Gustav Freytag
Graf Waldemar
Schauspiel in fünf Akten

Personen

[509] Personen.

    • Waldemar Graf Schenk.

    • Hugo Graf Schenk, sein Vetter.

    • Rittmeister von Randor.

    • Heinrich von Sorben.

    • Fedor Iwanowitsch Fürst Udaschkin.

    • Georgine Fürstin Udaschkin.

    • Hiller, Gärtner.

    • Gertrud, seine Tochter.

    • Hans, sein Pflegesohn.

    • Gordon, Stallmeister,
    • Box, Kammerdiener, des Grafen Waldemar.

    • Frau Box, seine Mutter.

    • Rosa, ein Bürgermädchen.

    • Bose, Arbeiter.

    • Der Bezirksvorsteher.

    • Ein Nachtwächter.

    • Kammerfrau,
    • Gregor, Diener, der Fürstin Udaschkin.

    • Gäste. Volk. Bediente.

    • [509][511]

1. Akt

1. Szene
Szene.
Zimmer des Grafen Waldemar. Im Vordergrunde rechts und links Tische und Sessel.
Box, gleich darauf Gordon.

BOX
schlägt mit einem seidenen Tuch den Staub von den Sesseln, dem eintretenden Gordon lebhaft entgegen.

Nun, Gordon, der Herr Graf hat schon dreimal nach dir gefragt; wie steht's mit Lovelace, unserm Reitpferd?

GORDON.

Sage dem Grafen, er soll den Stallbedienten schwarzen Trauerflor kaufen, das beste Pferd der Residenz geht zum Teufel.

BOX.
So ist keine Hilfe?
GORDON.

Wie soll man helfen, wenn der Leib aufgerissen ist wie eine lecke Tonne? Das Tier liegt und kann nicht leben, nicht sterben; es könnte einen Stein rühren. Und so umzukommen, durch reinen Übermut des Reiters! Pfui, 's ist schändlich.

BOX.
Was hat der Herr denn eigentlich mit dem Rappen gemacht?
GORDON.

In einen Abgrund hinuntergerast ist er, über Geröll und Baumstämme, bis das Pferd stöhnend an einem spitzen Felsen aufrannte. Der Reiter sprang auf die Beine, wie eine Katze, das Pferd blieb liegen. – O es ist schändlich; wenn Zwei zusammen einen dummen Streich machen, der bessere von beiden muß immer die Zeche bezahlen.

BOX.
Schrei doch nicht so, der Herr wird sogleich hier sein.
GORDON.

Was kümmert mich! – Doch nein, ich will ihn jetzt nicht sehen, ich habe Weib und Kind und bin nicht in der Verfassung untertänig zu reden. An der Tür. Sag' ihm, er soll [511] barmherzig sein und dem Pferd eine Kugel vor den Kopf schießen, ich will die Qual nicht länger ansehen. Ab.

BOX
allein.

Eine ehrliche Seele, ein echter Biedermann, so oft er zornig ist. In ruhigem Zustande betrügt er den Grafen beim Futtern, aber wenn er in die Hitze kommt, bläht seine Tugend sich auf wie eine Fischblase am Feuer. Du lieber Himmel, es geht uns anderen Menschen gerade so! – Ah, der Herr Graf! Das wird ein finsterer Tag werden.


Waldemar.
WALDEMAR.
Was macht Lovelace?
BOX
traurig.

Jede Hoffnung ist dahin, er liegt im Sterben. Die Stallknechte bitten um Erlaubnis, acht Tage schwarzen Flor tragen zu dürfen; Gordon will dem Leiden des Sterbenden durch eine Kugel abhalfen.

WALDEMAR
finster.

Niemand soll ihn berühren, ich habe ihn geliebt, ich selbst will ihn töten. – Hole die Pistolen. – Box ab. Armer Lovelace, du warst mir sehr lieb, du warst die Poesie meines Lebens! – Bah! hinweg auch mit dir!

BOX
bringt ein Pistolenkästchen, setzt es auf den Tisch, präsentiert eine Tasse.
Der Herr Graf haben noch nicht die Schokolade genommen.
WALDEMAR.
Dorthin! – Was Neues?
BOX.
Vor einer Stunde kam dies Billett.
WALDEMAR.
Eine fremde Damenhand! – Was erregt deine heitere Laune, Herr Box?
BOX.

Verzeihung, ich wage den Inhalt zu erraten. Goldene Arabesken auf dem Kuvert, ein kleiner Gott auf dem Siegel und das Billett wurde von einer fremden Frau beim Portier abgegeben. Achselzuckend. Man kennt das. Es ist der schüchterne Wunsch einer Dame, ihre Schüchternheit los zu werden.

WALDEMAR.
Hast du's bereits gelesen?
BOX.

Oh, gnädiger Herr, das wäre gegen meine Grundsätze, versiegelte Briefe lese ich nur im äußersten Notfalle.

WALDEMAR
das unerbrochene Billett vom Tische nehmend.

Es riecht [512] nach Moschus, es ist von einer Witwe Wirft es wieder hin. Sie lieben den Geruch, weil er die letzte Arzenei ihres seligen Mannes war. – Sage dem Portier, er soll keine dergleichen Briefe annehmen.


Bedienter. Graf Hugo.
BEDIENTER.
Herr Graf Schenk!
WALDEMAR
ihm entgegen.
Guten Morgen, Hugo!
HUGO.
Ich komme als ein Bittender und außerdem, um dich auszuschelten.
WALDEMAR.
Erst fordere und dann zanke.
HUGO.
Ich bin hundert Louisdor schuldig und soll zahlen.
WALDEMAR.

Weiter nichts? Geht zum Tisch und schreibt. Ich habe so selten die Freude, der Zahlmeister meines tugendhaften Vetters zu sein, daß ich mich beeilen muß, die Gelegenheit zu benützen.

HUGO.
Und du fragst nicht einmal, wem und wann ich zu zahlen habe?
WALDEMAR
die Achseln zuckend.

Du bist verheiratet, Hugo; es wäre unbescheiden, einen Ehemann nach seinen stillen Nebenausgaben zu fragen.

HUGO.
Du irrst, dies ist eine Ehrenschuld.
WALDEMAR.

Pfui, wer wird Ehrenschulden machen! Überlaß das den Leutnants unserer Garde. – Hier, Hugo, hast du eine Anweisung für meinen Bankier – und jetzt schmähe, predige, schilt mich aus, ich bin bereit zu hören. Hast du gefrühstückt? Gut, so erlaube, daß ich meine Schokolade trinke.

HUGO.

Gestern war ich zum kleinen Zirkel des Palais befohlen. Seine Hoheit frug, warum du niemals zu sehen feist, da bemerkte die Fürstin ernst: er paßt nicht hierher, es ist ihm zu still unter uns.

WALDEMAR
mit dem Löffel klappernd.
Nein, aber zu langweilig.
HUGO.

Zuletzt sprach der Herr zu mir: Noch wünsche ich [513] nicht, daß Ihr Vetter dem Hofe fremd werde. In den Worten liegt die Drohung deiner Verbannung.

WALDEMAR.

Umgekehrt, Freund, sie haben Furcht, daß ich den Hof in den Bann tun könnte. – Nun, und das ist alles?

HUGO.

Du bist in Gefahr, von dem Hofe aufgegeben zu werden, ist das nicht genug? – Was man in den einzelnen Gruppen über dich flüsterte, vieles mag unwahr oder entstellt sein, aber es blieb doch genug, was mich mit Schmerz erfüllte. Waldemar, ein so reicher Geist, ein so adliger Sinn, ich wenigstens kenne dein Herz, und ein so verwüstetes, zerfahrenes Leben!

WALDEMAR
humoristisch.

Verwüstet? Bah, das ist Verleumdung. Ich bin in meinem Leben nicht betrunken gewesen, ich habe nie mehr als eine, höchstens zwei Geliebte, ich verspiele nie mehr Geld, als ich gerade in meiner Tasche trage. Sind das nicht achtungswerte Grundsätze? – Es ist wahr, ich kann mehr Champagner vertragen, als jeder andere, ich wechsle oft mit den Damen meiner Laune, und Box, der Schuft, steckt mir zuweilen große Summen in meine Spieltasche, aber sind das nicht alles eher Vorzüge als Fehler? Und du nennst mein Leben zerfahren? – Pfui, Hugo, das sind die Ansichten eines Nachmittagspredigers.

HUGO.

Nicht was du tust, will man schelten, sondern was du nicht tust. Du bist Standesherr, vielleicht der reichste Grundbesitzer des Landes, die Stellung legt auch große Pflichten auf, gegen dich selbst, gegen die Angehörigen, gegen das Land.

WALDEMAR.

Mein Sohn, da tust du mir wieder sehr unrecht und zwingst mich, mein eignes Lob zu singen. Für den Staat bin ich ja ein wahrer Pfeiler des Ruhmes. Habe ich jemals bei unseren öffentlichen Versammlungen gefehlt? Habe ich nicht sogar Reden gehalten, die mit allem Flitterstaat moderner Phrasen verbrämt waren und mehrere Zeitungen in Begeisterung versetzten, und wenn ich aus Langerweile gähnen mußte, habe ich nicht stets mein Taschentuch vor den Mund gehalten? – [514] Und ferner, bin ich nicht Ehrenmitglied oder Präsident unzähliger wissenschaftlicher und gemeinnütziger Gesellschaften? Frage nur meinen Sekretär, der kennt ihre Namen. – Und endlich meine Güter, meine Untertanen, denen bin ich ja ein wahrer Vater! Alle Jahre revidiere ich meine Beamten, alle fünf Jahre jage ich einen von ihnen wegen Unterschleif aus dem Dienst, was willst du mehr? Die Geistlichen auf meinen Gütern melken eine Kuh mehr, und die Schulmeister mästen sich ein Ferkel mehr, als alle ihre Kollegen. – Frage doch bei meinen Bauern nach, ob ich ihnen nicht ein liebevoller Herr bin, ich habe Nachsicht mit Steuerresten, und wenn ich ja ihre Frauen und Töchter küsse, sieh mich an, Hugo, die kommende Generation wird deshalb nicht schlechter werden.

HUGO.

Das eben ist es, was man dir vorwirft, dein Spott, dies Verachten von allem, was andern heilig ist. Man beargwöhnt dich, weil man eine Kraft fürchtet, die du nicht gebrauchst; man muß dir alle Grundsätze absprechen, weil man nicht weiß, was du achtest.

WALDEMAR.

Was ich achte? in unserer nervösen, schwachen, auflösenden Zeit? Sehr wenig! Und die Kraft, die deine Güte mir zutraut, wozu soll ich sie gebrauchen? Zu Taten? Welche Männertat rätst du mir an? Sieh dich um, Hugo. Gebrüll, Geschwätz, Klagen, nirgend eine große, frische, fortreißende Tat. Wäre ich ein Spanier oder Tektosage, so wäre ich wahrscheinlich der Anführer einer schwarzen, höllenheißen Bande von Schelmen geworden, die den Teufel als Schutzpatron verehrt; da ich aber das Glück habe, der höchst zivilisierte Graf Waldemar Schenk zu sein, so begnüge ich mich, den Gang der Welt zu verlachen, ich reite die wildesten Hengste und setze im Roulette seit zehn Jahren nur einzelne Nummern. Wenn mein Pferd vor einer Hecke bäumt, oder ein Weib mir zornig den Rücken kehrt, so habe ich doch Augenblicke, wo ich lebe. Sind es auch keine Taten, so sind es doch Aufregungen.

[515]
HUGO
ernst.
Ja, Aufregungen, die dich vernichten müssen.
WALDEMAR.

Was tut's? Ich habe dann wenigstens mehr gelebt, als ihr andern. Übrigens ist es recht gutmütig von dir, daß du mich so ehrbar konservieren willst. Denke daran, daß du mein einziger Verwandter und künftiger Majoratsherr bist. Sieh, Hugo, noch fünf Jahre so fortgelebt, und ich bin fertig, dann noch ein fünf Jahre in die Bäder gereist, und die Posse hat ein Ende. Dann trittst du an meine Stelle, Mit feiner Ironie. du wirst deine Rolle besser spielen. – Grüße deine Frau und vergleiche meine Rechnung mit der ihren, sie ist eine kluge Dame.

HUGO
aufstehend.
Jetzt zwingst du mich zu schweigen, denn du tust mir und meiner Frau unrecht.
WALDEMAR.

Du bist, was man einen Mann von Charakter nennt, und deine Gemahlin ist eine Dame mit vielem Pflichtgefühl. Sie würde ihren halben Schmuck opfern, um mein Leben auf vierzehn Tage zu verlängern, aber dabei träumt sie doch alle Nächte von der Zeit, wo ihr Gemahl in mein Erbe tritt. Ich kenne das. Und im Vertrauen gesagt, Hugo, ich selbst habe Stunden, wo mir's ganz gelegen wäre, wenn es zu Ende ginge.

HUGO.

Das Gespräch ist ernster geworden, als ich wollte, laß uns hier abbrechen. Nur noch eins. Man verdenkt dir sehr deinen Umgang mit den Udaschkins.

WALDEMAR.

Mit den Udaschkins? Ist der Fürst nicht bei Hofe präsentiert? Hat er nicht alle Feuerproben der Gesellschaft bestanden?

HUGO.

Bei alle dem gilt er für einen rohen, wüsten Burschen, und seine Verwandte, die Fürstin Georgine, ist bei Hofe nicht präsentiert. Der Gesandte ihrer Heimat zuckt schweigend die Achseln, wenn man nach ihr fragt.

WALDEMAR.

Ich habe so etwas gehört. Die Ehe der Fürstin mit ihrem verstorbenen Gemahl wurde zu Paris vollzogen und ist durch ihren Monarchen noch nicht legitimiert, ich [516] glaube, es wird darum verhandelt. Was aber kümmert das mich? Die Fürstin ist eine reizende Kokette, ein feiner, intriganter Kopf und durchaus von gutem Ton. Sie ist eine von den Frauen, die einem beim ersten Begegnen vor kommen wie alte Bekannte, man hat sie schon irgendwo gesehen, im Traume, im Monde, was weiß ich. – Ich gestehe dir, daß ich eine Passion für sie habe, und wäre es nicht gar zu abgeschmackt, so könntest du sie am Ende noch als Schwägerin begrüßen müssen. Der Fürst aber ist ein sehr ergötzliches Exemplar schlecht überfirnißter Barbarei; er ist sehr ruchlos, und ich habe ihn im Verdacht daß er beim Spiel sein Glück sich selbst zu machen sucht. Kurz, er ist lächerlich und abgeschmackt bis zum Überdruß.

HUGO.
Und solchen Menschen duldest du in deiner Nähe?
WALDEMAR.

Warum nicht? Seine Bestialität ist mir ein ewiger Ableiter schlechter Laune, bei unsern kleinen Soupers ist er das Stichblatt für die besten Scherze.


Box.
BOX
tritt zur Seite an den Grafen und meldet leise.
WALDEMAR
beiseite.
Wer ist es?
BOX.
Sie trägt einen doppelten schwarzen Schleier.
WALDEMAR.
Dummkopf, du sollst wissen, wer sie ist.
BOX.
Zu Befehl, es ist die Kammerfrau der Frau Fürstin.
WALDEMAR.
Gut, in das blaue Kabinett. Box ab. Hugo, ich werde in Anspruch genommen.
HUGO.
Mir gerade recht, ich war im Begriff deiner Laune gegenüber den Kürzeren zu ziehen. Bricht auf.
WALDEMAR
ihm die Hand reichend.

Um so schlimmer für mich, denn ich war auf dem besten Wege, den solidesten Mann der Residenz in einen Bruder Liederlich zu verwandeln. Hugo ab.

WALDEMAR
die Seitentür links öffnend.
Treten Sie ein, Madame.

Kammerfrau.
KAMMERFRAU.
Dies Billett von der Frau Fürstin; sie bittet um mündliche Antwort.
[517]
WALDEMAR.

Sogleich. Liest. Ich erwarte Sie heut nachmittag. Vermeiden Sie mein Ungeheuer von Schwager. Er quält mich mit seinen Torheiten und ist sehr eifersüchtig auf Sie. Alle meine Leute sind in seinem Sold, meine Kammerfrau ist die einzige, der ich traue.


Box.
BOX
durch die Mitteltür.
Der Herr Fürst steigen die Treppe herauf.
KAMMERFRAU.
Er darf mich nicht finden.
WALDEMAR.

Führe ihn durch die Bibliothek. Box ab. – Er liest nie und wird sich dort langweilen. – Ich bitte um die Ehre, der Frau Fürstin heut aufwarten zu dürfen. – Dort hinaus, Madame, die Treppe hinab führt eine kleine Tür auf die Querstraße, vermeiden Sie gesehen zu werden. Kammerfrau ab.


Udaschkin, durch Box eingeführt.
UDASCHKIN.

Schon bereit auszugehen, mein Herr Graf? oder störe ich Ihre Morgenstudien? Ah! die Pistolen auf dem Tisch, vielleicht ein Abenteuer? Ich bin neugierig.

WALDEMAR.
Er spioniert, er bläst die Nasenlöcher auf.
UDASCHKIN
beiseite.

Ich rieche eine Frauentoilette, eine Botschaft meiner Schwägerin war hier, ich sah ihre Kammerfrau aus einer Droschke steigen – der Lasse!

WALDEMAR.

Bevor ich von Ihrer Gegenwart irgend eine Notiz nehmen kann, mein Fürst, müssen Sie mir ein Versprechen ablegen.

UDASCHKIN.
Ein Versprechen, mein liebenswürdiger Freund? Und das wäre?
WALDEMAR.

Sie müssen mir feierlich geloben, Ihren Kammerdiener fortzujagen und Ihrem Schneider das Ärgste anzutun, Sie sind beiden eine große Rache schuldig. Wie haben die Menschen Sie zugerichtet! Pfui, mein Fürst! Diese Garderobe ist Ihnen von den Schurken in einer Trödelbude gekauft [518] worden. Bei Gott, man kann mit Ihnen nicht sprechen, so lange Sie dieses Beinkleid tragen.

UDASCHKIN.

Unmöglich das. Mein Schneider ist derselbe, den Sie mir empfohlen haben. – Mein Freund ist heut in guter Laune.

WALDEMAR.

Ich habe das Glück stets darin zu sein, so oft ich Ihnen meine Ehrfurcht bezeigen darf. – Übrigens kommen Sie zu rechter Zeit, mein Fürst, ich habe eine Exekution vor.

UDASCHKIN.
Eine Exekution? Das will ich mit ansehen. An Menschen oder an Vieh?
WALDEMAR.
An einem Tiere. Sie sollen sehen wem sie gilt. Erlauben Sie mir die Pistolen zu laden.
UDASCHKIN
sich setzend.
Nach Belieben. Wissen Sie, lieber Graf, mein Pinx ist angekommen.
WALDEMAR
ladend.
Wer ist das?
UDASCHKIN.
Nun, Pinx, ein alter Götze, ein Steinbild.
WALDEMAR.
Pinx? kenne ich nicht.
UDASCHKIN.

Ja, er heißt Pinx. Er liegt auf vier Beinen, sieht aus wie ein Löwe und hat den Kopf eines Frauenzimmers, er wird in Italien aus der Erde gegraben.

WALDEMAR.

Ah so, eine Sphinx. Und wozu haben Sie eine Sphinx gekauft, mein Fürst, man kann sie nicht essen, man kann sie nicht trinken, man kann auch nicht auf ihr ausreiten.

UDASCHKIN.

Ich baue einen Stall für meine Jagdhunde, da lasse ich das Ding vorsetzen. Es ist jetzt in der Mode, das wunderliche Zeug.

WALDEMAR.

Nun, beim Zeus, eine ägyptische Sphinx endet damit, nach zweitausend Jahren einen asiatischen Hundestall zu bewachen. Das ist eine seltsame Karriere, und wenn das dir geschieht, du altes Bild ewiger Ruhe und starren Schweigens, so kann niemand wissen, wohin wir bewegliche und geschwätzige Menschen noch kommen werden. – Ich bin fertig, [519] mein Fürst, und stehe zu Ihren Diensten. – Jetzt zu dir, mein edler Lovelace, es ist ein schwerer Gang.

UDASCHKIN.

Also zur Exekution und dann zum Frühstück. Es sind neue Seefische angekommen, mein Freund, die wollen gewürdigt sein. Beide ab.


Box. Gertrud.
BOX.
Ich traue meinen Augen nicht. Sie Mamsell Gertrud – und in diesem Zimmer?
GERTRUD.
Woher kennen Sie mich, mein Herr?
BOX.

Wer sollte Mamsell Gertrud nicht kennen, die schöne Gärtnerin, die barmherzige Schwester der Vorstadt! – Mein Name ist Box, Karl Box, ich bin ja der Sohn derselben Frau, welche die Ehre hat, Sie manchmal in Ihrem Garten zu besuchen.

GERTRUD.
Ihre Mutter ist eine gute Frau, ich freue mich, wenn Sie ihr ähnlich sind.
BOX
sich verbeugend.

Die Familienähnlichkeit ist noch nicht bezweifelt worden. – Aber Sie hier, und Sie wollen den Herrn Grafen sprechen – und allein?

GERTRUD.
Ja, mein Herr.
BOX
kopfschüttelnd.

Es ist unbegreiflich, könnte denn nicht vielleicht ich die Sache besorgen? Ich sage das wirklich aus guter Meinung.

GERTRUD.
Ist Ihr Herr denn so arg?
BOX.
So arg? – Das gerade nicht, aber sehen Sie, er ist jungen Damen gegenüber doch manchmal –
GERTRUD
bittend.

Sie essen sein Brot, sprechen Sie gut von ihm. Daß ich hier bin, sei Ihnen ein Zeichen, daß mich etwas Ernstes herführt.

BOX.
Nun, ich habe Sie gewarnt. – Erwarten Sie den Herrn, er wird sogleich kommen. Box ab.
GERTRUD
allein.

Hier also wohnt er, der übermütige, lasterhafte Mann! – Und doch sieht er aus wie ein edles [520] Menschenbild. Neulich ritt er an unserer Tür vorüber, die Nachbarin nannte seinen Namen und sprach eine Verwünschung dazu, er aber sah so gleichgültig und stolz in die Welt, als könne ihn kein Unglück treffen. – Er hat keine Eltern, kein Weib? – ob er jemanden hat, an dem sein Herz hängt? Zwei Schüsse hinter der Szene. Gertrud zusammenfahrend. Ha, was ist das?

