Karl Gutzkow
Uriel Acosta
Trauerspiel in fünf Aufzügen

Personen

[6] Personen.

    • Manasse Vanderstraten, ein reicher Handelsherr in Amsterdam.

    • Judith, seine Tochter.

    • Ben Jochai, ihr Verlobter.

    • De Silva, Arzt, ihr Oheim.

    • Rabbi Ben Akiba.

    • Uriel Acosta.

    • Esther, seine Mutter.

    • Ruben,
    • Joel, seine Brüder.

    • Baruch Spinoza, ein Knabe.

    • De Santos,
    • Van der Embden, Rabbinen.

    • Ein Tempeldiener.

    • Simon, Diener Manasses.

    • Silvas Diener.

    • Tempeldiener. Gäste. Volk.

Vorwort

Vorwort.

Nach einer im Herbst 1833 geschriebenen Erzählung des Verfassers: »Der Sadduzäer von Amsterdam«, folgte dreizehn Jahre später, bei einem Frühlingsaufenthalt in Paris, die Umwandlung derselben in ein Drama.

Die Eindrücke des Spiels einer Rachel, eines Ligier, Beauvallet, Frédéric Lemaître trugen zum Ton und zur Haltung des neuen Werkes bei.

Dennoch dürfte der auffallende Umstand, daß dasselbe vorzugsweise in slawisch-romanische Sprachen übersetzt wurde (außer, von Rubin in Galatz, ins Hebräische, von Josephsohn ins Schwedische, von mehren anderen ins Ungarische, Böhmische, Polnische, Italienische, von Neffzer ins Französische), nicht seinen Grund in den Äußerlichkeiten der Form haben, sondern im Inhalt. Letzterer gab einen harmonischen Akkord zu den geistigen Befreiungskämpfen jener Völker. Eine englische Übersetzung wurde nur in Amerika versucht. Die Bewegung einer Emanzipation von geistigen Fesseln fehlt in England. Die dort unter der Kontrolle der Gouvernanten stehende schöne Literatur würde nur ein Drama übersetzt haben, das einen Märtyrer der Orthodoxie feiert.

In Deutschland wurde »Uriel Acosta« ein Witterungsbarometer für die öffentlichen Zustände. Nahm die kirchliche Reaktion zu, so erfolgte auf der Bühne ein Verbot; fand ein Systemwechsel statt, so ließ man »Uriel Acosta« frei. Für Österreich war charakteristisch, daß sich die Zulassung dauernd nur in den Provinzen erhielt, am Burgtheater stand lange das Konkordat im Wege. Hier und da gibt es auch an unsern kleinern deutschen Höfen Bühnen, wo eine maßgebende Entscheidung die Aufführung des »Judenstücks« nicht mag. Zum Glück lagen noch vor einigen Jahren die Interessen der Schauspieler in einem geheimen Kampf gegen diese und ähnliche Bedingungen unserer Bühne.

[7] Die Julian Schmidtsche Kritik, die seit dem Anfang der fünfziger Jahre alles herabsetzte, was zu meinem Namen in Beziehung stand, und mit der Zeit auch durch den Effekt, welchen absprechende Sicherheit immer findet, mancherlei Literaturgeschichten- und Feuilleton-Weisheit für sich gewonnen hat, entschuldige folgende Selbstrechtfertigung.

Uriel Acosta ist kein schwankender und charakterloser Held, wie gewöhnlich behauptet wird, sondern das absolute Gegenteil. Denn würde sich Acosta das Leben nehmen, wenn er nicht, trotz scheinbarer Irritation der Konsequenz, die Konsequenz selbst wäre? Ein sich überwindendes, starres Gemüt will sich hier gleich anfangs aus den Armen der Lieberei ßen und bleibt auf dem Schauplatz der vorauszusehenden Konflikte nur deshalb zurück, weil ihm seine Gemeinde den Prozeß macht. Jude nennt sich Acosta, während ihm freistünde, sich als Christ den Verfolgungen seiner Glaubensgenossen zu entziehen. Nur die tiefste, die sittlich berechtigte Mitleidenschaft des Gemüts für die gemeinsame Sache der Ahasverussöhne irritiert seine Konsequenz, und dieser Gegendruck seiner Überzeugungen wiegt denn doch, dächten wir, in seiner geschichtlichen Bedeutung zentnerschwer, zentnerschwer in einem Gemüt, dessen Organisation noch keinem Juden unverständlich geblieben ist, soweit sich ihm das Wort erprobte: »Das Wesen unsers Volks ist die Familie!« Es ist Verleumdung und nur ein Verfolgen des Scheins, wenn man die Motive zu Acostas Widerruf in seiner »Charakterschwäche« findet. Keine unedle ist die Schuld, die Acosta auf sich ladet. Die Wehklagen eines geknechteten Volks binden seine Kraft; die blinden Augen seiner Mutter, der geschäftliche Ruin seiner Brüder, die Hingebung, der Schmerz einer Liebe wie Judiths, die edle Duldung des ihn schützenden Manasse – wahrlich, alles das sind nicht vereinzelte Motive der Zufälligkeit, sondern es steht im Zusammenhang mit einem Ganzen, das den Helden – erstens durch seinen Widerruf auf die Höhe einer objektiven, historisch bindenden Sittlichkeit und – zweitens auf die Höhe jener allgemeinen menschlichen Gesetze hebt, die in der Geschichte aller Meinungskämpfe und Überzeugungen die Kundgebungen titanisch ansetzenden Mutes oft genug, leider bemitleidenswert und die Teilnahme herausfordernd, irritierten. Sind nur in der Darstellung die Repräsentanten Silvas, Manasses, Judiths, der blinden Esther und der Brüder Uriels keine Marionetten, sondern beseelte, begeisterte, von ersichtlicher Überzeugung getragene Israeliten, so könnte Uriel im Widerruf zugestanden haben: 2×2=5, und der Anblick eines unter dem [8] Gesetz der Sitte und des Vorurteils mit schwersten Seufzern atmenden Genius müßte diejenige Wirkung hervorbringen, die durch die tragische Muse erstrebt wird. Daß zuletzt die angespannte Kette, nachdem sich die Verhältnisse ändern, die Mutter tot ist und Judith, nach demselben Gesetz der Unterordnung auch ihres Willens unter ein gemeinsames großes Volksgesetz und Volksschicksal, das sie gegen Uriel geltend gemacht hatte, ebenso auch ihrerseits ihrem Vater zu gefallen verfährt, in stürmischer Eile abrollt und Uriel seinen Widerruf wieder zurücknimmt und zuletzt über den Bruch mit sich selbst sich tötet, macht ihn gerade zum Helden der Konsequenz. Sein Tod kann und soll nur diese Wirkung hinterlassen: das Märtyrertum einer idealen Anschauung des Lebens enthält mehr Leiden und Prüfungen, als derjenige ahnt, der auf seinem Sofa von Konsequenz spricht! Wollt doch nur einmal etwas Großes in der Welt! Ihr werdet bald finden, daß Überzeugungstreue im großen Stil Phasen hat, die nicht die Phasen einer Stadtverordneten-Konsequenz sind. Die tragische Versöhnung über den Märtyrer des Judentums, über den Blutzeugen für das Prinzip der Familie, über den Blutzeugen für die Urberechtigung des Herzens und der Liebe auch in den Fragen des Geistes oder – des Hasses wird in dem Schlußgedanken de Silvas ausgesprochen: Das große Gesetz Gottes in der Geschichte scheine nicht zu sein, was wir an Wahrheit auffänden, sondern wie wir es auffänden. In diesem Wie seines Überzeugtseins hat Acosta trotz seines Unterliegens gesiegt. Ungroßmütig ist es, wenn eine einzige der Anklagen, die Acosta selbst gegen sich und gegen seinescheinbare Inkonsequenz (z.B. Akt 5) ausstößt, vom Zuschauer anerkannt, aufgenommen und unterschrieben werden wollte! Unsere jüngeren Schauspieler geben leider die Titelrolle meist zu weich, zu gelassen, zu leidend-reflektiv. Schon das erste Auftreten bei de Silva muß zeigen, daß die Gelassenheit der Haltung Uriels nur eine scheinbare, seine Ergebung nur die momentane Beherrschung eines an sich leidenschaftlichen Temperamentes ist.

1. Akt

1. Szene
Erster Auftritt.
De Silva. Ben Jochai.

DE SILVA
die hintere Tür öffnend und Jochai vor sich einlassend.
Ihr denkt, Ihr kämt mir wieder so davon?
Nein, nein! Die Schwelle ist einmal betreten –
Nun auch geblieben, Ben Jochai! – Endlich
Daheim! Ein Arzt – o vielgeplagter Stand!
Entschuldigt mich, wenn Ihr habt warten müssen!

Nachdem er während dieser Worte seinen Hut abgelegt hat, reicht er Jochai die Hand.

Willkommen denn in Amsterdam!
JOCHAI.
De Silva,
Ich dank' Euch!
SILVA.
Und wie Ihr anders wiederkehrt,
Als Ihr geschieden seid vor sechzehn Monden!
Die fremde Sonne hat Euch schnell gereift.
An dieser Stelle, hier, vor meinen Büchern
Drückt' ich den Abschiedskuß auf eines Jünglings
Noch ungefurchte Stirn. Ihr kehrt zurück
Als Mann! Ja mehr, ich lese, Ben Jochai,
Auf dieser Stirne Sorgen. – Hat die Heimat,
Die neue, Euch, den reichsten Erben Hollands,
Stiefmütterlicher Laune wohl begrüßt?
JOCHAI.
Es ist das Amsterdam, wie ich's verließ.
Der junge freie Bürgergeist gekräftigt –
Von alten span'schen Leiden schnell getröstet
Durch seines Handels Glück und in dem Glück,
In diesem bunten Wirrwarr seiner Häfen,
In diesem Stolz auf selbsterrungne Freiheit
[11] Doch immer für die Söhne Israels
Der duldend milde Brudersinn, wie sonst –
SILVA.
Der Handel schätzt das Geld, das unser Volk,
Als es aus Spanien, Portugal hierher
Geflüchtet, vor der Hermandad verborgen!
Und wollt Ihr's tiefer fassen, läßt man uns
Nach unserm Willen hier in Amsterdam
Aus zween Gründen – lächelt nur, Jochai!
Ja! Ja! Noch immer sucht de Silva das,
Was klarzumachen, weislich einzuteilen.
JOCHAI
indem er de Silva gezwungen lächelnd die Hand reicht.
Auch darin find' ich nichts verändert. Silva,
Der Arzt, der Kenner der Natur, die Zierde
Der Wissenschaft in Amsterdam und, was
Mit Dankbarkeit zu rühmen, unser Lehrer
Hat noch sein Erstens, Zweitens nicht vergessen.
SILVA.
Und jedem wohl, der so zu denken lernte!
Ich halt' es mit dem Aristoteles,
Der auch –
JOCHAI.
Ihr wolltet von den Juden sprechen.
SILVA.
Wohl, wohl! Wenn hier die freie Republik
Von Holland unser Volk nicht haßt, nicht grausam
Wie andern Orts, in Spanien, Portugal,
Am Rhein und an der Donau uns verfolgt,
So ist es, denk' ich, erstens, weil ein Volk,
Das so wie hierzuland die Bibel ehrt
Und aus dem Urquell seinen Glauben schöpft,
Auch uns, die wir in finstrer Heidenzeit
Die Offenbarung eines Einen Gottes
Wie eine ew'ge Lampe pflegten, ehrt,
In uns die Hüter der Verheißung ehrt,
Die Söhne Davids ehrt, aus deren Stamm
Sein Heiland, der ein Jude war, entsprossen.
Und andernteils spricht immer noch für uns
In diesem Dünenland das Blut, aus dem
Die junge Freiheit der Provinzen sproßte.
Denn jedes Volk, das selbst erfahren hat,
Wie weh die Knechtschaft tut, wird Brüder nicht
Aus einem blinden Vorurteil verfolgen.
Der Niederländer schuf aus seinen Ketten Schwerter –
Und aus den sieggekrönten Schwertern wieder
Für andre Dulder Sklavenketten schmieden,
Das wahrlich tut kein edeldenkend Volk.
[12] Das sind die zween Gründe. Und nicht wahr,
Man pries Euch auswärts glücklich, als Ihr sagtet,
Ihr kehrtet heim zu uns, nach Amsterdam?
JOCHAI.
Ich tat es selber. Hoffnungsvoll stieg ich
Die Berge nieder in dies Inselland
Und fand auf einem Schiff, das träge sich
Durch die Kanäle schleppte – Muße –
SILVA.
Froh
Des Wiedersehens zu gedenken, wie
Ihr Judith naht, sie kaum den Augen traut,
Den Freund und ihren Gatten bald umarmt –
Ihr kommt von Vanderstratens Villa? Nicht?
JOCHAI.
Erlaubt, daß ich mich ruhe.

Er setzt sich.
SILVA.
Sonderbar!
Ihr scheint erschöpft. Es drückt Euch Unmut? Redet!
JOCHAI.
Drei Tage lang hat mich Manasse draußen
Mit ihm gewohnter Gastlichkeit bewirtet –
SILVA.
Und Judith? Eure Braut? Euch angelobt
Schon durch den Wunsch der Eltern in der Wiege!
Schon Euer durch das Schlummerlied der Amme!
Im Spiel der Jugend Eure Königin!
Welch schöne Blume, rühmen darf ich sie,
Ist sie auch gleich die Tochter meiner Schwester.
JOCHAI.
Das Schlummerlied der Amme? O, de Silva –
Ich fürchte – Eure Nichte straft es Lügen!
SILVA.
Wie?
JOCHAI.
Laßt Euch kurz erzählen, was ich sah.
Ich lag in Vanderstratens Arm, er nannte
Mich Sohn und pries mir Judiths Treue. Dann
Zerfloß sein Herz von seinen Wunderbauten,
Von seinem Park, von seinen Wasserkünsten,
Von Marmorbildern, die er nach Antiken
Sich meißeln läßt in Florenz und Venedig,
Von Rubens und van Dyck, von Licht und Schatten
Und Perspektive – nun wißt Ihr ja, wie er
Mit seiner Midashand gewohnt ist, alles,
Was ihn umgibt, sich künstlich zu vergolden.
SILVA
beiseite.
Statt Gold läuft manchmal wohl auch Kupfer unter.
JOCHAI.
Ihr sagt etwas?
SILVA.
Nicht doch! Ich rechnete
Nur, wieviellötig so ein Midassinger!
Ich bin kein Freund von seinen Herrlichkeiten.
[13]
JOCHAI.
Auch liebt die Börse diese Grillen nicht.
Genug! Mich, der in Rom, Paris, Neapel
Das alles selbst gesehn, was sich Manasse
Auf Hollands Wiesen nachzukünsteln müht –
Mich hätten diese Tempel angesprochen,
Wenn ihre Gottheit mir erschienen wäre.
Ich suchte Judith. Heißer Sehnsucht, streift' ich
Durch jeden Schattengang des Parks,
Und in dem Drang nach fast zweijähr'ger Trennung
Traf ich sie endlich – nicht allein.

Steht auf.

