Die Göttliche Komödie
(La Divina Commedia)

[10]

Die Hölle

Erster Gesang
Es war in unseres Lebensweges Mitte,
Als ich mich fand in einem dunklen Walde;
Denn abgeirrt war ich vom rechten Wege.
Wohl fällt mir schwer, zu schildern diesen Wald,
Der wildverwachsen war und voller Grauen
Und in Erinnrung schon die Furcht erneut:
So schwer, daß Tod zu leiden wenig schlimmer.
Doch um das Heil, das ich dort fand, zu künden,
Will, was ich sonst gesehen, ich berichten. –
Wie ich hineingelangt, kann ich nicht sagen,
So schlafbenommen war ich um die Zeit,
Als ich zuerst den wahren Weg verlassen.
Doch, als ich eines Hügels Fuß erreichte,
An welchem jenes Tal zu Ende ging,
Das mir das Herz mit solcher Furcht befangen,
Blickt' ich empor, und sah des Hügels Schultern
Bekleidet schon mit des Planeten Strahlen,
Der uns den rechten Pfad zeigt allerwege.
Beruhigt wurde da die Furcht ein wenig,
Die in des Herzens See mir angedauert
Die Nacht durch, die so angstvoll ich verbrachte.
Wie einer, der mit ganz erschöpftem Atem,
Dem Meer entronnen, das Gestad' erreicht,
Auf die verräterische Flut zurückblickt,
So wandte sich mein Geist, noch immer fliehend,
Zurück, um zu beschaun die dunkle Talschlucht,
Die keinen, der drin weilt, lebendig ließ. –
Als etwas ich den müden Leib gerastet,
Setzt' ich den Weg am wüsten Abhang fort,
So daß der ruh'nde stets der untre Fuß war.
Doch, siehe, fast bei dem Beginn des Anstieg's,
Ein Panthertier, leichtfüßig und behende,
Das überdeckt war mit gestecktem Haare.
[11]
Vor meinen Augen wich das Untier nimmer
Und störte mich so sehr in meinem Wege,
Daß mehrmals schon zur Umkehr ich mich wandte.
Es war die Zeit der ersten Morgenfrühe;
Die Sonne stieg empor mit jenen Sternen,
Die sie begleiteten, als Gottes Liebe
Zuerst bewegte diese schönen Dinge,
So daß kein Unheil mich befürchten ließ
Von jenem Tier mit buntgeflecktem Felle
Die Stunde, wie die schöne Jahreszeit.
Doch war darum der Schrecken nicht geringer,
Der mich ergriff beim Anblick eines Löwen,
(Erhabnen Hauptes und mit grimmem Hunger
Kam dieser dräuend auf mich zugeschritten,
So daß die Luft vor ihm zu fürchten schien)
Und einer Wölfin, die von jeder Gier
Besessen schien in ihrer Magerkeit,
Und über viele schon Verderben brachte.
Sie gab mir durch die Furcht, die von ihr ausging,
So großes Ungemach, daß ich die Höhe
Des Berges zu erreichen nicht mehr hoffte.
Und wie der Mann, der gern Reichtümer sammelt,
Wenn eine Zeit kommt, die Verlust ihm bringet,
In seinem Herzen sich betrübt und wehklagt,
So ward mir ob des friedelosen Tieres,
Das wie es auf mich zukam, ganz allmählich
Mich dahin drängte, wo die Sonne schweiget.
Und während ich zur Tiefe niederstürzte
Erschien mir plötzlich eines Mann's Gestalt,
Der heiser mir, vor langem Schweigen, däuchte.
Als in der großen Wüst' ich den erblickte,
Rief flehend ich ihn an: Erbarm dich meiner,
Sei'st du ein Lebender, sei'st du ein Schatten. –
Kein Lebender, wohl war ich einst ein solcher.
Lombarden waren meine Eltern beide
Und ihre Vaterstadt war Mantova.
[12]
Geboren unter Julius, wenn auch spät,
Lebt' ich in Rom zur Zeit August's des guten,
Als man die falschen Lügengötter ehrte.
Ein Dichter war ich, sang von des Anchises
Gerechtem Sohne, der von Troja kam,
Als Ilion war verbrannt, die stolze Veste.
Doch du, weshalb zu so viel Plage kehrst du?
Weshalb ersteigt du nicht den schönen Berg,
Der Anfang ist und Ursach aller Freude? –
So bist du der Virgil und jene Quelle,
Der so gewalt'ger Redestrom enfließet?
Entgegnet ich mit schamgefärbter Stirne.
O Licht und Ehre du der andren Dichter,
Mein Eifer, meine Liebe für dein Buch,
Die ich bewährt, sei'n mir bei dir Empfehlung.
Du bist mein Meister, du mein hohes Vorbild,
Und nur von dir hab' ich die schöne Schreibart
Entnommen, die zur Ehre mir gereichte.
Sieh jenes Tier, das mich zur Umkehr trieb.
Errette mich vor ihm, gepriesner Weiser,
Denn Puls' und Adern macht es mir erbeben. –
Willst du entgehen diesem argen Orte,
Erwidert' er, als er mich weinen sah,
So mußt zu and'rer Reise du dich wenden,
Denn jenes Tier, das deiner Klagen Anlaß,
Gestattet niemand, diesen Weg zu ziehen.
Es hindert jeden, bis es ihn getötet.
So bös geartet ist es, so verworfen,
Daß seine schnöde Gier es nimmer sättigt
Und nach dem Fraß mehr Hunger als zuvor hat.
Viel Tiere sind, mit denen es sich gattet,
Und mehr noch werden sein, bis daß der Rüde
Erscheinen wird, der unter Qual es tötet.
Nicht Land, nicht Silberblech sind seine Speise,
Wohl aber Weisheit, Christenlieb' und Tugend.
Daheim ist zwischen Feltro er und Feltro.
[13]
Italien wird er retten, das gebeugte,
Für das Camilla einst, die Jungfrau, starb,
Eurialus, Turnus, Nisus sich verblutet.
