Hermann Essig
Ueberteufel
Tragödie in fünf Aufzügen

Personen

[3] Personen.

    • Lothar Weber

    • Martha Weber, seine Frau

    • Karl,
    • Selma,
    • Marie, beider Kinder

    • Hecht, Kaufmann

    • Schipper, Oberst

    • Lüstling, Lehrer der Musik

    • Bleich, dessen jüngerer Gehülfe

    • Johanna, Kellnerin

    • Brigitte, Schauspielerin

    • Ein altes Weib

    • Hochzeitsgäste

    • Musikanten

    • Gassenvolk

    • Untersuchungskommissare

    • [3][5]

1. Akt

Erster Aufzug.
Personen.

Frau Martha Weber


Karl, 17 Jahre alt


Selma, 1 Jahr älter


Marie, 10 Jahre alt


Oberst Schipper


Kaufmann Hecht


Musiklehrer Lüstling


Scene: Empfangszimmer im Hause Weber. Großer teppichbelegter Raum, Sofa, Tisch und Stühle. Hinten Türe zum Korridor, rechts Türe ins Speisezimmer. Links sieht man durch hohe Fenster über Terrasse und Garten auf die Straße.

Karl sitzt auf dem Sofa, Selma steht vor ihm leidenschaftlich erregt und knüpft ihre Bluse auf.

SELMA
wenig gedämpft.
Du – ist das hübsch? – »Ausgeschnitten.«
KARL
haftet mit großen Blick an Selmas aufgeregtem Atem.
SELMA
mit verstärktem Herzklopfen.
Mir ist so heiß. Ich zöge mich am liebsten ganz aus.
KARL
gleichgiltig an sich haltend.
Mir auch. Ich zog den Rock aus.
SELMA
entschlossen.

Soll ich auch? Sie knöpft weiter auf, hält inne. Wenn ich mich auszieh, mußt du's auch tun. Du tust es doch? Nicht, daß du mich nachher allein läßt. Sie küßt Karl.

KARL
heiß.
Selma! darf man das?
SELMA
glühend.
Du weißt doch, was ich bin?
KARL.
Meine Schwester.
SELMA.
Nicht bloß. Du mußt anders sagen. – Weißt du, was ich bin?
KARL
leiser.
Schön.
[5]
SELMA
eindringlich.
Gefall' ich dir? Ob du mir auch gefällst?! Was bin ich gegen dich?
KARL
schweigt.
SELMA
hastig.
Mädchen.
KARL.

Selma! das dacht' ich gleich. Stürmisch. Schon oft, wenn ich allein war und nicht schlafen konnte, dann klopfte mir das Herz vor Sehnsucht wild nach dir, die Liebe brannte mich im Traum und nachher weinte ich.

SELMA.
Du bist mein Karl, Liebster. Sie umhalst ihn.
KARL.
Dein Bruder bin ich. Selma, mach' nicht weiter!
SELMA.
Wenn ich dich aber liebe wie ...
KARL.
Sag's voll, Selma.
SELMA.
Wie meinen Mann.
KARL.
Das dürfen ja Geschwister nicht.
SELMA.
Lieben, Karl, das muß das schönste sein – lieben.
KARL.
Das dürfen wir.
SELMA.
Hier sind wir nicht allein, man sieht herein.
KARL.
Es ist so kahl und groß.
SELMA.
In meinem Zimmer. Komm!
KARL.
Wir bleiben lieber hier.
SELMA.
Man sieht uns, Karl folg' mir. Wir müssen uns verriegeln wie die Mutter.
KARL.
Die Mutter?! – Selma!
SELMA.

Sag's Vater nicht. Ich bitte, Karl. Gelt, sagst es nicht. Wir lieben uns ja. Karl, bitte, sag' es nicht.

KARL.
Ich schweige, wenn du mir's erzählst.
SELMA.
Die Mutter hat mich hinausgesteckt.
KARL.
Und Vater?
SELMA.
War verreist.
KARL.
Was soll das heißen? Du erzählst mir nichts.
SELMA.
Jemand anders war bei der Mutter.
KARL.
Du hast dich getäuscht.
SELMA.
Ich hörte doch den Riegel.
KARL.
Damit du nicht hinein sollst.
SELMA.
Nein, Katharinchen sagte es mir.
KARL.
Dienstmädchen sind boshaft.
SELMA.
Soll ich dir erzählen, was die gesagt hat?
KARL.
Nun, was?
SELMA.
Es sei was schlimmes, ich verstehe es aber noch nicht, ich sei noch ein Junges, hopstausendsassa!
[6]
KARL.
Was ist da dran?
SELMA.
Du weißt's so gut wie ich.
KARL.
Jetzt soll ich erraten.
SELMA.
Von was sprechen wir denn? Komm mit, dann sag' ich's dir.
KARL.
Das merkt man doch.
SELMA.

Nur wenn man Angst hat. Komm, ich pass' auf. Was sagt denn Mutter von mir? »Ich sei vernünftig, mich betrüge einmal kein Mann.« Das bezieht sich doch darauf. Man muß herzhaft sein. Kommst du nicht?

KARL.
Ich mag nicht.
BEIDE
horchen auf Säbelrasseln und Schritte draußen.
SELMA
verändert.
Mit dir darf man nur anfangen. O, was! Mit dir fang' ich nicht wieder an. Zur Tür tanzend.
KARL.
Ich liebe dich. Bloß ...
SELMA
dem Eintretenden entgegen fliegend, ruft neckend ihrem Bruder zu.
Der Oberstonkel, sieh' ...
KARL
verächtlich.
Dirne!
SELMA
hat verstanden und sieht Karl von da ab scheu an.

Oberst Schipper, der Freund des Vaters, in Uniform.
OBERST.
Ist euer Vater schon zu Haus?
KARL.
Nein – ich glaube nicht.
SELMA
ängstlich umherblickend.
Vater! – Du, Karl! –
KARL
ruhig.
Er hat sich nie versteckt.
OBERST.
Liebe Kinder, suchet nicht. – Wenn er noch kommt, – wird er schon kommen.
KARL.

Es ist sehr spät. Vielleicht hat ihn die Mutter abgeholt. Sie gehen oft in Wertheims Warenhaus und kaufen etwas ein.

OBERST.
Zerbrech dir nicht den Kopf. Ich kann warten. Wenn es nur wird.
KARL
auffordernd.
Wollen Sie sich nicht setzen?!
OBERST.
Meine Beine haben das Gehen, sie geben keine Ruhe. Zu Selma. Du, Kleine, es ist mein voller Ernst.
SELMA
hängt sich dem umher gehenden Oberst in den Arm, Karl geht mit umher.
Du machst immer Witze.
OBERST.

Immer? So, ich will dir etwas erzählen. Ich kenne eine Familie, in der ist ein Unglück passiert. – Lach doch nicht immer! Das ist ja gräßlich, immer lachen. Ist ein Unglück ein Witz?

[7]
SELMA
etwas eingeschüchtert.
So wie du davon anfängst.
OBERST
halb seufzend, zitierend.
Weh dem Witzbold, will er ernst sein,
wird sein Ruf im Witze tot,
und statt Mann wird er ein Männlein
keinen Schuß wert, keinen Schrot.

Pause.
SELMA.
Oberstonkel, ich möchte einmal mit dir allein sein. Mit einem kurzen Blick nach Karl.
KARL
bleibt stehen.
OBERST.
Und ich mit dir.
SELMA
sprachlos.
OBERST
durchschauend.
Allein im dichtesten Wald.
SELMA
blickt starr zu dem Oberst hinauf.
OBERST.
Du würdest mitgehen?
SELMA
verschleimt.
Ja.
OBERST.

Im Walde würden wir uns lagern, wo recht viel Gebüsch ist, damit wir ungestört wären, dann lägen wir so da, unter dem blauen Himmel und über uns die goldenen Laubzweige, auf dem duftenden Boden. Die Vögel würden singen »Vitrula lala, juhe«, ein Weilchen horchten wir zu, dann machten wir's wie sie und schließlich würden wir im heißen Mittag mit ihrem Gesang einnicken. Wir schliefen und träumten, jedes von uns beiden dasselbe. Oder würden wir uns anders unterhalten? Mit Büchern?

SELMA
lächelt errötend.
OBERST.
Oder wie? Ich merk, du weißt etwas Besonderes.
SELMA
verlegen.
OBERST.
Nein? – Doch. Sag es mir, ich denke wohl dasselbe.
SELMA
auf den Zehenspitzen dem Oberst ins Ohr.
Karl –.
OBERST.

Dein Bruder? Ach, der soll es nicht hören. Er könnte verletzt werden Gehobener. beim Steckenschneiden.

SELMA
getränkt.
Alter E ... Sie will sich losmachen, der Oberst hält sie fest, sie bricht in heiße Tränen aus.
KARL
gehen die Tränen nahe.
Sie dürfen ihr's nicht übel nehmen.
OBERST
scharf.

Karl! Trotz deiner Siebzehn, zeig ich's dir. So müßtest du als Vater sein, streng. Das Jährchen, das sie älter ist, ist sie auch indolenter.

KARL
guckt erstaunt.
[8]
OBERST.

Karl, wenn dein Vater nicht kommt, Der Satz erstickt. nie weinen, sag ich gleich. Tränen sind Spülwasser.

SELMA
hat sich losgemacht und setzt sich geärgert in die Sofaecke.
KARL
steht erschüttert vor dem Oberst.

Frau Weber mit Kaufmann Hecht, im Straßenanzug. Selma bleibt mit dem Taschentuch im Mund sitzen, während sich der Oberst und Karl knapp verbeugen. Frau Weber grüßt herablassend und stellt mit erzwungener Sicherheit den Kaufmann vor.
FRAU WEBER.
Herr Hecht – Herr ... Schipper.
OBERST.
Oberst Schipper.
FRAU WEBER
mit schnippischem Mund rasch ins Nebenzimmer.
SELMA
ruft.
Mutter –
FRAU WEBER
blickt sich kurz um, wirft ein Päckchen auf einen Stuhl, Selma bleibt träge sitzen.
HECHT
nach einer Kunstpause.
Ich bin mit der Familie näher bekannt.
OBERST.
So, so.
HECHT
wieder nach einer Pause.
Ich nehme immer an allen Familienereignissen regen Anteil.
OBERST.
Ist eine Taufe in Aussicht?
HECHT.
Nein, ich meinte ganz allgemein, ich nehme an den Geschehnissen des Tages Anteil.
OBERST.
So, so. Ich merkte schon, da Sie mich nicht kennen.
HECHT.

Oh doch, vom Hörensagen. Ich hatte aber leider bis jetzt nie die Ehre, den Herrn Oberst kennen lernen zu dürfen.

OBERST.
Man hat Sie mir als kostbarsten Juwel im Haushalt verborgen gehalten, ganz natürlich.
HECHT.
Es hat sich offenbar nie recht getroffen.
OBERST.

Ja, ja, das Treffen ist eine eigene Sache. Gerade heute hat man Sie aus dem Schächtelchen genommen und mir unter die Nase gehalten. Frau Weber dachte eben nicht an mich, der so daher stolpert.

HECHT.
Ist es ein Wunder, wenn Freunde an den Trauertagen ganz besonders eilen?
OBERST.
Besonders, hm. Sie sind sehr zielbewußt.
HECHT
nimmt mehr und mehr Predigerton an.

Ich wollte meine Hilfe immer anbieten, aber der eigensinnige, leichtfertige Mann nahm sie nicht an. Ich war ihm zu wenig, ein gewöhnlicher, untergeordneter Kaufmann. Er hielt sich für so gebildet, daß er immer höflicher gegen mich wurde –

OBERST.

Er fürchtete zu teuren Wucherzins. Heftig. Ich [9] hätte ihn gegeben, er hätt' ihn sehr rasch abgezahlt mit einer Scheidemünz. Man kann die Tropfen nicht am Himmel fesseln, ich sagt es ihm, er wollte nicht verstehen, er konnte nicht. Auf Hecht eindringend. Sie! Muß das nicht furchtbar brennen? – Das Gefühl, ein untreu Weib in des Bekannten Bett zu haben. Und es nicht merken lassen dürfen, weil man sonst gar kein Mann mehr ist. – Ich würde Weib und Kerl – Er packt den Kaufmann an den Schultern. ausziehen und zu Tomatensuppe machen.

SELMA
leis zu Karl.
Sie meinen den Vater.
KARL
unterbricht die Stille.
Was ist mit Vater?
OBERST.
Hm, wie's vielen geht. Der Hausfreund weiß Bescheid.
KARL.
Hausfreund? – Oberst!
HECHT.

Ich bin nie anders als mit der ehrenwertesten Absicht in diesem Hause aus- und eingegangen. Mein Geschäft ist eine altehrenwerte Firma. Sie haben einen abscheulichen Glauben von ihren Nebenmenschen.

OBERST
schweigt.
KARL.
Was mit Vater ist, werd ich doch wissen dürfen, ich bin der Sohn, Ihr Herren.
HECHT.

Ich bitte um Verzeihung. Offen gestanden halte ich es für meine Pflicht, Ihnen und Ihren Geschwistern nicht länger die Kenntnis einer Sache vorzuenthalten. Ihr geschätzter Herr Vater hat die ganze Familie ins Unglück gestürzt, in ein Unglück, das Sie erst allmählich in vollem Umfang kennen lernen werden.

KARL.
Ich will den ganzen Umfang gleich erfahren: »'raus damit!«
HECHT.
Er hat Schiebungen vorgenommen, die ihn dem Abgrund der Hölle immer näher brachten.
OBERST
lacht fallend, wie über den besten Witz.
HECHT
laut predigend.

Ich kann behaupten, daß er mit unerhörter Gewissenlosigkeit im Gelde wirtschaftete, daß er schuld ist an dem Kummer seiner ausgezeichneten Frau, die mit ihren Kindern der Ungewißheit des Schicksals überlassen ist.

OBERST.

Das ist ja alles Blödsinn, Karl, damit du nicht lang zitterst. Dein Vater hat unterschlagen und ist heute verhaftet worden.

KARL
will hinaus stürzen.
OBERST
mächtig.
Halt!
[10]
KARL
festgewurzelt.
SELMA
herunterhaspelnd.
Der Vater ist ein gemeiner Mensch.
OBERST.
Geh du zu deiner Mutter.
SELMA
mit Knicksen ins Nebenzimmer.
Das tu ich, tu ich, tu ich.
OBERST.
Karl, deine Schwester.
KARL.
Sie ist verdorben. Er setzt sich wie teilnahmslos.
HECHT.
Wieso? Hat sie nicht recht? Was ist eine Gewissenlosigkeit? Eine Gemeinheit?!
OBERST.

Ist Gutmütigkeit eine Gemeinheit? Eine Sünde wegen mir, noch mehr eine Dummheit. Ich bin auch so ein gutmütiger Simpel, nur bin zum Glück nicht verheiratet, mich kann nichts Weibliches ins Unglück stürzen.

HECHT.

Man staune! Er hat nicht unterschlagen, das tat seine Familie, seine Frau, die über alles ehrenwerte.

OBERST.
Unterschlagen hat er, aber gezwungen, von seinem »herrlichen« Weib.
HECHT.
Er hat ihr nie ein Wort gestanden, wie er steht.
OBERST.

Ei, ei, Sie Eingeweihter. – Das weiß man nur, wenn man in guter Ehe lebt. – Warum gestand er nichts? – Weil er sich nichts vor der Nase abtreiben lassen wollte. Weil der Esel – pardon, ich bin sein bester Freund – – sein Weib liebte wie einen Hautpickel. Man kratzt, bis er weg ist und kratzt, bis er wieder kommt.

HECHT.

Nehmen Sie doch Rücksicht auf den Sohn. Was wird er von seiner Mutter denken müssen, von seiner guten Mutter?

KARL
mürrisch.
Ich denke nie.
OBERST.

Er wird noch vieles hören müssen, vor Gericht auf offener Straße hinter blinden Rücken, von Leuten, die die Anschlagsäulen angiraffen.

KARL
erhebt sich.
Nur weiter, Oberst. Vor einem Tagelöhner schweigt man nicht.
OBERST.
Karl, sprich nicht so, dann taugst du nicht Verstand!
KARL
höhnisch, brutal.

Verstand ist mir gleich Null. Ich weiß nur soviel Immer bewegter werdend, die Zähne zurückziehend. daß ich einem Tiere gleiche, zerstickt und tot. Häßlich lachend. Karl Weber wird wie Aussatz klingen. Die Blicke, das Mitleid ... Das Weinen stockt in ihm.

[11]
HECHT.
Ich will der erste sein, wo Mitleid hat.
KARL
lachend.

Ich sage ja, da haben wir schon einen. Bedeutungsvoll. Ich sage Ihnen, Oberst, was liegt noch daran ...

OBERST.
Noch sehr viel, Bursche! Jetzt hast du Pflichten.
HECHT.
Ich will für alles sorgen.
KARL
rauh.
Damit ich mich selbst anspucken lerne und meinen Unwert spüre?!
OBERST.
Karl, du bist der Sohn und trittst an deines Vaters Stelle.
KARL.

Dann fang ich an, daß alle Welt erschrickt. Von morgen ab bin ich ein Tagelöhner und die Familie nährt sich mit Roßfleisch und Tränen.

HECHT
einfältig lachend.
Herr Weber, so weit kommt es nicht.
OBERST.

Ich wünschte, daß es käme. Bloß sofort, sofort. Zum Beispiel, hast du uns gleich hinauszuwerfen. Mit Peitschen, dann wirst du sehen. Haue zuerst um dich, mache dir Platz zum Ueberlegen.

HECHT.
Ich werde mit der Mutter reden.
OBERST.
Was, Unsinn. Törichter Gedanke. Karl, folge mir.
HECHT.
Ich werde den Zusammenbruch der Familie mit meiner Person aufhalten.
OBERST.
Nachdem Sie ihn herbeigeführt haben.
HECHT.
Ich? – Herbeigeführt!
OBERST
geht mit wuchtigen Schritten der Türe zu.
HECHT.
Ich fordere Erklärung.
OBERST
zu Karl.
Der Herr wird heute nacht hier Gast sein oder Wirt.
KARL.
Was soll die anrüchige Bedeutung? Sind Sie von Sinnen?! Oberst! Bedenken Sie doch, wer wir sind.
HECHT
hetzend.
Er sagt es, weil Sie nichts mehr sind in seinen Augen.
KARL.
Wer wir waren.
OBERST.
Ich nehme nichts zurück. Geb' Gott daß er beleidigt sein kann.
HECHT
betont.
Sie haben mich beleidigt.
OBERST.
Wir werden sehen.

Karl blickt dem weggehenden Oberst verständnislos nach. Hecht sendet ihm einen giftigen Blick nach. Unter der Türe wendet sich der Oberst um.
[12]
OBERST.

Hier kommt Mariechen, wie sie weint! Er hebt das Kind zu sich empor. Du armes Kind, halte du zum Bruder.

KARL.
Oberst, bleiben Sie doch hier!
OBERST.
Warum?
KARL.
Sie müssen öfter kommen, wir haben keinen Vater mehr.
OBERST.

Du hast gehört, was ich dir riet, nun brauchst du bloß die Augen aufzumachen. Die Zukunft kenn' ich auch nicht, kennst du sie?

KARL.
Nein. Das ist ja wie ein Trost.
OBERST.

Nun sieh, du hast noch Hoffnung. Also wacker sein. Schlägt in Karls Hand, ein leichter Blitz und fernes Brummen. Es kommt ein Wetter. Gute Nacht, Mariechen. Ab.


Mariechen ist ins Zimmer eingetreten, leicht gekleidet, ein Schulmädchen von zehn Jahren.
MARIECHEN
schluchzend.
Gute Nacht ...
KARL
zu Hecht in gleichgiltigem Ton.
Es scheint ein schweres Gewitter zu kommen.
HECHT
sich räuspernd.
Ich denke, ja.
KARL.

Sie brauchen keine Sorge mehr um uns zu haben, ich bin nun ganz gefaßt, es ist mir so klar im Gemüt. Wie dort der blendend weiße Streifen unter dem schwarzen Himmel. Wie ein fern winkendes, noch nie gekanntes Glück geht's in mir auf, eine seltsame Seligkeit in fester, ernster Trauer. So jammervoll und erbärmlich erscheint mir die Umgebung, wie sie mit der Vergangenheit zusammenhängt, so klein, so leer; mich fühl' ich glücklich, ich bin so hoch erfüllt.

HECHT
weiß nichts zu sagen.
MARIECHEN.
Karlbruder, ich habe Angst.
KARL.
Wir zünden bald Licht an.
HECHT.
Es wird immer düsterer.
KARL.
Was planen Sie, Herr Hecht, für heute abend?
HECHT
unruhig erwartend.
Ich habe mir noch nichts vorgenommen.
MARIECHEN
guckt zum Fenster hinaus, gedankenvoll.

Die Mutter Weber in leichtem Hauskleid zur Nebentür eintretend.
MUTTER.

Ist der Oberst endlich fort? Sie glauben gar nicht, wie unheimlich, wie entsetzlich widerlich er mir ist, wie ein Feind, wie heimtückisch ...

[13]
KARL.
Hast du denn Grund dazu?
MUTTER.

Grund?! er will bloß schnüffeln, weil der Hausherr fehlt. Meinst du, er sei aus anderem Grund gekommen? Ich kenn den Schleicher. Zu Hecht. Und vor dem heißt's »sich in acht nehmen,« der verdirbt die Ehrbarsten.

HECHT.
Vielleicht hatte er die beste Absicht, wenn er gerade heute kam.
MUTTER.
Ist nicht etwa Ihr Ernst? Abschweifend. Sie essen doch mit uns das Abendbrot?
HECHT.
Das kann ich doch nicht annehmen, gnädige Frau.
KARL.
Wir essen solches Abendbrot?
MUTTER.
Wie einfältig! ach wie lustig!
KARL
aufs tiefste verletzt.
Das kann man fragen. – Mutter, wer bezahlt's?
MUTTER
rasch antwortend.
Ich habe doch reiche Verwandte. – Ueberhaupt. –
HECHT.
Ich gehe, gnädige Frau, es ist diesmal sicher besser.
MUTTER
zum Sohn, Baß.

Du Jüngling! Zu Hecht, Tenor. Hören Sie doch nicht auf meinen Karl.Plötzlich in weinerlicher Erregung. Gewiß, ich sterbe vor Angst, vor Not, vor Kummer, vor Unglück. Natürlich jetzt wollen Sie mich im Stiche lassen.

KARL.
Mutter, hast du Vater ganz vergessen?
MUTTER
wie nicht hörend.

Wenn das Lothar wüßte, der arme Mann, daß uns jetzt auch die treuesten Freunde verlassen wollen! Und mein eigener Sohn verbietet Ihnen den Beistand.

HECHT.
Ich wollte allerdings aus Freundschaft alles tun. Wenn man aber nicht wünscht.
MUTTER
drohend.
Karl, bedenke!
KARL.
Was ich dir helfen kann. – Ich bin der Herr im Hause.
MUTTER
auslachend.
Was bist denn du?
KARL.
Und ich gestatte nicht, daß Fremde hier im Hause bleiben.
MUTTER.

Gestatte nicht. Was fragt man dich? und Herrn Hecht so zu beleidigen, ist eine große Unverfrorenheit.

HECHT.
Wenn Herr Weber nicht wünscht, so räume ich das Feld gerne.
KARL
brüllend.
Dann zögern Sie nicht mehr!
MUTTER.

Herr Weber! – Herr Weber sitzt. Sie schiebt den Kaufmann, der nicht sehr widerstrebt, ins Speisezimmer.

BEIDE
ab.

[14] Donner rollt über die Decke.
KARL
nach einer Pause.

Der Oberst hatte recht. Wir haben doch nichts mehr – – – Was denk' ich von der Mutter, von der eigenen Mutter? Er faßt sich an die Kehle.


Die Türe geht. Selma sachte herein.
SELMA.
Jetzt könnten wir auch allein sein.
KARL.
Rede vernünftig, du bist meine Schwester.
SELMA.
Es ist ja der von damals.
KARL.
Selma, weißt du, was du mir sagst? Wenn es verlogen ist, dann nimm es zurück.
SELMA
frech.
Ich werd' wohl blind sein? Nicht?
KARL
kurzatmig.
Die Peitsche! Er holt sie.
SELMA
hat ihm ein Weilchen vergnügt nachgeblickt, dann hinterbringt sie's der Mutter, ruft ins Nebenzimmer.
Mutter, Mutter – –

Die Mutter, hinter ihr Hecht, rasch hereintretend.
SELMA.
Karl holt die Peitsche.
MUTTER
hält unter der Türe Hecht zurück.
Warum, mein Liebchen?
SELMA.
Ich habe Karl erzählt, Herr Hecht sei ...
MUTTER.
Weiter.
SELMA.
Mutter, nein.
MUTTER.
Sag's oder!
SELMA.
Mutter, nicht hauen!
MUTTER.
Man sollte gleich ...
SELMA
rasch.
Bei dir gewesen.
MUTTER.
Ist das was Arges? liebste Tochter Selma.Im Schmeichelton.
SELMA.
Aber Karl holt die Peitsche.

Man hört Karl die Treppen herauf eilen, Hecht sieht sich nach Flucht um.
MUTTER
man merkt ihr die Angst an.
Er soll sich untersteh'n.
SELMA.
Und wie's jetzt anfängt! Gießender Regen fängt an.
KARL
mit einer kräftigen Reitpeitsche, nachdem er ruhig hereingeschritten ist.
Mutter, trete auf die Seite!
MUTTER.
Warum denn?
KARL.
Ich sage dir, geh weg!
MUTTER
kreischend.
Wirst du mich schlagen? Blitz.
KARL.
Wenn du nicht weg gehst. Donner, Karl greift an die Mutter.
[15]
MUTTER
schreiend.
Sei nicht so roh.
KARL.
So kommen Sie hervor, ich schlage zu.
HECHT
mit einer krampfhaften Bewegung nach seinem Taschenmesser.
Jawohl. – Grausam, angstvoll hervorgestoßen.
MUTTER
brüllt entsetzlich.

Karl! Zugleich ein furchtbarer Blitz und Donnerschlag, die Mutter sinkt zu Boden, die beiden stehen einander gegenüber, aber unfähig, sich zu rühren, Selma kauert an der Wand, Mariechen hat sich furchtsam herangemacht.

KARL
bricht zuerst die Stille, er läßt den aufgehobenen Arm sinken.
Verflucht mich. Erst allmählich kommen alle aus der Lähmung heraus.
HECHT
bewegt, im Selbstgespräch.
Ich darf sie nicht verlassen.
KARL.
Mutter, lebst du noch?
MARIECHEN
streichelt über das Gesicht der Mutter.
Mutter.
HECHT.
Es scheint bedenklich, wir sollten Tropfen haben.
KARL
nervös.
Tropfen. Er eilt hinaus.
HECHT.
Selma, helfe Karl. Selma zögert. – Ja, wird es? Selma geht. Hecht beugt sich auf Frau Weber nieder.
MUTTER.
Du bleibst doch da?
HECHT.
Ich kann's riskieren, es hat ihn sehr gepackt, mich übrigens nicht minder.
MUTTER.

