anzusehn mit mir! was sagst du Fürstin?
Was sagst du, Kaiserin? sieh her, ich bringe
Ins Haus dir einen Gast. Auch Costa hier?
Hat er dich lachen hören? wie?
AFRÓSSJA.
Er sagt,
Ich soll ein goldner Vogel sein –
ALEXÉJ.
Du bist
Ein goldner Vogel, meint er's auch nicht so.
Der Costa singt sein altes Lied. Nun, Alter,
Schau dir den Narren an. Das ist ein Narr
Der lieber mahnt als lächelt und er will
Mich unter breite warme Flügel stecken
Bis ich erwachsen bin ... was wollt ich noch? ...
Das mit der Sonne auf dem Fluß – ihr glaubt,
Das sei nicht viel? doch, doch, es hat mich froh
Gemacht, es war so wie ein schmaler
Und goldner Fluß der auf dem großen blauen
Hin mit der Strömung schwamm – dann fällt mir immer
Im Gehen manches ein, wenn ich die Menschen
Vorübergleiten sehe, immer nur
Vorüber und vorüber, selten bleiben
Sie stehn und selten grüßen sie, es treibt
Sie immer nur vorbei und keinen freut es
Den anderen zu sehn ... Afróssja, keiner
Muß lachen mitten auf dem großen Platz,
Wie ich es tue wenn ich einmal wieder
Ganz deutlich weiß, daß du zu Hause bist
[326] Und mich erwartest und – ich bin zerstreut –
Costa, sei still – nun kurz und gut, ich traf
Den Alten auf dem Platz, der sah mich lachen
Und sagte: Gott behüte dich, und das
Ist mir so nötig, daß mich Gott behüte,
Wie keinem zweiten – und ich sprach mit ihm.
Er kommt vom Land, bei Gott, ihr ratet nicht,
Warum er kam – was denkt ihr?
AFRÓSSJA.
Sag's.
COSTA.
Der Kaiser
Von China schickt Geschenke deiner Hoheit,
Kamele, Sklavinnen und Götzenbilder
Und Gold und Perlen, oder tut's der Sultan
Vom Morgenland?
ALEXÉJ.
Geschenke, ja! und wie
Aus Morgenland! er und sechs andre noch
Sind Abgesandte – von den Städten Rußlands
Und von den Dörfern auch – an meinen Vater –
Um ihn zu bitten – wie? begreifst du jetzt?
AFRÓSSJA.
Für dich?
ALEXÉJ.
Für mich! sie lieben mich! sie wollen
Zu ihrem Herrscher mich! und wenn das Volk
Zum Zaren kommt und bittet, kann er's nicht
Versagen. Er ist klug und groß. Ihr wißt es.
Er ist auch gut. Nein, seht, ich kenn ihn besser
Als alle, die ihn fürchten. Einmal hab ich
Ihn weinen sehn, ganz leise vor sich hin
Weil er's nicht zeigen wollte, doch ich sah
Die blanken Tränen laufen. Er ist sanft.
Er hat ein Lächeln das die kleinen Kinder
Von ihren Müttern lockt und einen Zorn
Wie der Prophet Elias der im Donner
Zum Himmel fährt. Er herrscht mit ganzer Kraft.
So wird er auch verstehen, daß in mir
Sein Blut zur Krone drängt. Sei er gewaltig
Und stark und weise, während ich von Schwäche
Zu Schwäche taumle und von Traum zu Traum –
Eins hebt mich über alle außer ihm
Der Krone nah: er liebt das Land nicht besser, –
In diesem bin ich stark und klug wie er.

Er geht zum Schreibtisch und füllt einen Becher aus einer Karaffe mit Wein.
[327]
AFRÓSSJA
halblaut.
Nicht!
ALEXÉJ.
Was denn?
AFRÓSSJA.
Laß den Wein, er schadet dir.
ALEXÉJ.
Er frischt mich auf.
AFRÓSSJA.
Ich bitte dich.
ALEXÉJ
leise.
Prinzessin,
Du sollst nicht bitten. Liebe mich. Den Wein,
Siehst du, kann ich entbehren.

Er stellt den Becher zurück und blickt vor sich nieder.
COSTA.
Herr, was fehlt dir?

Zu Afróssja.

Flink, sag ihm etwas was ihn freut.
AFRÓSSJA.
Du sprachst
Vom Herrschen, Alexéj ...
ALEXÉJ.
Ja, meine Blume,
Vom Herrschen sprach ich. Peter braucht das nicht.
Er darf es tun.
AFRÓSSJA
spielerisch.
Du nicht?
ALEXÉJ.
Oh, glauben muß,
Wer siegen will. Es hält die Hand den Sieg,
Der kommen soll, vorher im Traum schon fest –
Und nun er selbst, er selbst, in hundert Strömen
Erfüllung schüttend ... nein, verzichten nicht,
Nein, nein, auslöschen nur die Lampe nicht,
Die einzige, die wirklich leuchten könnte
Und alle Schatten töten in den Winkeln ...
Den Wein, Afróssja, solchen Wein ... den wirst du
Mich trinken lassen und vor seinem Glanz
Weht alle Finsternis dahin.

Alle sehen ihn an. Er scheint unter den Blicken zu erwachen, sieht sich um, besinnt sich völlig. Sagt zum Alten.

Das war es
Noch was ich wollte, hungrig wirst du sein,
So nimm von unsrem Salz und Brot, bevor
Du gehst. Afróssja ...

Afanássjitsch öffnet die Tür, bleibt aber draußen.
AFANÁSSJITSCH.
Herr, schon wieder sind
Sie da um dich zu sprechen.
ALEXÉJ.
Wer?
AFANÁSSJITSCH.
Die Drei,
Die immer kommen.
[328]
COSTA
heftig.
Jag sie durch den Hof
Mit Peitschen –
ALEXÉJ.
Costa!
AFANÁSSJITSCH.
Herr, das wäre gut.
ALEXÉJ.
Ich will sie sehn, zum letztenmal.
COSTA.
Wär's nur
Das letzte Mal!
ALEXÉJ.
Ruf sie herein.

Afanássjitsch ab.

Ihr geht
Zum Essen, bis ich komme. Geht. Ich bin
Dann wieder gleich bei dir.

Er nickt Afróssja zu. Afróssja, Costa und der Alte rechts ab. Alexéj blaß und erregt am Schreibtisch, nimmt den Becher und leert ihn auf einen Zug, atmet erleichtert auf. Er sieht sich nach der Tür um, die sich hinter Afróssja geschlossen hat.
ALEXÉJ
hastig.
Nur noch ein Wort,
Afróssja, noch ein Wort! ich muß dir sagen ...

Rasch ab durch dieselbe Tür. Durch die Mitte kommen Stepán Glébof, Kíkin und Dolgorúki. Alle drei in Uniform.
GLÉBOF.
Da sind wir wieder. Der Prinz nicht da? – heute wird und muß sich alles entscheiden.
KÍKIN.
Warum heute? wir haben Zeit, wenn Zar Peter starb, wirklich starb.
GLÉBOF.
Wer sagt euch, daß er starb? Es geht ein Gerücht, das ist wahr – doch unter uns, wer glaubt daran?
DOLGORÚKI.
Ich freilich nicht. Wenn nur das Volk dran glaubt.
KÍKIN.
Und der Prinz.
GLÉBOF.

Der Prinz! legt ihm den Zaren tot vor die Füße, so wird er noch nicht daran glauben. Den überlaßt ihr mir. Ich halte – versteht ihr? – ich halte den Zauber, der ihn gefügig macht.

KÍKIN.

Zarin Awdótja, die Verstoßene. Doch sagt, Glébof, wollt Ihr den Prinzen durch seine Mutter gewinnen, oder habt Ihr dieses Amt Eurer Geliebten vertraut?

GLÉBOF.

Ich bin ihm der Verführer seiner Mutter, das ist es, Kíkin, was Ihr sagen wollt. Mag er mich darum hassen, das grade muß ihm zeigen, daß sein Weg der meine ist. Er hat das Leid seiner Mutter zu rächen, ich –

KÍKIN.
Und Ihr eine Tat, die Euch Awdótja gewinnen half? meint Ihr, er glaubt Euch das?
[329]
GLÉBOF.
Es ist meine Sorge, ihn das glauben zu machen. Und außerdem –
KÍKIN.
Nun?
GLÉBOF.

Und außerdem liegt uns nur an seiner Person und nicht an seinem Glauben. Die Person – verlaßt euch darauf – die haben wir.

KÍKIN.
Ich will es loben, wenn Eure Rechnung stimmt. Still, hier ist der Prinz.

Alexéj kommt zurück und begrüßt die drei mit einem Kopfnicken. Er lehnt sich an den Schreibtisch.
ALEXÉJ.
Nehmt Platz, ihr Herren. Sprecht, ich bin bereit.
GLÉBOF.
Es ist die alte Frage, Prinz, die wir zu wiederholen kommen –
ALEXÉJ.
Die alte Antwort hab ich nur zu geben,
Gelüstet's euch, sie noch ein letztes Mal
Von mir zu hören – wohl, es kommt mir nicht
Auf drei Minuten an, ich habe Stunden
Und Tage zu verschwenden –
GLÉBOF.

Das eben soll anders werden. Wir bringen Euch die Herrschaft, ein Gefäß, das Ihr mit siebzig hineingegossenen Jahren nur grade füllen könnt.

ALEXÉJ.

Steht der Thron von Persien verwaist? oder soll ich die Kirgisen in die Schlacht wider Schafe und Rinder führen?

GLÉBOF.

Es geht ein Gerücht um, daß es dem Himmel gefallen habe, Euren Vater den Zaren zu sich zu nehmen. Doch das ist es nicht ...

ALEXÉJ.
Schlägt man einen Mann wie meinen Vater mit Gerüchten tot –?
GLÉBOF.

Doch das ist es nicht, was ich zu sagen habe. – Prinz Alexéj, ich bringe Euch einen Gruß – und vielleicht noch etwas mehr – von Eurer Mutter.

ALEXÉJ
maßlos aufbrausend.
Ihr – Ihr wagt – das wagt Ihr – der Ihr mit meiner Mutter –
GLÉBOF.
Ich.
ALEXÉJ.
Ist keine Peitsche ...
GLÉBOF.
Prinz!
ALEXÉJ
sich überstürzend.
Mein Vater warf
Den Schmerz in ihre Seele und er war
Im Recht, das mögt Ihr wissen. Vor der Welt
Sieht meiner Mutter Schicksal wie ein Frevel
Des Zaren aus – doch das ist falsch gesehn,
[330] Ich sag es, ich, ihr Sohn. Sie hat geweint,
Wenn er sie lachend wollte, hat gesprochen
In solcher Stille wo der kleinste Laut
Verbrechen war, hat ihm vor jede Tat
Ein kaltes »Nein« gesetzt – doch das ist nichts –
Ob so, ob so, ich liebte sie ... den Zaren
Hab ich darum nicht hassen können, ihn,
Den ich begriff. Gesteht mir dieses zu:
Aus Willkür tat er's nicht, er sprach: ich muß –
Und tat es ohne Haß. Ihr aber habt
Die Mutter mir beschmutzt –
GLÉBOF.
Prinz, das zu dulden –!
ALEXÉJ.
Ihr werdet's dulden – hört Ihr das? – beschmutzt!
Sie ließ den Zarenreif zurück und nahm
Das Leiden mit und ich, als Kind schon hab ich
Gewußt daß mancher, der's versteht, den Schmerz
Wie eine Krone trägt. Was aber ist
Ein Schmerz, der sich mit – Euch zu trösten weiß!
Mit Buhlerkünsten! pfui! bezahlte Wächter
Und Liebesboten! Briefe! Heimlichkeiten
Wie zwischen Knecht und Stallmagd! daß der Ekel
Mich nicht erstickt! das meine Mutter, das!
Und das ihr Schmerz! o pfui, Ihr habt es nicht
Gewußt, was Ihr getan, sonst war es nie
Geschehn, Euch hätte schaudern müssen ...
GLÉBOF.
Sagt
Das Eurer Mutter, wenn sie kommt.
ALEXÉJ
atemlos.
Wenn sie –
Was sagt Ihr da –?
GLÉBOF.
Sie kommt.
ALEXÉJ.
Hierher –?
GLÉBOF.
Sie kommt.
Sie kommt durch diese Tür.
ALEXÉJ.
Das ist – gewiß?
Sagt – Kíkin – Dolgorúki – durch die Tür –
Sie kommt –
DOLGORÚKI.
Zaréwitsch, ja.
ALEXÉJ.
Durch diese Tür –
Wie sagt ihr? – jetzt – jetzt gleich – was tatet ihr? –
Wie kam sie aus dem Kloster –
DOLGORÚKI.
Faßt Euch, Prinz.
ALEXÉJ.
Was kann sie wollen? ihr – ihr wagt so viel –
[331] Ihr seid doch Männer – würdet nicht so spielen
Wenn ihr nicht wüßtet – Antwort! gebt mir Antwort!
Was ist's mit dem Gerücht?
DOLGORÚKI.
Gerüchte lügen
Zwei Wochen lang, zwei Monde – und nun kommt
Ein neuer Tag, da lügen sie nicht mehr.
Ob wahr, ob nicht, wir haben vorzubeugen.
KÍKIN.
Das ist's, wir beugen vor. Wem hat der Zar
Das Reich vermacht? wem?
DOLGORÚKI.
Wenn er wirklich starb
So gibt's ein Testament und das verleiht
Die Krone – wem?
KÍKIN.
Nicht Euch.
DOLGORÚKI.
Der Lagerdirne –
Der Wäscherin –
ALEXÉJ.
Nicht mir –
DOLGORÚKI.
– die aus den Händen
Des Marketenders wie ein schlechter Pfennig
In die des Trommlers ging und vom Trompeter
Zum Fähnrich –
KÍKIN.
Und von einer Stufe bald
Zur nächsten sprang –
DOLGORÚKI.
Bis dann der glücklichste
Und höchste Sprung geschah – in Peters Bett,
In Peters Herz und mitten in den Glanz
Von Peters Krone –
GLÉBOF.
Mitten in den Glanz,
Der Eurer Mutter eigen war. Sucht hier
Den Schmutz, von dem Ihr spracht, und die Befleckung.
ALEXÉJ.
Und wenn das Testament – was ändern wir?
GLÉBOF.
Seid Ihr der Zar, so gilt das Testament
Nicht mehr denn leeres Stroh. Ihr seid gewählt
Vom Volk, gewählt vom Adel und die Kirche
Hat Euch gekrönt.
DOLGORÚKI.
Und ich erbiete mich
Das Testament am Säbel aufgespießt
Im Krönungszug zu tragen –
ALEXÉJ.
Doch er lebt!
Er lebt ja doch! er lebt! und kommt zurück!
Wie steh ich dann vor ihm?
GLÉBOF.
Dann habt Ihr Euch
Als Mann gezeigt –
[332]
DOLGORÚKI.
Zum erstenmal – verzeiht!
GLÉBOF.
Und er erkennt sein Blut –
KÍKIN.
Und achtet es –
GLÉBOF.
Und achtet Eure Kühnheit, die nach ihm
Zu zielen wagte –
ALEXÉJ
unwillkürlich.
Ja, so ist er, so!
DOLGORÚKI.
Ihr kennt ihn freilich –
ALEXÉJ
fieberhaft.
Und es ist vielleicht
Nur dies was er vermißt! warum auch hätte
Er mich gereizt, gequält, so zum Ersticken
Wenn er nicht wecken wollte, was in mir
Da war und immer war, wenn auch versteckt
Noch in dem Schutt. Er wollte sich vielleicht
In mir erkennen, in die Winde streuen
Den ganzen Zorn, er hätte mir gesagt:
Du bist mein Sohn! du bist mein Sohn! – und ich,
Ich bin's! mir glaubt das Volk – und mehr – ich selbst,
Ich weiß es so wie keiner, daß ich's bin,
Ihm aber muß ich's zeigen ...

