[101] Der Liebes-Rath.

1. Kapitel

Erstes Kapitel.

Ja, aber die Bekanntschaft, lieber Herr P–! sagte der Baron L–: ich mag mich zehnmal verlieben, wenn ich nicht bekannt mit ihr werde; was hilft mir's?

Herr P. Kleinigkeit! Kleinigkeit! Lieber Herr Baron! So wie Ihnen eine gefällt, immer darauf visirt! Gehen Sie ihr nach; sehen Sie, wo sie wohnt, und sobald Sie es wissen, wollen wir weiter sehen.

Baron L. Sie sind ein charmanter Mann! Ich wollte was darum geben, wenn ich Ihre Kenntnisse hätte.

Herr P. Gehorsamer Diener! Freilich hab' ich ein bischen Erfahrung! – Ohne Eitelkeit, aber ich kenne die Weiber durch und durch. Wie ich Ihnen sage: verlieben Sie sich nur, und die Gegenliebe ist ihnen gewiß. Aimez! On vous aimera! Da haben Sie das ganze Geheimniß.

[102] Baron L. Sie machen mir Muth! Ein so starker Praktikus wie Sie muß es freilich verstehen.

Herr P. Verlassen Sie sich darauf! Ich habe tausend Exempel davon gesehen. Zum Beispiel meine Frau.

Baron L. Madame befindet sich doch recht wohl?

Herr P. Zu Ihrem Befehl! Gehorsamer Diener! Sie ist jetzt auf unserer Villa – wie Herr P. ein kleines Landhaus zu nennen beliebte.

Sie wollten das Gespräch fortsetzen, aber es schlug vier, und Herr P. mußte eine andere Stunde geben.

2. Kapitel

Zweites Kapitel.

Drei Tage waren vergangen; der Baron hatte einige Exkursionen auf das Land gemacht und kam sterblich verliebt zurück. – Hören Sie, lieber P–! sagte er seufzend: es ist richtig! – Ich bin gefangen!

P. Nun, haben Sie denn auf's Logis gemerkt?

B. Alles! Alles! Aber was hab' ich nun zu thun?

[103] P. Nun fangen Sie an, ein halbes Dutzend mal täglich vorbei zu gehen; setzen Sie den Schneider in Nahrung und ziehen Sie jede Stunde ein anderes Kleid an: je geputzter, desto besser. Die Weiber lieben das Neue.

B. Gut, gut, daran soll's nicht fehlen!

P. Weiter: wenn Sie vorbei gehen, so schielen Sie jedesmal an die Fenster, aber laufen Sie nicht etwa im Galopp vorbei, sondern gehen Sie hübsch langsam und bedächtig, damit sie Sie bequem hinter den Vorhängen sehen kann.

B. Gut, Gut, lieber Herr P–! Ich will ihr schon ein Paar Blicke zuwerfen.

P. Weiter: wenn Sie sie etwa gewahr werden, so grüßen Sie sie, versteht sich äußerst ehrerbietig. Aber merken Sie wohl auf, es muß unbemerkt geschehen. – Wenn viel Leute vorbeigehen – Man muß nicht wissen, wem es gilt. Sie wird's aber schon wissen.

B. So? Warum denn das?

P. Ei, ei, Herr Baron! Man sieht wohl, daß Sie ein Anfänger sind. Warum? Damit sie nicht compromittirt wird. Was würden die Leute sagen? Es ist den Weibern immer nur um den Schein zu thun.

B. Sie haben recht! Ich dachte wahrhaftig nicht daran. Also vorbeigehen, hinaufschielen, [104] und verstohlen grüßen? – Nun auf Wiedersehen!

P. Und alles hübsch langsam, damit sie Sie recht mit Muse betrachten kann.

B. Verlassen Sie sich darauf! Ich will die Schritte zählen.

3. Kapitel

Drittes Kapitel.

Der Baron stieg zu Pferde und eilte fort. – Sie ist auf dem Altan! sagte er freudig, als er das niedliche Landhaus erblickte. Er gab seinem Pferde die Sporen, um sich ihr in Parade zu nähern, und sie schien ihm mit Wohlgefallen entgegen zu sehen. In dem Augenblick setzte er das Pferd in Schritt, grüßte sie mit Ehrfurcht und sah sich einigemal nach ihr um. Ihre Blicke folgten ihm nach, ja sie nahm sogar einen kleinen Telescop heraus, um ihn länger betrachten zu können. Wo wäre ein Weib, das einen schönen Reiter ohne Vergnügen ansähe?