Von Stadt zu Stadt wird er die Wölfin jagen,
Bis er zurückgetrieben sie zur Hölle,
Von wo der erste Neid sie losgelassen.
Weshalb zu deinem Heil ich denk' und ordne,
Daß du mir folgst; ich will dein Führer sein.
Geleiten werd' ich dich durch ew'ge Räume,
Wo der Verzweiflung Schrei du wirst vernehmen
Von jenen alten schmerzgebrochnen Geistern,
Die alle nach dem zweiten Tod begehren.
Dann wirst du jene sehn, die in den Flammen
Zufrieden sind, weil sie, wie spät auch immer,
Zu den Erwählten zu gelangen hoffen.
Willst auch zu diesen du empor dann steigen,
Wird eine Seele, würdiger als ich bin,
Dahin dich führen, wenn ich von dir scheide.
Denn, der dort oben herrscht, des Weltall's Kaiser,
Will, weil ich unbefolgt ließ sein Gesetz,
Nicht, daß durch mich in seine Stadt man komme.
Im Weltenall gebeut, doch dort regiert er,
Dort ist die Stadt und dort sein hoher Thron.
Gesegnet ist, wen dort er auserkoren. –
Und ich zu ihm: O Dichter, ich beschwöre
Bei jenem Gotte dich, den du nicht kanntest,
Damit ich dies und größ'res Unheil fliehe,
Daß du mich dorthin führest, wo du sagtest,
So daß des heil'gen Petrus Tür ich sehe,
Und jene, die du schilderst als so traurig. –
Dann ging er, und ich folgte seinen Schritten.
[14] Zweiter Gesang
Der Tag entfloh, das abendliche Dunkel
Entnahm die Tiere, die auf Erden weilen,
Allseitig ihrer Müh; nur ich allein
Bereitete mich vor zum Doppelkampfe
Der Wanderschaft sowohl als auch des Mitleids,
Den die Erinn'rung, die nicht irrt, nun melde.
Jetzt, Musen, helft mir, hilf erhabner Geist,
Gedächtnis, das verzeichnet, was ich schaute,
Hier möge sich dein Adel offenbaren!
O Dichter, hub ich an, der du mich leitest,
Erwäge meine Kraft, ob sie auch hinreicht,
Eh du mich wagen läßt die kühne Wandrung.
Zwar sagst du, daß des Silvius frommer Vater,
Verweslich noch zur wandellosen Welt
Gepilgert sei mit seinem Erdenleibe;
Doch, wenn der Feind des Bösen, in Erwägung
Der Zukunft, die sich an Aeneas knüpfte,
Des wer und was, ihm solche Gunst gewährte,
Kann tiefer Denkende das nicht befremden,
Weil er erkoren war im Empyreum
Zum Vater Rom's und seines hohen Weltreich's.
Denn beides war, die Wahrheit zu bekennen,
Vorherbestimmt zum gottgeweihten Orte,
Wo der Nachfolger Petri seinen Sitz hat.
Auf jener Wanderung, die du ihm nachrühmst,
Vernahm er Dinge, die zu seinem Siege
Und zu der Päpste Mantel mitgewirket.
Auch das erwählte Rüstzeug ging hinüber,
Um für den Glauben Kräftigung zu bringen,
Der Anfang ist zum Wege der Erlösung.
Doch welchen Grund hab' ich und wer gewährt mir's
Aeneas bin ich nicht und bin nicht Paulus;
Für würdig hält mich niemand und ich selbst nicht.
Drum, wenn dem Wunsch des Gehn's ich mich ergebe,
[15]
Befürcht' ich Törichtes zu unternehmen.
Erwäg' es selbst, der weiser du als ich bist. –
Und wie, wer nicht will, was zuvor er wollte,
Und, neues sinnend, seinen Vorsatz ändert,
So daß sein erstes Ziel er gänzlich aufgibt,
So widerfuhr mir an dem düstren Abhang.
Bedenkenvoll entsagt ich dem Beginnen,
Das, als ich es ergriff, bei mir so feststand. –
Wenn richtig deine Meinung ich verstanden,
Erwiderte der Schatten jenes Hohen,
Hat Kleinmut deiner Seele sich bemächtigt,
Der oft in solchem Maß den Mann betöret,
Daß er von ehrenvoller Bahn ihn abzieht,
Wie falsches Sehn die Tiere, wenn sie scheuen.
Damit von solcher Furcht du dich befreiest,
Vernimm, weshalb ich kam und was ich hörte,
Als deiner mich zum erstenmal erbarmte.
Ich weilte da, wo Freude nicht noch Pein ist.
Da rief ein Weib mich, die so schön als selig,
So daß, mir zu gebieten, ich sie ansprach.
Ihr Auge leuchtete so hell als Sterne,
Und leis' und langsam hub sie zu mir an
Mit engelgleichem Laut in ihrer Rede:
Du wohlgesinnte Mantuanerseele,
Von deren Ruhm die Welt noch itzt erfüllt ist
Und bleiben wird so lang' als die Bewegung,
Mein Freund, der aber nicht des Glückes Freund ist,
Wird an dem wüsten Berghang so behindert
In seinem Weg, daß er vor Furcht zurückweicht.
Nach dem, was ich von ihm im Himmel hörte,
Besorg' ich fast, er sei schon so verirret,
Daß ich zu spät zur Hilfe mich erhoben.
So eile denn, mit kunstgeübter Rede
Und dem, was sonst zu seiner Rettung nottut,
Ihm so zu helfen, daß ich sei getröstet.
Ich bin Beatrix, die zu gehn dir aufträgt.
[16]
Dorthin zurück, woher ich kam, verlangt mich.
Die Liebe hieß mich gehn und heißt mich reden.
Bin ich demnächst aufs neu vor meinem Herren,
So werd' ich oft, was du getan, ihm rühmen. –
Dann schwieg sie; aber ich begann zu reden:
O Frau, so hochbegnadigt, daß die Menschheit
Nur ihretwillen alles überraget,
Was sonst noch in sich schließt der engste Himmel,
So sehr ist mir, was du befiehlst, willkommen,
Daß, hätt' ich's schon getan, zu spät mir's schiene;
Mir deinen Wunsch mehr zu enthüll'n bedarf's nicht.