Mariechen, ich glaubte, der Vater sei's. – Aber der ist ja fort. Ja, dein Vater, war so gut zu dir, er mochte dich allein.

MARIECHEN
weinend.
Ist der – Papa – tot?
MUTTER.
Du Dummchen, Streichelt Mariechen. wenn's gleich besser wäre.
HECHT
lächelt.
Er richtet Frau Weber auf.

Karl und Selma mit dem Tropfenfläschchen zurück.
KARL.
Wie ist's dir, Mutter?
MUTTER
schluchzend.
Ach, Karl, sei nicht so bös zu mir, ich kann nicht dafür, daß ich deine Mutter bin.
KARL.
Ich glaubte, du habest Vater vergessen.
MUTTER
mit langem Kopfschütteln.
Wie soll ich den vergessen? Und so rasch! Was müßt ich da für eine sein?
KARL.
Du sprachst so leicht von allem.
MUTTER.
So leicht? – Im Verrücktenton. Als ob ich nicht am besten merkte, wenn mein Mann im Zuchthaus ist.
MARIECHEN
an der Mutter zerrend und entsetzt flehend.
Mutter, tu doch nicht so.
KARL
taumelnd.
Im Zuchthaus? – Vater? Rascher. Zuchthaus, Papa?
[16]
MUTTER
nickt, halb vernehmlich.
Ja.
KARL.

Und weintest nicht und bliebest ruhig und dachtest noch ans Essen und den Kram? Warum sagst du so spät? Es ist bald Nacht. – Ich muß ihn heut noch sehen.


Ein Blitz zuckt fern, Karl macht sich auf.
MUTTER.
Karl, willst du's noch heut?
MARIECHEN
weinend hinter Karl her.
Karlbruder, Karlbruder.
KARL.
Mariechen, du darfst mit, wir gehen zu Papa.

Donner zum vorhergehenden Blitz, Selma guckt den beiden durchs Fenster nach, erst nach einer Weile sieht man Karl mit umgeworfenem Mantel, den Hut ins Gesicht gedrückt und Mariechen mit einem Schirm die Treppe hinuntergehen. Ein furchtbarer Platzregen hebt an.
MUTTER.
Wir dürfen's nicht, komm lieber morgen.
HECHT.
Das bißchen Wetter.
SELMA
weicht vor einem grellen Blitz zurück, der Himmel ist fortwährend erleuchtet, ein fortwährendes Krachen und Knattern.
MUTTER
entsetzt.
Der Weber, ganz lichtweiß im Fenster.
HECHT
schweigt und blickt starr zum Fenster.
MUTTER.
Er ist's, ich seh ihn.
HECHT.
Das ist Selma.
SELMA
lügt.
Ich sah ihn aber auch.
MUTTER
beim letzten Blitz.
Erbarm dich, Jesus, er kommt.

Weil eine Pause bis zum Donner ist, erholt sich die Mutter und zuckt beim Donner wieder zusammen.
HECHT.
Ihr seid verrückt, denkt lieber an die beiden, die im Regen tapsen.
SELMA.
Die waren dumm.
MUTTER
wieder kühner.
Ist's Ihnen lieber, daß sie fort sind? Sie tun es wohl um ihren Vater.
HECHT.

Nachher – süßes Weib. Er drückt Frau Weber an sich, die wieder an einem Blitz erschrickt. Beide ins erleuchtete Speisezimmer.

SELMA.
Hast du mir etwas mitgebracht? Muttchen.
MUTTER.
Natürlich, du. Dort liegt ein Paket.
SELMA.
Süßes Muttchen, wo?
MUTTER.
Auf dem Sessel. Ab, man hört den Riegel gehen.
SELMA
reißt das Paket auf und zieht eine Federboa hervor und bindet sich dieselbe vor dem Spiegel um.
Ich kann noch sehen.

Es ist inzwischen fast Nacht geworden. – Donner. – Lüstling, Musiklehrer, kommt während des Donners durch die Türe.
[17]
LÜSTLING.
Immer kommt zur rechten Zeit, wer kommt.
Ist es anders bei gewissen Pflanzen?
Immergrün bricht man durchs ganze Jahr,
Schachtelhalme nicht und Kirchenwanzen.
's ist nur Sach' vom richtigen Gefühl,
alle Spuren riechen und sie finden,
wer dann Mut zum Stubensteigen hat
und die Zunge kann zu Worten winden,
dem gelingt's. Wie mir. – Schön guten Tag.
SELMA
sieht sich um und seufzt.
LÜSTLING.
Seht Erinnerung, sie sah mich schon.
Bin ihr vor dem Cabaret begegnet.
»Ja, der war schön wie roter Siegellack,
Hätt's gehagelt oder sehr geregnet!«
Mir war's damals nicht so recht geschickt,
mußte singen, klimpern, five o' clock tea.
– Hätte sie den Pelz schon umgehabt
und den Rock gehoben bis zum Fußknie –
welche Stimme gab dir diesen Wink?
SELMA.
Meine Mutter ist ein Goldschatz.
LÜSTLING.
»Mutter.«
Solche Mutter wird von mir besucht.
Mit den Müttern, ohne Vater, schwätz' ich gern.
Wären alle Mütter solche Kutter,
dann, dann, gäb es überschwere Fracht.

Schnobbert, dann niest er laut.

Hatzi! sitzt sie horchend nebenan?
SELMA.
Wer hat da genossen? Antwort. – Keiner

Seufzt.

Keiner als der Kaufmann, dieser Hecht.
LÜSTLING.
So gefällt mir's. Jeder ist nicht einer.
Augenblicklich hat sie noch Geschmack.
Hat sie? Weil sie ihn nicht hat? Womöglich.
Leis. Sie spricht von ihrer Schönheit. Ach.
[18]
SELMA.
Niemand sah von mir den Körper.
LÜSTLING.
Löblich.
SELMA.
Meine Freundin ist nicht halb so schön.
Warum wünschen jene alle Männer?
LÜSTLING.
Weil sie lügt, damit du neidisch wirst.
Mädchen, wette, du hast tausend Gönner,
laufen sie doch kreuzweis mir in Weg.
In der Tasche hab ich deine Bildgraphie,
aber diese bleibt doch immer angezogen,
vorerst ist sie wenigstens für mich,
denn ich stahl sie mir beim Photographen.
– Denke nur an den vom Cabaret,
frecher kenn' ich keinen Häckelaffen,
saub'rer, stutz'ger, putz'ger und nicht reicher. –
SELMA.
Mutter gab mir auch den guten Rat,
»Wenn es ginge, Einem treu zu bleiben.«
LÜSTLING.
Holla, leuchtend kommt mir eine Prachts-Idee.
Meine Karte
leg ich auf den Boden – »dufte hold« –.
Mache tüchtig Lärm, sie ruft um Licht.
Bis der Zünder zündet, bin ich fort.
Warte nur, wann's endlich wieder blitzt.

Blitz – Donner, Lüstling verschwindet durch die Tür.
SELMA.
Bringt mir Licht!

Sie zündet die Gaslampe an (Selbstzünder), steht in fahler Beleuchtung.

Seht nur dieses Rosenduftpapier!

Liest. »Unterricht im – wie das riecht – Singen und Klavier erteilt, Zimmerstraße – Lüstling, Lehrer«. Eigentlich ist's gut, daß Vater nichts mehr sagt.


Die Mutter erscheint.
[19]
MUTTER
gerötetes Gesicht.
Selma kommst du nicht zum Essen? Zeige! Entreißt ihr die Visitenkarte. Kennst du diesen Herrn?
SELMA.
Nein.
MUTTER.

Das scheint gar nicht übel zu sein. An dem Namen brauchst du keinen Anstoß zu nehmen. Hast du keinen Hunger? Wir sind fertig. Mutter geht wieder nebenan.

SELMA.

Jetzt reizt mich's doppelt. Ich könnte also Anstoß nehmen. Das ist einmal etwas, wie ich's in den braunen Büchern lese.


Vorhang.

2. Akt

[20] Zweiter Aufzug.
Personen.

Frau Weber


Kaufmann Hecht


Karl


Selma


Marie


Lüstling


Oberst


Johanna, Kellnerin


Brigitte, eine vom Theater


und deren Begleiterin


Scene: Drei Jahre später. Atelier Karl Webers in der neuen Wohnung seiner Mutter. Ein hohes weites Glashaus mit Schiebevorhängen. Ein alter Eichentisch mit zwei dazu passenden Stühlen, ein altes Sofa, eine Kommode, ein zigeunerhafter Schrank, ein Podium, darauf ein Modellstuhl in der
Mitte vom Zimmer, abseits ein glühender Ofen, daneben die Staffelei, Koksbehälter, Feuerhaken, Kochgeschirre auf dem Podium, eine eiserne Bettstelle, mit einem unordentlich gezogenen Vorhang verhängt, ein Tischchen mit Rauchutensilien, Blumen und sonstigem Durcheinander, eine Pfeife und Tabaksbeutel an der Wand. Links zwei Türen, die eine führt vor die Glastüre (Separateingang) die andere (vordere) in den Korridor.

Karl sitzt am Tische und zeichnet, raucht dazu eine Zigarre, ist sehr vertieft. Draußen schneit's, man sieht über die grauen Dächer der Stadt. Man hört vor der Türe Gelächter und Abschütteln von Röcken, Karl wird darauf aufmerksam.

Anklopfen. Keine Antwort, darum draußen verstärktes Lachen.

Wieder Anklopfen. Stille.

KARL.
Herein. In gedehntem, unauffälligem Ton.

Brigitte, eine elegante Dame, mitte der zwanziger Jahre, schwungvoll gekleidet, und ihre einfachere Begleiterin. Beide halten das Lachen an sich, müssen aber damit herausplatzen.
BRIGITTE
endlich etwas gefaßt.
Sie sind Künstler?
KARL
lacht.
– Ja.
BRIGITTE.

Wir haben nämlich erfahren, daß Sie Kunstentwürfe von Schmuckgegenständen machen. Akzentuiert schnell. [21] Darf ich fragen, haben Sie die Ohrringe mit den großen Diamanten entworfen?

KARL.
Welche?
BRIGITTE.
Wie er tut! – Im Metropoltheater?
KARL.
Wegen mir. –
BRIGITTE
bettelhaft.
Machen Sie mir doch auch welche, ja?
KARL.
Ich habe Kontrakt, das darf ich nicht.
BRIGITTE.
Sie sind Einer. Sie dreht den Kopf verführerisch hin und her. Warum dürfen Sie denn nicht?
KARL.
Es ist wahr.
BRIGITTE.
Hat's die Kellnerin Johanna verboten?
KARL
errötend.
Wie käme die zu dem Verbot?
BRIGITTE.
Dann machen Sie mir doch, was ich bestelle.
KARL.
Ich kann es wirklich nicht.
BRIGITTE.
Kann ich mit Nichts bewegen?
KARL.
Was soll's denn sein?
BRIGITTE.
Eine Spange um den Oberarm.
KARL
nimmt rasch das Maß und notiert es.
Eine Schlange etwa?
BRIGITTE.

Das geht doch nicht so rasch. Sie haben ja den ganzen dicken Stoff mit gemessen, es ist Ihnen ja gar nicht Ernst, Sie würden Sie mir nie machen. Sie zieht ihr Pelzjacket aus, das die Begleiterin hält.

KARL
rasch.
Das genügt vollständig.
BRIGITTE
lacht.
Sie haben Angst?
KARL.
Absolut nicht.
BRIGITTE
zieht noch ein leichtes, schwarz seidenes Empirejäckchen mit Aermel aus, so daß sie in einem linienschönen Reformrock mit nackten Armen, Nacken und Brust, vor Karl steht.
Wollen Sie doch messen!
KARL
mißt mit zitternden Fingern.
BRIGITTE.
Nicht da, weiter oben.
KARL
wird ruhiger.
BRIGITTE.
Bitte, noch etwas höher, über der Mitte.
KARL.
So. Er schreibt das Maß auf.
BRIGITTE
sieht nach, was er schreibt, den Arm auf seine Schultern gelegt.
Warum fragen Sie denn gar nicht, ob es recht ist? Ist denn mein Arm so häßlich?
KARL.
Das nicht, aber ich habe sehr viel zu tun. Ich weiß überhaupt nicht, ob ich die Spange machen kann.
BRIGITTE.
Sie wollten nur meinen Arm sehen?! – Mein Herr, Sie müssen.
[22]
KARL.
Wie soll ich sie denn machen?
BRIGITTE.
Sehen Sie doch meinen Arm und mich an, und was Sie sonst entdecken.
KARL
mit musterndem Blick.
Eine schwarze Schlange mit ... Vor sich hinmurmelnd.
BRIGITTE
beobachtet durchdringend und lächelt befriedigt.
KARL
begeistert.
Ich mache Ihnen etwas Herrliches.
BRIGITTE
neckend.
Wenn ich Ihnen dann verbiete, andere zu schmücken!
KARL
selig.
Das dürfen Sie.
BRIGITTE.
Haben Sie mich denn verstanden?
KARL.
Wohin darf ich die Zeichenblätter schicken?
BRIGITTE.
Oh, bringen, ist weit interessanter.
KARL.
Ist das nötig?
BRIGITTE.
Ihre Mühe können Sie nicht selbst einschätzen.
KARL.
Oh – doch.
BRIGITTE
hat sich inzwischen wieder ankleiden lassen.

Ich stellte mir einen älteren gelockten Künstler vor, zu dem ich kommen werde, darum mußt ich lachen, als ich herein kam, weil ich etwas viel natürlicheres gefunden habe. Nein – so einen jungen Herrn muß ich mir näher ansehen. Meine Wohnung brauchen Sie nicht zu wissen, ich treffe Sie noch oft. Was machen Sie denn dort? – Sie malen?! Darf man ansehn? Sie geht zur Staffelei. Warum so eine wüste?

KARL.
Ich kann's nicht besser.
BRIGITTE.
Das glaub ich eben nicht, Sie müßten nur besser nachfühlen. Sie haben ja Angst vor der Schönheit.
KARL.

Ich bin noch zu jung, um aufzufassen. Sie verstehen das nicht; eigentlich käme das zuletzt, womit ich anfange.

BRIGITTE.

Sie müßten bei mir in die Schule gehn. Ich würde Ihnen helfen. Ich habe die Empfindung, daß Ihnen alles nicht recht gezeigt wird, wie rund,Immer jauchzender werdend. wie fest, wie weich ...

KARL.
Malen Sie?
BRIGITTE
lacht.

Sie – ... Im Sington. ich heiße Brigitte. Plötzlich steif. Wir müssen gehen. Unter der Türe, nachdem sie sich vorher wundervoll verbeugt hat. Viel schöner bin ich doch als die ... Sie gibt Karl die Hand. Geben Sie sich recht Mühe.

KARL.
Gewiß.
BRIGITTE.
Auf Wiedersehen.
[23]
KARL
schließt die Türe und bleibt eine Weile nachdenklich stehen.

Schöner kann es nichts geben. Dieser Arm. So hab ich auch noch keinen gemalt gesehen, wie wenn er einen umhalsen wollte. – Daß solche Weiber schlecht sein sollen, ist kaum zu glauben. – Ich glaub es auch nicht. – Seufzt und geht an seinen Arbeitstisch.


Anklopfen.
KARL
nach einer Pause.
Herein.

Der Oberst tritt ein in Zivil.
OBERST.
Guten Abend, Karl.
KARL.
Herr Oberst, endlich, das erste Mal in dieser Wohnung.
OBERST.
Hm, hm, hm, ein ächtes Atelier.
KARL.

Man hat mir geraten, gleich recht anzufangen. Nur richtig ausgerüstet, komme man zu einer ersprießlichen Arbeit, das sei richtig gespart, so sagen alle Fertigen.

OBERST.

Die sagen so, nachdem sie's anders gehabt haben. Gewöhnlich geht es anders. Karl, 's macht nichts aus. Daß es natürlich gut ist, schön ist, wenn man's Handwerkzeug hat, ist klar. Nur der Kunst, mein ich, sei es egal, die will nur von einer fleißigen Hand praktiziert sein.

KARL.

Das bin ich, fleißig, ich denke auch so von meinen Kollegen, die immer von »Hinwerfen« sprechen. »Sie können eben nichts«.

OBERST.

Wenn Sie's besser können, dann freut mich's Karl. Bloß mein ich, könnten Sie nicht auch wo anders schaffen? Ich meine, sind Sie an den Ort gebunden? – Da Karl etwas perplex ist. Einen Gruß von Ihrem Vater und ob Sie bei ihm wohnen wollen mit Marie?

KARL.
Ist der Vater nicht mehr im Gefängnis? Wo wohnt er denn? Hat er sich auf uns eingerichtet?
OBERST.

Er freut sich wie ein Kind, bis er seine beiden wieder hat. Karl, hättest sehen sollen, wie er ein bißchen was zusammengetragen hat in seine kleine Wohnung, er hat immerzu gelacht und gesagt. »Wenn das Karl sieht, wenn das Marie sieht«. Karl, ich habe geweint, aber nicht vor ihm.

KARL.

Er hat auch recht, mit Vater leben wir gerne. – Aber, aber Herr Oberst sehen Sie, was ich für Ausrüstung nötig habe, sehen Sie bloß die Vorhänge und das Glas an, das wird bei Vater doch nicht gehen.

[24]
OBERST.

Warum geschieht dem Armen solches Unrecht? Keines von den Seinen gehört ihm an. Daß natürlich seine Frau einen abscheulichen Absagebrief auf seine freudetränenden Zeilen schrieb, und einen frechen die Selma, war ja klar. Aber daß auch sein Karl kein Herz mehr für ihn hat! Vielleicht Mariechen.

KARL.

Oberst, ich werde ja sehen, aber mein Herz zerreißt es mir. Wieder so ein Punkt, wo eine grausame Entscheidung kostet. Können denn Vater und Mutter nicht zusammenleben? Ich wußte bis jetzt von gar keiner gegenseitigen Aussprache der Eltern.

OBERST.

Von Ihrer Mutter werden Sie niemals was erfahren. Aber Ihre Frau Mutter hat sich hinten herum schon ausgesprochen.

KARL.
Was haben Sie denn immer mit meiner Mutter? Sie kennen sie gar nicht; wie sie gesinnt ist.
OBERST
zieht einen Brief aus der Tasche.

Wenn Ihre Mutter schreibt Er liest. »Ich werde mich wohl in deinen dreckigen Käfig einsperren lassen, mir behagt das Gefängnis nicht, deine bisherige Villa, du trauriges Mannsbild, das nichts kann, höchstens betrügen. Ich wollte einen Mann, der Ansehen genießt, und keinen Zuchthäusler. Da könnte jeder Latrinenreiniger mich zu seinen Zwecken begehren wollen. Ja, wenn ich eine Hutzel wäre, aber ich weiß, daß ich eine der schönsten Frauen innerhalb der Ringbahn bin, man hat es mir gesagt, sehr viele edle Herren. Du hast während unserer Ehe nicht einmal meiner Schönheit Genüge getan. Wie werd ich? Leb wohl bei deinem alten Jakob nummero Dreizehn.«

KARL.
Wohnt der Vater dort?
OBERST.
Sie haben gut aufgemerkt. – Hat Ihre Mutter noch ein Fleckchen Anstand?
KARL.

Man muß sie gewesen sein, um urteilen zu können. Sie ist natürlich ganz an ihm verzweifelt, sie hielt »ihren Lothar« für den besten Menschen, und Papa war so.

OBERST.

Aber Sie werden doch die Anspielung mit den »edlen Herren« begreifen? Und keine Befriedigung, wenn man drei Kinder gezeugt bekam! Und ihr seht Lothar alle dreie gleich. So eine Frau ist eine S..

KARL.

Sie erlauben sich zuviel, das ist meine Mutter nicht. Durch Sie wäre ich beinahe Schuldiger an einem Selbstmord [25] geworden. Vor meinen Augen steckte meine Mutter den Gasschlauch in den Mund, ich mußte ihn wegreißen.

OBERST.
War auch der Haupthahn offen?
KARL.
Unmensch!
OBERST.

Das kann jeder sagen, wenn der Weisheit Ende ist. Sohn meines Freundes hast auch meinen Freund gekränkt, ich tauschte gern mit ihm, damit er nichts vorgeworfen bekäme. Den Rock des Königs gab ich selbst dafür daran, wie's Leben in der Schlacht. Merkst du noch nicht, daß ich dein Freund sein möchte?

KARL.
Merken. Wenn man mir so begegnet und mein Mutter schmäht.
OBERST.
Wer hat's gemacht, daß Sie auf diese Art Ihr Geld verdienen?
KARL.
Wäre der zu schmähen?
OBERST.
Ja, denn diese Art behagt mir nicht.
KARL.
Aber mir.
OBERST.
Wer hat Sie nur darauf gebracht?!
KARL.
Meine Mutter.
OBERST.
Was man in diesem Hause fragt, da heißt's »meine Mutter«.
KARL.
Ist das ein Fehler?
OBERST.
Frage Selma, wer sie zu der gemacht hat?
KARL.
Ich fange nicht wieder an.
OBERST.

Ganz richtig. Gefiel Ihnen das nicht, Stunden und Studium? Da wäre später mehr herausgeschlupft. Jetzt haben Sie etwas, aber Sie nippen an allem herum, da werden Sie mit der Zeit geschmacklos oder charakterlos. Nur wenn Sie eine bedeutende Fähigkeit haben, ein großer Künstler. Ob Sie die haben?!

KARL.
Der Herr Professor behauptet das.
OBERST.
Hat Ihre Mutter Sie zu dem geschickt?
KARL.
Ja.
OBERST.
Armer Angelogener.
KARL.
Sie haben Unrecht; würd' ich jetzt schon angesprochen, wenn's nichts mit mir wäre?
OBERST.

Eine gewisse Begabung soll einen nicht zum Kunstfach treiben. Ich bin ja gar kein Künstler, aber ich habe das Gefühl, als ob da drinnen alles kochen müßte.

KARL.
Tut es auch in mir, besonders heut.
[26]
OBERST.
Aber nicht von selbst, die Damen sind mir begegnet.
KARL.
Die Fertigkeit kommt aus mir selber.
OBERST.
Warum können Sie dann aber nicht zu Ihrem Vater ziehen? Können Sie dort nicht arbeiten?
KARL.
Nein, bei Vater werd' ich gehemmt.
OBERST.
Ein Genie kann man nicht fesseln.
KARL.
Es erträgt nur keine Fesseln.
OBERST.
Wer hat nun Recht?
KARL.
Die Hauptsache ist, daß ich bei Vater nicht arbeiten kann, die Mutter kümmert sich nicht um mich.
OBERST.
Das ist verdächtig.
KARL.
Wasserriecher!
OBERST.

Sie kümmert sich um nichts, weil sie warten kann, bis Sie die Mutterhilfe suchen. Das bringt sie fertig.

KARL.
Da Sie nicht aufhören, muß ich Ihnen meine Meinung sagen.
OBERST.
Nur immer wahr.
KARL.

Es kommt mir merkwürdig vor, daß Sie nicht im Sinne meines Vaters, Ihres Freundes, handeln. Sie wollen die Mutter von ihm wegbringen, er will sie haben. Sie versprachen's ihm ganz anders, als Sie's ausführen. Das ist Ihre Offenheit. Und warum das? Weil Sie sich für den Klügsten halten, weil Sie das eigensinnige Alter haben. Und an Ihre Verschwiegenheit glaub' ich überhaupt nicht. Sie vertragen den Honig wie die Hummel, in viele Ohren, was hat sich Hecht schon sagen lassen müssen. Sie machen's mit den intimsten Familienangelegenheiten wie die Friedhofsklatschweiber. Warum kopieren Sie den Brief der Mutter? Sie lesen gerne vor. Leider vertraut Ihnen mein Vater jeden Hosenknopf an, in der Beziehung ist die Mutter weiter, sie verbirgt sich sogar vor Herrn Hecht und dem haben wir zu danken. Jetzt kapier ich das. Und den hätt' ich beinah' in Stücke gehauen. Wenn Vater und Mutter wieder zusammen gehen, so wird's allein durch ihn, durch sein liebreiches Wesen. Wie liebenswürdig ist der Kaufmann und was für ein Grobian sind Sie. Er kann die Mutter beeinflussen.

OBERST.
Karl Weber, für Sie war ich allerdings immer überflüssig, für Ihren Vater nie. Geht hinaus.
KARL.

Es ist besser, Sie gehen, sonst erleiden Sie noch [27] Spott in den Zivilkleidern, wenn Ihre Feindin heimkommt. Den Gekränkten spielt der Getroffene.

OBERST.

Getroffen bin ich, aber wie. – Karl, ich möchte weinen, du warst einmal so vernünftig und verständig. Bleibt unter der Türe stehen.

KARL.

Als unreifer Bursch wurd ich einfach vom Gefühl getrieben. Da wäre ja Instinkt, der Trieb des Tieres, dem hellen Denken überlegen. Mit jedem Tag begreif ich weniger, daß ich in jüngern Jahren auch was treiben konnte. Bin ich denn dem Vater untreu geworden? dem lieben Vater? Nur bei ihm ständig wohnen, kann ich nicht, oft bei ihm sein, ihn unterstützen. Probieren kann ich's ja. Werd es tun. Vielleicht zieh ich die Mutter nach, wenn mir das Glück recht hold wird. Wie könnte alles werden, aber lähmen darf man mich nicht immer und immer wieder mit dem Geschwätz »dein Beruf ist verfehlt«. Es kommt doch bloß aus Neid oder Unverstand. Die Abneigung meiner Mutter gegen Sie ist auch auf mich übergegangen, schließlich kommt sie auch dem Vater. Dieses Weisesein und Richtigmachenwollen, dieses Gerecht- und Heiligseinwollen stößt mich ab. Und mich mit meiner Kunst verdächtigen, als ob ich Weibern nachliefe. Damit umgehen und sich doch rein halten, damit zeigt man sich als Mann, nicht mit dem ewigen Ausweichen. Und wahrhaftig habe ich doch an Mariechen einen so festen Halt. Ach, wenn ich die ansehe, vergehen mir alle gelüstigen Gedanken, ihr zu lieb muß ich stark sein. So wahr ein Gott lebt, will ich mir zur Pflicht machen, Mariechen vor Selmas Schicksal zu bewahren. Und wenn es einen Gott gibt, wird er mich darum nicht verkommen lassen. Dem Vater auch diesen Kummer darf nicht sein. Die Mutter nimmt das Leben nicht so schwer, sie findet sich nach allem zurecht.

OBERST
schnell einfallend.

Karl, ich habe genug gehört. Du bist noch sehr konfus. Doch hoff ich noch. Was ist dann die Geschichte mit der Kellnerin Johanna?