Der Baron war entzückt und nahm von nun an keinen andern Weg. Seine Promenaden wurden so häufig, seine Blicke so ausdrucksvoll, daß man endlich anfieng, ihm zu antworten. Ihre Augen verstanden die seinigen; er hatte alles gewonnen.

[105] Haha! rief der Tanzmeister, als er ihn in acht Tagen nicht getroffen hatte: Die Expedition scheint Ihnen zu gefallen. Nun, sind Sie gut avancirt?

B. Vortrefflich, vortrefflich, lieber P–! Sie dankte mir so freundlich, daß ich alles hoffe.

P. Bon! Ich werde Ehre mit Ihnen einlegen. Aber nun müssen wir die Batterien verstärken.

B. Ich muß sie anreden?

P. Nein, nein, das noch nicht! Erst müssen Sie ihr schreiben, aber der Brief muß brennen, verstehen Sie mich? Recht warm und feurig! Sie können nicht glauben, was das für Wirkung thut. Wenn ein Mädchen so einen Brief bekommt, da kann sie sich nicht satt daran lesen; da wird er in Busen oder in Schubsack eingesteckt, und wenn sie einmal allein ist, husch heraus damit, fünfzigmal des Tages ist eine Kleinigkeit!

B. Das ist wahr, Sie kennen die Weiber durch und durch.

P. Ob ich sie kenne, Herr Baron? Meine Frau hat mir's ja selbst gesagt. Wenn ich hier so ein Billet doux schrieb, nahm sie's allemal mit zu Bette. Aber was ich sage, der Hauptpunkt [106] ist: die Schönen mit sich zu beschäftigen, und das thut so ein Brief vortrefflich.

B. Nun gut, lieber Herr P–! Ich werde Ihrem Rathe folgen.

P. Und allenfalls lassen Sie auch ein Paar Tropfen Wasser darauf, damit es aussieht, als ob Sie geweint hatten: Ein Paar Thränen thun manchmal Wunder.

4. Kapitel

Viertes Kapitel.

Der Brief wurde geschrieben und einer Chocoladenfrau anvertraut. – Ach, lieber P–: sagte der Baron: dasmal haben wir uns verdammt verrechnet.

P. Was? Hat sie den Brief nicht angenommen?

B. Leider! Leider! Sie ist entsetzlich aufgebracht gewesen. Ich fürchte, es ist alles verloren.

P. Hahaha! Verloren? Kein Baum fällt auf den ersten Hieb. Marsch, gehen Sie gleich einmal vorbei und sehen Sie, was sie für einen Miene macht.

Der Baron verließ ihn und flog nach dem Landhause. Keine Seele zu sehen. Traurig ritt er einigemal hin und her; endlich kam ein Mädchen [107] heraus; sie schien ihm zu winken; er näherte sich, sie sprang hinter die Mauer und erwartete ihn.

Um Vergebung, wie heißen Sie, gnädiger Herr? – Baron B–. – Sie sollen die Güte haben und auf den Abend um neun Uhr wieder kommen, aber zu Fuße. – Sie sagte ihm zugleich, wie er klopfen sollte, und der Baron war entzückt. In der Verwirrung fragte er wohl dreimal nach der Stunde, und warf dem Mädchen endlich ein Goldstück zu.

Er flog nach der Stadt zurück, die Entfernung war kaum eine halbe Stunde. – Ich werde sie sehen! Ich werde sie sehen! rief er dem Tanzmeister entgegen.

P. Wahrhaftig? Nun hab' ich's nicht gesagt? Aber in aller Welt, wo kommen Sie denn zu Pferde her?

B. Eben vom Landhaus.

P. (erstaunt): Vom Landhause? Was? Wo denn?

B. Gleich hinter der großen Bleiche.

P. (erblassend, aber mit verstellter Verlegenheit): Tausend! Nun ich gratulire! Aber Sie verzeihen, Herr Baron! Au plaisir!

Er gieng, und schlug sich vor den Kopf. – Par Dieu! sagte er: ich glaube wahrhaftig, es [108] ist meine eigene Frau! – Warte, du garce! – Hinter der großen Bleiche – Ja, ja, es ist keine andere Villa da! – Verdammt wär' die Geschichte! – Warte, Warte, du ehrvergessenes Weib!