Er lauscht an der Eingangstür.
KÍKIN
leise.
Glébof, helft,
Das nützt uns nichts.
GLÉBOF.
Laßt, laßt!
KÍKIN.
Er stürzt ihn
Nur, um ihn neu zu krönen.
GLÉBOF.
Setzt ihm nur
Die Krone auf – und dann, dann tut mein Degen
Was nötig ist. Nur still!
ALEXÉJ.
Ich will mich jetzt
Nicht vor ihm schämen müssen. Glébof, hört,
Mir scheint, ich tat Euch unrecht. Nur versteht,
Warum ich ihn nicht hassen kann. Er hat
Mich sehr gequält. Ich habe Dienst getan
Wie ein Gemeiner und der Waffenrock
Hat mich gedrückt an Hals und Brust. Wenn ich
Schaluppe nannte was ein Kutter war –
Als Kind, wenn er mich fragte – brach er mir
Im Zorn mein Feenhaus entzwei. Ich lernte
Da seine Schiffe hassen, wenn auch nicht
Ihn selbst – denn über mein zerbrochnes Haus
Wie ein Gewitter war er hingegangen;
Ich nahm es als ein Schicksal und das Spiel
[333] Geriet nur immer schöner. Glaubt, das Messer,
Womit er Späne schnitzt, hält er nicht anders,
Als in der Schlacht den Degen und das Ruder
Im Sturm: die Seele wächst hinein und wird
Zur Kraft, die siegen muß. Das hab ich dumpf
Als Kind gefühlt, ich hab es fühlen müssen,
Weil so nur zu ertragen war, was er,
Selbst irgendwie auf dunkle Art gezwungen,
Mich tragen ließ. Und was mich heut ergreift
Und mir den Weg zur Mutter und zu Euch
Und in den Thronsaal weist, ist, wie mich dünkt,
Ein Trieb von gleicher Art, verwirrt und dunkel
Doch stark ... mir scheint, vor Gott und Welt und Himmel,
Daß ich ihm folgen muß.
GLÉBOF.
Ruft Heil dem Zaren!
ALEXÉJ.
Still, hört ihr nichts?
GLÉBOF.
Prinz, Eure Mutter –
ALEXÉJ.
Sie!
Entgegen! kommt entgegen!

Er stürzt zur Tür, diese wird aufgerissen, Afanássjitsch steht in der Tür.

du?
AFANÁSSJITSCH.
Zaréwitsch –
Ein Wagen – vor dem Tor –
ALEXÉJ.
Im Wagen – wer?
AFANÁSSJITSCH.
Vor Schleiern sah ich nichts – doch eine Stimme –
Ich kannte diese Stimme –
ALEXÉJ.
Nun, ich muß
Die Stimme hören – Platz da, Platz!
AFANÁSSJITSCH.
Ich sah
Des edlen Fürsten Durchlaucht, Ménschikof,
Vom Fenster – und verkleidet – auf der Straße –
Er kam als Späher, glaubt mir nur –
ALEXÉJ.
Du träumst,
Geh fort, mach mich nicht zornig –
AFANÁSSJITSCH.
Herr, ich kenne
Das Fuchsgesicht – glaub mir – es ist Gefahr –
ALEXÉJ.
Fort! fort! sie wartet – da! nun halte mich!

Er hat den Alten zurückgestoßen und eilt fort, Afanássjitsch folgt laut rufend.
[334]
GLÉBOF
ihm nach.
Nun schnell zum Wagen – und hinein mit ihm –
Und fort – zum Schloß. Folgt mir!
DOLGORÚKI.
Wir kommen.
KÍKIN
hält ihn zurück.
Freund,
Nur noch ein Wort: vor Glébof hütet Euch –
DOLGORÚKI.
Das weiß ich längst. Kommt nur, habt keine Sorge.

Beide ab. Die Bühne ist leer. Nach einer Weile wird die Tür rechts geöffnet. Costa schiebt seinen Kopf vorsichtig durch die Spalte, sieht sich um, tritt ein, da er das Zimmer leer sieht. Afróssja hinter ihm, lächelnd, sorglos, ein Lied vor sich hin summend.
COSTA.
Sie sind nicht da. Ich hörte laute Stimmen.
AFRÓSSJA
singt.
Und es ward ihm so wehe,
Er seufzte und sprach ...
COSTA.
Wo sind sie hin? du sollst das Singen lassen
Ich höre nichts.
AFRÓSSJA.
Schau, Kind, wenn ich gehe,
Vom Fenster mir nach.
COSTA.
Hier ist etwas geschehn ...

Er geht plötzlich hinaus. Afróssja lacht hinter ihm drein, Stimmen auf dem Vorplatz.
COSTAS STIMME.
Was faselst du? hinein, hinein mit dir!
Es ist nicht möglich!
AFANÁSSJITSCH
draußen.
Hätt ich nur den Fürsten
Vom Fenster nicht gesehn!

Costa kommt zurück, hinter ihm Afanássjitsch.
COSTA.
So traf es ein,
Was ich gesagt. Dein Prinz ist fort.
AFRÓSSJA.
Was heißt das?
COSTA.
Das heißt: er spielt um seinen Kopf. Das heißt es.
Verschwörung heißt es, Hochverrat! im Schloß
Beraten sie's und seine Mutter ist
Dabei –
AFRÓSSJA.
Die ist im Kloster –
COSTA.
Aus dem Kloster
Ist sie entsprungen, ist im Schloß mit ihm
Und den Verrätern! und der Zar –
AFRÓSSJA.
Der Zar?
COSTA.
Weiß alles. Der da hat den Ménschikof
[335] Gesehn und nun ist alles aus – ich hab's
Gesagt – nun kam das Ärgste – bete du,
Daß nur der Zar nicht kommt!
AFRÓSSJA.
Ich kann's nicht glauben.
COSTA
zum Diener.
Du hast ihn gehen lassen. Wenn es jetzt
Hereinbricht über uns, dann schlage dir
Die Brust und winsle: meine, meine Schuld!
Was hast du nicht gerufen ...?
AFANÁSSJITSCH
zurückweichend.
Ich –
COSTA.
Du hättest
So schreien müssen, daß zu Hilfe dir
Das Volk gekommen wäre von der Gasse –
Die Wache vom Portal und wir – was hast du
Getan? wohl gar die Tür geöffnet, sanft
Gemeldet: lieber Prinz, die liebe Mutter
Kam zu Euch auf ein Stündlein, wo mir recht ist –
Was? hättest du geschrien: die Hölle steht
Vor Eurer Tür! was sagst du? hättest du
Das Haus in Brand gesteckt, du brauchtest nur
Im Vorsaal eine Lampe umzustoßen
So kam der Prinz nicht durch, so wäre Zeit
Geblieben, Zeit! und nun – nun kommt der Zar
Und schlägt den Prinzen tot. Was tatest du
Um das zu hindern? was? nun kommt der Zar –
Der Zar –

Afanássjitsch ist schrittweise zurückgewichen bis zur Tür. Costa folgt ihm auf dem Fuß, ihn vor sich herdrängend. Plötzlich fahren beide erschrocken zurück und zur Seite – auf der Schwelle stehen zwei dunkle Gestalten in langen Mänteln. Eine Stimme vom Eingang her fragt.

Wer spricht von mir?
COSTA
entsetzt.
Er selbst!
AFANÁSSJITSCH.
Hilf Gott
Im Himmel! er!

Zar Peter und Oberst Gordon sehen sich um und treten langsam vor.
PETER.
Wo ist mein Sohn?
COSTA
stammelnd.
Nicht hier.
PETER.
Ich fragte: wo?
AFANÁSSJITSCH.
Ich weiß nicht, Herr.
COSTA.
Er ging
[336] Zur Kirche wohl.
PETER
mit Gordon ganz vorn.
So kamen wir zu spät.
GORDON
verdrießlich.
Ihr seid noch stets zu spät gekommen, wenn
Der Prinz in Frage kam.
PETER
mit unterdrücktem Unwillen.
Ei, Gordon!

Eine kurze Stille.

wohl,
So muß ich heute pünktlich sein.
GORDON.
Das wäre
Zu früh. Noch kann der Fürst mit den Soldaten
Im Schloß nicht sein. Auch wird es Euch nicht fehlen
Wenn Ihr zur festgesetzten Stunde kommt,
So wartet noch.
PETER.
Fürst Ménschikof späht gut.
Sie sind im Netz, ich weiß. Bin ungeduldig,
Wir wollen gehn.
Noch eins: du bist mir Zeuge,
Gordon, vor Gott, daß ich ihn warnen wollte.
GORDON.
Ich bin's.
PETER.
Fand ich ihn hier wie ich gehofft,
Wir hätten's ausgefochten Aug in Auge –
Nun muß es anders kommen. Fort!
COSTA.
Ihr seid
Ermüdet, Herr. Soll ich ein Frühstück schaffen?
Ja? oder Wein?

Peter sieht ihn an.

verzeiht.
PETER.
Gordon, wir gehen.

Beide ab. Die drei anderen stehen unbeweglich. Costa rafft sich zuerst empor.
COSTA.
Wie nun –
AFRÓSSJA.
Nichts weiß ich, nichts!
COSTA
fährt auf.
Ich aber weiß es –
AFANÁSSJITSCH.
Du willst?
AFRÓSSJA.
Wo willst du hin?
Zum Prinzen, Kind!
Ich laufe schnell – und finde wohl ein Pferd –

2. Akt

[337] Zweiter Akt

Ein Saal im Kreml. Die Tapeten einfarbig dunkel. Von den Lampen und Kerzen, die hinter großen grünen Schirmen brennen, kommt ein mattes Licht. Die Fenster sind verhängt. Im Vordergrund in einem Sessel Awdótja, eine schöne ältere Frau in Trauerkleidung. Neben ihr, den Arm auf die Lehne des Sessels gestützt, steht Alexéj. Sie hat sich zurückgelehnt und sieht zu ihm empor, er, leicht gebückt, spricht auf sie ein. Hinten flüsternde Gruppen von Bojaren, teils in Uniform, teils in französischer Hoftracht, darunter Glébof, Kíkin und Dolgorúki.

ALEXÉJ.
Nein, Mutter, nein. Ich bin das Kind nicht mehr,
Du nicht die Frau, die ich gekannt. Ich bitte
Bedenke, Mutter, daß dein Kloster mir
Nicht mehr ist als ein Wort. Es gibt noch eins
Was ich nie nennen möchte ... nichts davon,
Wenn es auch immer, mächtig aufgerichtet,
Dasteht, wo wir uns treffen – sage nicht
Daß dies dich kränkt! ich sehe doch, zu wem
Dein Blick hinüberläuft und daß aus dir
Das Wort nicht kommen wird, das ich vorher
Erwartete – und Jetzt nicht mehr. Es ist
Viel besser so, daß du erfährst, wieweit
Ihr auf mich rechnen könnt in euren Plänen.
AWDÓTJA.
Ich sah noch nichts von einem Plan. Und – rechnen?
Mein Kind, mir scheint, hier bist du eine Zahl
Die fortzustreichen ist, damit kein Fehler
In unsre Rechnung komme.
ALEXÉJ.
Nimm es so
Und laß mich gehn.
AWDÓTJA.
Wohin? doch nicht –
ALEXÉJ.
Du denkst,
Zu meinem Vater? denkst du's?

Awdótja schweigt verwirrt.

Mutter, sieh,
Was hast du doch gesagt? den Sohn verstehe
Die Mutter, wenn er schweigt und – war's nicht so? –
Auch wenn er lügt und stiehlt. Nun hab ich kaum
Ein Wort gesagt, springt schon der Zweifel auf –
Nur einen Schritt zur Seite, wäre schon
Aus dir der Schrei gekommen: haltet ihn!
[338] Und sagte ich von eurem Bund mich los
So wärst du rasch bereit, mir mit Gericht
Und Blutgerüst zu drohen so wie – Er –

Plötzlich heftig.

Ich bitte, Mutter, sende nicht den Blick
Zu dem da drüben, der dir Zeichen macht,
Was soll er zwischen uns? hat er das Recht
Dir zu befehlen: dieses ist zu tun
Und das zu lassen? – muß ich den dort fragen:
Was habt Ihr meiner Mutter, Herr, erlaubt
Und was verboten?
AWDÓTJA.
Sprich nicht so.
ALEXÉJ.
Ich wäre
Viel lieber stumm – du zwingst mich –
Mutter, nein,
Dazu nicht kamen wir –

Hinüberrufend.

ist denn der Kreis,
Der ganze, nicht beisammen?
GLÉBOF.
Dossiféj
Wird noch erwartet – und der Zarin Bruder –
Laßt sehn, wer noch?
KÍKIN.
Der Erzbischof kommt nicht.
Ein Bote war bei mir.
1. BOJAR.
Was, Dossiféj?
Kommt nicht?

Abrám, Awdótjas Bruder, tritt ein mit mehreren Bojaren, berauscht und lärmend.
ABRÁM.
Wer ist es der nicht kommt?
GLÉBOF.
Abrám,
Nun endlich!
ABRÁM.
Einer fehlt, wer ist's? ihr spracht
Von einem, der nicht kommt –
KÍKIN.
Der Erzbischof –
ABRÁM.
Der Fuchs! er rettet sich!
3. BOJAR ängstlich.
So ist Gefahr,
Meint ihr, wenn Dossiféj der Kluge –?
ABRÁM.
Was
Gefahr! was da Gefahr! wenn Peter kommt –
Das mag ja sein – so haben wir –
GLÉBOF.
Sei still,
[339] Was redest du!
ABRÁM
lauter.
So haben wir Pistolen
Und Degen und –
GLÉBOF.
Abrám, du schweigst!
ABRÁM.
Ich nicht –
GLÉBOF.
Der Sohn ist hier, so schweig!
ALEXÉJ
ungeduldig.
Ihr Herrn, zur Sache.
GLÉBOF.
Zur Sache denn! ihr Herrn, ich bitte um Gehör.
ALEXÉJ.
Der Generalmajor Glébof hat das Wort.
2. BOJAR.
Still jetzt. Hört den Generalmajor.
GLÉBOF.

Es sind hier Stimmen laut geworden, die uns die Nachricht brachten, Zar Peter sei in der Stadt und wisse um unseren Rat. Ich will diese Stimmen nicht widerlegen –

3. BOJAR. Seht ihr's!

MEHRERE.
Zar Peter in der Stadt! Ihr glaubt daran, Glébof?
GLÉBOF.

Steht uns das Wort »Verschwörer« auf der Stirn geschrieben? das einzige, was uns verraten könnte, ist die Anwesenheit unserer edlen Herrin, der Zarin Awdótja, in diesem gesellig freundschaftlichen Kreis.

1. BOJAR. Sehr gut.

3. BOJAR. So müssen wir die Zarin bitten –

GLÉBOF.

Dafür ist gesorgt. Beim ersten Alarmzeichen führt ein zuverlässiger Mann, den ich nebenan verborgen halte, die Zarin durch den geheimen Gang ins Freie, wo ein Viergespann mit Eskorte bereitsteht. Darum keine Sorge, Bojaren.

ALEXÉJ.
Seht mich erstaunt, ihr Herrn. Ich höre viel
Von Schutz und Deckung reden, warum nichts
Von Tat und Mut – und war es Übermut?
Ich kam nicht her, um mich vor meinem Vater
Ins Dunkel zu verkriechen, noch vor ihm
Den Freund zu spielen, der mit Freunden tafelt.
Hier wird geheuchelt nicht und nicht verschwiegen,
Wir kämpfen heut. Er gebe mir, was mein,
Und wenn das Wort nicht hilft, dann spricht der Zwang
Und hilft Gewalt. Wer sich verbergen will,
Der gehe gleich, bald mag die Zeit ihm fehlen.
1. BOJAR. Er hat recht. Verdammt und verloren ist, wer sich im Kampf umsieht nach Hintertüren.
3. BOJAR. Wie denkt Ihr darüber, Zaréwitsch? Eure Mutter sollte bleiben?
[340]
ALEXÉJ.

Keine Änderungen in letzter Stunde! sie geht, da; ist beschlossen. Jetzt aber handelt es sich um uns –

3. BOJAR. Warum nur ward es beschlossen? uns wird etwas verheimlicht.

KÍKIN.
Was wäre zu verheimlichen? wenn unser Freund Glébof der hohen Frau die Aufregung ersparen wollte –
2. BOJAR. So ist das begreiflich –
MEHRERE.
Ja, ja.