KARL.

Johanna, wenn sie auch Kellnerin ist, ist ein anständiges Weib, ich habe sie schon so oft überrascht und nie hab ich etwas gesehen. In dem Hause am Graben wollte ich sie fassen, aber als ich hinkam, wusch sie bei den Leuten, denen die Ehrbarkeit zum Gesicht heraus sah. Wie hab ich mich damals meiner Eifersucht geschämt, ich mußte es ihr gestehen, wie weinte sie deswegen. Johanna ist keine wie die andern, warum sollte es in diesem Beruf nicht auch Anständige geben?

[28]
OBERST.
Man muß lachen. Voll Zweifel scheinst du ja zu sein. Na, dann' mal so weiter. Ab.
KARL
setzt sich an den Arbeitstisch, stützt den Kopf auf, voll Tränen.
Ich weiß ja nicht, wo ich hin soll.

Marie mit einer Bibel. Schulanzug.
MARIE.
Du, Karl, der Oberst hat mir einen Kuß gegeben, und hat geweint.
KARL.
Was hat er denn gesagt?
MARIE.

Gar nichts, ich habe auch zu weinen angefangen. Ich war so traurig, wie ich im Schnee so leise lief. Man heißt das melancholisch. Die Glocken von den Pferden tönten so gedämpft. Wenn der Oberst nur nicht krank ist an einem inneren Leiden.

KARL.

Es wird wahrscheinlich bald wieder schneien, dann kommt die Dämpfung, die wirkt auf das Gemüt. Du hör einmal ...

MARIE.
Was?
KARL.
Ach nichts. Er zeichnet.
MARIE.
Karl, meine Schulfreundin hat so ein arges Wort über Selma gebraucht.
KARL.
Wie hieß es denn?
MARIE.

Das ärgste Wort, das es von uns gibt, wie man's nur in der Bibel geschrieben liest. Der Prediger sagte, die Leute haben sich früher nicht besser ausdrücken können, jetzt sage man »Dirne«.

KARL.
Das heißt, man schätzt die Dinger jetzt viel höher.
MARIE.
Karl, ob das wahr ist?
KARL.
Marie, ich laß dich nie zu Selma gehn.
MARIE
schweigt.
KARL.
Gehst du mit zum Vater?
MARIE.
Gleich.
KARL.
Aber nicht mehr ins Gefängnis.
MARIE
traurig.
Nicht mehr ins Gefängnis? Wohin dann?
KARL.
Du bist traurig?
MARIE.
Im Gefängnis sah Vater wie ein Engel aus.
KARL.
Dann willst du nicht mit?
MARIE.
Doch, aber dann will ich ganz beim Vater bleiben, wenn er nicht mehr eingesperrt ist.
KARL.
Dann gehen wir vor Dunkelwerden.
[29]
MARIE.
Nicht gleich?
KARL.
Ich muß fertig machen.
MARIE.

Karl, warum kommt eigentlich Papa nicht heim, wenn er wieder frei ist. Darf er denn nicht? Oder will er nicht?

KARL.
Die Mutter will ihn nicht mehr.
MARIE.

Das würde ich mit meinem Manne nie tun. Und Vater ist doch der beste Mensch der Erde, viel besser als die Mutter selber.

KARL.
Beide sind unsere Eltern.

Mutter und Hecht, Mutter voran, beide von der Straße.
MUTTER
sieht Karl prüfend an.
KARL.
Guten Abend, Mutter.
MUTTER.
Du rufst mir doch sonst immer das Neueste entgegen, eh ich Atem kriege, es ist ja so verdammt hoch.
KARL.
Bitte, gewöhnlich beacht ich's gar nicht, wenn jemand hereinkommt.
MUTTER.
Ich muß wohl anklopfen?

Hecht und die Mutter legen ihre Mäntel auf einen Stuhl ab.
KARL.
Warum bist du denn so gereizt?
MUTTER
zu Marie.
Von dir ist man's ja nicht anders gewöhnt.
MARIE
reicht die Hand hin.
Guten Abend, Mutter.Sie erhält dafür eine Ohrfeige, muß weinen.
HECHT.
Das nenn ich ungerecht, seine Laune an andern hinauszuprügeln.
MUTTER.

So lange sie bei mir ist, hat sie anständig zu sein, das Ding, wo immer nur zum Vater willBäffend. Vater, Vater.

HECHT.
Sie versteht das noch nicht, daß sich die Mutter dadurch zurückgesetzt fühlt.
MARIE.
Ich will ja heute gehen, schlag mich doch vorher nicht noch halbtot.
MUTTER
in Wut.
Heißt du das halbtotgeschlagen? Du Balg.
KARL.
Diese Schweinerei hört auf. Gott sei Dank ist heut der letzte Tag.
MUTTER.

So, darum seid ihr so frech, wer weiß, wer da [30] als da war, womöglich der Vater selber – hat er auch nichts gemaust?

KARL.
Gemeine Gesinnung. Er packt seine Sachen auf dem Tisch zusammen.
MUTTER.
Jetzt weiß ich's immer noch nicht, wer da war, das ist meine Wohnung.
KARL.

Es kann dir genügen, daß wir zu ihm gehen. Die Sachen Stößt sie von sich. brauche ich nicht, ich mause dir nichts.

MUTTER.
Meine Kleider hast du immer noch an.
KARL.

Was fällt dir eigentlich ein, so zu lügen. Das viele Geld, das du von mir bekommen hast, ist alles nichts – dein bißchen Lumpenkrust aber.

MUTTER.
Wenn ich nicht wäre, hättest du keinen Pfennig verdient.
KARL
niedergeschlagen.
Also kann ich doch nichts.
HECHT.
Hört doch auf damit, die Mutter sprach ja sonst das Gegenteil, das wissen Sie gut.
MUTTER
weinerlich.

Es war ja nur, weil ich ahnte, daß Karl einfach von mir fortläuft. Jetzt habe ich ihn einmal kennen gelernt, wie er über mich denkt. Wenn man einfach davon laufen will, kein Dank und nichts. Nun weiß ich, was für ein Haß gegen mich in dir ist.

KARL.

Es ist eben nicht recht von dir, daß du nicht mit dem Vater zusammenleben willst; nur dann zeigst du dich als unsere treue Mutter.

MUTTER.
Woher weißt du denn das?
KARL.
Vom Oberst.
MUTTER.
Der alte Wackelkopf war wieder da, dann ist es kein Wunder.
KARL.
Im Gegenteil, ich habe mit ihm gebrochen.
MUTTER
listig.
Es sieht aber nicht so aus.
KARL.

Es kommt mir jetzt mehr darauf an, ob er nicht recht hatte. Du hast's gegen uns, hauptsächlich gegen deine Jüngste angedeutet.

MUTTER.

Warum soll der Rockwechsler nicht auch einmal recht haben. Hecht lacht, die Mutter spricht sich in Erregung. Ich geb es zu, er hat recht. Ich will mich scheiden lassen, ich will einen andern heiraten, ich will meine Kinder nicht mehr, außer Selma und dir Zu Karl. das soll das Gericht entscheiden. Ich will mein Leben noch genießen, ich will keine Monatsfrau werden und mich vor aller Welt so blamieren, woher stamm ich denn?![31] Und er, schlüge mich ja doch in der ersten Nacht aus Eifersucht zu tot.

KARL.
Vater hat also Grund zur Eifersucht, du hast Angst vor ihm.
MUTTER.

Bei jedem freundlichen Lachen im Gefängnis glaubte ich, er wolle mich erdolchen oder erwürgen. Sein Freund sagte ihm ja, daß ich mit dem Kaufmann gehe. Mit Herrn Hecht bin ich heimlich längst verlobt, ich kann ja gar nicht mehr zurück, sieht das denn niemand ein? Ich habe ihm Briefe geschrieben, worin ich alles offen bekenne, der Mann läßt mich aber nicht los, der Mann hat ja keine Ehre. »Er liebe mich zu sehr«, aber er will mich nur erwürgen.

KARL
wie tröstend.

Er will dir vergeben, damit du ihm auch vergibst. Denkt doch beide an Eure Kinder, was sollen wir Waisen mit lebendigen Eltern anfangen? Weich. Mutter!

MUTTER.

Ich will mich scheiden lassen. – Er muß sich scheiden lassen, wenn ich in Scheidung lebe. – Es muß sein.

KARL.
Herr Hecht könnte doch das Verlöbnis wieder auflösen.
HECHT.
Ich wollte Martha stets bewegen, nur um der Kinder willen.
MUTTER
zu Hecht.
Das hätte dir gepaßt.
KARL.
Es wäre vernünftiger, Mutter.
MUTTER.
Das begreifst du nicht.
KARL
heftig.
Dann war das Verhältnis kein reines.
HECHT
eifrig.
So wahr ich hier stehe, nicht der kleinste Makel.
MUTTER.
Du lügst, du bringst mich nicht so los.
KARL.
Mutter, was ist wahr?
MUTTER
gedämpft, scheu.
Das geht den Sohn nicht so viel an wie mich.
KARL.

Herr Hecht, mir ekelt's vor Ihnen, natürlich wollten Sie für Ihr Geld etwas haben, das mußte ich mir ja sagen.

HECHT.

Sie vermuten vielleicht zu viel. Durfte ich nichts daran setzen, um Ihre herrliche Mutter zu gewinnen? Ich habe keinen sehnlicheren Wunsch, als mich Ihren Mann zu nennen. Ist es aber nicht auch meine Pflicht, eine Frau an ihre Kinder zu erinnern und darum auf deren Besitz zu verzichten?

MUTTER.
Ein großartiger Diplomat.
KARL.
Dann durften Sie nicht anfangen.
HECHT
für sich, unruhig.

Ich durfte es nicht lassen, sonst [32] hätte sie ein anderer gehabt. Laut. Ja. Martha, sprech ich nicht aus deinem Herzen? Denkst du nicht zehntausend täglich an deine Kinder? Wie viel von deiner Liebe ging mir darum verloren.

MUTTER.

Du wolltest nur zum letztenmal versuchen, mich wieder von dir loszuschieben. Wo dir das Standesamt näher kommt, möchtest du abrücken.

KARL.

Mutter, du bist unnötig mißtrauisch. Herr Hecht liebt dich, das glaub' ich ihm jetzt. Aber Mutter, du solltest dir's aus dem Sinn schlagen. Es kommt nichts Gutes aus der Scheidung, kein Mensch weiß dann wohin.

MUTTER.

So kann nur ein unreifes Bürschchen sprechen und wie schlecht so eine Predigermahnung dem Sohn der Mutter gegenüber steht. Bestimmt. Ihr schafft mich nicht zum Weber.

KARL.
Du hast dich auch nicht sonderlich ausgenommen »Martha«.
MUTTER
zu Hecht, flehend.

Wenn du mich wirklich lieb hast, wie du sagst, so behalte mich bei dir. Wenn nur Lothar endlich Einsehen hätte, daß ich nicht gegen Liebe handeln kann und Liebe zu ihm heucheln. Ich haß ihn ja.

KARL.
Du haßt auch deine Kinder.
MUTTER
barsch.
Marie, ja.
MARIECHEN
fängt zu weinen an.
KARL.

Mariechen, weine nicht, wir sehen, wir gehen besser heim zu deinem Vater. Zieht seinen Mantel über und setzt den Hut auf.

MARIECHEN
geht so, wie sie gekommen ist.
MUTTER.
Lebt wohl, Ihr beiden, der Vater mag Mariechen lieben.
KARL.
Besinn' dich noch einmal, tu's uns zu lieb.
MUTTER.
Besinnt ihr euch, von mir fortzugehen?
KARL UND MARIECHEN
zotteln ab.
MUTTER
zu Hecht.

Du hast dich wieder nett gezeigt. Du hast mich über. Am liebsten hätt' ich's vor den Kindern gesagt, daß du noch keine Nacht aus meinem Bette warst, seit Lothar verhaftet wurde. Es hat mich sehr gekitzelt, das recht sinnlich hinzusagen. Ich fürchtete bloß, Karl haue dir den Schädel ein. Verdient hättest du's. Du hast mir die Heirat versprochen, das wirst doch wissen. Ich käme dir, daß du d'ran denken würdest.

HECHT.

So bist du also, so abscheulich könntest du an mir [33] handeln. Für sich. Wenn ich nicht fortmach, werde ich fortgemacht.

MUTTER.

Wenn du so an mir handeln willst?! Dafür wäre der Tod für dich noch zu gelind. Was hast du mir geschworen, »Liebe, Treue«. Was hast du Verbrecherisches ausgesonnen, mit Lothar, weil du mich haben wolltest. Zufällig hat er ohne dich umgeschmissen oder auch nicht. Und jetzt ...

HECHT.
Schlimm genug, daß du darauf eingegangen bist.
MUTTER.

Dein Wille war's, du sagtest, du bringest dich um, und so weiter. Und ich tat dir den Willen, weil ich dich liebte.

HECHT.
Du glaubtest doch nicht im Ernst, daß ich zum Selbstmord griffe.
MUTTER.

Ich hielt dich für zu feig, ich will nicht lügen. Aber damals Leidenschaftlich. war es mir willkommener Grund zum Ehebruch, weil ich dich haben wollte.

HECHT.
Was hab' ich nun davon? Du liebst mich lang nicht mehr so leidenschaftlich.
MUTTER.
Glaubst du? Sie küßt ihn heftig.
HECHT.
Warum sprichst du dann so oft so entsetzlich roh?
MUTTER.
Ach was, wenn du mich los sein willst.
HECHT
drückt sie an sich.
Das will ich nicht, es schleicht nur manchmal die Eifersucht über mich.
MUTTER.

Du bist doch nicht wie Lothar. Sieht ihm von unten verklärt in die Angen, sie hat sich auf einen Stuhl gesetzt. Du darfst nicht eifersüchtig sein, damit fängt das Unglück an.

HECHT.

Ich wehre mich dagegen, aber ich bringe die quälenden Gedanken nicht los, besonders wenn du so lieblos sprichst.

MUTTER.
Eigentlich denke ich anders, als es heraus kommt.
HECHT
kniet und weint.
Ich leide daran.
MUTTER
hat den Kopf des Weinenden im Schoß.

Also so schrecklich leidest du, daß du weinst? Du kannst mir glauben, das bringt mich noch unter den Boden, dieses Mißtrauen. Von Lothar will ich deswegen weg, weil ich daran merke, daß er mich nicht liebt. Und du machst es wieder so. Weint ihrerseits.

HECHT
erregt.

Du darfst nicht mehr zurück. Ich bringe es auch soweit, daß er mit der Scheidung einverstanden ist. Erhebt sich.

MUTTER.
Sag, warum zanken wir uns eigentlich?
HECHT.
Wir tun es auch nicht mehr.
[34]
MUTTER.
Wir sagen oft so und doch immer wieder.
HECHT.
Sobald ich dich von Recht im Bette habe.

Anklopfen. Hecht und Frau Weber gehen aus der Umarmung.
MUTTER.
Das wird Johanna sein. Kurz. Ja.
HECHT.
Herein!
JOHANNA
ein sehr einfach, beinahe ärmlich angezogenes Frauenzimmer mit ganz einfachem Hut, kräftige Figur, mit geheimnisvollem Gang, eigentlich ein Zigeunertypus, kann furchtbar pfiffig lachen, hervorragend mimen, lügen, ohne einmal anzustoßen; wenn sie verliebt guckt, hat sie Lamablick, redet in stets bescheidenem Ton.
Se haben mich hergebeten, Herr Hecht. Bin ich zur rechten Zeit gekommen?
HECHT.
Auf die Minute.
JOHANNA.
Das ist sehr wesentlich.
MUTTER
absichtlich zu Hecht.
Du hast die Wahl gefehlt.
JOHANNA.
Weil ich so bescheiden bin? Das ist die giftigste Gebärde.
MUTTER
lobend.
Satan!
JOHANNA
nimmt auf das Lob hin eine lächelnd aufgerichtete Haltung gegen Hecht ein.
HECHT.
Es ist wahr, wir müssen zur Sache schreiten. – Wollen Sie eine Nacht bei Herrn Lothar Weber wagen?
JOHANNA.
Wenn gnädige Frau gestatten?
MUTTER
fast plump.
Welches Untersinnen!
JOHANNA.
Er hat mich schon vor Jahren nah gekannt.
MUTTER
Aufregung heuchelnd.

Ich wollte es nochmals hören. Es raubt mir den Verstand, daß er so ruchlos war. Geliebte Johanna, du wußtest damals nicht, wer er war.

JOHANNA.
Er nannte sich Doktor Krösus, da ich Doktor Krösus nicht kenne, so hielt ich ihn für millionenreich.
MUTTER
schlägt die Hände zusammen.
Er zeigte sich erkenntlich, darum mußten wir darben. Dahin kam das Geld. Hast du's noch, Johanna?
JOHANNA
pfiffig lachend.
Ich könnte reich sein.
HECHT.

Beruhige dich, er wird es schon bereuen, wenn er vor's heilige Gericht kommt, beschmutzt wie ein Lump. Er, der tat, als wäre er König Bells Sohn, als er hatte und wie ein Märtyrer, als er nichts mehr hatte. Martha, du mußt es ertragen, wenn Johanna ihm einen Dienst erweist, sie hat ein Recht darauf, ihm behilflich zu sein in seiner Frauenlosigkeit.

JOHANNA.

Zu was denn alles der Schein? Wir sind[35] intim. Verdien ich nicht mein Geld?! Sie haben auf die Keuschheit nur gewettet.

MUTTER
mit einem leisen Wink auf Hecht.
Man will nur deuten, was die Richter fragen können.
JOHANNA.

Die Hauptsache ist, daß ich heute eine Nacht bei ihm bin und morgen gewesen bin. Und wenn er fromm wird, werd ich frömmer.

MUTTER.

Sein Widerstand hat sich verschärft bei diesem Tugendhelden. Es wird ihm aber wenig nützen, daß er gut war.

JOHANNA.
Soeben hörte man, daß er es nicht war.
HECHT.
Wenn es dir leid tut, Martha, läßt man's bleiben. Ich würde nicht gern mit Lügnerinnen zu tun haben.
JOHANNA.
Ich bitte um mein Angeld.
HECHT.

Warum muß man dich mit Geld zum alten Schatze treiben? War er es nicht? Oder bist du deiner Wette sicher?

JOHANNA.

Mein Geschmack hat sich verändert. Und Herr Hecht will mich zur Unzucht verleiten, wo ich doch gar nichts mehr berühren wollte, seit ich mit Karl Blick gesenkt. – –.

MUTTER.
Wenn's nicht gelingt, dann gibt's nichts weiter.
JOHANNA.
Das sagt man nicht.
MUTTER.
Gib ihr hundert Mark.
HECHT
händigt ihr die Summe ein.
JOHANNA.

Ich hole morgen tausend, sonst kann ich nicht in Brillanten schwören. Ich rate, seid nicht geizig, sonst werd ich ethisch.

HECHT
wischt den Schweiß von der Stirne.
MUTTER.
Dann bist du aber zufrieden, Schöne, meine Hochzeit ist auch noch eine Gelegenheit.
JOHANNA.
Ich komme dann zur Morgentoilette, wenn Sie verheiratet sind.
MUTTER.
Bist du geschickt?
JOHANNA.
Sie dürfen mich nur rufen, gnädige Frau. Ab. Mutter. Für die haben wir nicht zu viel gegeben.
HECHT.
Was ihr zuletzt spracht, war Geflunker. Was will sie bei der Morgentoilette?
MUTTER.
Frauen lernen sich allerlei.
HECHT.
Nähere Bekanntschaft wünsch ich nicht mit der Person.
MUTTER.
So etwas. Bist du auf Frauen eifersüchtig?
HECHT.
Geschwätz.
[36]
MUTTER.
Es muß schon so sein, warum tätest du dann so komisch?
HECHT.
Warum helfe ich eigentlich Lothar ins Unglück?
MUTTER.
Du hast ihn schon einmal hineingebracht.
HECHT.

Es war nur mein Gerechtigkeitsgefühl und heute ist es dasselbe. Ich will einen zurückliegenden Fall von Ehebruch wiederholen lassen, damit er ein neuer ist, ich versetze eigentlich nur die Zeit. Was tue ich also Unrechtes? sage selbst. Und für ihn wird's ja nur Glück.

MUTTER
lächelt.
HECHT.
Faktisch ist es kein Unrecht.
MUTTER.
Eigentlich ist's ja ein Unterschied.
HECHT.
Wieso denn? Das sehe ich nicht ein.
MUTTER.
Man sagt das eben so, du weißt doch.
HECHT.

Nein, wenn ich's dir nur klar machen könnte. Stutzig. Du, ich habe die Kellnerin noch etwas zu fragen. Er zieht den Mantel an.

MUTTER.
Was die gesagt hat, stimmt schon, bloß deine Logik nicht.
HECHT.
Und trotzdem ist es besser. Er geht fort.
MUTTER.

Geh nur, ich weiß ja schon. Ich mach es mit dir nicht besser. Sie nimmt ihre Kleidungsstücke auf und will nebenan gehen, da wird die Türe schon von der anderen Seite aufgeklinkt. Selma mit Lüstling prallen mit ihr zusammen.

MUTTER.
Wie kamt ihr in die Wohnung herein?
LÜSTLING.
Für alle Dinge gibt es einen Schlüssel, wer den besitzt, muß alles öffnen können.
MUTTER.
Ja, das erklärt mir nichts.
SELMA.
So hat er's auch mit mir. Ich muß willfahren allem, was er tut.
MUTTER.
Natürlich, wenn er's tat, hast du willfahren.
SELMA.
Es gibt nichts mehr Geheimes zwischen uns.
LÜSTLING.
Und also keinen Vorwurf, abgemacht.
MUTTER.
Wie bei der Stimmgabel, du schlägst sie an und sie gibt deinen Ton von sich.
LÜSTLING.

Das ist gesprochen, ganz experimental. Wie mitgemacht, schon eh' man ein's geboren. Da wir schon dran sind, sie kriegt kein reines A, es tut zu sehr gedehnt, wie müdes Gähnen, oft wie durch Nasenschlangen, ganz französisch oder schwäbisch. Nur kann es diese Rasse auch mit Willen rein. Woher mag das nur kommen, ist das wohl ererbt, sie gibt doch wohl den Ton, den ihr Mama gegeben.

[37]
MUTTER.
Da bitte, nein. Bei allem anderen, ja.
LÜSTLING.
Das ist noch kein Beweis. Die Stimmgabe soll leben.
MUTTER.
Sie sprechen ja ganz kindisch, ganz schanbacherisch.
SELMA.
Was haben Sie urplötzlich auch zu klagen? das konnten Sie mir nach der Stunde sagen.
LÜSTLING.

Schanbacherisch war's nicht. »Stimmgabe« und »Stimmgabel« sind verwandte, aber ganz verschiedene Dinge. Die güt'ge Mutterfreundin meiner Selmafreundin wollte ich nicht verletzen. Auf Fastnacht wollte ich nur etwas zurechte machen. Ich spiel den Doktor und muß untersuchen, ob sich der Mutterkehlkopf schon im Halse findet. Ich lade beide ein zum Maskenball, die Mutter soll dann Tochter und die Tochter Mutter sein. Dann fragt die Mutter, wie klingt dieses A? dann sag ich, ganz exzellent und überirdisch rein, gerade wie bei dir, mein Tochtermutterlein, so süß. Ah, ah.

SELMA.
Auf die Entscheidung bin ich sehr gespannt.
MUTTER.
Es gibt ja keine, Dumme, man kann mich lieber aus dem Spiele lassen.
LÜSTLING.
Ich muß die Mutter kennen.
MUTTER.
Wenn's sein muß, dann, doch nur im Kehlkopf, bester Doktor.
LÜSTLING.
Wenn ich ihn gleich am Maskenrande finde.
MUTTER.
Sagt's aber meinem Bräutigam fein nicht, er ist auf Aerzte ganz revolverisch.
LÜSTLING.
Käm' er nur gleich, da kommt er schon.
MUTTER
rasch.
Habt ihr gehorcht?
LÜSTLING.
Nur ich, ich find, »es glückt«.

Hecht kommt zurück, macht ein saueres Gesicht.
LÜSTLING
eilends.

Die gnädige Frau verbot mir im Moment, Ihnen zu sagen, daß sie sich im Kehlkopf untersuchen lassen will, weil sie zuweilen einen Druck fühlt, weil Sie sonst glaubten, daß sie Schwindsucht habe.

HECHT.
An so was hätt ich nie gedacht. Wie stellst du mich hin?
LÜSTLING
zu Frau Weber.
Also sehen Sie.
HECHT
leise zu derselben.
Es bleibt dabei.
MUTTER
hat die Aufmerksamkeit Hecht zugewandt.
[38]
LÜSTLING.

Es sind doch alle Männer eifersüchtig, von jenem Tag ab, wo sie sich binden, an die von Hause Losgebundene. Komm, Selma, laß ihm sein saueres Gesicht.


Beide ab.
HECHT.
Was will denn der?
MUTTER.
Man muß es dir ansehen.

Vorhang.

3. Akt

[39] Dritter Aufzug.
Personen.

Lothar Weber


Martha Weber


Karl


Selma


Marie


Oberst


Hecht


Lüstling


Johanna


Scene: Wohnung des Vaters Weber. Mansardenstube mit einem kleinen Balkon aufs Dach hinaus (die hintere Türe). Das Dach steigt von halber Türhöhe schräg nach vorne. Rechts eine Türe ins Nebenkammerchen, links Türe ins Treppenhaus. (Treppen hinunter zu den unteren Stockwerken und hinauf zum Boden.) Die Stube hat einfachen Bretterboden, mit Leisten vernagelte
Wände, aus Holzbrettern, ebenso die Decke. Die Türe auf das Dach hinaus ist mit Glasscheiben versehen, zu beiden Seiten der Türe kleine Mansardenfenster, durch die der Mond scheint. Durch die Türe tritt man auf einen ungefähr zwei Quadratmeter großen Balkon, dessen Geländer einfache Eisenstangen sind. In der Stube befinden sich ein Tisch, drei Stühle, ein Bett, ein Stiefelzieher, eine Kiste (als Nachttisch), ein Bild von Frau Weber, als Mädchen, über dem Bett. Die Heizung versieht der aus den unteren Stockwerken durchlaufende Kamin. Auf dem Tisch steht eine magere Erdöllampe. In der Kammer rechts schläft Marie. Es ist nach Mitternacht. Die Lampe brennt noch auf dem Tisch. Weber sitzt auf einem Stuhl: Johanna im Unterrock, ihr Oberkleid liegt auf dem verlegenen Bette.

Lothar Weber, mit eisgrauen Haaren. Johanna.