WALDEMAR
aufgeregt, schnell eintretend, die abgeschossene Pistole in der Hand.
GERTRUD
entsetzt.
Wen haben Sie getötet?
WALDEMAR
in einen Sessel sinkend.

Meinen Freund. Gertrud wendet sich zur Flucht, Waldemar die Pistole wegwerfend. Mein Lieblingstier!Pause. Waldemar aufblickend. Wie kommen Sie hierher?

GERTRUD
finster.
Ihr Kammerdiener hat mich eingeführt.
WALDEMAR.
Box ist sehr gütig, so zu rechter Zeit für meine Unterhaltung zu sorgen. – Wer sind Sie?
GERTRUD.
Gertrud Hiller, die Tochter eines Gärtners aus der Vorstadt.
WALDEMAR.
Und was führt Sie zu mir, mein Kind?
GERTRUD.
Ich werde es Ihnen sagen, sobald mich kein fremdes Ohr hören kann.
WALDEMAR.
Ich bin allein. – Wenn Sie mit einer Bitte kommen, so wenden Sie sich an meinen Sekretär.
GERTRUD.
Ich komme zu bitten.
WALDEMAR.
Für sich selbst, oder für andere?
GERTRUD.
Für einen andern.
WALDEMAR.
So lassen Sie hören.
GERTRUD.

Es sind jetzt sieben Jahre, da lag ein armes verlassenes Mädchen in unserer Vorstadt, ich pflegte sie, weil sich sonst niemand um sie kümmerte. Endlich genas sie eines Knaben. Auf ihrem Schmerzenslager aber hat sie die Hände gerungen und gegen Sie ausgesagt, Herr Graf.

WALDEMAR
mit den Achseln zuckend.

Das ist gar nicht unmöglich. Vor sieben Jahren war ich wild und rücksichtslos, [521] wie die Leidenschaft eines Jünglings zu sein pflegt. – Nun, erzählen Sie weiter. Sie wenden sich ab? Ah! Sie müssen mir nicht zürnen. Es ist gar zu schwer, geistreich auszusehen, wenn man nach sieben Jahren in solch süßes Geheimnis eingeweiht wird.

GERTRUD
finster.

Mutter und Kind blieben ein Vierteljahr in unserer Nähe; das Mädchen wußte sich nicht zu erhalten, die Nachbarn halfen aus, soweit sie konnten. An einem Morgen war das Mädchen verschwunden, das Kind lag in einem Korbe sorgsam eingehüllt vor der Tür des Nachbars.

WALDEMAR.
Das ist eine traurige Geschichte. Wer war die Mutter?
GERTRUD.

Wir wußten wenig von ihr. Sie war eine Fremde und nannte sich Luise. Ihr Name steht im Kirchenbuch, das Kind ist darauf getauft; man sagt, sie sei beim Chor der Oper gewesen.

WALDEMAR.

Bei der Oper! – Es ist mir dunkel wie ein Traum, daß ich eine kurze Verbindung mit einer Grisette des Chors hatte, es war unmittelbar vor meiner Reise nach England. Und das Kind? es lebt?

GERTRUD.

Es lebt, es wird von ehrlichen Leuten auferzogen. Aber seien Sie ruhig, Herr Graf, niemand außer meinem Vater weiß, wem der Knabe angehört.

WALDEMAR
lächelnd.
Nun, das Unglück wäre nicht groß. Dennoch danke ich Ihnen für Ihre Verschwiegenheit.
GERTRUD
beiseite.
Er ist kalt wie Eis und mir erstarrt das Wort auf den Lippen.
WALDEMAR.

Bevor ich Ihnen meine Ansicht über diese romantische Geschichte mitteile, verzeihen Sie noch eine Frage. Weshalb beehren Sie mich erst jetzt nach sieben Jahren mit Ihrem Vertrauen?

GERTRUD.

In der ersten Zeit haben wir häufig nach Ihnen gefragt, aber jahrelang hieß es, Sie wären auf Reisen. Seit [522] Sie zurückgekehrt sind, haben wir uns oft nach Ihnen erkundigt, doch was die Leute erzählten, hat uns abgeschreckt, Sie Aufzusuchen.

WALDEMAR
spöttisch.

Und was hat man sich von mir erzählt? Warum schweigen Sie, mein Kind? Gönnen Sie mir die Freude, Gutes über mich zu hören. Nun?

GERTRUD.
Man nannte Sie hart, hochmütig und frevelhaft.
WALDEMAR
sich spöttisch verneigend.
Ich bin er kenntlich für die gute Meinung.
GERTRUD.

Und doch war es nötig, daß ich das Geheimnis nicht für mich behielt. Wenn dem Kinde etwas widerfuhr, Sie sind ja doch sein Vater und haben ein Recht auf den Knaben. In den letzten Wochen aber hat man sich viel erzählt, daß Kinder gestohlen werden, und als ich neulich sah, wie ein fremder Mann von verdächtigem Aussehen mit dem Knaben spielte und ihn an sich lockte, kam mir die schnelle Angst, Ihrem Sohn könne ein Unglück zustoßen, und ich empfand, daß die Verantwortlichkeit für mich zu groß, und daß Schweigen ein Unrecht sei. Deshalb entschloß ich mich hierher zu kommen. Ich habe meine Pflicht getan und will jetzt gehen.

WALDEMAR.

Noch einen Augenblick, Mademoiselle. Hören Sie zuvor meine Ansicht über diese Erzählung, sie wird, so hoffe ich, Ihre Unzufriedenheit mit mir verringern. Ich habe für die Wahrheit dessen, was Sie sagen, keine Bürgschaft als Sie selbst. Ich versichere Ihnen mit Vergnügen, ich bin überzeugt, Sie sprechen wahr und meinen es in Ihrem Sinne gut. Aber wer bürgt Ihnen dafür, daß die Mutter des Kindes ebenso wahr gegen Sie gewesen ist?

GERTRUD.

Sie glaubte zu sterben, als sie verzweifelnd Ihren Namen anklagte. Später habe ich ihr versprechen müssen, gegen jedermann zu schweigen. In Fieberträumen aber hat sie oft von Ihnen gesprochen, Sie zärtlich und klagend angeredet und Sie gescholten.

[523]
WALDEMAR.

Vielleicht ist auch das kein Beweis, ein gesetzlicher gewiß nicht. Ich weiß nur, daß ich kurze Zeit mit einem Mädchen vom Chor des Theaters tändelte; selbst der Name, den Sie nennen, tönt mir fremd, und vergebens suche ich das Bild der Verschwundenen in mein Gedächtnis zurückzurufen. Ich wurde von meinem Vater damals auf Reisen geschickt, war drei Jahre im Ausland und nach der Rückkehr hatte ich die flüchtige Bekanntschaft völlig vergessen.

GERTRUD.

Vergessen? Kann ein Mensch so etwas vergessen, die Liebe eines Mädchens vergessen, so wie man einen Namen vergißt oder die Nummer eines Hauses?

WALDEMAR
lächelnd.

Und doch ist es so, und Ihnen, meine Liebe, wird nichts übrig bleiben, als mich für einen echten Teufel zu halten. Doch gleichviel. Sie zeigen warmen Anteil an dem Kinde und einen ungewöhnlichen Sinn; um Ihretwillen, mein schöner Anwalt, will ich annehmen, daß ich vollständig berechtigt sei, dem Knaben ein väterliches Interesse zu schenken. – Was wünschen Sie, daß ich für das Kind tue? Gertrud schweigt. – Ohne Zweifel macht seine Erziehung zunächst Auslagen, hier nehmen Sie, künftig wird mein Sekretär Sorge tragen. Er reicht ihr ein Papier aus der Brieftasche.

GERTRUD
zurückweisend, mit Selbstgefühl.

Sie irren, Herr Graf, der Knabe braucht kein Geld; die Leute, welche ihn an Kindes Statt angenommen haben, sind nicht reich, aber was sie haben, wird hinreichen, das Kind zu einem braven Menschen zu machen. Sie irren, Herr Graf, und da Sie mich nicht kennen, verzeihe ich Ihnen den kränkenden Verdacht, welcher in Ihrem Anerbieten liegt. Was ich von Ihnen erbitten wollte, war etwas ganz anderes, und es ist traurig, daß Sie das nicht einmal ahnen. Ihre Liebe wollte ich für das Kind, das Auge, die sorgende Hand eines Vaters. Er ist allein, ein einsames Reis in fremden Garten gesetzt! Wenn er, wie Kinder tun, fragt, wo seine Eltern bleiben, wann sie zu ihm kommen werden, was soll [524] man ihm antworten? Er hat keine Eltern! – Und Sie selbst – was Ihr größtes Glück wäre, das fröhliche Lachen des Kleinen zu hören, für ihn zu sorgen, an seinem Lager zu wachen und sich zu freuen, wenn er fleißig und brav ist, das alles müssen auch Sie verlieren! – Ich muß weinen, daß es so gekommen ist gegen die Natur und gegen den heißen Wunsch meiner Seele. Ihnen aber, Herr Graf, soll das Schicksal dieses Knaben niemals mehr heitere Laune erregen, er soll nie erfahren, daß sein Vater ihn zweimal von sich gestoßen hat. Ab.

WALDEMAR.

Bei Gott, ein hochherziges Mädchen, und welche Bußpredigt! Ich sah mich bereits sitzen, einen weißhaarigen, rotbäckigen Bengel auf dem Schoß und vor mir drei bis vier größere ditto, wie Gänse mit ausgestreckten Hälsen schreiend. Vater, Brot! während mir der Jüngste in aller Stille den Rockschoß unsauber macht. – Und welche Lobsprüche sie meinem Charakter gab, lasterhaft war das wenigste, – aber es stand ihr nicht schlecht, es war Überzeugung. – Bei alle dem kann die Sache so nicht bleiben, für den unnützen Jungen muß gesorgt werden, und du, schöne Gertrud, sollst erfahren, daß es nicht ratsam ist, den Satan in seiner eigenen Hölle am Bart zu ziehen. Er schellt.


Box.
WALDEMAR.
Wirst du das Mädchen wieder erkennen, wenn du ihr begegnest?
BOX
beiseite.
Da haben wir das Unglück. Laut. Gewiß, Herr Graf, denn ich kenne sie bereits.
WALDEMAR.
Was weißt du von ihr?
BOX
beiseite.

Jetzt nur nicht zu sehr gelobt. Laut. Je nun, sie gilt für ein gutes Ding, sie hat in früher Jugend ihre Mutter verloren und hilft ihrem alten Vater bei der Gärtnerei; meine Mutter wohnt in ihrer Nähe.

WALDEMAR.
Das trifft sich gut.
BOX.

Die würdige Frau hat den Wunsch, aus mir und [525] dem Mädchen eine Partie zu machen. Doch sie ist arm und so gewöhnlich, nichts Apartes, und da habe ich mich zurückgehalten. Kühl. Sonst wäre sie eine recht brauchbare Frau für mich.

WALDEMAR.
Für dich?! – Vorläufig wirst du die Güte haben, deine Absicht auf das Mädchen aufzuschieben.
BOX
beiseite.
O weh!
WALDEMAR.
Ich will ausfahren. Hut und Handschuhe. – Box, man spricht übel von uns unter den Leuten.
BOX
den Hut präsentierend.
Ich fürchte auch, Herr Graf, man nennt unsern Wandel unmoralisch.
WALDEMAR
mit verstellter Gutmütigkeit.

Das schmerzt mich um deinetwillen, mein treuer Box. Deine Tugend wird mit meinen Sünden in einen Topf geworfen, und ich fürchte, die Verleumdung wagt sich auch an deine reine, uneigennützige Seele.

BOX
geschmeichelt.
Ach, Herr Graf, mein gutes Bewußtsein gibt mir die Kraft, Verleumdung zu verachten.
WALDEMAR.

Das freut mich. Seine Börse einsteckend. Höre, redlicher Box, wenn du mir das nächste Mal Geld aus meiner Börse stiehlst, so sei weniger unverschämt.

BOX
erschrocken.
Wie, gnädiger Herr?
WALDEMAR.
Du hast gestern das Unglück gehabt, ein altes Geldstück zu mausen, das ich persönlich kenne.
BOX.
Herr Graf, das ist ein ungeheures Mißverständnis. Das Geldstück muß ich wiederfinden.
WALDEMAR.

Ja, in deiner Tasche. Kannst du denn das abgeschmackte Stehlen nicht lassen? – Bist du unzufrieden mit deinem Lohn? Ich will ihn verdoppeln, wenn du schwörst, meine Börse in Ruhe zu lassen.

BOX
gerührt.

Herr Graf, es wäre schändlich von mir, wenn ich das annähme, denn es würde nichts helfen. Wenn Sie mir meinen Gehalt verdoppeln, so würden sich meine Bedürfnisse verdreifachen, und die zarten Beziehungen zu Ihrer Börse könnten sich dann leicht bis in das Große steigern.

[526]
WALDEMAR.

Dann müssen wir's freilich beim Alten lassen – Vergiß aber nicht, daß, wenn wir beide miteinander spielen, ich die Katze bin und du die Maus, und nimm die Versicherung, daß die Sonne des Himmels auf keinen größern, abgefeimtern Spitzbuben herniederscheint, als mein tugendhafter, ehrlicher Box ist. Guten Morgen, Herr Box! Ab.

2. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Palmenhaus, goldenes Netzwerk in maurischem Stil, als Dekoration tropische Staudengewächse. Rechts zur Seite ein Fenster, links eine Tür, Zugänge im Hintergrund. Ein Diwan, Stühle, ein Tisch.
Georgine Fürstin Udaschkin auf dem Diwan liegend und lesend. Kammerfrau.

GEORGINE
aufblickend.

Die Luft ist so schwül, öffne das Fenster. Kammerfrau tut's. – Nimm den Fächer und verjage mir die Fliegen. – Wie ungeschickt du bist! – Ist mein Armband abgeholt?

KAMMERFRAU.
Der Juwelier hat es selbst gebracht.
GEORGINE.

Heut abend will ich es tragen. – Aufschreckend. Mein Gott, was summt dort? du hast eine Wespe hereingelassen, jage sie hinaus, auf der Stelle, Kammerfrau schlägt mit dem Taschentuch in die Luft. schließe das Fenster. – Es ist sechs Uhr, der Graf muß sogleich hier sein.


Udaschkin vom Hintergrund.
UDASCHKIN.

Nicht zu Hause? Ich hörte Sie sprechen, Georgine Petrowna, und will nicht von Ihrer Tür zurückgewiesen werden, wenn ich weiß, daß Sie für andere, als Ihren Schwager, zu Hause sind.

GEORGINE.

Da Sie sich selbst mit solcher Zartheit einführen, mein Fürst, so ersparen Sie mir die Lüge, Sie willkommen zu heißen. Was führt Sie zu mir, Fedor Iwanowitsch? Haben Sie unglücklich gespielt, oder ist einer Ihrer Jagdhunde krank, weil Sie kommen, Ihre liebenswürdige Laune gegen mich zu äußern?

UDASCHKIN.

Sie sind immer geistreich, Frau Fürstin, und ich bin betrübt, daß ich Ihnen etwas zu erzählen habe, was Ihren Ohren nicht angenehm sein wird.

[528]
GEORGINE.

Sie haben sich hier eingedrängt, und ich habe jetzt keine Lust, Ihre Erzählung zu hören. Wenn Ihnen das nicht Schweigen auferlegt, so werden Sie wenigstens mir erlauben, Ihre Anwesenheit zu ignorieren Legt sich und liest.

UDASCHKIN
sich setzend.

Nach Belieben. Sie werden um so schärfer hören, je mehr Sie sich den Schein geben, zu lesen. – Zuerst erlaube ich mir, Sie an die Zeit zu erinnern, wo mein seliger Bruder die Torheit beging, Ihnen Georgine Petrowna, seine Hand zu reichen. Damals war ich Ihr Freund, Ihr liebes Schwägerchen Fedor Iwanowitsch, und Sie wissen, daß ich es war, der meinem armen, alten Bruder den Gedanken an eine Vermählung mit Ihnen eingab.

GEORGINE
über das Buch.
Dafür bezahlte ich Ihre Schulden.
UDASCHKIN.

Dafür ließen Sie sich in seinem Testament zur Universalerbin machen, und mir fiel ein kärgliches Legat zu. Ich aber habe den Willen, das zu ändern. – Sie haben den Leichtsinn begangen, die Dokumente und Papiere, durch welche Sie Ihre Ansprüche bei unserm Hofe begründen wollen, in meine Hände gelangen zu lassen.

GEORGINE
verächtlich.
Das ist unwahr, Sie haben mir die Papiere genommen.
UDASCHKIN.

Gleichviel! Ich habe sie jetzt, und es kommt auf mich an, wie ich dieselben gebrauchen werde. Und außerdem, bedenken Sie, was können Sie als Fremde, ohne Schutz, ohne Verbindungen gegen mich durchsetzen, wenn ich als Ihr Feind auftrete? Deshalb schlage ich Ihnen eine Vereinigung vor. Entschließen Sie sich, mich zu heiraten – ich werde Sie alsdann nicht mehr durch meine Gegenwart belästigen, Sie leben in Paris, ich auf unsern Gütern, und Sie sollen jede Sicherheit für ein standesgemäßes Auskommen erhalten. – Sie schweigen, Sie würdigen mich keiner Antwort?Laut. Georgine Petrowna, Sie sind in meiner Hand, und Sie sollen das einsehen.

[529]
GEORGINE
klingelt, zu dem eintretenden Bedienten.
Ein Glas Wasser für den Herrn Fürsten.
UDASCHKIN
wütend.
Nimm das, du Hundesohn, für dein Glas Wasser! Schlägt nach ihm.
GEORGINE.
Der Ärger wird Ihnen schaden, lieber Vetter Fedor Iwanowitsch.
UDASCHKIN.

Weib, reize mich nicht! Wohl weiß ich, auf wen du vertrauest, auf deine geschnürte Puppe, den übermütigen Grafen. Hüte dich, Frau Fürstin! ohne mich fällst du und deine Fürstenschaft zusammen in ein Nichts. – In drei Tagen frage ich wieder nach, vielleicht kommt dir bis dahin die Einsicht; wo nicht, so sollst du, Georgine Petrowna, vergehen, wie dürres Holz im Ofen. Ab.

GEORGINE.

Gehen Sie mit Gott, mein lieber Vetter! – Aufspringend. Gemeiner Bösewicht, ich trotze dir! O fort, fort aus dieser Roheit und Heuchelei, zu ihm, zu ihm in seine freie Luft! – Waldemar, du wilder Falk, dich muß ich zähmen, damit dein Flügelschlag mir die Ratte verjagt! – Aber er ist unzugänglich wie ein Vogel in der Luft. – Vergebens, ihn durch Leidenschaft zu fesseln, er ist gewöhnt, zu genießen und zu verraten. – Ich muß ein Mittel finden, ihn unauflöslich an mich zu ketten. Er muß mich achten, er muß heimisch werden bei mir, und wenn er die Geliebte nicht sucht, muß er eine Freundin, eine Häuslichkeit finden. – Dazu brauche ich den Knaben. – Wenn ich ihm den Knaben entgegenführe und zurufe: Waldemar, das ist dein Sohn, ich erziehe ihn, ich bin ihm Mutter! das muß ihn verwirren, vielleicht wird es ihn rühren. – Vielleicht! Und wenn er sich achselzuckend abwendet mit seinem kalten Lächeln? Ich will dafür sorgen, daß er das nicht mehr kann. – Aber wie das Kind erhalten? Ich darf keinen Schritt tun, das wäre gefährlich. Er, er soll mir das Kind bringen, er selbst soll die Schlinge knüpfen, die ihn fesselt. Vorsicht, Vorsicht, Georgine!


[530] Kammerfrau. Waldemar aus der Seitentür.
KAMMERFRAU.
Der Herr Graf. Ab.
GEORGINE
ihm entgegen.

Willkommen, mein lieber Freund! Ich sehne mich nach einem Menschen, der mich beklagt oder mich auslacht, gleichviel, wenn er sich nur mit mir beschäftigt.

WALDEMAR.

Ich bin bereit, zu lachen oder zu weinen und ganz dem Beispiel Ihrer Augen zu folgen. Ich erhalte dadurch eine Veranlassung, recht lange und tief hineinzusehen.

GEORGINE.

Das war eine recht jugendliche, gefühlvolle Artigkeit. Sie haben heute Kummer gehabt, weil Sie so elegische Töne anschlagen?

WALDEMAR
lachend.
Diese mitleidige Frage erspart mir die Bitte, auch mich zu beklagen: Lovelace ist tot.
GEORGINE
erschrocken.

Lovelace? Das Juwel der Rennbahn, mein schöner, artiger, stolzer Freund! O, das ist traurig! Und ich trage die Schuld, denn um mir einen Tannenzweig zu holen, warfen Sie das Pferd in den Abgrund. – Pfui, Waldemar, das war unrecht, und ich bin Ihnen gram von heute ab, denn Sie haben mich zur Mitschuldigen an dem Verderben eines Lieblings gemacht.

WALDEMAR.
Er starb den Tod eines Helden, ich habe ihn heut früh erschossen.
GEORGINE.

Das ist ein so ernstes Leid, daß ich mit meinem Unglück dagegen nicht aufkommen werde. Und doch habe auch ich Ursache zur Trauer. Was sagen Sie, mein Freund? Fürst Udaschkin hat soeben um meine Hand angehalten.

WALDEMAR
entschuldigend.
Er muß einen Rausch haben.
GEORGINE.

Leider war er sehr nüchtern. – Auf Sie ist er eifersüchtig, wie ein Türke, ich aber bin von ihm abhängig, denn er ist der einzige Verwandte, den ich habe, der einzige Zeuge und Vertreter meiner Ansprüche; außerdem sind wichtige Papiere von mir in seinen Händen.

WALDEMAR.
Die muß er herausgeben.
[531]
GEORGINE.
O wenn Sie das bewirken könnten, Herr Graf! Sie haben Einfluß auf ihn.
WALDEMAR.
Wie der Bärenführer auf seinen Bären, ich muß ihn beständig das Seil fühlen lassen.
GEORGINE.