Doch, sage mir den Grund, daß du nicht Scheu trägst,
In diesen Mittelpunkt herabzusteigen
Vom weiten Raum, wohin du dich zurücksehnst. –
Verlangst du denn so tief eingehnde Auskunft
Sprach sie zu mir, will ich dir kurz berichten,
Warum, hierherzukommen ich nicht fürchte.
Furcht hegen soll man nur vor solchen Dingen,
Die Schaden uns zu tun, die Macht besitzen;
Vor andren nicht, weil nichts an ihnen furchtbar.
Durch seine Gnade schuf der Herr mich also,
Daß all' eu'r Elend mich nicht kann berühren,
Und dieses Brandes Flamme mir nichts anhat.
Ein holdes Weib beklagt im Himmel droben,
Das Hindernis, zu dem ich dich entsende,
So daß sie harten Richterspruch dort umstößt.
Lucìen trat sie an mit ihrer Bitte,
Und ihre Worte waren: dein Getreuer
Bedarf itzt dein und dir sei er empfohlen. –
Lucìa, die jedweder Härte Feind ist,
Begab sich zu dem Ort, wo ich verweilte,
Wo ich mit Rahel saß, der Tochter Laban's.
Beatrix, sprach sie, wahres Lob des Herr'n,
Was hilfst du dem nicht, der dich so geliebt hat,
Daß er um dich verließ den großen Haufen?
Vernimmst du nicht den Schmerzlaut seiner Klage,
[17]
Gewahrst du nicht den Tod, der mit ihm streitet
Am Flußgestade, schlimmer als der Meerstrand? –
Dort in der Welt war niemand je so eilig,
Ihm Dienliches zu tun, zu fliehn den Schaden,
Als ich, nachdem ich dieses Wort vernommen.
Zu dir kam ich von meinem sel'gen Sitze,
Auf deiner würd'gen Rede Macht vertrauend,
Die dich und alle, die sie hörten, ehret. –
Als diese Wort sie zu mir gesprochen,
Verwandt' in Tränen sie den Glanz der Augen,
Wodurch sie zu noch größ'rer Eil mich antrieb.
Wie sie geboten, kam ich her zu dir,
Und führte dich hinweg von jenem Tiere,
Das dir zum Berg den graden Weg versperrte.
Was hast du nun, daß du noch länger zauderst,
Was nährest solchen Kleinmut du im Herzen?
Was hegst du Zuversicht und frischen Mut nicht,
Da drei so hoch gebenedei'te Frauen
Im Himmelshof fürsorgend dein gedenken
Und meine Rede solches Heil dir zusagt? –
Wie Blümlein, die der Nachthauch schloß und senkte,
Sobald die Morgensonne sie erleuchtet,
Sich auf dem Stiel aufrichten und erschließen,
So kräftigte sich mein gesunkner Mut,
Und so viel Sicherheit gewann mein Herz,
Daß ich begann, wie wer von Zweifeln frei ist:
Gesegnet sei, die mir zu helfen eilte.
Dir aber dank ich, daß du gern bereit warst,
Zu tun, wie wahrheitstreu sie dir gesagt hat.
Den Wunsch, mit dir zu gehn, hast du im Herzen
Mir also angefacht durch deine Worte,
Daß ich zurück zum ersten Vorsatz kehrte.
So geh' denn; nur ein Will' ist in uns beiden.
Sei du mir Herr, mir Meister, sei mir Führer. –
Da wandt' er sich zum Gehn, und unsre Schritte
Betraten einen Pfad, der rauh hinabstieg.
[18] Dritter Gesang
Der Eingang bin ich zu der Stadt der Schmerzen,
Der Eingang bin ich zu den ew'gen Qualen,
Der Eingang bin ich zum verlor'nen Volke.
Gerechtigkeit bestimmte meinen Schöpfer,
Geschaffen ward ich durch die Allmacht Gottes,
Durch höchste Weisheit und durch erste Liebe.
Vor mir entstand nichts, als was ewig währet,
Und ew'ge Dauer ward auch mir beschieden;
Laßt, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren.
In dunkler Farbe sah ich diese Zeilen
Als einer Pforte Inschrift. Drum begann ich:
O teurer Meister, düster ist ihr Sinn mir. –
Er aber sprach, das rechte wohl erfassend:
Absagen mußt du jeglichem Bedenken
Und jeden Kleinmut hier in dir ertöten.
Gelangt sind wir dahin, wo ich dir sagte,
Du würdest sehn die schmerzerfüllten Scharen,
Die der Erkenntnis hohes Gut verloren. –
Als seine Hand er dann gelegt in meine
Mit heit'rer Miene, die mir Mut gewährte,
Führt' er mich ein in die geheimen Dinge.
Hier tönten Seufzer, Schluchzen, laute Klagen
Erschütternd durch die sternenlose Luft,
So daß zu Anfang ich mitweinen mußte.
Verschiedne Zungen, grauenvolle Sprachen,
Des Schmerzens Worte, zornentbrannte Töne,
Erstickt' und laute Rufe, Schlag der Hände,
Sie bildeten ein wildverworrnes Tosen,
Das in der ewig düstren Luft sich umtreibt,
Wie bei des Wirbelwindes Wehn der Sand tut.
Ich aber, dem das Haupt Entsetzen einnahm,
Begann: Was ist das, Meister, was ich höre,
Und was für Volk, das übermannt vom Schmerz scheint?
Und er zu mir: Solch' jammervolle Weise
[19]
Verführen die unwürd'gen Geister deren,
Die ohne Lob gelebt und ohne Schande.
Der Engel schlechter Schar sind sie verbunden,
Die, ohne gegen Gott sich zu empören,
Ihm treu nicht, sondern unparteiisch waren.