JOHANNA.
Wenn du mich anstarrst, geh ich doch nicht, Lothar.
WEBER
zitternd.
Sie sollen gehen.
JOHANNA.
Es ist nicht weit vom Tisch zum Bett.
WEBER.
Ich ruf um Hilfe jetzt. Er ist aufgestanden.
JOHANNA.
Nach Mitternacht, so zeitig!? Ich bin schon lange da.
[40]
WEBER.
Noch länger laß ich mich nicht quälen. Sie sollen hinaus! Ich will davon nichts wissen.
JOHANNA.
Jetzt fängst du selber an, aha, du bist vom Stuhl aufgestanden, um mit mir zu Bett zu gehen.
WEBER
ruft.
Karl, zu Hilfe!
JOHANNA
drohend.
Willst du ruhig sein! Muß denn das ganze Haus zusammenlaufen?! Man erschrickt ja ganz.
WEBER.
Wäre nur mein Karl da, wäre nur mein Karl da.
JOHANNA.

Dein Sohn hat mehr Gehirn, als du verschämter Alter. Wenn man seine fufzig auf dem Buckel hat und so verzärtelt tut, Jesus Maria! Dein Sohn, der weiß schon, wo man die Waden sucht und wo die Nymphen sind. Wenn nun zu dir einmal eine kommt, da schreist du wie besessen. Das wäre wohl die Welt, noch einmal lustig sein. Was will ich weiter? Ich lasse dich in Ruh, sobald du weich gibst. Sie nähert sich ihm.

WEBER
abwehrend.
Ich haue zu.
JOHANNA.
Du! Ich kratze. – Was fällt dir ein?
WEBER.
Ich habe Sie nicht gerufen. – Das ist meine Stube.
JOHANNA.

Auf die kannst du stolz sein. – Und wenn du mich nicht gerufen hast, so tu so, du hast mehr davon. So hast du nichts und hast denselben Lohn. Was soll der Anstand vor vier leeren Wänden?!

WEBER.
Dort hängt Martha Zeigt auf das Bildchen. Drinn' schläft mein Kind.
JOHANNA.

So ein Narr! Vor Bildern hat er Angst. Vor mir, die's will, bist doch allein. Wem sieht man seinen Umtrieb mit der Einsamkeit denn an? Dir beispielsweise nicht.

WEBER.
Ich hab auch keinen Umtrieb mit der Einsamkeit, den haben verschimmelte Weiber.
JOHANNA.
In meinen Augen bist du wie ein Knabe. Der weiß von nichts.
WEBER.

Mit meiner schweren Bürde schwerer Jahre! Dann hält dein vetterisch Geziefer für reife Männer nur die Rotzlappenstecker, die zur Parade laufen.

JOHANNA.
Bravissimo! Nur aufgewacht, Lothar mit deinem Schimmelhaar.
WEBER
aufgerichtet.
Kein Spöttchen mehr.
JOHANNA.
Wenn es mir paßt Erneut zudringlich.
WEBER.
Marie, zu Hilfe!
[41]
JOHANNA
für sich.

Ich gab ihr Baldrian. Stille. Das wird viel helfen unterm Dach, und so ein Kindchen, das ich mit samt dir unter den Tisch quetsche. – Nun ist's genug, ich lege mich ins Bett.

WEBER.
Hinweg von meinem Bett!
JOHANNA.
Etwas werd ich dürfen. Du kannst ja bei mir liegen und die Kleider anbehalten. Sie legt sich hin.
WEBER
wagt nicht hinzutreten.

Die legt sich mir dahin, wie eine reisefertige Sau. Hab ich die kleine Wohnung nicht für mich gekauft? Wenn es zum Morgen geht, dann steht Mariechen auf. Er geht an die Kammertür, die verschlossen ist. Verschlossen! Halblaut. Mariechen – Mariechen.

JOHANNA.
So eine Rohheit, das Kind aus dem Schlaf wecken; was willst denn bei ihr?
WEBER.
Hier darf nicht abgeschlossen sein.
JOHANNA.
Warum denn nicht?
WEBER.
Ich muß wissen, ob sie lebt.
JOHANNA.

Man hat doch keine Ruhe. Erhebt sich und schließt die Kammertüre mit dem hervorgeholten Schlüssel auf. Ich will nur sehen, ob du das fertig bringst, das Kind zu wecken.


Beide verschwinden, Johanna hat die Lampe genommen. – Klopfen an der Stubentüre, Stille, weggehende Schritte.
WEBER
kommt zurück, hinter ihm Johanna.
Ach, wie das Kind schläft, mein Mariechen, wär ich doch ein Kind.
JOHANNA
mit der Lampe, für sich.

Der Schlaf ist gar nicht echt, du schwacher Alter. Laut, sie setzt die Lampe nieder. Jetzt lösch ich aber aus, ich will schlafen. Sie löscht aus und legt sich krachend auf das Bett.

WEBER
hat sich auf einen Stuhl gesetzt und nickt allmählich ein, der Mond scheint auf seinen weißen Scheitel.
JOHANNA
schnarcht.
WEBER
von Zeit zu Zeit sprechend.

Ich hab mich an der Wohnung so gefreut, nun muß ich dieses wüste Stöhnen hören. – Wenn ich was Spitziges nähme! Ich kann doch sagen, »sie hat mich überfallen«. Nur darf sie dabei nicht im Bette liegen. Er zieht eine Petroleumkanne hervor. Jetzt hab ich's in der Hand. »Ich zünd mein Stübchen an und gieß das Oel gerade über sie ... Das Schnarchen stockt, draußen nahende Schritte. Sie hat's verdient. – Und wenn Mariechen mir verbrennt. Stützt den Kopf auf und sinkt in Schlaf.


[42] Stille. – Klopfen an der Stubentüre. – Stille. – Wieder Klopfen. – Stille, weggehende Schritte hinauf auf den Dachboden.
WEBER
auffahrend.
Es hat gepocht. Rufend. Ist jemand draußen?

Keine Antwort.
JOHANNA
verschlafen.
Wer wird auch klopfen? Bei dir ist nichts zu finden.
WEBER
für sich.
Sie ist eine Diebin, die sich versteckt.

Stille, nach einer Weile Rutschen übers Dach.
WEBER.
Sie kommen übers Dach.
JOHANNA
hochgerichtet.
Wer kommt?
WEBER.

Kein Zögern mehr. Er will die Stubentür aufreißen, sie ist verschlossen. Die Türe auf, du schwarzes Tier.

JOHANNA.
Nun wird er Schmollis.
WEBER.
Licht! Wo sind die Streichhölzer? Gib mir die Streichhölzer, ich renn dir auf den Leib.
JOHANNA.
Das möcht ich ja.
WEBER.
Wär doch mein Karl da, er würf' dich weg, wie eine tolle Katze.
JOHANNA
gegen das Dach.
Das wird hier immer toller. Still!

Stille. Räuspern außen, man sieht vor der Balkontüre eine Gestalt.
WEBER.
Es ist vor der Tür.
JOHANNA
leis, gespenstig.
Ich habe nichts gesehen.
WEBER.
Da, er kommt heran, mit seinen Augen schneidet er durchs Glas.
JOHANNA.
Es ist doch Nacht, wie soll man Augen sehen?

Klinkton an der Türe.
WEBER.
Er kommt herein.
JOHANNA.

Die Türe ist verriegelt. Da hast du Streichholz. Sie wirft das Oberkleid über sich und will durch die Zimmertüre fliehen, findet aber den Schlüssel nicht sogleich. Hast du den Schlüssel weggenommen? Nimm dich in acht! In diesem Augenblick wird die Türe hereingedrückt und die Gestalt schiebt sich herein.


Karl in Mantel und Hut.
KARL.

Ist jemand wach, dann mach' er Licht. Mir war's doch so. Seit wann habt ihr denn Angst? 's ist traurig genug, [43] daß man da draußen nächtigt, ich habe Johanna diesmal nicht gefunden, »sie bediene heute nicht«, wer weiß, wen sie bedient. Es sticht mich nicht umsonst so tief da drinnen. Wie gerne läg' ich zu Marie hin, sie ist wie frischer Waldboden, aber man getraut sich nicht, so was zusammenzulegen, wo's doch wäre, wie Schlaf am rieselreinen Funkelbach.

WEBER
stammelt.
Karl.
KARL.
Vater, wachst du?
WEBER.
Karl, ich bring' kein Licht, ich bin an dir erschrocken.
KARL.
Es hat mich draußen gefroren.
WEBER.
Ich bin so froh, daß du gekommen bist, du mußt mir helfen.
KARL
entdeckend.
Wer ist da, Vater? Wer ist hier?
WEBER.
Karl, hab' Geduld ...
JOHANNA.
Man will mich verraten! Lothar, tu's nicht.
KARL.
Es hat mich übers Dach wie Gier geschoben. Ich mußt es ahnen, daß hier Unfug ist.
JOHANNA
zündet die Lampe an.
KARL
erschrickt.
JOHANNA.
Ja, ich bin da. Blickt Karl an, dann senkt sie die Augen.
WEBER.
Denk ja nichts Falsches, Karl.
JOHANNA.
Das wollt ich Ihnen nie gestehen, daß ich Ihren Vater liebe.
KARL
verbissen.
Das ist das Schlimmste.
JOHANNA
angstvoll schweigend, läßt Tränen fallen.
WEBER
steht wie festgenagelt, er bringt nichts hervor.
KARL.

Weg! Die Tränen reizen mich. Bestimmt. Ich sehe dein Gesicht nie mehr! Nirgends. Sonst mach ich dich zu Fetzen.

JOHANNA
kann nicht hinaus.
Er hat mich eingeschlossen.
KARL
hinter ihr drängend.
Durch die Wand!
JOHANNA.
Ich sagte ja, wir kommen nie zusammen. Ratlos den Ausgang suchend.
KARL.
Hinunter über den Balkon! Ich schieße, springe.
JOHANNA
hält zitternd vor der Nacht.

Und spring' ich in die Nacht, ich klatsche auf den Asphalt zerschmettert auf. Sie bricht zusammen. Erbarmung! Der ist schuld. Auf den Vater deutend.

[44]
WEBER.
Karl, sie hat mich wie aus Wollust die ganze Nacht gequält.
KARL.

Gequält. Du wirst es doch nicht Qual nennen, dies Geschöpf, du lügst, du hast geschwelgt. Und wenn das Schwelgen weh tat, war der Schmerz die Lust. Um diesen Schmerz meinen Neid und Haß auf dich, gelüst'ger Vater, Lüstling versteckter, Heiligtuer, Ehebrecher und Betrüger! Gegen Johanna gewendet. Rennst du noch nicht hinab? Dein Hengst springt dir wohl nach. Hä, der wollt ich Liebe aus den Rippen pressen, der tagverhängten Nacht, die lieber welkes Zeug erquickt, als junge Kraft; ekler Austernschleim. Er gibt Johanna einen Fußtritt.

JOHANNA
aufspringend.

Deine jugendliche Anmaßung schätzt dich nur zu hoch. Wo mich die Liebe hinhält, da fließt auch mein Brunnen. Daß du ihn welk nennst, dafür kann ich nicht. Des Mannes Alter ist des Weibes Jugend.

WEBER
zu dem abgewandten Sohn.

Sie ist mir gestern abend auf den Hals gelaufen, ich kenn' sie nicht einmal, wie du, sie will sich nur vor deiner Wut retten. Ich bat, flehte, befahl, frech blieb sie hier, Karl glaube mir. Daß ich sie liebe, Karl, das glaubst doch nicht, ich dein alter Vater, der weiß geworden ist. Was schimpfst du mich? Ich rief nach dir, was half's? du warst nicht da.

KARL.
Warum hattest du mir kein Bett gerichtet?
WEBER.

Ich hatte ja kein Geld, ich dachte wohl, du kaufest es, du bringest deines mit, du verdientest doch viel Geld.

KARL.

Daß ich nicht gerne durch die Kneipen schlumpe, wußtest du, und ließt mich trotzdem von dir laufen. Und mit Verdienen ist's nichts mehr. »Ich sei undankbar gegen meine Mutter«, sagte mir mein höflicher Prinzipal. – Du ließt mich laufen, seh's warum.

WEBER.

Karl, ich konnte bis jetzt nicht mehr zusammenbringen. Karl, du kannst nicht zu viel verlangen, es geht mir so schon herb.

KARL.

Mein Vater bist du und hast für mich zu sorgen, bis daß du blutest. Du bist bequem und faul und hast mir kalt nachgeguckt.

WEBER.
Karl! Ich bat dich, da zu bleiben.
KARL.

Ich konnte doch nicht bei Marie schlafen. Warum tat ich's nicht! Warum soll ich alleine Sitte haben?!

WEBER.
Du bist wie dein Vater.
[45]
JOHANNA.
Wenn du nicht lügen würdest, Lothar. Muß ich zu Tod geschlagen sein?!
WEBER.
Karl, hörst? Sie nennt mich du. So frech.
KARL.
Zum Schatze sagt man »du«. –
WEBER.
Karl, komm doch zu dir.
JOHANNA
die Hände ringend.
Muß ich denn totgeschlagen sein?
KARL.

Nein. Sieh, wie feig du bist, die mich so niederträchtig zappeln ließ. Wenn er die Wahrheit sagt, lauf du als freies Vieh! Die Faust ballend. Und doch am Ende schlag ich dich tot.

JOHANNA.

Wenn Lothar kein Mitleid hat, dann kann ich auch von Ihnen kein's erwarten. Sie hab ich beleidigt, aber er verbot mir doch, davon zu sagen.

KARL.

Behalt sie doch getrost, mein Vater, behalte sie; warum denn jetzt auf einmal schimpfen und verleugnen? Mich hast du los, mein Vater. Zu einem alten Lecker sag ich Vater!

WEBER.

Du hättest mich rufen hören sollen, hättest hören sollen, was ich ihr sagte, was du tätest, wenn du da wärst. Und jetzt hilfst du ihr und deinen alten Vater kränkst du. Lauft alle weg von eurem Vater, er weiß sich schon zu helfen.

KARL.

Aber schuld sind wir nicht, wenn du dich selber umbringst, behaupte das nicht, du hast deinen Sohn auf dem Gewissen. Was soll ich tun, wenn gar alle Menschen Teufel sind?

WEBER.
Das darfst du dem Teufel nicht glauben.
KARL.
Wie meinst du das?
WEBER.

Karl, nicht alle gehören ihm, aber die da. Wenn die bald unten ankäm, würden sie in der Hölle Kirchweih feiern.

JOHANNA.
Dann auch deine Marie, wenn alle Teufel sind, die an dir hangen.
KARL
wie vom Blitz getroffen.
Marie, wo ist Marie?
JOHANNA
hält Karl von der Kammertüre zurück.
Er hat ihr Baldrian gegeben, damit sie schläft.
KARL
zum Vater.

Schurke! Er stößt die Tür ein, daß das Schloß hinausfährt. Da sitzt sie hoch im Bett und taumelt noch im Gift. Marie, wach auf, du bist für mich, ich hab es mir geschworen.

WEBER.
Karl, frag sie, ob ich ihr Gift gegeben hab.

[46] Marie taumelt im Hemd halbwach heraus auf ihren Vater zu, sie umklammert ihn und sieht mit großen leeren Augen auf Karl.
MARIE
im Schlaf.
Sie kommen ...
KARL.
Von deinem Vater weg, der wollte dich vergiften.
MARIE.
Tut doch das Weib fort!
KARL.
Du siehst nicht klar. Das Web will nichts von dir, aber dein Vater, er hat dir Gift gegeben.
MARIE.
Vater gab mir nichts.
KARL.
Du würdest nicht so taumeln.
WEBER.
Jetzt hörst du auf, das Kind wird noch verrückt.
KARL.
Marie, so wach doch auf, ich muß Gewißheit haben, ich will dich etwas fragen.
MARIE.
Das Weib ist ja noch da.
KARL.
Sie tut dir nichts, ich bin dein Bruder Karl. Gab dir der Vater Gift?
MARIE.
Du bist nicht mein Bruder; tu das Weib weg, Karl. Frag den Vater so.
KARL
zu Johanna.
Beschwörst du's?
JOHANNA.
Ja.
MARIE.
Karl, laß mich los!
KARL.
Laß Marie los! – Vater! – Ich sage es nie mehr, nein.
WEBER.
Ich brauch' dir nicht zu folgen.
KARL
ruhig.
Wir wollen schon sehen.
JOHANNA.

Ich will fortgehen. Sie dürfen sich mit Ihrem Vater nicht wegen mir streiten, er will mich doch nicht mehr.

KARL.
Wo willst du hin?
JOHANNA
schweigt.
KARL.

So viele wegen einem grauen Kater. Meine Mutter will sich ersticken und ich mich ..., laß doch das Wasser fließen. Er lacht schon wie der Mond, ich sage dir, du gehst mit mir, und dich Mariechen hol ich auch zu mir.

MARIE.
Karl, du hast einen Rausch.
JOHANNA.

Ich gehe fort, ich halt das nicht so aus.Sie schließt die Türe auf, ruft mit Pathos zurück. Lothar, dir kommts noch.

KARL.
Warum soll ich betrunken sein?
MARIE.
Weil du nicht bei uns bleibst, bei mir und Vater.
KARL.

Marie, du bist in verbrecherischen Händen, ich kann es dir nicht sagen, was der Alte tat, das war seine Liebste.

JOHANNA
löscht im Warten die Lampe aus, es ist Dämmerung.
[47]
MARIE.
Und deine ist sie schon geworden; ich glaubte, ich sei deine.
KARL.
Du bist es auch. Er will sie küssen.
MARIE.
Ich laß mich nicht mehr küssen.
KARL
unheimlich.
Dann warte ich.
WEBER.
Marie, hab' keine Angst, laß sie doch laufen.
KARL.
Johanna; warte, wir gehen gerade nicht.
JOHANNA.

Bleiben Sie, ich kann es nicht. Sie öffnet die Türe und erschrickt vor Frau Weber und Kaufmann Hecht und drückt sich abseits ins Zimmer.


Frau Weber und Hecht, gekleidet wie im zweiten Akt. Es ist bald Tag, düsterer Wintermorgen.
WEBER
freudig erstaunt.
Martha, du kommst zu mir?
MUTTER.
Ein bißchen früh, aber ich wußte, daß es dich freut. Süßlich. Für Mann und Frau gibt es keine Zeit.
WEBER
unter Tränen.
Ach, meine Martha!
KARL
steht an der Türe unter heftigen Bewegungen gegen seine Brust.
WEBER.
Das hätt' ich nicht gedacht, so ein Glück.
MUTTER.
Du wolltest mich; ich wär' auch von allein gekommen. Mein letzter Brief war nur so getan.
WEBER.
Kinder, kommt doch her. Jetzt bleibt's beim Alten. Ich hätt's allein ja gar nicht ausgehalten.
MARIE
kommt heran.
Guten Morgen, Mutter.
MUTTER.
Hast du gut geschlafen? Wo schläfst du denn?
MARIE.
Da in der Kammer.
WEBER.
Es ist ein wenig eng.
MUTTER.

Das Einschränken konnten wir wahrhaftig lernen. Zu was das viele Geräte? Japanisches oder gar chinesisches. Wenn wir nur redlich durchkommen und gute Kinder haben. Karl ist schon eine tüchtige Stütze.

WEBER.
Karl, hörst du's?
MUTTER
leise zu Hecht.
Das muß ein Lump sein, dem der Taubenschlag genügt.
KARL
schweigt, besieht den Boden.
MUTTER.
Er hat scheint's andere Gedanken. Zu Karl. Willst du dich selbständig machen?
KARL
schweigt.
MUTTER.
Seit wann gibst du mir keine Antwort mehr?
KARL.
Weil die Versöhnung doch nicht lange hält, keine fünf Minuten.
[48]
MUTTER.

Dazu haben wir zuviel durchgemacht. Ich habe sogar Herrn Hecht bewogen, mitzugehn, die Männer sollen sich einmal kräftig anblicken. Wir wollen nichts hinübernehmen.

WEBER.

Herr Hecht, es hat mir grimmig weh getan, aber ich hab's erdrückt. Ich war ja schuld, man darf sich nicht vergittern, das mag kein Weib.

HECHT.
Sind Sie froh, daß Sie ein schönes Weib haben, das ist auch ein Stolz.
KARL
für sich.
Obergauner! Laut zu Hecht. Sie sind ja gleich daran, wie mein alter Herr.
HECHT
zuckt zusammen.
MUTTER.
Karl, sagst du das wieder?
KARL
ausweichend.

Er sei nicht besser als mein Alter; noch besonders fühlen zu geben, braucht er nicht. Wütend zu Hecht. Mir sagten Sie das nicht, mein Weib ist mein Weib. Auf den Vater zu. Soll ich es machen wie du und das Gestohlene zurücknehmen?

WEBER.
Die Mutter war mir treu. In aufgeregtem Ton.
KARL
zu Hecht.
Wie er lacht unter der Haut, der Raubfisch. Zum Vater. Du trägst ja seine Schuppen.
MUTTER UND HECHT
wechseln fortwährend Blicke.
HECHT
zu Karl.
Sie sind mir Luft. Sie reden was und nehmen es zurück.
MUTTER
zu Karl.

Man lernt dich immer wieder anders kennen. Du verhöhnst ja alle Welt, jetzt deinen Vater, dann Herrn Hecht, dann mich. Weil die Männer sich versöhnen wollen. Du Staatsanwalt!Apathisch. Du bist ein ungerat'ner Sohn von viel zu guten Eltern.

KARL.

Dann bin ich wenigstens noch echt. Ich sag dir, Mutter, Rührung und Gefühl sind Kinderstubenkunstprodukt, was soll ich mich von euch gerührt betropfen lassen? Ihr habt ja alle keinen Ernst, ihr streicht einfach das Geschehene aus, du Mutter fragst nicht einmal darnach.

MUTTER.

Nach was soll ich denn fragen, drückt dich was? – Die schwarze Metze dort? mit so was kommst du natürlich nicht, du darfst nicht meinen, weil wir arm sind, dürfst du reich sein, echt reich. Das kannst du wo anders besorgen.

WEBER.
Mutter, laß ihn doch, wir kommen nicht dahinter. Das Weib ist schon die ganze Nacht bei uns.
KARL
aufgerichtet.
Bei dir.
MUTTER.
Laß Lothar reden.
[49]
WEBER.

Du Martha, wenn ich zitt're beim Erzählen, sei mir gut, du hast mich ja erlöst; du sorgst, daß sie hinaus kommt.

MUTTER.

Keine Worte, die Wohnung hast du gemietet, wenn's auch wie nichts ist, aber unser Hausrecht haben wir. Was guckst du denn so steif? Karl, schaff das Ding hinaus, wir kriegen ja die Läuse unters Dach.

KARL.
Mich geht sie gar nichts an.
MUTTER.
Marsch!! gehen Sie hinaus, wir halten keine Schlafmädchen.
JOHANNA.
Ich gehe nicht.
MUTTER.
Das Ding wird frech, das schnappt nach mir.
WEBER
hält Marthas Arm.
MUTTER.
Laß mich nur, ich bin Frau und kann kein Neben leiden.
JOHANNA.
Ich würd noch ärger brüllen. So etwas!
MUTTER.
Sie Aas!
JOHANNA.
Ich bin kein Aast. Gedehnt.
KARL.
Aas heißt's, Aas.
MUTTER.

Ja Lothar, was sollen wir denn machen? Sie geht einfach nicht. Sie ergreift Hechts Stock. Den nehm' ich jetzt ...

JOHANNA.
Dann kommen Sie in's Gefängnis; man hat mich herbestellt.
MUTTER
dumpf.
Wer?
JOHANNA.
Mein Geliebter.
MUTTER
kurz.
Wer?
JOHANNA
sinkt flehend nieder.

Lothar, ich wußte es ja nicht, daß du verheiratet bist. Gegen die Mutter. Er hat mich ins Unglück gestürzt, ich setzte meine Hoffnung auf ihn, ich sollte ihm das Haus halten und später seine Frau werden, er hat mich in gemeinster Weise ausgenützt, ich flehe um Gottes Erbarmen, daß man mich nicht einfach hinausstößt, ich komme um, ich habe meine Stellung aufgegeben, ich bin heimatlos geworden, das weiß nur der.Sie deutet auf Karl. Der wollte mich für sich haben, ich durfte aber nicht auf ihn hören, weil ich mich seinem Vater schon lange in die Arme geworfen hatte. Ich wollte seinem Alter aufhelfen, er hat mich angelogen, nun stößt man mich hinaus, wo ist da noch Gewissen? Ich appelliere nicht ans Gericht, sondern an eure Barmherzigkeit, daß ihr mir helfet.

[50]
KARL.
Steh auf, ich halt zu dir.
JOHANNA.

Das kann ich nicht, das verbietet mir das Gewissen, mir ist auch nicht zu helfen. Mit pathetischem Sprung hinaus.

KARL
will ihr nach, hält aber und schlägt hinter ihr die Türe zu, dann steht er still, den Kopf in den Händen.
MUTTER.
Habt ihr das verstanden?
HECHT.
Ja.
WEBER.
Daß man so lügen kann.
MUTTER
langsam, wie eine Tigerin auf den Vater zu, unterdrückt, leis.
Daß man so lügen kann. Wer hat gelogen?
MARIE
schreit entsetzt auf.
Mutter!
KARL
rührt sich nicht.
WEBER
zaghaft.
Ich weiß nicht, wie sie heißt.
MUTTER
langsam.
Wie heißt denn du?
WEBER.
Mutter ...
MUTTER
scharf.
Du?
WEBER.
Mutter, ich muß dir doch erzählen.
MUTTER.
Ich laß mir nichts erzählen, Hurenkerl!
WEBER
möchte sprechen.

Pause.
MUTTER
sich schüttelnd, mit Gischt.
Wir sind geschieden.
WEBER
zaghaft.
Mutter, hör doch ...
MUTTER.
Ich höre ja, du bringst bloß nichts heraus.
MARIE.

Das Weib ist gestern abend gekommen und ist nicht wieder gegangen. Vater hat sie nicht hinausgebracht.

MUTTER.
Natürlich, Goldlöckchen. Hast du's mit angesehen?
MARIE.
Zum Teil.
MUTTER.
Das, woraufs ankommt, hast du nicht gesehen, da warf man dich ins Bett.
KARL.
Und gab ihr Baldrian, dem Kind, meinem Herzensschwesterlein.
MUTTER
mit aufgerissenen Augen.
Was? Wer?
KARL.
Der Weiße.
MARIE.

Ihr braucht nicht so zu tun, es ist mir nichts geschehen. Und was ich nicht hätte sehen sollen, war die Qual vom Vater.

MUTTER.
Das heißt sie »quälen«, ihr wißt doch was.
MARIE.
Du kannst es offen sagen, daß du »Dein Lieben« meinst. Du hast sonst auch davon vor mir geredet.
[51]
KARL
bewundernd vor seiner Schwester.
Marie, Marie, ein einz'ger Mensch.
MUTTER.
Ist die beherzt, die wird noch Rechtsanwalt.
KARL.
Marie, du schiltst mich nicht mehr. Du bist mein einziges, das mich auf die Füße stellt.
MUTTER.
Dich giftet sie auch noch an?
MARIE
zu Karl.
Wenn du dem Vater glaubst.
KARL.