Ein Fremdling
Sitzt neben ihr in einer Muschelgrotte,
Von wildem Wein und Efeulaub umrankt –
Ein mächtig großer Band von Pergament
Liegt aufgeschlagen vor dem stummen Paar.
Ich trete näher – Judith scheint mich wie
Den Laien vor dem Vorhof eines Tempels
Mit strengem Blicke fortzuscheuchen. Da
Erkennt sie mich und reicht mir starren Auges,
Mit einer Lüge ihres Angesichts sich sammelnd,
Die kalte, fieberfrost'ge Hand entgegen.
Mein Schweigen frägt, wer dieser Fremde wäre?
»Mein Lehrer!« spricht sie stolz und hochbegeistert;
Und diesem wieder mich enträtselnd haucht sie:
»Dies mein Verlobter –!« wie im matten Echo –
Erblassend richtet sich der Fremde auf,
Läßt ihre Hand aus seiner Rechten gleiten,
Und in mir selbst wie schlaggelähmt und fiebernd,
Ermann' ich mich, den Namen ihn zu fragen –
SILVA.
Er nennt sich Uriel Acosta.
JOCHAI.
Ha!
Nicht wundern darf ich mich, daß Ihr ihn wißt,
Der Diener Mund, Manasses scheuer Bick,
Im Parke jedes Marmorbild verriet's,
Daß Eure Nichte – mir die Treue brach.
SILVA.
Ich höre staunend Euren Worten. Ja,
Was Ihr mir schildertet, es mag, ich glaub' es,
Auf ersten Blick Euch wohl befremdet haben;
Doch irrt Ihr sehr im Grunde! Judiths Kälte
Ist Liebe nicht für Uriel Acosta –
Im stillen sah ich diese Dinge reifen.
Ein junger Denker, der dem Studium
Der Rechte erst sich zugewendet, ward
Seit Eurer Reise plötzlich allerorten
[14] Als Mann von Geist gerühmt, als Forscher nicht.
Ich schätze, wie er schreibt, nicht, was er schreibt.
Die süßen Laute von Oporto schweben
Noch angenehm auf seiner Zunge. Ja,
Als hätt' er gestern erst am Tajo Trauben
Vom sonnigen Geländer sich gepflückt,
So schreibt er noch das reinste Portugiesisch.
Doch ohne Neigung ist sein Herz für Juda, –
Die Terebinthen Mamres sind ihm fremd –
Im Dornbusch sah er nie des Herren Antlitz –
Wohl hält er sich an die verwandten Brüder,
Doch von der Synagoge bleibt er fern –
Halb Christ, halb Jude schwebt er in den Lüften,
Erhebt den Zweifel auf den Thron des Glaubens
Und hat, durch Zufall sich Manassen nähernd,
Sein Kind – nicht mit dem Netz der Liebe, nein,
Mit seinem Denken nur so eng umgarnt,
Daß sie sich besser glaubt als andre Wesen,
Das Übliche verachtet und ihr Herz.
Ihr müßt sie nehmen, wie sie sich Euch gibt.
Sie wird sich ändern, ist sie wieder Euer.
JOCHAI.
Bewundern ist und lieben eins beim Weib,
Der mehr Bewunderte ist mehr geliebt!
Ich will in keines andern Schatten stehn.
Und würfe ihn der höchste Ruhm! Manassen
Kenn' ich als schwachen, willenlosen Mann;
Ihr seid die Seele des Familienrats;
Geht hin! Ruft sie zusammen, Eure Sippe,
Die Muhmen und die Schwäger, führt Acosta
Als Eidam ein –
SILVA.
Zu ungestüm, Jochai!
JOCHAI.
Ist Euch der andre werter als Verwandter –
So nehmt ihn auf –!
SILVA.
Wo denkt Ihr hin, mein Sohn!
Ihr sprecht von meinem Feind!
JOCHAI.
Von Euerm Feind!
SILVA.
Ich gönne meinem Feinde niemals Schlimmes;
Und gönn' ihm auch das Gute. Doch ich selbst
Mag seines Glückes Schmied nicht sein, noch wen'ger
Mit ihm in Bande der Verwandtschaft treten.
Seit wenig Tagen ist ein Buch erschienen
Von Uriel, worin er manches, was
Ich früher selbst in Glaubenssachen schrieb,
[15] Sophistisch wieder aufzuheben sucht.
Mein Schüler war er und bekämpft den Lehrer!
Dies Buch trennt ihn von seinem Volk, trennt ihn
Von seinem Glauben, also auch von mir.
JOCHAI.
So laßt uns beide denn gemeinsam handeln!
Ich liebe Judith, ja, ich fühlte dies
Bei ihrem Anblick flammender denn je;
Doch muß die Wolke weichen zwischen ihr
Und meinem Glück und meinem heil'gen Recht;
Um beides schäm' ich mich zu betteln. Silva,
Wollt Ihr der Dolmetsch meiner Zunge sein,
So redet! Denn der wahre Stolz ergreift
Für sich nicht selbst das Wort. Es dunkelt – wie,
Nach langem Tagwerk sehnt Ihr Euch zur Ruhe?
SILVA.
Ihr geht – nach dieser Kunde? Nein, Ihr solltet
Mir weitre Proben des Verdachtes nennen –

Er sieht den Diener eintreten.

Was ist? – Nur einen Augenblick –

Zum Diener.

Was soll's?
2. Szene
Zweiter Auftritt.
Diener. Die Vorigen. Dann Uriel.

DIENER.
Ein Schüler, des ich mich aus alter Zeit
Entsinne, wünscht zwei Worte nur – ich weiß,
Ihr habt ihn lieb gehabt, ich ließ ihn kommen.

Er tritt zurück, läßt Uriel herein und geht. Uriel tritt ein.
JOCHAI
beiseite.
Er selbst!
SILVA
beiseite.
Acosta?
URIEL.
Stör' ich Euch, de Silva?

Drückende Pause.
SILVA.
Kommt Ihr zum Arzt de Silva? – seid willkommen!
Ein Arzt darf auch dem Feind sich nicht entziehn.
URIEL.
Dem Feind, de Silva? – Meinen Lehrer will ich
Zum Abschied, eh' ich scheide, noch begrüßen.
JOCHAI
beiseite.
Zum Abschied?
SILVA
will Jochai vorstellen.
Ben Jochai! Kennt Ihr ihn?
URIEL.
Wir kennen uns.
JOCHAI.
Ihr macht mich staunen – wie?
Ihr wolltet – sagt Ihr – Amsterdam verlassen?
URIEL.
Von wo Ihr kamt, Jochai, dahin geh' ich.
Und morgen schon mit erstem Sonnenstrahl.
Ich will die Welt, will andre Menschen sehn.
[16] Und weil ich jedem, den ich liebgehabt,
Noch einen Gruß zum Abschied bieten wollte,
So kam ich auch zu Euch, de Silva! Hier
Nehmt meine Hand!
SILVA
weist sie zurück.
Die Hand, die eben noch,
Was ich mit eifrigstem Bemühn erforscht,
Wie eine abgestandne Arzenei
Zum Fenster ausgeschüttet hat?
URIEL.
De Silva!
Ich sagte schon, ich käme nicht zum Arzt!
Zum Denker Silva bin ich nur gekommen.
Und wenn im Denken ich gesund nicht bin,
Was ich mich selber kaum zu rühmen wage,
So wißt Ihr, was die Heilung anbetrifft,
Die kranke Seele muß sich selber helfen.
SILVA.
Zu meinen Füßen habt Ihr einst gesessen!
Von mir gelernt, was der Gedanke ist –
In Eurer Schrift bekämpft Ihr Euren Lehrer!
URIEL.
Ich staune – kann man denken lernen, Silva?
Gibt's Schüler denn und Lehrer im Bereich
Der höchsten Wissenschaft, wo jeder Satz,
Wie einst aus Ajax' Blut die Blume, also
Aus unserm Innern sich erzeugen muß?
Ich habe unser altes Lehrgebäude,
Das halb auf Schrift und halb auf Tradition,
Auf heil'gen und profanen Büchern wurzelt,
Beleuchtet mit der Fackel der Vernunft.
Nicht in dem Wahn, das Wahre aufzufinden,
Das jeder anerkennen müßte, nein,
Nur meine eigne Torheit ließ mich reden,
Nur meine eigne Blindheit ließ mich sehen,
Nur meine eigne Taubheit hören – meine!
Das merket wohl, de Silva, nur die meine!
Nur was wir selber glauben, glaubt man uns.
SILVA.
An Eurer Statt würd' ich zu Christen halten.
URIEL.
De Silva!
SILVA.
Dann verzeihe Gott dem Juden,
Daß er den Glauben seiner Väter schmäht!
Die Edelsten, die Besten sind empört,
Was Ihr geschrieben über unsern Glauben.
Die Synagoge hat mit ihren Dogmen
Ein heilig Recht auf liebende Verehrung;
Denn grade jetzt, wo wir entronnen sind
[17] Dem Feuertod fanatischer Verfolgung,
Jetzt endlich, wo zum ersten Male wieder
Das Lob des Höchsten wie ein Opferrauch
In Lüfte, die uns nicht verraten, steigt,
Jetzt soll die junge Freiheit dazu dienen,
Daß wir zerstörten, was so lang' gehalten,
Was felsenfest im Elend unsers Volks
Der Anker seiner Hoffnung bleiben durfte?
Nein, nimmermehr! Und wenn mein eigner Witz,
Wenn die Vernunft mit klugem Selbstgefallen
Mir sagte: »Das ist morsch und tot«, so helfe
Der Ew'ge uns, wir wollen's dennoch schützen,
Wir wollen halten an dem teuern Wahn,
Wie man auch einen alten Diener, der uns
Im Elend treu blieb, nicht im Glück verstößt.
URIEL.
Was ich an Euch verehre, ist das Herz.
Rasch seid Ihr in der Liebe, rasch im Haß,
Ein edler Sinn verklärt selbst Euern Irrtum!
Ihr habt in meiner Schrift nur erst geblättert –
Lest sie und wiederholt nicht gläubig,
Was Eure – Kranken Euch davon berichten!
In guter Absicht bin ich hergekommen,
Abschied zu nehmen, nicht von Eurem Haß,
Nicht von dem schwankenden Gemüt de Silvas,
Vom Denken nicht, das doch kein ganzes Denken,
Kein ganzes Fühlen, nur ein Dämmern ist,
Wie eben jetzt nicht Tag, nicht Abend scheint –
Nur Abschied wollt' ich friedlich nehmen, Silva,
Von Euerm weißen Haar – Lebt wohl! – ich ahne,
Wir werden uns wohl nimmer wiedersehn.
JOCHAI.
Vergebt, Acosta, daß ich mir das Wort,
Des Ihr mich nicht gewürdigt, selbst erlaube!
Wenn ich Euch irgendwo auf Eurer Reise
Mit unsrer Kundschaft dienen kann –
URIEL.
Zu gütig!
JOCHAI.
Befehlt, ich bitte, – geht Ihr nach Paris?
Ein Brief von unserm Hause führt Euch ein
In manchen goldenen Palast – und wenn
Ihr Londons Weltgewühl –
URIEL.
Nach Süden zieh' ich –
Vielleicht nach Deutschland. Kennt Ihr Heidelberg?
Ich suche irgendwo ein stilles Tal,
Wo ich mit Quelle mich, mit Gras und Blume,
[18] Und wenn die Zunge freier reden will,
Mit Waldgefieder streitend unterhalte.
JOCHAI
beiseite.
Ich atme auf.
SILVA.
Und Judith läßt Euch ziehen?
URIEL.
Und Judith? Warum fragt Ihr das?
SILVA.
Ist sie
Nicht Eurer Weisheit treue Schülerin?
URIEL.
Sie wird jetzt in des Lebens Schule gehn!
SILVA.
Für Frauen das die beste. Fragt nur da
Den künft'gen Gatten Eurer Schülerin,
Ob er nicht gleicher Meinung?
URIEL.
Nein, Jochai!
Entsagung lernen steht auch Reichen schön.
Löscht alle Kerzen aus, die Ihr zur Pracht
Auf Euerm Hochzeitsfest verbrennen wolltet.
Ihr braucht für Judith nichts, was eitel glänzt,
Braucht goldne Becher nicht für ihren Trunk,
Braucht Silber nicht für ihr bescheiden Mahl –
Im Vollgenuß des väterlichen Glücks
Hat sie gelernt die Freuden des Entbehrens.
Sich selbst genügen – lehrte meine Weisheit!

Sich vergessend.

Und wenn Ihr doch sie überraschen wollt,
Mit einem goldnen Dache sie umwölben,
Doch aller Lebensfreuden Duft ihr spenden,
Dann ist sie's wert! Sie stieg vom Himmel nieder,
Die Erde hat nicht teil an ihrem Stoff –
Sie ist ein Schatz, vergraben unter Euch,
Ein Seraph, der die Grille hegt, sich menschlich
Als wäre sie die Unsre, anzustellen!
Berührt sie nie mit einer Hand, die eben
Vielleicht in Haufen schnöden Goldes wühlte!
Jochai, zu ihr beten müßt Ihr, nahen ihr,
Wie man den Heil'gen naht! O laßt mich ziehn!
Der Blick auf das, was Euch zurückbleibt, kann
Den Abschied nicht erleichtern. So mit Gott –!

Will rasch ab.
3. Szene
Dritter Auftritt
Die hintere Tür öffnet sich. Zwei Tempeldiener, jeder mit einer großen brennenden Kerze, treten ein. Rabbi Santos mit einem Buch in der Hand. Die Vorigen.

SANTOS
beiseite.
Acosta?
SILVA
beiseite.
Rabbi Santos?
[19]
JOCHAI
beiseite.
Welcher Aufzug!
SANTOS.
Verweilt, Acosta, daß Ihr selbst vernehmt,
In welcher Sendung ich zu Silva komme.
SILVA.
In welcher Sendung? Rabbi, diese Lichter?
SANTOS.
Noch vor der dunkeln Nacht? De Silva, ja,
Dies Licht am Tag ist die Vernunft Acostas,
Die heller sein will als die Offenbarung.
URIEL.
Die beiden Kerzen scheinen Euch die Sonne?
Was soll ich hier? Was hätt' ich zu vernehmen?
SANTOS.
Dies Buch, de Silva, schickt die Synagoge
An Euch, den weisen, hochgelahrten Kenner
Des Glaubens und der heil'gen Glaubensquellen.
Ihr sollt, so ist der Auftrag der Gemeinde,
Dies Buch nach redlichem Gewissen prüfen;
Nicht nach den Formeln der Philosophie,
Nein, prüfen sollt Ihr nur, ob diese Schrift
Im Einklang mit dem Judentume steht,
Ob der, der solch ein Buch zu schreiben wagte,
Noch ferner sich zu Jakobs Söhnen zählen,
Noch ferner auf Verheißung hoffen darf.
SILVA.
Wo der Gehorsam schon mich ehren muß,
Wird Ehre Ruhm bei solchem hohen Auftrag.
SANTOS.
Bedeutet dieses Licht

Auf die Kerzen deutend.

des Autors Seele,
So will die Synagoge und der Vorstand
Erfahren, ob sie länger noch darf flackern
Unrein im reinen Lichtmeer der Gemeinde.
Dies ist das Buch! In sieben Tagen will
Der Rat der Drei von Euch die Botschaft hören,
Und so Ihr sie gedenkt zu geben, dann
Bestätigt mir's mit zwei geschriebnen Worten!

Silva nimmt das Buch, schlägt es auf und erschrickt, da er sieht, daß es Uriels Schrift ist.
URIEL.
Sagt's nur heraus, de Silva! Sagt es frei,
Ich bin's, dem Euer blinder Glaubenseifer
Das Licht der Seele auszulöschen droht!
SILVA.
Ihr seid der Angeklagte, Uriel –
SANTOS.
Sprecht Ihr in mitleidsvollem Ton? Dies Buch
Sei Euch ein Buch – den Autor kennt Ihr nicht.
SILVA
zu Santos.
Hier tretet ein. Zwei Zeilen bürgen Ench
Für den Empfang des schmerzlich-ernsten Auftrags. –
Acosta! – Zitternd fühlt der Mensch die Zügel
Des eignen Schicksals, die ihm unsichtbar,
[20] Sich selbst zu nützen oder schaden, oft
Ein guter Gott in seine Hände gibt.
Doch wieviel schwerer ist es, sich zu wissen
Als eines fremden Loses Vorsehung
Und Stellvertreter des allweisen Richters
Für einen andern, dem wir Schicksal werden!
Es tut mir leid, Acosta, daß ich glaube
An Rufe aus der Höhe, daß ich Gottes Finger
In menschlichem Befehle oft erblicke.
Dies Buch schickt mir mein Volk, schickt Israel,
Ich prüf' es nach dem Talmud und der Thora.

Geht nach innen. Santos und die Diener folgen.
JOCHAI.
Ihr seid betroffen, Uriel? Was tut
Euch das? Wenn man auf Reisen ist, verfliegt
Ein fernes Schicksal in die blaue Luft.
Seid Ihr, wo andre Sprachen, andre Sitten
Als einend Band sich um die Menschen flechten,
So wird Euch alles, was auch kommen mag,
Was man auch brieflich Euch vermelden dürfte,
Wie eine Fabel klingen, die Euch nicht berührt.
Lebt wohl! Nehmt guten Mut auf Eure Reise!

Ab nach außen.
URIEL.
Du glaubst, daß ich noch jetzt in ferne Täler
Mich selbst verbannen würde dir zuliebe?
Weil ich schon einmal zagend mich und Judith
Vor einem Kampf des Herzens retten wollte,
Soll ich auch jetzt den Kampf des Geistes fliehn?
Das war gefehlt! Wer Wahrheit will bekennen,
Darf ihr die höchste Glorie nicht entziehn,
Den Ruhm des Mutes, den die Wahrheit gibt.
Was kann in mir von Flucht noch weiter sprechen?
Jetzt muß ich bleiben, wenn auch Herzen brechen.

Ab.
Der Vorhang fällt.

2. Akt

1. Szene
Erster Auftritt.
Manasse mit einem Streifen Papier in der Hand und lesend. Simon.

MANASSE.
Das kann nicht sein! Unmöglich darf er kommen!
De Silva – Ben Jochai – Van der Embden –
De Castro – alles gut – doch diesen Namen – –
[21]
SIMON.
Hat Eure Tochter selber aufgeschrieben.
MANASSE.
Unmöglich! Weiß sie nicht, was ihn bedroht?
SIMON.
Da kommt sie selbst; laßt sie Euch Rede stehn.

Ab.
2. Szene
Zweiter Auftritt.
Judith. Manasse.

JUDITH.
Willkommen, Vater! Welche lange Zeit
Habt Ihr uns wieder hier allein gelassen,
Bis Ihr den Börsenstaub von Amsterdam
In Eurem Garten aus den Kleidern schüttelt!
MANASSE.
Von Sorgen seh' ich mich auch hier begrüßt.
JUDITH.
Hab' ich nicht alles festlich hergerichtet,
Wie Ihr's am Wochenende liebt? Sind Gäste,
Wie Ihr gewohnt, zu Tische nicht beschieden?
MANASSE.
Wie konntest du Acosta heute laden?
JUDITH.
Er war nicht hier seit vollen sieben Tagen!
MANASSE.
Schrieb ich dir nicht, daß ihn der Bann bedroht?
JUDITH.
Und gerade deshalb rief ich ihn zu uns.
MANASSE.
Den alles flieht?
JUDITH.
Den eben sucht' ich auf.
MANASSE.
Er wird nicht kommen, denk' ich, weil er fühlt,
Daß unsre Ladung feinen Takt beweist,
Doch feineren, der Ladung nicht zu folgen.
JUDITH.
Seit wann ist Vanderstraten denn so fromm?
Der Freund van Dycks, des Rubens nur so gläubig?

Auf die Statuen zeigend.