Lachen im Hintergrund.
ALEXÉJ
dankelrot vor Zorn.
Schweigt, schweigt, bei eurem Leben! wollt ihr mich
Als euren Führer sehn – hier bin ich. Eins
Doch müßt ihr wissen: wer sich wider mich
Und meinen Willen setzt, wer mir von Flucht
Zu reden wagt, wer mir in Rat und Kampf
Den Mißklang seiner Narrheit bringt, ein Lachen
Das mir zuwider ist, ein freches Wort
Das nach der Pfütze stinkt, empfängt den Stempel
Der ihm gebührt: ich stoße ihn hinaus
Und jag ihn mit der Peitsche zu den Hunden!
Ich mustre meine Schar und mustre so
Wie ich's von einem lernte, der die Kunst
Zuerst bei uns erfand und Meister ist.
ABRÁM.
Gut spricht mein Neffe –
1. BOJAR.
Gut? das wäre gut?
Man spricht zu Knechten also –
GLÉBOF.
Wartet noch
Und hört ihn an:
ALEXÉJ.
Nun zum Beschluß. Wir setzen
Ein Schriftstück auf, des Inhalts den ihr kennt:
Wir bitten –
ABRÁM.
Fordern!
ALEXÉJ.
Die verbrieften Rechte
Verlangen wir zurück für Adel, Volk
Und Kirche, Schutz dem alten Glauben, auch
Für jeden Untertan den ersten Anspruch
Auf alle Ämter vor den Fremden –
2. BOJAR.
Recht,
Den ersten Anspruch.
ALEXÉJ.
Des zum Zeichen werde
Die Krone mir verliehn nach seinem Tode
Und weigert er's –
[341]
ABRÁM.
So recht, das fordern wir!
ALEXÉJ.
Und weigert er's, wird die Gefangenschaft
Ihn unsrem Willen beugen.
AWDÓTJA
fährt auf und tritt dazwischen.
Bist du rasend?
Ihn denkst du so zu beugen?
ALEXÉJ.
Was? ihn nicht?
Gefangenschaft – was willst du sagen?
AWDÓTJA.
Ihn –
Wie sagst du? – beugen? – töten!
ABRÁM.
Schießen! stechen!
AWDÓTJA.
Hast du ihn ganz vergessen? kennst ihn nicht?
So denk dir doch, er wäre hier, vor uns,
In unsrer Mitte, nimm ihn dann gefangen –
Siehst du den Menschen nicht?

Alexéj nickt unwillkürlich.

du mußt ihn töten,
Wenn du ihn zwingen willst. Er hungert sich
Zu Tod im Kerker, er, und beugt sich nicht
Und sieht dich immer an mit dem verhaßten,
Zehnfach verhaßten Blick, den ich so kenne,
Der alle bösen Wünsche in der Brust
Aufstachelt wider ihn ... du zwingst ihn nicht,
Als durch den Tod –
ALEXÉJ.
Ihn töten –
ABRÁM.
Wenn er kommt,
Dann alle Degen hoch, gespannt die Hähne
Und alle Kugeln durch sein Herz, dazu
Ins Herz ihm alle Klingen –
ALEXÉJ.
Ich – ich will's nicht –
ABRÁM.
Du brauchst es nicht zu tun –
GLÉBOF.
Ich habe mir
Das Werk gespart – der erste will ich sein –
AWDÓTJA.
Du wirst der erste sein –
ALEXÉJ.
Nichts – nichts dergleichen –
Ich will's nicht – hört ihr? – will's nicht –
GLÉBOF
wild.
Dann, Zaréwitsch,
Zum Richtbeil ohne uns, mit uns zur Krone!

Tumult.
ALEXÉJ
seine Stimme überschlägt sich.
Den Tod auf deine Seele! Pest und Siechtum
In euer Blut! wie steigt sie um mich auf,
[342] Die nackte Scheußlichkeit! doch wird das Gift
Ihn nicht erreichen, den es fressen will,
Mein Wort darauf, es wird nicht! eher laß ich
Den Schurken Ménschikof mit seinen Hunden,
Den roten Knechten, los auf euch und mich
Und lieg an eurer Seite auf der Folter –
Und so wird das geschehn – und müßte ich's
Als letzten Wunsch erbitten vor dem Sterben!
GLÉBOF.
Den Kampf mit Euch zu kämpfen sind wir lachend
Bereit, Zaréwitsch, lachend! sagt uns denn
Zum letztenmal: wollt Ihr den Weg mit uns
Zu Ende gehn, bis zu dem Punkt wo blutig
Des Zaren Leiche liegt – und eine Krone –
ALEXÉJ.
Zu viel! zu viel! ich kenne meinen Weg.
GLÉBOF.
Dann lad ich Euch zum Kampf mit mir. Bojaren!
Bei eurem Leben! eh er euch verrät,
Nehmt ihn gefangen!
ALEXÉJ
auf ihn zu.
Mich!
VIELE.
Zum Kerker! Glébof
Hat recht! Verrat! nehmt ihn gefangen!
GLÉBOF.
Auf ihn!

Die Menge dringt vor. Alexéj reißt dem ihm zunächst stehenden Bojaren den Degen von der Seite, zieht mit der Waffe einen blitzenden Kreis um sich und steht im nächsten Augenblick vor der Eingangstür.
ALEXÉJ.
Versucht es! Teufel!

Eine kurze Pause der Überraschung. Dann mitten in die Stille hinein drei – vier – fünf starke Schläge an die Tür.
COSTAS STIMME
ängstlich.
Prinz – um Gottes willen –
Macht auf – macht auf –
ALEXÉJ.
Was ist – was ist mir ihr –
Mit ihr geschehn –

Er schließt auf. Costa tritt rasch ein.
COSTA
atemlos.
Der Zar –
ALEXÉJ
schreiend.
Was hat er ihr
Getan?
COSTA.
Ihr – nichts – der Zar ist hinter mir –
Er folgt mir auf dem Fuß –
ALLE.
Der Zar! der Zar!
GLÉBOF.
Awdótja, folge mir! den Prinzen laßt
Nicht fort, habt acht auf ihn!

Er führt Awdótja zu einer Seitentür links. Die Zarin geht ab.
[343]
COSTA.
Daß ich dem Zaren
Zuvorkam, glaubt mir, ist ein Wunder fast –
Der Schotte war bei ihm – sie standen plötzlich
In Eurem Zimmer, Prinz – er fragte dann
Nach Euch – und ging – vielleicht sieht er zuerst
Nach den Soldaten –
1. BOJAR.
Sprachen sie davon?
2. BOJAR.
Von uns? wie sah er aus?
KÍKIN.
Sprachst du mit ihm?
3. BOJAR.
Mein Gott, wir sind verloren!
COSTA.
Prinz Ihr dürft
Nicht bleiben – geht – ich bitte, geht – Afróssja
Hat mir gesagt und fest mir aufgetragen
Ihr solltet fliehen –
ALEXÉJ.
Sag, mein Vater kommt
Mit den Soldaten?

Costa nickt hastig.

dann ist alles gut,
Dann ist er sicher –
COSTA.
Liebster Prinz, das denkt Ihr,
Was sagt Ihr da!
ALEXÉJ
laut zur Versammlung.
Seht, meine werten Freunde
Und Mörder, seht! da liegen wir im Netz
Und zappeln uns nicht los –
3. BOJAR.
Wir müssen fliehen,
Vielleicht gelingt es uns –
ALEXÉJ.
Ihr kennt ihn schlecht.
Wir sind umzingelt. Keine Maus kann durch
Denn lauter Katzen hat er aufgestellt
Rings um das ganze Haus –

Seine Erregung macht sich Luft in einem heftigen lautlosen Lachen.
COSTA.
Zaréwitsch, flieht!
Das ist nicht zu ertragen!
ALEXÉJ
noch lachend.
Und es rückt
Heran – auf Katzenpfoten – lautlos näher –
Der Tod und seine Truppe – fühlt ihr's nicht? –
Ich fühl's – was wettet ihr! eh ich bis drei
Gezählt, kommt's über uns – es legt die Hand
Schon auf die Klinke – soll ich zählen – da –

[344] Die Tür geht auf, Zar Peter in einfacher Uniform ohne Mantel, und Gordon treten ein. Alle stehen unbeweglich.
PETER.
Gruß euch, ihr Herrn.
ALEXÉJ
tödlich erschrocken, mit versagender Stimme.
Allein –
KÍKIN
fragend.
Allein?
GLÉBOF
wild triumphierend.
Allein!
PETER.
Seltsame Antwort!
GLÉBOF
halblaut, rasch.
Nehmt den Prinzen fest,
Er darf nicht sprechen –
PETER.
Welch ein stolzer Kreis!
Die Edlen meines Landes, etliche
Verwandte wie mich dünkt ... kann sein, ich komme
Nicht sehr gelegen –
3. BOJAR.
O das ist nicht möglich!
Die Überraschung nur, das dürft Ihr glauben,
Die Freude, edler Herr –
PETER
hochmütig über ihn weg.
Bemüht Euch nicht.
Gelegen oder nicht, ich bin der Zar
Und komme, wann ich will.
3. BOJAR.
Wer zweifelt auch –!
GLÉBOF
murmelt.
Nur daß es hie und da gefährlich ist –
PETER.
Ihr wollt bemerken, Generalmajor –
Was war es? wollt Euch doch bemühen, Herr,
Die Stimme nur ein wenig zu erheben,
Ein wenig, oder ganz zu schweigen, Herr,
Wenn Euch zum Reden etwas fehlen sollte,
Wohlklang der Stimme – oder etwa Mut –
GLÉBOF
schreit wie rasend.
Wollt ihr geschlachtet werden? seht ihr nicht
Auf seiner Stirne, was er euch bereitet?
Bei mir ist Rettung – und beim Degen – auf ihn!
PETER.
Zurück, zurück, ihr zaudertet zu lang –
Ich zeig euch meinen Schutz.

Er stößt die Tür auf, Soldaten drängen im Laufschritt in den Raum und besetzen alle Ausgänge.

Da seid ihr ja.
So recht, ihr kamt zur Stunde. Kennst du mich?
Du da, tritt her – weiß Gott, da lacht der Mensch
Und zeigt mir alle Zähne – ja, wir haben
Uns einen Dienst getan, du mir, ich dir,
Das war am Ufer, wo der Schwede ... siehst du
[345] Das weiß ich gut – jetzt geh nur zu mit Gott –
Wo ist der Ménschikof? Gordon, ich wette,
Der kommt zuletzt und – hab ich's nicht gesagt?
Da seh ich ihn. Doch hat er's gut gemacht
Und großes Lob verdient.
GORDON.
Die Pünktlichkeit
Ziert den Pastetenbäcker.
PETER.
Alter Schotte,
Pastete ist kein Makel, wenn sie schmeckt
Und gut gebacken ist.
Willkommen, Fürst,
Dir meinen Gruß, Tolstoí, ich bin mich euch
Zufrieden.

Die Verschworenen haben sich wortlos und ohne Widerstand entwaffnen lassen. Ménschikof und Tolstoí kommen durch die Mitte.
MÉNSCHIKOF.
Nun, wir haben uns bemüht.
Wenn du gestattest, Herr, wir wollen gleich
Zur Untersuchung schreiten?
PETER.
Geht voran,
Ich folge bald. Hier ist noch ein Geschäft –
Tolstoí, du nimmst den Vorsitz im Gericht.
An euer Amt!

Die Soldaten setzen sich mit den Gefangenen in Bewegung, der Saal leert sich langsam. Costa tritt zu Alexéj, der links im Vordergrund steht.
COSTA.
Wie nun, mein Prinz? wie nun?
Was wird mit Euch?
ALEXÉJ.
Du gehst zu ihr? nicht wahr?
Du mußt ihr sagen, daß ich ruhig bin
Und alles wäre gut.
COSTA.
Doch hat er Euch
Nicht einmal angesehn! er ist sehr zornig.
ALEXÉJ
lächelt.
Das war ich auch. Dann aber kommt das andre.
Geh, grüße sie von mir.
COSTA
sehr bedrückt.
Lebt wohl, mein Prinz.

Er geht ab, Peter hat mit Tolstoí, Ménschikof und Gordon gesprochen, jetzt verneigen sich die Drei und gehen. Alle außer Alexéj und Peter haben den Saal verlassen. Peter wirft einen langen Blick auf Alexéj, geht dann nach vorn rechts, [346] nimmt einen Lehnstuhl und setzt sich. Alexéj schlägt heimlich ein Kreuz.
PETER.
Tritt her zu mir.

Alexéj nähert sich ihm, bleibt stehen.

Du magst wohl müde sein,
Nimm einen Sessel, wenn du willst.

Alexéj wehrt ab mit einem Kopfschütteln.

Hast du
Mir nichts zu sagen?
ALEXÉJ.
Ich besinne mich
Und weiß nicht, was du willst. Ist dies Gespräch
Schon das Gericht? ist's ein Verhör? bist du
Als Vater hier? als Zar?
PETER.
Das eben muß
Sich zeigen. Laß die Unterscheidung.
ALEXÉJ.
Wer
Hat mich gelehrt zu unterscheiden? oft,
Wenn ich zum Gruß hervortrat aus der Front,
Hast du mich fortgewiesen, denn im Dienst,
So sagtest du, bist du mein General
Und nicht mein Vater. Und nach deinem Anzug
Befahlst du meinen Gruß: so warst du heute
Der Lotse Peter, morgen Admiral,
Doch immer schaute unter'm Lotsenhut
Der Zar hervor und ich verstand es nie,
Warum die wunderlichen Fetzen mir
Den Vater und den Zaren decken sollten.
PETER.
Zur Sache.
ALEXÉJ.
Was erwartest du? ich will
Dir sagen, was ich weiß. Ich habe heut
Mein Recht erkämpfen wollen und der Plan
Zerfiel von selbst, sie kamen her und brachten
Sinnlosen Streit, was weiß ich, und vor dir
Fiel hin und platzte wie ein wirrer Traum
Ein schlimmes Fratzenspiel.
PETER.
Und doch erzwingen,
Erzwingen wollen! Spiel? und doch Gefahr
Des Lebens, Zorn und Aufruhr und Beschimpfung
Der Majestät? wie knüpft sich das zusammen?
ALEXÉJ.
Ich weiß nicht. Ich – ich weiß nicht. Und es liegt
An dir, das Wort zu finden.
PETER.
Schweigen ist
[347] So leicht. Das meinst du doch?

Da Alexéj schweigt, fährt er fort.

es ist so leicht,
Sich in den dunklen Winkel einzunisten,
Wenn ein Gewitter kommt und stumm gefaßt
Den Blitzstrahl zu erwarten. Doch du wolltest
Um eine Krone kämpfen, um ein – Recht? so komm
Heraus und kämpfe.

Alexéj scheint mit Anstrengung nachzudenken.

Was nur brütest du?
Dein ganz unwürdiges Tun mir irgendwie
So hinzustellen, daß ich einen Schein
Von Tugend sähe, wo der nackte Frevel
Sich das Gesicht mit falscher Farbe schminkt?
ALEXÉJ.
Was sagst du?
PETER.
Laß das sein. Versuche nicht,
Mit List mir zu entkommen. Heute stehen
Wir da, wo nie zwei Menschen standen, wo
Kein Klugem hilft, wo sich die harte Rede
Nicht kneten läßt wie Wachs, bald so, bald so ...
Begreife das: heut steht dem bloßen Schwert
Das bloße Schwert entgegen: du und ich!
Empörer – Herrscher! Sohn und Vater! Feind
Und Feind! ein Leben und ein Leben!
ALEXÉJ.
Prüfen,
So scheint es, willst du mich. Du bist nicht offen.
Du möchtest mich versuchen. Denn du mußt
Ja wissen, was mich treibt, was dich und mich
Getrieben, seit ich denken kann, getrieben
Durch all die Jahre, durch die Schrecknisse
Der Tage von Neapel, durch die Zweifel,
Die Angst, die Fragen und so immer fort,
Bis in dies dunkle Zimmer, dich und mich,
Wo wir zusammentraten, um die lang
Gehäufte Qual, den Kampf, den Widerspruch
In einer großen Stunde zu entscheiden.
PETER.
Was träumst du da! Entscheidung liegt bei mir.
Du bist verklagt. Ich richte.
ALEXÉJ.
Wer verklagt mich?
Doch nur du selbst? und richten willst du selbst?
Wohl zeugen auch? es wird das alte Spiel
Von Zarenreif und Lotsenkappe wieder –
[348] Doch mag es sein! mir gilt der Weg gleichviel,
Wenn wir den Fleck nur finden auf der Erde,
Wo ich dich sehen kann und du mich siehst.
PETER.
So widerstehst du mir? du weichst mir aus,
Du willst den Streit auf lächelndes Gebiet
Hinüberspielen und der Finsternis
Entfliehen, die dich fürchten macht. Laß sein.
Das Dunkel ist der rechte Fleck für Feigheit,
Verrat und jede List, da wühl dich ein

Er steht auf.