Marie, hab Einsehen, soweit siehst du nicht. Du weißt noch nicht, daß hinter Wangen harte Knochen sitzen, die, um die Lust zu spüren, furchtbar freveln müssen!

WEBER
zu Marie.
Red' nichts, sie sind schlimm.
MUTTER.

Verbiet'st du ihr den Mund? Wir finden den Richtigen trotzdem. Der darf schwören. Um Gottes willen. daß er nur noch sprechen kann; hat niemand aufgepaßt, wohin sie ist?

HECHT.
Ich bin ja Zeuge.
MUTTER.
Doch wäre es besser, man hielt sie auf. Karl oder du.
HECHT.
Zu was denn?!
MUTTER.

Und Karl zeugt auch um der Wahrheit willen. Wir rufen zum Allmächtigen, der soll zwischen uns entscheiden. Mit gravitätischer Bewegung.

WEBER.
Der da droben hört euch ja nicht, ihr seid ja meineidig.
MUTTER.
Habt Ihr gehört?
HECHT
nickt.
WEBER.
Ihr wollt es werden, wenn ihr mich nicht hört.
MUTTER.

Du sprichst ja nicht. Weinerlich emporringend. Ich wäre dankbar, wenn es das Machwerk einer Intrigantin wäre.

KARL
rasch.

Das denkst du? Warum denn aber? Wegen mir doch nicht, im Gegenteil; ich war ihr schlimmer als der Tod.

MUTTER.
Glaub das einstweilen.
KARL.
Mutter, ich habe sie geängstigt.
HECHT.
Wir haben auch Erfahrung in Verstellung. Und der Sinn?
WEBER.
Die Bosheit findet im Verbrechen ihren Sinn.
KARL.
Ich laß mich nicht bereden. Wie kann mein Va – – Hält inne.
WEBER.
Sprech's nur aus, denken tust du's doch.
KARL.

Ich denke es nicht. Abwehrend. Er versteht es, uns herumzubringen. Mit seinen weißen Haaren macht er das.

[52]
MUTTER.

Der Eid darf uns nicht hinaus. Sonst leben wir im Elend, in zerfressender Ungewißheit, in friedlichem Zank. Bei jeder Liebesregung müßt ein kalter Schauer zwischen uns sein.

WEBER.
Du, Mutter, muß das sein? Du warst im Gefängnis anders.
HECHT
zuckt zusammen, für sich.
Er hat kein Recht mehr auf sie, das hab ich nie bedacht.
MUTTER
zu Hecht.
Herr Hecht, was ist?
HECHT.
Nichts.
MUTTER
zu Weber.
Du fürchtest dich davor?
WEBER.
Nein, Mutter, fürchten nicht. Aber ich werd alt und krank, wenn ich nun wieder warten muß.
MUTTER.
Doch muß es sein, Lothar, es wird dann nachher wieder besser.
WEBER.
Sie wollte sich vor Karl retten, glaub es doch, Martha.
KARL.
Darum ist sie zu dir hingesessen und hat auf mich gewartet.
MUTTER.
Karl, du bedeutest das nicht in der Sache, was du dir einbildest.
WEBER.
Karl, du bist schuld, daß die Mutter nicht da bleibt, du hättest tun sollen, was ich dich bat.
KARL.
Wie kann ich gegen mein Erkennen mich versündigen?!
MUTTER.
Kann Lothar so was tun? sagt mir doch.
WEBER.

Ich könnt' es auch nicht, niemals, nie. Bedenke, wie ich war, nur stets um dich besorgt, daß dir nichts fehlen soll, ich war der Finger deines Aug's, das mußte ich büßen, ich hab' betrogen, nur für dich.

MUTTER.
Gewußt hab' ich das nicht.
WEBER.
Ich mein das anders, ich wollte nur zeigen, wie sehr ich dich liebe.
MUTTER.
Dann konntest du's auch auf andere Art. Das ist's, was mich wurmt.
WEBER.

Mutter, Mutter, denke, wie ich sprach. Wie glänzten meine Augen, wie war ich selig, wenn du wieder freundlich wurdest.

MUTTER.
Es schien wahrhaftig so, als ob ich dir das Höchste wäre.
WEBER
kniet vor sie.

Du bist's auch heute noch, ich muß dich haben, das ist mein einziges Verlangen. Du wirst doch [53] wieder mein. Als du ganz mein warst, gabst du mir die Kinder, das geht mich allein an; so wird es wieder.

MUTTER.

Es tut mir wohl, daß du so vor mir liegst und bittest, aber hab' ich Ehre, wenn ich darauf eingeh'? Du mußt warten können.

WEBER.
Wie denkt denn ihr Kinder?
MARIE.
Du dauerst mich, steh' wieder auf, Vater. Er steht auf.
KARL.

Man darf nicht weich sein, gerecht vor allem. Man kann das nicht von mir verlangen, daß ich der Einsicht entgegenhandle. Für mich ist's keine Kleinigkeit. Zur Mutter. Du, Mutter, bist dem Sohn nichts mehr wert, wenn du jetzt zu ihm läufst.


Selma und Lüstling, wie im zweiten Aufzug, schneiden durch ihr Kommen der Mutter die Rede ab.
SELMA
salopp.

Wie alt bist du geworden, Papachen! Ich wollte mich nur zeigen, was aus mir geworden ist, sieh nur, wie schön ich alles habe.

WEBER
wendet sich ab.
MUTTER.
Das find' ich aber unrecht, sie hat es doch verdient.
WEBER.
Auf was für eine Art –.
MUTTER.

Wenn du gleich so denkst, wie muß es in dir aussehen. Das Kind kommt in aller Freude hergehüpft und bringt noch ihren Meister mit, der wird sich sehr mokieren.

WEBER.
Mit zweiundzwanzig ist man kein Kind mehr.
LÜSTLING.

Das ist man so gewohnt von alten Leuten. Mit maulvoller Vespersprache. Sie trauen guten Kleidern wenig gutes zu. Und umgekehrt wär' gut geraten. Einem anständigen Menschen ist es nicht wohl, wenn er nicht jeden Tag einen neuen Anzug anhat. Mit veränderter Stimme. Herr Lüstling ist mein Name und Geschäft.

WEBER.
Ich will nichts davon hören von dem Geschäft.
LÜSTLING.

Verzeihung, ich hab' mich an den Namen so gewöhnt, daß ich es nicht mehr anders kenne; mein Genie hängt damit eng zusammen.

WEBER.
Ein anderes Mal, doch bloß nicht heut.
LÜSTLING.

Als Lehrer Ihrer weitbekannten Tochter sprech' [54] ich. Ach, diese Stimme, jedes Wort, ganz von der Mutter, und alle Sitten und Gebräuche nach mütterlichem Vorbild. Mit dieser Frau, da können Sie's ertragen. Zwinkert der Mutter zu.

HECHT
ist nervös berührt.
LÜSTLING.
Und eine Stub' voll Not, die bringt Ihnen flugs noch einen Sohn.
MUTTER.
Da schämt man sich beinah'.
LÜSTLING.
Ist was zu schämen d'ran?
MUTTER.

Man muß lachen, wo der hereinplatzt. Und es paßt sich gar nicht, Herr Lüstling. – An einen Sohn denkt niemand jetzt.

LÜSTLING.

Niemand? vielleicht doch wer mitunter. Dort steht ja schon ein Sohn, der sich von euch hinwegknurrt. Der wird's beweisen, daß er's ist.

MUTTER.
Er redet ja kein Wort und zum Beweisen braucht man Worte.
LÜSTLING.
Selma schweigt auch, weil sie so abgeblitzt ist.
SELMA.
Ich habe eine Wut.
LÜSTLING.
Warum?
SELMA.
Daß ich hierhergekommen bin und mich noch extra anzog, mehr als Feiertag.
LÜSTLING.

In diesen Kleidern wird man wieder gehen, die Kleider sind mehr für Staub und Straße, zu Hause braucht man wenig oder gar nichts um. Ans Paradies hätt' man sich schnell gewöhnt, in manchen Häusern ist man's auch. Wer älter ist als jung, hat's sicher miterlebt, zum Beispiel die Frau Mutter.

MUTTER
leis zu dem beunruhigten Hecht.

Schatz, er meint uns. Und meinen Mann, den Grambleichen, an Sinnliches zurückerinnern! Wie kann er das? Vorwurfsvoll.

HECHT.
Aus Ihrem Mund kommt's wie halbgebroch'ner Wein.
WEBER.
Martha, du hast ein tief Gefühl.
LÜSTLING.
Ich spreche von der Zukunft, ihr seid kopfhängerische Sentimentalgeiger.
KARL.

Der amüsiert mich trotz der überschwenglichen Frechheit. Was er schwätzt, das versteh ich. Euch versteh ich nicht. Er sagt deutlich, Mutter sei eine ... Ermattet.

LÜSTLING
laut.
Heitere Seele.
KARL.

Mutter, ich krieg dich lieb. Merkst du's Mutter [55] oder merkst du's nicht? Wenn dann dein Mann nicht Recht kriegt, zieh ich wohl zu dir.


Hecht und der Vater in verschiedenartig erregter Bewegung.
MUTTER.
Wenn das mein Bräutigam gestattet.
HECHT
fühlt sich beruhigt.
LÜSTLING.
Der Bräutigam.
WEBER.
Saget das nicht wieder. Er ringt nach Atem.
LÜSTLING.
Der Bräutigam, holla, lacht ihn doch aus, »er lebe hoch«.

Hecht wird von Lüstling und Karl und Selma in die Höhe gehoben.
MUTTER.
Es ist wohl Zeit zum Aufbruch, laßt ihn gehen, er weint ja schier.

Sie verschwinden wirr durcheinandergeballt.
KARL
noch einmal zurücktretend.
Mariechen, du kommst mit, du bleibst bei keinem Hurenkerl.
MARIE
sieht mitleiderregend auf Karl.
Karl, was ist mit dir?
KARL.

Marie, du sollst es wissen, wenn du dich jetzt auch an den Alten klammerst. Ich will sie aufdecken, daß sie sich nicht verbergen können, das wässert meine Zähne, Marie, du Herzensliebste. Marie, die Liebe ist kein Frevel. Dem Alten laß ich seine Beute nicht. Ab.

WEBER
weint.

Von wem ist das gekommen? Das ist die Strafe dafür, daß ich unterschlagen habe. Man will nichts von mir wissen, ich bin wie Pest. Daß ich alles meinem Weibe geopfert habe, ich habe mich für nichts geschätzt. Aber ich kam doch nicht weg von ihr, als es noch Zeit war. So zahlt man's heim, wenn man sich aufgeopfert hat. Schluchzend. Oh, oh, Mariechen, du bist auch von Martha; nein, die Mutter ist nur in schlechte Hände gekommen, wir müssen sie retten.

MARIE.
Du kannst das nicht, Vaterchen. Wir bleiben für uns.
OBERST
sieht zur Türe herein.
MARIE.
Es hat jemand zur Türe hereingeguckt.
WEBER
will die Türe zudrücken.
Es soll kommen, wer Lust hat, nur diese nicht. Schon tritt der Oberst entgegen.

Der Oberst wie im zweiten Aufzuge.
[56]
OBERST.
Guten Morgen, alter Freund. Du weinst?Gibt Weber und Marie die Hand.
MARIE
macht sich endlich mit Tränen Luft.
WEBER.
Frage nicht.
OBERST.

Wer war denn da? Der Gerichtsvollzieher kann hier nichts holen, das ist das größte Glück eines Sterblichen. Da sieht's ja schmutzig aus, wie auf einem Tanzboden, habt ihr denn getanzt?

WEBER
abwehrend.
Martha war da.
OBERST.
Das ist nichts Gutes.
WEBER.
Und alle andern.
OBERST.
Auch Karl?
WEBER.
Der war der Aergste.
OBERST.
Er ist nichts wert.
WEBER.
Er hatte stets Gemüt.
OBERST.
Das ist was Negatives.
WEBER.
Meinst du, ich wisse noch, was sie von mir wollten?
OBERST.
Auslachen. Stimmt's?
WEBER.
Und Martha hat eine Dirne bei mir angetroffen.
OBERST.
Pechvogel.
WEBER.
Sie war ja nicht bei mir, sie ist nur eine Nacht dahingesessen und hat mich geplagt.
OBERST.
Kennst du sie?
WEBER.
Nein.
OBERST.
Dann läßt dich hoffentlich dein Weib in Ruhe, wenn sie dir Bosheit zumutet.
WEBER.
Das ist mein Unglück.
OBERST.
Das Gegenteil.
WEBER.
Ich kann nicht ohne sie leben, ich schreibe noch ein paar Zeilen, daß sie nicht daran glauben soll.
OBERST.
Geb dich nicht so herab und rutsch auf den Knieen vor ihr.
WEBER.
Das tat ich schon.
OBERST.
Da ist sie aufgeschwollen, das war Triumph.
WEBER.
Ich darf das Weib nicht umkommen oder verkommen lassen; das wäre mir das ärgste.
OBERST.
Ihr selber nicht. Warum dann dir? Tu's nicht! du verkommst selbst dabei.
WEBER.
Man darf nicht an sich denken.
[57]
OBERST.

Lothar, du mußt doch allmählich zur Vernunft kommen. Oder hast du den Bekehrungswahnsinn? Freund, bei dir hat alles Schwätzen keinen Wert. Du bringst höchstens noch Marie aus dem Gleise.

MARIE
lachend den Kopf schüttelnd.
WEBER.
Da hab ich keine Angst, nicht wahr, Marie.
OBERST.
Ihr tut ja, als ob ihr Engel wäret.

Vorhang.

4. Akt

[58] Vierter Aufzug.
Personen.

Frau Weber


Lothar Weber


Karl


Selma


Hecht


Lüstling


Bleich


Johanna


Brigitte


Hochzeitsgäste


Musikanten


Gassenvolk


Untersuchungskommissäre


Scene: In der Brauteltern Garten. Links Garteneingang, Rasen und Wege, im Hintergrund
das Haus, an das sich Blumenbeete und Gebüsch lehnen. Rechts auf dem mit Blumen umringten Rondell eine üppige vom Essen zerstörte Hochzeitstafel. Der Garten besitzt lauschige Plätzchen. Links fällt ein halb aufgeblühter wilder Rosenstrauch auf. Am Zaune links Jasmingebüsch. Nach rechts verläuft der Garten unbegrenzt dem Auge. – Heißer Sommerspätnachmittag. An der Tafel sitzen Hecht und Martha, oben vor Kopf, da wo das Rondell wieder zum Weg verläuft. Neben Hecht sitzen Brigitte und Karl, neben der Mutter Selma und Lüstling. Am Tischende sitzt ein Gast, namens Bleich, ein Musenkollege Lüstlings, außerdem sitzen am Tisch die Brauteltern, (gepaartes Fett und Wachs) Freunde und Freundinnen von Frau Weber, (keine Bekannten oder Angehörige von Hecht). Außerdem ein paar alte Onkel und Tanten von ihr. Abseits der Tafel sitzen die Musikanten. Johanna, die Kellnerin, schenkt fleißig ein, da die Gesellschaft noch am Trunk ist. – Beim Aufgehen des Vorhangs spielt die Musik, alles umschlingt und vergreift sich zärtlich, singt selig begossen, pendelt und stößt an. Karl hängt in sich hinein.

Musik spielt einen Walzer. Gesellschaft singt dazu.

Das ist das Lied der Liebe. –

Verlangen und Begierde.


Es wird immer wieder angestimmt, bis es verlallt.

LÜSTLING
laut.
Es lebe die Braut.
ALLE
einstimmend.
Sie lebe hoch, hoch, hoch.
[59]
KARL
wie erwachend.
Auf dein inwendig Wohl, Mutter. Mutter, bleib so schön wie heut!
MUTTER.
Karl, komme her, du schmucker Sohn.
KARL
naht sich.
Wo darf ich dich denn küssen, Mutterbraut?
MUTTER.
Als Knäblein nahmst du meine Brust, die küßt ein Sohn nicht mehr, man hat sie dir verbittert.
KARL.

Nicht mehr, als Alter jedem Jungen. Nicht jedes kennt die Mutter später noch. Ich kenne dich.Er legt den Kopf an seine Mutter.

LÜSTLING.
Musik! Den Tusch.

Musik bläst Tusch.
ALLE GÄSTE
ein erstauntes Beifallsjauchzen.
KARL.

Ich wache auf, ich war wie todversunken, ich kenn die Liebe, die mich liebend so gezeugt, und ihr entflieh ich nicht mehr, weil sie mein Herz erfüllt.

MUTTER
aufmerksam machend.
Dein zweiter Vater ...
KARL.
Ich habe seinen Namen nicht, das ist er nicht, ich bin nur dein, du schöne Erdenmutter.
LÜSTLING
klopft ans Glas.
Seid nicht verbüffelt, es ist kein Mi – mi – raculum.
KARL
wendet sich Selma zu.

Und du, mein Schwesterchen, sei du zu mir, wie damals, als du dich vor mir aufgeknöpft, sei mehr als ungebot'ne, gliederkalte, liebesheiße, nahferne Schwester. Ich liebe dich, ich bin von dir betrunken, ich bin dir auf den Leib, auf deine Seele, festgebunden.

LÜSTLING
brüllt.
Musik!

Musik Tusch.
KARL
begibt sich an seinen Platz, von Brigitte mit herrlichen, leuchtenden Augen empfangen.
LÜSTLING
durchbricht die entstandene Pause.

Was staunet Ihr? Das heißt man Brudersinn. Das ist nicht unerhört, ist öfters dagewesen. Meint ihr, es sei euch nicht jed' Ding gestattet? Ihr seid doch Menschen, übt die Fähigkeiten. Versöhnung ist Versohnung mit zwei Tupfen. Rufe. Ei, so was, könnt ihr all vertragen, wenn Sohn und Mutter sich zusammenschlagen. Rufe.

BRAUTVATER
mit breitgezogenem Grinsen.
Das kommt der Hochzeit gleich.
[60]
LÜSTLING.
Herr Vorredner, Sie sprechen runder als ich. Sie haben eine Storchenperspektive. Rasender Beifall.
HECHT
lächelt immer vor sich hin.
RUF
aus der Gesellschaft.
Weil er ein Frosch ist.Beifall.
LÜSTLING.
Und keiner sein will.
RUFE.
Versohnung wünsch ich. Anstoßen.
MUTTER
spielt die Verschämte an Hecht's Hals.
LÜSTLING.
Bei dieser Unruh konnt ich mich besinnen.
Ich wollt mit meiner Rede lang beginnen.
Ich hab sie mir auf Zettelchen geschrieben,
Da habt ihr sie.

Er wirft Konfekt unter die Gesellschaft.
BRAUTVATER.
Mein Wein!
LÜSTLING.

Dann geht er nicht ins Bein. Dort jenen jungen Mann Es tritt Ruhe ein. aus meinen Kreisen hab ich auf sein Verlangen mitgebracht. Ich frage – durft ich das?

MUTTER.
Natürlich. Nicht wahr, Männel?!
HECHT
nickt.
Du hast eingeladen.
MUTTER.
Warum sitzt er so nahe bei den Füßen? Er mag doch hierher kommen.
BLEICH.
Herr Lüstling, mein bemooster Freund, hat mich genötigt.
MUTTER.
Sie sehen wie leidend aus.
BLEICH.
Es fehlt mir nichts.
MUTTER.
Dort meine Tochter, Selma, wird sich freuen.
BLEICH
geht zu Selma.
MUTTER
hinter ihm her, nach allen Seiten abwinkende Bewegung.
LÜSTLING.

Das war meine sinnliche Erkenntnis: die Jugend braucht auch Umgang ihres Alters, sie lernt rasch aus beim knochenalten Meister. Wenn er wie Meerschaum aussieht, ist er leicht zu röten, er darf nur rauchen, seht mich an! Ich hab es nötig, ins Etui zu gehen, man hört zu rauchen auf, auch mit der Meerschaumpfeife.

MUTTER.
Ich bin die Mutter, will es überlegen.
LÜSTLING
selbstverständlich.
Die Freundschaft halt ich fort, versprech ich Ihnen an dem Hochzeitstage.
SELMA.
Und dieser Junge soll mir Stunden geben?
LÜSTLING.
Er ist weit geniöser, als er aussieht. Er soll die Probe geben. Spiele auf!
BLEICH
nimmt ein Instrument, scheinbar aus der Luft und geigt.
[61]
DIE GESELLSCHAFT
verfällt in einen trunkenen Tanz, um den Tisch.
KARL
sitzt im Wege, er ist wieder für sich.
TAKTMÄSSIGE RUFE
beim Tanz Das ist ja himmlisch .
.. himmlisch ...
KARL
schlägt die Geige auf die Seite, langsam legt sich die Woge.
Dort steht ein Mann.

Lothar Weber, in halb festlichem Anzug, mit einem schönen Blumenstrauß, tritt zur Gartentüre links herein, er bleibt lächelnd in der Entfernung stehen. Eine Menge Neugieriger am Zaun.
LOTHAR.

Ob sie nicht doch gerührt wird von den Blumen, wenn sie zurückdenkt. Ich will sie auch im Brautstaat wieder sehen.

RUFE.
Wer ist das? Wer?
MUTTER
erstaunt.
Oh, der alte Lotharkarl. Laßt mich doch zu ihm hin.
KARL.
Er ist ein Friedensstörer, Mutter, laß mich ihn abfertigen.
BRAUTMUTTER.
Er mag im Grase Kuchen essen.
MUTTER.
Das sind doch meine Sachen, er kommt doch wegen mir.
HECHT
erregt.
Das darf er nicht mehr.
MUTTER.
Es wird euch amüsieren.
LOTHAR
naht ein paar Schritte.
RUFE.
Stehen bleiben.
MUTTER
geht auf Lothar zu, aufgeblasener als ein Pfau.
LOTHAR
dem Weinen nahe.
Das ist sie, meine Martha.
MUTTER
wie mit einem Kinde.
Was willst du denn mit deinem Sträußchen? Willst du tratulieren?
LOTHAR.
Martha ...
MUTTER.
Ich bin nicht deine Martha, sei bescheiden.
LOTHAR.
Nimm diese Blumen, es soll das Letzte sein, ich komme mit nichts mehr, gar nichts mehr.
MUTTER.
Was soll ich denn damit?
LOTHAR.
Nehmen. Vielleicht bewahrst du sie dir auf.
MUTTER.
Nur wenn du »Sie« sagst.
LOTHAR.
Ach, nehmen Sie.
MUTTER.
Und wenn du mir eine Kußhand gibst, will ich eine davon aufbewahren.
LOTHAR
tut's.
MUTTER
nimmt den Strauß und steckt eine Blume in den Kranz.
[62]
HECHT
stampft auf den Boden.
Komme her. Gelächter bei der Gesellschaft.
MUTTER
fast laut.
Du wirst warten können.
KARL.
Es gibt noch Händel wegen ihm, ich sage dir »Hinaus«!
LOTHAR
schimpfend wie der Prophet Elias.
Du wirst's noch bereuen.
JOHANNA
nähert sich ihm, wie fürsorgend.
Geh doch, geh doch.
PÖBEL
draußen.
Lotharkarl, deine Liebste.
LOTHAR
schimpft im Weggehen gegen den Pöbel.

Sie ist nicht meine Liebste. Er entfernt sich unter dem Geschrei des ihn umhüllenden Pöbels und dem Hohngelächter der Gesellschaft.

MUTTER
nimmt die Blume aus dem Kranz und zertritt sie.
Pfui!
LOTHAR
zurückrufend.
Sie haben mir versprochen; aufbewahren.

Die letzten Worte verschwimmen mit dem fernen Getöse des Pöbels.
MUTTER.
Man verspricht viel.
HECHT.
Zu was dann den ganzen Auftritt?
MUTTER.
Er mußte sehen, daß er mein Hanswurst ist.
BRIGITTE.
Was war das für ein Mann?
MUTTER.
Mein Erster.
BRIGITTE
erstaunt.
Der lebt noch? Zu Karl. War das Ihr Vater? Und heißt Weber wie Sie?
KARL
unterhält sich gedämpft mit Brigitte.
JOHANNA
beschäftigt sich augenfällig in der Nähe.
LÜSTLING.
Musik! Wir schlafen ein, das wird ja ganz gedrückt.

Gezwungene Gehobenheit. Einige stoßen an und trinken sich zu, die Musik kommt über das Stimmen nicht hinaus, die Gesellschaft ist an dem Punkt angelangt, wo die Mißstimmung und Langeweile ab und zu von einigen Murmlern unterbrochen wird.
FRAU HECHT UND HECHT
unterhalten sich um so eifriger.
HECHT.
Du hast erst gestern abend gesagt, du wollest ihn nicht mehr plagen, er verdien's eigentlich nicht.
MUTTER.

Und ich soll zu ihm gehen, wenn ich Heimweh habe, hast du selbst darauf erwidert, weil du selbst auf den eifersüchtig bist.

HECHT.

Wie du an unserm Hochzeitstag so reden magst, [63] von eifersüchtig, das gibt's doch nun nicht mehr, wir sind ja Mann und Frau.

MUTTER.
Darum hast du mich nur geheiratet, weil du glaubst, mich zu fesseln.
HECHT.
Das brauche ich hoffentlich nicht, wir sind ja gut zueinander.
MUTTER.

Darum bist du gut, du fühlst dich in fortwährendem Verteidigungszustand. Gegen wen verteidigst du mich denn? Nenn' mir doch den Namen.

HECHT.
Namen? um Namen kann es sich doch nicht handeln?!
MUTTER.

Um was denn? Ich kenne dich. Wenn man da hineinsehen könnte Macht eine entsprechende Bewegung. du bist mein dummes Männel. Immer soll man etwas verheimlichen. Sogar auf den halben Idioten bist du eifersüchtig.

HECHT.
Es ist ja gar nicht wahr.
MUTTER.
Auf wen dann sonst?
HECHT
schweigt.
Es ist was anderes.
MUTTER.
Schon wieder etwas anderes?
HECHT.
Du hast wegen mir die Ehe gebrochen, das kannst du wieder tun.
MUTTER.
Da heiratest du mich?
HECHT.
Ach höre auf, ich will nicht mehr darüber nachdenken.
MUTTER.
So ein unerquickliches Gezerfe. Habe dein Weib gern, dann braucht es keinen andern.
HECHT.
Und dann ...
MUTTER.
Noch mehr drückt dich?
HECHT.
Die Johanna kommt alle Augenblicke zu dir und immer, wenn ich weg bin.
MUTTER.
Da red ich nichts, das ist mir wirklich zu gemein.
HECHT.
Also doch.
MUTTER
lauter.

Das soll man nicht vermuten, auf was du anspielst. Warum zeigt mich denn nie eine an? – Ruft. Johanna.

HECHT.
Sei doch ruhig.
MUTTER.