Elias und die sämtlichen Propheten
Zertrümmern dir die Götterbilder hier,
Die das Gesetz verwirft. Ich kann nicht glauben,
Daß statt des Marmors, statt der toten Bilder
Ihr nicht den Mut habt, Menschen zu beschützen.
MANASSE.
Für einen Mann von freier Denkungsart
Bin ich bekannt, und stolz bin ich darauf,
Daß man Manasse Vanderstraten nicht
Im Bußhemd am Versöhnungstage sieht.
Ich will nicht heucheln, längst gehör' ich, weiß man,
Dem allgemeinen Glauben jener Freien,
Die sich von Moses, Christus, Sokrates
Das Beßre von dem Guten ausgesucht –;
Doch anders ist es, wo man kämpft und streitet,
Nur Staub aufwühlt um altes Vorurteil,
Das an der Masse ewig haften bleibt –
[22] Da tret' ich zu dem Glauben, der besteht,
Und kann mich nicht von äußern Pflichten trennen.
JUDITH.
Die Künstler werden aufgesucht, an Denkern
Huscht man mit feigem Mut vorüber!
MANASSE.
Judith,
Auch mußt' ich hören, daß man dir die Achtung,
Die uns Acosta widmete, verdächtigt.
Nur zwei Begriffe kenn' ich, die mir teuer.
Der eine, lächle nur, das ist – ich sag' es,
Mein Glück daheim im eigenen Besitz,
Das stille Walten friedlichen Behagens –
Im andern bin ich untertan der Stimme,
Die man die allgemeine nennt, ich prüfe
Nicht ihren Wert: sie ist – und ich gehorche.
JUDITH.
So wandeln Kunst und Wahrheit nicht zusammen?
MANASSE.
Des Lebens und der Sitte Forderung
Ist streng, und ungern lass' ich mich belehren,
Wie Silva gestern mir getan. Jochai
Bist du nach unsers Volkes Weise früh verlobt –
Es ziemt sich, daß im Kreise der Verwandten
Dich jedes Aug' an seiner Seit' erblickt.
JUDITH.
Und dieses Schauspiel –
MANASSE.
Heute muß es sein.
JUDITH.
Wie, Vater –?
MANASSE.
Wohl! Ich weiß, daß dir Jochai
Nicht wie der Bräutigam im Hohenlied
Erscheint; doch – wieder meine sichern Lebensregeln! –
Wie zwei Verlobte, wie ein liebend Paar
Ziemt sich, daß euch die Welt verbunden sieht;
Das andre macht mit eurem Herzen ab.
JUDITH.
Und diese Rechnung schließt sich leicht, denkt Ihr –
Wie wenn Ihr Euer Soll und Haben prüft?
MANASSE.
Genug! Vom Mahle bleibt Acosta fern.
Ich sage das im strengsten Ton zu dir!
Schütz' mich vor Leidenschaft! Du weißt, ich sehe,
Was allzu ernst, nicht gern auf meinem Wege.

Er besteigt die Estrade.
3. Szene
Dritter Auftritt.
Judith allein.

JUDITH.
O lebenskluger Sinn, den ich nicht fassen,
Der meine volle Brust nicht sprengen kann!
[23] Wie sollt' ich mit dem Angesichte lügen,
Wie Liebe lächeln, wo ich hassen muß,
Und Haß verraten, wo ich flammend liebe!
Er kommt! Er ist's! Schon öffnet er das Tor –
Die Taxusgänge schreitet er herauf,
Die Blumen scheinen freudig ihn zu grüßen –
Bin ich die kalte Tochter meines Vaters?
Was fesselt mich, daß ich ihn jubelnd nicht
An meine Brust mit sel'ger Freude drücke,
Ihn fühlen lasse, wie sie klopfend bebt –!
Das feige Herz bezwingt sich noch! Es muß
Das heil'ge Recht, den Widerspruch zu lösen,
Der Mund vom Aug' und Aug' vom Herzen trennt,
Sich erst erobern durch die freie Tat.
Noch hab' ich nichts getan – und blicke nieder –
4. Szene
Vierter Auftritt.
Uriel. Judith.

URIEL.
Ich komme, Freundin, weil Ihr es gewünscht,
Und hoffe, daß ich Fremden nicht begegne.
JUDITH.
Weil ich es wünsche, seid Ihr nur gekommen?
Wo weilt Ihr? Warum flieht Ihr? Großer Gott,
In dieser Zeit, in dieser schwerbedrängten!
Was hab' ich alles nicht vernehmen müssen?
URIEL.
Von meinem Streite mit der Synagoge?
JUDITH.
Was kümmert mich die Synagoge –!
Nein, Uriel, Ihr habt entfliehen wollen!
Ist es denn wahr, daß Ihr so grausam scheiden,
So plötzlich über Nacht verschwinden könntet?
URIEL.
Seid kalt! Ich bitt' Euch, laßt den sanften Ton!
Seid, was Ihr werden müßt, das Weib Jochais.
Es ist so oft erörtert – oft beweint –
Was reißen wir die alten Wunden auf!
JUDITH.
Ihr sollt nicht von Ergebung reden!
URIEL.
Judith!
JUDITH.
Ich hass' Euch, wenn Ihr so gelassen sprecht!
URIEL.
Ihr wißt, bei unserm Volk herrscht die Familie,
Der Vater will, das Kind gehorcht – die Bande,
Die erst von Eisen, werden Rosenketten!
Ich kenne das, das Leben ist ein Treibhaus –
JUDITH.
Sagt das, Acosta, wenn Ihr einsam geht
Mit Euern kalten zweifelnden Gedanken,
[24] Sagt das nicht hier, hier an dem Marmortisch,
Wo Ihr das wärmste Leben mir erschlossen!
Kennt Ihr das grüne, stille Laub nicht mehr,
Den Frieden nicht, wo Euer Mund von Kriegen,
Vom Sturm der Weltgeschichte mir erzählt?
O, Uriel, dies sind die Blumengärten,
Wo ich gewandelt bin an Euerm Arm,
Euch da, Euch dort ein selten Kraut gezeigt –
Ihr saht es an, Ihr nanntet es mit Namen,
Ihr brachtet Feuer, wunderbare Gläser,
Ihr zeigtet, wie Natur dem Geist gehorcht,
Wie im Metall, im Kiesel, in der Pflanze
Geheimnisvolle Kräfte schlummern – wie?
Und in uns selber wäre alles tot?
Da wäre nichts, was aus der Asche stiege,
Kein Funke aus dem Stahl, aus Gift kein Balsam?
Nein, Uriel, Ihr habt einmal gebaut
Vor meinen Augen eine Himmelsleiter,
Und nun ich oben schwebe in dem Äther,
Im Reich der seligsten Verklärung, zieht Ihr
Die Staffel fort? Nie kann ich rückwärts finden,
Nie mehr mit dem Gemeinen mich verbinden!
URIEL.
Was wir uns sind, mit Tränen steht es, Judith,
Auf jedem grünen Rasen hier geschrieben.
Doch soll's nicht sein – es wird nicht sein – ich kenn' es,
Das Wildhinstürmende paßt nicht für uns.
Vielleicht, wenn wir mit Büchern nicht verkehrt,
Von Sternen nicht, vom Weltall nie gesprochen
Und nur an Nächstes uns geklammert hätten,
Vielleicht, daß dann die wilde Ungeduld
Der ungezähmten Triebe tobt' und schriee –
Doch wolle mich der Himmel davor schützen,
Daß ich, dem Schmerz mich nicht geduldig fügend,
Dich je an einen Scheideweg geführt
Und grausam ausgerufen hätte: Liebe,
Hier mußt du wählen oder untergehn!
Weißt du – was mich bedroht? Der Bann, die Ächtung!
Fluch wird von euern Wohnungen mich treiben!
Nie darfst du den Verfluchten lieben – ja!
Für eine Ehre halt' ich diesen Fluch,
Doch kann ich sie mit jemand teilen wollen?
JUDITH.
Acosta, wird ein Volk die Edelsten,
Die Besten seines Stammes wohl verwerfen?
[25]
URIEL.
Und dennoch wird's geschehn – zum letzten Male,
Judith!

Er ergreift ihre Hand.

... Leb' wohl!

Erblickt Jochai.

Ha, Ben Jochai hier!
Und Gäste ringsum? Sind wir nicht allein?
Was tust du? Mädchen, ehren willst du mich?
Demüt'gen kann mich nur der bunte Schwarm!
5. Szene
Fünfter Auftritt.
Ben Jochai tritt schon vorher glänzend und festlich gekleidet von der Terrasse. Die Vorigen. Später Gäste. Zuletzt Manasse und de Silva.

JOCHAI.
Ist das ein Abschied doch für ew'ge Zeiten!
Wo ich Euch find', empfehlt Ihr Euch, Acosta.
In Heidelberg glaubt' ich Euch längst, wo Ihr
Das Waldgefieder denken lehren wolltet!
JUDITH.
Das eilt sich nicht! Denn hier in Amsterdam

Auf eine Feder am Hute Jochais zeigend.

Ist manchem Pfau die Weisheit nötiger!

Sie nimmt Uriels Arm und führt den Widerstrebenden die Stufen nach hinten hinauf. Eine ferne Musik beginnt.
JOCHAI
allein.
Zum letzten Male bietest du mir das!
Wie süß ist Rache, die vom Schicksal kommt
Und die man selber nicht zu schüren braucht!
Sie führt ihn unerschrocken in den Saal –

Silva und Manasse erscheinen oben auf der
Terrasse.
MANASSE
oben.
Es darf nicht sein.
SILVA
oben.
Geduld! Geduld!
MANASSE.
Empörend!
Was ich so streng verboten!
SILVA.
Mäßigt Euch!
Geht, Schwager, schützt vor Ungebühr den Gast,
Noch hat der Sanhedrin ihn nicht verurteilt.
MANASSE.
Die Sitte aber, sollt' er wissen, folgt
Dem Urteil nicht, sie folgt dem Vorurteil.

Er geht nach innen. Silva steigt herunter.
JOCHAI.
Ich staune, Silva! Habt Ihr Eure Meinung
Verändert?
SILVA.
Hat denn irgendwer das Recht,
Dem Spruch der Richter vorzugreifen?
JOCHAI.
Wie?
So spricht de Silva, der sein Buch verdammte?
[26]
SILVA.
Verdammte? Hab' ich irgendwo das so
Auf offnem Markte ausposaunt?
JOCHAI.
De Silva!
Man weiß, der Rat hat Euern Spruch empfangen
Und Euer Spruch besagt: Er ist kein Jude!
SILVA.
Das sagt Ihr – Ihr versteht mich nicht – laßt's sein!
JOCHAI.
Daß Ihr ihn schützt, das glaub' ich zu verstehn –
SILVA.
Ei was! Ich schütz' ihn nicht – und dennoch – ja!
Fast scheint es, daß ich mich verwandelt habe!
Was ist das Herz auch nur so reich gestimmt,
An Tönen und an Weisen fast so voll
Wie Instrumente, wo man immer glaubt,
Der Künstler hätte seinen letzten Schatz,
Die Fülle seiner Melodien ausgegeben,
Und immer, immer wieder bringt der Finger
Ein ungeahntes, neugefügtes Tonstück
Tief aus dem unerschöpften Born hervor.
Vernehmt, wie mir es mit der Prüfung ging.
JOCHAI
beiseite.
Was werd' ich hören?
SILVA.
Ja, Jachai,
Wie ich mich mit dem Buche so verschlossen
In stille Einsamkeit auf meiner Kammer
Und in den Paragraphen las und las,
Da weiß ich nicht, es hat mich wunderbar
Doch manches innerlichst davon ergriffen!
So manches hat in mir den Denker wieder
Mit allgewalt'gem Zauber aufgeregt
Und immer rief's in mir: Unmöglich! Nein!
Du darfst den Irrenden an Priester nicht,
An sie den Schüler Platos nicht verraten.
Und gerne hätt' ich manches in die Thora,
In unsern Talmud eingezeichnet, was
Bei vielem Falschen, vielem Unbewiesenen
Ich Tiefgedachtes doch zu lesen fand –
Doch da es dort nicht steht und ich gelobte,
Nach Talmud und der Thora ihn zu richten,
So schrieb ich nur dies eine Wort am Ende
Des ganzen Buchs: Der Autor ist kein Jude.
JOCHAI.
Kein Jude? Das ist Doppelsinn –
SILVA.
Doch nicht!
Ich schrieb, was ihn als Jude muß verdammen.
Doch ist er Jude? Braucht er diesem Elend
Des Fluches, dieser schimpflichen Verfolgung
[27] Sein Haupt zu beugen? Nein! Acosta hat
Ein Recht, wenn er es will, sich Christ zu nennen!
JOCHAI.
Silva?
SILVA.
Dann wär' Euch Judith unverloren –
JOCHAI.
Was sagt Ihr? Uriel ein Christ?
SILVA.
Sein Vater
Schwur einst in Portugal den Glauben ab,
Ward Christ, und seine Kinder hat erzogen
Das Jesuitenkloster in Cuença.
Als sie vom Tajo sich hierher geflüchtet,
Sind sie zum Judentum zurückgekehrt –
Ob Uriel auch? Es steht in seiner Macht,
Wenn er es will, sich Christ zu nennen.
JOCHAI.
Christ?
Das müßte ihn von Judith ewig trennen – –
SILVA.
So ist's! Und nun ans Werk der Rettung! Ihr
Aus Haß – ich richt' Euch nicht – und ich –? Genug,
Hier tretet in die Laubengänge ein!
Ich höre, daß der Sanhedrin erfahren,
Acosta wäre hier bei Vanderstraten.
De Santos wird den Fluch der Kirche bringen,
Kommt er, der Bote der Notwendigkeit,
Dann tretet vor – ich muß zurück mich halten –
Und sagt: Acosta, du bist Christ! Ihr nehmt,
Weil Judith nimmer Christin werden dürfte,
Dem Argwohn Eurer Liebe jede Nahrung –
Und mir, der ich nicht glaube, was Acosta
Zu glauben sich beredet, aber der
Ich Achtung vor dem Denker fühle, mir
Erspart es doch – vor Plato zu erröten.

Er geht. Jochai folgt in freudiger Spannung.
6. Szene
Sechster Auftritt.
Manasse und andere Gäste. Herren und Damen kommen die Stufen der Estrade herunter.

MANASSE.
Was sagst du, Simon – Priester an der Pforte?
Rabbi de Santos? Eine seltne Ehre!

Uriel und Judith folgen.
URIEL.
Sie sind's –
JUDITH.
Was habt Ihr – blickt doch frei und offen!
Wo ist de Silva?

Die Musik hört auf.

Ei, die Musiker!
[28] Was hört ihr auf, Vermittler spröder Seelen?
Schlägt euch so mitten in dem Takt der Wind
Die Notenblätter um?
URIEL.
Blickt dorthin, Judith;
Die Priester sind es mit den Widderhörnern!

Alle blicken mit dem Ausdruck des Schreckens auf die Estrade.
7. Szene
Siebenter Auftritt.
Rabbi Santos, begleitet von vier Rabbinen, die langsam und feierlich kleine gewundene Widderhörner an den Mund setzen und einen tiefen und lang ausgehaltenen Ton blasen. Sie treten oben auf und verweilen auf der Estrade. Die Vorigen. Später Jochai und Silva.

MANASSE
nachdem die Rabbinen jenen einen feierlichen Ton geblasen.
Das Zeichen der Verfluchung! Und das hier
In meinem stillen Frieden –
SANTOS
von oben mit feierlicher Stimme.
Widderhörner
Begrüßen euch! Gedenket Abrahams,
Der seinen Sohn dem Herrn wollt' opfern!
Da sprach der Herr, Herr Zebaoth: Geh hin
Und opfre für den Sohn das Tier, den Widder,
Der neben dir in dem Gezweig der Büsche
Mit seinem Horne sich verfangen hat.
Und Abraham zerschnitt des Sohnes Bande
Und opferte das Tier für den Gerechten.
Wer sich auf Adonai hier bekennt,
Der trete seitwärts! Gott verschmäht das Opfer
Der Söhne Abrahams – Acosta, du!
Du sei allein –!

Alle gehen von Uriel auf die andere Seite. Judith zaudert.
SANTOS.
Und Vanderstratens Tochter?
Bekennst du dich nicht auch auf Adonai?

Judith geht langsam und zögernd zu den übrigen. Jochai und de Silva treten auf.
URIEL
für sich.
Auch sie! – O der Magnet des Wahns zieht mächtig!

Zu Santos.

Glaubst du dort auf dem Sinai zu stehen?
Hat Moses dich zu seinem Mund erwählt?
Wer hat dir über mich Gewalt gegeben?
SANTOS.
Wenn du ein Jude bist, so weißt du's – Gott!
[29]
JOCHAI
dazwischentretend.
Ihr Herren, was geschieht hier? Wie, de Santos,
Wollt Unglück Ihr auf unsre Häupter laden?
Wir haben wohl in Amsterdam die Macht,
Im Schoße der Gemeinde Recht zu sprechen
Nach unsern heil'gen Bräuchen und Gesetzen –
Doch über Juden nur – Acosta ist
Ein Christ.
ALLE.
Ein Christ?
JUDITH.
O Gott!
JOCHAI.
Ihr wollt ihm fluchen?
An einem Christen habt Ihr keinen Teil!
JUDITH
beiseite.
Was ihn errettet, ist für mich der Tod.
SANTOS.
Wenn Uriel Acosta Christ – verstummt
Mein Mund.

Legt segnend die Hand auf die übrigen.