Der Himmel Schönheit hätten sie getrübt,
Auch nimmt die tiefre Hölle sie nicht auf,
Weil etwas Ruhm sie den Verdammten brächten. –
Da sprach ich: Meister, was ist denn so quälend
Für sie, daß solche Klagen es hervorruft? –
Und er: Das will ich kürzlich dir berichten:
Der Tod hat Hoffnung ihnen nicht zu bieten,
Und so verächtlich ist ihr blindes Leben,
Daß sie jedwedes andre Los beneiden.
Die Welt gestattet ihnen keinen Nachruhm;
Erbarmen und Gerechtigkeit verschmäht sie.
Kein Wort von ihnen; schau, und geh vorüber. –
Ich blickte hin: Da sah ich eine Fahne,
Die so geschwind umkreisend sich bewegte,
Daß zu verschmähn sie mir jedwede Rast schien.
Und hinterdrein lief solch endloser Haufen
Von Volke, daß ich nimmermehr vermutet,
So viele habe schon der Tod vernichtet.
Und als erkannt ich hatte den und jenen,
Erblickt' und kannte ich den Schatten dessen,
Den Feigheit zum Verzicht, dem großen, antrieb.
Sofort ward ich bewußt mir und versichert,
Dies sei die Schar der schmachbeladenen Seelen,
Die Gott und seinen Feinden gleich mißliebig.
Die Elenden, die nimmer wahrhaft lebten,
Sie waren nackt und wurden schwer gepeinigt
Von Bremsen und von Wespen, die dort waren.
Bei deren Stichen troff von Blut ihr Antlitz,
Das tränenuntermischt zu ihren Füßen
Von ekelhaften Würmern ward verschlungen.
Und als ich weiter noch den Blick entsandte,
[20]
Sah Schatten ich am Ufer eines Stromes;
Weshalb ich sprach: Gewähre mir nun, Meister,
Daß, wer sie sind, ich hör', und welcher Antrieb
Sie scheinbar so zur Überfahrt geneigt macht,
Wie in dem falben Licht ich unterscheide. –
Erfahren wirst du, sagt' er, was du fragest
Sobald wir hemmen werden unsre Schritte
Am Uferrand des traur'gen Acheron. –
Da senkte schamerfüllt ich meine Blicke
Und, fürchtend, daß ihm lästig sei mein Reden,
Enthielt ich bis zum Flusse mich der Worte.
Und, sieh', im Nachen kam herangefahren
Ein Greis, der ob des Haares Alter weiß war,
Und ausrief: Weh euch, ihr verruchten Seelen!
Den Himmel hoffet nimmermehr zu schauen.
An's andre Ufer komm' ich euch zu führen
In ew'ge Finsternis, in Frost und Hitze.
Und, die du dort verweilst, lebend'ge Seele
Entferne dich von diesen, die gestorben. –
Und als er sah, daß ich mich nicht entfernte,
Sprach er: Nicht hier, durch andre Weg' und Häfen
Wirst du zum Strand der Überfahrt gelangen;
Das Schiff, das einst dich tragen soll, ist leichter. –
Mein Führer aber sprach: Sei ruhig Charon.
So will man's droben, wo jedwedes Wollen
Zugleich ein Können ist; nicht frage weiter. –
Da glätteten sich die behaarten Wangen
Des Fährmann's auf dem trübgefärbten Sumpfe,
Der um die Augen Flammenräder hatte.
Doch jene Seelen, nackend und ermattet,
Verfärbten sich und klappten mit den Zähnen,
Sobald die harten Worte sie vernahmen.
Sie fluchten Gott und fluchten ihren Eltern,
Der Menschenbrut, dem Ort, dem Tag, dem Samen,
Durch die gezeugt sie wurden und geboren.
Dann drängten sie sich unter lautem Weinen
[21]
In dichten Scharen an das schlimme Ufer,
Das jedes wartet, welcher Gott nicht fürchtet.
Mit feur'gen Augen sammelt Teufel Charon
Gebieterischen Wink's die Seelen alle,
Schlägt mit dem Ruder jeden, der da zaudert.
Gleichwie zur Herbsteszeit die Blätter alle,
Eins nach dem andern abfall'n, bis der Zweig
Am Boden alles sieht, das ihn bekleidet,
So stürzt hier Adam's schuldbeladener Samen
Sich Haupt für Haupt vom Ufer in den Nachen,
Wie Vögel tun, wenn sie den Lockruf hören.
Hinüber fahren sie auf dunkler Flut,
Und eh' dem Kahne drüben sie entstiegen,
Hat diesseits schon sich neue Schar gesammelt.
Mein Sohn, begann zu mir der güt'ge Meister,
Die unter Gottes Zorne sterben, alle
Versammeln hier sich aus jedwedem Lande.
Auch ist zur Überfahrt bereit ein jeder;
Die göttliche Gerechtigkeit ist ihnen Sporn,
So daß die Furcht sich wandelt in Verlangen.
Nie fuhr noch fährt ein Guter hier hinüber!
Darum, wenn Charon scheltend dich zurückweist,
Verstehst du nun den Sinn von seinen Worten. –
Darauf erzitterte die düstre Fläche
So heftig, daß noch itzt in der Erinn'rung
Mich des Entsetzens Schweiß kalt überrieselt.
Ein Luftstoß drang aus dem betränten Boden,
Worin ein roter Lichtesglanz erblitzte.
Darob entschwand mir jegliches Bewußtsein,
Und nieder sank ich, wie wen Schlaf ergriffen.
Vierter Gesang
Es brach den tiefen Schlaf in meinem Haupte
Ein Donnerschlag, von dem ich jäh emporfuhr,
Gleich einem, den gewaltsam man erwecket.
Das ausgeruhte Auge ließ ich schweifen!
[22]
Grad' aufgerichtet schaut' ich in die Runde,
Den Ort, wo ich verweilte, zu erforschen.
In Wahrheit fand ich mich am jähen Absturz
Des tränenreichen Tal's der Unterwelt,
Aus dem unnennbar'n Schmerzes Wehruf aufstieg.
So qualmerfüllt, so dunkel und so tief war's,
Daß ich, wie sehr ich auch das Auge schärfte,
In seinem Grunde nichts erkennen konnte.