Schön, schön! und jetzt genug der Klagen, jetzt etwas Leichtsinn und Übermut. Noch um einen Ritterdienst bitte ich Sie, Graf Waldemar.

WALDEMAR.
Befehlen Sie, Frau Fürstin, ich bin bereit, mit Helm und Lanze auszuziehen.
GEORGINE.
Graf Waldemar soll in diesem Stadtteil einen Beutezug machen und mir einen Pagen einfangen.
WALDEMAR.
Einen Pagen?
GEORGINE.

Ja, Page, Groom, Puppe, Spielzeug, was Sie wollen. – Ich fühle mich einsam, Graf Waldemar, und will mich unterhalten, ich will jemand haben, dem ich Zuckerbrot geben kann, der mich küßt, wenn ich es befehle, und den ich schlagen darf, wenn ich übler Laune bin. Dazu brauche ich einen kleinen Jockei, er muß aber noch niedlich sein, so ein sieben, acht Jahre.

WALDEMAR.
Einen Knaben wollen Sie?
GEORGINE.
Ja, mein Graf, und Sie sollen mir den schaffen.
WALDEMAR.

Allah akbar, Gott ist groß, und niemand kann seinem Schicksal entgehen, mein Schicksal aber ist offenbar, Kinderfrau zu werden.

GEORGINE.
Sie zögern, Herr Graf? das ist abscheulich.
WALDEMAR.

Nein, ich überlegte nur, welch unendliches Glück dem Kinde Ihrer Wahl blüht. Entweder füttern Sie ihn in den ersten vier Wochen mit Biskuit zu Tode, und dann ist er glücklich, denn er scheidet in aller Unschuld von dieser sündigen Erde, oder Sie verziehen ihn zu dem nichtswürdigsten kleinen Taugenichts, der jemals einen armen Hausfreund gebissen und gekratzt hat.

[532]
GEORGINE
lachend.

Vortrefflich! Ich sehe schon, wie er an Ihnen selbst hinaufklettert und Ihre Haare rauft. Fröhlich. Allerliebst!

WALDEMAR.

Läßt sich diese wünschenswerte Szene aber nicht durch andere Mittel herbeiführen? Wäre nicht ein Papagei ebensogut?

GEORGINE.
Nein.
WALDEMAR.
Oder zwei Sympathievögel?
GEORGINE.
Nein.
WALDEMAR.
Oder ein kleiner Affe?
GEORGINE.

Nein, nein, nein. Es muß ein Kind sein, ein hübscher, kräftiger Junge mit Bausbacken und lockigem Haar. – Und im Vertrauen, ich habe schon einen im Anschlage.

WALDEMAR.
Das hätte ich vermuten können.
GEORGINE.

Ich fuhr neulich durch die Gartenstraße, da sah ich ein Kind, einen kleinen Engel, ganz meine Sehnsucht. Ich frug nach seinen Angehörigen – er ist eine Waise – und wird bei dem Gärtner Hiller erzogen.

WALDEMAR
betroffen beiseite.
Ha! Was ist das? Wenn das Zufall ist, so sind wir die Knechte seiner Laune! – Das ist seltsam.
GEORGINE
beiseite.
Er ist betroffen, er weiß von dem Knaben. – Was ist seltsam, mein Freund?
WALDEMAR.

Ich habe heut bereits von demselben Kinde gehört. – Beiseite. Und das Mädchen selbst erzieht den Knaben, was bedeutet das wieder?

GEORGINE.

Und wissen Sie, warum mir der Knabe so gefiel? Liebevoll. Es war wohl eine Torheit, aber er sah Ihnen ähnlich, mein lieber Freund.

WALDEMAR.
Es ist doch nur ein Zufall! Gut, Frau Fürstin. Sie sollen den Knaben erhalten, wenn es möglich.
GEORGINE.

Das ist herrlich, und ich danke Ihnen im voraus. Wenn Graf Waldemar etwas verspricht, so ist es bereits getan.

[533]
WALDEMAR
aufbrechend.
Und wann darf ich Sie wiedersehen?
GEORGINE.

Himmel! Ich tändle mit Bagatellen und vergesse, daß ein ernstes Schicksal über mir schwebt. Mein Freund, mein lieber Freund, ich darf Sie in der nächsten Woche nicht öffentlich empfangen.

WALDEMAR.

Georgine! Das wäre grausam. Ich verstehe nicht ganz die Abhängigkeit, in welcher Ihr Wille von dem eines gemeinen Toren steht, aber es versteht sich, daß ich ihn respektiere. Muß ich Sie aber ganz entbehren, weil ich bei Ihrer Tür nicht vorfahren darf? Meine Freundin, ich kann Ihre liebenswürdige Laune nicht mehr missen.

GEORGINE.

Entbehre ich nicht auch, wenn Sie mir fern sind? Und doch Nach dem Fenster sehend. ich weiß nicht, wie zu helfen.

WALDEMAR.
Wohin endet der Garten?
GEORGINE.

In eine Seitengasse der Vorstadt. – Ich verstehe Sie, Herr Graf, und ich bekenne Ihnen ohne Erröten, daß ich für mich die Gefahr nicht fürchte, welche in solch stillem Besuch liegt. Aber der Fürst und meine eigenen Leute, auf die ich mich nicht verlassen kann –

WALDEMAR
fein.
Die Tage nahmen ab, es wird früh dunkel.
GEORGINE
mit Empfindung.
Waldemar! Pause. Wohlan, es sei! Schüchtern. Hier ist der Schlüssel zur Gartenpforte.
WALDEMAR
ehrerbietig.

Dank, Georgine. Lassen Sie uns aber als treue Verbündete die Waffen tauschen. Es könnte wohl geschehen, daß Sie mir eine Botschaft zu senden hätten, welche nicht die Loge meines Portiers passieren darf, haben Sie die Gnade, diesen Schlüssel Ihrer Kammerfrau zu übergeben, er öffnet die Tür meines Gewächshauses, von ihm führt ein bedeckter Gang zu meinen Privatzimmern.

GEORGINE
den Schlüssel schnell ergreifend.

Ich werde dies Pfand [534] des Vertrauens selbst bewahren. Und jetzt, Waldemar, leben Sie wohl! Legt die Hand auf seine Schulter, sieht ihn an.

WALDEMAR
leise.
Und wenn darf ich kommen?
GEORGINE.
Heut abend um neun Uhr erwarte ich Sie beim Tee. Meine Kammerfrau wird Sie zu mir führen.
WALDEMAR.
Ich komme, Georgine. Ab.
GEORGINE
allein, ihm nachsehend.

Ich habe ein hohes Spiel gespielt und ich habe gewonnen. – Der Knabe und dieser Schlüssel. Jetzt, Graf Waldemar, bist du mein! Ab.


Udaschkin, dann Kammerfrau.
UDASCHKIN
vom Hintergrund hereinkommend, sieht sich vorsichtig um, geht an die Tür links, klopft leise, Kammerfrau tritt heraus.
Graf Schenk war hier.
KAMMERFRAU.
Er war hier, gnädigster Herr.
UDASCHKIN.
Was wurde gesprochen?
KAMMERFRAU.

Sie sprachen vieles vom gnädigen Herrn, und der Herr Graf versprach, die Frau Fürstin gegen den Herrn zu schützen, er wolle Pan Fedor Iwanowitsch zwingen, Papiere herauszugeben.

UDASCHKIN.
Der Lasse! – Was weiter?
KAMMERFRAU.
Endlich ging es über den neuen Pagen.
UDASCHKIN.
Dummheit!
KAMMERFRAU.
Zuletzt gab ihm die Pana den Schlüssel zur Gartentür.
UDASCHKIN.
Du Hund! Schon so frech! Weiter, weiter.
KAMMERFRAU.
Heut abend um neun Uhr soll ich ihn erwarten.
UDASCHKIN.
Du wirst ihn erwarten, aber er wird nicht hereinkommen.
KAMMERFRAU.
Was will Pan Fedor Iwanowitsch tun? Es wird ein Unglück geben, und auf mich wird die Schuld fallen.
UDASCHKIN.

Sei ruhig, Täubchen. Hier das leg' auf deine Zunge. Gibt ihr Geld. Fort! Kammerfrau ab. Udaschkin nach dem Hintergrund, rufend, mit unterdrückter Stimme. Gregor! Senka!


[535] Gregor, noch ein Diener.
GREGOR
sich verneigend.
Was befiehlt Deine Erlaucht?
UDASCHKIN.
Leise, ihr Schlingel! Ich will jemanden prügeln lassen, meine Söhnchen!
GREGOR.
Soll geschehen, Väterchen Fedor Iwanowitsch.
UDASCHKIN.
Es muß geschehen, eins, zwei, drei! Er darf nicht wieder aufstehen.
GREGOR.
Wir verstehen. Meinst du so? Zeigt demütig ein Messer.
UDASCHKIN.

Nein, Kinderchen, das macht zu viel Geschrei. – Laßt das Eisen an eure Stöcke schlagen, so tut's denselben Dienst und 's bringt mehr Schande und weniger Bedauern.

GREGOR.
Gut. Aber das ist gefährlicher Verdienst. Was soll aus uns werden?
UDASCHKIN.

Ich schaff' euch heut eure Pässe, morgen seid ihr auf dem Wege nach Hause. Fort mit euch, ihr Enkel eines Fuchses! Um halb neun erwarte ich euch in meiner Wohnung, ihr müßt euch verkleiden. Diener ab. – Du tadelst meine Röcke, du willst den Marder spielen in meinem Hühnerhofe. Hüte dich, Graf Waldemar, du sollst in den nächsten Wochen nicht daran denken, mir Dokumente abzutrotzen. Heut wird der Tanzbär dir zum Tanz trommeln!

2. Szene
Zweite Szene.
Garten. Im Hintergrund Gartenmauer mit einer offnen Tür, welche auf die Straße führt. An der Tür eine Glocke. Links zur Seite der Eingang zum Wohnhause. Abendlicht.
Frau Box, Gertrud kommen aus dem Hause.

FRAU BOX.

Heut habe ich ihn wieder gesehen. Ein großer Mann mit einem Schnurrbart, so lang, – er schlich sich auf den Hans zu, der vor der Tür spielte. Hier stand der Hans und [536] spielte, und so schlich sich der fremde Mann zu ihm heran und lockte den Hans, wie man eine Henne lockt: putt, putt, und hielt ihm eine Brezel hin.

GERTRUD
lachend.
Was Sie sagen! Vielleicht gefiel ihm der Hans, und es war nur Freundlichkeit.
FRAU BOX.

I Gott bewahre! Freundlich sah er nicht aus, und er hatte auch einen Mantel um, recht wie ein Ausländer. Es war ein Gauner, liebe Gertrud, und Sie mögen den Hans in acht nehmen, das habe ich gesagt, und ich kenne die Welt.

GERTRUD.

Ich danke Ihnen, Frau Box, ich will den Hans hüten, so sehr ich kann. Aber wer könnte auch etwas von unserm Knaben wollen?

FRAU BOX.

Ach! Die Welt ist arg, und es geschehen ungeheure Verbrechen gegen die unschuldigen Kin der. Nun, gute Nacht, es ist Feierabend, die Arbeiter gehen nach Hause. Gottes Segen über jeden, der eine Heimat hat und ein Obdach zur Nacht! Und wem's daran fehlt, dem möge der Herr beides bescheren. Gute Nacht!

GERTRUD.

Gute Nacht, Frau Box, vergessen Sie Ihre Nachbarin nicht! Frau Box ab, Gertrud bleibt an der offnen Tür stehen.


Rosa geht vorbei.
ROSA
an der Tür stehen bleibend.
Guten Abend, Gertrud!
GERTRUD.
Willkommen, Röschen, wo kommst du her?
ROSA.
Habe Milch geholt zum Abend. – Morgen ist Refourcentanz im Löwen, kommst du hin?
GERTRUD.
Nein, lieber Schatz, du weißt, ich tanze nicht, aber meine kleine Rosa wird dort sein.
ROSA
froh.
Ja, Gertrud, der Wilhelm Schwarz kommt auch hin.
GERTRUD.

Ah so, der Wilhelm! – Höre, Rotbäckchen, dann wirst du dich wohl aufs beste putzen; wenn du Blumen brauchst, weißt du, wo welche zu haben sind. – Aber jetzt sage guten Abend, sonst schilt deine Mutter. – Rosa ab.


[537] Arbeiter Bose geht vorüber.

Guten Abend, Bose! Wie geht's Euch, lieber Mann?
BOSE
herantretend.

Na, so so, Mamsell Gertrud. Seit meine Selige tot ist, will's nicht recht gehen. Man plagt sich den ganzen Tag, wie ein Lasttier, und wenn man abends nach Hause kommt, ist die Stube finster und der Herd kalt, und die Kinder verwildern bei dem Leben.

GERTRUD.

Ja, es war ein großes Unglück für Euch! Aber Klagen hilft nicht, seht nach vorwärts, Mann, Ihr müßt wieder heiraten.

BOSE.
Ja, wenn sich nur jemand fände.
GERTRUD.

Ei, Mädchen gibt's genug, und Ihr seid ein ordentlicher Mann. Ihr müßt nur etwas auf Euch halten. Seht her, hier ist ein großes Loch in der Jacke. Immer hübsch akkurat im Anzug, das haben wir Mädchen gern, und ein ordentlicher Rock gibt dem Menschen Freude an sich selbst und Freude am Leben.

BOSE
lächelnd.
Sie haben immer recht, liebe Mamsell, und mit dem Heiraten, das will ich mir bedenken.
GERTRUD.

Gute Nacht, Bose. Hört, Nachbar, morgen ist Sonntag, da schickt Eure Kinder zu mir, wir wollen sie über den Abend behalten.

BOSE.
Ich danke, liebe Mamsell. Ab.

Hans Hacke und Korb tragend, hinter ihm Hiller von der Seite.
HANS
wirft Hacke und Korb weg, läuft auf Gertrud zu.
Tante Gertrud!
GERTRUD
sich zu ihm niederbeugend.
Mein Johannes, jetzt gehörst du mir ganz!
HILLER.

Du Wildfang, wer wird das Gerät in den Weg werfen! Guten Abend, meine Tochter! – Der Maulwurf stößt auf, es wird Regen geben; alle Kreatur sehnt sich danach, die Pflanzen dürsten. – Geh', Hans, suche Birnen in den Korb. Hans ab.

GERTRUD.
Bist du müde?
[538]
HILLER.

Das Alter drückt, nicht die Arbeit. – Es soll mich wundern, ob die Noisettes morgen aufblühen, meinst du nicht auch?

GERTRUD.
Was, Vater?
HILLER.
Du hörst mich nicht, du bist in Gedanken.
GERTRUD.
Ich dachte an den Hans, und daß er jetzt uns allein gehört.
HILLER.

Und ich an unsere Rosen. Man wird haushälterisch mit seinen Gedanken, wenn man alt wird. Laß uns jeden Tag für das Kleine sorgen, was gerade not tut, dann kommt uns das Größere von selbst. Der Hans gedeiht, der Kohl gerät, und dem Maulwurf stell' ich morgen seine Falle. So ist alles in Ordnung.

GERTRUD.

Ich habe heut einen andern Menschen gesehen der war so verschieden von uns. Er lacht, wo wir weinen, er verspottet, was uns heilig ist, das tut mir weh.

HILLER.

Hinweg mit den traurigen Gedanken! Du weißt, ich ärgere mich nicht gern, und vollends am Feierabend nicht. Darum sei fröhlich, Gertrud, tue deine Pflicht und gib mir mein Abendbrot.

GERTRUD.
Du hast recht, Vater. Beide ab. Es wird dunkel.

Waldemar.
WALDEMAR.

Hier wohnt sie – und sie selbst erzieht den Knaben! Ist das ein seiner Anschlag auf meine Börse? – Nein, das ist es nicht. Sie stand vor mir so stolz und mit einem Anstrich von Begeisterung, wie eine Seherin aus der Zeit, wo man es liebte, Eicheln zu essen; mir war, als hörte ich einen Eichwald hinter ihr rauschen; sie ist keine Betrügerin. Doch was kann sie sein? Eine Schwärmerin – bürgerliche Religiosität, frommes Pflichtgefühl, das ist es, – um so unbequemer für mich. – Du lockst mich, schönes Rätsel, und ich will dich lösen, so wahr ich ein unbußfertiger Sünder bin! – – Und die Fürstin, wie kommt sie gerade auf dieses Kind?

[539]
HANS
von der Seite anmarschierend, legt seinen Stock auf ihn an.
Halt! wer da?
WALDEMAR.
Memento mori! Das ist der laufende Wechsel, den ich akzeptieren soll.
HANS.
Steh' still, oder ich schieße!
WALDEMAR.
Nein, du steh' und nenne deinen Namen, mein junger Held.
HANS
den Stock wegwerfend.
Ich heiße Hans Waldemar.
WALDEMAR.
Da haben wir's. – Nun, ich brauche mich seiner nicht zu schämen.

Sie betrachten einander.
HANS
ihm gegenüberstehend, die Hände in den Höschen.
Was siehst du mich denn so an?
WALDEMAR.

Die Stimme der Natur in meiner Brust schweigt recht verstockt – aber es ist ein frischer Gesell. – Du gefällst mir, kleiner Mann.

HANS.

O du gefällst mir auch. Holt einen leichten Gartenstuhl. Hier setze dich und warte, bis die Tante kommt. Es dauert nicht lange.

WALDEMAR
sich setzend.
Der alte und der junge Meerkater aus der Hexenküche. Hans, du sollst mich unterhalten.
HANS.
Willst du einen Apfel haben? Nimm, ich schenk' ihn dir.
WALDEMAR.
Das ist mein Sohn. – Ich danke dir.
HANS.

Willst du nicht, so ess' ich ihn selber. Die Kerne samml' ich mir. Wenn ich einen Haufen habe, so gebe ich sie dem Großvater, der steckt sie in die Erde, da werden Bäume draus, so groß. Für einen Haufen Kerne schenkt mir der Großvater zwei Pfennige, die tu' ich in die Sparbüchse.

WALDEMAR.
Er spart – das ist meine Junge nicht.
HANS
eifrig.

O ich kann schon lesen, Tante Gertrud lehrt mich's. Hinten im Buch ist ein Hahn, der kann krähen; wenn ich die Woche fleißig gelernt habe, kräht er mir Sonntags einen [540] Pfennig aus. – Schelmisch mit der Hand drohend. O ich weiß, der Hahn kräht nicht, den Pfennig legt mir Tante Gertrud in das Buch.

WALDEMAR.

So? – Du fängst sehr früh an, dir die süßen Täuschungen des Lebens zu zerstören. Darin wenigstens erkenne ich eine Verwandtschaft mit mir. Du hast volles Haar, mögen deine Locken sich länger kräuseln als die deines – Gastes. – Auch reinlich sieht er aus, er macht seinen Pflegeeltern keine Schande. Hans drängt sich an ihn. Hör', Hans, grüße den Hahn in deinem Bilderbuch, und leg ihm den Pfennig in den Schnabel Gibt ihm einen Dukaten.


Gertrud ist während der letzten Rede aus dem Hause gekommen.
GERTRUD
erschüttert.
Was seh' ich!
HANS
das Geld betrachtend.
Ein gelber Pfennig. – Tante Gertrud, sieh, was ich hier habe.
GERTRUD
sich zu ihm beugend.
Einen Dukaten. Gib dem Herrn das Geld zurück, sage ihm, du hast, was du brauchst.
HANS.
Da, Mann, nimm zurück, ich habe, was ich brauche, ich schenke dir's wieder.
GERTRUD.
Geh' in die Stube, Hans, zum Großvater.
HANS.
Ich gehe. Gute Nacht, Mann Ihm die Hand reichend. ich habe, was ich brauche, gute Nacht.Hans ab.
WALDEMAR
ohne Empfindlichkeit.

Warum bestreiten Sie mir das Recht, den Kleinen zu beschenken, da Sie mir doch heut früh größere Rechte über ihn einräumen wollten?

GERTRUD.

Noch weiß ich nicht, ob der Herr Graf den Willen hat, diese Rechte anzuerkennen. – Und doch, Sie sind hier, welcher andere Grund kann Sie zu uns geführt haben?

WALDEMAR.

Wohl, ich bin geneigt, den Teil dieses jungen Lebens, welcher etwa mir angehört, in Anspruch zu nehmen.

GERTRUD.
O dann Gottes Segen über Sie und diese Stunde!
WALDEMAR.
Und so habe ich in meiner Weise bereits über das Kind verfügt.
[541]
GERTRUD
schmerzlich.

Verfügt? – Herr Graf, als ich nach langem Zögern den Entschluß faßte, Ihnen auszusprechen, daß Sie Pflichten gegen unsern Johannes hätten, sagte ich mir auch, daß Sie dadurch das Recht erhielten, über das Schicksal des Kindes zu entscheiden. Es wurde mir sehr schwer, auch darein mich zu fügen, aber es ist Ihr Recht, sprechen Sie, ich bin bereit zu gehorchen.

WALDEMAR.

Es freut mich, schöne Gertrud, daß Sie so empfinden, das Verständnis wird uns jetzt leicht werden. – Eine Freundin von mir, die Fürstin Udaschkin, sucht einen Knaben; sie hat das Kind schon gesehen und wünscht es zu besitzen. Ich habe die Absicht, ihr den Kleinen zu übergeben, und bitte um ihre Zustimmung.

GERTRUD.

Eine Fürstin? eine Fremde? – O mein Gott, was wird sie aus dem Hans machen? Alle Stauden, die wir blühend und gesund in die großen Säle leihen, nach wenig Stunden sind sie in der heißen Stubenluft verwelkt und siechen dahin. O mein Knabe, mein armer Knabe!

WALDEMAR.
Dieser Schmerz dauert mich, mein Fräulein, er macht Ihrem Herzen Ehre.
GERTRUD.

Nicht auf mich kommt es an, und was ich fühle. Der Knabe, Ihr Sohn, sein Glück ist es, um das ich sorge. Ist die Fürstin eine gute Frau?

WALDEMAR.
Sie ist gütig, wo sie liebt.
GERTRUD.
Wird sie den Kleinen lieben, für sein Gedeihen sorgen, ihn lehren selbst, was Recht und Unrecht ist?
WALDEMAR.
Ich hoffe, sie wird es.
GERTRUD.