Gott segne Abrahams Geschlecht!
URIEL.
Wer redet da? Wer sagt –
JOCHAI.
Dein Vater hat
Mit seinem ganzen Haus in Portugal
Den Glauben seiner Väter abgeschworen.
Noch seid durch keinen öffentlichen Akt
Ihr wieder heimgekehrt zu Jakobs Stämmen;
Ihr seid ein Christ! Viel Ehre muß uns dünken,
Daß Ihr bei Euern Knechten hier verweilt.
MANASSE.
Gehn wir zu unserm Fest! Der Christ Acosta
Verzeiht, daß wir dabei in Speis' und Trank
Den Sitten unsers Volks uns fügen müssen.
URIEL
außer sich.
Ich wäre Christ? Soll mir ein frecher Spott
Die Hintertür des falschen Mitleids öffnen?
Als Kind schon im Gesetze lesen lernend,
Ward plötzlich ich getauft. Kein lichtumfloßner
Geweihter Priester hatte uns bekehrt,
Den Vater, Mutter, Schwester und die Brüder –
Nicht mit Legenden wurden wir gewonnen –
Auch nicht mit Gold – Gevatter stand bei uns
Der Henkersknecht der Inquisition.
Am Scheiterhaufen gingen wir vorüber
In eine Christenschule sieben Jahre –
Mit bangem Herzen! – Wenn die Furcht der Quell
Des Glaubens ist, so war'n wir fromme Christen!
Doch wunderbar die Milde der Gewöhnung!
Am Hochaltar, im Meßgewande bald
Das goldne Rauchfaß tragend, bald im Chor
[30] Die Responsorien dem Priester singend
Und christlich Wissen in der Schule lernend,
Fühl' ich mich glücklich, damals mehr als Talmud
In meine Seele eingeprägt zu haben.
Was ich geworden, ward ich nur als Christ.
Im frischen Strom der Bildung durft' ich baden,
Ein Mensch, ein freier, in dem Ganzen weben,
Die Luft war mein, der warme Strahl der Sonne,
Am Grün des Waldes labt' ich frei den Blick –
Was alle liebten, durft' ich wieder lieben,
Was alle fürchteten, war meine Furcht,
Und jeden Pulsschlag einer großen Tat,
Ein jedes Atmen der Geschichte fühlt' ich
Wie alle Menschen in mir selber wieder.
Ein Portugiese war ich, hatte Heimat,
Ein Recht des Daseins, hatt' ein Vaterland! – –
Da folgten wir des Vaters andern Brüdern,
Die hierher zogen in die Niederlande.
Erst jetzt erschienen sie sich wieder frei.
Ein jeder eilte sich, den Tropfen Taufe
Aus seinem Blut, wie unrein, wegzuwerfen,
Und was der Vater tat, das galt vom Sohn –
Von meiner Mutter – alle sind sie wieder Juden.
Ob auch von mir, der ich ein Jüngling schon
Nach Amsterdam gekommen, ob auch ich
Den milden Gabriel, wie ich getauft,
Mir in den finstern Uriel wandeln will –
Das steht mir frei und – offen sag' ich euch,
Ins Allgemeine möcht' ich gerne tauchen
Und mit dem großen Strom des Lebens gehn!
Daß ich's nicht tue – fragt mich nicht, warum?
Was ist's, das Joseph in Ägyptenland,
Als er die Brüder sah, die ihn verkauften,
Doch Freudentränen weinen ließ? Was ist's,
Das uns bei allem Abscheu vor dem Wust,
Der uns als Sitte folgte aus dem Osten,
Doch bindet, gleich als wenn wir Brüder wären,
Die wir weit seltner, als wir scheinen, sind?
Die Ehre ist der Kitt des morschen Bundes,
Die Ehre nur ist's, die mich euch verpflichtet!
Wenn ihr so leidlich wohl in Amsterdam
Als Menschen angesehen seid, bleibt ihr doch
Ein schüchtern Wild aus einem fernen Walde,
[31] Das zitternd stutzt vor jedem Christengruß.
Ein Argwohn nur – ihr müßt von dannen ziehn!
Des Ahasverus Söhne müßt ihr wandern
Und wandern, wandern, wandern ruhelos –
Und weil ich nicht im Schatten ruhen will,
Als Christ mich in dem Grün behaglich streckend,
Indessen ihr im Staub der Straße zieht –
So will ich leiden mit den Leidenden –
Ihr dürft mir fluchen! Denn ich bin ein Jude!
SANTOS.
Seid Ihr nur Jude, um uns zu verhöhnen,
So wär' Euch besser, Ihr bliebt Gabriel!
Die Schrift, von dir geschrieben, ist den Flammen,
Bei uns bist du dem Bannfluch heimgefallen.
Gebet aus deinem Munde fährt ins Leere!
Der Atem, den du atmest, ist die Pest.
Gift ist der Blick aus deinem Auge, Lähmung
Macht Kinderspott aus deines Leibes Gliedern.
Das ist der Fluch, der über dich verhängt!
An jeder Türe, wo du wandernd pochst,
Da öffne dir ein Feind! Wenn du erkrankst,
Sei Gift in jedem Glas, das man dir reicht,
Und naht sich dir der Todesengel einst,
So stirb am Weg, das Haupt gen West gerichtet!
ALLE
mit gesenktem Haupte.
Wehe!
URIEL
für sich.
Mich schaudert! Nicht für mich, nein, für den Wahn,
Der so sich täuscht, dem Himmel zu gefallen.
SANTOS.
Ein Blinder sollst du an den Häusern tasten!
Und Fluch der Hand, die einen Stab dir reicht!
Fällst du, dann öffne sich der Erde Schlund,
Verschlingend dich, wie Datan und Abiron –
ALLE
mit gesenktem Haupte.
Wehe!
SANTOS.
Die Kirche stößt dich aus, verflucht durch mich
Den Leib, der dich geboren –
URIEL.
Mutter!
SANTOS.
Fluch dem Freund,
Der dir im Elend je die Treue hält –
Fluch allem, was sich dir verwandt noch fühlt –
Was sich dir naht, was du berührst, ist tot!
Verschmachten wirst du in dem Durst nach Liebe,
Nie gibt sich dir ein liebend Herz des Weibes –
JUDITH
tritt mutvoll hervor.
Das lügst du, Rabbi!
MANASSE.
Wie? Verwegene?
[32]
SILVA.
Führt sie hinweg, Jochai!
JOCHAI.
Die Verrät'rin!
JUDITH.
Verraten will ich mich und euch! Verrat
An euch ist Himmelstreue! Zittert ihr,
Daß Fluch aus solchem Munde Segen bringt?
Verdammt die Götter, die wir beide glauben!
Es sind die wahren, ihnen lernet beten!
Er wird geliebt! Glaubt besseren Propheten!

Sie stürzt an Uriels Brust.
SANTOS.
Die Kirche sieht statt eines Opfers zwei –
An diesem Ort kann kein Gerechter weilen.

Entfernt sich mit seinen Begleitern, indem er die Terrasse heruntersteigt und zur Seite abgeht. Alle folgen in Bestürzung. Währenddessen
JOCHAI
zu Manasse und Judith.
Die Himmelsfrage ist mir wenig wert –
Ich sehe nur, was menschlich, den Verrat!
Und dennoch glaub' auch ich den alten Göttern,
Sie lehren uns das Süßeste: die Rache!

Er geht mit dem übrigen Teile der Gäste. Alle sind abgegangen bis auf Manasse, Uriel und Judith.
MANASSE.
Wie sich aus diesem Traum erwachen läßt,
Wie diese Tat dem Leben einzufugen,
Das weiß ich nicht und stell' es dem anheim,
Der mir die Erde zu regieren scheint,
Dem schadenfrohen Zufall! O, mein Kind,
Jetzt in das Hergebrachte einzulenken –
Das ist nicht leicht! Acosta, bleibt einstweilen
Mit Euerm Fluch auf dieser meiner Villa –
Die Musen hier, die werden Euch nicht fliehn –
Ich aber muß zurück nach Amsterdam –
Du wirst mir folgen, – Judith – in die Sitte!
Was dann zu tun, das sei mit Schmerz erwogen!

Er geht.
JUDITH.
So bist du mein, erobert durch die Wahrheit!
Und daß ich frei die Zeichen meiner Liebe
Darf ferner tragen vor der Welt, so eil' ich,
Das Herz des Vaters günstig umzustimmen.
Hab' ich dem Gott gehorcht, den du mich lehrtest?
Dem Gott, der aus des Herzens Flammen spricht?
O laß uns hoffen! Folge mir, mein Freund!
Wer mutig will, der hat die Welt gewonnen.

Folgt dem Vater mit Uriel.
Der Vorhang fällt.

3. Akt

1. Szene
Erster Auftritt.
Manasse sitzt allein an einem Arbeitstisch und rechnet.

MANASSE.
Auf Wind und Meer gebautes Glück ist schwankend!
Da schreib' ich Zahlen in den Wind, ins Meer –!
Des Buches Ordnung ist kein Steuerruder –
Die schönsten Zahlen spült die Welle fort;
Im Hafen nur, im Hafen kann man rechnen.

Er steht auf, macht einen Gang durchs Zimmer und nimmt dann ein anderes Buch vom Tisch.

Viel lieber les' ich hier dies kleine Buch!
Die Bilder, Statuen, das neckende
Versteckte Spiel mutwilliger Gewässer,
Die Bauten, alles das steht wirr und bunt
Hier auch verrechnet in den Ankaufspreisen –
Und viel zu hoch nach dem Tarif der Börse!
Was sprecht ihr nur vom Preise eines Bildes
Und klagt, daß sich die Künstler überschätzen?
Kann man ein Bild nach seinem Werte zahlen?
Was man an einem Bild bezahlt, ist nicht
Die Farbe, nicht die Leinwand, nicht die Zeit,
Die es gekostet, selbst der Genius nicht,
Der es geschaffen – denn der gäbe wohl
Viel lieber seine Arbeit als Geschenk –
Was man bezahlt, ist der Besitz des Bildes!
Dies heimlich stille, trauliche Gefühl,

Er nähert sich einem Bilde zur Seite und betrachtet es, indem er die Arme über dem Rücken verschränkt.

Das Schöne für sich selber zu genießen!
Für sich allein, gestört von keinem Auge,
Von keiner blinden Neugier angeredet,
Von keinem halben Kennerwort zerstreut!
Nur eines in der ganzen Welt, wie dies!
Hier, wo sich alles ewig wiederholt,
Ein schönes Etwas einmal nur vorhanden!
Und dieses Eine, Echte, Allbekannte,
Wie die Geliebte heilig, unentweiht,
[34] Nur uns gehörend, uns nur hingegeben –
Da sprechen diese Menschen noch von Zahlen!

Er kehrt zu dem großen Buche zurück.

Und dennoch mahnen sie, wenn sie nicht stimmen! ...
O schwere, schwere Sorge! ... Wenn ich wieder –?!

Er verfällt in trübes Sinnen.
2. Szene
Zweiter Auftritt.
Judith. Manasse. Später Simon.

JUDITH
nachdem sie ihn beobachtet.
Ich such' Euch, Vater, und ich find' Euch nicht.
In Euerm Abschluß scheint Ihr wie verloren.
Ihr seht so trübe –
MANASSE.
Schein' ich's, bin ich's nicht.
JUDITH.
Die Opfer haben Euch ermüdet, die
In diesen schweren Tagen Ihr gebracht?
MANASSE.
Man ist nur glücklich, weißt du ja an dir,
Durch fremden Schmerz –
JUDITH.
Den Ausgestoßenen,
Den alles flieht, der selbst die heil'ge Schwelle
Des Hauses seiner Mutter nicht betritt,
Ihr bergt ihn vor der Wut des Fanatismus,
Laßt ihn in unsrer Villa friedlich wohnen
Und fügt Euch selbst, ihn Euern Sohn zu heißen!
Die Menschen nennen Euch den kalten Weltmann,
Und hart erscheint die Schale Eures Wesens –
O, kennten sie den Kern, den weichen, edeln!
MANASSE.
Du hebst mich viel zu hoch, mein gutes Kind!
Daß ich Acosta schütze, tu' ich nicht
Um ihn; denn ich gestehe dir, ein Geist,
Der sich nicht fügt dem allgemeinen Wesen,
Bleibt mir befremdlich und ich lieb' ihn nicht.
Dir ist er wert, du hast es laut bekannt
Mit wildester Verletzung aller Pflichten –
Ich mag die Szene mir mit Worten nicht
Erneuern –
JUDITH
für sich.
Und ich lebe nur in ihr.
MANASSE.
Nach Uriels Widerruf weiß man, daß ich
Dem Unbegüterten die Hand der Tochter,
Weil sie ihn liebt, nicht weigern will – warum
Ich schwach bin, fühlst du wohl, mein Kind!
[35]
JUDITH.
Um mich!
Um Euer sanftes, mildes Vaterherz –
Und auch um Euch, um Euer Menschenherz!
MANASSE.
Da irrst du, Kind! Die Menschen hass' ich nicht –
Doch hab' ich auch den Drang nicht, sie zu lieben.
Ich lernte sie von einer Seite kennen,
Die mich gezwungen, nur mir selbst zu leben.
Du warst noch Kind, vor fünfzehn Jahren war's,
Da stand an einem Morgen an der Börse:
Manasse Vanderstraten ist gefallen!
Mit großen Lettern stand es an der Börse:
Manasse Vanderstraten ist gefallen!
Ein wenig Mitleid, manche gute Lehre,
Ein Seufzer hier, ein Achselzucken dort,
Mehr fand der Scheiternde am Ufer nicht.
JUDITH.
Nicht meine Mutter, Vater?
MANASSE.
Deine Mutter,
Gesegnet sei ihr Angedenken! Ja!
Die gab mir Mut zu neuer Tätigkeit.
Sie sah noch einmal unsre Sonne lächeln –
Und starb im Glück – erschöpft von jener Kraft,
Die künstlich sie der Welt zur Schau getragen.
Der kalten Welt! Ha, dies Gefühl des Elends,
Daß man allein nur sich vertrauen darf,
Daß keiner für uns in die Schranken tritt,
Daß wir nur selbst, ein Weib, ein Kind vielleicht
Die Schmiede unsers Glückes sind – o sieh!
Da hab' ich mir mein Leben in den Bann
Des eigenen Behagens eingepfercht
Und leide bitter, wenn mir so die Welt,
Die wirkliche, ans stille Fenster pocht.
SIMON
meldet.
De Silva schickt und meldet, daß er käme –
Im Augenblick schon dürft Ihr ihn erwarten.

Ab.
JUDITH.
De Silva?
MANASSE.
Ja! Und Uriel?
JUDITH.
Ist drinnen,
Wie Ihr befohlen, heimlich –
MANASSE.
Klagst du noch,
Du junge Welt, die alte ewig an?
Steht sie noch immer euerm Glück im Wege?
De Silva bleibt Acosta hold; vermittelt
Die Sühnung mit der Synagoge, sucht
[36] Jochais wilde Rache zu besänft'gen –
Geh! Rufe Uriel –
JUDITH.
Dank, teurer Vater!
O wüßt' ich irgendeine große Tat!
Ich schäme mich, nur immer anzunehmen.
MANASSE.
Geh! Rufe deinen Freund!
JUDITH.
Und gib dich nicht
Für kälter aus, als deine Seele glüht!
Du liebst den schönen Schein der Kunst; warum
Den schöneren des besten Herzens nicht?

Sie eilt nach innen.
MANASSE
ihr nachblickend und sein Hauptbuch nehmend.
»O wüßt' ich irgendeine große Tat!«
Die aber, die sie schmerzen würde, nimmt sie
Natürlich davon aus – De Silva kommt.
3. Szene
Dritter Auftritt.
De Silva. Manasse.

MANASSE.
Daß Ihr erscheint, ich danke Euch dafür –
Ihr wollt den Frieden meines Hauses fördern.
Nicht Klage, Silva! Auch nicht Vorwurf, Schwager!
Am wenigsten, ich bitt' Euch, Trost!
SILVA.
Ihr flieht
Den Schmerz beständig, wunderlicher Mann,
Und eben deshalb läßt er nie Euch los.
MANASSE.
Habt Ihr gesprochen mit dem Rat der Drei?
SILVA.
Soeben komm' ich von der Synagoge.
MANASSE.
Ist alles fertig für den Widerruf?
Ich wünschte, diese Dinge gingen rasch,
Damit das böse Blut sich nicht versetzt,
Sich nicht noch mehr der Groll des Wahns verhärtet –
SILVA.
Ihr scheltet Wahn, was mir der Glaube heißt.
MANASSE.
Auch diese Feindschaft, die mir Fallen legt,
Auch diese Rachsucht wäre Glaubenssache?
Jochais ganzer Anhang grüßt nicht mehr.
Ich hab' es auf der Börse wohl gemerkt,
Wie man die Stellen aufsucht, wo man glaubt,
Daß ich am leichtesten verwundbar bin.
Wenn man den Kaufmann in die Enge treibt,
Ist er verloren –
SILVA.
Habt Geduld und hofft!
[37]
MANASSE.
Geduld und Hoffnung da, wo Augenblicke
Ein ganzes Leben mir zerstören können?
Wenn mich Jochai stürzen will – dann –
SILVA.
Schwager!
MANASSE.
Genug davon! Nur Eile! Hört Ihr? Eile!
Ihr werdet mit Acosta reden – sagt,
Was er an Formeln zu beachten hat,
Damit uns nicht der ganze Schwarm der Meute,
Von Priestern aufgehetzt die Masse droht –
Ich geh' – Acosta kommt – sprecht Ihr mit ihm!
Und sagt, de Silva, wir sind unter uns,
Ihr liebt doch selbst die Priester nicht von Herzen.
Wie ist es möglich, orthodox zu sein!
Wie möglich, daß man durch Philosophie
Den alten Wust sich förmlich konstruiert
Und wieder ankommt, wo man ausgegangen!
Als Kind, jawohl, da will ich gerne glauben,
Im Glauben wäre zweimal zwei gleich fünf;
Doch geht mit der Philosophie, wenn sie
Im Kinderglauben ein Geheimnis findet
Und, zwei mal zwei sei fünf, beweisen will!
Verzeiht, ich muß mit meinen Schreibern rechnen;
Da kommt das Einmaleins mir der Vernunft
Beiläufig so in die gesunden Sinne.