Laß denn zur blinden Welt uns niedersteigen!
Begann der Meister mit verstörtem Antlitz,
Voraufgehn will ich, und sei du der zweite –
Und weil ich seine Blässe wahrgenommen,
Sagt' ich: Wie soll ich folgen, wenn Du zagest,
Der meinem Zweifel sonst Beruh'gung bringt? –
Er aber sprach: Die Seelenpein der Geister
In diesem Kerker malt auf meine Wangen
Des Mitleid's Farbe, welche du für Furcht hältst.
Auf denn! Zur Eile treibt des Weges Länge –
So schritt er vor, so ließ er mich betreten
Der Kreise ersten, die du Abgrund gürten.
Hier war, so viel als meinem Ohr vernehmlich,
Kein Weheklagen, sondern nur ein Seufzen,
Das jene ew'ge Luft erbeben machte:
Gram ohne Qualen war des Seufzens Ursach,
Der auf den Scharen all, die viel und zahlreich,
Von Kindern, Frau'n und Männern, ewig lastet.
Mein Meister sprach: Du unterläßt zu fragen,
Was es für Geister sind, die du hier siehest;
Doch sollst Du, eh wir weiter gehn, vernehmen,
Daß sie nicht sündigten. Und wenn Verdienste
Sie hatten, g'nügt es nicht, weil ohne Taufe
Sie starben, welche deines Glaubens Teil ist.
Und lebten sie noch vor dem Christentume,
So beteten zu Gott sie falscher Weise;
Und diesen bin ich selber beizuzählen.
Ob solchen Mangels, nicht ob andren Fehles,
[23]
Sind wir verloren, und nur dadurch leidend,
Daß, ohne Hoffnung, wir in Sehnsucht leben. –
Als ich's vernommen, faßte tiefer Schmerz mich
Denn ich begriff, wie Seelen höchsten Wertes
In dieses Vorhofs Mittelzustand schwebten.
Sag' an, mein Meister, sage mein Gebieter,
Begann ich, um Bestätigung zu finden
Des Glaubens, welcher jeden Wahn vernichtet:
Ward einer je von hier befreit und selig
Durch fremdes, oder eigenes Verdienst? –
Und er, verstehend die verhüllte Rede,
Entgegnete: Noch neu in diesem Zustand
War ich, als ein Gewaltiger daher kam,
Um dessen Haupt sich Siegeszeichen wanden.
Er raubte uns des ersten Vaters Schatten
Und Abel seinen Sohn, Noah und Moses,
Der die Gesetze schrieb, und doch gehorchte,
Abra'm den Patriarchen, König David,
Israel mit dem Vater und den Kindern
Und Rahel auch, um die er lang geworben,
Viel andre noch, und alle macht' er selig.
Doch wissen sollst du, daß niemals vor ihnen
Die Seele eines Menschen ward errettet. –
Nicht hemmten, weil er sprach, wir uns're Schritte
Rastlos durchschritten wir vielmehr den Wald;
Ich sage, Wald, von ungezählten Schatten.
Und als wir lange Zeit noch nicht gegangen
Seit mich der Schlaf befiel, sah ich ein Feuer,
Das eine Finsternishalbkugel hellte.
Obwohl noch mäß'ge Fern' uns von ihm trennte,
So glaubt' ich dennoch sicher zu erkennen,
Daß auserles'ne Seelen dort verweilten.
O Meister, der du Wissenschaft und Kunst ehrst
Warum genießen diese solches Vorrecht,
Das von dem Los der übrigen sie sondert? –
Drauf er zu mir: Der ehrenvolle Namen,
[24]
Der ihnen nachklingt dort im Erdenleben,
Gewinnet solche Gunst im Himmel ihnen. –
Da hört' ich einer Stimme Ruf erschallen:
Erweiset dem erhabnen Dichter Ehre!
Sein Schatten kehrt zurück, der uns verlassen. –
Als nun die Stimme schwieg und nicht mehr tönte,
Sah ich vier hohe Schatten sich uns nahn;
Ihr Antlitz zeigte Trauer nicht, noch Freude.
Mein Meister aber sagte rasch zu mir:
Sieh jenen mit dem Schwert in seiner Hand,
Der vor den andren hergeht als ihr Meister!
Das ist Homer, der königliche Dichter
Der zweit' ist der Satiriker Horaz,
Als dritter folgt Ovid, Lucan als letzter.
Weil jeder nun mit mir den Namen teilt,
Den du die Einzelstimme nennen hörtest,
Tun sie mir Ehr' an, und so ist's geziemend. –
So sah versammelt ich die schöne Schule
Der Meister des erhabensten Gesanges,
Der ob den andren, gleich dem Adler, fliegt.
Als miteinander etwas sie gesprochen,
Da wandten sie zu mir sich, freundlich grüßend;
Mein Meister aber lächelte darob.
Und mehr der Ehr' erzeigten sie mir noch;
Denn ihrer Schar gesellten sie mich zu,
So daß ich Sechster ward im Kreis der Weisen.
Inzwischen näherten wir uns der Flamme,
Und sprachen, was sich zu verschweigen ziemet,
So wie sich's ziemte, dort es zu besprechen.
Zum Fuße einer stolzen Burg gedieh'n wir,
Die siebenfache Mauern rings beschließen
Und die zur Wehr ein schöner Bach umgibt.
Den überschritten wir gleich festem Boden;
Durch sieben Tore traten dann wir ein
Und fanden uns auf frisch begrünter Matte.
Die Geister dort, sie blickten ernst und ruhig,
[25]
Es lag in ihrem Ausdruck hohe Würde,
Sie sprachen selten und mit sanfter Stimme.
Wir wählten einen Platz, der licht und offen
Zur Seite sich erhob, so daß von dort aus
Wir all die Scharen deutlich überschauten.
Uns gegenüber auf dem grünen Teppich
Wies mir mein Führer dann die großen Geister;
Weshalb ich noch mich rühm, und glücklich preise.
Elektra sah ich unter viel Gefährten,
Wovon Aeneas ich erkannt' und Hektor,
Cäsar im Waffenschmuck mit Falkenaugen.