5. Kapitel

Fünftes Kapitel.

Es war neun Uhr. Der Baron gab das abgeredete Zeichen, und wurde sogleich hineingelassen. – Kommen Sie, gnädiger Herr! sagte das Mädchen, indem sie ihn in das Zimmer führte. Die Madame wartet mit Schmerzen auf Sie. – In dem Augenblick öffnete sich eine Seitenthür, die Schöne trat hervor, und er flog in ihre Arme.

Kaum konnte ich hoffen! rief er, und drückte sie mit Innbrunst an sein Herz. Der unglückliche Brief! Aber Ihre Güte beruhigt mich:

Es war Vorsicht! gab sie zärtlich zur Antwort: solche Personen sind indiscret; mein Geheimniß sollte niemand wissen, als Sie. Ihre Zunge fand den Weg zu seinem Herzen; sie sanken vereint auf ein Sopha und gestanden sich ihre Geheimnisse.

Mach auf, Marie! Mach auf in's Henkers [109] Namen! – Wer pocht an der Pforte? – Es ist der zärtliche Eheherr; aber das Mädchen that, als ob sie fiele, und Madame hatte Zeit, ihren Freund zu verstecken.

Der Mann stürzte herein; es war niemand anders als der Tanzmeister selbst. – Wo ist er? Wo ist er? rief er außer sich vor Wuth. – Wer denn, lieber Mann? Wer denn? – Schlange! erwiederte er mit einer drohenden Bewegung, und fieng an, das Haus zu durchsuchen. – Ich will dir leuchten, lieber Mann! sagte die Frau mit Sanftheit, zündete noch ein Licht an, und begleitete ihn.

Sie fanden nichts, denn der Freund war zu gut versteckt. – Ach ich arme Frau! rief Madame mit Krokodilsthränen: mich so zu beschimpfen! Hab' ich dir jemals Gelegenheit dazu gegeben? Aber ich weiß es: schändliche Menschen haben dich aufgehetzt! Bringe mich lieber um ehe du mich in diesem Verdachte haben willst!

Was man wünscht, das glaubt man gern. Der Tanzmeister hatte zwar dem guten Freunde, aufgelauert, er hatte ihn selbst hineingehen sehen, dennoch fieng er nunmehr an, daran zu zweifeln. Es war dunkel, dachte er: er kann auch zum Nachbar gegangen sein. Ohne ein Wort zu [110] sagen, nahm er Hut und Mantel, warf die Thüre zu, und lief nach der Stadt zurück.

Jetzt laß ihn pochen, sagte Madame, bis er schwarz wird! und holte den Freund aus seinem Schlupfwinkel hervor. Man setzte sich zu Tische. Sie liebte das Nippen, und der gute Freund schenkte ihr reichlich ein. Ach sie fand seinen Wein entzückend, und konnte sich nicht satt daran trinken. Aber der Morgen brach an, er mußte sie verlassen. – Auf den Abend? fragte er bittend. – Auf den Abend! sagte sie und ihre Blicke verstanden sich.

6. Kapitel

Sechstes Kapitel.

Der Baron hatte den ganzen Vormittag geschlafen, als der Tanzmeister hereintrat. – Nun, Herr Baron! fragte er neugierig: wie ist denn Ihr Rendezvous abgelaufen?

B. O vortrefflich! Es ist ein himmlisches Weib.

P. Par Dieu! Haben Sie sie schon so genau kennen lernen?

B. Ach, welche entzückende Nacht!

P. Der Teufel! Sie machen einem Appetit!

B. Aber der verdammte Cocü vom Manne hätte uns beinahe die ganze Freude verdorben.

[111] P. (verstümpelt): Wie denn so?

B. Denken Sie einmal, lieber P–! Wie wir da im besten Momente sind, kommt der Kerl und will hinein. Das Mädchen that, als wenn sie fiele, und unterdessen steckte ich mich unter einen Haufen schwarze Wäsche.

P. (erblassend): Was? Unter einen Haufen schwarze Wäsche?

B. Ja! Jetzt tritt er hinein, flucht und lärmt wie ein Teufel; fängt an, das ganze Haus zu durchsuchen, und will mich mit aller Gewalt finden. Aber ich war so gut versteckt, daß er wohl zehnmal bei mir vorbeigieng, ohne einen Gedanken davon zu haben.