Ab nach außen.
SILVA.
Mit Zahlen will er Gottes Größe messen!
4. Szene
Vierter Auftritt.
Uriel von innen. De Silva.

URIEL
bleibt an der Tür stehen.
Ich bin's, de Silva! Darf sich der Verfluchte
Dem Anwalt der gerechten Seelen nahn?
SILVA.
Das Heiligste, die Pflicht, ist leider das,
Was wir am öftersten in uns bekämpfen
Und wider Willen tun. Acosta, ich gestehe,
Nicht gerne hab' ich Euch verurteilt.
URIEL.
Wohl,
Ich weiß es! Einen Ausweg ließt Ihr offen,
Den einzigen, den ich nicht wählen durfte.
SILVA.
Mich rührt's, daß Ihr doch noch für Juda fühlt,
Sind mir auch Eure Gründe allzu weltlich,
Wie Judiths Liebe fast mir teuflisch scheint.
[38] Genug! Ich soll Euch als Verwandten grüßen,
Und um so lieber biet' ich meine Hand,
Als ein Talent, ein reichbegabter Geist
Für Amsterdam dadurch erhalten bleibt.
URIEL.
Wo seh' ich eine Möglichkeit, de Silva?
Beglückt bin ich von eines Engels Liebe –
Doch darf ich nehmen, was ich zu behaupten
Kein einziges erlaubtes Mittel kenne?
SILVA.
Doch! Doch! Ich komme von dem Rat der Drei.
Die Sitzung war für Eure Sache günstig,
Den Schwiegersohn Manasses Vanderstraten
Wird man zum Akte der Versöhnung nicht
Mit allzu schwerer Prüfung vorbereiten.
Ihr seid erwartet. Schreitet unerschrocken
Hinaus auf die verbotnen Plätze! Klopfet
Dreimal ans äußre Tor der Synagoge
Und laßt den Schwarm des Volks Euch nicht verdrießen!
Nach kurzem Harren wird ein Diener kommen
Und Euch in Prüfungshaft zum Oberrabbi
Akiba führen – dies des Rates Vorschrift.
URIEL.
Ich hör' Euch an und höre staunend wieder –
Man hat mich Euch zu grüßen aufgefordert,
Deshalb bin ich gekommen. Wovon sprecht Ihr?
SILVA.
Von Euerm Widerruf.
URIEL.
Wovon, de Silva?
SILVA.
Ihr stellt Euch so befremdet und Ihr wißt doch,
Daß nur der Widerruf vom Bann befreit.
URIEL.
Der Widerruf? Befremdend Wort das bebend
Kaum über meine Lippen geht! De Silva,
Wer hat Euch denn gesagt, daß ich erwarte,
Von diesem Banne mich befreit zu sehn?
SILVA.
Acosta! Sammelt, bitt' Euch, Eure Sinne!
Soll Euer Wahnwitz für Charakter gelten?
Dem Ausgestoßnen seine Tochter geben,
Heißt selbst sich um den Namen Jude bringen,
Auch seid Ihr, wenn Ihr länger hier verweilt,
Kaum ferner sicher mehr in Amsterdam –
Die Christen schützen uns, nicht Euch.
URIEL.
Ich weiß es
Und überlege längst, wodurch ich mir
Mit irgendeiner Menschenmöglichkeit
Mein unerlaubtes Dasein fristen werde;
Doch habt Ihr jemals Denker Euch genannt,
[39] Hat je ein Glanz von oben Euch beschienen,
Wie sagt Ihr so gelassen: Widerrufe!
SILVA.
Die Reue steht auch selbst dem Helden schön.
URIEL.
Der Held bereut durch eine zweite Tat.
SILVA.
Den Irrtum zu bekennen schändet nicht.
URIEL.
Mir selber bin ich irrend, Priestern nicht.
SILVA.
Der Priester nimmt die Reue nicht für sich.
URIEL.
Ist sie für Gott, so weiß ich selbst den Weg.
SILVA.
O Uriel, das ist es, was ich tief
An Euch beklage – dieses leere Pochen
Auf eine Ehre, wo nicht Ehre gilt –
Auf diese kleine Scheidemünze, die
Ihr auf das Zahlbrett Gottes werfen wollt!
Dem Himmel ist die Reue wenig wert,
Sie gilt nur für die allgemeine Ordnung,
Für die gestörte Harmonie des Ganzen,
Und deren Ausdruck ist des Priesters Ohr!
Nehmt doch den ganzen Bau, nehmt doch das All!
Was seid Ihr? Sandkorn in dem großen Ganzen.
URIEL.
Mir selber bin ich eine ganze Welt.
SILVA.
Wenn Ihr Euch aufbläht – ja!
URIEL.
Das Weltall ist
Dann auch nur eine prahlerische Null.
SILVA.
Ihr dünkt Euch frei! Ihr pocht auf Euer Denken –
Und forsch' ich in Natnr, im Wintertod,
In Frühlingsblühen und in Herbsteswelken,
Und setz' ich Gläser auf das Auge, daß
Den Wurm ich oben am Saturn erblickte –
So fühl' ich, daß wir nichts im Eignen sind,
Daß wir gebunden leben in dem Ganzen
Und frei nur sind in dem Notwendigen.
Ist das einmal dem Geiste aufgegangen,
So werd' ich wohl nicht gegen das, was zwar
Im Glauben unsrer Väter schon bestand,
Was tausend Jahre fest bestand, den Witz
Der eigenen Vernunft so sehr verachten,
Daß ich nicht sagte: Es kann Irrtum sein.
Doch tausend Jahre dauert dieser Irrtum,
Hat zehnmal Tausend über Lebensschmerzen
Und Millionen übers Grab geleitet –
Hat Euer Glaube Einen schon beglückt?
Die Hand aufs Herz! Acosta! Nicht einmal
Euch selbst.
[40]
URIEL.
Wohl möglich das, de Silva – möglich!
Vielleicht ist's recht, wenn man des Blinden Stab,
Der ihn dreitausend Jahr hindurch geführt,
Sein helles, reines, sehend Auge nennt.
Der Stab, er hilft dem Blinden suchen, tasten,
Er schützt vor Unfall ihn, er ist sein Auge.
Da plötzlich fällt ein Glanz in seine Dämmrung,
Der Blinde sieht, er sieht mit sehndem Auge –
Er blickt beseligt auf zum Sonnenball.
Die Sonne blendet, ungewohnt ist alles,
Er kann die Dinge, die er sieht, nicht nennen.
Er tastet an, was schädlich; ja, er strauchelt;
Das helle junge Auge hat noch nicht
Des Stabes tausendjährige Gewöhnung,
Die dunkel ihre dunkle Welt begriff.
Doch darum, weil die Wahrheit nicht das Glück,
Das volle Glück des Lebens gleich gewährt,
Weil der erlöste Blinde strauchelt, fällt;
Darum soll er das ungewohnte Schauen
Ins grüne, neue, junge Leben Irrtum,
Des Sehens erste Freude Sünde nennen?
Nein! wenn mein freigeworden Auge auch
Vom Glanz des Lichtes noch so sehr mich schmerzte,
Den Schmerz der Wahrheit – widerruf' ich nicht.
SILVA.
So wandelt Euern Pfad, der Fluch folgt auf
Der Ferse. Judith wird zum zweitenmal
De Santos nicht der Lüge zeihen können.
Sie wird dem Vater nicht die Grube graben
Und mit Euch in die Wälder ziehn! Lebt wohl!

Zögernd.

Bei Euerm Gleichnis von der Blindheit hab' ich
An Eure blinde Mutter denken müssen –

Will gehen und kehrt noch einmal zurück.

Acosta! Tief in unserm Volke wurzelt
Der Zauber der Familie! Sonst, o ja,
In alter Zeit auch riß sich mancher Zweig
Vom Stamm der Liebe los, wie Absalon
Von David – später aber, im Exil,
Da wir verfolgt, da nichts uns blieb im Elend,
Als dieser Trost, daß uns doch – Kinder lieben,
Daß uns ein – Vater doch beschützt in Not,
Ein Bruder uns doch – seinen Bruder nennt,
Da schlang sich inniger um uns dies Band
Der Ehrfurcht vor dem heil'gen Herd des Hauses.
[41] Wir brachten Opfer unsrer Freiheit, mieden
Das schwache Vorurteil der alten Eltern
Und warteten, nicht bis wir mündig waren,
Um dies zu tun und das zu unterlassen,
Wir warteten bis auf den Tod der Unsern.
Dann sind wir frei, dann sei die eigne Meinung,
Die Fahne unsrer Wünsche aufgesteckt –!
Sind das nur Luftgebilde Euerm Geist,
Den fremde Leiden nicht bekümmern dürfen?
Manasses Schmerz nicht, Judiths Liebe nicht? – –
O macht es mit Euch selber aus, wer siegt,
Ob Euer Herz, ob Euer freier Geist –
Ihr müßt Euch prüfen in dem Grund der Seele,
Und was Euch edler dünkt, das tut. Lebt wohl!

Er geht nach außen.
5. Szene
Fünfter Auftritt.
Uriel allein. Später Simon.

URIEL.
Ob mir die Wahrheit edler als die Liebe?
Wohl kenn' ich Tausende, die jeden Wert
Der Seele, Adel der Gesinnung, ja
Das Vaterland und ihren Glauben opfern,
Um fortzuräumen, was nur irgend zwischen –
Dem ersten Kuß von einem Mund wie Judiths
Und allem läge, was sie selber ehrt.
Ich liebe Judith; doch ich müßte mich verachten,
Wenn wie ein blöder Schäfer aus der Fabel,
Wie ein bebänderter Amynt der Bühne
Ich schmachtete und so in Wachs zerflösse!
Erst glauben und dann widerrufen? Feige
Sich selber einen Meineid schwören? Nein!
Die Überzeugung ist des Mannes Ehre,
Ein golden Vlies, das keines Fürsten Hand
Und kein Kapitel um die Brust ihm hängt.
Die Überzeugung ist des Kriegers Fahne,
Mit der er fallend nie unrühmlich fällt.
Der Ärmste selbst, verloren in der Masse,
Erwirbt durch Überzeugung sich den Adel,
Ein Wappen, das er selbst zerbricht und schändet,
Wenn er zum Lügner seiner Meinung wird.
Mag auch mir raunen eine Stimm' ins Ohr:
[42] Das Herz ist dir gewisser als der Geist,
Die Liebe täuscht sich nicht wie der Gedanke –
Ich kann nicht anders. Ritterstolz ist das,
Was mir die Sporen in die Seite drückt
Und jede blasse Furcht zum Schweigen bringt.
Hab' ich geirrt, so irrt' ich nur der Wahrheit;
Den Priestern widerruf' ich nicht.

Er will nach außen gehen.
SIMON.
Hier tretet ein!

Draußen.

Dem Fräulein will ich's melden.
URIEL.
Stimmen? Mich zu schauen
Ist jedem Frommen, jedem Heuchler Greuel –
SIMON
draußen.
Hier! Hier! In diesem Saale wartet nur!

Die Tür öffnet sich.
URIEL
die Eintretenden erblickend.
O ew'ger Gott – was seh' ich – meine Mutter!

Tritt beiseite.
6. Szene
Sechster Auftritt.
Esther Acosta. Ruben. Joel. Uriel. Esther ist blind und wird von Uriels beiden Brüdern geführt.

RUBEN.
Hier ruht Euch! Mutter!

Führt sie zum Sessel.
ESTHER.
Ob sie kommen wird?
JOEL.
Ich ließ ihr unsern Namen noch verschweigen.
ESTHER.
Daß ich sie sehen könnte –!
URIEL
läßt sich ihr zu Füßen nieder.
Mutter!
ESTHER.
Du?
Du bist es – Uriel – die Hand ist dein –
URIEL.
Kannst du den Fluchbeladnen noch erkennen?
ESTHER.
Noch ist's dein Haar – dein Bart – und deine Wange
Und Tränen auf der Wange? Ja, du bist's –
Der Fluch hat nichts an dir verändern können.
RUBEN
trübe.
Wir sind um Judith hergekommen, Bruder!
Die Mutter möcht' ein Wesen, das dich liebt
Und ihre Liebe auch so kühn bekannte,
Sie möchte – ihre Tochter –
URIEL
aufstehend.
Sehen? Ruben,
O sage sehen! Sähst du sie mit Augen!
ESTHER.
Schön soll sie sein, mein Sohn, doch schöner noch
Als ihre Reize, die verwelken werden,
Dünkt mir die Liebe, die sie dir geweiht –
Im Unglück hat sie sich für dich bekannt –
[43]
URIEL.
Ihr seid gemeldet? Längst schon wollte sie
Zu meiner Mutter – ich hab' sie verhindert!
Das Glück, sie mein zu nennen, wird uns nie.
ESTHER.
Ich wußt' es wohl.
URIEL.
Wie wußtest du's?
JOEL.
Die Mutter
Will sagen, daß der Bann euch trennen muß.
Vom Widerrufe hat noch nichts verlautet.
RUBEN.
Auch deshalb sind wir hergekommen, Bruder,
Weil wir von Amsterdam mit unsrer Mutter
Uns nach dem Haag begeben wollten, künftig
In einem fremden Aufenthalt zu wohnen.
URIEL.
Ihr nach dem Haag? Mit unsrer blinden Mutter?
ESTHER.
Was tut das mir? Ich denk' im Haag, ich bin
In Amsterdam! Hab' ich doch hier so oft
Mich an den Tajo wieder heimgeträumt.
URIEL.
Und warum diese Mühsal? Warum reisen?
JOEL.
Vergebung – teurer Bruder –
ESTHER.
Sagt es nicht!
RUBEN.
Der Handel, den vom Vater wir geerbt,
War rasch emporgeblüht –
URIEL.
Du selbst Sensal
Und Zwischenhändler an der Börse!
RUBEN.
Jetzt –
URIEL.
Man ist euch feind – um mich?
JOEL.
Es zeigt sich so.
Weil man es fühlt, daß dich und deinen Geist
Der Bannfluch wenig drücken wird und hindern,
So läßt die Feindschaft nicht, doch irgendwo
Die Wirkung ihres Sieges zu verspüren –
Da trifft es uns!
ESTHER.
Nicht mich, mein Sohn – nicht mich!
RUBEN.
Im alten Wirken sind wir wie gelähmt,
Man weicht uns aus, man steht uns keine Rede,
Ein jeder fürchtet sich uns nur zu grüßen;
Von Handel, von Geschäften kann dabei
Nicht ferner Gutes zu erwarten stehn,
Und so sind wir entschlossen auszuwandern.
URIEL
für sich.
O Ahasveros!
ESTHER.
Gerne will ich wandern
Und ging es, wie vor Jahren, übers Meer.
Was aber hilft es! Uriel, du kannst,
Wo Juden wohnen, keine Freistatt finden.
[44] Und wenn ich sterbe, immer hab' ich doch
Gedacht, wenn die, die sehen können, sterben,
So bricht ihr Auge – meines, hofft' ich, würde
Dann einmal noch in alter Helle glänzen,
Noch meine Kinder sehn – dich aber werd' ich
Mit sehndem Aug' im Tod vergebens suchen

Uriel wendet sich gerührt ab.

Manasses schönes Kind bleibt lange aus.
JOEL.
Es gehen Türen –
RUBEN.
Horcht, ein rauschend Kleid.
7. Szene
Siebenter Auftritt.
Judith. Die Vorigen.

JUDITH.
Ihr habt nach mir verlangt, ihr werten Herren?
Und jene greise, würd'ge blinde Frau? –

Steht eine Weile sinnend.

Acosta – das ist? – Unsre Mutter!

Küßt ihr die Hände.
ESTHER.
Nein!
Laß mich dir selbst die Stirne küssen, Engel!
JUDITH.
Längst hätt' ich Euern Segen schon erfleht,
Aus Euerm Angesichte mir das Bild
Des besten Sohnes ausgefunden –
ESTHER.
Recht!
O lob' ihn mir – ich liebe dich dafür!
JUDITH.
Noch werden all ihn einst bewundern, Mutter!
Bis dahin hat er uns.
ESTHER.
O klingt das süß!
Ein Schimmer nur von dir ins dunkle Auge!
Und nun, wenn mich der Tod ereilen wird,
Darf ich ihn nicht einmal an dich vererben!
JUDITH.
Nicht an sein Weib?
ESTHER.
Sein Weib? Wirst du sein Weib?
Betrübe deine Eltern nicht, mein Kind!
Flieh nicht mit ihm! Dein Vater hat nur dich!
Nur eine einz'ge Tochter hat Manasse.
JUDITH.
Versteh' ich? Uriel? Du wolltest – nicht –?

Sie blickt ihn lange mit zitternder Verzweiflung an.

Verzeihe, Himmel!
Daß ich geglaubt, es würde diese Erde
Für soviel Liebe schon beglücken können!

Sie sinkt zu den Füßen Esthers nieder.
[45]
URIEL
kämpft mit sich.

Er blickt die Gruppe der Mutter, der Geliebten, seiner Brüder, die trauernd hinter dem Sessel der Mutter stehen, mit Rührung an. Für sich.

O sprachst du wahr, de Silva! Ja es wurzelt

In unserm Volk tief die Familie!


Wild auffahrend.