Ich sah Cammilla und Penthesilea,
Latinus auch den König, und die Tochter
Lavinia, welche fern den andren saßen.
Den Brutus sah ich, der Tarquin vertrieben,
Lucretia, Julia, Martia und Cornelia,
Und einsam und abseits den Saladin. –
Als etwas höher ich die Wimper hob,
Sah ich den Meister aller die da wissen,
Umgeben rings von Philosophen-Schülern;
Auf ihn nur schauen ehrerbietig alle.
Hier sah ich Sokrates sowohl als Plato,
Die vor den andren ihm am nächsten stehn.
Auch Demokrit, dem alles gilt für Zufall,
Und Thales, Anaxagoras, wie Zeno,
Empedokles und Heraklit, den dunklen,
Diogenes und Dioskorides,
Heilsamer Pflanzen Sammler, Orpheus, Linus,
Cicero, Seneca, den Sittenlehrer,
Euklid, den Geometer, Ptolemäus,
Hippokrates, Galen und Avicenna,
Averroës, den großen Kommentator.
Unmöglich kann ich einzeln alle nennen.
Zur Kürze treibt so sehr des Stoffes Länge,
Daß dem Geseh'nen oft mein Wort nicht nachkommt. –
Die Sechsgesellschaft mindert sich auf Zweie,
[26]
Und andre Pfade wählt der weise Führer.
Aus ruh'ger Luft komm' ich in die bewegte,
In ein Gebiet, wo nichts mehr ist, das leuchtet.
Fünfter Gesang
So stieg ich nieder von dem ersten Kreise
Zum zweiten, der gering'ren Raum umfaßt,
Doch um so größ're Qual, die Klagen auspreßt.
Graunvoll steht Minos hier und fletscht die Zähne,
Er prüft die Sünder einzeln, wie sie kommen,
Verurteilt sie, und bannt sie durch Umwinden.
Ich sage: wenn die schlimmgeborne Seele
Ihm gegenübersteht, bekennt sie alles;
Er aber, als ein Kenner jeder Sünde,
Erwäget, welcher Höllenplatz ihr zukommt:
Umwindet mit dem Schwanz so manches Mal sich,
Als Stufen sind, die sie soll niedersteigen.
Gar viele stehn vor ihm zu jeder Zeit,
Und nacheinander gehn sie in's Gerichte,
Bekennen, hören, wenden sich zur Tiefe.
Du, der da kommt zum schmerzensvollen Hause,
Sprach Minos, als er mich erblickt, zu mir,
Des Richteramtes Übung unterbrechend,
Sieh, was du tust, und wem du dich vertrauest;
Laß dich nicht täuschen durch des Eintritt's Weite. –
Mein Meister sagte drauf: Was soll dein Schelten?
Verhindre nicht die vorbestimmte Reise.
So will man's droben, wo jedwedes Wollen
Zugleich ein Können ist; nicht frage weiter. –
Doch nun beginnen herben Schmerzes Laute
Vernehmlich mir zu werden; nun gelang ich
Dahin, wo vieles Wehgeschrei mein Ohr trifft.
Verstummt war alles Licht in diesem Raume,
Der gleich dem sturmbewegten Meere brüllet,
Wenn es die Wind' im Widerstreit bekämpfen.
[27]
Der höllische Orkan, der nimmer nachläßt,
Erfaßt mit seiner Windsbraut diese Geister,
Wirft qualvoll sie umher, stößt sie zusammen.
Wenn sie alsdann zum Absturz hingelangt sind,
So schrei'n sie laut, wehklagend unter Tränen,
Und lästern Gott zugleich und seine Allmacht.
Und ich erfuhr, es sei'n zu solchen Qualen
Verurteilt, die in Fleischeslust gesündigt,
Weil die Vernunft dem Trieb sie unterworfen.
Und wie zur kalten Zeit ihr Flügelpaar
Die Stare hinführt in gedrängter Menge,
So führt der Windshauch hier die argen Geister.
Er jagt sie hin und her, hinauf, hinab,
Und keine Hoffnung bietet ihnen Trost
Geringrer Pein, geschweige denn der Ruhe.
Gleich wie die Kraniche wehklagend ziehn,
Und lange Streifen in der Luft beschreiben,
So sah, getragen von der Macht des Windes,
Ich eine Schar mir nahn mit lautem Weinen.
Zu meinem Meister sagt' ich drum: Wer sind
Die Schatten, die die schwarze Luft so geißelt? –
Die vorderste der Schar, von welcher Kunde
Du wünsch'st, entgegnete darauf mir jener,
Beherrschte Völker von gar vielen Sprachen
Der Wollust Laster war sie so ergeben,
Daß durch Gesetz sie jede Lust erlaubte,
Die Schmach zu tilgen, welcher sie verfallen.
Sie ist Semiramis, von der wir lesen,
Daß sie, des Ninus Gattin, ihn beerbte.
Das Land beherrschte sie, das jetzt des Sultan's.
Die nun folgt, ist's die sich aus Lieb' ermordet
Und Treu' gebrochen des Sichäus Asche.
Dann kommt Cleopatra, die glutentbrannte. –
Helena sah ich, die so langes Unheil
Verursacht, und Achilles auch, den großen,
Der noch zuletzt mit Liebe kämpfen mußte.
[28]
Paris und Tristan und wohl tausend zeigte
Virgil, sie mir benennend, mit dem Finger,
Die uns'rer Welt die Lieb entrissen hat.
Als mir die Frau'n der Vorzeit und die Ritter
Namhaft gemacht von meinem Meister waren,
Ergriff mich Mitleid, daß ich kaum bewußt blieb.