Aber seine Zukunft? Es ist ein Unglück für verlassene Kinder, von reichen Leuten erzogen zu werden. Sie lernen viel gebrauchen und viel für sich fordern, und wenn ein Zufall ihnen die künstlichen Stützen nimmt, so stehen sie schwach und kränklich, und jeder Windstoß zerbricht sie. – Will die gnädige Frau das Kind als ihr eignes annehmen und [542] dafür sorgen, daß seine spätere Zukunft so prächtig wird, wie seine Erziehung?

WALDEMAR.
Das, mein Fräulein, weiß ich nicht.
GERTRUD.

O dann erbarmen Sie sich des Kindes, erbarmen Sie sich meiner, und verschenken Sie den Hans nicht. Sehen Sie ihn an, er ist gesund an Leib und Seele, er ist gewiß noch sehr unwissend, aber er hat ein gutes Gefühl für alles, was brav und schön ist. Lassen Sie den Knaben mir; wenn er so fortwächst, Sie können aus ihm machen was Sie wollen, er wird keinem Stand Unehre bringen, er wird fröhlich, er wird arbeitsam sein, er wird sich mit wenigem begnügen, o lassen Sie den Knaben mir! – Ich will ihn noch sorgsamer pflegen, seine Lehrstunden will ich verdoppeln, damit er schneller vorwärts kommt, denn es ist wahr, im Schreiben ist er noch zurück, aber er rechnet schon gut. – Ich will ihn auch recht sauber und zierlich kleiden, wenn Ihnen das Freude macht, aber ich beschwöre Sie bei allem, was Ihnen lieb ist, lassen Sie den Knaben mir.

WALDEMAR.

Sie vergessen, Fräulein, daß ich jetzt die Pflicht habe, nach meiner Einsicht über den Knaben zu bestimmen.

GERTRUD
sich abwendend.
Ja, Sie sind sein Vater, und ich – bin seine Mutter nicht.
WALDEMAR.

Wenn ich hier störrig bleibe, so verfluchen mich alle Geschöpfe, die jemals Vater- und Muttergefühl verspürt haben. In allen Ammenmärchen werde ich als Oger, als Ungeheuer eingeführt, die Sperlinge auf der Straße hacken in mich herein, und die Katzen ringen unter den Backöfen weinend die Pfoten über meine Ruchlosigkeit. – Ich muß ihr den Knaben lassen, das ist klar. – – Mein Fräulein, Sie empfinden sehr warm für das Kind fremden Leichtsinns.

GERTRUD.

Es ist mir nicht fremd, es ist verwachsen mit meinem Leben. – Finster. Wann sollen wir Ihren Sohn der Dame übergeben?

[543]
WALDEMAR.

Nein, bei Gott, Sie sollen ihn behalten. Ich wäre das, wofür Sie mich in diesem Augenblick halten, ein herzloser Bösewicht, wenn ich darauf bestünde, ihn aus einer solchen Heimat zu reißen.

GERTRUD.

Wie? Sie nehmen uns den Hans nicht? Sie lassen ihn in meiner Pflege? O das ist gut, das ist edel, ich danke Ihnen, Herr Graf. Will ihm die Hand küssen.

WALDEMAR.

Nicht so, um Gottes willen, das wäre eine Demütigung für mich. – Hören Sie mich an, Gertrud. Ich habe durch meinen Sekretär die nötigen polizeilichen Notizen gesammelt und in meinem Gedächtnis das Wenige, was sich darin vorfindet, zusammengesucht. Ich habe die Ansicht gewonnen, daß Ihr Pflegesohn allerdings einige Rechte an mich haben mag. In Ihre Hände leg' ich diese Rechte nieder, mit Ihrem Vater will ich das etwa Nötige besprechen, Ihrem Rat, Ihrer Leitung vertraue ich die Zukunft des Knaben, ich werde mich in allem durch Ihr Urteil bestimmen lassen.

GERTRUD.

So ist es rechte; das ist wohlwollend und ehrlich, und ich bitte Sie herzlich, mir zu verzeihen, daß ich Sie lange Zeit ungerecht beurteilt habe.

WALDEMAR
beiseite.

Gutes Mädchen, sie bittet mich um Verzeihung. – Noch eine Frage. Die Fürstin interessiert sich für dies Kind, glauben Sie, daß irgend ein Gerücht über meine Stellung zu dem Knaben ihr Ohr erreicht hat?

GERTRUD.

Das glaube ich nicht. Nie hat mein Vater, nie habe ich ein Wort gegen die Nachbarn geäußert; ich weiß nur, daß sich vor einigen Jahren ein häßliches Geschwätz verbreitet hatte, aber es verschwand wieder.

WALDEMAR.
Und was war das?
GERTRUD.

Es war nichts, es traf nicht Sie, nur mich ging es an. Es war eine Verleumdung, die mir damals Tränen gekostet hat. Aber ich konnte mich rechtfertigen; es wohnen noch Leute hier, welche die Mutter des Kindes gekannt haben.

[544]
WALDEMAR.

Von dieser ein andermal. Ich mühe mich vergebens, ihre Person, ihr Wesen mir lebhaft vorzustellen, aber das Bild der Armen verschwimmt mir auf seltsame Weise mit dem Gesicht und Wesen einer andern Dame, mit der ich befreundet bin. – Doch es wird spät, und mich ruft ein Versprechen ab. Ich kam her mit kalter Gleichgültigkeit gegen die neue Beziehung meines Lebens, und ich scheide voll Bewunderung von dem, was ich hier gefunden. Gertrud, es ist meinem Stolz peinlich, Ihnen gegenüber klein und herzlos dazustehen. Ich möchte gegen Sie, die Ehrliche, wenigstens das Selbstgefühl der Aufrichtigkeit behaupten, und deshalb gestehe ich Ihnen, daß ich noch jetzt für den Knaben wenig Pflichtgefühl in mir trage; was ich tue, geschieht, weil ich für Sie Hochachtung empfinde und Ihnen gefallen will.

GERTRUD.
Wie können Sie dem Hans gut sein? Sie sind ihm ja fremd. O Sie werden ihn einst lieben!
WALDEMAR
lächelnd.

Ich will mich mühen, da es Ihnen Freude macht. Deshalb aber möchte ich den Knaben von Zeit zu Zeit sehen. Wird mir seine holde Pflegerin erlauben, zuweilen in die stille Häuslichkeit dieses Raumes einzudringen, um ihren Liebling und sie selbst zu finden? Gertrud steht nachdenklich. Sie schweigen? Sie müssen mir den Wunsch versagen? Wohl sehe ich ein, daß ich noch kein großes Recht habe, diese Bitte zu tun.

GERTRUD.

Sie haben das Recht, Ihren Sohn zu sehen, so oft Sie wollen, das Recht muß über jede Rücksicht gehen. So oft Sie deshalb kommen, werden Sie meinem Vater und mir willkommen sein.

WALDEMAR.

Ich freue mich auch dieser zögernden Erlaubnis. Ich bitte Sie, mir die Hand zu reichen, als ein Zeichen der Versöhnung zwischen uns.

GERTRUD.

Hier ist sie, Herr Graf; ich danke Ihnen für den Johannes und dafür, daß Sie so gütig zu mir gesprochen.

[545]
WALDEMAR.
Ich möchte etwas tun, mir Ihre Freundschaft zu erringen.
GERTRUD
die Hand wegziehend, freundlich.
Lieben Sie den Knaben! Ab in das Haus.
WALDEMAR
allein.

Da hätten wir so ein kleines liebenswürdiges Stück Erdenleben ganz in der Nähe. Alle Freuden, Sorgen und Pflichten sauber und ordentlich zurechtgelegt, wie Kleider in einer Truhe, ein recht weißgewaschenes Gewissen oben darauf, und das Ganze mit Lavendel und Weinlaub bestreut. – Was ist dabei so Großes? Es ist die notwendige Beschränkung eines kleinen Lebens. Was die Leute an dem Knaben taten, ist gar nicht Besonderes, das kommt oft vor; was ist darüber zu staunen? – Und doch – mein lieber Waldemar, fühle ich eine leise Röte auf deinen Wangen; ich will hoffen, daß sie nicht etwa Scham ist, Scham vor dir selbst. Hinweg mit dem Spott! hier hilft er mir nichts. Bei allen Göttern, sie hat ein großes Herz, und ich stehe klein vor ihr. Sie erzieht meinen Sohn, den ich verleugnete, sie weiht ihr Leben einer großen Pflicht, die jedenfalls mir näher liegt, als ihr, sie hat Verleumdung erduldet, Opfer gebracht, und ich, ich will meine väterliche Autorität gebrauchen, dasselbe Kind wegzuschenken als einen Spielball seltsamer Frauenlaune. – Pfui über dich, mein Herr Graf, das muß geändert werden. – Als irgend ein blöder Narr sie wegen des Kindes verleumdete, da hat sie geweint. Das freut mich, denn das wenigstens war eine Schwäche von ihr. – Entweder wird mir das Mädchen noch sehr lästig, oder einiges an mir selbst wird mir zuwider. – Jetzt aber hinweg mit der Würde des Familienvaters, und ihr, schelmische Geister des Leichtsinns und fröhlicher Trunkenheit, geleitet mich in die weißen Arme der Freundin! Trällert: une robe legère etc., ab. Es ist finster geworden.


Gertrud. Hiller.
HILLER
von der eiligen Gertrud herausgezogen.
Was hast du, meine Tochter, wen soll ich sehen?
[546]
GERTRUD.
Er ist fort. – Vater, er war hier.
HILLER.
Wer?
GERTRUD.
Er, der Vater unseres Johannes.
HILLER.
Und was wollte er?
GERTRUD.

Er will uns den Hans lassen, er will für das Kind tun, was wir ihm raten, er will manchmal zusehen, wie es dem Kleinen geht. Beim Abschied bot er mir die Hand und dankte.

HILLER.

Siehst du, so ist alles gekommen, wie wir dachten, und ohne große Mühe. Ich habe dir immer gesagt, er ist nicht böse, er ist gewiß ein so braver Mann wie andere, er ist nur reich und vornehm, und deshalb müssen wir einige Nachsicht mit ihm haben.

GERTRUD.
Nachsicht, Vater?
HILLER.

Freilich, denn genau genommen, sind alle die vornehmen und reichen Leute nur unsertwegen da. – Wer würde uns die Kamelien abkaufen, oder unsern feinen Savoyerkohl, oder die Frühschoten, wenn es keine Reichen gäbe? Wir haben den Vorteil davon, ein gesundes, kräftiges Leben, sie leiden darunter, denn sie essen sich Leib und Seele krank. Deshalb tun sie mir leid, sieh und deshalb halte ich ihnen vieles zu Gute.

GERTRUD.

Ebensogut kann das Rehkalb sagen, daß der Mond nur deshalb am Himmel hängt, ihm den Weg zum Saatfeld zu erleuchten.

HILLER.

Und das Reh hat auch recht. Jeder ist da für alle andere, und der eine Die Mütze lüftend. in uns allen. Gute Nacht, Gertrud, schließe die Tür – und, mein Kind, denke heut nicht mehr an den Grafen.Ab.

GERTRUD
allein, schließt die Tür an der Gartenmauer.

Das war ein wichtiger Tag für uns alle, fing mit Regen an und endete mit Sonnenschein. Nun, der Hans kann sich freuen, er hat einen stattlichen Vater gefunden. Und böse ist er auch nicht, [547] er läßt sich bedeuten; man kann doch ein Wort mit ihm reden und ihm Vorstellungen machen; so lieb' ich's. – Wo er jetzt schwärmen mag? Für Seinesgleichen fängt das Leben erst recht an, wenn die Sterne am Himmel stehen; da stecken sie in vergoldeten Stuben hundert Lichter an und schwirren wie die Motten herum; unterdes schlüpfen wir Tagvögel in das Nest und schlafen aus. – Umkehrend. Möge sein Schlaf erquickend sein, denn er hat heut ein gutes Werk getan. Ab.


Pause. Es läutet an der Gartentür.
Waldemar, dann der Wächter von außen.
WALDEMAR
gepreßt.
Gertrud! Läutet.
STIMME DES WÄCHTERS
herbeikommend.
Was wollt Ihr an dem Hause? Hier wohnen ruhige Leute.
WALDEMAR.
Einen Strauß will ich holen für meine Jungfer Braut.
WÄCHTER.
Ihr könnt ja nicht gerade stehen, Mann, geht nach Hause.
WALDEMAR.

Würdiger Nachtwächter – ich komme von einem lustigen Schmause – ich will mir einen Kranz kaufen. – Ich bitt' Euch, nehmt dies Geld und geht zum Teufel.

WÄCHTER.
Sie sind nicht in der rechten Verfassung, lieber Herr.
WALDEMAR.
Gute Nacht – geh' zum Teufel! Wächter entfernt sich, Waldemar läutet.

Gertrud mit Leuchte.
GERTRUD.
Wer läutet so ungestüm? Wer will herein?
WALDEMAR.
Der Vater des Knaben.
GERTRUD
zurückfahrend.
Ha, er!
WALDEMAR.
Öffnen Sie, Gertrud!
GERTRUD.
Nein!
WALDEMAR.

Gut, so bleibe ich draußen liegen, bis mich morgen früh die Leute finden. – Es ist keine Poesie mehr im Volke.

[548]
GERTRUD
steht unentschlossen, endlich öffnet sie rasch, Waldemar tritt wankend ein, Gertrud ihm die Leuchte entgegenhaltend.
– Gerechter Gott, wie sehen Sie aus!
WALDEMAR.

Wie Wilhelm, als er Leonoren heimführte. Auch ich habe einige Anwartschaft auf den Kirchhof. – Führen Sie mich zur Bank, Gertrud.

GERTRUD.
Entsetzlich, Sie bluten!
WALDEMAR.

Bah, ein ganz kleiner Stich, eine Wespe sticht herzhafter. Ruhig, Mädchen, schließen Sie die Tür. Kommen Sie näher, ich bin in der Stimmung, leise zu sprechen. Ich wurde von Schurken überfallen – nein, es waren keine ehrlichen Straßenräuber, es war ein guter Freund darunter – ich habe ihn erkannt, obgleich er sich herausgeputzt hatte, wie eine Nachteule. – Ich rang mich los und ich glaube, ich wäre ihrer Meister geworden, da erhielt ich zum Abschied einen Stich in Arm und Seite. Es ist nichts Großes; der mich stach, war gar zu feig.

GERTRUD
ihn haltend.
Bleiben Sie still, das Sprechen greift Sie an. Ich hole Hilfe.
WALDEMAR.

Warte noch. – Nach meiner Wohnung ist weit, meine Leute dürfen mich so nicht sehen – ich muß den Skandal vermeiden. – Ich dachte an Sie, Gertrud, mir war, als gehörte ich hierher – rufen Sie Ihren Vater, sonst niemand. – Es schmerzt nicht, es kitzelt nur, wie ein Blutegel. – Auch ist Profit dabei, es erspart einen Aderlaß. – Mich dürstet – Wasser – bah! das tut mir noch nichts. Wasser her – hier will ich bleiben. Fällt um.

GERTRUD.
Unseliger Mann! – Vater, Vater, zu Hilfe, er stirbt!

3. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Garten wie in der vorigen Szene.
Waldemar sitzt in einem Lehnstuhl und schläft. Hans still zu seinen Füßen, wehrt ihm mit einem Zweig die Fliegen ab. Pause. Gertrud kommt aus dem Hause.

HANS
geheimnisvoll.
Er schläft!
GERTRUD.

Die frische Luft hat ihn müde gemacht. Geh, kleiner Wildfang, und tummle dich hinten im Garten, ich werde hier bleiben. Hans leise ab, Gertrud sich über den Schlafenden beugend. Wie still und fromm er aussieht – ein edles Angesicht, und die Haut so rein und weiß, meine Hand ist recht rot dagegen. Und welch feine Wäsche er trägt! – Er ist hier wie aus einer anderen Welt zu uns verschlagen. – Ah, er regt sich Tritt hinter den Stuhl.

WALDEMAR.
Wo bist du, mein kleiner Hans? Ich fühlte deinen Kopf an meinem Knie.
GERTRUD.
Hans ist fortgeflogen, die lustige Hummel. Aber es ist doch jemand hier.
WALDEMAR.
Mein holder Arzt! Will ihr die Hand reichen.
GERTRUD.

Still, bleiben Sie sitzen, ich vertrete Hansens Stelle, ich will Sie unterhalten, denn Sie dürfen nicht viel sprechen. – Sie schliefen recht fest.

WALDEMAR.

Dafür halte ich mich jetzt für genesen. Jeder Windeshauch vermehrt meine Kraft, ich fühle die Wellen der Luft, sie kommen von euren Beeten und schlagen an mich, als säße ich im Bade, und aus jeder ziehe ich neues Leben. – Ich könnte laufen und springen, wie ein Gesunder.

GERTRUD.

Nein, nein, noch nicht, Sie müssen den Arm nicht so heben Ihn zum Sitzen zwingend. Gehorsam, mein Patient!

WALDEMAR.
Liebe Gertrud, wie soll ich Ihnen danken!
[550]
GERTRUD.

Da ist nichts zu danken. Wir hätten dasselbe jedem tun müssen, der so zu uns gekommen wäre. Bei Ihnen aber verstand sich das vollends von selbst. Sie sind uns ja kein Fremder. Viel haben wir von Ihnen gesprochen, und so oft ich Sie sah, sagte ich zu mir: wenn er wüßte, wie sehr du dich um ihn kümmerst! – Und aus dem Hans suchte ich heraus, worin er seinem Vater ähnlich wäre; wenn er wild und unartig war, dachte ich: das hat er von seinem Vater. – Nun, Sie nehmen das nicht mehr übel. – Und wenn er recht kluge Fragen tat, dachte ich auch: das hat er von seinem Vater, der hat ein scharfes, glänzendes Auge. – So waren Sie uns nicht fremd, und jetzt ist mir so, als wären Sie ein alter Freund.

WALDEMAR.
Bin ich das, Gertrud? Das las ich nicht aus Ihren Augen, als ich Sie das erste Mal sah.
GERTRUD.

Weil ich böse auf Sie war. – Aber seit ich Sie auf dem Lager gesehen habe, die Augen geschlossen, das Angesicht schmerzlich verzogen, da merkte ich, wie Sie im Innern sind.

WALDEMAR.
Und wie bin ich, liebe Wärterin?
GERTRUD.

Sehen Sie, Sie sind gut und haben ein weiches Gefühl. Aber es ist Ihnen stets Ihr Wille geschehen, und da sind Sie ungeduldig geworden und haben sich gewöhnt zu befehlen, und nehmen keine Rücksicht auf andere.

WALDEMAR.
Das ist wahr, Gertrud.
GERTRUD.

Aber das Schlimmste kommt noch. Sie haben nicht nötig gehabt viel zu arbeiten, und da haben Sie tolle Streiche gemacht und haben so viel Vergnügen genossen, daß Ihnen nichts mehr ein rechtes Vergnügen macht. Und deshalb sind Sie spöttisch und lachen über alles; das ärgert mich am meisten.

WALDEMAR.
Gertrud, Sie schmeicheln gar nicht.
GERTRUD.

Nein, aber ich spreche die Wahrheit. Es gibt eine Fabel von einer lustigen faulen Grille und einer Feldmaus. [551] Die Fabel paßt auf Sie. Wir kleinen Leute sind die Feldmäuse und Sie sind die Grille, tun den ganzen Sommer nichts, als mit den Flügeln schlagen und durch die Welt springen, aber wie wird's im Winter mit ihr stehen?

WALDEMAR.

Nun, beim Styx, ich hätte nie gedacht, daß das Leben des Grafen Waldemar so durchsichtig wäre, daß jedes Auge hineinsehen könnte, und jede Zunge mich auswendig wüßte, wie einen Kinderreim.

GERTRUD.

Geben Sie acht, da ist der spöttische Zug wieder, hinweg mit ihm! – Der Hans kennt die Fabel, er soll sie Ihnen vorsagen.

WALDEMAR
gutmütig.

Meinetwegen, wenn es Ihnen Freude macht, liebe Feldmaus, die Grille wird zuhören und sich die Lehre merken.

GERTRUD.
Nun, Grillen mögen Sie wohl genug im Kopfe haben. – Ich freue mich herzlich.
WALDEMAR.
Worüber?
GERTRUD.

Daß Sie so freundlich sind. Mir ist fröhlich zu Mut, ich sehe jetzt klar in die ganze Welt. Sonst war ich oft traurig, wenn ich von den Großen der Erde hörte – es war fast immer Böses, was man sich erzählte – ich verstand nicht, wie sie so sein konnten. Jetzt ist mir, als säße ich auf einem geflügelten Pferd und schaute von der Höhe herab in aller Menschen Herz. Ich weiß jetzt, wie Sie sind, jetzt kann ich mir auch denken, wie die andern sein mögen.

WALDEMAR.
Sie haben einen feinen und scharfen Blick und verstehen gut zu beobachten.
GERTRUD.

Nein, ich weiß, ich bin unwissend und in vielen Dingen einfältig. Wer den ganzen Tag in der Wirtschaft arbeitet, kann nicht viel lernen oder lesen. Doch wenn es Ihnen lieb wäre, möcht' ich wohl mehr wissen.

WALDEMAR.

Um alles nicht. So wie Sie sind, natürlich, klar und einfach, so müssen Sie bleiben. – Mädchen, ich wollte [552] du stündest meinem Leben näher! – Wären Sie als meine Schwester geboren, manches wäre anders geworden.

GERTRUD.

Ihre Schwester? – Das will ich sein, o wie gern! – Ich will's heimlich sein, ganz in der Stille. – Wenn Sie genesen sind, werden Sie doch manchmal kommen, den Hans zu sehen. Zu oft dürfen Sie nicht kommen, der Leute wegen, das könnte Gerede geben und mir schaden, und das werden Sie nicht wollen.

WALDEMAR.
Nein, Gertrud.
GERTRUD.

Aber von Zeit zu Zeit werden Sie kommen, und dann sollen Sie freundlichen Willkommen finden. Und Sie erzählen mir von der großen Welt, ich Ihnen von der kleinen. Sie plaudern auch mit dem Vater, er ist gut wie ein Engel, und ein verständiger Mann, der vieles weiß, und ich schaffe herzu, was Haus und Garten gibt.