Was schweigt ihr? Redet! Foltert mich nicht so!
JUDITH.
Mutter, wir werden nicht geliebt!
URIEL.
Ein Pfeil steckt mir
Im Herzen – schreien möcht' ich wie ein Tier –
O seht mich nicht so bittend an! Die Tränen,
Die ihr vergießt in euerm herbsten Leid,
Sind Freude gegen meine – trocknen Augen.
Ihr schweigt? Ihr blickt mich seufzend an? Erwartet
Von mir die eine Tat, die schmerzlichste?
Dem Herzen soll ich opfern meinen Geist,
Der Liebe meine heil'ge Überzeugung?
Du Stolz, was bäumst du dich so wild empor?
Ha, borstig Ungetüm! fletsch' nicht die Zähne,
Sei Wurm! Mensch, Tier, duck' unter – unter – unter!
Gebt Rettung vor dem stummen Blick der Liebe!

Geht rückwärtsschreitend.

Wer schützt mich vor den stummen Augen? Schließt
Die Augen! Blinde Mutter, schließ die Augen –

Er reißt sich mit gewaltigem Entschlusse los.

Die Augen –! Ich tu's – ich tu's – ich tu's –

Rückwärts schwankt er an die Tür nach außen. Die Seinigen mächtig erregt.
JUDITH.
Er geht um seine Mutter.
ESTHER.
Nein! Er geht
Um dich!
JOEL.
O segne Gott den Augenblick!
Er widerruft –
ESTHER.
O, laß mich! Laß mich, Kind –
Ich muß ihn küssen – Uriel, mein Sohn!
Laß mich zu ihm! Wo bist du – Uriel –?
Wer hat den Mut, sich seinen Feind zu nennen?
Wer rühmt sich edlern Sinnes? Kommt! O kommt!
Wir wollen rufen auf der lauten Gasse:
Das ist ein Sohn, der feine Mutter liebt!

Folgt Uriel rasch. Joel und Ruben führen sie.
JUDITH
allein am Fenster.
Er ist im Hof – im Mantel kaum verhüllt,
Mit bloßem Haupte stürmt er wild dahin –
Er stutzt – o Gott – er wendet seinen Fuß –
Er zögert – diese Straße dort – links oder – rechts?
[46] Er geht – er geht den Weg zur Synagoge!

Sie entfernt, sich vom Fenster.

So plötzlich das? Und doch vielleicht – um mich?
So plötzlich und vielleicht zu rasch – O Himmel,
Wenn er's bereute! – Faßt es mich nicht bleiern?
Ist denn das Weib des Mannes ew'ger Fluch,
Seit Anbeginn der Welt ihn schon verkleinernd?
Sein Blick war matt wie eines Sterbenden –
Kalt seine Hand, die Knie zitterten –

Stürzt ans Fenster und ruft hinaus.

Laß ab! Laß ab, Acosta – tu es nicht! – – Zu spät!
Verhängnis, strafe gnädig unsre Schuld!

Sie sinkt in einen Sessel.
Der Vorhang fällt.

4. Akt

1. Szene
Erster Auftritt.
Santos. De Silva treten auf. Später Diener.

SILVA.
Und niemand ward inzwischen eingelassen?
SANTOS.
Er blieb allein, wie das Gesetz es will.
Als er ans Tor der Synagoge pochte,
Da hat er Gottes Finger wohl erkannt.
SILVA.
Mit Steinen wirft der Finger Gottes nicht.
SANTOS.
Doch in dem Zorn des Volkes mußt' er fühlen,
Was er zu fühlen selbst sich nicht gestand.
Verhöhnt, ohnmächtig, mit zerrißnen Kleidern,
Sank er im Hof der Synagoge nieder.
In Einsamkeit, von allem abgeschnitten,
Was die Betrachtung hätte stören können,
Erwartet er Befreiung und Versöhnung.
SILVA.
Daß er die eine wie die andre fände!
Vom Krankenbett der Mutter ward ihm nichts
Gemeldet?
SANTOS.
Seine Brüder wünschten Einlaß.
[47] Doch hätt' ihn die Gefahr der Mutter ängst'gen
Als Folge seines Fluchs erscheinen können.
SILVA
beiseite.
Großmüt'ge fromme Vorsicht das!
SANTOS.
Auch Judith,
Manasses Tochter, die Prophetin Baals,
Die meinem Fluch die Spitze biegen wollte,
Bat oft um Einlaß –
SILVA.
Auch zurückgewiesen?
Ganz Amsterdam erfüllt die Schreckenskunde
Vom zweiten Sturz Manasse Vanderstratens!
Jochai, o, der hat es wohl verstanden,
Sich ihm als Sproß des reichsten Handelshauses
Mit künstlichen Umstrickungen zu zeigen.
Ein träumerisches Leben hat mein Schwager
In seinen Bildern, seinem Park geführt,
Und im gewohnten Gleise, sicher, sorglos
Trug ihm sein Pfund die immer gleiche Rente.
Da plötzlich stellt der junge Handelskünstler,
Der abgewiesne Schwiegersohn, ihm Fallen,
Wie sich's in London, in Venedig lernt,
Wenn man in einem Pfiff die Handelswelt
Auf eine einz'ge Kasse hetzend jagt.
Mein Schwager unterliegt – und Ben Jochai,
Von Liebesglut entzündet trotz der Rache,
Will jetzt, den Jammer, die Verzweiflung nutzend,
Die Hand zu friedlicher Entscheidung bieten.
Und welche kann das sein? Darf Judith zögern,
Dem Vater sich zu opfern? Muß sie nicht
Das furchtbar Schmerzliche, Verrat des Freundes,
Muß sie den eignen Tod nicht bieten können,
Um den zu retten, der nicht leben kann,
Wenn er in seinem Glücke nicht mehr lebt?
Was sie von Uriel wollte, Widerruf
Um Mutter, Brüder und um sie – das muß
Sie selber jetzt um ihren Vater können.
Und all das, alles habt Ihr ihm verschwiegen?
SANTOS.
Die Prüfungszeit verbietet mit der Welt
Jedweden, selbst den schriftlichen Verkehr.

Ein Diener bringt einen Brief.
DIENER.
An Uriel Acosta dieser Brief.
SANTOS.
Ihr wißt, daß er nicht angenommen wird.
DIENER.
Sein Bruder war es, der ihn brachte, Ruben;
Er bittet flehentlich ihn abzugeben.
[48]
SANTOS.
Nehmt diesen Brief zurück – nicht ist's erlaubt.
Daß eine Botschaft in die Zelle dringe,
Wo Reue sich zur Buße vorbereitet.

Der Diener geht mit dem Briefe ab.
SILVA.
Wo stände das geschrieben? Ihr verhindert,
Daß sich ein stiller Seufzer zu ihm stiehlt?
Von Judiths kummervollen Nächten soll,
Vom Sturz Manasses nicht ihm Kunde werden?
Ihr wißt, er widerruft ja nur als Sohn,
Er widerruft um eine Braut. Die Gründe,
Daß er sich beugt, sie haben sich verändert!
Was ein verzweifelnd Herz der Liebe, was
Ein brechend Mutterherz zu melden hat,
Es ist nicht ehrlich, das ihm zu verschweigen.
SANTOS.
Seht dort den Greis Akiba, den der Glaube,
Sein festes Halten an Gesetz und Regel
Noch neunzigjährig wie verjüngt! – Acosta
Wird aus des Rabbi Hand das Formular
Des Widerrufs empfangen. Gehet draußen
Einstweilen zu der betenden Gemeinde
Nach wenig Stunden stillt Ihr Eure Sehnsucht.
SILVA.
Ich werde gehn, doch handelt weise mit
Dem Reuevollen, dem Ihr danken müßtet,
Daß eines solchen Mannes Unterwerfung
Den Zauber Eures Priestertums vermehrt!
Ich wünsche, daß sich dieser Tag zum Guten wende
Und daß Ihr seine Reue nicht bereut.

Ab nach außen.
2. Szene
Zweiter Auftritt.
Rabbi Akiba, ein hochbetagter Greis, geführt von zwei jüngeren Rabbinen. Rabbi van der Embden mit einer Pergamentrolle. Santos. Später Uriel.

AKIBA
den man zu dem Ehrensessel an den Tisch geführt hat.
Bringt Ihr den Widerruf, van Embden?
EMBDEN.
Hier,
Ehrwürd'ger Ben Akiba – abgeschrieben
Auf diesem Pergament!
AKIBA.
So laßt mir denn
Den Reuigen zum letzten Male vor!
Setzt euch um mich und glaubt, das alles war.
Schon einmal da.
SANTOS.
Acosta seh' ich kommen.
[49]
AKIBA.
Das war schon alles da. Setzt euch, Rabbinen!
Van Embden soll indes die Feder führen –
Das bloße Wort verfliegt in Luft und Lüge.
Das war schon alles da – glaubt mir, Rabbinen!
Epikureer, Spötter, Glaubensspalter –
Die Jugend denkt, es wären Neuigkeiten –
Es war schon alles da – glaubt mir, Rabbinen –
In unserm Talmud kann man jedes lesen,
Und alles ist schon einmal dagewesen.

Uriel tritt blaß und verfallen auf.

Setzt Euch, Acosta! Drüben steht – nicht wahr,
Dort drüben steht ein Stuhl, Rabbinen? Wie?
Setzt Euch, Acosta! Wißt, ich zähle neunzig –
Und neunzig Jahre sieht man wohl
Die müden Füße – nach – die müden Füße!

Er setzt sich.
SANTOS.
Ihr habt die kürzre Frist begehrt, Acosta –
SILVA.
Laßt mich, de Santos – Ben Akiba hat
Mit Uriel zu reden – alles dagewesen!
Seht denn, mein junger Uriel Acosta –
Zwei Wege gab es immer für die Zweifler,
Wenn sie des Zweifelns überdrüssig wurden.
Der eine Weg der Reue kurz, doch streng,
Der andre milde, doch von längrer Dauer.
URIEL.
Ich will den kurzen! Tötet mich! Nur rasch –
Ich will mich nicht besinnen, wie ich sterbe.
AKIBA.
Was eilt Ihr so mit Euern jungen Füßen,
Die lange wandern können, bis Ihr ruht,
Die lange halten bis zum letzten Halt?
Die Reue ist ja nicht für uns, sie ist
Für dich! Was eilst du so in wildem Sturm?
Um mich brauchst du die schnelle Reue nicht!
Wenn ich sie nicht mehr sehe, sieht sie Gott.
URIEL.
Soll ich denn immer, ewig wiederholen,
Was ich schon viel zu oft Euch zugestand?
AKIBA.
Nein! Nein! Ich weiß, auf Fasten, Reinigung,
Auf Talmudlesen hast du kein Vertrauen –
So war es immer, immer war es so –
Drum frag' ich dich zum letztenmal, Acosta,
Fühlst du aus deines Herzens tiefstem Grunde,
Daß du in deinem Buche Gott gelästert?
URIEL.
Den Gott, der nur ein Gott der Juden wäre,
Den hab ich nie verstanden, oft beleidigt –
Im Protokolle steht es schon geschrieben –
[50]
SANTOS.
Nur doppelsinnig, trügerisch und falsch
Ist alles, was du zugestanden hast:
Sophisma ist's – beweise, was du glaubst!
Beweise, was zu glauben du uns täuschest!
AKIBA.
Beweisen, Santos? Überlegt! Beweisen!
Ihr müßt nicht drängen in den kranken Mann!
Wie kann man, was man glaubt, beweisen wollen!
Vergebt, de Santos – manchmal sprecht Ihr selbst
Wie ein Epikureer! Wie! Beweisen!
Bewiesen ist die Sonne, weil sie scheint,
Bewiesen ist das Feuer, weil es brennt,
Bewiesen ist die Offenbarung Gottes,
Weil sie in unserm Bund geschrieben steht,

Zu Santos.

Von Euch nicht –

Zu Acosta.

nicht von Euch will ich's bewiesen.
EMBDEN.
Dann einfach sag' uns, was du glauben willst!
URIEL.
Ich sagt' es ja – ich sprach es Euch ja nach,
Daß Gott die Juden sich zumeist erwählt,
Nur ihnen sich gezeigt von Angesicht,
Nur ihnen menschlich sich verständigte,
Nur ihnen sprach, nur ihnen Zeichen gab,
Nur ihnen eine Offenbarung schrieb,
Wo jedes Wort und jedes Lesezeichen
Als göttliche Vernunft zu nehmen ist.
Ich glaube, daß mein Geist mich irre führt,
Daß wir Buchstaben nimmermehr zu deuteln,
Am Worte Gottes nicht zu meistern haben –
Ich glaube das, ich wiederhol' es hier –
Und glaub' es glaubend, dankend Euch von Herzen,
Daß Ihr es zu beweisen mir erspart.
SANTOS.
Nur Trotz zeugt dieses Zugeständnis.
AKIBA.
Nimm
Den langen Weg, dann wird, was du bekennst,
Ins innre Herz dir fließen von der Zunge.
O wähle doch den langen Weg, Acosta!
Er wird dir Friede gießen in die Brust,
In deine kranke Seele, guter Sohn.
In solchen Zweiflern, wie du bist, Acosta,
Steckt nur der allzu wilde Drang des Forschens.
Im Talmud hat es viele schon gegeben,
Die irre wurden durch zuvieles Wissen,
Da war

Halb zu den übrigen Rabbinen gewendet.

ein großer Zweifler schon, mit Namen
[51] Elisa Ben Abuja, Schüler selbst
Von einem unsrer weisesten Rabbinen,
Und Rabbi Mehir wieder war sein Schüler.
Und weil er zweifelte,

Steht auf.

ward er verflucht.
Elisa Ben Abuja war wie du,
Man scheute sich, den Namen auszusprechen,
Und hieß ihn Acher – Acher heißt der andre,
Der andre nur, so schreibt von ihm der Talmud – –
Der andre hieß Elisa, und es stieg,
Als er gestorben, dunkel aus dem Grabe
Ein ew'ger Rauch – das Grab, es rauchte – bis
Sein Schüler, Rabbi Mehir, linderte
Die Ruhe seiner Seele durch Gebet,
Er betete, der Schüler für den Meister,
Und aus dem Grabe rauchte es nicht mehr.
Ein solcher Acher bist du – Es war alles da.

Setzt sich.
URIEL.
Hab' ich den Ruhm der Neuheit denn begehrt?
Der Rauch des Acher ist die Feuerseele,
Der Flammengeist, den ihr mit ihm begrubt!
Ein Acher bin ich selbst, ich bin der andre,
Der ewig andre; denn im Anderssein
Liegt die Gewähr des ewigen Entstehens.
Und wie der Talmud doch zu deuten ist,
So hört! Ein Acher, dünkt mich, lebte nie!
Der Acher ist das Bild des reinen Denkens,
Denn nur im andern seh' ich, wie ich bin,
Im andern fühl' ich meine eigne Wahrheit,
Im andern lern' ich meine Unterscheidung,
Das andre ist des Zweifels heiligstes
Symbol. Der Zweifel ist des Glaubens Nahrung –
Und jeder Denker muß sich Acher sein.
Ja, wie der Talmud klüger ist denn ihr,
So gibt er Achern, der ein Bild nur ist,
Der nie gelebt hat, einen großen Lehrer
Und einen größern Schüler, beide fromm;
Denn nur aus Zweifel kommt ein frommer Glaube.
AKIBA.
De Santos! – hab' ich recht gehört – es hätte –
Elisa Ben Abuja nie gelebt?
Ein Wirkliches, ein Mensch, im Talmud lebend,
Der wäre nur ein Bild, nur eine Mythe –?
Und was der Glaube fest umfangen hält
Wie Fleisch und Bein, leibhaftig allen faßbar,
[52] Das wären Wolken, Dunstgebilde, die
Erst später menschlich sich gestaltet hätten?
Nein, das ist eine Meinung noch zu neu
Und wohl zu sühnen, da sie nie gewesen –
Gebt ihm des Widerrufes Formular!
SANTOS
gibt Uriel das Papier.
Euch beugt das Schicksal nur, die Demut nicht.
Von dem, was Eure Lippen hier bekennen,
Weiß Euer Geist nichts, der im Argen bleibt.

Zeigt nach hinten.

Dort auf dem Tabernakel lest die Sünden,
Der Ihr Euch zeiht mit künstlicher Verstellung
Vor allem Volke, das sich schon versammelt.
URIEL.
Wie? Vor dem Volk!
AKIBA.
Lest alles erst allein
Was Ihr mit fester deutlicher Betonung
Vor der Gemeinde zu bekennen habt!
Ei, ei! Der Acher nie gelebt? Acosta,
Ihr lebt doch! Warum soll denn Ben Abuja
Nur Mythe sein?
URIEL.
O nur zu wahr! Ich lebe!
AKIBA.
Nun seht! Dann hat der Acher auch gelebt!
Ja, ja, mein Sohn, geht hin und widerruft,
Nur um im Denken nüchterner zu bleiben –
Und leset fleißiger daheim im Talmud!
Es haben alle Zweifler widerrufen,
Und was auch einer noch so Kluges fand,
Es war nur Blüte eines frühern Keims –
Das Neue nur ist droben! Hier war alles
Schon einmal da – schon alles dagewesen –

Während er nach rechts abgeführt wird.

Und fleißig Talmud lesen – junger Acher!

Im Abgehen.

Schon dagewesen – alles dagewesen.

Santos und Embden folgen.
3. Szene
Dritter Auftritt.
Uriel allein. Dann Ruben.