Drauf sagt' ich zu dem Führer: Gern spräch ich
Mit jenen Zwei'n, die sich zusammenhalten,
Und die so leicht bewegt vom Wind' erscheinen. –
Und er darauf: Beschwörst du, wenn erst näher
Sie uns gekommen sind, sie bei der Liebe,
Die sie vereint, so zweifle nicht, sie kommen. –
Sobald der Wind sie zu uns hergewendet,
Erhob die Stimm' ich: Schmerzbeladene Seelen,
Ist's nicht verwehrt, so kommt, mit uns zu reden. –
Wie Tauben, die, gerufen vom Verlangen
Zum süßen Nest, mit ausgespannten Schwingen
Die Luft durchschneiden, so sah ich die beiden,
Kraft ihres Willens, durch die schlimme Luft
Sich aus der Schar, wo Dido weilt, uns nahen;
So wirksam war mein anteilvolles Rufen.
O wohlgesinntes, liebereiches Wesen,
Das du, die Nacht der Unterwelt durchwandelnd,
Uns heimsuchst, die mit Blut die Erde färbten,
Wär' unser Freund des Weltgebäudes König,
So wollten wir ihn flehn um deinen Frieden,
Weil du mit uns'rem Elend Mitleid fühlest.
Anhören und euch sagen woll'n wir alles,
Was du zu reden und zu hören wünschest,
So lang der Wind noch, wie er itzt tut, schweiget.
Gelegen ist der Ort, wo ich geboren,
Am Meeresstrand, zu dem der Po hinabsteigt,
Um mit den Nebenflüssen Ruh' zu finden.
Die Liebe, leicht entflammend edle Herzen,
Entflammte diesen für den schönen Körper,
Der mir geraubt ward, und das wie quält noch mich.
[29]
Die Liebe, die zur Gegenliebe nötigt,
Ließ mich an ihm solch Wohlgefallen finden,
Daß, wie du siehst, sie noch nicht von mir abläßt.
Die Liebe führt' uns zu vereintem Tode;
Caïna wartet des, der uns gemordet. –
So lautete, was sie zu uns gesprochen.
Als die unsel'gen Geister ich vernommen,
Senkt' ich das Haupt, und hielt es so geneiget
Bis mir der Meister sagte: Nun, was sinnst du? –
Darauf erwidernd, hub ich an: O Himmel,
Wie mancher stille Liebeswunsch, wie manches
Verlangen führte sie zum Schritt voll Schmerzes! –
Dann wendet' ich mich ihnen zu und sagte:
Francesca, deiner Qualen Anblick macht
Vor Trauer mich und vor Mitleiden weinen.
Doch sage mir, zur Zeit der süßen Seufzer,
An was und wie gestattete dir Amor,
Das schüchterne Verlangen zu erkennen? –
Drauf sagte sie zu mir: Kein Schmerz ist größer,
Als sich der Zeit des Glückes zu erinnern,
Wenn man in Elend ist; das weiß dein Lehrer.
Heg'st du jedoch, die Wurzel uns'rer Liebe
Zu erkennen, solch entschiedenes Verlangen,
So werd' ich tun, wie wer im Reden weinet:
Wir lasen eines Tages zum Vergnügen
Von Lanzelot, wie Liebe ihn umstrickte,
Allein und unbeargwohnt waren wir.
Oft hieß des Buches Inhalt uns einander
Scheu ansehn und verfärbte unsre Wangen;
Doch nur ein Punkt war's, welcher uns bewältigt.
Denn als wir, wie das langersehnte Lächeln
Von solchem Liebenden geküßt ward, lasen,
Da küßte, dem vereint ich ewig bleibe,
Am ganzen Leibe zitternd, mir den Mund.
Zum Kuppler ward das Buch und der's geschrieben.
An jenem Tage lasen wir nicht weiter. –
[30]
Und während so der eine Schatten sprach,
Vergoß der andre solchen Strom von Tränen,
Daß ich ohnmächtig ward, wie wen ich stürbe,
Und nieder fiel ich, wie ein toter Körper.
Sechster Gesang
Bei des Bewußtseins Rückkehr, welches Mitleid
Mit den zwei Schwägern mir genommen hatte
Und mir das Herz erfüllt mit Traurigkeit,
Seh' ringsum neue Qualen ich und neue
Gequälte, wohin auch den Blick ich wende,
Wohin ich schaue und wohin mich kehre.
Ich bin im dritten Kreise, dem des ewgen,
Verwünschten, kalten, qualenvollen Regens,
Des Art und Weise nimmer sich verändert.
Grobkörn'ger Hagel, Schnee und trübes Wasser
Fällt rastlos durch die finstre Luft hernieder;
Der Boden stinkt, der solch Gemenge aufnimmt.
Und Cerberus, das Untier sondergleichen,
Bellt aus drei Rachen, so wie Hunde pflegen,
Die Schatten an, die dort am Boden liegen.
Rot ist sein Auge, schwarz der Bart und schmierig,
Der Bauch geschwollen, krallig sind die Hände;
Er kratzt die Geister, schindet und zerfleischt sie.
Der Regen macht sie heulen als wie Hunde;
Oft wenden sich die elenden Verfluchten,
Daß eine Seite Schutz der andern biete.
Als Cerberus uns sah, der große Wurm,
Riß er die Rachen auf, zeigt' uns die Zähne,
Und seiner Glieder keines hielt er stille.
Mein Meister öffnete die beiden Hände,
Griff Erdreich auf, und mit gefüllten Fäusten
Warf er hinein es in die gier'gen Schlünde.
Dem Hunde gleich, der im Heißhunger belfernd,
[31]
Wenn er den Fraß gepackt hat, sich beruhigt,
Und ihn nur zu verschlingen strebt und trachtet,
So wandelten sich die unsaubern Schnauzen
Des Teufels Cerberus, der jene Seelen
So anbellt, daß sie wünschten taub zu sein.
Fort ging es durch die Schatten, die der Regen
Danieder hält; es traten uns're Sohlen
Auf ihre Nichtigkeit, die Wesen scheinet.
Sie lagen hingestreckt am Boden alle;
Nur einer richtete sich eilend auf,
Als er uns sah, wie wir vorübergingen.
Der du geführet wirst durch diese Hölle,
Erkenne mich, sprach er, wenn du's vermagst;
Begann dein Leben doch, eh mein's geendet. –
Ich sagte drauf: Die Qual, die du erduldest,
Entfremdet dich vielleicht so der Erinnerung,
Daß es mich dünkt, ich sah zuvor dich nimmer.