Dann sage so etwas nicht. Ich soll etwas mit der Johanna haben? Ich könnte auf Johanna eifersüchtig sein, du warst doch auch bei ihr.

HECHT.

Martha! Wie kannst du das denken? Du weißt [64] doch, was ich bei ihr tat. Wir konnten damit nur zusammen kommen.

MUTTER.
A, wer weiß?
HECHT.
Du beleidigst mich.
MUTTER.
Nun sieh bloß, er ist zartfühlend und ich als Weib soll mir alles gefallen lassen.
HECHT.
Ich habe gar nicht deine Freundschaft gemeint.
MUTTER.
Natürlich.
HECHT
wegwerfend.
Ach.
MUTTER.
Ich glaube fast, wir hätten uns lieber nicht trauen lassen sollen.
HECHT.
Martha! Hast du vergessen, daß es unser ehrlichster Wunsch war?
MUTTER.
Nein.
HECHT.

Wenn ich vorhin angefangen habe, so war's bloß aus Mitleid mit dem Alten, er stand so da, als ob ihm in dir die Sonne entgegenstrahlen würde, wie wenn er dich noch einmal ganz in sich aufnehmen wollte, damit er den Eindruck nicht verwische.

MUTTER.

Du weinst ja beinah. Ich kann nichts dafür, warum willst du denn mein Mitleid mit Gewalt erregen? Ich bin froh, wenn ich Ruhe habe. Ich kann's unmöglich abändern, was geschehen ist. Reut dich denn etwas?

HECHT.
Das mit der Kellnerin.
MUTTER.
Warum gerade das, wo wir gar nicht in Person beteiligt sind?
HECHT.
Ich glaube, sie war meineidig.
MUTTER.
Nicht so laut, das wäre ja schrecklich.
HECHT.

Nicht, als ob wir wieder von einander müßten, aber es wäre eine Sünde gewesen, den alten Mann so zum Schändling zu machen.

MUTTER.

Das sage ich auch, es war doch für uns auch nicht angenehm, so mit in der Oeffentlichkeit herumgezogen zu werden.

HECHT.
Wenn wir nur nicht hereinfallen durch die Meineidige, ihr fällt alles ein.
MUTTER.
Wir sind ja zwei, und einer Meineidigen glaubt man nichts.
HECHT.
Wenn sie sagt, wir haben sie bestochen.
MUTTER.

Haben wir das? Es war doch in Form einer [65] Wette, die zustande kam, weil du den alten Weber bei ihr über die Berge lobtest.

HECHT.
Es ist ja wahr. Wenn aber der Oberst mit dazu kommt und manches aufdeckt, zwischen uns.
MUTTER.

Dem lege ich persönliche Gehässigkeit in die Schuhe. – Der hatte eine stete Wut, weil er mich nicht bekam.

HECHT.
Ist das nachzuweisen?
MUTTER.
Wenn ich das beschwöre, daß er mich vor Jahren angegriffen hat, tätlich, mich aber nicht zwang.
HECHT.
Das ist mir ganz neu. – Kommt immer mehr heraus?
MUTTER.
Nun ist es alles.
HECHT
guckt starr zu Boden.
MUTTER
weint.
Das wollte ich aufs Sterbebette aufheben.
HECHT.
Nun weiß ich, daß du stets gelogen hast.
MUTTER.
Zank nicht so heftig, die Gäste merken es.
HECHT.

Sie sollen sich empören. Er schlägt ans Glas, alles ist aufmerksam, er erhebt sich, Frau Hecht will ihn niederhalten. Hier, meine Frau, hat mich stets angelogen.


Allgemeines Gelächter.
HECHT.
Kann es denn niemand hören, nicht mein Bruder?
RUFE.
Er wollte ja nicht kommen.
HECHT.
Dann höret Ihr's! Er zieht einen Revolver aus der Tasche und schießt sich nieder.

Wilde Flucht aller Gäste, auch der Frau, nur Karl bleibt.
MUTTER.
Er ist verrückt geworden.

Die Sonne blutet, man sieht den feurigen Horizont durch die Bäume blitzen.
LÜSTLING
treibt alle ins Haus.
KARL
allein.

Weil sie betrunken sind, da rennen sie davon. Hecht, bist du hin? Wahrhaftig war's ihm ernst. Was hat er bloß gemacht? Daß du dich ja aus Qual zu tot geschossen hast, weil dich dein Weib so schmählich hintergeht. Und die ist meine Mutter. Nun läßt sie dich allein im Drecke liegen. Auch dich hat schließlich mein Vater auf dem Gewissen, nun wird er voll ein Dackel werden. Nur seine Weiber kriegt er nimmer klein, die Schönheit ihrer Leiber macht ihnen Bahn. Du armer Hecht, die Mutter mußt' Versorgung haben, du warst gut dazu. Auf ihren Abweg kam sie durch den Vater, darüber streit' ich nicht. [66] Die Missetat frißt dem Alten den Verstand, und Marie, dieses einzig Menschgeschöpf, hält bei ihm aus, weil er sie bannt mit seinen grauen Haaren. Die glänzige Haut, die durch die dünnen Haare scheint, möcht' ich am liebsten über seine Ohren ziehen.


Lüstling kommt aus dem Haus zurück. Es wird dunkler.
LÜSTLING.

Ich habe das Rasen in die Gesellschaft gebracht, darum rannt ich mit, jetzt kehre ich zurück und will den Schaden ansehen. Gut getroffen. Wieder einmal einer. Ich führe eine Liste mit Rubriken, man heißt das Statistik, die mache ich. Es ist verdammt, ein schönes Weib zu haben, ich kenne sie und muß den Geist von Ihrer Mutter ehrlich schätzen. Wenn diese Frau nicht das Beste wird, so staune man nicht.

KARL.
Ich wünsche, daß sie sehr geschmeidig wird. Doch brauch' ich keinen Vortrag, weiß so viel, wie Sie.
LÜSTLING.
Weit mehr! Das glauben alle jungen Leute.
KARL.
Ich bin nicht jung. Wir müssen ihn begraben.
LÜSTLING.
Ohne Polizei? Wie unerhört.
KARL.
Was braucht es außer ihm noch and're Leichen?
LÜSTLING.
Der Gedanke ist verbreitet, aber die Gerechtigkeit läßt sich kein Festessen nehmen.
KARL.
Ich spielte herzlich gern der Obrigkeit den Streich.
LÜSTLING.
Wir könnten Freunde werden.
KARL.
Ist nicht nötig.
LÜSTLING.
Und warum nicht?
KARL.
Wenn ich allein bin, verraten mich keine Freunde.
LÜSTLING.

Hab' ich von diesem Mord etwas verraten? Im Gegenteil, ich schloß das Haus ab, damit die Stadt kein Tönchen jetzt erfährt, damit sie innen ruhig tanzen können.

KARL.
Tanzen? Das darf nicht sein, das gibt ein schlimmes Ende.
LÜSTLING.
Dann fällt nichts auf.
KARL.
Und doch haben Sie im Sinn, Verräter zu werden, es ist das Ihr Charakter.
LÜSTLING.
Niemals, schwör' ich Ihnen, da müßt ich schon einmal gelogen haben.
KARL.
Sie haben gehöhnt, darnach geh' ich. Und Ihnen war es gar nicht recht, mich hier zu treffen.
LÜSTLING.
Gesucht hab' ich Sie, direkt gesucht, das schwör' ich.
KARL.
Sie haben's meiner Mutter zugeschoben.
[67]
LÜSTLING.

Einbildung. Ich hab' es doch gesehen, daß ein Oberst in Uniform ihm gegenüberstand und ihm eins hineinknallte. Das kam und ging wie ein Gespenst.

KARL.

Ich glaube, Sie sind das Gespenst, das die Gespenster sieht. Wo ist der Schuß? Zeigt den Revolver. Im ganzen hat er fünf und vier sind da. Und wieviel Schüsse sind gefallen?

LÜSTLING.
Zwei.
KARL.
Die haben Sie gehört. Ich hörte einen. Doch lohnt es sich, Zeugen aufzurufen.
LÜSTLING.
Macht keinen Pausch damit, ich habe Unohren.
KARL.
Was für Ohren?
LÜSTLING
würdig.

Ich höre was vom Un schallt; Hecht ging's gerade so. Er hat den Oberst vor sich stehen gesehen und konnte nicht entwischen. Fieberschweiß.

KARL.
Woher willst du das wissen, Tastenkatze?
LÜSTLING.
Ich hab ihn ja gesehen, siehst du mich?
KARL.
Das wär noch schöner, »unsichtbarer Zentner«.
LÜSTLING.
So sah ich ihn. Sieh mich doch an. Verschwindet.
KARL
suchend.
Teurer Freund!
LÜSTLINGS STIMME.
Karl.
KARL
wendet den Kopf.
Ja. – Marie, wo bist du?
LÜSTLINGS STIMME.
Bei meinem Vater.
KARL
wischt seine Stirne ab.

Oder Hecht, hast du mir gerufen? Nein, er schweigt, er sägt mit seinem Blut den Weg entzwei. Ich muß mich fassen, ich bin sein Mörder nicht. Es raschelt hinter mir im Rosenstrauch. »Ihr Rosen, gehet auf, ich muß euch blühen sehen.«


Rosenstrauch voll aufgeblüht in magischem Licht.
KARL.

Es sind wie lauter Wunder, was ich vernehme, ich habe noch kein Weib so tief betrachtet, so will ich Frauenleiber vor mir liegen sehen, wie diese Rosen, die sich schmiegen an die volle Luft. Und wo ich da beginne, wird der reine Wuchs sich biegen, in diese Formen meiner schwelgenden Begierde.


Brigitte tritt auf, nackt vor Karls Augen, von den Dornen des Strauchs berührt.
KARL.

Was regt sich noch dahinter? Es windet sich ein Hals durch und zwei Achseln, und edle Arme, die aus verborgenem Born entlang den Hüften gleiten und Linien mir bezeichnen, lang zur Erde. Wie gibt dem Schritte jede Rose nach. Die Dornen gleiten an den weichen Gliedern ab und saugen doch die Spitzen voll mit süßem Blut. Nun stehst du vor mir, Weib, [68] die Schlange kältet deinen Arm und lebt durch deine Wärme, der Stein in ihrem Kopf, er funkelt durch dein Leben; ich kann es nur mit meinen Händen sagen, wie schön du bist. Komm mir doch nah genug. Du hast dem Rosenstrauch sein Licht genommen, weil du ihn überstrahlst mit deinem Fleisch.

BRIGITTE.

Karl, ich komme zu dir, du bist so allein. Was hast du nur, daß du dich einsam machst? Das Tanzen mag ich auch nicht. Die Stunde, wo wir uns treffen wollten, ist so langsam gekommen; Karl, hinter diesem Strauch, – jetzt sind wir da.

KARL.

Brigitte, küsse mich, ich will die Liebe, die du zu mir hast, so gerne haben. Das sind die schönen Arme und dein schlanker Hals, ich will die Achseln und den Nacken küssen, du hast mir erst gezeigt, wie schön das alles ist.

BRIGITTE.
Karl, ich hatte keinen andern Wunsch, als dir mich ganz zu geben.
KARL.

Wie sonderbar, daß du dich selber gibst, als Weib dich anbietest, wo du die Schönste bist von allen. Wie kommt das? Will mich die mindere Schönheit durch Verdecken zum Aufreißen zwingen?

BRIGITTE.

Karl, deine Leidenschaft verirrt sich überall, nimm mich, ich bin wie du. Wenn du es wüßtest, wie mein Heimweh drückt, wenn ich dich leiden seh. Karl, ich möchte dich zu meinem Liebsten. Ich kann noch schöner sein, als ich jetzt bin, wenn ich erst dein bin.

KARL.
Brigitte, du hast mich schon lange.
BRIGITTE.
Ich wein vor Glück, Karl.
KARL.

Ich bin ein Schuft, ich habe dich angelogen. Ich habe meinen Ring an eine andere schon vergeben. Eh' ich ihr offen mein Versprechen zurückgab, darf ich dich nicht berühren.

BRIGITTE.
Löse das Versprechen jetzt, so lange wir hier weilen, lös es mit mir.
KARL.
Wär das ein Recht?
BRIGITTE.

Du hast sonst nicht das Herz, den Ring zurückzugeben. Wenn du von meiner Liebe ganz erfüllt bist, ist dir's wie beim Spiel.

KARL.
Was soll ich tun? Die Mutter hat uns verlobt.
BRIGITTE.

Wenn du das fühlst, was wir beide wünschen, so bleibst du bei mir und gehst nicht mehr davon. Du stürmst nicht mehr mit Wut entgegen allem. Es wird dir klar, was du zu tun hast. Warum willst du nicht mich? Nur das gewöhnliche, [69] niedere Frauenzimmer? Ich kann dich nicht begreifen, daß du nicht zu mir kommst, wo ich dir alles offen sage und mich dir zeige, vor deinen großen Augen. – Ach komm doch nieder. Sie zieht Karl mit auf den Boden.

KARL.
Ich darf das nicht, du sprichst nur süß zu mir.
BRIGITTE.

Du bist ein Jüngling und darfst alles. Kann man nicht jung sein dürfen, wenn man's ist? Die Lüge machen bittere Leute, die ihre Tugend reut.

KARL.
Du trägst die Schlange als Symbol.
BRIGITTE.

Weil ich den schönen Arm selbst innig liebe und ich mich freue, wie sich die so glatt hinunterschlängelt. Wenn du's nicht willst, daß ich den Schmuck trage, so werf ich ihn weg. Bewegung dazu.

KARL
abwehrend.
Nicht, laß sein, ich hab ihn dir gegeben.
BRIGITTE.
Dann hast du mich für schlimm gehalten. Das bin ich nicht.
KARL
steht auf, Brigitte richtet sich mit hoch.

Ich will kein Narr sein und mich überreden lassen. An einer, die sich bietet, kann kein Anstand sein. Und magst du noch so schön sein.

BRIGITTE.
Soll ich dir sagen, was deine Braut für eine ist?
KARL.
Ein anderes mal, du dichtest was zusammen.
BRIGITTE.
Soll ich wirklich gehen?
KARL.
Ja.
BRIGITTE.
Ich laß dich nicht gern mit dem Ding allein.
KARL.
Johanna kommt; geh doch.
BRIGITTE.

Karl, ich bin traurig, die betrügt dich. Sag ihr, du liebest mich, dann gib ihr deinen Ring und zieh den ihren ab. Geht.

KARL.
Daran denken will ich, geh. Für sich. So feindselig kann sie also doch sein, mein Brigittchen.

Johanna in der weißen Kellnerinschürze.
JOHANNA.
Wie, du bist da?
KARL.
Du kommst doch wegen mir.
JOHANNA.
Ich laufe dir nicht nach.
KARL.
Warum kommst du dann?
JOHANNA.
Ich wollte mich erholen, ich glühe ja.
KARL.
Hast du so getanzt? Dann ist das hier der rechte Ort, sich zu erholen, wo ein Toter mufft.
JOHANNA.

Liegt er noch da? Das wundert mich. Herr [70] Lüstling sagte, er sei fortgeschafft. Dir gefällt es übrigens auch bei ihm, was hat denn dich hierhergezogen?

KARL.
Eine Dame.
JOHANNA.

Du kannst mich nicht mit etwas ärgern. Ich laß dir deine Dame! mach's eben wie du. Es war sehr schön da drinnen.

KARL.

Johanna, reiz mich nicht. Wenn ich dir ja das glaubte, so wär's dein letztes Wort gewesen. Du redest so lang, bis du bei ihm liegst im nassen Grase. Sieh, wie sich's liegt.

JOHANNA.
Wer stand denn da bei dir?
KARL.
Eine Dame.
JOHANNA.
Darf ich dich so bedrohen? Wie du mich wegen Einbildungen?
KARL.
Ich sagte, wenn's so wäre.
JOHANNA.
Bist du denn eigentlich mein Schatz?
KARL.
Das weißt du.
JOHANNA.
Mein Schatz steht nicht bei Damen, sondern ist bei mir.
KARL.
Da du mich nie anhörst, so muß ich meine Sonderwege gehen.
JOHANNA.
Glaubst du, das hätt' ich nicht gewußt?
KARL.
Und du läßt mich ganz ruhig laufen, so sehr liebst du mich und so viel Anstand besitzest du?
JOHANNA.

Ich soll den Anstand opfern, das ist dein Verlangen. Verlangt das auch ein Bräutigam von seiner Braut? Das spart man auf die Brautnacht auf, und da ist es noch nicht einmal sehr anständig, sich gleich zu besuchen, wenn's Haus von Gästen wimmelt.

KARL.

Wenn du bisher ganz keusch gewesen wärest. Aufgeregt. Du weißt, wie ich dazu kam. Nun wir zusammengehen, bist du voll Scham. Mit Hohn. Es scheint mir aus Berechnung, du glaubst, ich habe mich verlobt, um dich zu zwingen. Oder verschließt du dich, weil du glaubst, mich zwingen zu können, dich zu heiraten? Von Liebe kann ich jedenfalls gar nichts in dir entdecken.

JOHANNA.
Die Liebe muß man suchen.
KARL.

Das hab' ich doch schon tausendmal. Wie hab' ich dich bestürmt und an dir herumgefleht, denk' an die langen [71] Abende. Doch nie, gar nie hast du mich aufgenommen. Mit Küssen wurd' ich überschüttet, aber Liebe war das nicht.

JOHANNA.
Weil du mich nur zeitweise versuchst, darum halte ich mich zurück.
KARL.

Wenn ich das dauernd machte, mich so grausam innerlich zerwühlen, um dich dahin zu bringen, dann wäre ich schon vor Wochen zu den Toten.

JOHANNA.
Dahin bringen, das ist es, was du willst. Die Liebe gibt sich das von selbst.
KARL.
Warum dann zögerst du? Wir sind nun hier allein.
JOHANNA.

Ja, liebst du mich etwa? Ich glaub' es nicht und schwörst du tausendmal, das fühlt ein Weib am Herzen, nicht am Schwur.

KARL.
Warum dann fühlst du's nicht? Ich habe dir vergeben, war das nicht Liebe?
JOHANNA.
Wenn du mir's täglich vorhältst?
KARL.
Du müßtest durch mich besser werden, hoffte ich.
JOHANNA.
Ich will ja gar nicht besser werden.
KARL.
Wir fahren Karussell und kommen nie zusammen.
JOHANNA.
Wenn du zuviel verlangst, dann wird es so.
KARL.
Johanna, hier hast du deinen Ring!
JOHANNA
nimmt ihn.
KARL.
Ich will den deinen.
JOHANNA.
Den kriegst du nicht.
KARL.
Warum? Reut dich's?
JOHANNA.
Dann hätt' ich deinen nicht genommen.
KARL.
Warum gibst du mir dann den deinen nicht?
JOHANNA.
Ich sehe in die Zukunft.
KARL.
Du meinst, ich hol' ihn wieder? Nie. Oder willst du zwei Goldringe haben?
JOHANNA.

Warum machst du das eigentlich? Das wußtest du vorher, daß wir nicht zueinander passen. Du bist aus besseren Kreisen, und ich bin Kellnerin, das ist es ja bloß, was dich sticht.

KARL.
Nun ja, schwätz, was du Lust hast, mich liebt eine andere.
JOHANNA.
Mich haben auch schon andere gewollt als du. Schlechtgewachsener.
KARL.
Ich habe wohlgebaute Glieder, und die mich liebt, ist schöner auch als du.
[72]
JOHANNA.
Du hast bloß eine Wut, daß ich dich nicht herlasse.
KARL.
Wie bäurisch du dich ausdrückst, wie wenn wir Tiere wären.
JOHANNA.
Jetzt bin ich nicht mehr fein genug, mach daß du fortkommst. Ich schicke dir den Ring zurück.
KARL.
Dann gib ihn gleich.
JOHANNA.

Karl, das hätt ich nie gedacht, daß du nur beabsichtigt hast, ein paar Wochen mit mir zu spielen. Ich hatte meine ganze Hoffnung auf dich gesetzt, ich ließ mich durch dich vom Wasser zurückhalten.

KARL.
Das war sehr töricht von mir. Und nachher kam mir meine Retterrolle lächerlich vor.
JOHANNA.

Ich hab es wegen dir aufgegeben, deinen Vater um Mitleid anzuflehen; das hast du nur getan, um deinem Vater Unannehmlichkeiten zu ersparen.

KARL.
Johanna, das ist falsch. – Weine nicht. Wenn du nur einmal zeigen wolltest, daß du mich liebst.
JOHANNA
mit irrer Gebärde.

Dann zwingst du mich, das Heiligste, was ich mir vornahm, zu brechen, »ganz keusch zu leben, bis du mit Karl dich trauen läßt«. Ich wollt es dir nie so laut sagen, daß du mir wie mein Heiland bist.

KARL.

Wenn du mich so betrachtest, will ich es nicht haben. Ich will ein Weib, das feurig lieben kann, so wie Brigitte, meine neue Braut.

JOHANNA.

Daß die dir mehr gefällt als ich, das nehm ich dir nicht übel, das darf ich nicht, ich liebe sie zu sehr. Ich kann dir sogar meinen Glückwunsch nicht versagen. Karl, so bevorzugt bin ich nicht, das weiß ich selber.

KARL.
Du liebst sie? Und wenn sie dich haßt?
JOHANNA.
Dann weiß ich nicht warum. Es tut mir weh, das zu erfahren.
KARL.
Johanna, du bist großherzig, vergib mir. – Ich wollte dich nur prüfen.
JOHANNA.

Wie lange prüfst du mich? Ich hab das satt, das macht mich krank. Ich kann dir diesmal nicht vergeben. Hier hast du deinen Ring mit deinem Namen.

KARL.
Ich nehm ihn nicht. Noch einmal, nur noch einmal behalte ihn.
[73]
JOHANNA.
Wenn du nie mehr das Verlangen an mich stellst.
KARL.
Ich tu das nicht mehr.
JOHANNA.
Das hast du oft gesagt. Gibst du dein Ehrenwort?
KARL.
Johanna, wenn du's willst.
JOHANNA.

Komm, einen Kuß. Sie küßt Karl. So. Wirst du's auch halten?! – – Jetzt darf ich aber nicht vergessen, dir zu sagen, warum ich herkam.

KARL.
Ich glaubte, das zu wissen.
JOHANNA.
Kennst du das Gerücht nicht, das umgeht?
KARL.
Welches?
JOHANNA.
Von ...
KARL.
Von wem?
JOHANNA.
Ich sage es nicht.
KARL.
Dann liebst du mich auch nicht, dann ist's doch aus mit uns.
JOHANNA.
Das ist besser, als wenn du Dummheiten machst.
KARL.
Ich, Dummheiten?
JOHANNA.
Deine Mutter hat es mir gesagt, ich soll dir doch einen Wink geben, du könnest etwas dagegen machen.
KARL.
Warum sagst du's dann nicht?
JOHANNA.
Es könnten mehr als Dummheiten werden.
KARL.
Wenn's mich betrifft.
JOHANNA.

Dich nicht direkt, dann kann ich's also sagen. – Dein Vater habe Marie seit ein paar Tagen eingesperrt, vermutlich damit sie nicht plaudern kann.

KARL.
Ist das Gerücht? – Nein, Wahrheit ist's. Ich trau's ihm zu. Wieviel Uhr ist es?
JOHANNA.
Ungefähr elf Uhr.
KARL.
Wenn's zwölf Uhr schlägt, dann denke an mich. Sag's auch der Mutter. Ich zeig's dem grauen Kopf.
JOHANNA.
So eilt das nicht.
KARL.

Soll ich noch eine Nacht verstreichen lassen? – Marie, die ich nicht wagte ... die ich wollte, liebte ...

JOHANNA.
Du wirst doch nicht etwa deinem Vater auf den Kopf schlagen?
KARL.
Ich kann auch das. Es ist noch besser, du hast recht. Ab durch die Gartentüre.
[74]
JOHANNA.

Ich habe die Mitteilung zur rechten Zeit gemacht, ich will die Taschen meines Herrn ein wenig plündern. Sie macht sich an Werk und läßt von Zeit zu Zeit einen Gegenstand aus Hechts Taschen hinter ihrem Korsett verschwinden. – Vergessen hab' ich hoffentlich nichts, ich kenne Männeranzüge im großen ganzen. Zusammenräumen, das sieht fleißig aus und gehört zu meiner Pflicht. Sie räumt die Tafel auf. – Ich werde wohl einen Trauring hergeben, der vierundzwanzig Mark gekostet haben soll. Beide hab' ich jetzt, sind achtundvierzig Mark, die hab' ich und er hat nicht: den Mann hat's. Das Weberchen ist mir so pipe, so pipe. – Zu Hecht. Ist's nicht? Du zappelst wohl?Schüttelt den Kopf. Es hat sich zu kalt in seine Taschen gegriffen. – Nur die Brigitte braucht ihn nicht, diese fromme Hure. Na, die vergift' ich ein mal noch, sonst verrät sie mich, die schöne Hexe. Mit diesem Fang wäre sie endgültig herausgewesen, nachdem sie zweimal körnig hereingefallen ist. Drum mach' ich das um Geld und nicht um Liebe. Was soll denn das Geheule von der Güte? Meine Güte! Am Ende werd' ich's los, natürlich wäre es nett, wenn es ein Schnippchen vorher gäbe, er hat so ein Depot auf der Rentenanstalt, das müßt' er einmal holen gehen, sonst fällt es noch der lieben Mutter zu. Da kommt sie schon. Wer ist die Bessere, ich oder meine Freundin? Ich habe zuerst nach dem armen Toten gesehen.


Frau Hecht erscheint.
FRAU HECHT.

Hast du nach Hecht gesehen? Ist er schon steif? Damit er nicht mehr aufspringt gegen mich. Wenn er erwachte, würd' er vielleicht der Meinung sein, daß er hätte »mich« erschießen sollen. Aber so hat es eben ihn gebissen. Das sollte mich vielleicht auch noch bekehren, das ist die große Eitelkeit bei dieser Selbstmörderei.

JOHANNA.

Untersucht habe ich ihn noch nicht. So wird man sich indeß nicht stellen, daß man heraus ins feuchte Gras liegt und frierend zuhört, wie es walzt und flötet.

FRAU HECHT.
Was hättest du so lange dann getan? Du hast ihm doch etwas genommen?
JOHANNA.
Ich, nehmen? Was ich nicht verdiente? Was denkst du von mir, Lona?
FRAU HECHT.
Zum erstenmal mein neuer Name, den wir morgen an die Türe nageln wollen.
JOHANNA.

Es wäre nicht nötig, den Namen zu ändern, [75] »Martha«. Man erwartet etwas Eigenartiges bei dem soliden Namen.