URIEL
das Pergament betrachtend.
Entehrendes Geständnis, du stehst treuer
Auf diesem Pergamente nicht gemalt
Mit schwarzen Dolchen, Pfeilen, Vipernzungen,
[53] Als hier in meiner Brust mit roten Wunden!
Kein Balsam wird mir diese Wunden heilen.
Und heilte sie vielleicht die milde Zeit,
So werden die zurückgebliebnen Narben
Mich nicht wie eines Kriegers Narben ehren. – –
In meinem Kerker war es diese Nacht,
Als säh' ich meine Mutter. Sanft und linde –
Hat sie mich trösten wollen – und zur Seite,
Verklärt von einem blendendweißen Lichtglanz,
Stand Judith – Ich erwachte – Kalt begrüßten
Mich wieder meine nackten Kerkerwände,
Und zornig faßt es mich, wie Galilei –
Ha, Galilei! Als du auf der Folter,
Die Erde stehe still, beschwören mußtest,
Da sprangst du, wie die Schrauben nachgelassen,
Empor und riefst den Kardinälen donnernd
Dein stolzes Wort: Und sie bewegt sich doch!
Und dies dein »Sie bewegt sich doch« will mich
Seitdem nicht mehr verlassen, immer, immer
Klingt mir's im Ohre: Sie bewegt sich doch –
Und sie bewegt sich doch –

Hinter der Szene beginnt ein Psalm, von Kindern gesungen.

Ha, diese Stimmen!
Akkorde unschuldsvoller Kinderseelen!
Nicht wissend singen Kinder Rachepsalmen –
Muß es denn sein? Allmächtiger dort oben,
Wie ist das dir, wenn ich mich krümme – kann
Kein Arm herniederlangen aus dem Nichts?
RUBEN
hinter der Szene.
Ich muß – laßt mich zu ihm – ich muß!
URIEL.
Das ist
Die Stimme meines Bruders!
RUBEN
auftretend.
Uriel!
URIEL.
Bruder,
Nicht vor der Schmach, nein nach ihr brauch' ich Liebe!
RUBEN.
Man will den Eingang uns zu dir verwehren,
Den Brüdern ihres Bruders Anblick rauben –
Laß ab! Im Namen der Verwandten komm' ich –
Wir wollen dulden, wollen dich nicht drängen
Zum Widerrufe! Tu ihn nicht um uns!
URIEL.
Der Mutter hab' ich's feierlich gelobt.
RUBEN.
Der Mutter! Ach der lebenden! Doch noch
Ihr letzter Blick, der dich vergebens suchte –
Und der in blinder Nacht gebrochen ist –
[54]
URIEL.
Die Mutter tot? Tot unsre Mutter? Tot?
RUBEN.
Den Brief, den ich dir schrieb, empfingst du nicht –
So macht' ich mir gewaltsam Bahn zu dir –
Ja, Bruder, unsre Mutter ist nicht mehr,
Wo Menschenfluch uns schaden kann!
URIEL.
Ist tot! – –
Und doch – kann sich durch solchen Schmerz ein Trost,
Ein Lächeln noch durch solche Tränen stehlen,
So möcht' ich danken dem Geschick, daß sie
Gesühnt mich glaubte, eh' ich's wirklich bin.
Und starb, eh' ich gelitten, was ich leide –
RUBEN.
Laß ab! Wir ziehen nach dem Haag und suchen
Uns dort ein neues Glück –
URIEL.
Was sprichst du –? Wie
Vermag ich abzulassen! Weißt du doch,
Mein Herz gehört nicht mir in beiden Hälften;
Die Mutter gab die eine mir zurück –
Die andre –

Es erschallt der Widderhörnerton.
RUBEN
will ihn zurückhalten.
Judith?
URIEL.
Laß mich, Bruder! Sieh,
Der stumme Blick der Liebe Judiths winkt – –!

Er stürzt nach hinten. Der Choral hört auf.
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Hinten wurde der Vorhang aufgezogen. Man sieht die Synagoge. Eine Erhöhung von wenig Stufen führt auf das Tabernakel, von wo herab man in den durch Kron- und Wandleuchter erhellten Raum sieht. Auf dem Tabernakel sitzen: Santos, Embden und zwei Rabbinen mit Taleds (Gebetschleiern) auf dem Haupte. Die Vorigen

SANTOS.
Ich lade dich vor diese Schranken, Uriel
Acosta! Israel harrt deiner Buße!
RUBEN
kämpft mit sich, die Wahrheit zu sagen.
Nein, Bruder!
Judith – wird –
URIEL.
Du sprichst ihn aus
Den Namen, der mein Schicksal werden muß!
Jetzt gib dir Mut, du feiger Fuß! Ich schreite
Nicht rechts, nicht links, nach Christus, Sokrates,
Nach Hussens Feuertod nicht neidisch schielend,
Empor zum dreimal blut'gern Tod der Schande!

Er geht entschlossen die Stufen hinan.
RUBEN.
O schaudervolle Wendung des Geschicks –!
Noch weiß er nicht, was sich jetzt eben
Im Hause Vanderstratens muß entscheiden!
[55] Er widerruft um eine Mutter, die
Ihm stirbt! Um eine Braut, die – jetzt vielleicht
Für immer, immer ihm verloren ist!
SANTOS
hinaussprechend.
Hör' Israel, und jauchzet alle Lande!
URIEL
liest aus dem Pergament, unter ferner Begleitung einer Musik.
»Ich Uriel Acosta, von Geburt
Ein Portugiese, Jude meines Glaubens,
Gestehe hier vor Gottes Auge, daß
Ich seiner Gnade mich unwürdig fühle.
Als Knabe schon bekannten meine Lippen
Den Christenglauben, den mein Herz verwarf;
Dann Jakobs Glauben wiederum bekennend
Mit äußerm Schein und heuchelnder Verstellung
War ich nicht Christ, nicht Jude, haßte beide,
Insonders aber haßte ich mein Volk.
Was ihm nur heilig ist, hab' ich verhöhnt,
Mit Lust getan, was das Gesetz verbietet.
Wo des Verstandes Kraft den Missetaten
Den Schein der Überzeugung nicht verlieh,
Nahm ich den Spott zu Hilfe, schrieb ein Buch,
Das Belial mir eingegeben hat –
O Fluch der Hand, die dieses Buch geschrieben.
Die Mutter zu ermorden war sie fähig –«
RUBEN
für sich.
Die Lüge trifft dich nicht.
URIEL.
»In Blut getaucht
Hab' ich die Feder, die es schrieb. Gelogen
Ist alles, was in meinem Denken mir
Mit unserm Glauben nicht vereinbar schien,
Und was die Quelle der Vernunft genannt,
Wo ich euch riet, die Dürstenden zu tränken,
Das war nur Wasser aus dem Trog des Tiers,
Das wir verachten seit der Väter Tagen.
Das eigne Wort des höchsten Gottes hab' ich,
Die Offenbarung, fälschlich mir verändert,
Den Sinn entstellt mit frevelnder Erfindung,
Gefälscht hab' ich die Worte der Propheten
Mit schadenfroher Lust an meiner Lüge –

Er kann kaum noch weiter und sinkt schon ohnmächtig. Die beiden Rabbinen halten ihn.

Und nunmehr – fühl' ich mich – so tief verworfen
In dieser Eitelkeit auf meine Meinung,
Daß ich die Strafe, die gerecht mich traf,
Des Bannes Fluch durch Reue will versöhnen!
[56] Und daß ich demutsvollen Sinns mich zeige,
Hoffärtig nicht vor meinen Brüdern wandle,
So will ich mich an dieses Tempels Ausgang,
Am Tor der Synagoge auf die – Erde
Als – Büßer – legen! Jedermann von euch
Erhebe seinen Fuß, – um – über – mich
Hinweg – –«

Er sinkt nieder.
RUBEN
nimmt die Rolle und liest.
Was hör' ich?
SANTOS.
»An des Tempels Ausgang,
Am Tor der Synagoge auf die Erde
Als Büßer legen! Jedermann von Euch
Erhebe seinen Fuß, um über mich
Hinwegzuschreiten an des Tores Schwelle!«
RUBEN
außer sich.
Ihr schändet keinen oder mich mit ihm!

Er stürzt davon. Uriel wurde inzwischen bewußtlos vom Tabernakel nach hinten hinuntergetragen. Die Priester folgen.
Statt der Musik hört man fortdauerndes Gebetmurmeln.
5. Szene
Fünfter Auftritt.
Jochai, De Silva kommen eilends von vorn.

SILVA.
Was wollt Ihr tun? O schämt Euch, Ben Jochai!
Hat Euch das Übermaß des Glücks verwirrt?
JOCHAI
hinausblickend.
Sieh da! Du Stolzer! Krümmst du dich im Staube!
Er soll es hören, ja im Staube hören,
Daß er in seiner Rechnung sich betrog!
Um ein Phantom nur hast du widerrufen!
Judith ist mein, und keine Siegespalme
Wird dir aus ihrer Hand entgegenblühn!

Er eilt über das Tabernakel hinweg.
SILVA
an den Stufen.
Ihr Schicksalsmächte, seid ihr denn dieselben
Die an dem Tor des Himmels Wache halten?
Sind Cherubim mit Flammenschwertern Engel,
Sind es Dämonen aus der Unterwelt –?
Wie konnte das geschehn? Ich sinn' und klage,
Indessen Übermut dort triumphiert.

Er steigt höher und sieht hinaus.

Jochai will der erste über ihn
Hinweg mit seinem Fuße schreiten. Ha,
Unglücklicher, auch du wirst straucheln einst!
Er tut's – Er wagt's – Acosta springt empor –
Entsetzen starrt aus dem empörten Auge –
[57] Jochais Wort muß er vernommen haben –
Die Kleider reißt er ab, die tiefbeschimpften,
Man weicht ihm aus! Er stürzt hierher – Verhängnis!
Und glaub' ich doch, daß du vom Himmel stammst?
6. Szene
Sechster Auftritt.
Santos, Embden, Rabbinen treten unten in Bestürzung auf. Die Gemeinde. Darauf Uriel.

SANTOS.
Die Türen auf!
EMBDEN.
Entlaßt das Volk. Er frevelt –!
ALLE.
Er lästert!
URIEL
erscheint in wildem Aufzuge, entstellt, auf dem Tabernakel.
Schweigt! Ihr alle schweigt – ich kenn' euch alle –!
Der reiche Ben Jochai – war's Jochai,
Der eben mich mit seinem Fuße trat?
SILVA.
Beugt Euch dem Willen des Geschicks, Acosta!
Tragt sanft und milde, was es Euch verhängt!
URIEL.
Ihr seid de Silva –
SANTOS.
Wenn um Judith nur
Du widerriefst, so strafte dich der Herr.
Sie wird das Weib Jochais!
URIEL.
Hab' ich's doch
Gehört?
SILVA.
Acosta! Forscht nicht, wie im Drange
Des schmerzlichsten Geschicks ein Kindesopfer
Gefordert wurde – tragt es, weil es ist!
URIEL
kämpft, sich an diese Nachricht zu gewöhnen.
Seine Brust hebt sich, seine Augen rollen. Endlich stürzt er verzweifelnd an Silvas Brust.
Ich gab den Tod mir um zwei Leichen, Silva!
O allzu sterblich sind die Sterblichen!
SANTOS.
Du Tempelstörer, ende deine Reue!
Noch ist die letzte Sühnung nicht vollzogen.
URIEL.
Noch Sühnung? Hört! Und sie bewegt sich doch.
SILVA
beiseite.
Das Wort des Galilei?
URIEL.
Stürzt, ihr Felsen,
Von meiner Brust! Die Zunge werde frei!
Gefesselte Vernunft, erhebe dich
Mit eines Simsons letzter Riesenstärke!
Mit meinem Arm zerdrück' ich eure Säulen –
Dem blinden Geigenspieler fällt es ein,
Er selber sei der Held, der seinen Schmerz
[58] Besingt, um euch zum lust'gen Tanz,
Mit seinem Lied zur Freude aufzuspielen!
Zum letzten Male schüttle ich mein Haar,
Und rufe: Was ich las – es ist nicht wahr!
SANTOS UND ALLE.
Hinweg, hinweg mit ihm!
URIEL.
O leugnet ihr
Das Sonnenlicht durch diese matten Kerzen?
Sagt ihr, die Sterne glaubten das, was wir?
Unsterblich dünkt ihr euch in euerm Wahn?
Ihr Eintagsfliegen, sommernachtgeboren
Und wie ein Nichts im ew'gen Raum verloren!
An Worte fesselt ihr den Geist, an Worte
Den ew'gen Gott, an diese ird'sche Schöpfung,
Die euer Auge kaum begreifen kann?
Wir wollen Freiheit von dem alten Joch!
Nur die Vernunft sei das Symbol des Glaubens!
Und wenn wir zweifeln, Wahrheit aufzufinden,
So ist es besser, neue Götter suchen,
Als mit den alten, statt zu beten, fluchen!
SANTOS.
Du glaubst, du hast den Denker dir befreit?
Nur deinen Dämon hast du losgebunden.
URIEL.
Den Dämon! Ja, de Santos, meinen Dämon!
Ich glaub' an euern Gott, Gott Adonai,
Den Gott, der seinen Feind zertritt wie Ton!
Den Gott, dem Feuer aus dem Munde geht,
Den Gott, der Rache übt ins dritte Glied!
Ich bin ein Mensch wie dieser Gott des Zorns,
Und will ihm dienen, euerm Gott der Rache!

Er stürzt fort.
SILVA.
So weit ist es gekommen! O zerreißen
Möcht' ich dies Kleid und Buße tun vor Reue,
Daß ich die Hand geliehn zu solchen Freveln!
An den entweihten Tempeln sind die Hüter,
Am Fall des Glaubens nur die Priester schuld!
SANTOS
zu den Rabbinen.
Was zu beschließen, wird Akiba sagen.
Wir sehn uns morgen auf Jochais Hochzeit.

Der Vorhang fällt.

5. Akt

1. Szene
Erster Auftritt.
Männer und Frauen gehen nach hinten auf die Estrade. Dann treten Diener auf, die auf silbernen Schalen goldene Weinkannen über die Bühne tragen. Zuletzt treten von rechts Jochai reich als Bräutigam gekleidet, Silva und Gäste auf.

JOCHAI.
Wohlan, ihr Herrn! Heut soll die Freude herrschen!
Sie steht am Tor und wartet ungeduldig,
Bis sich die träge Sonn' ins Meer versenkt.
Bekränzt mit Rosen grüßt euch der Pokal!
Wer Sorgen hat, der lasse sie im Becher!
Wer einsam steht, den fasse Tanzes Wirbel!
Und das bedenkt: Wer sich schon abends läßt
Nach Hause leuchten vom Johanniswurm,
Wer nicht zum Lerchenwirbel bleibt und sieht,
Wie sich beim ersten Gruß als Frau die Wange
Der schönen Braut mit Purpur überzieht,
Den schelt' ich neidisch, weil er den Triumph
Des höchsten Glückes mir nicht gönnen will.
SILVA.
Vor Euern Bechern laßt den Priester reden.
Die heil'ge Handlung ist noch nicht vollzogen.
JOCHAI.
O fliegt, saumselige Minuten, fliegt!
Die Weiser an der Uhr sehn aus wie Pfeile
Und haben Blei statt Federn in den Schwingen.
Da ist sie! Schaut, de Silva, Eure Nichte!
Könnt Ihr noch schweigen? Kein bewundernd Ach
Beim Anblick einer Braut, zu deren Schmuck
Die Edelsteine überflüssig sind?
SILVA.
Gönnt Ihr im Preise Eures Glückes kaum
Dem Dichtermund das Recht des Hochzeitsliedes,
Was braucht es da das Stammeln meiner Zunge?
2. Szene
Zweiter Auftritt.
Es treten wieder mehrere Paare von Männern und Frauen auf. Dann folgt Judith, im weißen Brautgewand, geführt von Manasse. Die Vorigen. Zuletzt ein Diener.

JOCHAI.
Ihr grollt, de Silva? Seht sie doch nur selbst!
Ein Weib, das trauert, schmückt es sich so festlich?
SILVA.
Nie schmückt sich selbst die Braut; sie wird geschmückt.
[60]
JUDITH.
Willkommen, werte Freunde!

Zu Jochai.

Ausgestellt
Sind doch die Schriften, die versprochenen?
JOCHAI.
O seid so grausam nicht, es zu verraten,
Wie mir mein hohes Glück gewonnen wurde!
JUDITH.
Bestätigt mir, mein Vater, feierlich,
Ob Ihr geworden wieder, was Ihr wart!
MANASSE.
Ich bin Manasse Vanderstraten wieder.
JUDITH.
Und ohne Vorbehalt! Im Vollgenuß
Des alten ungestörten Glücks?
MANASSE.
Mein Kind,
Beruh'ge dich! Der letzte Akt des treuen Opfers,
Das du mir bringst, bestätigt alles, drückt
Das Siegel auf ein Glück, das mich beschämt.
JUDITH.
Wohlan! Wir – gehn –

Sie will nach hinten schreiten und kann sich nicht aufrecht halten.
MANASSE.
Mein Kind?
JOCHAI.
Ist Euch nicht wohl?
SILVA.
Nur einen Augenblick der Ruhe gönnt ihr!
Laßt sie allein – Ich führe sie zum Altar! –

Jochai ab. Alle folgen bis auf Judith und de Silva.