Wenn du nicht anders kannst, wirf aus dem Winkel
Nach mir den Stein, ich kann auch dem begegnen,
Zeig mir den Trotz, den Dolch! greif zu! greif an!
Tu was du willst, nur menge nicht den Saft
Der weichen Träume, der gekrümmten halben
Gefühle, die den Tod zum Leben lügen,
In eines Kampfes ernste Bitterkeit.
ALEXÉJ
in jäh aufsteigender Angst.
Das ist nicht möglich! das ist ja nicht möglich!
Was sprichst du da! was tust du da! du schlägst
Nach einem, der mir fremd ist, und triffst mich!
Du mußt mich hören, deine Worte könnten
Mich ganz verstummen machen und es gäbe
Dann keinen Weg von dir zu mir.
PETER.
Mich dünkt,
Ich kann dich ziehen lassen. Du entsagst
Dem Thron vor allem Volk und nimmst das Mädchen,
Wohin du willst und gehst, wohin du willst,
Sei's nach Neapel wieder, träumst und wachst
Und suchst dir bei den Fischern deine Freunde
Und baust am Strand aus Muscheln dir den Thron,
Und Szepter wird ein Stab –
ALEXÉJ.
Ich kann dich nicht
Verstehen –
PETER.
Du bist feige, Alexéj,
Ein Spieler und ein Träumer. Herrschaft ist
Für solche Hände nicht, die sich im Wachen
Zu rühren nicht verstehn. Was dir zu Nacht
Ein selig Fieber an die Wände malt,
Dir zum Entzücken, soll am Morgen gleich
Geschaffen vor dir stehn, errungen nicht
Und nicht erkämpft, mühlos erträumt, erspielt.
[349] Die Hand des Herrschers ist wie eine Zange
Und wie ein Hammer, denn sie hält und schmiedet
Den Leib der Welt – – vor deinen sanften Fingern
Will ich das Reich bewahren.
ALEXÉJ.
Kommt es so?
Ich Tor, ich dachte ... und du wirfst nach mir
Mit jeder Niedrigkeit! du siehst nichts mehr,
Bist blind und taub und hörst nichts mehr! das ist's!
Du willst es so – wohlan, so bin ich feige,
Ein Schuft, ein Tier, ein Schurke, ich, dein Sohn!
Kannst du noch hören? ich hab dich verraten,
Ich hab dich töten wollen, hinterrücks,
Im Schlaf, die feigen Mörder waren schon
Mit schlechtem Gold erkauft – und ich, dein Sohn,
Hab sie gedungen und ich wollte sie
Nachher zu Fürsten machen und das Pack
Zum Essen laden und ein Fest begehn,
Ein herrliches! was stehst du da und siehst
Mich an? ich wollte deinen Tod! ruf doch
Die Richter! laß mich hängen wie den Dieb,
Denn ich, dein Sohn, bin feige wie ein Dieb
Und hätte fast ein Reich gestohlen, ich,
Dein Sohn, dein Sohn, dein Sohn –
PETER.
Was soll mir das?
Genug des blinden Rasens! komm zu dir
Und hör mich an.

Pause. Alexéj sieht sich nach ihm um, aufatmend, mit gewaltsam wiedergewonnener Fassung. Sie stehen einander gegenüber.
ALEXÉJ.
Du höre mich. Ich will
Vor das Gericht – verstehst du mich? – ich habe
Dort manches anzugeben, mancherlei
Gefahr und Frevel, auch ein gutes Stück
Vom Hochverrat – doch sag ich das nicht dir,
Nur dem Gericht.
PETER
drohend.
Nicht mir?
ALEXÉJ.
Du kannst mich schlagen
Und nach mir treten, doch ich sage nichts.
PETER.
Du denkst, ich werde noch in letzter Frist
Das Urteil beugen und von deinem Haupt
Den Streich des Beiles wenden –
ALEXÉJ
mit wildem Spott.
Ja! ganz recht!
[350] Das hast du gut erfaßt! es ist ein Ausweg!
So hab ich mir's gedacht!
PETER.
Wenn ich den Richtern
Dich übergab, so spricht allein das Recht,
Der Vater schweigt – und höchstens Gnade –
ALEXÉJ
heftig.
Gnade!

Wird wieder ruhig.

Du willigst ein?
PETER.
Es sei nach deinem Willen.
ALEXÉJ.
So bin ich denn gefangen?
PETER.
Du bist frei.
ALEXÉJ.
Und wenn ich fliehe?

Peter hebt nachlässig die Achseln.

rechne nicht darauf.
Ich fliehe nicht.
PETER.
Auf morgen denn!

Er geht langsam ab, ohne sich umzusehen.

3. Akt

Dritter Akt

Derselbe Saal. Ein grauer regnerischer Nachmittag. In der Mitte ist ein langer Tisch aufgestellt. Die Vorhänge an den Fenstern sind zurückgezogen. Rechts neben dem breiten Fenster steht Peter und blickt hinaus. Am Tisch Tolstoí, über Akten gebeugt, neben ihm Gordon.

PETER.
Ein trüber Tag. Sie bauen das Gerüst
Für die Bojaren, und der Ménschikof
Läuft hin und her im Regen, faßt mit an
Und achtet nicht der Nässe. Pfui, wie häßlich
Die schwarzen Lappen um die Pfosten hängen!

Er kehrt sich ab vom Fenster.

So bleibt es denn dabei: er soll gestehn.
TOLSTOÍ.
Das tat er schon.
PETER.
Er gab ein Kupferstück
Und ließ das Gold im Sack. Er gibt ein paar
Verräterchen uns preis, der Gnade trauend,
Die wir verhießen, doch das wahre Herz
Des Bundes deckt er, deckt er. – Nützt mir das?
Er muß mir alles sagen, alles, Gordon –
[351] Er darf nicht geizen – hörst du mich, Tolstoí? –
TOLSTOÍ.
Wenn ich Euch recht verstehe, soll der Prinz
Den Anteil auch der Mutter Euch verraten –
PETER.
Verraten – nein –
TOLSTOÍ.
Ich finde nicht das Wort –
PETER.
Verraten meinethalben! doch von mir
Darf dann die Gnade kommen.
TOLSTOÍ.
Die der Prinz
Abweisen wird und muß wie einen Schimpf.
PETER.
Man weist nicht ab, was recht gegeben wird.
Er soll mir trauen –
GORDON
halblaut.
Kann er das?
PETER
heftig.
Ich will's.
Sein Leben hängt daran. Ist es so schwer
Den einen Weg zu finden? wenn der Prinz
In seiner Brust nicht weiß – versteht – nicht weiß
Daß ich die Frau nicht töten kann, um die
Er Sorge trägt – wenn er mich fähig hält –
Begreift ihr mich denn nicht? – will ich nicht mehr
Die weißen Flügel sehn, die über ihm
Auch jetzt noch liegen und ich gebe dann
Dem Zweifel recht, bei Gott, der mir mißtraut.
TOLSTOÍ
steht auf.
Ich sehe, Herr, es soll die Probe sein.
PETER.
Die Probe.
TOLSTOÍ.
Leugnet er –
PETER.
So findest du
Auf andrem Weg die Wahrheit.
TOLSTOÍ.
Herr, ich weiß
Das Mittel schon, das letzte.
PETER.
Hör, Tolstoí,
Versäume nichts, was ihn bewegen könnte –
TOLSTOÍ.
Ich weiß um Euren Willen.
PETER.
Und du kommst
Dann zum Bankett?
TOLSTOÍ.
Zu Euren Diensten, Herr.

Er geht ab. Gordon steht auf, nimmt ein Blatt vom Tisch, tritt auf den Zaren zu.
PETER.
So wird noch alles gut. – Was willst du, Gordon?
GORDON.
Ich will Euch wehe tun.
PETER.
Gordon? nur zu.
Du kennst mich doch. Ich will's verwinden.
[352]
GORDON.
Herr,
Das weiß ich. Nur –
PETER.
Sprich dreist.
GORDON.
Es ist nicht leicht.
PETER.
Nicht leicht für dich – zu sagen?
GORDON.
Herr, auch das.
Doch schwerer noch –
PETER.
Mir schwer zu hören! rasch,
Was ist es?
GORDON.
Grad heraus. Dies Blatt erzählt
Von Eurer Frau.
PETER.
... der Zarin ...
GORDON
betonend.
Von der Frau.
PETER.
Verleumdung der Bojaren?
GORDON.
Nehmt und lest.
Ich hätte wohl mit Lügen Euch verschont,
Das müßt Ihr wissen. Diese Klage hat
Geschmack der Wahrheit. Lest.

Peter nimmt das Blatt. Er liest. Seine Züge bleiben finster und gesammelt. Er läßt das Blatt sinken, tritt ans Fenster und preßt die Stirn an die Scheibe.
PETER.
Der ist nun fort
Der Ménschikof. Und ringsum rauscht die Flut
Von allen Dächern.

Er hebt das Blatt, liest.

Gordon – weißt du Rat –
Und Hilfe, Gordon –?
GORDON.
Nicht einmal den Trost –
PETER.
Wie sagst du – Trost? bin ich ein Kind, ein krankes.
Das seine Milch vergoß? nur wissen will ich –
Was soll mir dieses Blatt?
GORDON.
Herr, was es soll?
PETER.
Du siehst mich schon – nicht wahr? – am Schlüsselloch
Vor ihrer Kammer, und ich zwänge dann
Mich unter's Bett und warte, wie die Katze
Lautlos und reglos, bis ihr Spiel die Mäuse
Beginnen über mir? siehst du mich so?
Dies Blatt ist Lüge, Gordon, und ich reiße
Die Lüge so, und so – was blieb von ihr?
Der Händler, dem ins Haus zur Zeit des Marktes
Ein junger Kerl sich stahl, ergehe sich
[353] In Lärm und irrer Wut – ich, den du kennst,
Ich darf mich nicht beim Lauschen finden lassen,
Bei niedrigem Gebaren jeder Art,
Scheltworten, Krämereifer, die der Menge
Wohl anstehn mögen, Gordon, und nicht dem,
Der jeden Umweg durch den Kot verschmähend,
In Herrscherfreiheit und in Herrscherzwang,
Nur glauben – oder töten kann.

Gordon verneigt sich und tritt zurück.

Ich werde
Dies Blatt vergessen. Katharina bleibt
Mir unberührt. Es ist des Herrschers Wille,
Daß diese Meldung lüge. Hör mich wohl:
Sie lügt, sie lügt, sie lügt.
GORDON
zögernd.
Wenn Ihr befehlt –
PETER.
Dies aber sag ich dir – Gordon, gib acht:
Dies Blatt – dies sag ich dir – dies Blatt lügt nicht,
Sie buhlen wie die Fliegen, wenn ich nur
Den Rücken zeige, stehlen sich die Gunst
Des Augenblicks und hier im Winkel, da
Und dort, verstohlen, legt sein hübscher Mund
Auf ihre Lippen sich und dann – ich will's
Nicht denken, Gordon, und es sei vergessen
Als eitle Lüge, keines Ärgers wert.
GORDON.
Es soll geschehn – doch wie begreif ich Euch!
PETER
in sich versunken.
Mich dünkt, ich kann nicht mehr. Wir gehen heut
Nach Petersburg und dort entscheidet sich
Des Prinzen Sache. Gordon, wissen wir,
Ob diese Hand die Feder führen kann
Beim Namenszug, der tötet? und mir scheint
Sie wird es können, wenn sie muß. Dann aber –
Was bleibt mir, Gordon, dann? es ist genug
Und schon zu viel – dann will ich feige sein
Und mich verstecken – und warum nicht feige?
Denn jeden trifft es wohl – warum nicht mich?
Man darf doch einmal müde sein, einmal,
Warum nicht ich?
GORDON.
Man lernt Euch, Herr, nicht aus.
Dies ist so fremd.
PETER.
Da ist noch etwas, Gordon,
[354] Woran ich denken muß. Die mich betrügt,
Die Frau, ich brauche sie, doch mein Bedürfen
Hab ich zu opfern jederzeit verstanden,
Wenn es die Not befahl, frag wen du willst,
Sein Heil wagt er darauf. Doch ist es wahr
Daß ich betrogen bin, so sage mir,
Wie, Gordon, ist es wahr? ich kann den Wein
Nicht hassen, den sie trinkt, das Hemd nicht hassen,
Das sie umhüllt – und Mons, der hübsche Knabe,
Ist ihr nicht mehr, ich weiß. So ist es. Hör,
Sie nimmt ihn wie den Wein. Was geht's mich an,
Wohin das Blut sie treibt, wo sie den Durst,
Den raschen leichten Wunsch zu stillen sucht!
Ihr Leben liegt bei mir, das Herz der Welt
Hört sie nicht schlagen als in meiner Nähe.
GORDON.
Hätt ich geschwiegen!
PETER.
Komm nur, Gordon, komm.

Beide ab. Es vergehen einige Augenblicke. Ein ganzer Schwarm von Dienern in Livree dringt in den Saal, darunter Peters Kammerdiener und dessen Sohn Iwánuschka, dieser in russischer Bauerntracht, ein Kind von fünfzehn Jahren. Die Diener beginnen den Tisch zu decken.

1. DIENER. Wo sind die Tücher? wo sind denn nur die Tücher?
2. DIENER. Was schreist du denn so? welche Tücher?
1. DIENER. Was weiß ich! sie putzen sich den Mund damit –
KAMMERDIENER.
Das sind keine Tücher, du Esel, das sind Servietten!
IWÁNUSCHKA.

Vater!

1. DIENER. Meinetwegen. Eine komische Sitte, bei Gott. Seit tausend Jahren haben wir reinlich gegessen und keine Tücher gebraucht, jetzt aber –

IWÁNUSCHKA.

Hör doch, Vater!

1. DIENER. – jetzt aber muß man sich den Wein in den Bart gießen, nur um die neue Sitte mitmachen zu können. Eine komische Welt und eine lächerliche Sitte.

KAMMERDIENER.
Das verstehst du nicht –
IWÁNUSCHKA.
Aber Vater, hörst du denn nicht!
KAMMERDIENER.
Hörst du denn nicht! ich höre ja. Was willst du? ich habe keine Zeit.
IWÁNUSCHKA.
Sieh doch nur! was machen die da? warum hängen die schwarzen Tücher da auf dem Gerüst?
[355]
KAMMERDIENER.
Fort! fort mit dir! das ist nichts für dich! Was hast du hier am Fenster zu suchen?
IWÁNUSCHKA.
Da wird wohl ein Pope kommen und predigen?
KAMMERDIENER.
Her zu mir, Schlingel, soll ich dich bei den Ohren nehmen?
IWÁNUSCHKA.
Warum steht denn ein Block da wie beim Metzger?
KAMMERDIENER.

Kälber zu schlachten, Himmel und Erde, und so weiter! willst du wohl herkommen! da stell dich her, da hast du ein Tuch, kannst mithelfen, Gläser und Teller abwischen, daß mir kein Stäubchen ... holla!

1. DIENER. Schon gut, schon gut. Der Umstand, hol's der Teufel!

3. DIENER am Fenster. Seht, seht, seht!

1. DIENER. Ein Wagen!

3. DIENER. Seht doch, seht!

KAMMERDIENER.
Ihr Tröpfe, habt ihr noch keinen Wagen gesehn?
3. DIENER. Man hat doch gesagt, er wäre tot?
2. DIENER. Nun steigt er aus dem Wagen.
KAMMERDIENER.
Wenn er noch aus dem Wagen steigen kann – wer ist's?
2. DIENER. Schau selbst nach, was fragst du!
IWÁNUSCHKA
schreit.
Der Zaréwitsch ist's, der Zaréwitsch! mit einer wunderschönen Dame!
KAMMERDIENER.
Bengel, was weißt denn du von wunderschönen Damen!
3. DIENER. Da werden sie wohl gar den Zaréwitsch – da draußen – er pfeift:
IWÁNUSCHKA.
Was sagst du, werden sie –?
3. DIENER. Ich sage, sie werden – pfeift.
IWÁNUSCHKA.
Was? wie?
KAMMERDIENER.

Narr, das da draußen ist für die Bojaren – Bengel, mach dich fort, das ist nichts für dich, fort, fort, alle fort – sie kommen gleich und nichts ist fertig –

1. DIENER. Alles ist fertig, schrei du nur.


Alexéj und Afróssja treten ein. Alexéj in derselben schwarzen Tracht, Afróssja modisch gekleidet. Der Kammerdiener verläßt mit allen Dienern den Saal. Iwánuschka ist stehen geblieben und starrt den Prinzen mit offenem Munde an.
ALEXÉJ
ihn bemerkend, zerstreut, fast unfreundlich.
[356] Was willst du, Kind? geh fort, laß uns allein.