FRAU HECHT.
Das freut mich riesig, daß du d'ran erinnerst. – Aber wir nehmen doch alle, sei doch offen.
JOHANNA
zitiert falsch.
Nulla regina sine exceptione.
FRAU HECHT.
Hast du dich nicht versprochen?
JOHANNA.
Nein, so hab' ich's gelernt, ich hätte sogar Schauspielerin werden sollen.
FRAU HECHT.
Da gehört nicht bloß Verstellung dazu, sondern auch Ekstase.
JOHANNA.
In die gerat ich gleich.
FRAU HECHT.
Dann will ich lieber vorher fragen, hast du die Tasche auf dem Hintern nicht vergessen?
JOHANNA.
Hat er dort was Besonderes? Dann wollen wir nachsehen.
FRAU HECHT.
Ich will das selbst machen, du könntest unterwegs davon verlieren.
JOHANNA
für sich.
Wie konnt ich die vergessen, ich Ochse!
FRAU HECHT.
Aber kalt ist's da drin.
JOHANNA.
Ja? Da könnt ich nicht hineinlangen.
FRAU HECHT.
Es darf nichts fallen, mir ist es, als würden wir behorcht.
JOHANNA.
Es ist auch seltsam, wie wenn er schon ginge. Er macht sich sicher fertig auf zwölf Uhr.
FRAU HECHT.
Du mußt mir auch noch Angst machen, wenn ich gerade hineingreife.
JOHANNA.
Ich hätte keine Angst, aber Karl ist hinauf zum Alten.
FRAU HECHT
ganz Ohr.
Ist er?! Wann ist er zu ihm hinauf?
JOHANNA.
Um elf Uhr. Jaso, er sagte überhaupt, ich soll dir sagen, du sollst um zwölf Uhr an ihn denken.
FRAU HECHT
schweigt.
JOHANNA.
Es ist nicht anders.
FRAU HECHT.
Wie weit ist's noch auf zwölf?
JOHANNA.
Es wird gleich schlagen.
FRAU HECHT.
Es ist nicht mehr drin, man hat's gestohlen. Soll ich dir in die Taschen fahren?
JOHANNA.
Ohne Zögern, bitte, sieh nur nach.
FRAU HECHT
fährt mit beiden Händen in Johannas Taschen.
[76] Du hast ja gar nichts, aber eine Hitze. Sie küßt Johanna. Johanna, wir ziehen nah zusammen.
JOHANNA.
Auf denselben Stock, du rechts, ich links, und zwischen uns lassen wir wieder die Wand durchbrechen.
FRAU HECHT.

Dann bleiben wir da wohnen, wo wir uns bisher im Geheimen amüsierten. Zu was dann ausziehen? Uebrigens habe ich ein Testament. Bedenke, so jung und schon vor der Hochzeit ein Testament machen! Ist das nicht edel?

JOHANNA.
Ich hätt's ihm fast nicht zugetraut.
FRAU HECHT.
Aber ich. – Selma wohnt von jetzt ab mit mir, da mußt du d'ran denken.
JOHANNA.
Dann sei recht Vormund! Ja gewiß!
FRAU HECHT.
Sie ist doch meine Tochter.
JOHANNA.
Mehr Freundin, die geduldet wird.
FRAU HECHT.
Wer von uns zwei Beiden rechnet dann ab?
JOHANNA.
Das muß zusammen geschehen.
FRAU HECHT.
Ich schenke dir Vertrauen, ich habe mich ja gerade von deiner Wahrheitsliebe überzeugt.
JOHANNA.
Wir sind großartig. Sie umhalsen und küffen sich.
FRAU HECHT.
Nicht wahr?
JOHANNA.
Das ist unsere schönste Stunde heute, wo wir uns in den Armen liegen und uns für immer bekommen.
FRAU HECHT.
Kommt dort nicht jemand?
JOHANNA.
Es ist besser, du bleibst allein da, für die trauernde Witwe nimmt sich das vorzüglich aus.
FRAU HECHT.
Geh' rasch, durch die Gartentür, erwarte mich bald.
JOHANNA.
Das paßt mir. – Weine jetzt! Ab.
FRAU HECHT.

Trag's heim! Es ist dein Anstandserbteil; vergrab's! Ich weiß den Platz; stehle die Krone auch vom andern Adler im Reichskanzlergarten, ich hab's gesehen. Du kommst ins Zuchthaus schneller als durchs Strahlrohr einer Feuerspritze, dann wirst du arm, wie eine rasierte Aeffin. Brigitte kam schon zu mir, wegen deinem Meineid, da fang' ich lieber selbst den Prozeß an, damit Brigitte meine Ohnmachtskette auch für echt hält. Halt mit dem Lüstling dicke Freundschaft, der will die Marie, und darum fliegt er emsiger als ein Bienerich von dir zu mir, denn ich kann nur das Töchterlein ihm schaffen, gnädig schenken. Wenn du dann im Zuchthaus bist, und während sie dich womöglich im Krampfkasten zähmen, nehme ich dir auch weg, was du von meinem »teuren Toten« gekriegt hast. Lüstling [77] ist mich liebreicher als ein Federbett mit »Braunen«. Hecht hat mir sein Metall und Kunstholz vermacht. Karl ist mein genialer, unmaterieller Sohn. Selma meine dumme Tochter. Marie meine Reserve. Das ist meine Burg, »ich möchte fast den Choral singen«. Ich werde steinreich, dann krieg' ich immer wieder Männer, und meine Bälge erben mich einmal, wenn ich's verjubelt habe.Pause, es schlägt auf der Kirche dreiviertel zwölf Uhr. Jetzt muß ich dann an Karl denken, es hat dreiviertel geschlagen. Karl, mach es gut, gerat in deine Wut! womöglich schlag dem Alten über seinen Nischel, dann mag er weiter knieen und um mich betteln. Der Mann meint ja wunderwas von sich, daß ich für ihn da sein soll. Das war Kinderei mit seinem »lieb sein«, was rechte Menschen sind, die sind sinnlicher als Tiere. Ich werde doch kein Herzklopfen kriegen, das wäre neu. Was soll das sein? Ich habe doch nie etwas von ihm gewollt. Warum klotzt mich das Bild, das ich fortwährend in mir herumtrage, auf einmal so unverschämt an? das weint ja alles zusammen. Meine Kinder und alles! Höret doch auf, sehet hinum! Hecht, bleibe liegen! Hecht, bleibe liegen! Hecht, steh nicht auf! Du sollst ja Gesellschaft kriegen. Ich möchte es wenigstens. Gerade wegen dem Falschen hast du dich erschossen. Der Oberst hat mir nichts getan, der kriegerische Schulmeister. – Karl hat die Türe eingedrückt, ich hab's gespürt. Mit heftigem Pressen der Hand aufs Herz. Wie mag's da aussehen?! Schlägt's bald? schlag, schlag, schlag. Pause, es schlägt zwölf Uhr. Ich denk an dich, ich will beten. Betet. Herr Jesus, Gottes Sohn, dreieiniger Gott, allmächtiger Herr, hoffentlich geht's gut. Wir tun es, weil wir gerecht sind. Wir wollen überall deinen Ruhm zu unserem täglichen Brot. Während des Gebetes schlagen ringsum alle Uhren. Karl, was machst du? Aufschreiend. Der ist ja gespalten, der Kopf! Sie packt sich krampfhaft mit der Hand im Nacken, grunzend. Karl, er ist vor dir geknieet; dir geht es schlimm. Pause, vor dem Garten Fackelschein und viele Schritte, knarrende Wagenräder.


Beamte und Leichenträger mit Sarg erscheinen, Lüstling unter ihnen, mit furchtbar erschütternder Niedergeschlagenheit.
FRAU HECHT.
Sie kommen und holen mich! Beim Sichtbarwerden der ersten Uniformen. Was wollt ihr da?
BEAMTER.
Sind Sie Frau Hecht?
FRAU HECHT.
Ja, ja, ich bin's. Was wollt ihr denn von mir?
[78]
BEAMTER.
Ihr Mann liegt hier?
FRAU HECHT.
Ja, da. Deutet hin, einstweilen hat sich ein Kreis von der Totenschau gebildet.
BEAMTER.

Bleiben Sie nur ruhig, gnädige Frau. Wir haben die Pflicht und den Auftrag, das Unglück in Augenschein zu nehmen.

FRAU HECHT.
Dieses entsetzliche Unglück. Alles über mich!
BEAMTER.
Meine herzliche Teilnahme möge Sie beruhigen.

Die Hochzeitsgesellschaft kommt jubilierend mit Lampions in den Garten heraus.
FRAU HECHT.
Die Gäste wissen's nicht, ihr Jubel foltert mich.
BEAMTER.
Den Platz absperren! Die Leute haben nicht den mindesten Takt.
FRAU HECHT.
Doch, wenn Sie's wüßten.
BEAMTER.

Ich seh's, der Fall liegt klar, Sie sollen den schrecklichen Anblick nicht länger haben. Totengräber!

LÜSTLING
schluchzend.
Danke schön...n ...

Totenstille, nur das Gehen und Arbeiten des Totengräbers und seiner Gehilfen ist hörbar.
Vorhang.

5. Akt

[79] Fünfter Aufzug.
Personen.

Frau Hecht, gesch. Weber


Karl


Selma


Marie


Johanna


Brigitte


Lüstling


Bleich


Oberst


Hurenmutter


Zwei in Mäntel gehüllte Gestalten


Erscheinung des Vaters Weber


Vor der Scene: Oben an der Treppe links die Türe »zu Johanna«, geradezu scharf im rechten Winkel eine namenlose Türe. Nacht.

KARL
erscheint vor der Türe Johannas, pocht und ruft.
Johanna. –

Tiefe Stille.
KARL
wiederholt.
Johanna!

Hierauf regt es sich innen.
KARL
flehend.
Johanna, mache auf!

Die Türe wird aufgeschlossen. Johanna unter der Türe mit einer Blendlaterne, deren Schein auf Karl fällt. Karl senkt den Kopf und macht eine abwehrende Bewegung, will zugleich vorschreiten.
JOHANNA.
Um Himmelswillen nicht, du bist ja blutig.
KARL.
Johanna – ich darf hinein.
JOHANNA.
Ich schrei um Hilfe, gleich.
KARL.

Es ist mir einerlei, was bei dir drinnen ist, bloß muß ich von der Treppe weg, die kracht durchs ganze Haus. Sieh mich doch an.

[80]
JOHANNA.
Ich sehe nichts.
KARL.
Da! Mein Gesicht. Hält es gegen die Lampe. Da! Meine Hände! Sie sind voll Blut.
JOHANNA.

Daß du mir's zeigst und extra kommst! Nein, du bist nicht mein Bräutigam, so brauch ich keinen, der's Blut aufwischt.

KARL.
Sieht man mir's an, was ich getan habe? Laß mich hinein! Sie kommt mir nach.
JOHANNA.
Du bist übergeschnappt. Was hast du gemacht?
KARL.
Es ist mir ausgeglitten. Zwei Teile sind's geworden, der Kopf, siehst ihn?
JOHANNA.
Wen hast du umgebracht?
KARL.
Den meinen Vater.
JOHANNA.
Deinen Papa?
KARL.
Ist er mir nachgegangen, daß du ihn siehst?!
JOHANNA.
Grad sagst du's. – Schrei man nicht so, das soll doch niemand wissen außer mir, deiner Braut.
KARL.

Marie weiß auch, ich bin vor ihr geflohen, sie sprang mir nach und vorhin hat sie mir mit Brigitte den Weg verstellt. Beide kommen, laß mich hinein!

JOHANNA.
Du hättest's nicht machen sollen!
KARL.
Johanna, ich weiß es. Johanna, ich weiß es.
JOHANNA.
Du bist ein Vatermörder.
KARL
fällt vor Johanna nieder.
Hilf mir, Johanna!
JOHANNA.
Soll ich's heimzahlen, wie du's mit mir gemacht hast? Hä? – Hast du eine Waffe?
KARL.
Ich habe nichts mehr, hab's in den Kanal geschmissen.
JOHANNA.
Das sagst du so.
KARL.
Nein, es ist wahr, bloß schwimmt mir's Beil hinten nach.
JOHANNA.
Mit einem Beil? Karl, bei mir liegt eins, da kannst nicht herein.
KARL.
Ich bitte dich. Sie dürfen mich nicht fangen. Braut!
JOHANNA.
Kannst doch nicht da bleiben, hier muß es reine sein. Reis' über Feld, mit barem Geld.
KARL.
Ich kann nicht mehr fliehen, ich bleibe stecken wie im Traum. Es hält mich fest.
JOHANNA.

Bei mir? Ich glaube fast, du liebst mich[81] doch. Im Unglück merk ich's jetzt, da wirst du mürb. An mir soll's nicht fehlen, willst du noch Hochzeit machen?

KARL.
Was jetzt von dem?! Ich bin ein Mörder, Johanna, denke doch daran. Ich will Unterschlupf.
JOHANNA.

Mein Schatz bist. Wir fliehen miteinander, hol' dein Geld! Was meinst? Ich kann verstecken, wenn's sein muß unter meinen Röcken.

KARL.
Die lupfen hoch.
JOHANNA.
Kaum daß die Scheuen den Anstand verletzen! – D'rum nimm dein Geld ab.
KARL.
Johannachen, ich habe keinen Willen, mach du alles!
JOHANNA.
Dein ist's Geld, ich zeige nur den Weg.
KARL.
Nimm das Päckchen, Er übergibt es Johanna. dann laß mich schleppen. Jetzt darf ich hinein?!
JOHANNA.
Du machst ja alles blutig, Blut geht nicht raus.
KARL.
Blut geht nicht raus, ich hab es auch gemerkt, es läuft nur über einen wie ein Wehr.
JOHANNA
hat das Päckchen untersucht.
Hübsches Sümmchen, Karlchen. Wart, ich besorg' alles.
KARL.

Johanna, mache Hochzeit, dann bin ich sicher und viel leichter wird's, es muß der alte Dreck hinaus, Johanna – ich geh 'rein.

JOHANNA.

Wart' nur ein paar Sekunden, ich geh dann mit dir. Schlägt die Türe zu und spricht von innen. Karl, geh zu der andern Tür hinein, dort kannst du dich erst waschen.

KARL
im Dunkeln.

Wie kann ein Mörder auf der offenen Treppe warten? Brigitte und Marie, wenn die kommen! – Vater Schauder. in dem Himmel, ich kann doch nicht mehr stehen, wo alles lauert.


Die Türe geradezu wird aufgeschlossen, ein altes Weib wird darunter sichtbar.
WEIB
mit hochgehaltenem Licht, mit einladender Gebärde.
KARL
zögert einzutreten.
WEIB.
Komm herein, du kannst innen warten, sind wer da.
KARL.
Verraten bin ich. Laut. Zu wem soll ich?
WEIB.
Zum lieben Heiland nicht, Rindvieh! Zu was denn kamst du her, wenn du nicht willst?
KARL.

Du bist ein alter Knochen, drinnen sitzt dein jungfett [82] Fleisch mit wüst gekreuzten Beinen, das ekelt mir, da geh ich nicht hinein.

WEIB.
Du könntest froh sein, Blutigen schlägt man die Tür sonst zu.
KARL.
Hat dich Johannas Scham herausgeschickt?
WEIB.
Scham ... versteh ein Mensch hebräisch. Die Hauptsach', daß du's Mensch kennst.
KARL.

Ich werd' ein Stephan, den man steinigt, wenn er sich auf der Gasse sehen läßt; lieber wildes Tier im Kiefernforst.

WEIB
vorbereitend.
Halt's Maul, man tut dir nichts.

Fäuste erscheinen durch die Türe und packen Karl.
KARL.
Laßt mich los, ich habe nichts getan.
STIMME
dumpf.
's ist dein Glück.
KARL.
Laßt mich los!
WEIB
für sich.
So geht's zur Hölle einmal. Laut. Männchen, sträub' dich nicht.

Die Türe wird zugemacht, dann Stille. Der Vorhang geht hoch.
Scene: Innengarten (innerhalb der Wohnung), in der Mitte ein Springquell vor einer Grotte, Tisch und Stühle zierlicher Arbeit in einer Nische, zwei Türen führen links und rechts an der Hinterwand durch Lorbeerbäume in farbig beleuchtete Zimmer, deren Möblierung nicht zu erkennen ist. Auf der linken Seite ist die Türe, durch welche Karl
hereingekommen ist, außerdem an derselben Wand eine Tür, die den direkten Zugang zu Johannas Zimmer darstellt. Auf der rechten Seite sind die Fenster mit Läden verschlossen, die Fenster geöffnet. Der Springquell ist mit blauen Lämpchen beleuchtet, man glaubt sich in einer Höhle zu befinden. Karl steht am weiten Becken des Springquells, das von zwei Sandwegen, die zur Grotte führen und in einen Weg zur Flurtüre übergehen, umschlossen ist.
KARL
in fahlblauem Licht; ruft.

Johanna ... Keine Antwort, als der Schall aus der Grotte. Sie ruft mich wieder, aber eine andere Stimme ... die vom Vater. Es schreit aus meiner Hand an meine Glieder. Kommt nun kein Mensch? ... Bin ich am Höllenloch? ... So blau sieht's bei den Nymphen ... Johanna ... liegst du nackend in der Grotte? ... Johanna ... Keine Antwort ... Du hast mich bestohlen, den Vater hab' ich wegen dir erschlagen; du Frauenzimmer, komme her zu mir! Du Satansgrube! Heute spreng' ich dich.


Die deutliche Gestalt des Vaters, wie er seine beiden Arme nach Karl ausstreckt, mit dem freundlichen Lächeln auf dem Gesicht.
[83]
KARL.
Weg, Vater! ich bin nicht dein Sohn; ein anderer hat dich erschlagen, den lachst du an.
VATER.
Karl, sei doch ruhig.
KARL
flehend.
Sprich nicht so gütig, Vater. Er weint laut, kommt aus seinen Phantasien wieder zurück zur Umgebung.

Die Erscheinung verschwindet.
KARL
auffahrend, blitzartig.

Hurenweltschrecken ... Voll im Genuß wird mir die Lüge verdeckt. – Die frißt mich auf! ... Und du, oh himmlische Erkenntnis löst mich auf. So hängt's zusammen. Die Höhe wirkt die Tiefe, das ist, wo Menschen sind; wo eb'ne Oede liegt, da wohnen keine Menschen.

Musik.


Karl hört derselben regungslos zu.

Wir wohnen hier, das ist ein Land
Groß, weit, ohne Rand,
»Un, liebliche Heimat«.

Es klatscht in dem Schlamm,
Es watet daher –
Der Mann, der die Stille bewacht,
Wenn ein Knochen zum Regen erwacht.

Un, das ist schön
»Knochengesang«,
So tönt bei den Menschen nicht wieder
Das tontote Fleisch um die Glieder.

»Un, lieblichstes Sein.«
Der Schmerz blüht das Glück,
Die Wurzel im Schlamm,
Die Blüten im Unwind »Gesang«.
KARL
spricht vorwurfsvoll.

Hört man dort auf? –Entschlossen. Oder ich soll dahin. – Klagend. Jetzt muß ich sterben, wo ich leben möchte, erwacht vom Tode zum lebendigen kennen. – Erregt. Ich merk ihn schon, wie er von außen schiebt, mit gelüstiger Wut auf dieses Freudenhaus, wie man mich an die Sonne zerrt, verrückt vor Wollust, um mich hin zu [84] machen, so wie den alten Weber. »Ihr habt ihn vorher schon erschlagen, ich hab ihn nur von Euch befreit.« – Nein. – Ich hab ihn erschlagen, weil ich Marie befreien wollt. »Es war ein edler Grund.«


Lachen aus der Grotte.
KARL.

Wer lachte da? – Nein, ich hab ihn erschlagen, weil ich nach Marie, nach meiner Schwester, begehrlich war, – weil ich Verbrecher bin, ich spür's an meinen festgebacknen Fingern. Er betrachtet sie am blauen Licht. Das ist ja gar kein Blut, das ist die blaue Milch aus seinen Haaren. Die hab ich auch gestreichelt und er meine. Weinend. Wie liebte mich mein Vater, den hab ich tot geschlagen! Ich wasch es nicht mehr gern, ich möcht es gern behalten. Trotzdem beginnt er sich zu waschen, plötzlich springt das Wasser schäumend hoch und blutigrot. Es glüht, es brennt, ich muß der Mörder sein. Weg, ich werd blutiger, wenn ich mich wasche. Er weicht zurück. Johanna, du bist eine Hexe, aber eine feine, glatte, so wie die, die drüben in der Grotte außer Atem schnauben, in schwarze, vorgehalt'ne Mäntel. Was sind das für bekannte Angesichter? »Mutter. Selma.« Und sie kommen mit den Mänteln auf mich zu. Anrufend. Legt die Mäntel ab, ich will Euch bloß sehen. Warum schwätzen sie denn gar nichts? Wissen sie denn schon, was vorgefallen ist? – Aber um den Vater trauerten sie nicht


Mutter und Selma mit zwei in Mäntel gehüllten Gestalten vorbei, Karl duckt sich.
KARL.

Noch am liebsten schlüg ich sie zu tot, weil sie so schweigen, ihr habt sonst doch immer wackelnd schwach gelacht, wenn ihr mit Männern waret. Ach, sie nehmen Abschied.

MUTTER UND SELMA
unter der Türe.
Auf Wiedersehen!

Keine Antwort. Die Gestalten gehen. Lüstling und Bleich treten aus einer der hinteren Türen hervor, sie gehen den beiden entgegen, die von der Flurtüre
zurückkommen, sie begegnen sich in Karls Nähe.
KARL.

Ah, der Lüstling ist als Dritter hier, er ist methodistisch angezogen mit langen Polkahaaren, er kommt im Geckengang und drückt die Lust in Kropf, wie theatralisch geht's hier zu, er schwätzt ja auch nichts, er gibt nur beiden seine Hand. Der Schwindsüchtige kommt wie der Marabu aus einem Stall heraus, wie kommen alle vier hierher? Das ist nicht Eure Wohnung.

[85]
ALLE VIER
lachen unter Händeschütteln.
LÜSTLING.
Wir haben gut geschlafen nach den gestrige Strapazen.
SELMA.
Nur gar so früh heraus.
LÜSTLING.

Der treue Arbeiter geht in seinen Weinberg. Wir müssen einen neuen Lebenswandel beginnen, sonst kommen wir noch ins Zuchthaus. Die Wohnung hier ist endlich anzumelden.

MUTTER.
Das war ja Hecht's Sache.
LÜSTLING.
Man darf keinem Toten die schwerste Schuld nachsagen, »nicht anmelden«.
MUTTER.

Wir müssen sagen, er habe da gewohnt und habe da das Brautbett aufgestellt, ich hab Euch eingeladen, weil mir so bange war allein.

SELMA.
Lona, du bist ein Engel.
LÜSTLING.

Ich möchte mich in diesen Springquell als Glaskugel begeben und alle Minuten von einem süßen Schuß zerplatzen vor Lachkrampf, weil ich Selmchen so gewohnt schon sprechen höre. Aber ernst, von heut' ab ist Bekehrung, Kinder holt die dunklen Kleider, es ist bräver, besser, klüger. Vor allem aufräumen.

MUTTER
zu der verdutzten Selma.
Man kann auch schick im Trauerrocke sein.
LÜSTLING.
Ganz meine Meinung, schöne Doppelwitwe.
MUTTER UND SELMA
verschwinden durch die Türe rechts hinten.
LÜSTLING
zu Bleich.

Wenn nicht Johanna drüben des Meineids überwiesen wird, und gar noch ärg're Dinge macht, dann wird sich uns're Frau, trotz allen raffinierten Verstandes, nicht rein reden von ihrem Anteil an der Gatten traurigem Ende, und wenn gar aufkäme, daß sie gar so locker lebt »um Geld«. Wie harmlos ist ein Weib, »'s ist selbstverständlich«. Wir Männer rechnen, ich sage nicht, daß das die Weiber nicht tun, aber diese können's. Ein Hauptunsinn ist Mathematik, wie schäumt mein Freund Professor über die Beschränktheit seiner weiblichen Schüler, die keine Wurzel ziehen, sie bleiben mitten stecken. Man bringt auch unser Leben nicht in Gleichungen, so wenig als die Lose in der Trommel. Wie lach ich meinen Freund aus mit der Brille, der schnaubend wie ein Stier Behauptung spuckt. Mathematik paßt für unser Leben, wenn man die Fehler zu den Zahlen macht, dann ist sie Weisheit, aber erster Klasse. Sag »Lüge« ist positiv und fange an zu rechnen.

[86]
BLEICH.

Mozart hat sehr viel Unreinigkeit, er soll auch sehr schlecht gehört haben mit äußerlich wüsten Ohren.

LÜSTLING.

Und doch war er sehr früh stubenrein. Und seine Ohren waren wie die Phonographentrichter. Natürlich er war eben auch nicht mathematisch, du Kirbegeiger. Er fängt an zu singen mit tiefem Baß. »O Isis und Osiris.«

BLEICH.
Da brüllt er wie ein Tier mit Hörnern.
LÜSTLING.
Wie ein vorsündflutlicher Stier auf deutsch, da gefällt er mir am besten.
BLEICH.
Meister!
LÜSTLING.

O–i–u–o–i– In der Melodie. Das wirst du nie verstehen, das kommt so aus dem Kern vom Jammerholz, so wie bei Selma. Du kriegst selbst dieses Weibchen nie, weil du nie wagst, auf deiner Geige drunter hineinzukratzen. Es sind geheime Dinge um die Kunst. Die Laien glauben ihr die Harmonie als Gesetz schneiden zu können und zu müssen, aber ich sage dir, »Kunst ist so undefinierbar wie die Rinde am Backsteinkäs'«, sie ist nämlich das Beste.

BLEICH.
Meister!
LÜSTLING.
Ich weiß, ich weiß, da sitzt jemand.
KARL
barsch.
Nehmt Euch in acht. Ich bin niemand. Ihr habt es nicht gesehen.
LÜSTLING.
Die Fledermäuse unter seinem Dach.
KARL.
Es gibt kein Dach.
LÜSTLING.
Karl Weber.
KARL
aufgebracht.

Ich heiß nicht so, ich heiße nicht. Wenn einer noch einmal den Namen sagt, so mach ich Menschenbeef aus ihm.

BLEICH
zu Lüstling.
Lassen Sie doch den Narren.
LÜSTLING.

Das ist er nicht, den hat man auch geliefert. Die härtesten Nerven muß doch eigentlich der Teufel haben, daß er nicht gut wird, weil Ueberteufel leben.


Mutter und Selma kommen schwarz angekleidet.
LÜSTLING
zur Mutter.
Seht dahin!
MUTTER.
Mein Sohn! wie kommst du her?
KARL.
Frag lieber »wo«.
MUTTER.
Du kommst mir eigen vor.
KARL.

Ich bin mein eigener Herr, doch du bist Gegenstand, ein fleischern Spielzeug, hätt' ich noch ein Beil, den armen Vater schlug ich schon tot.

[87]
MUTTER.
Was! Sag's!
SELMA.
Ich hab' es gleich gedacht.
KARL.