Ruht eine Weile noch auf diesem Rasen! –
JUDITH.
Nicht hier! Nicht hier! Auf dieser Bank – blickt hin –
Seht Ihr den Geist mit leichenblasser Miene?
SILVA.
Laßt diese Traumgebilde –
JUDITH.
Nein, sie sind!
Sie bleiben unbeweglich vor dem Auge –
SILVA.
Nur unbeweglich seh' ich Euern Blick!
Wie! Richtet Euch in Euerm Werte auf!
Stolz dürft Ihr sein auf Eure große Tat!
JUDITH.
Habt Ihr den Stolz je weinen sehn, de Silva?
SILVA.
Den ungeduld'gen, ja! Ihr müßt Euch fassen –
Ihr wißt, was sich begeben?
JUDITH.
Nichts und alles.
SILVA.
Macht einen Strich auf dieses Blatt des Lebens!
Seit gestern ward uns keine Kunde. Erst
Am Grabe seiner Mutter wollt' er ruhn –
Da scheuchten ihn die Wächter von dem Friedhof –
Dann sah man ihn bei seiner Schwester Rahel
Spinoza, deren Söhnchen Baruch er
Im Griechischen zu unterweisen pflegt.
So irrt er flüchtig jetzt im Doppelfluch –
Und wenn er weise, fühlt er selbst es wohl,
Wie er durch Rache sich erniedrigt.
[61]
JUDITH.
Rache?
O säh' ich sie, die Rache, die er schwur,
Die Rache, die ich selbst mir niederflehe
Vom Zufall, vom Geschick, vom Himmel, Hölle!
Denn von dem Manne, den man liebt, ist alles,
Auch selbst die Rache süß.
SILVA.
Was soll er rächen?
Jochais Trotz auf seine goldnen Schätze?
Der Tochter edles Opfer für den Vater?
Den Kampf der Pflichten in drei Jammertagen?
O, wieder lieb' ich dich für diese Tat,
Die rein von deinem Kinderherzen stammt.
Du mußtest deinen Vater retten! Mußtest!
Du bist in Wahrheit meiner Schwester Kind.
JUDITH
mit brütenden Gedanken.
Als meine Mutter starb, sagt mir de Silva,
Wie stand – mein Vater an dem Grabe?
SILVA.
Laßt's,
Die alten Zeiten sind vorüber –
JUDITH.
Redet!
Wie trug mein Vater den Verlust der Mutter?
SILVA.
Iñez de Silva – deine Mutter! – O,
Ein Denkmal steht von ihr in diesem Park!
JUDITH.
In Marmor aufgefangen schwieg der Schmerz!
De Silva, sagt mir eines noch – mein Bruder
Perez, der schon gestorben, als ich Kind –
SILVA.
Was kommst du auf die alte Zeit zurück?
Was er dem Vater war, das liest du dort

Zeigt hinaus.

Auf jener schlanken Säule eingegraben!
JUDITH.
Lebt wohl, de Silva!
SILVA.
Judith! Was ist dir?
Das Angesicht verfärbt sich und ein Krampf
Hebt deine Brust –

Nach außen rufend.

Bringt Wasser! Hört ihr? Wasser!
Allmächt'ger Gott! Was war das, Judith?
JUDITH.
Laßt's!
Es ist vorüber.
SILVA.
Schiebt die Trauung auf!
Die Kräfte werden Euch verlassen.

Ein Diener bringt auf einem silbernen Brett einen Pokal mit Wasser.
JUDITH
bedeutet dem Diener.
Dorthin.

Sie beobachtet lange, wie der Diener das Wasser hinstellt und dann abgeht.

Den Arm, de Silva! Führt mich zum Altar!

Beide nach hinten ab.
3. Szene
[62] Dritter Auftritt.
Uriel tritt auf, begleitet von Baruch Spinoza, der einige Blumen in der Hand trägt.

BARUCH.
Wie lange bin ich, teurer Oheim, nicht
In diesem schönen Park mit Euch gewesen!
Ein Fest scheint man zu feiern und ein hohes!

Er läßt Uriel für sich allein.
URIEL
für sich.
Sie war's! Im Brautgewand! Von jenen Priestern,
Die mir geflucht, wird sie sich segnen lassen! –
Wenn ich dazwischenträte! Hier die Hand,
Die fluchbeladne, auf den Altar legte –!
Ihr zürn' ich nicht – sie tat, was ich getan!
Doch ihn hatt' ich zum Zweikampf mir gefordert;
Den Handschuh warf er feig zurück und ließ
Durch meinen Boten spöttelnd mir erwidern:
Wir sind nicht portugiesische Hidalgos!
BARUCH
brach sich hier und da Blumen ab.
Die Mutter sagte, daß von allen Orten,
Die Ihr zu meiden Euch entschlossen habt,
Am weitesten Ihr heute diesen flieht;
Und dennoch sind wir träumend hergekommen!
URIEL
immer im Selbstgespräch.
Wir sind nicht portugiesische Hidalgos!
Nein! Feige Schurken sind wir! Seelenkäufer!
Mit Gold verbrämte hohle Pfeffersäcke!
BARUCH.
Wenn Ihr so mit Euch selber redet, denkt Ihr?
Kommt, Oheim, laßt uns Schlüsse machen! Fragt,
Antworten, glaub' ich,

Lächelnd.

hab' ich prächtige,
Nur fehlen mir die Fragen noch dazu.
Bei andern, sagt man, ist es umgekehrt.
URIEL.
O denke nicht, mein Kind! Schlaf wie die Blume,
Die hold in ihrer bunten Schönheit blüht
Und sich nicht kümmert, wer sie wohl erschuf;
Laß deinen Geist nur wogen wie das Meer,
In seiner tiefsten Fülle stolz sich schaukelnd,
Bleib auf der hohen See, fern von dem Ufer,
Wo Menschen dich mit ihren Fragen quälen;
Bist du ein Jude, bist du wohl ein Christ,
Bist Niederländer, bist ein Portugiese,
Bist du dem König, bist dem Volke hold,
Willst du, daß einer oder alle herrschen?
[63] Wer so dich frägt, da höre nicht, mein Knabe,
Und laß die Antwort dir im Busen ruhn!
BARUCH.
Man kommt – darf ich die Blumen hier der Mutter
Ans Fenster stellen?
URIEL.
Wirf sie hin, Spinoza!
Sie sind schon welk in deiner Hand. Mein Kind,
Geh heim zu deiner Mutter!
BARUCH.
Und nicht Ihr?
URIEL.
Der Abend senkt sich nieder, geh, mein Sohn,
Und grüße alle!
BARUCH.
Bleibt Ihr bei dem Fest?
URIEL.
Vielleicht! – Geleite Gott dich! Geh! Ich komme.
BARUCH.
Die Blumen lass' ich hier. Sie sind verwelkt.
Und wißt Ihr, wie ich beide unterscheide,
Die Blumen da am Stiel und hier die welken?
Die sind Gedanken dort und die Begriffe!
Dort denkt der Schöpfer! Hier begreift der Mensch.
Und da der Unterschied der Duft nur ist,
Die frische Farbe, das lebend'ge Sein,
So nenn' ich Gott das Leben und das Sein.
Und ohne Leben, ohne Sein, sind hier
Die welken Blumen auch nicht Blumen mehr,
Nur der Begriff noch hat an ihnen Wert,
Sonst sind sie nichts und mögen ruhig sterben.

Er läßt sie seiner Hand entgleiten.

So lacht doch, Oheim! Wenn ich spekuliere,
Verzieht Ihr lächelnd immer sonst die Miene!
Heut seid Ihr ernst? Kommt zeitig heim zur Mutter!
Wir können wohl noch etwas Griechisch lesen.

Ab.
URIEL
allein, die Blumen betrachtend und dem Knaben nachblickend.
Sonst sind sie nichts und können ruhig sterben!
Nein, kluges Kind, steht dir auch schon der Stempel
Des Geistes und der Leiden an der Stirn,
Aus solchen Blumen zog ich oft noch Gift,
Den Tod, den Abschluß aller Rechnungen,
Den Tod, das letzte Fazit aller Zahlen!
Jochai! Herzenschachernder Hidalgo!

Er zieht ein Pistol hervor.

Zeig' deine Wechsel vor! Verfalltag ist!

Er zielt nach hinten.

Halt still wie ich, als du mich tratst im Staube!
Zuck' nicht mit deinen Augenwimpern, Krösus!
[64] Noch einen Atemzug – noch einen, Mensch! Ha!

Läßt das Pistol sinken.

Sie wechselten die Ringe – – Widerrufen
Ist hier vergebens und um nichts die Rache! – –
O denke niemand! Denke niemand! Schwach
Wird dir der Arm, wenn auch dein Geist erstarkt –
Ja, eine welke Blume bin auch ich,
Und der Begriff nur hat noch Wert an mir!
So bin ich nichts und mag entsagend sterben.

Geht dahin ab, von wo er kam.
4. Szene
Vierter Auftritt.
Manasse. Silva. Gäste. Dann Judith, Jochai, Santos und die Übrigen kehren zurück. Später Uriel.

JUDITH.
Laßt mich noch einen Augenblick hier weilen!
Das Neue dringt zu heftig auf mich ein!
Ich will mich sammeln – Geht voran, ich bitte!
JOCHAI.
Es ist der erste Wunsch in unsrer Ehe!
Ich muß ihn wohl erfüllen, wenn auch ungern.

Zu den Übrigen.

Ihr werten Gäste folgt! Die Einsamkeit,
Die meine junge Gattin immer liebte,
Hat auch das Recht, zuerst ihr Glück zu wünschen.

Ab mit den andern vorn nach rechts.
JUDITH
ist jetzt allein.
Sie sieht sich um und schüttet ein Pulver, das sie aus der Brust zieht, in den Pokal im Wasser.
Du hast es ja gesagt, de Silva, daß
Mein Vater Trost sich finden wird! Wohlan!

Sie trinkt.

Ein Denkstein tut denselben Dienst wie ich.
URIEL
tritt auf.
Ihr seid es, Judith? – – Einmal noch hab' ich
Das Weib Jochais sehen müssen.
JUDITH
neigt sich zur Bank.
Wohl,
Hier ist es!
URIEL.
Wenn ich jetzt noch wandern wollte,
Dann ließet Ihr mich ziehn! Ja, Judith, sieh,
Nun steht dein Freund vor dir, versengt, verbrannt
Zu Asche! Elend! Ganz zerstampft! Ein Nichts!
Wo ist dein stolzer Liebesmut geblieben,
Der mich, den Sträubenden, in alle Himmel
Den Liebesmatten wild in Flammen setzte?
Jetzt sprich, was denkst du über mich und dich?
Wie richten wir uns beide wieder auf?
[65]
JUDITH.
Vergib, daß unsre Leiden ich vergleiche,
Wer dünkt dir ärmer wohl, mein Uriel,
Du oder ich?
URIEL.
Ich habe mich gefürchtet
Vor Frauenliebe! Immer noch klingt mir's
Im Ohr, was du dem Priester hier gesprochen.
Wie hat sich das so grausam umgewandt!
JUDITH.
Vergibst du mir, mein Freund?
URIEL.
Vergeben? dir?
Ich glaube wohl, daß du nicht anders durftest.
O, hätt' ich anders selber nur gekonnt! – –
Sich selbst zu hassen, selbst sich zu verachten,
O, das ist Qual!
JUDITH.
Erlöse dich von ihr!
Zieh in die Welt mit mutigem Vertrauen!
Bekenne deine Wahrheit wie ein Held!
URIEL.
Wer wird sie mir noch glauben wollen! Nein,
Wer nicht von Anfang blieb auf grader Straße,
Der könnte Steine wandeln selbst in Brot,
Man glaubt' ihm nicht – die Meinung hat verloren,
Wer seine Meinung einmal abgeschworen.
JUDITH.
Du schiltst das Herz! Nicht geht es mit dem Geiste!
Natur und Sitte meistern uns! Was sind wir,
Wenn unser liebendes Gemüt nicht Schmerz,
Die Klage nicht vernehmen kann? Verächtlich?
O nimmermehr! Sei mutig und entflieh
Zu Geistessiegen, unbeirrten, freien!
Zu deinem eignen größern Selbst! Vergib –
Man kommt.
URIEL.
Du siehst so blaß –
JUDITH.
Leb' wohl, mein Freund!
URIEL.
Was hast du, Judith? Diese Farbe –
JUDITH.
Geh!
Blick' nicht auf mich! Nur von mir hören sollst du!
URIEL.
Was soll der Becher? – Judith, welche Ahnung!
5. Szene
Letzter Auftritt.
Manasse, Silva und ein Teil der Gäste kehren zurück. Zuletzt Jochai, Santos und der andere Teil. Die Vorigen.

MANASSE.
Wo bleibt mein Kind?
SILVA.
Acosta hier?
[66]
URIEL.
Betrachtet,
De Silva, Eure Nichte.
MANASSE.
Kind, was ist dir?
Wie find' ich dich? Ja, was geschah? Du fühlst dich –
JUDITH.
Leicht, leicht, mein Vater!
MANASSE.
Fühlt sie an,
Gerechter Gott, was ist das? Herr des Himmels!
So kalt?
SILVA.
Wie Euer Marmor –! O Manasse,
Du armer reicher Mann, dein Kind –
MANASSE.
Sie stirbt!
URIEL
für sich.
Es ist das Gift aus meinen welken Blumen!

Jochai und Santos treten mit den andern Gästen sorglos auf.
JOCHAI.
So kommt zum Mahl! Beginnen wir das Fest!
Wo weilt ihr, werte Gäste? Judith – Ha!
URIEL.
Sieh hin, Jochai! Stolzer Freier, du,
Der gegen Wechsel Herzen eingetauscht
Und am Verfalltag doch betrogen ward!
Komm, komm und schände mich mit deinem Fuß
Zum zweiten Male hier vor diesem Altar!

Zu Judiths Füßen.
JOCHAI
vernichtet, für sich.
Vermählt – mit einer Leiche!
MANASSE.
Rettung, Silva!
SILVA.
Es ist zu spät! Hier scheitert meine Kunst.
JUDITH.
Siehst du, Acosta! Hast du – glauben können,
Daß diese – Seele, die du zart gebildet,
Nicht wüßte, was sie schuldig war – der Liebe?
Mein Vater ist gerettet – doch nur so!

Sie nimmt den Myrtenkranz sich ab.

O, eine andre Welt hab' ich geträumt
Und süßre Hoffnungen von diesem Leben;
Ein kurzer Frühling nur hat sich erfüllt,
Ein wenig Blumenduft – doch der war schön,
An Wonne überreich, daß er im Sterben
Noch selig übertäubt –! Leb' wohl, mein Vater,
Vergib das Opfer einer höhern Liebe!

Sie reicht Acosta den Kranz.

Nimm hin, du Einz'ger, dieser Kranz ist dein.

Sie lehnt sich und stirbt.
URIEL
preßt den Kranz weinend an seine Lippen, legt ihn dann in Judiths Hand und steht auf.
Manasse! Säulen liebt Ihr, Sarkophage,
Und leid'gen Trost gibt Euch des Künstlers Hand.
Wenn Ihr dem teuern Kinde dort vielleicht
An jenen Trauerweiden bettet, laßt mich –
[67] Ich bitte – in der Nähe ruhen! Nirgend
Find' ich ein Grab, bei Christen nicht, nicht Juden!
Ich bin von denen, die am Wege sterben.
Einst, hoff' ich doch, sieht man sich wohl so einen
Verlornen Denkstein an und sagt: Da ruht
Die Asche eines armen müden Pilgers,
Der ins gelobte Land der Wahrheit zog.
Er sah sie nicht. Doch eine Wolke legte
Sich rosenrot vor ein ersterbend Auge –
Es war die Liebe.

Zeigt auf Judith.

Seht, was Liebe tat! –
Und nun lass' ich Euch diese Welt des Irrtums,
Der Zweifel und des Wahns und der Verfolgung!
Wälzt größre Steine noch auf Menschenherzen,
Die sich wie ich nach Gottes Antlitz sehnten
Und ohne Fürwort eines Priesters wagten,
Unmittelbar ins Auge ihm zu schauen –
Ich kann den meinen nicht mehr länger tragen.
In sonnenhelleren Jahrhunderten
Kommt auch die Zeit, wo man hebräisch nicht,
Nicht griechisch, nicht lateinisch, nein, in Zungen
Des Geistes und der Wahrheit sagen wird:
Noch gab die Welt nicht Raum für solche Bahnen,
Noch war die Luft zu schwül für solche Flammen.
Er mußte gehn, weil er nicht bleiben durfte!
Habt Ihr gesiegt, seht dort, da ist der Platz,
Das Banner des Triumphes aufzupflanzen!
Manasse, jene Trauerweiden mein' ich –
Mein Genius! Du folgst! Nicht Ihr – bleibt dort!
Von ferne will ich Euch die Stelle zeigen,
Wo Ihr den Sieg gewinnt und ich – den Frieden.

Er schreitet an den Staunenden, die ihm mit ihren Blicken folgen, vorüber. Wie er fort ist, fällt ein Schuß.
Allgemeine Bewegung.
SANTOS
hervortretend nach der Seite, wo Uriel ging.
Der Glaube siegt, zwei Opfer sind gefallen.
SILVA
hält ihn zurück, blickt abwechselnd nach außen und auf Judith, die von Manasse gehalten bleibt.
O stört die Schauer dieser Stunde nicht!
Zwei Zeugen eines Glaubens, der die Welt
Verachtet! Richtet nicht, denn wie wir hier
Erstarrt vor Schrecken stehn, die wahren Mörder
Des stummen Paars sind wir! O geht hinaus
Und predigt: Schonung, Duldung, Liebe!
Und was der wahre Glaube? Ach! Der Glanz
[68] Der alten Heiligtümer, seh' ich, schwindet.
Glaubt, was Ihr glaubt! Nur überzeugungsrein!
Nicht was wir meinen siegt, de Santos! Nein!

Er schlägt ans Herz.

Wie wir es meinen, das nur überwindet.

Die Gruppe bleibt.
Der Vorhang fällt.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Gutzkow, Karl. Dramen. Uriel Acosta. Uriel Acosta. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-1738-0