P. Das ist doch artig! Aber wie kam er denn wieder fort?

B. Er skissirte sich selbst, und nun waren wir ungestört. Ich sage Ihnen, lieber P-, es ist ein himmlisches Weib! So einen üppigen Körperbau, und eine Lebhaftigkeit –

P. Ja ja, ich glaub' es! Die Weiber sind verdammt hitzig, besonders im Frühling.

B. Ich werde sie diesen Abend wiedersehen!

P. Wieder? Das machen Sie recht! Aber wenn nun der Mann? –

B. Mag er! Sie hat ihn gestern angeführt, [112] sie wird ihn auch heute anführen; die Liebe macht erfinderisch.

P. Das muß ein durchtriebenes Weibchen sein. Aber es ist Mittag! – Gehorsamer Diener, lieber Herr Baron! Ich wünsche gute Continuation.

7. Kapitel

Siebentes Kapitel.

Also wie gestern. Der Freund kommt; er umarmt sie; sie schwimmen in einem Meere von Seligkeit. Auf einmal, da ist auch der Mann wieder. Was war zu thun? Madame weiß den Augenblick Rath. – Gleich, gleich, lieber Mann! Sie eilte selbst hinunter, der Freund hinter ihr drein; sie macht die Thüre auf, und läßt das Licht fallen; der Mann stürzt hinein, der Freund hinaus, und Alles war in Ordnung.

Man hätte den Tanzmeister sehen sollen: er schäumte vor Wuth. Schimpfwörter, Mißhandlungen – das arme Weib mußte Alles ertragen. – Wo ist der Kerl? Du nichtswürdige Hure! Hast du ihn wieder unter die Wäsche versteckt? – Er fängt an zu suchen, das Weibchen sich zu vertheidigen. Sie hatte gut reden, da das Corpus delicti über alle Berge war.

[113] Aber das konnte den Tanzmeister nicht beruhigen, denn er hatte offizielle Nachrichten. Seine Wuth stieg daher immer höher. – Ach, um Gotteswillen! rief endlich die listige Frau, und riß die Fenster auf: Hülfe! Hülfe! Hülfe! Mein Mann ist toll geworden! Er bringt mich um! – Das Mädchen, als ein treues Echo, wiederholte dasselbe, und in wenigen Minuten liefen die Nachbarn zu.

Der Tanzmeister sah wirklich verdächtig aus, und jedermann hielt ihn für wahnsinnig. Madame versprach Geld, und augenblicklich fielen zwei rüstige Knechte über ihn her, und banden ihn. – Ach das Unglück! das Unglück! rief sie, und rang die Hände. Wir müssen ihn in die Stadt schaffen! – Ein Aderlaß! Ein Aderlaß! oder er zersprengt sich. – Man denke, ob das den Wahnsinnigen beruhigen konnte? Aber eben seine Reden und Bewegungen überzeugten die Zuschauer nur desto mehr.

Es wurde endlich Anstalt gemacht, ihn in die Stadt zu bringen, und er mußte sich Alles gefallen lassen. Der Doctor verschrieb Aderlässe, Vomitive, Klystiere und was weiß ich's. Er hätte im Ernste närrisch werden mögen. Madame spielte ihre Rolle vortrefflich, und jeder hatte Mitleid mit ihr. Warte, sagte sie bei sich [114] selbst: die Eifersucht soll dir schon vergehen; ich will dich lehren die Leute überfallen!

Indessen hatte der Baron mit Erstaunen erfahren, daß der arme P– auf einmal toll geworden sei. Er geht zu ihm; der Mann bekommt einen neuen Acceß. Auf einmal tritt Madame herein, und der Baron fällt aus den Wolken. Ein Blick erklärt ihm alles, aber das war zu arg.

Mochte es Ueberdruß, mochte es Mitleid sein, er ließ seine Sachen packen, schickte dem Tanzmeister ein Abschiedsbillet mit fünfzig Dukaten, und reiste den andern Morgen ab, ohne Madame wieder zu sehen.

Wer jetzt genaß, das war der arme P–; dennoch wagte er nie, sein zärtliches Weibchen darüber zur Rede zu setzen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Fischer, Christian August. Erzählungen. Dosenstücke. Der Liebes-Rath. Der Liebes-Rath. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A7ED-5