Iwánuschka erschrickt und läuft hinter den Dienern her. Afróssja hat sich in einen Sessel sinken lassen,
Alexéj steht nicht weit von ihr.
ALEXÉJ.
Du –
AFRÓSSJA.
Sag –
ALEXÉJ.
Ich weiß nicht –
AFRÓSSJA.
Weißt nicht mehr –?
ALEXÉJ.
Bei Gott,
Was auf dem Platze steht – mich dünkt, man kann es
Von diesem Fenster sehn – ich seh's –
AFRÓSSJA.
Der Block –
ALEXÉJ.
– ist grade solch ein Ding, das die Gedanken
Auslöschen kann im Hirn – was sagst du?
AFRÓSSJA.
Nichts.
Was kann ich sagen!
ALEXÉJ.
Sag – ob du mich liebst.
AFRÓSSJA.
Ach, Alexéj, dich lieb ich!
ALEXÉJ.
Liebst mich nicht,
Afróssja, liebst mich nicht.
AFRÓSSJA.
Komm, Alexéj,
Komm her zu mir.
ALEXÉJ.
Ich sag dir's und lache,
Da ist es nicht so schlimm. Ich bin zufrieden,
Läßt du es dir gefallen, daß ich dich
In mein Gefühl wie in ein Tuch von Feuer
Von Kopf zu Füßen wickle, läßt es dir
Gefallen froh und kühl, von mir allein,
Das muß mir denn genügen. Und es ist
Genug – wie sehr, ich kann's nicht sagen. Freilich,
Das Untertauchen hast du nicht gelernt,
Du schwimmst im Licht, es zieht dich nie hinab,
Der Schwindel, der verderbliche, des Traums,
Greift nie hinauf zu dir und lockt dich nicht
Und zwingt dich nicht – das hat mir vielen Schlaf
Gekostet – früher – heute liegt ein dunkler
Und süßer Reiz darin: er macht es wohl
Daß keine Sattheit meinen Hunger stillt
Und nach der seligsten Erfüllung immer
Mir noch ein Wunsch und eine Frage bleibt.
AFRÓSSJA.
Still, still, das ist nicht wahr. Du liebst mich schlecht,
[357] Und alles ist nicht wahr. Sonst tätest du,
Um was ich dich den ganzen Morgen schon
Gebeten – wie gebeten!
ALEXÉJ.
Nichts davon!
Davon nichts mehr!
AFRÓSSJA.
Es ist ja nur ein Wort.
Du sagst ein kleines Wort, dann hast du mich
Dein ganzes Leben lang – ein kleines Wort,
Sie wollen's hören, an das eine Wort
Hängt sich ihr Eigensinn, du nickst nur: ja –
Wenn sie dich fragen –
ALEXÉJ.
Quäl mich nicht, ich kann
Das nicht – es ist Verrat – er stand vor mir,
Den Tod im Auge, und da soll mein Wort
Die Mutter ihm ... er tötet sie – und ich
Muß leben, so gezeichnet! lieber sterb ich
Und sehe dich nicht mehr.
AFRÓSSJA.
Vergißt du so –?
ALEXÉJ.
Das nicht! weißt du das nicht? kannst du denn nicht
Verstehn, verstehn, verstehn, daß ich zu Boden
Gleich fallen möchte und die Nägel tief
Eingraben in das Holz, das rissige,
Und schreien bis ich sterbe! – weil man schon
Für mich so etwas baut wie das da draußen,
Ein solches Ding, das draußen irgendwo
Mit schwarzen Flügeln steht – und weil mein Herz
Mich treibt, vor diesem Vater der mich haßt,
Den letzten Trotz zu wagen – weil ich lieber
Als Schuft mit dir im schmutzigen Winkel lebte
Als daß ich kämpft und stürbe wie ein Held –
Und weil ich dennoch muß – und nichts ringsum,
Nichts andres sehe – denn die Rettung kommt
Nie, nie, wenn nicht von ihm.

Der Kammerdiener öffnet plötzlich beide Türflügel, Diener treten ein.
KAMMERDIENER.
Die Majestät des Zaren.

Ein Trompetenstoß, dann Musik, Costa kommt, Flöte blasend. Peter tritt auf, Katharina führend, hinter ihnen paarweise mit Damen: Gordon, Tolstoí, Ménschikof, Mons, Edelleute, in französischer Hoftracht. Alle stellen sich um den Tisch herum, jeder vor seinen Platz.
Costa setzt sich auf die Lehne eines Sessels links im Saal, die Flöte in der Hand.

[358]
TOLSTOÍ.
Im Namen meines Herrn kund und zu wissen:
Der Zar ist nicht zu Haus, ich seh ihn nicht,
Ich hör ihn nicht, ich weiß nicht was er tut,
Kurz, er ist nicht vorhanden, Gott sei Dank ...

Gelächter.

Der Zar ist fort, der Bruder Peter lebe!
ALLE.
Erlebe!
GORDON.
Dankt Ihr nicht?
PETER
auffahrend.
Recht gern, recht gern –
Der Bruder Peter trinkt und dankt!

Tusch. Man setzt sich. Alexéj trinkt hastig. Afróssja versucht ihn zurückzuhalten. Peter steht auf, gibt Alexéj einen Wink, kommt nach vorn. Alexéj tritt zu ihm. Die Gesellschaft außer Afróssja scheint die beiden nicht zu beachten, das Gespräch am Tisch dauert fort.
PETER.
Nun widert mich die Posse. Willst du nicht
Ein Ende machen, Alexéj? ich frage,
Du sagst ein Wort und dieser ganze Spuk
Stirbt hin, der Nacht Gebilde, das die Sonne
Nicht leiden will.
ALEXÉJ.
Du bietest mir das Leben.
Gib's, wenn du kannst. Nur nicht als ein Geschenk.
Nur nicht als Lohn – was willst du?
PETER.
Hab Geduld.
ALEXÉJ.
Ich höre.
PETER.
Warte noch. Begreifst du nicht
Daß ich zu sprechen zögre?
[359]
ALEXÉJ.
Nein, ich nicht,
Es ist nicht deine Weise. Sprich.
PETER.
Du willst
Mich heute nicht erfassen und es wäre
So nötig heut wie nie. Bemühe dich.
ALEXÉJ.
Bemühen soll ich mich – und was tust du?
PETER.
Du siehst nicht was ich tue. Nun, es sei,
Ich frage: eine seltne Beute brachte
Der Posten auf am Tor – ein Wagen war's
Und eine Frau darin – weißt du davon?
ALEXÉJ
unbeweglich.
Ich weiß von nichts.
PETER.
Der Name ward ermittelt
Und alles andre: Schwester Helena –
Vor Zeiten meine Frau – und Herrscherin –
Und deine Mutter – hatte großen Anteil
An dem was hier geschah – weißt du davon?
ALEXÉJ.
Ich! – nein.
PETER
leidenschaftlich.
Weißt du davon? zum letzten Mal!
Sag, Alexéj, daß du es weißt! sag's mir!
Wer dürfte schweigen, so befragt! sag's mir!
Ich muß es wissen, Alexéj –
ALEXÉJ
einen Augenblick verwirrt, sieht ihn an, dann hart.
Ich weiß
Und sage nichts.
PETER
fast taumelnd.
Das Ende – du – ah du –

Costa bläst plötzlich einen starken, sonderbar kläglichen Flötenton. Peter wendet sich schroff zur Seite.
PETER.
Tolstoí, zu mir.

Tolstoí tritt rasch zu ihm.

Jetzt gib dein letztes Mittel,
Schaff mir die Wahrheit.
TOLSTOÍ.
Herr, in Petersburg.
PETER.
So sei es. Nun genug.
TOLSTOÍ.
Die Abgesandten
Die für den Prinzen, Herr, zu bitten kamen,
Die von den Städten, Herr –
PETER.
Nach Petersburg!
Jetzt kann ich sie nicht brauchen.

Er geht mit Tolstoí nach rückwärts.
AFRÓSSJA.
Komm doch nur,
So komm doch, Alexéj.

[360] Sie ist zu ihm getreten und zieht ihn mit sich fort zum Tisch, Alexéj folgt willenlos.
PETER
lärmend.
Wer gibt ein Stück
Das uns erheitert? Costa, du? Tolstoí?
Dort unser Kammerherr? he, junger Freund,
Ein Liebeslied auf deines Herzens Dame –
Wer ist die Schöne?
MONS
stotternd.
Ich – ich kann nicht –
PETER.
Singe.

Katharina spricht krampfhaft mit ihrem Nachbar. Erzwungenes Lachen. Mons steht da, rot und verlegen.

Du willst sie uns nicht nennen? gut, man weiß
Geheimnisse zu ehren – Costa!
wollt ihr
Ein Lied vom Wein, ihr Herrn? ein Liebeslied,
Ihr Damen, sprecht! ein Schäferlied?
COSTA.
Was soll
Es sein?
PETER.
Sing was du willst – nur fange an.

Costa hebt die Flöte. Peter fährt plötzlich auf und lauscht. Ein Glocke fällt ein mit schrillen und dünnen Klängen.
MÉNSCHIKOF
schreit.
Das Glöckchen ist's für die Bojaren! rasch!

Er läuft zum Fenster hin, viele springen auf und drängen ihm nach. Alexéj läßt seinen Becher fallen, nimmt einen anderen und trinkt.
AFRÓSSJA.
Nicht! nicht! was tust du!
ALEXÉJ
laut, mit schwerer Zunge.
Liebste, was ich kann.
Die bluten sich zu Tod – und ich darf trinken.
Ich gieße Wein auf meinen Ekel, der
Verkriecht sich – und ich finde dieses Fest
Erträglich – meinst du nicht? – erträglich –
AFRÓSSJA.
Still!
Denk nicht daran!
COSTA.
Prinz, Euer Vater sieht
Euch an, geht doch zu ihm. So geht doch nur.
ALEXÉJ.
Wer etwas von mir will, der komme selbst.

Kirchenglocken setzen ein, eine Stimme sagt laut Gebete her, dazwischen Gesang.
MÉNSCHIKOF.
Das Zeichen! da! das Zeichen! und nun fällt
Das erste Haupt –

[361] Alexéj steht zitternd da, wagt nicht ans Fenster zu treten. Das Gespräch verstummt, alle blicken hinaus.
PETER.
Und willst du, Alexéj,
Des Todes Handwerk nicht zum ersten Mal
Aus Neugier dir besehn? du hast es sonst
Vermieden, wie mir scheint, ich traf dich noch
In keiner Schlacht – sieh hin.
ALEXÉJ
schwer.
In keiner Schlacht –
Ich glaub's – warum auch sollt ich – Schlacht ist Unsinn –
Der Tod ist Unsinn – auch der Lorbeer – vieles
Und vieles noch dazu – es kostet mich
Nicht viel, es anzusehn – ich gehe hin,
Zehn Schritte, und zurück – marsch, Alexéj!

Er geht langsam mit unsicheren Schritten bis zum Fenster, den Becher in der Hand, sieht hinaus. Dann dreht er sich um und geht ebenso zurück, im Vorübergehen einen scheuen Blick auf Peter werfend. Er setzt sich, knickt dabei zusammen und fällt mit Kopf und Armen schwer vornüber auf die Tischplatte. Das Geläut hat aufgehört.
PETER.
Gordon, wie faß ich nun den starren Trotz.
Zu schwach, das Gräßliche zu sehn! und stark,
Ja, stark genug, es zu ertragen? alles,
Nur nicht das eine, nicht das leichteste,
Was ihm sich in die Hände spielt von selbst,
Er bringt's nicht über sich. Was tun?
MÉNSCHIKOF.
Der Vierte!
PETER
wendet sich jäh zur Gruppe am Fenster.
Was starrt ihr da! was ist da viel zu sehn!
Ein Kopf, der fällt, und Blut, das fließt, nichts mehr!
Die Mahlzeit ist gestört – zurück vom Fenster!
Der Costa singt ein Lied –
ALEXÉJ
auffahrend.
Was soll der Narr!
Ich bin ein Prinz, ich hab den Vorrang, ich.
Was Costa kann, das kann ich auch, nur schöner,
Viel schöner, hört mir zu!
AFRÓSSJA.
Wie sprichst du doch –
ALEXÉJ.
Ich will's! laß mich! was seht ihr mich so an!
Ihr glaubt, es ist der Wein? und war's der Wein –
PETER.
Fort – fort mit ihm – zu Bett!
ALEXÉJ.
Du brächtest mich
In solch ein Bett darin man schläft und schläft
Und nie –
[362]
TOLSTOÍ.
Hört nicht auf ihn!
MÉNSCHIKOF.
Costa, dein Lied!
ALEXÉJ.
Ihr wißt es alle, daß ich sterben soll,
Auch so wie die, die Stirne auf dem Block,
Das Letzte, was ich weiß, Geruch von Blut
Und feuchtem Holz! das wißt ihr doch und lacht
Und trinkt mir zu, weil niemand euch bedroht,
Und fürchtet nichts. Ich aber bin ein Prinz
Und muß das kommen sehn, wovor mir graut,
So wie ein Zwerg im Nebel auf sich zu
Den Riesen schreiten sieht, den, den da drüben,
Der über'n Becher zornig nach mir schielt –
Da ist er ja – hier mitten unter uns –
Er weiß noch nicht, wie er sich fassen soll
Und trägt doch – seht ihr's nicht? – trägt meinen Tod
Schon in der Tasche!

Alle springen auf, großer Lärm, Verwirrung. Peter ist in die Höhe gefahren, will auf Alexéj zu, Katharina und Gordon halten ihn zurück.
PETER.
Schweig!
TOLSTOÍ
zu Alexéj.
Besinnt Euch doch –
Was tut Ihr!
AFRÓSSJA.
Komm – komm fort – wenn du mich liebst –
ALEXÉJ.
Ich liebe nur mich selbst, jetzt nur mich selbst,
Weil ich doch leben möchte. O das Sterben
Ist nicht so schlimm, schlimm ist der Tod. O – nichts,
Nichts kommt dem gleich: im Sommer sich den Trunk
Am Brunnen selbst zu schöpfen – und im Schatten
Zu liegen, wenn zu stark der Mittag brennt –
Den Schnee zu fühlen und – ich zähl's nicht auf –
Es ist so viel – es ist –

Er schwankt. Costa und Afróssja springen ihm bei, er wehrt sie von sich ab und geht halb taumelnd einige Schritte vor.

laß mich doch leben –
Ich will mich an dich hängen, will dich halten
Bis du das Ja mir zunickst –
PETER
weicht zurück.
Schafft ihn fort!
ALEXÉJ.
Laßt mich zu ihm –
TOLSTOÍ.
Ihr sollt nicht – dürft nicht –
ALEXÉJ.
Laßt –
Laßt mich zu ihm –
AFRÓSSJA.
Gott helfe uns!
[363]
ALEXÉJ
schreit auf wie ein gequältes Tier.
Fort, Hunde!

Er umklammert Peter, der entsetzt zurückgewichen ist, mit beiden Armen. Das Geläut der Glocken beginnt wieder.

Nicht wahr, das tust du nicht? das kannst du nicht?
Sag, daß ich leben werde! was Bedingung!
Du gibst das Leben, weil es mir gehört –
Das darf mir keiner nehmen, Gott, verstehst du,
Gott gab es mir durch dich, er mag es nehmen,
Du nicht! das kannst du nicht!
PETER.
Gordon, heran,
Tolstoí, zu mir, so nehmt mir das vom Hals –
ALEXÉJ.
Ich laß dich nicht –
PETER.
Wahnsinnig bist du – da –

Er stößt ihn heftig von sich und verläßt rasch den Saal. Die Gesellschaft drängt ihm nach, der Aufbruch gleicht einer Flucht.
ALEXÉJ
schrill.
Du – du –

Er taumelt, wirft die Arme empor, fällt hin, bleibt liegen. Afróssja und Costa beugen sich zu ihm nieder.
COSTA.
Nur fort – nur fort – ich helfe dir.

4. Akt

Vierter Akt

Petersburg. Ein Zimmer. An der rechten Wand ein Bett, mit dem Kopfende zum Zuschauer gekehrt. In derselben Wand weiter vorn eine Tür. Im Hintergrunde eine Holztreppe, die zu einer Tür hinaufführt. Links ein Tisch. In der linken Wand ziemlich hoch oben ein halbrundes Fenster.
Hinten auf der ersten Stufe der Treppe stehend Vater Warlaám, sich verabschiedend von Alexéj, der an das Geländer gelehnt zum Geistlichen emporsieht.

ALEXÉJ.
Habt Dank und denkt an mich, wenn Euch die Zeit
Nicht beßre Bilder vor das Auge stellt.
Besucht mich, wenn Ihr könnt. Ihr habt mir Gutes
Getan ... und wenn Euch Furcht vor mir entfernt –
Vor meinem Vater, mein ich – seid gewiß,
Das braucht Euch nicht zu kümmern, ja, ich weiß,
Er gönnt die seltne Stunde mir, die rein
Von Mißtraun ist und Angst. Man lügt so viel
[364] Am Hof und in der Welt, versteckt sich immer
Und nennt das Finstre hell. Zuweilen aber
Braucht man das andre, braucht es, was mit Euch
Geschützt von Eurem Kleid, ins Zimmer tritt,
Und braucht es um so mehr, je länger es
Nicht kommen durfte. Daß es heute kam,
Muß ich Euch danken und ich tu's: habt Dank
Und immer: Dank!