Ich mach es an dir vor, wenn du neugierig bist, du Schandenmutter, Starenhaus, meinen flachen Beilhieb müßtest du pfeifen hören und seinen masten Klang auf deinen Schweinskopf. Wend' dich ab! Ich befehl es dir, sieh weg, du siehst mich nicht mehr an.

MUTTER
wendet sich ab, feig, mit finsterem Schuldblick.
MUTTER.
Du hast's getan. Kühner. Was soll ich für dich büßen? Mörder!
KARL.
Du hast es mich geheißen.
MUTTER.
Ich? Ja, lüg auch noch.
KARL.

Du hast es mich geheißen. Er geht in Flehton über. Mutter, habe Freude, du hast sie auch, daß du ihn nie mehr sehen wirst, daß er so verrecken mußte, habe Freude und verbirg mich vor den Menschen, sonst werd' ich hingerichtet vor allen Leuten.

MUTTER.
Du hast gemordet, du hast Schuld auf dir. Ich werde nicht zur Hehlerin, ich muß mich sauber halten.
KARL.

Mutter, du bist nicht sauber, gehst mit allen Männern. Wenn es nur männlich ist, so hat es Reiz für dich.

MUTTER.

Das ist erfunden. Frauen sind mir lieber und noch lieber Mädchen, meine Selma, Johanna, ... Karl, du bist ein Mörder, dir kann man nichts vortragen.

KARL.

Du bist Verbrecherin, so gut, wie ich Verbrecher, das weißt du auch. Ein Mann ist auch dein Sohn, nimm ihn zu dir.

MUTTER.
Geh zu Johanna!
KARL.
Johanna will mich nicht.
MUTTER.

Bist vorher von mir weggelaufen mit Marie. Wenn die zu mir kommt, wenn sie artig sein will, bist du auch als artiger Sohn willkommen.

KARL.

Nur wegen Euch hab' ich ihn totgeschlagen, weil ich Euch liebte. Mutter, hast es gestern doch gewußt. Ich liebe, was ich totschlug und was mich vergräbt.

MUTTER.
Es ist ja wahr, wir haben uns recht warm versöhnt, du sollst deine Mutter kennen lernen.
KARL.
Und, Mutter, wann? Ich brenne so nach dir.
MUTTER.
Wenn's an der Ordnung ist, du bist mein Karl.

Johanna tritt durch die zweite Türe links.
[88]
JOHANNA.

Karl, bist gewaschen? Komm zu mir herüber, man sieht noch keinen Hemdszipfel, da kommen wir noch weit.

KARL.
Ich bleibe da. Dich hab' ich ausgenötigt, Dirne.
JOHANNA.
Dirne, ich? Ich halt bei deiner Mutter ehrsam Haus.
KARL.
Weil's meine Mutter ist, Johanna geb es auf.
MUTTER
zu Johanna.

Johanna, daß du schweigst, sonst schweig' ich nicht mehr. Bei unserer Art wird viel versteckt gehalten.

JOHANNA.
Ich merk mir schon. Sie will in ihr Zimmer zurück, wird durch die Meldung der Alten zurückgehalten.

Das alte Weib schlurkt daher von der Flurtüre.
WEIB.
Zwei Frauenzimmer aus der Freundschaft.
MUTTER.
Aus der obern oder untern?
WEIB
krächzend.
Brigittchen und ein Busselchen, ei!
KARL.
Die kommen nicht herein! Sie suchen mich.
MUTTER.

Mach auf, Mutterchen, eh sie die Treppe wieder 'nuntergehen. Wenn wir nicht wollen, kommt auch nichts hinaus.

JOHANNA
zur Mutter.
Heut' geh' ich an Brigitte, laß Kaffee aufsetzen, laß decken, Kuchen her!
MUTTER.
Wenn das die Selma tun mag?
SELMA.
Johanna ...
MUTTER.
Dann wird sie stutzig.
BLEICH.
Ich helfe Ihnen, Fräulein.
LÜSTLING.
Das ist ein Schuß, Sir.

Selma und Bleich gehen hin und her und decken den Tisch. Die Alte schlumpt wieder nach der Türe.
LÜSTLING.

Ich habe einen Krankenbesuch in der Nacht gemacht, da haben Sie den Kaffee etwas früher gekocht. Brigitte soll mich nicht erkennen, ich mach eine spitze Nase über breitrasierten Affenlippen und spreche mit lachendem Vogelstraußenblick so sanft und monoton, ich richte Sie in Ihrer Trübsal auf, Frau Hecht oder Weber?

MUTTER
lachend abwägend.
Weber ... Hecht ...
LÜSTLING.
Gnädige Frau, das ist feudal.
KARL.
Das ist doch keine Posse, wenn die kommen und auf mich deuten, denket auch an mich.
LÜSTLING.

Man macht aus Posse, Pose. – Herr Namenlos, schweig, wenn du's fertig bringst, bis sie getrunken haben.

[89]
KARL.
Das kann ich nicht, ich zittere zu sehr. Ich kann Marie nicht sehen, Brigitte auch nicht.
JOHANNA.
Dann trifft sich's schön.
LÜSTLING.
Und zittern darfst du auch, aber schweigen sollst.
MUTTER
zu dem durch die Türe lugenden Weib.
Sind Sie noch draußen?
WEIB
murmelnd.
Ihr könnt's vertreiben ...
JOHANNA.
Ich will es lieber vorher holen. Geht rasch durch ihre Türe ab.
LÜSTLING.
Der Tisch ist bald gedeckt, es sieht ganz bürgerlich aus, wenn man die Erdöllampe draufstellt.
MUTTER.
Die Erdöllampe, hörst du, Selma!
SELMA
holt sie aus dem Hinterzimmer.
LÜSTLING.
Mit Erdöl wollt ich die Erde anzünden und Erdöl ist so zahm.
SELMA
hat die Lampe auf den Tisch gestellt.
Jetzt kann man hereinlassen.
LÜSTLING.
Wir müssen schon dabei sitzen.
MUTTER.
Johanna braucht aber lange ... Jetzt kommt sie ...

Johanna kommt mit gelüfteten Nasenflügeln und Lamaaugen zurück.
JOHANNA.
Von mir aus, fertig. Alle Plätze müssen besetzt sein, auch der von Karl, hinten in der Ecke.
KARL.
Ich kann nicht sitzen.
LÜSTLING.
Vorwärts! Es pressiert!
KARL
läßt sich schieben.
MUTTER.
Noch mehr in die Ecke, hinter die Lampe! So ... ernst tun!
ALLE
setzen sich.
JOHANNA
gießt Kaffee ein.
KARL.
Das ist kein »Tun« ... ich möchte fort.
MUTTER
winkt.
Mache auf!
WEIB
schließt die Türe auf, innen Ruhe und gespannte Aufmerksamkeit.
LÜSTLING.
Mit den Löffeln klappern.
WEIB
durch den Türspalt.
Was wünschen die Damen?
BRIGITTE.
Wohnt hier nicht Frau Hecht?
WEIB.
Hm.
MARIE.
Meine Mutter.
KARL.
Das war Marie ... Ich kann's nicht hören ...
LÜSTLING.
Schweig!
WEIB
mit Katzenfreundlichkeit.
Kommen Sie nur herein!
[90]
MUTTER
mit erhobenen Händen über den Tisch.
Es ist besser, es wäre verdächtig. –
KARL
kauert sich in der Ecke zusammen.
MUTTER.
Ich will empfangen.
LÜSTLING.
Nicht zu rasch. Es muß aussehen, als ob wir gestört würden.

Brigitte und Marie treten ein und bleiben an der Tür stehen. Sie betrachten das Bild, Marie klammert sich an Brigitte.
MUTTER
entgegengehend.
Seid herzlich willkommen!
BRIGITTE.
Frau Hecht ...
MARIE.
Mutter, Mutter, dort sitzt er ja. Wir müssen fort. Brigitte, komm, wir müssen fort.
MUTTER.

Es hätte mich gefreut, wenn ihr das Frühstück bei mir nähmet ... Ich bin so schwer gebrochen, da wärt ihr mir ein aufrichtiges Labsal ...

MARIE.
Wir können nicht, es sitzt ein ... ein ... Bruder dort.
BRIGITTE.
Marie, fasse dich, wir wollen ihn erst reden hören, ob er's ist.
MARIE.
Ich kenn den Bruder doch.
BRIGITTE.
Ob er der ... ist?
MARIE.
Ich geh nicht hin, geh du allein.
MUTTER.
Warum ist denn Marie so verstört?
BRIGITTE.
So komme doch ... Frau Hecht, ich nehm es an.
MUTTER.
Marie war immer so eigensinnig.
MARIE
ruft zu Brigitte, die eben im Begriff ist, Platz zu nehmen.
Brigitte, ich geh' fort!
MUTTER.
Mariechen, was ist denn mit dir?
MARIE.
Mutter, Mutter, du willst es nicht hören ... Es ist von Vater etwas.
MUTTER.
Da dich's drückt, so sag's mir ruhig.
MARIE.
Ich bin jetzt allein. Der Vater ist gestorben.
MUTTER.
Was du sagst? Gestorben?
MARIE.
Ja. Weint.
MUTTER.

Sei doch stille, erzähl es mir hier neben, daß sie nicht so sehen und hören. Sie gehen hinter Bäume, Marie blickt stier auf Karl.

JOHANNA
hat mit geschicktem Griff das Gift in die Kanne geworfen.
BRIGITTE
hat sich gesetzt.

Danke sehr, ich trinke ganz gern [91] einen Kaffee, ich bin schon sehr lange unterwegs. Sie beobachtet dabei Karl, dieser sitzt regungslos.

LÜSTLING.
Da sind Sie gewiß recht müde. In Berlin sind alle Wege weit. Zumal bei Nacht, zu Fuß.
BRIGITTE.
Ich habe lange gesucht.
LÜSTLING.
Und haben doch endlich gefunden. »Suchet, so werdet ihr finden«.
BRIGITTE.
Man möchte nicht immer. Trinkt.
LÜSTLING.
Wir Menschen werden es aber immer wieder erfahren, wie herrlich die Worte der Schrift sind.
BRIGITTE.
Ja, wenn Sie's wüßten. Sie sehen übrigens ganz anders aus als gestern und reden ganz anders.
LÜSTLING
sich räuspernd.
Es kommt einem nach Festen doppelt zum Bewußtsein, wie hinfällig das Leben ist.
JOHANNA
mit Spannung auf Brigitte blickend.
BRIGITTE.
Finden Sie nicht, daß der Kaffee sehr stark ist?
LÜSTLING.
Ich kann es nicht finden.
BRIGITTE.
Ich werde ganz erregt.
LÜSTLING.
Wollen Sie nicht etwas gehen? Sie sind zu schnell zur Ruhe und Stärkung gekommen.
BRIGITTE.
Herr Weber, wollen Sie mich begleiten bei einer Zimmerpromenade?
KARL.
Brigitte, das kann nicht mehr sein.
BRIGITTE.
Ich habe wirklich Schwindel, Sie müssen mich stützen, ich spreche nicht wie gestern, Karl.
KARL
wird von Lüstling hochgezogen und Brigitte an den Arm gegeben, Karl läßt seine Arme schlaff hinunterfallen, Brigitte hängt sich mit beiden Armen fest an Karl.
MARIE
auf Karl losstürzend.
Du bist der Mörder!
KARL
steht fest auf Marie gerichtet, Brigitte wird von Lüstling gehalten.
MARIE.
Karlbruder, schlag mich nicht auch tot.
KARL
schweigt.
MARIE.
Karl, du hast es getan?
KARL.
Wegen dir.
MARIE.
Weil du mich auch umbringen willst.
KARL.
Weil ich dich für mich haben wollte und dich der Vater hatte.
MARIE.
Dann kannst du mich ja haben, mach's wie mit Vater.
MUTTER.

Du willst nicht verstehen, sei fein wahr, du kannst nicht fliehen, kleine Schwalbe, du hast mit deinem Vater etwas gehabt.

[92]
KARL
heftig.
Mutter, schweige! – Nein.
MUTTER.
Soll ich noch deutlicher werden? Dein Vater hat dich benutzt.
MARIE.
Laßt mich hinaus! Sie versucht vergebens die Tür zu öffnen.
LÜSTLING
zur Mutter.
Ich wollte sie gewinnen, so wird's nichts.
BRIGITTE.
Ist zugeschlossen? Marie, halte mich.Brigitte sinkt auf eine Bank.
KARL.
Marie, bleibe.
MARIE.

Ach, Bruder, schließ mir auf und lasse mich hinaus, dann lieb ich dich noch einmal, wenn du so sanft Marie sagst.

KARL.
Marie, bleib da.
MARIE.

Du bist ein Mörder, nicht mehr dieser Bruder. Ich hab dir früher auf das Wort gefolgt. Was hast du nur getan, daß du den Vater erschlugst? Du lieber Bruder sag es mir.

KARL
leidenschaftlich.

Ich wollte dich. Marie, du gehst nicht wieder, du bist in meiner männlichen Gewalt; du zitterst dich zu Tod, das nützt dir nichts; Marie, du bist nach mir hereingekommen; hier werd' ich beschützt und du mit den Geschwistern wohnest bei der Mutter. Du siehst das Licht nicht mehr, ehe du erträgst, was uns verbindet.Zerrt Marie an sich und küßt sie.

MARIE.
Eh du mich tötest, komm ich nicht zu dir.
KARL.
Ich liebe dich, Marie, hör mich an, ich bitte dich, du mögest mir vergeben.
MARIE.
Vergeben, dir? Dir vergeben?
KARL.
Marie, erbarm dich, sonst stürz ich mich hinaus und laß mich offen köpfen.
MARIE.
Laß mich gehen, daß ich den Vater begraben kann, auf seinem Grabe will ich dir vergeben.
KARL.
Du willst nur fliehen.
BRIGITTE
auffahrend.
Karl, jetzt das letzte Mal halte mich doch fest.
KARL.
Ich soll halten?
BRIGITTE.
Karl, komm hinaus! Reißt Karl mit sich und bricht zusammen.
JOHANNA.
Sie stirbt. Rat', wer's gewesen ist.
BRIGITTE
leise rufend.
Karl ...
JOHANNA.
Hat sie nicht Karl gesagt?
MUTTER.
Ja, ja, du Schlaue, aber weil sie ihn haben will.
[93]
KARL.

Wie viele müssen sterbend nach mir rufen?.. Hab ich die Schuld an dir? Oder war dein Ruf, Verlangen? Betrachtet Brigittens Leiche.

MARIE.

Karl, laß mich gehen, mir geht's sonst wie Brigitte. Draußen will ich umfallen, nicht hier, wo meine Mutter ...

MUTTER.
Sprech es aus, du wirst's noch grade so machen.
MARIE.
Nicht, wenn ihr mich aufs Bett schnallt.
LÜSTLING.
So lange ich lebe, werden Sie geliebt und treu gepflegt, ich bin Ihr Seelensorger.
MARIE.
Ins Verbrechen.
LÜSTLING.

Wie schrecklich. Ich bitte Sie nur eines. Halten Sie zum Bruder, warum soll er die edle Tat so sündig büßen? Er hat Sie von dem schlechten Vater befreit.

MARIE.
Mein Vater war so gut, und ihr seid alle schlecht.
LÜSTLING.
Das sagt die Jugend.
JOHANNA.
Bleibt Brigitte liegen?
MUTTER.
Das wär noch schöner, du hast sie vergiftet, leg sie zu dir hinüber.
LÜSTLING.
Was, Johanna gab ihr Gift?
MARIE
über Brigitte gebeugt.
Brigitte, warum ging ich mit dir hier herein, zu dieser Mutter?
MUTTER.
Das muß man sich beizeiten überlegen.
MARIE.

Ihr habt den Willen ein Verbrechen an mir zu begehen? Karl, hilf mir du, du sollst dann alle haben, laß mich hinaus; wenn's nicht anders geht, so geh mit mir.

KARL
hört nichts.
JOHANNA.
Ich kann sie nicht alleine tragen.
MUTTER.
Dann ziehe sie hinein, ich rühr nichts Totes an.
MARIE.
Karl, hörst du mich nicht?!
KARL.
Ich seh dem Scheusal zu.
JOHANNA.
Du bist ein größeres. Es sieht wohl nicht gut aus, wenn ich so schleife?
KARL.
Meine Brigitte, die war doch mein; sie wird nicht weggeschafft!
JOHANNA
dicht vor ihrer Türe angekommen mit der Leiche.
Ich laß sie liegen.
MUTTER.
Karl, du hältst das Maul hier.
LÜSTLING.
Man sollte besser sehen.
[94]
MUTTER.
Selma, mach die Läden auf, laß einmal Sonnenlicht herein.
KARL.
Macht doch nicht auf! Ich halt kein Sonnenlicht aus.
MARIE.
Dann siehst du mich, wie ich zu dir bitte, Karlbruder gehst du mit?
KARL.

Marie, du bittest nur aus Angst, du mußt aus Liebe bitten, so wie ich dich bat, heute und sonst immer für mich in jahrelangen Tagen.

SELMA.
Zu was auch Licht? 's ist doch nicht aufgeräumt.
MUTTER.

Ich sage, öffne! Selma, sei kein Gänschen. Johanna zögert mit der Last, dir treib ich es hinein. Du hast einen Meineid geschworen, Johanna.

JOHANNA.
Du hast mir Geld gegeben.
MUTTER.
Ich? Geld? Zum Schwören? Das ist ein doppelter Meineid.
JOHANNA.
Ich bitte dich, denk an unsere Freundschaft, ich kann von dir verraten.
MUTTER.
Von mir? Das wird viel nützen. Du hast vergiftet.
JOHANNA.
Ich bitte dich, verrate nichts von mir, ich hab dir viel getan.
MUTTER.
Zähl es auf!
JOHANNA.
Wenn ich sie zu mir hinüberlege, dann sagst du nichts.
MUTTER.
Wenn man nicht schon auf dich wartet.
JOHANNA
entschlossen, höhnisch.
Dann laß ich sie dir.
MUTTER.

Jetzt sieht man's, wie du bist, das wolltest du ja immer. Ich habe Zeugen, hier Lüstling und hier alle.

JOHANNA
wieder schmeichelnd.
Bist noch gut? Ich nehm sie mit.
MUTTER.
Kannst sie ja zudecken drüben.
KARL.
Halt! bis ich draußen bin. Brigitte, lebe wohl! Marie, sag auch Adieu.
LÜSTLING
gewalttätig.
So geht das nicht. Ihr kommt nicht hinaus. Machet doch hell, damit er sieht, wie's draußen ist.
MUTTER
öffnet die Läden, die grelle Sonne scheint herein.
Uh, wie die Menschen auf der Straße toben um dieses Haus. Sie suchen dich, mein Sohn.

Man hört das laute Summen, Rauschen und Rufen der Menge.
[95]
KARL.

Laß mich hinaussehen, wie die Sonne brennt! Ich höre meinen Namen aus Millionen Stimmen. Marie, geh du allein! Marie, leb wohl! Er sticht sich nieder.

MUTTER
will einen Schritt zur Abwehr machen, hält aber inne und sieht weg mit zugehaltenen Augen, erst langsam hat sie Mut, auf Karl zu blicken.
MARIE
über Karl gebeugt.
Karlbruder, wie soll ich hinaus?
LÜSTLING.
Das ist nicht nötig, Jungfrau, du bleibst am liebsten hier bei seiner Leiche.
MARIE.
Karl, laß den Dolch los, halt ihn nicht so fest!
LÜSTLING.
Der bleibt in seiner Hand. Er zieht Marie weg.
MARIE.
Barmherziger Gott! Gibt es denn keine Hilfe?
MUTTER.
Wie's jetzt hier aussieht! Zu Lüstling leise. Johanna muß gleich festgenommen werden.
LÜSTLING.
Ich sorge schon.
MARIE.
Wenn ich verrückt werd, laßt ihr mich dann gehen?
LÜSTLING.
Das tut dem Jüngferchen nicht Abbruch.
MARIE
zum Fenster hinaus, Lüstling hält sie fest, drückt ihr den Mund zu.
Hilfe! Hilfe! Hil ...
LÜSTLING.
Ich will dir schreien.
MARIE.

Dann töt mich wenigstens. Das Sterben muß nicht schlimm sein, Karl liegt still. Und auch Brigitte hat nicht geschrieen.

JOHANNA.
Nun hat dein Karlchen sein Brigittchen.
MUTTER
auffordernd.

Jetzt kommt man schon herauf. Das sind Tritte, als ob sie gleich das ganze Haus zertreten wollten. Zu Johanna. Nehm deine Puppe weg, geh du zu dir hinüber!

JOHANNA.
Es reicht nicht mehr.
STIMME
draußen.
Oeffnen im Namen des Gesetzes!
MUTTER.
Das tun wir nicht, die Leiche muß noch weg. Zur Alten. Mach die Kette vor.
LÜSTLING.

Und Marie ist noch da. Das geht mir viel zu rasch. Wir müssen öffnen, sonst wälzen wir's nicht Leise murmelnd. auf Johanna ab. Gute Gewissen sind überhaupt stets offen. Oeffnen!

WEIB
hat aus Feigheit und Naseweisheit schon ausgeschlossen.
Der kommt schon durch.

Der Oberst tritt ein.
[96]
MUTTER
ärgerlich gereizt.
Was wollen Sie hier?
OBERST.
Nichts.
MUTTER.
Das hoff' ich, Sie haben sich versehen. Gehen Sie hinaus, Sie sind kein Gesetz.
OBERST
ist auf Marie zugetreten.
Marie, was tust du hier? Marie, schämst du dich nicht? – Mußt du dich schämen, Marie?
MARIE
blickt auf und deutet auf Karl.
Karl ...
OBERST.
Marie, was tust du hier? – Sag mir die Wahrheit.
MARIE.
Um Hilfe schreien.
OBERST.
Und ich komm zu spät. – Und Karl liegt da. Marie, warum du nicht?
MARIE
deutet auf Lüstling.
Der ließ mich nicht ...
OBERST
verabscheuend.
Und diesem Faulbaum!Auf Lüstling losgehend. Kerl, das war zu viel.
LÜSTLING.
Wenn's nur schön war, die Jungfrau so zu haben, den unverdorbenen Leib.
OBERST.
Marie, da lebst du noch? – Ich kann dich ihm ja ruhig lassen.
MARIE
hervorstoßend.
Ich schäme mich, daß ich hier gefunden werde.
OBERST.
Das lügst du jetzt.
MUTTER.

Die ist nicht anders, als wir Beide andern, die ist nur abgefeimter. Oberst, sie hat den Lüstling sogar gebeten.

OBERST.
Marie, warum redest du denn nicht?
MARIE.
Karl hat sich erstochen und Brigitte haben sie vergiftet.
LÜSTLING.
Bitte, die dort. Auf Johanna zeigend.
OBERST.
Das habe ich nicht gefragt. Du weichst mir aus.
LÜSTLING.
Sie hat's ja zugegeben.
MARIE
preßt es kurz und schrill heraus.
Oberst!
MUTTER.
Nun los, wir möchten selbst hören, was du sagen willst.
MARIE.
Karl hat den Vater vor meinen Augen erschlagen. Sie ringt nach Luft.
OBERST.
Marie, warum bist du hierher gelaufen?
MARIE.

Er soll mich auch erschlagen. – Und Karl hat's nicht getan, der liebe Bruder. Gegen die Mutter losfahrend. Das sind Bestien, die lügen. Sie lügen, Oberst. – Oberst bist nichts wert, daß du mir nicht mehr traust. – Gegen Lüstling loseifernd. Das ist ein Teufel, der hat Mißtrauen auf dich eingeatmet. – [97] Nie will ich mehr die Marie sein, hier hast du ein Büschel Haare. Sie reißt sich diese aus.

OBERST.
Mariechen, komme zu dir.
MARIE
schweigt.
OBERST.
Ich kann nichts dafür.
MARIE
schweigt.
OBERST.

Was ist in dem armen Kind heraufbeschworen? Sie kommt nicht mehr zurecht. Mariechen rede. – Du gehst doch mit mir? – Marie komme. Er nimmt sie an die Hand.

LÜSTLING.
Das wäre. So was laß ich mir von dir nicht stehlen.
OBERST.
Schweige! Ich bin ... du kennst mich. Mach freie Bahn! Mir widerstehst du nicht.
LÜSTLING
weicht aus.
OBERST
geht mit Marie, die er an der Hand führt, hinaus.
LÜSTLING
schäumt hinten nach, faucht und spuckt aus.
Ich bin ein hypnotisierter Satan, pfui mich! eklig!
MUTTER.
Kannst nichts.
LÜSTLING.

Hab' ich meinen Ruhm verloren? Warte, Mama, ich will dir schon zeigen, was ich kann. Du sollst noch mindestens drei Ehemänner kriegen.

MUTTER.
Das ist was rechtes!?
SELMA.
Wie viele ich?
JOHANNA.
Und ich?
LÜSTLING
zu Johanna.

Du kannst dich einbalsamieren lassen, Schwarze, drüben warten sie auf dich, ein großer Vogelbauer wird schon zugerichtet.

JOHANNA.
Da räch' ich mich! Sie will zur Flurtüre hinaus.
LÜSTLING
packt sie und stößt sie durch ihre Türe.
Nicht dort hinaus, geh da hinein!
MUTTER
vergnügt.
Und ob die da liegt, das verdirbt uns nichts.
LÜSTLING.

Mein ich auch. Wir bleiben einander treu, du Bleicher auch, wir haben einander sehr lieb. Bloß eine Wut hab' ich, daß ich dein Töchterchen nicht habe.

MUTTER.
Wenn du noch dreimal mich zur Jungfrau machst?
LÜSTLING.
Das wird ein Spaß, ich schaff' mir immer wieder mein Vergnügen.
[98]
MUTTER.
Noch dreimal ehelichen, dann zum Delirium! Selma, bring ein Schnäpschen nach der Last.
SELMA
geht und kehrt noch vor Schluß mit der Schnapsflasche zurück.
WEIB
an der Türe.
Uh, uh. Johanna wird gefesselt, sie hat einem den Helm ins Gesicht gefräst.
MUTTER.
Da muß ich sehen. Sie spitzt durch die Türe. Ach wie rein bin ich, wie gnädig!
LÜSTLING
macht einen Kratzfuß.
Gnäd'ge Frau!
MUTTER.

Aufgepaßt, wir kriegen jetzt Besuch. – Jammert, jammert, klaget, weinet! – Noch rasch zusammenfassend. Johanna und Karl waren verlobt, die haben gegen den Vater operiert, Brigitte hat Karl geliebt, darum hat sie Johanna vergiftet.

LÜSTLING.
Habt ihr aufgemerkt? – Weib, weine auch! Rasch rasch, sie kommen. – Schnaps weg!
SELMA
verschwindet, eben gekommen, mit der Schnapsflasche wie ein Dieb.

Ende.

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TextGrid Repository (2012). Essig, Hermann. Dramen. Überteufel. Überteufel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A310-2