WALDEMAR.
Das ist ein hübscher Traum!
GERTRUD.

Und warum ein Traum? Gute Freundschaft halten ist gar leicht und tut wohl. Ich werde mich auf die Tage freuen, wo mein stolzer Herr Bruder zu uns kommt.

WALDEMAR.
Holdes Mädchen! Sich zu ihr wendend. Also, gute Freundschaft, liebe Schwester!
GERTRUD
sich ernst zurückbeugend.
Nicht den Mund küssen, das paßt nicht zwischen uns.
WALDEMAR.
Sie haben recht.
GERTRUD.

Aber Ihre Hand reichen Sie mir, die gesunde Sie ihm schüttelnd. Und so auf gute Freundschaft! Ich werde Ihnen eine bescheidene und treue Schwester sein.

WALDEMAR
ihre Hand haltend.

Und ich gelobe Ihnen an diese Hand, eine Schwester in Ihnen zu ehren, meiner eignen Torheit und wüsten Stunden gegenüber. Der Schwur wird dadurch nicht schlechter, weil es das erste Mal ist, daß ich ihn ablege.


Es klingelt.
GERTRUD.
Still, man kommt! Das ist der Vater.Öffnet die Gartentür.

[553] Hiller.
HILLER.
Ei, Herr Graf, schon im Freien und so wohl auf?
WALDEMAR.

Willkommen, mein lieber Wirt! – Wohin doch eine gute Behandlung und ein geringer Blutverlust den störrigsten, abgeschmacktesten Burschen bringen kann! Ich möchte mich an der Nase zupfen, denn ich zweifle, ob ich noch ich selbst bin. Lammfromm, Vater Hiller; sentimental, Vater, die Welt sieht mir rosa und goldgelb aus, und alle Menschen wie kleine liebenswürdige Posaunenengel auf einer Dorfkanzel, die Backen vorn und hinten gleich rund und gleich wohlwollend. Ich könnte Beeren suchen, Vater Hiller, und mit Kastanien spielen, wie ein Kind, ja ich könnte als Schmetterling in eure Blumen kriechen, um Tau zu trinken, und mich zum Schlaf in ein Rosenblatt wickeln, so leicht und körperlos fühle ich mich.

HILLER.

Das ist die Genesung. Und sie freut mich herzlich. Zuerst und vor allem um Ihretwillen, lieber Herr Graf, dann auch unsertwegen. Jetzt dürfen wir bald wieder diese Tür öffnen.

WALDEMAR
leicht.
Was kümmert das die Welt, ob Ihr Eure Tür verschlossen haltet?
HILLER.

Wir Nachbarn haben wenig Geheimnisse vor einander, die Türen sind geöffnet, die Fenster niedrig und die Zungen beweglich, so verläuft unser Leben; was ungewöhnlich ist, fällt auf.

GERTRUD.
Ja, ja, das ist wahr, es wird Kopfzerbrechen machen.
WALDEMAR.
Sind die Leute hier herum denn so neugierig?
GERTRUD.
Wie die Rotkehlchen und ebenso geschwätzig. Manchmal wird's lästig, aber die Meinung ist doch gut.
HILLER.

Jetzt aber handelt sich's um mehr, als Geschwätz. Seit drei Tagen halten wir uns zurück und die Tür ist fast immer verschlossen. Das erregt Verdacht, als ob wir Böses [554] täten, und den Verdacht müssen wir vermeiden. – Freundlich. Sie haben uns gesagt, lieber Herr Graf, wir sollten Sie und Ihre Verwendung verbergen, weil für Sie und andere großes Unglück entstehen könnte, wenn die Sache bekannt würde.

GERTRUD
zupft ihn hinter Waldemar Rücken am Ärmel und redet leise und eifrig in ihn hinein.
WALDEMAR.

So ist es auch, Vater Hiller, arges Unglück kann daraus entstehen. – Beiseite. Ihr Götter meines Lebens, verzeiht mir die kleine Lüge! Der Frieden und die Heimlichkeit dieses Kreises waren zu wohltuend und zu verführerisch; das ist doch endlich einmal ein Abenteuer; und meine Freunde brauchen auch nicht zu erfahren, daß man mich mit Holz und Eisen bearbeitet hat.

GERTRUD.
Und so siehst du ein, daß der Herr Graf noch hier bleiben muß.
WALDEMAR.
Wie, Vater, bin ich Ihnen so zur Last, daß Sie mich fortschaffen wollen?
HILLER.
Wie mögen Sie das glauben? – Es war nur – ich dachte an Gertrud.
GERTRUD
eifrig.

Um meinetwillen sollen Sie keine Stunde früher fort. Vater sorgte nur, es könnte geschwatzt werden über unsere Heimlichkeit und Ihre Gegenwart, und das würde mir schaden. – Darauf dürfen wir keine Rücksicht nehmen. Sie haben uns gesagt, daß es verhängnisvoll sein könne für Sie und andere, wenn Sie nach Hause zurückkehrten als ein Verwundeter. Wir wissen nicht, warum das so ist, und wir wollen's auch nicht wissen. Sie haben es gesagt, das ist uns genug, denn Sie sind nicht der Mann, der seinen Freunden eine Unwahrheit einreden kann. Und deshalb werden Sie hübsch bei uns bleiben, bis Sie völlig geheilt sind.

WALDEMAR
beiseite.

Dies Mädchen sticht mich mit ihrer Ehrlichkeit wie mit Nadeln. – Wohl, meine Freunde, ich bin [555] beinahe hergestellt, und heut Abend, sobald es finster geworden, breche ich auf.

GERTRUD.
Wenn Sie stark sind, sonst nicht.
WALDEMAR.

Bis dahin aber will ich mich an euch erfreuen. Sie, Vater Hiller, sollen mir von Ihrem Leben und Gertruds Kinderjahren erzählen.

GERTRUD.

Aber in der Stube; schon so lange waren Sie im Freien, es wird am Ende auch des Guten zu viel. Kommen Sie, mein gnädiger Herr, führe Sie, das ist mein Recht.


Alle ab.
Box, darauf Georgine.
BOX
den Kopf zur angelehnten Tür hereinsteckend.
Die Luft ist rein. Gefällt es Ew. Erlaucht einzutreten, hier ist der Ort.
GEORGINE
eintretend.

Vermeiden Sie meinen Namen zu nennen. – Sich erschrocken umsehend. Hier?! – – Den Schleier zusammennehmend. Bevor ich Ihnen weiter folge, eine Bemerkung. Als ich Sie rufen ließ und um Auskunft über das plötzliche Verschwinden Ihres Herrn ersuchte, versicherten Sie lebhaft, dem Herrn Grafen treu ergeben zu sein. Ich frage Sie jetzt, wie schwer wiegt Ihre Treue?

BOX
die Hand aufs Herz legend.
Sehr schwer.
GEORGINE
ihm eine Börse reichend.
Wird das hinreichen, Ihre Treue aufzuwiegen?
BOX
wägend.

Nein, gnädigste Frau, die Börse ist sehr schwer, aber sie wiegt meine Treue nicht auf. – Dennoch werde ich mir die Ehre geben, diese Börse zu bewahren, denn ich diene meinem Herrn und auch mir selbst, wenn ich in Ihrem Interesse handle.

GEORGINE.
Genug. Warum ließen Sie meinen Wagen bei diesem Hause halten?
BOX
wichtig.
Mein Herr ist hier.
GEORGINE.
Hier?!
BOX.

Wenigstens werden wir hier erfahren, wo er ist. [556] Und da die gnädige Frau so dringend wünschten, ihn zu sehen, hier können Sie ihn finden.

GEORGINE.
Woher wissen Sie das?
BOX.

Mit Ew. Erlaucht Genehmigung liegt die Sache so: Am Morgen nach jener Nacht, in welcher mein Herr ausgeblieben war, gibt ein Betteljunge diesen Brief an mich ab. – Liest. Box, du Schuft, ich habe getrunken und reise mit einer Tänzerin acht Tage aufs Land. – Der Zettel ist mit zitternder Hand gescrieben, aber er ist echt, er ist von meinem Herrn, das schließe ich aus der vertraulichen Anrede: Box, du Schuft, das ist ganz sein wohlwollender Ton. – Gut, ich gehorche diesem Zettel, und die ganze Residenz glaubt, daß mein Herr in Geschäften verreist ist. – Aber ich selbst weiß, daß es eine Schelmerei ist. Nämlich erstens kann er mit keiner Tänzerin verreist sein, denn das Ballett ist vollzählig, es fehlt niemand, und dann, gnädigste Frau, ist mein Herr viel zu gebildet und rücksichtsvoll, um mit einer Tänzerin auf acht Tage zu verreisen, auf einige Stunden allenfalls, aber auf acht Tage, pfui, da verleumdet er sich selbst, so lange hält er's gar nicht mehr aus.

GEORGINE.
Weiter, weiter.
BOX.

Die größte Unwahrheit aber ist die, daß er sich betrunken nennt. Stolz. Mein Herr und berauscht? Nein, gnädige Frau, Graf Waldemar trinkt, aber er kann sich nicht betrinken.

GEORGINE.
Enden Sie, mein Herr.
BOX.

Der Zettel soll mich täuschen, folglich ist der Herr Graf nicht verreist, sondern hat sich irgendwo versteckt. Das traue ich ihm zu. – Ich weiß aber, daß er für das Mädchen, welches hier wohnt, ein sehr bedenkliches Interesse gefaßt hat.

GEORGINE.
Ha, meine Ahnung.
BOX.

Ja, gnädigste Frau, es ist eine traurige Ahnung, aber es ist leider so. Denn hier hat ihn meine Mutter gesehen an demselben Abend, wo Ew. Erlaucht ihn erwarteten, und seit dem Abend ist die Tür dieses Hauses fast immer geschlossen. [557] Und deshalb ist er ganz sicher hier. Denn da er niemals für mehr als zwei Damen schwärmt, so schließe ich: Respektvoll. wenn er nicht bei der einen ist, so muß er doch wohl bei der andern sein.

GEORGINE.
Sehen Sie zu, suchen Sie ihn auf, ich erwarte Sie hier.
BOX.
Offenbar steckt er im Hause, ich will mich von außen um die Fenster schleichen. Ab.
GEORGINE.

Wenn er mich vergessen, mich verraten hat, hier verraten hat? – Meine Kammerfrau schwört mit Tränen, daß sie ihn an jenem Abend vergebens erwartete. Und ich selbst habe ihn hergeschickt, nach dem Kinde, ich selbst! Mein Kopf schwindelt, wenn ich daran denke. – Es ist unmöglich, so raffiniert quält selbst die Hölle nicht.


Box kommt langsam und nachdenklich zurück.

Ist er bei ihr?
BOX
schwermütig.

Er ist bei ihr. O mein Graf, Sie machen uns viel Kummer. Die ganze Familie sitzt beisammen und er ganz fröhlich darunter, als ob er dazu gehöre.

GEORGINE.
Ich weiß genug. – An der Tür. Sobald Ihr Dienst es erlaubt, erwarte ich Sie in meiner Wohnung. Ab.
BOX
sich tief verbeugend und ihr nachsehend.

Ist die eifersüchtig, wie ein Bologneser! Sie läuft fort und läßt mich allein mit meinem Schmerz. O, mein Herr Graf, Sie handeln nicht schön an Ihren Freunden. – Ich bin gern rechtschaffen, wenn ich irgend kann, und ich dachte immer, ich würde das noch einmal durchsetzen, und dazu hätte mir das Mädchen dort helfen können, und meiner guten alten Mutter wäre ihr sehnlichster Wunsch erfüllt worden. Und jetzt kommt der reiche Mann und stiehlt mir mein einziges Lamm. Pfui, Herr Graf, das ist ein Schelmenstreich! – Aber wie? er trug den Arm in einer Binde, ich sah's durch die Scheiben; und die Familie ist auch honett und hält auf Ordnung, – es ist noch ein Geheimnis bei der [558] Sache, vielleicht ist noch nicht alles verloren. Ich gehe zu meiner Mutter, die soll Nachricht einziehen. Er muß hinweg von hier, so diene ich am besten ihm, der Fürstin und, was die Hauptsache ist, mir selbst. – Horch, Geräusch, schnell fort! Ab.


Bezirksvorsteher, hinter ihm Volk.
BEZIRKSVORSTEHER.
Zurück, liebe Leute, hier ist keine Landstraße. Versucht die Haustür, klopft.

Hiller aus dem Hause.

Seit wann verschließt Ihr die Tür vor Euren alten Freunden?
HILLER.

Ei, Herr Vorsteher, ich freue mich Ihres Besuchs. Was führt Sie zu uns? – Das mit der Tür tut mir leid, nehmen Sie an, es sei ein Versehen.

BEZIRKSVORSTEHER.
Ein Versehen, Hiller? Seit drei Tagen ist Eure Tür für jedermann verschlossen.
HILLER.
Vielleicht auch hat's seinen guten Grund.

Gertrud.
GERTRUD.
Was geht hier vor? Wie? die Nachbarn alle? Guten Tag, Herr Vorsteher! –
BEZIRKSVORSTEHER.
Guten Tag, Gertrud, wie geht's?
GERTRUD.
Was haben Sie? sonst gaben Sie Ihrer Pate die Hand.
BEZIRKSVORSTEHER.

Nachher, liebes Kind, jetzt führt mich mein Amt her. Meister Hiller, seit einigen Tagen geht das Gerücht, es sei ein Mann in unserer Vorstadt überfallen und beraubt worden. Man hat Blutspuren gefunden.

GERTRUD.
O weh!
BEZIRKSVORSTEHER.

Und der Wächter behauptet, in derselben Nacht sei ein verdächtiger Mann zu Euch geflüchtet und aus Eurem Haus nicht wieder herausgekommen. Alles übrige ist nur Geschwätz, und ich will nichts weiter, als bei Euch, redlicher Freund, anfragen, was Ihr etwa von der Sache wißt, es ist nur, um die Leute zu beruhigen.

HILLER.

Weiß ich doch kaum, wie ich Euch antworten soll. [559] Daß ich und meine Tochter kein Unrecht getan haben, dessen seid Ihr, hoffe ich, sicher.

BEZIRKSVORSTEHER.
Davon ist ja auch nicht die Rede.
HILLER.

Was ich etwa weiß, darf ich Euch nicht bergen, da Ihr von Amts wegen fragt, und doch habe ich schon einem andern Schweigen gelobt.

BEZIRKSVORSTEHER.
So ist doch etwas an der Sache.
GERTRUD.

Ja, aber anders als Sie denken. Und Sie sollen alles wissen, nur daß wir es nicht selbst sagen dürfen, sondern ein anderer. Und deshalb bitte ich Euch, Freunde, laßt mich die Tür schließen. O seht mich nicht so vorwurfsvoll an – Nachbar – Bose – Ihr kennt uns ja – es ist ein Stückchen Geheimnis, aber nichts Böses. Volk tritt zurück, Hiller schließt die Tür.

BEZIRKSVORSTEHER
gutmütig.
Jetzt habt ihr mich eingesperrt, jetzt heraus mit eurem Geheimnis.

Waldemar.
GERTRUD
die hineingegangen, führt Waldemar heraus.
Hier, Herr Pate, ist der Mann, der zu uns kam; seht zu, ob Ihr ein Unrecht an ihm findet.
BEZIRKSVORSTEHER.
Wie? Was? Der Herr Graf Schenk? Grüßend. Sie waren der Mann, der bei Nacht hier hereinkam?
WALDEMAR.

Ich war's. Ich wurde ganz in der Nähe dieses Hauses durch einen meiner Freunde, den ein unseliges Mißverständnis in eine Art Raserei versetzt hatte, halb aus Versehen, halb mit Absicht in diese Hand und Seite verwundet; hier fand ich Aufnahme und gütige Pflege. Da ich annehme, daß Sie als Beamter fragen, war ich Ihnen diese Auskunft schuldig; Sie werden mich verbinden, wenn Sie dieselbe als Geheimnis bewahren.

BEZIRKSVORSTEHER.

Hm! obgleich ich noch nicht alles verstehe, so sehe ich doch keinen Grund, an Ihren Worten zu zweifeln, Herr Graf, und so habe ich von Amts wegen hier nichts mehr zu tun. Und was ich Ihnen jetzt sagen möchte, Herr [560] Graf, spreche ich nur als einfacher Bürger und als ein Freund dieses ehrlichen Mannes und dieses Mädchens, welches bis jetzt für sittsam und brav gegolten hat.

HILLER.
Bis jetzt?
WALDEMAR.

Sprechen Sie, mein Herr, ich werde mich mühen, Ihre Bemerkungen mit geziemender Ehrerbietung anzuhören.

BEZIRKSVORSTEHER.

Als Sie die Gutherzigkeit dieser Leute benützten, um sich hier einige Tage als Kranker aufzuhalten, da dachten Sie wohl nicht daran, daß Ihre Anwesenheit und die Bekanntschaft mit Ihnen das Mädchen in ein schlechtes Licht setzen könnte?

GERTRUD.
O mein Gott!
WALDEMAR.

Ich bekenne Ihnen mit Beschämung, bis jetzt noch nicht gewußt zu haben, daß die Bekanntschaft mit meiner unwürdigen Person solch schnelles Verderben der bürgerlichen Ehre herbei führt; ich würde sonst Sie selbst in Ihrem eigenen Interesse ersucht haben, sich so schleunig als möglich von hier zu entfernen.

GERTRUD.

O, nicht so, Herr Graf, zürnen Sie ihm nicht, er meint es gut in seiner Weise und ist ein würdiger respektabler Mann.

BEZIRKSVORSTEHER.

Ich sehe, wie es hier steht, und daß ich übrig bin. – Euch, Freund Hiller, gebe ich den guten Rat, haltet Euer Haus so rein von Unkraut als Eure Beete, und du, Gertrud, meine liebe Samariterin, heile du nicht alle blutigen Köpfe, die sich die lustigen Herren schlagen; mancher Arzt hat sich ein Leiden geholt, wo er andern geholfen hat. Ab.

HILLER.
Da geht er, und mit ihm die gute Meinung unserer Freunde.
GERTRUD
zu Waldemar.

O, sehn Sie nicht finster, Herr Graf, lassen Sie keine bittere Stimmung in die letzten Stunden kommen, die Sie bei uns verleben. Herzlich bedauern wir, [561] daß Sie um unsertwillen das hören mußten. Und ich wiederhole Ihnen, wir sind doch glücklich, Ihnen den kleinen Dienst erwiesen zu haben, und wir möchten die Erinnerung daran nicht missen.

HILLER.

Sie hat recht wie immer. Ich bitte um die Erlaubnis, Ihre Hand schütteln zu dürfen. So, jetzt ist mir leichter.

WALDEMAR.

Gertrud! – Wenn ich unzufrieden bin, so muß ich es mehr mit mir selbst, als mit irgend einem andern sein. – Was jener ehrliche Mann sagte, verbietet mir, länger zu bleiben. Nur noch einige Worte über den Knaben mit Ihnen, lieber Hiller – und dann trennen wir uns. Ab mit Hiller ins Haus.

GERTRUD
allein.

Sonst, wenn ein müßiges Schwatzen mein Ohr traf, hat es mir sehr weh getan, und langsam nur habe ich's verwunden. Und jetzt achte ich's kaum – und doch ist mein Herz so schwer, so schwer, und ich könnte weinen. – Er geht von uns – ob er wiederkehren wird?


Frau Box.
FRAU BOX.
Ach, Sie armes, unglückseliges Kind, mußte es dahin mit Ihnen kommen!
GERTRUD.
Was soll die Klage, was schluchzen Sie, gute Frau?
FRAU BOX.

Daß ich arme, alte Frau auch das noch erleben mußte! – An keinem Menschen habe ich so sehr gehangen, als an Ihnen, mehr als an unserm Pfarrer, und manchmal mehr als an meinem eignen Sohn. – Wenn ich die Lilien auf dem Beete sah, dachte ich: ihr bläht euch in eurer Unschuld und Herrlichkeit, aber ich weiß jemanden in meiner Freundschaft, der noch reiner und glänzender ist, als ihr; und das ist meine Gertrud! Und jetzt – o daß ich leben mußte, das zu sehen!

GERTRUD
stolz.
Sprechen Sie, Frau Box, was meinen Sie mit Ihrer Rede?
FRAU BOX.

Ich muß dich warnen, Kind meiner Seele, vielleicht ist es noch nicht zu spät, vielleicht bist du noch nicht ganz in den Stricken des Verführers.

[562]
GERTRUD.
Des Verführers?
FRAU BOX.

Ja, hören Sie mich, mein armes Kind, ich weiß alles. Er ist hier, der gewissenlose, schändliche Herr meines Karls.

GERTRUD.
Warum schmähen Sie ihn? – Er ist hier. Wissen Sie aber, wie er herkam?
FRAU BOX.
Er hatte eine Wunde, das weiß ich.
GERTRUD.

Halb tot war er, bleich und blutig, es war ein jammervoller Anblick. Wir haben getan, was Menschenpflicht war. Was scheltet Ihr uns darum?

FRAU BOX.

Armes, betörtes Geschöpf! Weißt du auch, wo sie ihn so zugerichtet haben? Zu seiner Liebsten wollte er gleichen, zu einer fremden Dame, die auch nicht besser sein mag, als er; – und der ihm auflauerte, war gewiß ein Nebenbuhler, ein eifersüchtiger Galan war's.

GERTRUD
laut schreiend.

Ha, du tust mir weh! – Und wenn es so war – und wenn er bei seiner Geliebten verwundet wurde – was tut das? Nichts, gar nichts – wenn er zu uns kam, wir mußten ihn aufnehmen.

FRAU BOX.
Aufnehmen, ja. Aber du hast ihn versteckt, wie man ein Unrecht versteckt, du unseliges Mädchen.
GERTRUD.

Weil es gefährlich war für ihn und tödlich für andere, wenn seine Verwundung ruchbar wurde. Die Obrigkeit wäre gekommen, seine Leute hätten ihn verraten, er hätte seinen Feind angeben müssen, er hätte sich mit ihm duelliert, – o Gott, ich weiß nicht weiter, mir schwindelt.

FRAU BOX.