Der Priester verneigt sich in sichtlicher Verwirrung, macht das Zeichen des Kreuzes über Alexéj und geht hastig ab. Alexéj sieht ihm nach. Afanássjitsch kommt die Treppe herab.
ALEXÉJ.
Du, Alter? komm zu mir.
Sahst du Afróssja?
AFANÁSSJITSCH
mürrisch.
Ja. Mit Costa.
ALEXÉJ.
Jetzt?
AFANÁSSJITSCH.
Was weiß ich! früher.
ALEXÉJ
lächelt.
Nun, was hast du, Alter?
Du willst mich wieder schelten, so wie damals,
Als ich ein Kind war. Tu's.
AFANÁSSJITSCH.
Daß Ihr da lacht,
Ist Sünde! ja, das ist's! ich sage, Sünde!
Das nennt man: Gott versuchen, ja, bei uns
Im Dorf, das was Ihr tut! macht, was Ihr wollt,
Spielt nur um Euer Blut, was kümmert's mich!
Bin ich schon alt, ich kann viel Arbeit tun
Und finde leicht mein Brot. Euch brauch ich nicht.
Und treibt Ihr's auch so weit, bis man Euch köpft –
Treibt's immerzu! mich kümmert's nicht so viel –
Nur zu! nur zu!
ALEXÉJ.
Sei still und hör –
AFANÁSSJITSCH.
Genug,
Genug. Wer hat Euch nur den Trotz gelehrt,
Wer Euch die Unvernunft? ich will Euch sagen,
Wie das im Dorf geschieht – ein Beispiel – seht:
Das ist ein Bauer – und da sein Sohn –
Der Sohn hat ihm den Schimmel abgetrieben –
Nun wird der Bauer zornig – und der Sohn –
Was tut der Sohn? stellt er sich auf den Kopf
Wie Ihr? schlägt er ein Rad wie Ihr? spricht er
Wie Ihr von Stolz, von Würde? nein, er geht
Zum Alten hin und sagt? verzeih mir, Vater –
Und der, der Alte, sieht ihn an und spricht:
[365] Du bist ein Hundesohn, doch – Gott verzeiht.
So, Herr, geschieht's bei uns.

Costa ist eingetreten, bleibt oben auf dem Treppenabsatz stehen, hört zu.
ALEXÉJ.
Du bist sehr klug.
Das nächste Mal befolg ich deinen Rat,
In dieser Sache dient mein Kopf mir besser,
Doch das begreifst du nicht.
AFANÁSSJITSCH.
Erlebt nur erst
Das nächste Mal! doch vorher seid Ihr tot!
Ich will das nicht verstehn! bei uns im Dorf
Schlägt man mit Stöcken um sich, kratzt und beißt
Eh man sich köpfen läßt – Ihr aber geht
Mitten hinein und alle Türen, Herr,
Zur Rettung stehen offen und Ihr seht
Sie nicht, Ihr geht vorbei und ich, ich soll
Das ansehn, Herr, und soll –

Er wendet sich ab und geht, mit den Tränen kämpfend.
ALEXÉJ.
Du meinst es gut
Und kannst mir doch nicht helfen. Rufe mir
Afróssja, wenn du gehst. Komm, sei nur ruhig,
Wir sprechen noch darüber.
COSTA
ruft von oben.
Herr –
ALEXÉJ.
Da bist du –
Wo ist Afróssja? geht nur, Alter, geh,
Sieh nach und rufe sie.

Afanássjitsch geht ab, fährt sich zornig mit dem Ärmel über die Augen.
ALEXÉJ.
Du warst mit ihr?
COSTA
zögert ein wenig.
Ich war's. Dann ging sie fort.
ALEXÉJ.
Sie ist nicht hier,
Das siehst du doch – wo aber steckt sie?
COSTA.
Herr,
Da war ein Knäuel roter Wolle –
ALEXÉJ.
Wolle?
COSTA.
Nun ja. Und diesen Knäuel warf sie, Herr,
Nach mir –
ALEXÉJ.
Wie das?
COSTA.
Im Scherz – der aber sprang
An mir vorbei und dann hinab die Treppe –
[366]
ALEXÉJ
lauscht, schüttelt dann den Kopf.
's ist nichts. Und dann?
COSTA.
Sie lief dem Knäuel nach
Hinab die Treppe, Herr, und kam nicht wieder.
ALEXÉJ.
Sie ging wohl zu den Mägden.
COSTA.
Herr, ich sah
Afróssja dann im Hof vom Fenster aus,
Sie ging die Wand entlang des Schlosses, Herr,
Und neben ihr –
ALEXÉJ.
Und neben ihr?
COSTA.
Tolstoí.
Ich weiß nicht, wie das kam. Er traf sie wohl
Am Fuß der Treppe.
ALEXÉJ.
Was? und ging mit ihm?
Tolstoí?
COSTA.
Da ging ich denn zurück, um Euch
Zu fragen, Herr.
ALEXÉJ.
Ich weiß ja nichts. Um mich
Zu fragen! Costa! ich begreife nicht
Wie das geschehen konnte. Und sie ging
Freiwillig mit? er zwang sie nicht? so hilf
Mir doch, ich finde das nicht aus
Was da dahinter steckt – steh nicht so so da,
Denk nach und hilf mir.
COSTA.
War der Priester nicht
Bei Euch?
ALEXÉJ.
Der Beichtiger – was ist's mit dem?
COSTA.
Herr, der gefiel mir nicht.
ALEXÉJ.
Es ist so dumpf –
Zieh doch das Fenster auf –

Costa geht zur Wand links und zieht an einer Schnur, das Fenster springt auf.

mir ist – als wäre
Da etwas Fürchterliches – hinter mir –
Unnennbar – etwas – das die Hände hebt –
Grad hinter mir – dies Häßliche – o – Luft –
Das Fenster ist zu klein – hilf mir – die Luft –
Ich habe keinen Atem – hier die Tür –

Er läuft nach rechts zur Tür, reißt sie auf, fährt zurück, jäh erschreckend.

Soldaten! was bedeutet – Costa –

[367] Ein Soldat zeigt sich in der Tür, winkt nach rückwärts, man hört ein leises Rasseln wie von Gewehren.

Sprich,
Was tust du hier? wer hat euch, herbestellt?
Ich geh nicht aus, ich brauche keine Wache –
SOLDAT.
Zaréwitsch, gnädiger Herr, wir haben strengen
Befehl des Zaren –
ALEXÉJ.
Ihr – was ist geschehn? –
Seit wann? – begreifst du, Costa?
COSTA
zum Soldaten.
Guter Freund,
Wie lautet der Befehl?
SOLDAT.
Des Prinzen Hoheit
Verläßt dies Zimmer nicht –
COSTA.
Ei was –
SOLDAT.
Wir haften
Mit unsren Köpfen.
ALEXÉJ
winkt heftig ab.
Geh nur – es ist gut.

Der Soldat tritt zurück, die Tür fällt zu.

Still, Costa, still – ich muß doch sehn –

Er geht nach hinten und hastig die Treppe hinauf,
öffnet die Tür. Ihm entgegen ein Offizier.
OFFIZIER.
Ihr müßt
Zurück, mein Prinz –
ALEXÉJ.
Herr Kamerad,
Erklärt mir doch –
OFFIZIER.
Hier ist ein schriftlicher
Befehl –
ALEXÉJ.
Ich bitte, laßt! Ihr habt Befehl,
Ich weiß und will es glauben ... sagt mir nur ...
Ich habe Sorge, Herr, um eine Frau
Die mir zu teuer ist als daß ich lang
Die Furcht ertragen könnte ... man hat sie
Von mir gelockt, man läßt mich nicht zu ihr,
Wo ist sie, sagt?
OFFIZIER.
Ich traf sie im Gespräch –
Es ist kein Grund zur Sorge – mit Tolstoí
Und einigen mehr ...
ALEXÉJ.
Nein, sagt mir mehr davon:
Sie sprach mit ihm? sie weinte? und man hat
Mit Fragen sie gequält?
[368]
OFFIZIER.
Beruhigt Euch –
ALEXÉJ.
Man hat sie nicht gequält? komm zu mir, Costa,
Kannst du's verstehn? man spürt sie aus, vielleicht
Mit List, sie wird betrogen – Herr, mein Gott,
Wann endet dies! wird diese Stunde nie
Vorübergehn! muß ich hier angebunden
In einer Zelle –
OFFIZIER.
Habt Geduld, mein Prinz,
Hier kommt der Staatsrat selbst, er wird Euch sagen –
ALEXÉJ.
Willkommen! o willkommen!

Er läuft die Treppe hinab und wartet. Tolstoí kommt von oben, eine Rolle in der Hand. Der Offizier tritt zurück.
TOLSTOÍ.
Prinz, vergebt
Wenn ich mit ernster Nachricht ... wollt verstehn
Daß ich als Mensch ...
ALEXÉJ.
Spart das! sagt alles! sagt!
TOLSTOÍ
verneigt sich.

Nachdem die Untersuchung beweiskräftig dargetan, daß Ihr, Zaréwitsch, des Hochverrats schuldig seid; nachdem der Zar, unser Herr, in seiner Güte die Begnadigung an eine einzige Bedingung geknüpft: Euer volles und rückhaltloses Geständnis, mein Prinz; nachdem Ihr den Kern der Verschwörung, das Einvernehmen mit Eurer Mutter, verschwiegen, da sich doch ein solches Einvernehmen unwiderleglich erwiesen hat ...

ALEXÉJ.
Erwiesen! Wahnsinn! träumt Ihr? sagt, wie hätte
Sich das erwiesen?
TOLSTOÍ.
Ihr, mein Prinz, Ihr selbst
Gestandet –
ALEXÉJ.
Ich!
TOLSTOÍ.
– vor einer Stunde selbst
Gestandet unsrem wohlbewährten Diener,
Dem Priester Warlaám –
ALEXÉJ
fassungslos.
Ihr greift hinein –
In das, was heilig ist – in das Geheimnis
Der Beichte greift ihr – Menschen, was ist euch
Dann unanrührbar noch –
TOLSTOÍ.
Die Beichte schützt,
Und ihr Geheimnis, Hochverräter nicht –
Das, müßt Ihr wissen, ist Gesetz.
ALEXÉJ.
Was noch?
[369] Was nennt ihr noch Gesetz? ich will es glauben,
Was ihr auch sagen mögt, nennt mir noch einen
Verfluchten Greuel den ihr mit dem Namen
Nicht des Gesetzes schmückt ...
TOLSTOÍ
kühl.

Ich fahre fort:

Nachdem solches Geständnis noch bekräftigt worden ist durch die freie, das ist unerzwungene Aussage der schönen Freundin des Prinzen, des Mädchens Afrossínja ...

ALEXÉJ
schreit auf.
Nein! nein! nein! nein!
TOLSTOÍ.
Zaréwitsch, fragt sie selbst.
Erlaubt mir fortzufahren.
ALEXÉJ.
Hängt Euch, Herr!
Was könnt Ihr mir noch sagen! schlingt den Wisch
In Euch hinein! was bringt er mir, das ich
Zu hören noch vermöchte! wär's mein Tod,
Mir gleich! sei's was es sei – ich will's nicht hören –
Nichts mehr kann es mir sein – es ist nur eins
Zu tun – sie fragen! fragen!
TOLSTOÍ.
Hört mich, Prinz!

Alexéj ist die Treppe hinaufgeeilt, stößt die Tür auf, blickt hinaus.
ALEXÉJ.
Afróssja, her zu mir! den Weg ihr frei!
Zu mir, Afróssja! o, du weißt noch nicht
Was du getan! so komm! komm nur zu mir,
Ich will's dir sagen –
TOLSTOÍ.
Ob hier nicht der Arzt –?

Afróssja ist in der Tür erschienen, Alexéj zieht sie mit sich die Treppe hinab bis in die Mitte des Zimmers, läßt sie los, sie fällt in einen Sessel, verbirgt das Gesicht in den Kissen.
ALEXÉJ.
Noch weißt du nicht, es glänzt dir noch nicht auf
Was du getan? du hast mich hingegeben
In ihre schmutzigen Hände, hast –
AFRÓSSJA.
Hör auf!
Sie sagten mir –
ALEXÉJ.
Doch Worte nur? das war
Dir schon genug, da warfst du mich von dir
Vor ihre Füße hin –
AFRÓSSJA.
Sie wüßten alles
Schon durch den Priester, sagten sie –
[370]
ALEXÉJ.
Wer aber
Hat dir gesagt daß sie nicht logen?
AFRÓSSJA.
Wer?
Ich wollte –
ALEXÉJ.
Was?
AFRÓSSJA.
Dich retten – und es war
Kein andrer Weg –
ALEXÉJ.
Verraten hast du mich,
Verdorben und verkauft! was kümmert jetzt
Die Rettung dieses Leibes mich. Wär ich
Nicht krank, ich sagte dir ...
COSTA.
Herr, seid Ihr krank?
TOLSTOÍ
geht rasch ab.
Ich sende gleich den Arzt. Gib acht auf ihn,
Dem Zaren muß ich's melden.
ALEXÉJ
ohne darauf zu achten.
Das hast du,
Geliebte, du, getan. War ich nicht krank,
Ich sagte dir ...

Er denkt nach mit zuckenden Lippen, dann kniet er plötzlich neben ihr nieder.

ich bin dir ja, mein Kind,
Wie einer von der Straße, den du nie
Vorher gesehn – die Lippen kennst du wohl
Und ihre Worte – was von innen aber
Empor die Worte zu den Lippen treibt
Das Heimliche, das Dunkle, das Versteckte
Sahst du noch nie – das, was ich bin, ich selbst –
Du sahst es nie – so ist's – ich träume nicht
Ob auch das Fieber ... wähle wen du willst
Dir ist er fremd wie ich, du kennst ihn nicht,
Weißt nichts von ihm, weißt nichts von mir – und kannst
Nicht hören was ich sage. Fand ich nur
Die Laute die dich zwängen! höre mich,
Ich fühle wohl, dies ist verwirrt – nur höre –
Es leuchtet doch vielleicht aus der Verwirrung –
Nur höre ... laß mich nahe sein ... nur höre ...

Er spricht stammelnd und fiebernd auf sie ein. Indessen ist der Vorhang gefallen.
Verwandlung. Das Schlafgemach des Zaren. Ein dunkles enges Zimmer. Links das Bett. Rechts ein Tisch und eine Bank, hinter [371] dieser ein Wandschrank. An der einen Seite des Tisches ein
Sessel. Im Hintergrund die Tür, welche offen steht: man sieht ein Stück des schmalen bläulich beleuchteten Ganges. Über dem Tisch eine große laternenförmige Hängelampe, die ein gelbrötliches Licht verbreitet.
Auf der Bank Katharina. Neben ihr, an den Tisch gelehnt, Mons. Draußen auf dem Gang gehen einige Hofdamen langsam auf und nieder.
MONS.
Und stets von neuem schön! und stets von neuem Kalt, hart und grausam!
KATHARINA.
Still doch, hörst du nichts?
MONS.
Ich liebe solches Dunkel, wo ringsum
Das Ungewisse wartet, still und schlafend
Und nur ganz leicht bedeckt: ein kurzes Wort,
Ein Seufzen stört es auf, schon läßt es heimlich
Die Decke niedergleiten, schlüpft hervor
Und tritt heran und hat mit einemmal
Gestalt und Sprache ... Herrin, liebt Ihr's nicht?
KATHARINA.
Du bist ein Knabe. Nein, ich mag es nicht.
Ich traf in solchem Dunkel allzuoft
Ein Wesen an mit Blicken ohne Süße
Und einem Mund aus dem die Kälte blies ...
Einst kommt es auch zu dir.
MONS.
Ich will's begrüßen
Mit einem Kuß, dann lächelt es vielleicht.
KATHARINA.
So jung noch bist du wärst du's nicht!
MONS.
So jung
Weil's Euch gefällt und Euer.
KATHARINA.
Still, nicht hier.
MONS.
Da springt es wieder auf in Eurem Blick
Was ich nicht liebe. Herrin, weiß ich doch
In wessen Schatten ich versinken muß
Wenn Ihr so blickt: dann steht in Eurer Seele
Der alte große Zar
KATHARINA.
Spricht nicht von ihm!
Er ist nicht jung, das ist's! die Falten stehen
Ihm wohl, die auf der Stirn und hier und hier
Und doch betrog ich ihn.
MONS.
Dann wieder mich.
KATHARINA
fremd, fast hochmütig.
Betrügen dich?
[372]
MONS.
Seht, das ertrag ich nicht
Viel lieber wär ich alt und würde so
Betrogen, so wie er!