Ja, ja, der Satan ist schlau. Hat er das gesagt, der feine, listige Graf, so sage ich, Katharina Box, ich sage dir dagegen: er hat gelogen! wie ein Schelm hat er gelogen, und ich kann dir's beweisen.

GERTRUD.
Er lügt nicht, du aber sprichst Lügen, und ich entsetze mich vor deinen Worten.
FRAU BOX.

Gertrud, Gertrud, das ist deine Krankheit, [563] die aus dir spricht. Ich kenne dich, seit du im Kindermützchen liefst mit den blauen Bändern, und du kennst mich; bin ich unwahr? Bin ich ein verlogenes Ungetüm, das da läuft und Unfrieden säet zwischen Herd und Bett? – Nun aber, hältst du mich für ehrlich, so laß mich beweisen, was ich sage. Ich kenne das Leben dieses Herrn. – Wer ist sein Kammerdiener, wer sorgt für ihn und pflegt ihn und ist allein um ihn? Mein Sohn ist's, und der ist verschwiegen wie das Grab. Wenn's darauf ankam, daß niemand seine Krankheit wissen sollte, so hätte mein Karl wohl gesagt: er ist vom Pferde gefallen, oder er hat sich Schaden getan, oder so etwas; und dem Arzt gibt er Geld, daß er still ist. Meinst du, er wüßte nicht Schweigen zu erkaufen, wo er's braucht?

GERTRUD.

Siehst du, wie du dir selbst widersprichst! Wenn es nicht notwendig war, daß er sich verbarg, weshalb wäre er dann hier geblieben, drei Tage ohne seinen Arzt, seine Diener, ohne sein Lager und sein schönes Haus?

FRAU BOX.

Das ist ja seine Verruchtheit. Du fragst, was er hier wollte? Dich wollte er, du arme Taube, dich wollte er betören und zerreißen, wie ein Geier.

GERTRUD.
Mich?
FRAU BOX.

Du warst bei ihm. Was du bei ihm gewollt hast, weiß Gott allein. Als du weggingst, sagte er meinem Sohn: Die merke dir, die will ich haben, zu der sollst du mir helfen.

GERTRUD
schauert zusammen.
FRAU BOX.

Und jetzt frage dich selbst, wie war er zu dir, hat er nicht süße Worte gebraucht und artig getan und dich an sich ziehen wollen?

GERTRUD.
Mir graut vor dir, mir graut vor mir selbst.
FRAU BOX.
O nein, vor ihm entsetze dich, denn er ist gezeichnet.
GERTRUD.

Wer bist du, Weib, daß du mich marterst und [564] mir das Herz blutig drückst? – Du lügst, du lügst, es kann nicht sein, es ist nicht so.

FRAU BOX.
So ist es, darauf will ich den Tod erleiden.
GERTRUD.

Es wäre entsetzlich! – Er kam her wankend, erschrocken, ein wunder Mann, er dachte an nichts, als an Rettung und Tod.

FRAU BOX.

Er kam her, weil es ihm nahe und bequem war, er blieb hier, weil er dich gewinnen wollte, und deshalb hat er dich belogen.

GERTRUD.
Ich trinke Gift. – Es war gütig und freundlich gegen mich, aber er war wie ein Bruder.
FRAU BOX.
Ja, wie ein Bruder! – Den ersten Kuß wie ein Bruder und den letzten wie ein Teufel!
GERTRUD.
Ha! – – Es ist genug, ich danke Ihnen für alles Gute – ich bitte, lassen Sie mich allein.
FRAU BOX.
Armes, armes Kind! Der Himmel helfe dir und schenke dir Frieden!
GERTRUD.
Amen! – Pause, Gertrud steht lange unbeweglich.

Waldemar. Hiller.
WALDEMAR
auf der Schwelle zu Hiller.

Ich kam als Flüchtling und flüchtig scheide ich wieder; die Erinnerung aber an diese Tage wird fest in mir wurzeln.

GERTRUD
tonlos.

Treten Sie näher, Herr Graf. Vier Tage sind es, daß wir Sie kennen. In dieser Zeit haben wir Ihnen keine Veranlassung gegeben, niedrig von uns zu denken.

WALDEMAR.
Welche Sprache und welche Frage!
GERTRUD.

Wir haben Sie ärmlich aufgenommen, aber Sie haben drei Tage so gelebt, wie wir selbst. – Sagen Sie mir nichts Artiges, wir wissen, daß wir freundlich gegen Sie gewesen sind. Wollen Sie dafür dankbar sein, so seien Sie es jetzt und antworten Sie mir so offen, als ob Sie nie eine Lüge geredet hätten.

WALDEMAR.
Sprich, schöne Vestale, ich werde antworten.
[565]
GERTRUD.

Weshalb weilten Sie drei Tage unter diesem Dach? Weshalb verbargen Sie sich zwischen unsern Wänden? – War es, wie Sie uns sagten, war es Furcht vor Gefahr, eigener oder fremder, oder war es auch nur Sorge um üble Nachrede und Kränkung, die Sie oder Ihre Freunde betroffen hätte, war es nur das, so sagen Sie mir ein Ja, nichts als ein Ja, und scheiden Sie friedlich über diese Schwelle, als ein Gast, dessen wir in Freude und Leid noch lange gedenken werden. – Sprechen Sie, Herr Graf. –

WALDEMAR
nachdenkend.

Ich könnte noch jetzt ein Ja sagen, aber ich will selbst dieser unbegreiflichen Stimmung gegenüber nicht länger täuschen. Ich blieb hier, weil es mich sehr fest hielt in diesen Räumen, und wenn ich mich ehrlich frage, so blieb ich Ihretwegen hier, Gertrud, weil mich ein starkes Interesse zu Ihnen zog.

GERTRUD.

Du hörst es, mein Vater, er hat uns belogen! Eigennützig, rücksichtslos hat er unser Vertrauen getäuscht, für eine Laune, eine edle Laune hat er unsern ehrlichen Namen der Verleumdung vorgeworfen, sein Anblick bringt Unheil, sein Lachen wird ein Fluch! Komm, Vater, hinweg, hinweg von ihm! Stützt sich auf Hiller, schwach. Gehen Sie, Herr Graf, gehen Sie, möge Ihr Leben glücklicher sein, als Sie um uns verdient.


Sinkt erschöpft zusammen.
HILLER.
Mein armes Kind!
WALDEMAR
der unbeweglich gestanden.
Lebt wohl! Wendet sich schnell zum Abgang.

4. Akt

1. Szene
Erste Szene.
Einfache Bürgerstube. Eine Uhr, eine Bank, zwei Tische mit Holzstühlen. Es brennt Licht.
Gertrud am Tische links, das Haupt auf die Hand gestützt. Hiller rechts schnitzelnd, von Zeit zu Zeit sie betrachtend. Pause.

HILLER.
Nun, meine Tochter? woran denkst du?
GERTRUD.
Sagtest du was, Vater?
HILLER.
Ja, mein Kind. Ich frug nur, ob die Kränze abgeholt sind.
GERTRUD.
Schon vor Abend, Vater.
HILLER.
So? das ist mir lieb, das ist mir recht lieb. – Hast du heut vielleicht Nachbars Röschen gesprochen?
GERTRUD.
Nein, Vater, du weißt, Röschen kommt nicht mehr zu uns.
HILLER.

So? dann läßt sie's bleiben. – Aber woran ich dachte, Gertrud. Unser Haus wird baufällig, es hat wieder eingeregnet, die Balken sind schadhaft, das ist gewiß – und dann dachte ich an den Garten, er ist doch sehr klein, Gertrud.

GERTRUD.
Wir waren sehr glücklich hier.
HILLER.

Hm! – Der Garten ist doch zu klein, und du weißt, hinten an der Grenze ist er naß und die Pflanzen verderben.

GERTRUD
aufstehend.
Vater, warum sprichst du nicht aus, woran du denkst? Du willst fort von hier.
HILLER.
Jetzt ist's heraus, ich hatte nicht den Mut, dir's zu sagen.
GERTRUD.

O, daß es so weit kommen mußte! Du suchst eine fremde Stätte für dein ehrwürdiges Haupt. Vater, du bist sehr festgewurzelt in diesem Garten, lösest du dich los von hier, so reißest du an deinem Leben.

[567]
HILLER.

Vieles steht dort draußen, woran mein Herz hängt; hier aber steht eine Blüte, die mir mehr wert ist, als alles, und ich fürchte, die wird mir nur genesen in fremder Luft.

GERTRUD.

Vater! laß uns überlegen, ob es nötig ist. Sollen wir unsere Heimat aufgeben, weil man uns verleumdet und alte Freunde unsere Tür meiden? Sieh, Vater, ich trage mein Haupt so hoch, wie jemals, und wenn wir fliehen, sind wir feige.

HILLER.

Und doch ist deine Wange verblichen, und ich habe gehört, du, Gertrud, mein starkes, mutiges Kind, du hast geweint in deiner Kammer.

GERTRUD.

Und habe ich's getan, so habe ich getrauert über mich selbst und über die Stunde, wo ich einem fluchte, der aus unserer Tür schritt. Das war ein großes Unrecht, Vater, und das liegt schwer auf meiner Seele.

HILLER.
O gebe Gott, daß seine Rechnung dereinst nicht schlechter stehe, als die deine!
GERTRUD.
Wir hören nichts von ihm, wie es ihm gehen mag, er war noch nicht genesen, als ich ihn forttrieb.
HILLER.

Denke nicht an ihn; wie ein dunkler Schatten ist er durch diese Stube gegangen. Es hängt seit dem Tage über uns, wie ein Gewitter, und mir ist bange und schwül zu Mut.

GERTRUD.
Ich will von jetzt an heiter sein, Vater; auch du hilf dazu, dich zu zerstreuen.
HILLER.

Der Schreiner drüben hat mir ein Gebot getan für Haus und Garten; noch ist er wach, ich spreche noch heut bei ihm vor.

GERTRUD.
Du eilest sehr, Vater.
HILLER.

Nun, ich gehe nur darüber schwatzen, das bindet noch nicht. – Und du fragst, warum ich eile, da ich doch sonst so bedenklich bin! – Weil wir hier sind wie drei müde Vögel über der großen See, wir haben in keinem Menschenherzen so viel Land, daß wir uns darauf ausruhen können und bergen[568] vor dem Ungewitter. Hüte das Haus, Gertrud, bald bin ich zurück. Ab.

GERTRUD
allein.

Du guter Vater! Mir verbirgt er, wie viel ihn der Entschluß kostet. Ja, er hat recht, es hängt über uns, wie eine verderbliche Wolke. Nicht weiß ich, was uns droht, aber meine Seele ahnet Schlimmes und Trauriges. Es möge kommen, mich findet es ergeben.


Georgine in Kapuchon und Hülle.
GERTRUD.
Eine Fremde!
GEORGINE
bis in die Mitte des Zimmers tretend.
Gertrud Hiller, kennst du mich?
GERTRUD.
Nein.
GEORGINE.

Sieh mir ins Gesicht, du hast diesen Mund geküßt, und deine Hand lag auf meiner Stirn, da sie heißer war als jetzt.

GERTRUD.
Das Antlitz ist mir fremd, ich kenne Sie nicht.
GEORGINE
den Kapuchon von dem bürgerlich gescheitelten Haare zurückwerfend.

Die Zeit hat mich verändert, Gertrud Hiller, und sieben Jahre sind eine lange Zeit für Mädchenfreundschaft; – kennst du mich jetzt?

GERTRUD
schreiend.
Luise!
GEORGINE.
Luise Peters, jetzt nennen sie mich Fürstin Udaschkin.
GERTRUD.
Ha!
GEORGINE.

Du stehst erschrocken, Mund und Hand weigern mir den Gruß. – Du hast noch nicht lügen gelernt, Gertrud!

GERTRUD.

Luise! – Ws höhnst du mich, daß ich dich nicht begrüße? Stehst doch auch du unbeweglich vor mir, bleich und kalt, und aus deinem Auge starrt der Schrecken wie aus meinem.

GEORGINE.

So feiern wir das Wiedersehen, wir entsetzen uns voreinander, wie zwei unselige Geister, verdammt, um ein verlorenes Leben zu trauern.

[569]
GERTRUD.

So ist es nicht, Frau Fürstin, ich war erschrocken, weil Ihr Name mich an vieles erinnerte, Gutes und Böses, was an ihm hängt. Ich dachte an unsere Jugend, – ich dachte an Ihren Sohn. Hier nebenan ist sein Lager, wir haben ihn gehalten wie das Vermächtnis einer Gestorbenen. Bewegung, die Tür zu öffnen.

GEORGINE
leidenschaftlich.

Mein Sohn! – Zurücktretend. Schweig von dem Knaben, ich will ihn nicht sehen, jetzt nicht. Er kennt dich, nicht mich, du hast den ganzen Schatz seiner kindlichen Liebe für dich genommen, ich bin ihm nichts als eine Fremde.

GERTRUD.
Und wenn es so ist, Sie haben es so gewollt.
GEORGINE.

Ich habe es so gewollt. Und doch hat es schon damals Stunden gegeben, Mädchen, wo ich dich gehaßt habe, tief, tödlich, weil du meinen Sohn an dein Herz drücktest; ja ich habe gebetet und geflucht, daß er lieber scheiden möge von dieser Erde, als an dem Hals einer Fremden hängen.

GERTRUD.
Schweig, Unselige!
GEORGINE.

O, ich weiß, es war Unrecht, und fußfällig habe ich dir's wieder abgebeten. Denn ich liebte dich, Gertrud, und wenn ich mit den Erinnerungen aus einer elenden und schmachvollen Vergangenheit rang, so war es dein Bild, das mir hell, friedlich, versöhnend durch das nächtliche Grauen glänzte; du allein hattest mir kein Leid angetan, nur Gutes; als mich alle verrieten und flohen, da saßest du, fast noch ein Kind, an meinem Strohlager, du küßtest meine Stirn, und wenn ich verzweifelnd die Hände ballte gegen mein Schicksal, du drücktest mir die Finger ineinander und verwandeltest den Fluch auf meiner Zunge in eine leise Bitte.

GERTRUD
die Hand nach ihr ausstreckend.
Luise, arme Luise! –
GEORGINE
sie umarmend.

Seit sieben Jahren der erste Ton, der mir zwei Quellen öffnet, die versiegt waren in der Sandwüste meines Lebens. – O streiche mir die Haare, wie du sonst tatest, [570] schmeichle mir mit den alten Liebesnamen, laß mich vergessen, was ich bin und was ich war, alles, alles vergessen außer dir.

GERTRUD
sie liebkosend.

Liebe Luise, du wilder Kanarienvogel, du bist geblieben, wie du warst, und deine Laune wechselt noch immer so schnell wie die Farbe der Wolken. – Doch nein, ganz so bist du nicht, größer, schöner, voller bist du geworden.

GEORGINE.

Meinst du? – Sieh, das kleine Mal hier am Ohr hab' ich noch, das hat sich erhalten, und auch die Narbe an den Schläfen, jetzt sieht man sie nicht, denn ich trage sonst Locken. – Ach, hier ist alles unverändert, die Uhr, der Stuhl, die Bücher liegen noch auf demselben Tisch, und die Brille des guten alten Herrn. – Komm, Gertrud, auf dieser Bank, wo wir als Mädchen zusammen saßen im Mondenschein, hier laß uns sitzen und plaudern wie ehemals. – Düster. Nein, nicht wie sonst, denn diese Stunde ist finster und trägt auf ihrem Flügel ein Verhängnis für uns beide. – – Wild. Und doch sollst du bei mir sitzen, Gertrud, und ich werde dir etwas in dein Ohr raunen. – Und was ich zu sagen habe, braucht kein Licht, der Mond scheint hell genug zu meinen Worten; wenn meine Wangen erglühen, du sollst es nicht sehen. Verlösch' das Licht!

GERTRUD.
Ich setze den Schirm vor, jetzt erzähle.
GEORGINE
traurig lächelnd.

Auch du bist geblieben, wie du warst. – Rücke näher zu mir, ich erzähle mein Leben. – Weit, weit von hier am Strand eines kalten Meeres bin ich geboren, meine Mutter kam mit dem fünfzehnjährigen Mädchen hierher und starb, ich sang damals lustige Lieder und hatte nichts zu essen. Da brachte mich ein Musiker zur Oper – an einem Abend stand ich mit rotgemalten Wangen unter dreißig andern Mädchen – da sah er mich an, und ich gefiel ihm – zuckst du zusammen? halte aus, Täubchen. – Was darauf folgte, weißt du.

GERTRUD.
Ich weiß es.
GEORGINE.

Ich wurde euch zur Last; meine Stimme hatte [571] ich verloren, was verstand ich von eurer Arbeit? Ich dachte daran, mich zu ersäufen und das Kind mit, dort unten im Strom, wo sie die jungen Katzen hinauswerfen. – Da fand mich ein alter Herr, ein fremder Fürst, und nahm mich mit sich nach Paris. Das Kind ließ ich euch. – In der Fremde lernte ich vieles, auch Liebe heucheln; der Fürst war ein alter Herr und ich war spröde. Nachdem ich ihn fünf Jahre gequält hatte, zwang ich ihn, mich zu heiraten. – Er starb an der Gicht, und ich war reich, man nannte mich Erlaucht. – Ist das nicht eine wunderliche Geschichte?

GERTRUD
aufstehend.
Mir ist, als säße ich neben einer Natter.
GEORGINE.

Ziere dich nicht, du schöne Tugend, noch bin ich nicht zu Ende, und du, du sollst auch an die Reihe kommen. – Und überall, immer, immer dachte ich an ihn, den einen, den wir beide kennen; sobald ich frei wurde, zog es mich hierher zurück, in seine Nähe. War es Haß, war es Liebe, ich weiß es nicht, aber mein Wille stand fest, er muß mein werden, er muß sühnen, was er an mir verbrochen hat, er muß, er muß, und sollte ich ihn dabei erwürgen mit meinen Händen.

GERTRUD.
Rasende Törin!
GEORGINE.

Bin ich eine Törin? Ich war doch klug genug. Ich kam hierher zurück, und er kannte mich nicht. Auch er kannte die Lippen nicht wieder, die er geküßt hatte. Ich lockte ihn an mich, ich wurde seine Freundin. Und da, Gertrud Hiller, als er in meine Arme eilen wollte, da hast du, du hast ihn mir gestohlen.

GERTRUD.
Ha!
GEORGINE.
Er hätte mich geliebt, jetzt liebt er dich. –
GERTRUD.
Er liebt mich.
GEORGINE.
Und ich fühle, ich weiß, du fromme Gärtnerstochter, du liebst ihn wieder.
GERTRUD
wendet sich ab.
[572]
GEORGINE
drohend.

Gertrud!! – Höre mich. Mit Gewalt quäle ich den Zorn, der heiß durch meine Adern rinnt, zurück zum Herzen, ich will mich bändigen, ich will dir ruhig sagen, was ich muß. – Ihn muß ich besitzen, und du stehst mir im Wege, du mußt fort aus meinem Wege, so oder so.

GERTRUD.
Willst du mich töten?
GEORGINE.
Nein, aber ich will dich quälen. – Ist es wahr, Mädchen, du liebst das Kind, das ich dir gegeben?
GERTRUD.
Wozu fragst du so? Ich lebe für den Knaben.
GEORGINE.

Wohlan, Gertrud, so nimm den Knaben und gehe fort von hier; ich bin reich, ich will dir geben, mehr als du brauchen kannst für dich, das Kind, deinen Vater, aber geh, geh, spurlos mußt du verschwinden.

GERTRUD.
Ich gehe nicht.
GEORGINE.

Gertrud, erbarme dich meiner! Ich will dich in Seide und Gold hüllen, ich will tun für dich, was deine Seele verlangt, ich will zu dir beten, wie zu einer Heiligen, aber weiche von meinem Wege, nimm den Knaben und geh. – Gertrud schweigt, Georgine umfaßt ihr Knie. Sieh, demütigen will ich mich zu jeder Bitte, so flehe ich zu dir, ehre meine Rechte auf jenen Mann. Bedenke, meine Rechte sind älter, sie sind größer als die deinen, denn sie sind durch Tränen und Sünde erkauft. Laß mir den Vater, ich schenke dir den Knaben.

GERTRUD.

Steh' auf, dein Bitten rührt mich nicht. Wohl hattest du Rechte auf den Mann und seine Liebe, die höchsten, heiligsten. Ob du sie noch hast, unnatürliche Mutter, ich weiß es nicht, ich vermag es nicht zu erkennen in dieser Stunde. Das aber fühle ich klar, wenn ich dir gehorche und mit dem Knaben entfliehe aus dem Angesicht seines Vaters, so fliehe ich aus Furcht und um Geld gegen meinen Willen und den Ruf meiner Seele. Und deshalb gehe ich nicht.

GEORGINE.

Gehst du nicht, so höre meine Rache. Das Kind ist mein, und kein Gesetz auf Erden kann der Mutter [573] ihr Kind verweigern. Und gehst du nicht, so fordere ich mein Kind von dir; dann gehe ich und nehme mein Kind mit mir. Und dann, Gertrud, schwöre ich dir zu, dann werde ich vergessen, daß das Kind unter meinen Herzen gelegen hat, ich werde nur wissen, daß es sein Sohn, meines Todfeindes Sohn ist, und daß du das Kind vergötterst, du, die mich elend gemacht hat. Dann siehe zu, was ich aus eurem Liebling mache.

GERTRUD.
Teufel!
GEORGINE.

Werde ich das, wer hat mich so weit gebracht? – Und jetzt, Gertrud Hiller, jetzt wähle. Bleibst du hier, so verlierst du das Kind, und hast du erst den Knaben geopfert, dann steh zu, wie lange dein Buhle dir bleibt.

GERTRUD.

Es ist genug, Unglückliche, höre du auch mich. Ich trotze dir und deinem Drohen. Das Kind, das du geboren, das hast du leichtsinnig, ruchlos verlassen, du hast kein Recht mehr darauf, und ich werde es verteidigen auch gegen dich, wie die Bärin ihr Junges, das sie selbst gesäugt. Meine Zukunft aber lege ich nicht in deine Hand, frei will ich bleiben von jedem Zwange, und keinem Arm will ich gestatten, mich fortzustoßen von dem Wege, den ich mir selbst finde. Dich aber und deine Feindschaft fürchte ich, doch ich weiche ihr nie und nirgend, tue du gegen mich, was du wagst, ich werde tun, was ich darf.

GEORGINE.

Du hast gewählt. Nicht lange, und es wird entschieden sein. Und so sei Krieg zwischen uns und tödliche Feindschaft für das Leben! – Gertrud Hiller, bald wirst du von mir hören. Ab.

GERTRUD
allein.

Das war der Wetterschlag, den du, Vater, vorhersahst. – Sie huschte fort, und mich ergreift die Angst mit eisernen Krallen. Den Knaben nehmen, als ein Opferlamm ihres Zornes nehmen, o schändlich, abscheulich! – Knabe, Johannes, erwache, sie wollen dir an das Leben, hinweg von hier, ich muß dich retten! Ab in die Kammer.

2. Szene
[574] Zweite Szene.
Zimmer Waldemars, wie im ersten Akt. Lichter.
Box und Bediente im Hintergrund, Graf Hugo eintretend.

HUGO.
Nun, Boxi wie geht es Ihrem Herrn?
BOX.

Ach, Herr Graf, das ist eine traurige Verwandlung! Seit er krank von seiner Reise zurückgekehrt ist, sitzt er den ganzen Tag finster und stumm, und kümmert sich um nichts, nicht um die Pferde, nicht um die Herrschaften, welche sich melden lassen. Die Kammerfrau der Frau Fürstin kommt täglich zweimal und bringt kleine Briefe; er aber hat nur einmal darauf geantwortet, und da schrieb er die Zeilen so nachlässig hin, und es war ihm ganz gleich, was für Papier ich ihm zu dem Briefe reichte. O, es ist sehr traurig!

HUGO.
So ist er noch unwohl.
BOX.

Am Geist mehr, als am Körper. Aber wie es mit ihm stehen muß, können der Herr Graf daraus schließen, daß sogar ich nicht mehr sein Vertrauen genieße. Es ist ein Geheimnis dabei, wer nur reden dürfte.

HUGO.

Wenn hier ein Geheimnis ist, so werden Sie begreifen, daß ich dergleichen nicht von Ihnen zuerst zu hören wünsche. Melden Sie mich Ihrem Herrn.

BOX.
Da ist er selbst. Zieht sich zurück.

Waldemar.
WALDEMAR.
Du kommst pünktlich, ich danke dir. Ich habe einige von den Freunden eingeladen, mich zu zerstreuen.
HUGO.
Du siehst leidend aus.
WALDEMAR.

Ich bin müde, Hugo; ich nehme mir die Freiheit, mein Leben für albern zu halten, und mich selbst für einen Schwächling oder noch Schlimmeres.

HUGO.
Niemand als du selbst dürfte mir das sagen. Diese Stimmung ist Folge deiner Krankheit.
WALDEMAR.

Die Krankheit war nichts, ein Mückenstich, [575] der mir Fieber gemacht hat; aber was sie begleitete, das hat mir den Kopf zerrüttet. – O, es ist erbärmlich!

HUGO.
Was ist erbärmlich, mein Freund?
WALDEMAR.
Von seiner Schwester verflucht zu werden.
HUGO.
Du hast ja keine Schwester.
WALDEMAR.
Doch, ich hatte eine gefunden.
HUGO.
Du? Und wo lebt sie?
WALDEMAR.

Sie verkauft Blumen. Doch dein aristokratischer Sinn könnte sich darüber ärgern, hinweg damit! – Wein her! Wir wollen suchen die Sache zu vergessen. – Hugo, wir feiern heut meine Genesung.

HUGO.
Und doch sehe ich, daß du sehr krank bist.
WALDEMAR.

Nicht doch, Freund, es ist nichts, als das mißtönende Geklirr einiger Saiten, die in diesem Instrument schlaff geworden sind. Wein und Zerstreuung werden den Schaden ausbessern. – Ich hoffe dir eine Komödie vorzuspielen.


Randor.

Guten Abend, Randor; kommt Udaschkin?
RANDOR.

Ich weiß nicht. Was hast du mit dem Vielfraß? Er ist seit deiner Krankheit ganz verändert, zerstreut und trübsinnig. Wenn es möglich wäre, daß er noch etwas anderes lieben könnte, als ein Austernfrühstück, so müßte man glauben, daß du die Ursache seines Grames bist.

HUGO.
In der Tat hat er täglich unter den Anfragenden seine Karte selbst hergetragen.
RANDOR.

Entweder hast du ihm einen Liebestrank eingegeben, oder du hast eine Sorte Wein im Keller, die er austrinken will, bevor du stirbst, und um die hat er sich gegrämt, das ist noch am wahrscheinlichsten.

HUGO.
Oder er hat ein Duell annehmen müssen.
RANDOR.

Nein, das würde er schon oft erzählt haben. [576] Aber vielleicht hat er sich mit seinem Koch geprügelt, der Koch soll ihn manchmal schlagen.

WALDEMAR.

Ich glaube den Grund seiner Krankheit zu kennen. – Randor, wenn wir beisammen sind, läßt du wohl ein Kartenspiel anfangen, es greift mich am wenigsten an.


Henry und noch zwei Herren.

Ah, Henry, bringst du den Udaschkin?
HENRY.

Er kommt, aber es hat Mühe gekostet, er hatte keine Lust heut auszugehen, wie er sagte; er spricht von seiner Abreise.

WALDEMAR.

So? Lieber Hugo, ihr Freunde, noch schnell eine Bitte. Versprecht mir stets zu schweigen über alles, was Udaschkin und ich hier etwa zusammen sprechen.

RANDOR.
Wie du willst, er wird ohnedies langweilig.
WALDEMAR.
Gebt mir eure Hand, abgemacht! Ah, da ist er.

Udaschkin.

Mein Fürst, ich bin glücklich, daß Sie den Tag meiner Genesung feiern helfen, und ich rechne Ihr Kommen hoch an, denn ich höre, auch Sie sind leidend gewesen.

UDASCHKIN
aufgeregt.

In der Tat, ich fühle mich nicht wohl, allerlei Privatärger und Familientrauer. Waldemar vorführend. Nehmen Sie zuerst mein wärmstes Bedauern über den Unfall, der Sie betroffen hat. – Sie haben nicht allein gelitten, meine Schwägerin ist untröstlich. Sie wissen, daß ich etwas gespannt mit ihr stehe, aber ihre Angst ist so groß, daß sie sogar mich rührt. Sie sollten Ihre Freunde nicht so vernachlässigen, denn sie hat ohnedies Sorgen genug. Denken Sie, mein teurer Graf, zwei ihrer Domestiken sind verschwunden und nach ihrer Flucht ist eine solche Menge von Unterschleif und Nichtswürdigkeiten zu Tage gekommen, daß die Fürstin vor Schreck ohnmächtig wurde, von solchen Banditen umgeben zu sein.

WALDEMAR.

Was Sie sagen! Entflohen, zwei Diener [577] der Frau Fürstin! Das ist auffallend. Ich sage Ihnen gelegentlich, weshalb diese Flucht auch mir ein Rätsel löst. Doch jetzt gehören Sie unsern Freunden. – Wein her! – Bediente präsentieren. Was tun wir, die Zeit zu töten?

HUGO.
Laßt uns plaudern und medisieren.
HENRY.
Oder mit Pistolen nach der Scheibe schießen.
WALDEMAR.
In einer Krankenstube? das wäre sehr rücksichtsvoll.
HENRY.
Nun, es ist nicht das erstemal, dort in der Tür steckt noch der Scheibennagel.
RANDOR.

Nein, das ist nichts, bei Kerzenlicht schieße ich nicht um Geld. – Aber was quält ihr euch, Nichtswürdiges auszudenken? Nehmt die Karten, das ist offenbar das Ruchloseste von allem.

ALLE.
Ja, gut, wir spielen.
WALDEMAR.

Meinetwegen – Tisch und Karten! –Ein Spieltisch wird hereingesetzt. Mir erlaubt ihr, vom Sofa aus mitzuspielen. – Randor, setze für mich. Gibt ihm eine Tasche. Wer nimmt die Bank?

RANDOR.
Udaschkin, das Glückskind, es ist sein Amt.
UDASCHKIN.
Heut nicht. Nehmen Sie die Karten, Baron.
RANDOR.
Ich kann nicht, ich bin ja Waldemars Vormund; es hilft Ihnen nichts, nehmen Sie, Udaschkin.
UDASCHKIN.
Ich tu' es heut ungern. Sie gruppieren sich am Spieltisch.
RANDOR.
Wie stark die Bank? Bei Euch, mein Fürst, muß man das fragen.
UDASCHKIN.
Die Brieftasche hier und was ich sonst habe.
RANDOR.
Gut, das lass' ich mir gelten. Sie spielen.
WALDEMAR
der sich auf das Sofa gesetzt.

Da kleben sie fest am Geld, wie ein Haufe Fliegen am Zucker, ein zweckloses, unnützes Geschlecht, ohne Mark im Rücken, mit sehr geringer Wärme im Herzen.

RANDOR.
Welche Karte willst du setzen, Waldemar?
[578]
WALDEMAR.

Fünfzig Louis zur Sieben. – Randor, Henry, sie alle, was sind sie mir, und was bin ich ihnen? Schlechte Gefährten einer wilden Trunkenheit; mir ist, als hätt' ich einen Rausch ausgeschlafen, und die bleichen Gesichter der Genossen starren mich an, wie Larven.

RANDOR.
Gewonnen, Waldemar!
WALDEMAR.

Laß stehen. – Und was soll aus mir werden? Unsinnige Frage. Was kann aus mir werden? Nichts mehr, ich bin fertig gekocht durch den Sonnenschein des Lebens, ja ich fange bereits an, einen kleinen Beigeschmack von Fäulnis zu bekommen.

RANDOR.
Gewonnen, Waldemar!
WALDEMAR.

Laß stehen. – Ich sehe mich allein, allein, wohin ich blicke, eine grauenvolle Öde. Keine Tätigkeit lockt mich, es ist alles sehr unnütz und zwecklos. Ich fühle mich ohne Willen, wie gebannt glotze ich dumpf und schläfrig in eine ewige Finsternis, ohne Interesse, ohne Leben, o es ist kläglich, kläglich. Legt das Haupt auf den Tisch.

RANDOR.

Wieder gewonnen, Waldemar! Er hört nicht – das Ganze zur Dame – huit et madame – Bei Gott, sechshundert Louisdor gewonnen, Waldemar!

UDASCHKIN.
Die Taille ist zu Ende. Sie haben Glück, Herr Graf.
WALDEMAR.

Wein her! Ich habe stets im Anfange Glück, um zuletzt Unglück zu haben. Bediente präsentieren, alle außer Udaschkin treten zu Waldemar.

RANDOR.
Die Bank hat viel verloren.
WALDEMAR
der Udaschkin beobachtet, sieht, wie Udaschkin heimlich ein Spiel Karten aus der Tasche zieht und verwechselt.

Er will sein Glück verbessern, er wird jetzt falsch spielen. Seltsamer Gesell, er ahnt, daß ich ihm Unheil brüte, und doch flattert er wie eine Motte in die heiße Versuchung.

[579]
RANDOR.
Die zweite Taille beginnt. Worauf soll ich setzen, Waldemar?
WALDEMAR.
Auf den König.
RANDOR.
Wie viel?
WALDEMAR.
Alles, was ich dir gab.
RANDOR.

Teufel, das ist grob! Jetzt, mein Fürst, hütet die Bank. Dem Spiel folgend. Trois et deux – quatre et madame – roi et valet. Alles ist verloren, Waldemar.

WALDEMAR.
Gut, fange auf, Randor. Wirft ihm eine Börse zu.
RANDOR.
Was soll ich setzen?
WALDEMAR.

Die Börse zum König. Tritt an den Tisch; kurze Pause, in welcher weiter gespielt wird; Waldemar ruhig fragend. Mein Fürst, seit wann haben Sie eine Nähterin zur Geliebten?

UDASCHKIN
innehaltend.
Wie so? Was meinen Sie damit, Herr Graf?
WALDEMAR.
Weil Ihre Karten durchstochen sind.Alle springen auf.
ALLE.
Durchstochen?
WALDEMAR
die Taille ergreifend.

Hier, hier und hier, der ganze Talon mit Stichen bezeichnet, dies sind falsche Karten, der Bankier hat falsch gespielt.


Alle treten schweigend auf eine Seite, der Fürst steht allein. Pause.
WALDEMAR
ihm artig Brieftasche und Banknoten präsentierend.

Hier, gnädiger Herr, Ihre Kasse und Ihr Gewinst. Mein Wagen steht bereit, Sie nach Hause zu bringen. Meine Freunde sind Männer von Ehre, sie haben ihr Wort gegeben, über alles, was hier vorgegangen, zu schweigen.

UDASCHKIN.
Ich frage den Teufel nach euch allen.Ab.
WALDEMAR.

Ihm nach, Hugo! Nimm dies kleine Messer, ich fand es damals, als ich erkrankte, zwischen meinen Rippen und den Falten des Mantels, es gehört dem Fürsten; gib es ihm zurück gegen die Papiere, welche hier angegeben sind. [580] Gibt ihm einen Zettel. Die Papiere sende morgen früh unter Kuvert zur Frau Fürstin. Eile, Hugo. Hugo ab.

RANDOR.

Mir ist, als hätte der Blitz vor uns eingeschlagen. – Das war eine häßliche Komödie, die du mit uns gespielt hast Waldemar.

WALDEMAR.
Das ganze Leben ist eine häßliche Komödie. – Ich bin müde, meine Herren. Gute Nacht.
RANDOR.
Gute Nacht. – Randor, Henry, Gäste ab.

Box an der Tür.
WALDEMAR.
Schaffe die Lichter fort, laß mich allein. Box mit Lichtern ab.
WALDEMAR
allein, schenkt sich Wein in das Glas.

Umsonst, auch der Wein widert mich an. Jeder Genuß wandelt sich vor meinen Lippen in das Gegenteil. Wie Tantalus stehe ich mitten in der Flut, und die Wasser gurgeln zur Tiefe rings um meinen dürstenden Mund, und die Früchte über meinem Haupte schnellen in die Höh', so oft ich danach greife. Das wird mir unheimlich! Zuerst erhalte ich statt eines Rendezvous einen Messerstich; ich trete von da hinein in das ruhige Glück ehrlicher Leute, und meine bloße Gegenwart bringt ihnen Schmerzen, Elend und Schande; ich gewinne ein Mädchen lieb, nicht mit den Augen, sondern endlich einmal recht schlechtweg von Herzen, und dasselbe Geschöpf Gottes flucht mir augenblicklich dafür und jagt mich von sich, wie man einen Hund von der Schwelle jagt, und wie ein Hund gehe ich auch. Das ist sehr seltsam! – Bah! Albernheit ist's, Blödsinn, krankhafte Schwäche! Und wer ist sie, das arme, unwissende Ding, diese Gärtnerstochter? Könnte ich sie nur verachten, mir würde besser. – Ich kann nicht, ich kann nicht! Die klare, sichere Empfindung, ihr jungfräuliches Vertrauen, es hat mich gefesselt an Arm und Bein, ich stecke in der Schlinge, wie eine erwürgte Drossel. – Ich will zu ihr – ich kann nicht beten, nicht schwören, nicht die Hände ringen, aber ich kann ihr sagen, daß mir in der Welt [581] an nichts mehr etwas gelegen ist, nur an ihrer Vergebung. – Kommt zurück. Tor, selbstsüchtiger Tor! Deine Nähe vergiftet, dein Gruß bringt ihr Verderben! Und kann selbst sie mich gesund machen? Ich wette, sie kann's nicht. Der Hauch ihres Mundes hat nur zusammengeblasen, was von toter Asche in mir lag, und jetzt drückt der ganze Wust des verkohlten Lebens auf mein Herz. – Dafür gibt's keine Hilfe, auf Erden keine, keine. – Stützt sich auf den Diwan. Holla, wer kommt? Herein, du später Gast, du wirst einen wunderlichen Gesellschafter finden.


Georgine durch die Tapetentür links.
WALDEMAR.
Wer da! Kater oder Katze? – Frau Fürstin!
GEORGINE.

Vergessen Sie heut, mein Graf, daß Georgine Udaschkin ein Weib ist; denken Sie, ich sei ein Mann, ein alter Freund, welcher kommt, seine Freundesrechte in Anspruch zu nehmen. Was die Welt Rücksichten nennt, zwischen uns darf das jetzt nicht gelten. Sie haben mich einst Ihre Freundin genannt; dies Zeichen des Vertrauens Den Schlüssel zeigend. ich habe es bewahrt! Ich komme zu Ihnen, um Vertrauen und Mitteilung zu fordern, von einem Kranken zu fordern, der sich selbst verloren hat.

WALDEMAR.
Bei Gott, ein hochherziges Weib, und von ihr habe ich das nicht verdient.
GEORGINE
launig.

Ohne Umstände, lieber Graf,Ihn zum Sitzen auf den Diwan einladend und sich komisch auf eine Fußbank kauernd. ich heiße diesen Abend George und bin Ihr Trinkbruder, ohne Umstände, setzen Sie sich. – Sie rühmten einst meine fröhliche Laune, ich komme, sie Ihnen zu beweisen. Einen Anbeter habe ich in Ihnen verloren, bon! es tut gar nichts, ich bin liebenswürdiger als Freund, wie als Freundin. – Ich komme, Sie zu zerstreuen, Ihre Melancholie durch kleine Malicen wegzuplaudern, meinetwegen auch Sie in den Schlaf zu reden.

WALDEMAR
ihre Hand fassend.

Und doch zittert Ihre Hand und [582] Ihr Auge blickt unstet, auch Ihre Fröhlichkeit hat einen trüben Bodensatz um meinetwillen.

GEORGINE.

So? Und rechnen Sie das Wegstück für nichts, bei einem so berüchtigten Korsaren einzudringen? Sie sollen merken, Graf Waldemar, daß der zitternde Ton meiner Stimme der einzige Überrest weiblicher Schwäche ist. – Und jetzt plaudern wir, schnell, damit Sie dies hypochondrische Gesicht verlieren. Erst werde ich Sie gesund machen, dann sollen Sie mit mir reisen.

WALDEMAR.
Und wohin?
GEORGINE.

Altfränkische Frage, in die Welt. Ich werde sehr leichtsinnig sein; niemand soll mich begleiten, als mein Windspiel Puck, der mir das Liebste auf Erden ist, dann Graf Waldemar, den ich manchmal wohl leiden mag, meine Kammerfrau, die ich in das Gesicht kratze. – Ich entführe Sie – prächtig! ich entführe Sie geheimnisvoll, und während die unbehilflichen, groben Menschen hier im Lande noch starr sind vor Entsetzen, ziehe ich Sie neckend über Berg und Tal, als ein Schmetterling, der eine Brummfliege reisen lehrt.

WALDEMAR
mit Empfindung.
Liebe Georgine!
GEORGINE
zärtlich.
So müssen Sie mich ansehen, in dem Blick liegt doch etwas Menschliches.
WALDEMAR
ihr Haar berührend.
Ein Schmetterling, das Gleichnis paßt.
GEORGINE
vorwurfsvoll.

Schwerfälliger, trüber Gesell! Sie wendet sich zu ihm und streckt die Arme nach ihm aus, die dunkle Hülle gleitet von ihren Schultern, zärtlich. Waldemar!

WALDEMAR
der sich zu ihr niederbeugt, hält an, starr.
Still, woher der Ton? Den habe ich schon sonst gehört.
GEORGINE.
Was hast du?
WALDEMAR.

Es war nichts. Meine Sinne sind schwach und meine Phantasie riecht selbst aus Rosen den Leichenduft. O sprich weiter, du schöne Fee!

[583]
GEORGINE.
Waldemar, geliebter Mann!
WALDEMAR.

Horch, da tönt's wieder, wie aus dem Grabe klingt die Stimme, sie ruft alte, klägliche Erinnerungen wach. – Laß mich dein Antlitz sehen!Starrt sie an, aufspringend, schreiend. Ha! ich kenne dich! – Blödsinniger Tor, dies Auge sah ich schon einst, so hob sie den Arm, so wies sie die Zähne, wenn sie lachte – und ihr Kind trägt sie in einem Korbe zum Nachbar und verschwindet. Weib, wer bist du? Du bist nicht von Fleisch und Blut, ein Dämon bist du, gesandt mich zu zerstören.

GEORGINE.
Erkennst du mich jetzt, Graf Waldemar?
WALDEMAR.

Man kennt sich wohl endlich wieder, auch wenn man sich verändert hat. – Hahaha! Jetzt sehe ich, wie's mit meinem Leben steht; eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt und daran krepiert. – Das Ende und der Anfang kommen zusammen, der Kreis ist geschlossen, ich bin fertig.Wirft sich in die Rissen.

GEORGINE
ihn schüttelnd, in Angst.
Waldemar! Waldemar, sprich zu mir, nur ein Wort! Ein Wort, Waldemar!
WALDEMAR
tonlos.
O, schöne Frau, verzeihen Sie meine Unart, aber ich bin krank auf den Tod. –
GEORGINE
beiseite.

Meine Kraft geht zu Ende, ich werde verlieren, o Qual, bittere Qual! – Laß mich so nicht von dir gehen, Waldemar! Es könnte ein Unglück werden für uns beide!

WALDEMAR
schweigt.
GEORGINE.

Du schweigst? Du wendest dich ab? –An der Tür. Verräter! noch einmal sollst du mir ins Auge sehen, und dann nie wieder! Georgine ab.

WALDEMAR
nach einer Pause.

Mein Witz ist bankrott. Ich habe oft mit andern gespielt, jetzt bin ich ein Spielball geworden, für Weiber, Kinder und – Gespenster. – Ich bin am Ende, das will erkannt sein, und danach wollen wir uns richten. Was tut's auch, daß das letzte Kapitel des Romans kläglich war! Es liegt beim Teufel nichts an der ganzen Geschichte. – Schellt.

[584]
BOX
beiseite.
Er ist allein!
WALDEMAR.
Hole mir den Gärtner Hiller, sogleich.
BOX.

Gnädiger Herr, er ist bereits hier, ich wagte nicht ihn zu melden, weil der Herr Graf allein sein wollten.

WALDEMAR.