Stimmen und Schritte.

ich will, ich will
Das nicht ertragen
KATHARINA.
Still, er kommt!
MONS.
Ich tue
Doch immer, was Ihr wollt.
KATHARINA.
So muß es bleiben.

Peter und Gordon kommen, gefolgt von den sieben Abgeordneten der Städte, darunter der Alte.

Geschäfte noch so spät?
PETER.
Versprochen ist's,
Die muß ich hören. Gehst du nicht zu Bett?
KATHARINA.
Wenn du befiehlst
PETER.
Hab gute Nacht.

Katharina wendet sich zur Tür.

Ich muß
Noch viel bedenken, laß mich nur allein
Heut bin ich kein Gesell. Gut Nacht.
KATHARINA.
Gut Nacht.

Sie geht ab mit Mons und ihren Damen. Peter setzt sich. Die Abgeordneten kommen vor. Gordon steht vorn links.
PETER.
Noch einmal denn, was wollt ihr?
DER ALTE.
Herr, das Leben
Für den Zaréwitsch.
PETER.
Was, nicht mehr?
DER ALTE.
Das Erbe
Nach Eurem Tod.
ALLE.
Das Reich.
PETER.
Wer spricht zu mir
Ich meine, wessen Stimme
DER ALTE.
Herr, des Volkes.
PETER.
Kurzweg des ganzen Volkes! wer sammelte
Die Stimmen?
DER ALTE.
Herr, die Städte sammelten,
Die Dorfgemeinden ...
PETER.
Gut. Zu Gordon:
Es ward geprüft?
GORDON.
Geprüft. Er sagt die Wahrheit.
PETER.
Dieses Häuflein
[373] Steht für die Mehrheit?
GORDON.
Für die Mehrheit, Herr.
PETER.
So sprecht.
DER ALTE.
Den Prinzen gebt uns, Herr, zurück
Der unser ist.
PETER.
Der euer ist?
DER ALTE.
Er kennt
Und liebt uns, Herr, und weiß um unsre Not.
Er ist ganz so wie wir. Das alte Recht
Der Erstgeburt ist sein.
PETER.
Das tat er ab.
DER ALTE.
Und wär es das! Herr, gebt ihn uns zurück
Um unsrer Hoffnung willen.
PETER.
Hoffnung?
DER ALTE.
Seht,
Er ist von unsrer Art. In ihm erkennt
Das ganze Volk sich wieder.
PETER.
Und in mir?
DER ALTE.
Wie sag ich's Euch? was denkt Ihr, Herr? was soll ich –?
PETER.
Mir zu entwischen suchst du, alter Mann.
Du glaubst, noch sah ich falsches Lächeln nicht
Und solches Flackern in der Menschen Augen?
Die Zeichen kenn ich! suche nicht umher
Nach Ausflucht und nach List! wie sagtest du?
Um eurer Hoffnung willen? welche Hoffnung?
Ei, sag mir, welche Hoffnung?
DER ALTE.
Herr, er weiß –
Er weiß um unsre Not – das alte Recht
Der Erstgeburt – er gibt uns was wir brauchen.
PETER.
Zu Asche brennt er alles was ich gab
Und bläst darauf. Die Häuser, die ich baute,
Wirft er in Staub und läßt aus meinen Quadern
Kapellen türmen für den trägen Sinn
Der ernten will und vor der Saat sich scheut –
Das braucht ihr Toren! und mit dieser Hand
Soll ich die Axt euch geben, die sich einst
Auf meinen Baum hebt! soll ich Sehender
Euch Blinden glauben, die, das Haupt gehüllt
In dumpfe Meßgewänder, Tag und Nacht
Nicht unterscheiden und den Glanz nicht kennen,
Der von der Sonne kommt.
[374]
DER ALTE.
Vom Westen nicht,
Von dort nicht kommt der Glanz.
PETER.
Zum Überdruß
Ward mir das Lied. Genug. Sagt mir noch eins:
Was hab ich zu befürchten, sprecht, wenn ihr
Das Nein hinbringt zu denen die euch sandten?
DER ALTE.
Was Ihr zu fürchten –?
PETER.
Nun, ihr werdet wohl
Nicht gleich mit Blitz und Donner – nennt mir denn
Was ich erwarten muß.
DER ALTE.
Erwarten, Herr?
PETER.
Erwarten, Herr – befürchten, Herr – was würgst du
An meinen Worten?
DER ALTE.
Nun wohlan, ich stehe
Für nichts, mein gnädiger Herr.
PETER.
Du stehst für nichts?
DER ALTE.
Nein wahrlich, Herr, für nichts. Es könnte sein,
Daß Euer Nein zur Fackel würde, Euch
Und uns ein Feuer zu entfachen, weit
Hinjagend mit den Winden, keiner Flut
Sich fügend mehr.
PETER
steht plötzlich auf.
Du drohst?
DER ALTE.
Gott schütze mich.
Ich drohe nicht. Ich sage was geschieht.
PETER.
Doch also Blitz und Donner. Zeigst du mir
In deinem Spiegel weit hinrollende
Empörung, die den Feuerwagen schleppt
An Ketten, und den Mord und Pest und Hunger
Weit über meine Länder – läßt im Spiegel
Den Tod mich sehn, den schwindeltiefen Sturz
Und sagst: ich drohe nicht!

Sehr heftig.

o feige Herzen
Tragt eure Lüge heim und spinnt euch ein
In Niedrigkeit und gärt in euren Dünsten!
GORDON
rasch flüsternd.
Du, Alter, warst ein Narr.
DIE ALTEN
durcheinander.
Herr, wenn wir fehlten –
Wir haben Euch erzürnt – laßt uns den Fehl
Verbessern – hört uns, Herr!

[375] Peter hebt die Hand. Eine kurze Stille. Er ist nun ganz gefaßt, blickt finster vor sich hin.
PETER.
Habt ihr gehört?
Der Prinz ist krank.
ALLE.
Wie, krank? erkrankt?
PETER.
Es heißt,
Ein Fieber ist's – kommt morgen hin zu ihm,
Dort will ich Antwort geben.

Gordon macht eine heftige Bewegung. Peter sieht hin, runzelt die Stirn.
DER ALTE.
Herr, vergönnt
Ein Wort der Hoffnung –
PETER.
Morgen. Sagt ich's nicht?

Gordon geleitet die Alten hinaus und wendet sich um.
GORDON.
Jetzt weiß ich keine Hilfe mehr. Befehlt Ihr
Den Diener, Herr?
PETER.
Der ging zur Kirche. Laß.
GORDON.
Ich geh nicht gern von Euch.
PETER.
Du hilfst mir nicht.
Geh nur und laß mich, Gordon. Gute Nacht.

Gordon geht zögernd ab, zieht die Tür hinter sich zu. Nach einem Schweigen.
PETER.
Allein muß ich's bedenken – und beschließen –
Allein muß ich es tun. Aus dieser Stille
Muß die Entschließung wachsen und wenn mir
Der Morgen wieder in das Fenster blinzt
Ist alles ganz vorbei – so oder so –
Getan und ganz vorbei.
Ich säße lieber
In meiner Werkstatt, wo die Späne knistern,
Am Ofen singend fromme Winterlieder,
Nicht mehr im Sinn als eines Kahnes Bug,
Die Schaufel eines Ruders – und es käme
Nicht andre Sorge mir, als wie das Holz
Standhielte jedem Druck der schweren Wasser –
Und dennoch ... nein ...

Er hat sich gesetzt.

die Lampe brennt nicht hell,
Ich sehe morgen nach, es ist vielleicht
Ein Griff nur mit der Zange – und wie seltsam
Hier in der Kammer Licht und Dunkel kämpfen,
[376] Hier flackert's, kriecht am Boden hin – und weiter
Liegt starres Dunkel – und ich seh hinein
Und seh und seh, ich muß es tun – und mehr:
Allein muß ich es tun, kein andrer darf
Mir helfen, keiner darf es wissen – so
Nur ist sie mein, die Tat – kein andrer soll
Sie tragen. Hier ...

Er steht auf, öffnet den Wandschrank, sieht sich um.

wäre einer hier – und horchte –
Und spähte – nichts – ich höre nichts – die Flamme
Saust leise nur, sehr leise, in der Lampe ...

Er greift in den Schrank.

Hier ist ein Fläschchen, das ich bei mir trug
Im Lager – und ich sehe noch ringsum
Die Türkenmonde blitzen auf den Fahnen –
Und ihre Zelte lagen stumm und blinkend
Wie Totensteine da – da kam die Rettung
Von Katharina –

Er steckt das Fläschchen in die Tasche des Rockes, zieht dann den Rock aus, wirft ihn auf die Bank, schließt den Wandschrank ... nun fährt er plötzlich zusammen.

horch –

Die Tür geht langsam und knarrend auf, dann Totenstille ... Peter starrt und lauscht wie gebannt.

Was tappt umher und stößt die Türen auf
Und schiebt sich lautlos weiter?

Laut.

wer? wer da?
Gib Antwort!

Horcht angestrengt.

nichts – ist jemand hier? gib Antwort!
Doch ist es hier – doch – doch – nur zeige dich –
Und wär's die fürchterlichste Mißgestalt,
Die Fürstin aller Fratzen – zeige dich –

Er lauscht wieder, hält es dann nicht mehr aus, nimmt vom Tisch eine Glocke und schellt heftig und lange, lauscht von neuem und schüttelt wieder die Glocke, die einen schrillen und zitternden Klang gibt ... horcht und wartet ...

Da – Schritte – jetzt – ein Mensch – es kommt – es kommt –

Man hört eine Tür gehen, dann rasche leichte Schritte – Iwánuschka stürzt herein, seinen Schafspelz hinter sich her schleifend.

[377] Wer bist du? wer? – Gott sei gelobt! – wer bist du?
Wo ist mein Diener? wo?
IWÁNUSCHKA.
Mein Vater ging
Zur Kirche –
PETER.
So –
IWÁNUSCHKA.
Und ist noch nicht zurück.
PETER.
Ja – ich vergaß – du bist sein Sohn? schon gut,
Nun kommt es mir, ich sah dich schon – dein Name –
Laß sehn, ob ich ihn weiß – Luká? –
IWÁNUSCHKA.
Iwán –
Iwánuschka –
PETER.
Ganz recht. Komm her zu mir,
Sprich, hast du nichts gehört? im Gang da draußen?
War keiner an der Türe?
IWÁNUSCHKA.
Niemand, Herr.
Ich sah und hörte nichts. Kein Mensch ist hier
In diesem Flügel, Herr, als du und ich –
PETER.
Du mußt dich setzen, Kind – nimm deinen Pelz –
Ich tu ihn fest um dich – hier streicht es kühl
Vom Gang herein – du mußt dich setzen – so –
Ich schließe nur die Tür – denk nicht daran,
Daß ich der Zar bin – und nun wollen wir
Zusammen sitzen, ich erzähle dir
Dann was du willst. Erst aber seh ich nach
Im Schrank – wart nur, hier liegt ein Brot – es gibt
Auch süßen Wein und Gläser – sitz und trink,
Wir wollen wachen, sprechen, immer sprechen,
Sonst ist die Stille mir zu groß – doch du
Bist müde, Kind?
IWÁNUSCHKA.
Nicht müde –
PETER.
Morgen nimmst du
Den Schlaf zurück, den du mir heute schenkst –
Still, hörst du nicht Musik?
IWÁNUSCHKA.
Nein, Herr, ich nicht.
PETER.
So steckt es wohl in mir. Stark ist der Wein
Und mir ist wohl. Von einer Königin
Kann ich erzählen – nein, ein König war's,
Der hatte einen Sohn – ja – einen Sohn –
Was sagst du?
IWÁNUSCHKA.
Herr, wenn du erzählen willst –
PETER.
Was willst du wissen?
IWÁNUSCHKA.
– so erzähle mir –
[378]
PETER.
Was soll es sein?
IWÁNUSCHKA.
– wie du den Schweden schlugst –!

Er sieht den Zaren an, erwartungsvoll und mit glühenden Wangen.
PETER.
Das kam ganz anders als du denkst. Paß auf,
Ich war es nicht –
IWÁNUSCHKA.
Du nicht?
PETER.
Gott schlug den Schweden.

Iwánuschka zieht den Pelz fester um sich.

Da waren Blitze rings und finstrer Dampf
Und über allem lag ein Lärm wie Donner,
Daß man die eigne Stimme nicht vernahm,
Und aus dem Tosen kam es über mich,
Daß ich die Stelle wußte, wo der Schwede
Zu treffen war – der Blitz ward eine Stimme
Und Stimme war der Rauch – da schien es mir,
Als hebe sich das Blut und redete
Mit dem Geheul des Heers und der Geschütze
Zu mir – und da ich's wußte, gab ich nur
Das Zeichen mit dem Stab und in dem Rauch
Verschwanden meine Reiter. Und ich hielt
Den Sieg schon in der Hand, das wußt ich wieder,
Die Klarheit schlang sich so um meine Stirn,
Daß ich nichts andres sah, als nur den Sieg,
Der in schwarzroten Wänden vor mir stand
So wie in einem Saal – ich ging voran,
Hinüber und hinein, das Heer mit mir –
Und durch den Dampf und über aufgewühlte
Zerfetzte Erde, über Gras und Blut,
Hinein! da war es über mir wie jetzt –
Wie eben jetzt –

Er hat sich zurückgelehnt und die Augen geschlossen.
IWÁNUSCHKA.
Und weiter?
PETER.
Nur die Stille
Ist da – und ich – sonst keiner –
IWÁNUSCHKA.
Träumst du, Herr?
PETER.
Da fragt mich einer: träumst du, Herr? – und ich
Bin wach – wie Er – ich stehe in der Esse,
Wo Er das Leben schmiedet – und den Tod –
Und warte, bis Er spricht –
IWÁNUSCHKA.
Wen meinst du?
[379]
PETER.
Warten. – –
Dann aber – tun!
IWÁNUSCHKA.
Und weiter?

Peter sitzt da mit geschlossenen Augen, ruhig atmend.

weiter ... weiter ...

Er beugt sich noch vorn, sieht den Zaren an. Dann legt er den Finger auf die Lippen, steigt auf den Stuhl und löscht die Lampe aus, setzt sich wieder, hüllt sich in seinen Pelz.

5. Akt

Fünfter Akt

Das Zimmer des Prinzen wie zu Anfang des vierten Aktes. Vor dem Fenster ein dunkler Vorhang. Auf dem Tisch eine Kanne, Becher. Am Tisch zwei Sessel, der eine mit der Rückenlehne zur linken Wand gekehrt, der zweite dem ersten gegenüber an der anderen Seite des Tisches.
Halbdunkel. Auf dem Bett Alexéj, halb angekleidet schwarze Kniehosen, Strümpfe, Schuhe, weißes Hemd, schlafend. Der Arzt sitzt neben ihm; Kleidung violett.
Eine Frauenstimme singt in unbestimmter Entfernung, der Gesang scheint von oben zu kommen. Nach einer Weile bricht das Lied jäh ab.
Zar Peter erscheint oben und kommt die Treppe hinab. Er spricht leise mit dem Arzt, dieser verläßt gleich darauf das Zimmer. Peter beugt sich über Alexéj, der ruhig schläft, und verharrt einige Augenblicke in dieser Stellung. Nun geht er zum Tisch hinüber, füllt einen Becher mit Wein, nimmt aus der Tasche das Fläschchen, zögert kurz, schüttet dann den Inhalt des Fläschchens in den Becher. Er macht eine Bewegung, als wolle er trinken ... blickt in den Becher.

ALEXÉJ
im Schlaf.
Das Lied, das Lied, Afróssja.

Peter stellt den Becher zurück. Eine Stille. Peter geht langsam nach links und wartet.

Singst du nicht?
Singst du nicht mehr?
PETER.
Die Störung kam von mir.