Schurke! – führ' ihn herein. Box ab. Auch diese Rohrdommel fängt an, die Federn gegen mich zu sträuben.


Hiller.

Ihm entgegen. Vater Hiller, willkommen in meinem Hause! Reicht mir die Hand, guter Mann; sprecht, habt Ihr einen Groll gegen mich?

HILLER.

Keinen Groll, Herr Graf, aber schwere Sorge ängstigt mich und führt mich noch so spät zu Ihnen. – Die Mutter des Kindes ist zurückgekehrt.

WALDEMAR.
Ich weiß es.
HILLER.

Sie hat meiner Tochter gedroht, den Knaben von uns zu nehmen und ihm ein Leid anzutun. In großer Furie ist sie fortgegangen, und wir müssen jede Stunde das Ärgste erwarten. – Ich habe die Absicht, wenn der Herr Graf einverstanden sind, den Knaben mit meiner Tochter tief in das Land zu schicken, zu einer Schwester von mir. Dort mögen sie verborgen bleiben, bis ich das Grundstück verkauft habe und ihnen nachziehe.

WALDEMAR.
Sie wollen fort von hier, Hiller?
HILLER
halb abgewendet.
Unser Wohnhaus wird baufällig, wir müssen ein anderes suchen.
WALDEMAR.

Ich verstehe. Mit dem Fuße stampfend. Verflucht, da bin ich wieder! Hastig. Vater, ich habe ein Gut, am Gebirge, einen großen Park dabei und Gewächshäuser, dort fehlt mir ein Garteninspektor – geht hin, Vater die Luft ist gesund, es ist ein sicherer Ort, geht, Vater! Ich komme nur einmal im Jahre hin – ihr schüttelt mit dem Kopf? – Ich will gar nicht hinkommen, Vater, nie, nie, ich will's euch zuschwören!

[585]
HILLER
sich zum Gehen wendend.
Ich danke, Herr Graf, Sie meinen es gut, aber es geht nicht. Gute Nacht, Herr Graf.
WALDEMAR.
Geht noch nicht, Hiller! Sagt mir, was macht Gertrud, wie sieht es mit dem Knaben?
HILLER.

Sie sitzen in der Stube Ihres Türstehers und erwarten meine Rückkehr, Gertrud fürchtete sich, allein zu Haus zu bleiben.

WALDEMAR.

So gehen Sie, Hiller. Morgen in der ersten Frühe komme ich selbst, oder ich sende Ihnen einen zuverlässigen Mann, der Ihnen helfen wird, wo Sie wünschen. Und noch eine Bitte: erlauben Sie mir eine Unterredung mit Ihrer Tochter?

HILLER.
Mit meiner Tochter? – Sie wird kommen, Herr Graf.
WALDEMAR.

Leben Sie wohl, Hiller! Hiller ab. Der Gram sitzt in seinen Zügen! Alles meine Arbeit! – Auch dies Letzte wird vergeblich sein. Er sieht nachdenkend.


Gertrud.

Weich. Gertrud!
GERTRUD
geht bewegt auf ihn zu, reicht ihm eine Hand, dann die andere.

Ich bin heftig gegen Sie gewesen, verzeihen Sie mir das! – Stützt ihr Haupt auf seine Schulter. Ich hatte damals gehört, Sie liebten eine andere, das hat mich zornig gemacht, nachher hat mir's sehr leid getan. Als aber heut die Fremde bei mir war, sagte sie mir höhnend: Sie wären mir gut, und ich, ich liebte Sie wieder. Da erkannte ich, wie es mit mir stand. – Ich muß Ihnen alles sagen, wie es gekommen ist, denn der Vater erwartet mich, wir müssen scheiden, und ich sehe Sie niemals, niemals wieder! Und so dachte ich mir, die letzten Worte, die Sie von mir hörten, sollten diese sein. – Leben Sie wohl, ich werde immer an Sie denken.

WALDEMAR
wendet sich schweigend ab, verbirgt das Gesicht, Pause.
Und Sie müssen gehen, Gertrud?
[586]
GERTRUD.
Ich muß.
WALDEMAR.
Ich bin sehr krank, Gertrud.
GERTRUD
weich.
Ich habe gehört, lieber Bruder.
WALDEMAR.
Und was soll ich tun?
GERTRUD.

Sie sind wohl jetzt bitter und feindlich gegen Welt und Menschen, aber Sie müssen bereuen, was Sie Unrecht getan haben, und still und gefaßt tragen, was aus alter, wilder Zeit auf Sie fällt von Pflichten und Schmerzen. Sie müssen dafür leben, das gut zu machen, was sie versehen haben.

WALDEMAR
lebhaft.

Nein, Mädchen, was du sagst das kann ich nicht, ich kann nicht den Kopf hängen und seufzen: zehn Menschen habe ich unglücklich gemacht, zwanzigen muß ich jetzt helfen; solches Barfüßerleben kann ich nicht führen, ich kann nicht leben, wenn die Gegenwart mir nichts ist, als ein umgewendeter Magen der Vergangenheit, solch schwindsüchtige Resignation ist nichts für mich. Soll ich leben, so muß ich tüchtig leben auf meine Faust; zu jedem Unrecht, das ich je getan, muß ich sagen können: ich habe dich getan, ich tu's nicht wieder, und damit abgemacht; keck und freudig muß ich leben können auf frische Rechnung; nur dazu hier sein, um alte Schulden zu bezahlen, das kann ich nicht.

GERTRUD.
Weil Sie das nicht wollen, deshalb quält Sie jetzt die alte Schuld.
WALDEMAR.

Ja, beim Teufel, das tut sie, aber das muß ich ändern. – Sie vorführend, rasch. Gertrud, könntest du dir denken, an meiner Seite zu leben?

GERTRUD
erschrickt.
WALDEMAR.
– Alles mit mir zu teilen, was ich mein nenne? Namen, Stand, Reichtum, alles will ich dir geben.
GERTRUD
liebevoll.

Können Sie mir etwas Größeres geben, als was ich Ihnen dafür wiedergebe, meine Liebe? Es gibt ja nichts auf der Welt, was mir mehr wert ist. – Was Sie mir sagen, sehr hold klingt es in mein Ohr – aber es kann [587] nicht sein, es ist unmöglich. Zu ungleich sind wir im Herzen, Sie wollen mich nehmen, wie der Kranke eine Medizin nimmt, um gesund zu werden, und ich würde das wohl fühlen, und das könnte ich nicht ertragen. Und dann, als die Fremde bei mir war, da sah ich, daß etwas zwischen uns steht, wie ein Schatten, ich weiß nicht, was es ist aber es hält mich fern von Ihnen. – Und so kann's nicht sein, daß wir zwei zusammen kommen auf dieser Erde.

WALDEMAR.

So geh' dahin, und lebe, wie du kannst. Weißt du ein Mittel, die Wunden zu heilen, die ich dir geschlagen?

GERTRUD.
Ich werde arbeiten, und immer werde ich an Sie denken.
WALDEMAR.
Gehe, Gertrud.
GERTRUD
ihn küssend.
O, lebe wohl, der erste und der letzte Kuß, lebe wohl! Ab.
WALDEMAR
klingelt.

Box.
WALDEMAR.
Welche Zeit ist?
BOX.
Um Mitternacht.
WALDEMAR.

Fahre zum Grafen Hugo, ich lasse ihn bitten, mich sogleich zu besuchen. Dann eilst du zu meinem Notar, auch dieser soll kommen und Zeugen mitbringen, es wird einer sein Testament machen.


Vorhang fällt schnell.

5. Akt

1. Szene
Szene.
Gärtnerwohnung. Zimmer wie im vorigen Akt. Eine Lampe brennt.
Hans schlafend, in dem Lehnstuhl, welcher ihn verdeckt, Gertrud mit Reisegepäck beschäftigt.

GERTRUD
Sachen tragend.

Ich bin fertig und zur Reise bereit. – Hier noch das neue Wams des Kleinen, das nehme ich mit. Ich nähte daran, als er bei uns war, und ich hoffte, vor seinen Augen würde es der Hans das erste Mal tragen! Den schlafenden Hans betrachtend. Du unschuldiges Kind! Schlafe, du Sohn meiner Schmerzen, zum letzten Mal in dem Raum, wo deine Jugend aufblühte. – Wunderbare Fügung! Vor wenig Wochen stand ich deinem Vater gegenüber und forderte mit kindischem Hochmut seine Vaterliebe für dich, und jetzt fliehe ich mit dir vor deiner eigenen Mutter. Damals schalt ich ihn in meiner Seele, weil er deine Mutter nicht mehr im Herzen trug, und jetzt fürchte ich, daß er sie doch noch lieben könnte. – Sonst war die Träne schnell in meinem Auge, und hätte man mir erzählt, was ich selbst erlebt habe, ich hätte mich heiß und rot geweint über all das Verhängnis; und heut knüpfe ich mein Bündel zusammen und scheide von fast allem, was mir lieb ist, von dem Vaterhaus, aus der Nähe des Mannes, an dem mein schwaches Herz sehr fest hängt, und mein Auge ist trocken und mein Gemüt ist ruhig und ernst, wie ein blauer Himmel in der Nacht. Sehr bin ich verändert und ich wundere mich darüber. Mein Tuch könnte ich um mich ziehen und still durch aller Herren Länder gehen. Wie kommt das? – Man sagt, kurz vor dem Tode soll der Menschen Gemüt so werden, wie ein Wasserspiegel, alles Ufer spiegelt sich darin, und man kann hinuntersehen bis auf den Grund. – Ist mir mein Sterben nahe? – Und ist[589] es nicht der Tod, so ist es das Leben selbst, was mich geändert hat. O ja, jetzt ahne ich, was das Leben ist.

Der Vater verweilt lange mit dem Wagen. Das Fenster zur Seite rechts öffnend. Schon graut der Morgen, Sie löscht die Lampe, graues Morgenlicht im Vordergrund, der Hintergrund bleibt dunkel. es wird kühl und der Wind erhebt sich in den Obstbäumen. Pause, Geräusch. Ich höre Tritte! Der Vater kommt, er bringt die Pferde. Eilt zur Tür, öffnet.


Vier verhüllte Diener die Tür besetzend, welche im Dunkel bleiben muß, gleich darauf Georgine.
GERTRUD
zurückfahrend.
Ha! – Wer seid Ihr? – Wehe uns, die Fremde! – Zum Fenster. Hilfe! Hilfe!
GEORGINE
sie hindernd.

Schweig, Törin, du rufst vergebens. – Du hast mich verraten, dafür strafe ich dich da, wo es dir und ihm am meisten weh tut. Ich komme, mein Kind zu holen!

GERTRUD.
Wehe uns, wir sind verloren.
GEORGINE.
Wo ist das Kind?
GERTRUD.
Es gehört ihm, so gut wie dir; du darfst es nicht rauben, er muß es wissen!
GEORGINE.

Meinst du, ich werde ihn fragen? Die Stunde ist mein, du aber hüte dich. Halte meinen Fuß nicht auf, es wäre zum Verderben.

GERTRUD.
Er schläft; Erbarmen, Erbarmen, raubt ihn nicht im Schlafe!
GEORGINE.
Vorwärts!
GERTRUD
sich über den Lehnstuhl werfend.
Nur über meine Leiche!
GEORGINE
sich drohend zu ihr beugend.
Du wirst zur Leiche, wenn du mich hinderst!

Waldemar.
WALDEMAR
ernst.
Wer spielt hier am frühen Morgen mit Masken?
GEORGINE
zurücktretend.
Er selbst!
GERTRUD.
Zu Hilfe, Herr Graf, sie rauben Ihren Sohn!
GEORGINE.

Stellt euch zur Tür, wer herein oder hinaus [590] will, wird festgehalten. – Sie sind zu guter Stunde gekommen, Graf Waldemar, Sie sind in meiner Gewalt.

WALDEMAR.

Das käme auf eine Probe an, Frau Fürstin! Rasch zu Gertrud tretend, welche an dem Lehnstuhl steht. Gertrud, das Morgenlicht hat mir Mut gemacht, ich komme zu deinem Herzen zu sprechen – noch einmal frage ich dich kannst du mein Weib werden?

GERTRUD.
O mein Gott!
WALDEMAR.
Laß diese dich nicht irren, sprich, Gertrud!
GERTRUD
flehend.
Rette mir den Knaben und laß mich ziehen!
WALDEMAR.
Und weshalb mußt du fort?
GERTRUD.
Sieh jene an. – Ausbrechend. Waldemar, sie war ja doch dein Weib, sie hat ein Recht an dich.
WALDEMAR
weich, resigniert.

Fühlst du so, ich denke anders! Doch du bist mir wie eine Gottheit, dir muß ich glauben; du sagst es, sie soll ihr Recht haben, und ich bin am Ende. – Verzeihung, Frau Fürstin, jetzt stehe ich zu Ihren Diensten. – Sind Ihre Begleiter nötig zu der Entscheidung dieser Stunde? Es ist früher Morgen, und ich habe einigen Grund, anzunehmen, daß diese Herren für ihre Geschäfte die Abendzeit vorziehen.

GEORGINE
finster.

Sie hören Ihre Worte nicht. Es sind Leibeigene, und sie werden Sie töten, Herr Graf, wenn ich einen Wink gebe.

WALDEMAR.

Ah! das wird ernsthaft. Finster. So hören Sie auch meinen Ernst. – Schach der Königin! Haben Sie die Gnade, diese schwarzen Bauern von unserem Schachbrette herunterzuwerfen und sich selbst zu weniger abenteuerlichen Zügen zu verstehen, sonst vergesse ich Ihre Hoheit und behandle Sie wie eine hungrige Wölfin Ihrer Wälder.

GEORGINE.

Diese bleiben, du aber töte mich, wenn du es wagst. Ich will mich rächen oder sterben. Du hast meine Jugend vergiftet, hast mein Leben mit Lüge, Verstellung und Heuchelei gefüllt, hast mir zum zweitenmal Liebe gelogen, mich [591] zum zweitenmal verraten, sprich, Ungeheuer, gibt es einen Teufel der Hölle, der schwärzer ist als du?

WALDEMAR.

Hm! Es ist Natur in Ihrem Verlangen nach Rache. – Jagen Sie diese Schurken vor die Tür und ich schwöre Ihnen bei meiner Ehre, Sie sollen nicht von hier scheiden, ohne jede Rache mit sich fortzunehmen, deren Sie zur Sättigung bedürfen.

GEORGINE
weist die Diener durch eine Armbewegung hinaus.
WALDEMAR.

Wohlan! Sie wollen den Knaben fortführen aus seiner Heimat, von dem schützenden Auge seiner Pflegerin ziehen, nicht zum Heil, sondern zum Unheil, nicht aus Liebe, nur aus Haß.

GEORGINE.
Er ist dein Sohn.
WALDEMAR.

Und der Ihrige, und unschuldig an der ganzen Verwirrung. Sie werden dadurch das Weib bis auf den Tod verwunden, welches Ihre Freundin war und Ihr Leben erhielt, als es mit dem Verderben rang.

GEORGINE.
Ich dank ihr's nicht, wir sind quitt.
WALDEMAR.
All Ihr Hassen geht auf mich, mich wollen Sie züchtigen in dem Knaben, in dem Schmerz dieser.
GEORGINE.
Du rechnest gut, Graf Waldemar, beeile den Schluß.
WALDEMAR.

An vielem, was Ihr empörtes Gefühl in dieser Stunde mir aufbürdet, bin ich unschuldig, und vergebens suchen Sie Ihr ungewöhnliches Geschick auf mein Haupt zu wälzen. Und doch sind wir beide schuldig, Georgine. Im frechen Übermut der Jugend haben wir unser Fühlen in kurzer Verbindung vergeudet. Wohl weiß ich, daß dieses Übermutes größter Teil auf meiner Rechnung steht, wohl weiß ich, daß ich Ihr Leben gewissenlos geschädigt habe, als ich nach dem Rausch weniger Tage Sie verließ. – Sie haben deshalb ein Recht an mein Leben, ein altes, verhängnisvolles, so fühlen Sie und so sagt eine, die ich liebe. Und deshalb biete ich Ihnen [592] einen Tausch. – Ich kann Ihrer gekränkten Empfindung nicht mehr die Sühne geben, die sonst das Weib von der Liebe des Mannes ersehnt, ich kann das Weib in Ihnen nicht mehr erkennen. Und so biete ich Ihnen die letzte Rache, die der Mann dem feindlichen Manne gewähren kann. Verkaufen Sie mir Ihr Recht auf den Sohn gegen dies Recht auf den Vater. Zieht ein Pistol hervor. Lassen Sie den Knaben frei und nehmen Sie alles, was ich von meinem Leben Ihnen geben kann. – Den Vater für den Sohn! Sie zögern, Georgine, und doch spreche ich in Ihrem Ton, und ich meine, der Tausch ist nach Ihrem Geschmack.

GEORGINE.
Ich zögere nicht, her das Pistol!
GERTRUD
vortretend.

Nicht weiter, ihr Schamlosen! Rasend seid ihr beide, und nur Greuel, keine Versöhnung liegt auf diesem Wege. Wollt ihr gesund machen, indem ihr tötet? Kinder, unsinnige Kinder, die ein kostbares Kleinod leichtsinnig zerbrechen, weil es ihnen nichts Besseres war, als ein Spielzeug für ihre vergängliche Laune. Nicht weiter, Waldemar, jedes Wort aus deinem Munde ist ein Frevel, und Wahnsinn ist, was euch treibt.

WALDEMAR
düster.

Aus dem Wege, Gertrud! Vergebens tönt deine Stimme in das Getöse der Wogen, die zwischen uns aufschlagen. Der Inhalt meines Lebens ist verschüttet, du hast verweigert mir einen neuen zu geben; es ist gut, so wie es ist, ich rette dir den Knaben und zahle meine Schuld gegen dich, den Knaben und jene auf einmal. – Gutes Glück, Georgine, hier nimm den Boten der Versöhnung. Gibt ihr das Pistol.

GEORGINE
das Pistol hastig ergreifend.

Jetzt gehörst du mir! Jahrelang habe ich gerungen nach dem Augenblick, wo ich dich in meinen Armen hielte und dir in das Ohr raunte: Waldemar, du Verräter, du bist doch mein! – Wohl ist es anders gekommen, aber ich halte dich doch in meiner Hand und rufe dir zu: jetzt bist du mein Graf Waldemar, zum Tode!

[593]
WALDEMAR
die Arme untergeschlagen.
Ich bin bereit!
GERTRUD
dazwischen stürzend.

Halt ein! Du sollst ihn nicht töten. – Hier ist dein Sohn, unnatürliche Mutter, führ' ihn hinweg! Wirft ihr das Kind zu, es fällt vor ihr auf die Knie, Gertrud Waldemar umschlingend. Du aber gehörst mir, und mit dir will ich sterben.

HANS
zu Georgine flehend.
Tu' mir nichts zu Leide.
GEORGINE
sieht wild und irr von einem auf den andern und versucht vergebens die Waffe anzulegen, endlich haftet ihr Blick auf dem Kind, sie zittert, das Pistol entfällt ihrer Hand, sie stürzt auf das Kind.

Mein Sohn! Lange Pause; sie liegt das Kind umschlingend, und schluchzt, dann erhebt sie sich, küßt das Kind oft und führt es zu Gertrud. Hier ist deine Mutter! Verbirgt ihr Haupt an Gertruds Brust, dann bittend. Du mußt ihm Gutes von seiner Mutter erzählen! – Steht und hält das Taschentuch vor die Augen, dann mit schnellem Übergange in leichtem Ton. Leben Sie wohl, Graf Waldemar, meine Wagen sind gepackt, ich gehe noch in dieser Stunde nach Paris. Wenn Sie Ihre Gartenidylle ausgespielt haben, hoffe ich Sie dort wiederzusehen, Weich. – als einen Freund! Sie reicht ihm die Hand und hält die seine einen Augenblick, dann schnell ab.

GERTRUD
sich zu Hans niederbeugend.
Hans, mein Sohn, verzeihe mir, ich habe dich verraten.
WALDEMAR
ihr gegenüber, ernst.
Und für den Vater deines Sohnes hast du kein Wort, Gertrud?
GERTRUD
scheu, leise.
Sie haben sich töten wollen, Sie haben Unrecht getan!
WALDEMAR.

War das ein Unrecht, Gertrud? Vor wenig Stunden sprachst du selbst, mein Leben sei der Buße für vergangenes Unrecht verfallen. Wenn das ist, wenn die Tage meiner Zukunft finster und freudenlos sein müssen, was schiltst du mich, daß ich mit einemmal die Forderung zahlen will, die das Verhängnis an mich hat? Was schiltst du mich, Gertrud, da du mein Leben verloren nennst?

GERTRUD.
O, es war Unrecht, was ich sprach, ein Frevel war es gegen dich und Gott.
WALDEMAR.
Gertrud!
[594]
GERTRUD.

Als die Waffe gegen dich erhoben war, da fühlte ich erst, wie sehr groß ein Menschenleben ist, und es schrie in mir: sein Leben ist heilig, es darf nicht verloren gehen, er liebt dich, und du gehörst zu ihm in Leben und Tod. Umarmt ihn.

WALDEMAR.
Heil dieser Stunde! Denn, Gertrud, dieses Wort macht dich zu meinem Weibe.
GERTRUD.
Feierlich ist mir zu Mut, Waldemar, und in meinem Herzen ist kein Raum für die Freude.
WALDEMAR.

Ich aber fühle frische Lebenslust um meine Schläfe. Weggeworfen habe ich alles, was uns trennte in der Meinung unserer Zeit, und an deiner Seite, du reines Weib, will ich die Sühne für altes Unrecht nicht in demütiger Reue finden, ich will sie finden durch ein neues Leben voll freier, gesunder Tätigkeit. Durch das Leben selbst versöhne ich mein Leben, und du, Gertrud, du bist der Engel, der mir helfen wird.


Hiller.
HILLER.
Ein Fremder.
WALDEMAR.

Kein Fremder mehr! Den Knaben ergreifend. Drei Menschen siehst du hier, die zu einem Leben zusammenwachsen wollen. Sieh her, diese will; gib mir dein Kind zum Weibe, Vater!

HILLER.

Seit sieben Jahren warst du's in diesem Knaben, für den wir lebten. Heut kommst du zu uns, sei gegrüßt!

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