Alexéj fährt jäh empor, sieht sich um, streicht sich das Haar aus der Stirn.
ALEXÉJ.
Du – bist es –

Er setzt sich auf, schlägt die leuchtend rote Bettdecke um sich, starrt den Zaren an. Sein Gesicht sieht doppelt weiß aus unter dem dunklen Haar und über der roten Decke.
[380]
PETER.
Ich. Was wundert dich so sehr?
Hat man dir nicht gesagt –
ALEXÉJ.
Doch, doch – man sagte –
Du mißverstehst – ich wundere mich nicht –
Ich frage, was du bringst –

Peter schweigt, sieht vor sich hin – Alexéj steht plötzlich auf.

muß ich erraten?
Sag's lieber gleich, ich habe meine Sinne
Nicht ganz beisammen, denn das Fieber warf
Sie durcheinander – sprich.
PETER.
Kannst du mir sagen,
Was du erwartest?
ALEXÉJ.
Nein.
PETER.
Das willst du nicht?
ALEXÉJ.
Das kann ich nicht. Du sagst es mir nachher,
Was ich erwarten soll.

Er zieht die Decke unter den Armen durch und legt sie fester um sich.

Hebt sich das Wort
Nicht auf die Lippen dir? was macht dich stumm?
Bist du gekommen, mich mit deinem Blick
Zu töten? zu erwürgen mit dem Schweigen mich?
Siehst du mich an und schickst aus deinem Auge
Den Tod in mich und siehst mich immer an,
Bis ich hinfallen muß? so muß ich gehn –
PETER.
Wo gehst du hin?
ALEXÉJ
am Fuß der Treppe.
Ich halte das nicht aus.
Ich gehe fort, weil du nicht reden willst.
Was soll ich noch bei dir? was willst du hier?
Wir können nicht so dastehn, bis ich sterbe –
Ich – oder du – ich gehe fort von hier
Und suche mir und finde irgendwen
Da oben –
PETER.
Du sollst bleiben –

Alexéj hört nicht auf ihn, schleppt sich langsam die Treppe hinauf, ist oben angelangt, greift jetzt nach der Türklinke.

Alexéj!

Alexéj, betroffen vom Klang seiner Stimme, kehrt ihm das Gesicht zu, beugt sich vor.
ALEXÉJ.
Was soll ich?
PETER.
Mich – mich hören, Alexéj.
Was tust du, Alexéj, du kannst nicht fort.
[381]
ALEXÉJ.
Nicht fort?
PETER.
Vergaßest du?
ALEXÉJ.
Ich kann nicht fort.
Ganz recht. Hier sind Soldaten. Ich vergaß,
Daß ich nicht fort kann. Ich darf nicht hinaus,
Ein jeder darf herein und seine Laune
An mir auslassen, jeder darf zu mir,
Ich aber kann nicht fort.
PETER.
Du irrst, wir sind
Hier ganz allein. Der Zugang ist gesperrt.
ALEXÉJ.
Du weißt ja nicht, wie grauenvoll du bist.
Unheimlich bist du. Und wir sind jetzt wie
In einem Schacht, in einer Höhle, mitten
Im leeren Dunkel, du und ich. Kein Ton
Schwingt sich herab zu uns, nur deine Stimme
Berührt sich mit der meinen und das Dunkel
Hört zu. Nun sprich.
PETER
hart und klar.
Ich nenne dir Neapel,
Den Turm, das Meer, das Licht. Ich will euch dort
Gleich Fürsten halten, dich und sie – du wirst
Gefährten haben wie ein Fürst und hast
Ein Reich in deinem Garten.
ALEXÉJ.
Welch ein Reich!
Was da Neapel! Spott und Staub ist mir
Neapel!

Er kommt herab, langsam, zieht die rote Decke hinter sich her.
PETER.
Freunde sollst du haben. Nimm
Von meinen Dienern mit, wer dir gefällt,
Du magst verlangen, wen du willst, ich will ihn
Dir geben.
ALEXÉJ.
Ich begreife nicht – warum
Stellst du Neapel vor mich hin mit seinem
Glanzvollen Meer? kann ich dies helle Meer
Ausgießen über mich und mir die Seele
Fortspülen aus dem Leib? kann ich den Himmel
Wie eine Decke um mich schlagen, warm
Darin zu liegen? wenn ich alles das
Zu tun vermag – dann schenke mir Neapel!
PETER.
Du hast dich sehr verändert, Alexéj.
Was kam in dich hinein?
ALEXÉJ.
So wie ich bin,
So bin ich. Hörst du das? ich geh nicht fort.
[382] Du willst nur etwas nicht zu Ende tun.
Du siehst dich um nach mir, weil du zu schwach
Dich fühlst! wie seltsam!
PETER.
Nicht in Worten sollst
Du dich verlieren, Alexéj – gib acht,
Was ich dir sage –

Er geht rasch auf ihn zu, Alexéj weicht zurück, hebt den Arm, wie um sich zu schützen – Peter innehaltend, leise.

du – ich tu dir nichts –

Er tritt näher.

Du sollst dem Reich entsagen, Alexéj,
Du mußt es tun, du mußt, sonst könntest du
Nicht leben – hörst du mich? – und leben sollst du;
Es mich zu denken, daß ich dir
Ein Licht auslöschen müßte, stehlen einen Duft,
Abtun von dir den stillen Glanz der Nacht,
Abtun von dir die Welt –
ALEXÉJ
angstvoll rufend.
Hast du das nicht,
Hast du das nicht getan?
PETER.
Wer überhaupt,
Wer hat etwas getan? du? ich? die Welt?
Glaubst du, das Schicksal segnet uns so sehr
Und läßt die eigne Tat in unsrer Seele
Aufspringen wie ein Feuer? die Stunden treten
Einander auf die Fersen und so geht
Man weiter ohne Rast – nun stehn wir da,
Vergessen ist der Weg, sag du mir jetzt,
Kann ich dich noch zurück, das sage mir,
Zurück dich reißen von dem Ziel? willst du
Dem Reich entsagen? sag's mir, Alexéj!
ALEXÉJ
sieht ihn immer an, kann den Blick nicht abwenden.
Du – du bist furchtbar – wie mein Tod in dir
Wühlt, wühlt – und wie er wartet, – wie er ringt,
Aus dir heraus zu treten – das kannst du –
Ich seh's – das kannst du tun! wer kann das tun
Und nicht vergehen! daß es Menschen gibt,
Die leben können, gänzlich eingewickelt
In Grauen, ganz durchströmt, erfüllt von Tod
Und Qual und Widerstreit, wer denkt das aus!
Du könntest hingehn und in ewigen Zeichen
Trügst du's auf deiner Stirn, kein Hut, kein Band,
Auch keine Kronen deckten's zu, es glühte
[383] Hindurch und wäre dein wie dein Gesicht,
Wie deine Stirne, wie dein Haar – mich schwindelt,
Daran zu denken!
PETER.
Alexéj, du wirst
Es tun, du wirst es tun! der Namenszug,
Ein Zug nur mit der Feder, dann ein Schwur
Auf Kreuz und Buch – nicht mehr – du wirst es tun –
ALEXÉJ
mit einer weiten müden Bewegung der Abwehr.
Nein, nein, ich darf nicht. Du verwirrst mich. Nein,
Ich darf und kann's nicht. Bring es rasch zu Ende.
PETER
finster.
Das Ende steht noch fern – laß uns danach
Nicht greifen – wart ein wenig –
ALEXÉJ.
Laß. Mich friert.

Peter ist hinübergegangen zur linken Wand, zieht an der Fensterschnur, der Vorhang schiebt sich zur Seite. Ein Lichtstreif fällt ins Gemach.
PETER.
Die Sonne mag dich wärmen.
ALEXÉJ
aufblickend.
Eine Wolke
Steht weiß und leuchtend oben und der Wind
Zaust ihren Rand.
PETER.
Der Wind geht stark und schwer,
Man hört ihn nicht hier unten.
ALEXÉJ.
In den Mauern
Fängt sich der Lärm, Hier unten bleibt es still.

Eine kurze Stille. Plötzlich stark aufbrausende Rufe vieler Stimmen. Oberst Gordon reißt die Türe auf –
der Lärm dringt stark herein – ruft von oben herab.
GORDON.
Die Menge ruft den Prinzen. Was befehlt Ihr?
Herr, sagt, was soll geschehn? die Truppen liegen
Bereit in allen Gängen.
PETER.
Warte noch.
Die Tore sind gesichert?
GORDON.
Jedes Tor
Bestreichen zwei Geschütze.
PETER.
Rufe mir
Die Abgesandten, Freund, ich schulde noch
Die Antwort ihrer Frage.
GORDON.
Und das Volk?
PETER.
Die Menge warte. Ruf die Abgesandten!

Gordon ab – Peter wendet sich zum Prinzen.

Zum Schluß! was willst du tun? du mußt dich nun
Entscheiden.
[384]
ALEXÉJ.
Mach ein Ende.
PETER.
Sagst du mir
Noch einen Wunsch? – Sohn, finde einen Wunsch!
ALEXÉJ.
Erspare mir den Abschied von – den andren.
PETER.
Nicht mehr? ich glaubte –
ALEXÉJ.
Bist du nicht sehr froh,
Daß ich ganz ohne Wünsche bin? laß sehn –
Ich möchte meinen Tod – vorher – nur wissen
Will ich den Tod vorher.
PETER
fährt zusammen.
Da fandest du
Ein Schweres –
ALEXÉJ.
Sag, wie muß ich das verstehn?
PETER.
Das mußt du so verstehn: schon ist er hier,
Den ich dir zeigen soll, ich brachte ihn ...
Hier, sag ich, hier!
ALEXÉJ
zuckt, dann spöttisch.
Du meinst den Tod? es ist
Ein Gift dort in dem Becher?

Peter blickt ihn schweigend an.

und du hättest
Ihn mitgebracht, den Trank? das soll ich glauben?
PETER.
Das wäre gut.
ALEXÉJ.
Was hast du jetzt erdacht?
Ich bin gefaßt auf jedes neue Spiel,
Versprich das Leben mir, so will ich mich
Bereiten auf den Tod. In dem Pokal
Ist Arzenei vielleicht – soll ich sie trinken?
Das kann ich tun, es hat nur keinen Sinn,
Seitdem ich weiß, daß eher mit dem Regen
Der dunkle Tod mir auf die Lippen käme,
Als'jetzt aus diesem Wein. Ich will dir's zeigen –
Sieh her –
PETER.
Du hoffst, ich reiße dir den Becher
Vom Mund im letzten Augenblick, wenn doch
Ein Gift – sei nicht so sicher –

Jedes Wort schwer betonend.

wenn du trinkst,
Seh ich dir zu – und schweige. Rechne nicht
Auf meinen Ruf und nicht auf meine Hand.
ALEXÉJ
halb schaudernd, halb eigensinnig.
Was ist denn auch dabei, wenn du den Wein
Mich trinken siehst! man sieht ja doch ringsum
[385] Die Menschen essen, spielen, gehen, schlafen,
Warum nicht trinken? sträubt sich uns das Haar,
Wenn einer trinkt? was ist dabei? sieh du
Nur zu, wenn dir's gefällt – ich trinke dir was vor –
PETER
packt ihn, schreit.
Trink, Alexéj! trink, Alexéj! trink!
Bist du noch hier und achtest meine Rede
Nicht besser als den Wind! was bleibt dir noch,
Als diesen Wein zu trinken! weißt du nicht,
Wofür du sterben mußt? nie wirst du's wissen!
Du siehst es nie! es hat für dich nicht Leib
Und keinen Klang und keine Sprache, blitzend
Von Lichtern steht es da, von Tönen rauschend –
Du siehst es nicht – du siehst es nie – so nimm
Den Becher –

Alexéj hängt kraftlos in Peters Armen, sehr blaß, einem gescholtenen Kinde gleichend, doch gar nicht ängstlich. Die Decke ist niedergeglitten und liegt auf dem Boden wie ein purpurner Fleck.
ALEXÉJ.
Und du selbst? was weißt denn du,
Dir droht Gefahr von mir –
PETER
schiebt ihn von sich.
Gefahr nicht mehr!
Das ist vorbei! vorbei!
ALEXÉJ.
Du tötest mich,
Um dich vor mir zu schützen –
PETER.
Nein! vorbei!
Ein Etwas springt mich an aus deinem Blick,
Das ich nicht dulden darf – jetzt nimm den Becher!
ALEXÉJ.
So ist es wahr – –

Peter schweigt.

er lockt mich fürchterlich,
Er lockt mich herrlich, eine solche Stunde
Darf uns nicht wiederkommen, deine Worte
Stechen in mich hinein, in dich die meinen,
Das darf nicht mehr – so darf's nicht mehr geschehn,
Gib mir den Becher – gib mir den Becher –
PETER.
Nimm.

Alexéj greift nach dem Becher, sieht über ihn weg auf Peter hin. Dieser steht ganz ohne Bewegung, nur die Finger zucken leicht. Alexéj wirft den Kopf heftig nach hinten, trinkt, stellt den Becher zurück.
[386]
PETER
nach einer Weile.
Wie ist dir, Alexéj?
ALEXÉJ
lächelt.
Sehr wohl, mein Vater,
Der Wein ist gut, der Kampf ist besser.
PETER
schaudernd.
Kampf!
ALEXÉJ.
Es ist so etwas wie ein Kampf – und mir
Ist wohl –

Setzt sich, lehnt sich zurück, die Sonne fällt auf sein Gesicht.
PETER.
Was hast du jetzt getan –
ALEXÉJ.
Getan!

Peter geht auf ihn zu, beugt sich über ihn, legt ihm die Hände auf die Schultern. Seine ungeheure Spannung beginnt sich zu lösen.
ALEXÉJ
unbeweglich.
Du nimmst mich in den Arm? ich weiß, du hast
Mich einmal so gehalten, ich war klein
Und weiß es nicht, ein Diener hat's erzählt –
Du hast mich auf das Pferd gehoben und
Gezeigt den Truppen und im Arm gehalten,
Das Pferd war weiß und ging voran im Schritt
Und die Soldaten schrieen und ich lachte –
So hat man mir's erzählt –
PETER.
Du hast's vergessen?
ALEXÉJ.
Mir ist, es flattert wieder auf, es war
Versteckt und schlüpft hervor – doch muß es so
Gewesen sein wie jetzt – man hört sogar
Die Rufe der Soldaten wieder – horch –
PETER.
Soldaten waren's und das weiße Pferd
Trug mich und unsre Hoffnung – hörst du noch?
ALEXÉJ.
Jetzt – hebst du mich – und zeigst du mich – den Truppen –
PETER.
Die Luft ging stark um uns und morgen streicht
Derselbe Wind ins Land und wir – wo sind wir? ...
Wie ist dir, Alexéj?
ALEXÉJ.
Sie rufen mich,
Es hört nicht auf –
Bist du bei mir? wer ist bei mir? wer legt
Mir auf die Stirn die Hand? wer legt den weichen
Dichten warmen Mantel über mich?

Gordon kommt, beugt sich über das Geländer.
PETER.
Was bringst du, Gordon? brach das Volk die Tore?
[387]
GORDON.
Sie schlagen an das Tor gleich Wellen und Mühn sich umsonst.
PETER.
Noch halte ich den Zügel –
GORDON.
Das tut Ihr, Herr –
PETER
reckt sich auf.
Wo sind die Abgesandten?

Er setzt sich, stützt die Arme auf den Tisch, wendet den Blick nicht von Alexéj.
GORDON
im Abgehen.
Die Alten sind bereit, sie werden gleich
Vor Euch erscheinen.
ALEXÉJ
kaum hörbar.
Nur die Stimme – nur –
Liegt über mir – o Liebe –

Er knickt leicht zusammen, bleibt unbeweglich. Die Sonne liegt auf ihm. Sein Haar ist vornüber gefallen.
PETER
sieht Alexéj an, spricht undeutlich, so daß nur abgerissene Worte zu hören sind, scheint kaum zu wissen, was er spricht.
Wie leicht
Und schwer dies alles! wie denn? muß ich so
Herabsehn auf den Strom und trägt er mich
Nicht auch auf seinem starken blauen Rücken
Durch Tag und Nacht und aus dem Schatten wieder
Hinein ins Licht – und ohne Ende reihen
Sich Lichter an die Schatten?
Und weiter jetzt? und nehme nichts
Aus diesem Schatten mit als dieses Lächeln
Von diesen Lippen – weiter geh ich nun –
Weiter jetzt – und weiter –

Die Abgesandten sind eingetreten und kommen langsam die Treppe hinab. Eine Pause.
DER ALTE.
Wir kamen, Herr, zu dir.

Peter beachtet sie nicht. Nach einem Schweigen.
ALLE
zugleich.
Wir kamen, Herr.

Peter hört nicht; über den Tisch gebeugt blickt er starr auf den Toten, seine Lippen bewegen sich leise.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Heiseler, Henry von. Dramen. Peter und Alexéj. Peter und Alexéj. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-4D7B-4