Doch nenne dich, dem solch unsel'ge Stelle
Beschieden ist, und eine Strafe, welche,
Wenn größer nicht, doch ekler ist als alle. –
Drauf sagt' er: Deine Stadt, die so von Neide,
Erfüllt ist, daß der Sack zu bersten droht,
Umfaßte mich dereinst im lichten Leben.
Ihr Stadtgenossen nanntet mich nur Ciacco,
Weil ich ergeben war der Schlemmerei,
Und wie du siehst, zernagt mich itzt der Regen.
Auch bin ich nicht allein hier, so zu trauern;
Nein, alle dulden wir die gleiche Strafe
Aus gleicher Ursach. – Und damit verstummt' er.
Ich sagte drauf: O Ciacco, deine Qual
Rührt mich so sehr, daß ich dem Weinen nah bin;
Doch sage mir, wenn du es weißt, welch' Ende
Der zwiegespalt'nen Bürger Streit nimmt, sage,
Ob einer dort gerecht ist, und warum
Die Stadt von solcher Zwietracht ist befallen. –
Darauf erwidert' er: Nach langem Hader
[32]
Fließt endlich Blut, und die Partei der Fremden
Vertreibt die andre, vielfach sie beschäd'gend.
Dann, eh' drei Jahre schwinden, fällt sie wieder,
Und jene andre trägt den Sieg davon
Durch dessen Hilfe, der jetzt noch laviert.
Hoch wird sie lange Zeit die Stirne tragen,
Und schwere Last auf die besiegte häufen,
Wie groß für diese Scham und Schmerz auch seien.
Gerecht sind zwei; doch unverstanden sind sie.
Die Funken, welche jedes Herz entzündet,
Sind Neid und Geiz mit Hochmut im Vereine. –
Hier endet' er die schmerzensvolle Rede.
Ich aber sprach: Belehre mich noch weiter
Und schenke mir noch mehr von deiner Rede:
Tegghiaio und Farinata, jene Wack'ren
Jacopo Rusticucci, Arrigo, Mosca,
Die andren auch, die recht zu handeln strebten:
Sag' an, wo sind sie? Laß mich sie erkennen;
Denn groß Verlangen heg' ich, zu vernehmen,
Ob Höllengift, ob Himmelssüß' ihr Los ist. –
Und er darauf: Verschiedenart'ge Schuld
Stieß tiefer sie hinab zu schwärz'ren Schatten;
Steigst du so weit hinab, kannst du sie sehen.
Doch, bist du heimgekehrt zur schönen Welt,
So rufe mich den Leuten ins Gedächtnis.
Mehr sag' ich nicht, noch geb' ich weiter Antwort. –
Den graden Blick verdreht' er nun zum Schielen;
Sach mich ein Weilchen an, den Kopf dann senkt' er
Und fiel zu Boden gleich den andren Blinden.
Der Meister sprach: Der steht nicht wieder auf
Bis die Posaun' am letzten Tag' ertönet,
Und die Gewalt erscheint, die ihnen feindlich.
Sein unheilvolles Grab sucht jeder dann,
Sein Fleisch und sein Gebein nimmt er zurück,
Was ewig wiederhallen wird, zu hören. –
Indes durchgingen wir langsamen Schrittes
[33]
Der Schatten und des Regens schmutz'ge Mischung,
Das künft'ge Leben im Gespräch berührend.
Den Meister fragt ich: Werden diese Qualen
Noch wachsen nach dem großen Richterspruch,
Wird Mind'rung folgen, oder gleich sie bleiben? –
Drauf er: Gedenke deiner Wissenschaft,
Die jedem Ding, im Maß als es vollkommner,
Mehr Sinn für Freuden, wie für Schmerzen beimißt.
Ob niemals gleich dies fluchbeladene Volk
Zu wirklicher Vollkommenheit gelangt,
Wird wesenhafter doch nach jenem Tag' es. –
In weitem Bogen gingen wir die Straße,
Besprechend manches, das ich nicht berichte.
Und angelanget, wo der Weg hinabführt,
Erblickten Pluto wir, den großen Feind.
Siebenter Gesang
Pape, Satan, Pape Satan, Aleppe! –
So hub mit rauher Stimme Pluto an;
Doch, alles wohlerkennend, sprach der Weise
Mir gütig zu: Laß nimmer dich von Furcht
Beirren; denn, wie groß auch seine Macht sei,
Wird sie des Felsens Abstieg dir nicht rauben. –
Dann wandt' er sich zu dem geduns'nen Antlitz
Und sagte: Schweig vermaledeiter Wolf!
Verzehre deine Wut im eignen Herzen.
Nicht Willkür heißt zur Nacht uns niedersteigen;
Dort oben will man es, wo Michael
Des Hochmuts Hurerei zu rächen wußte. –
Wie Segel, aufgebläht vom günstigen Winde,
Zusammenfallen, wenn der Mast zerbricht,
So fiel zu Boden dieses grimme Untier.
Wir aber gingen ein zur vierten Lache,
Das Ufer voller Schmerz noch mehr umkreisend,
[34]
Das alles Weh der Welt in sich begreift.
O göttliche Gerechtigkeit, wer häufte
Die Strafen all, die Qual auf, die ich sah?
Warum schafft unsre Schuld uns solche Leiden?
Wie dort an der Charybdis eine Welle
Sich an der andern bricht, auf die sie stößt,
So wirbelten die Schatten hier zusammen.
Des Volkes mehr als anderwärts noch sah ich,
Das, mit der Brust sich gegenstemmend, Lasten
Von beiden Seiten wälzte mit Geheule.
Sie stießen aufeinander, und dann wandte
Zur Stelle jeder sich und wälzte rückwärts
»Was hältst du fest?« »Was wirfst du von dir?« rufend.
So kehrten zum entgegenstehenden Punkte
Im dunklen Kreis' allseitig sie zurück,
Das Lied des Hohns sich unablässig singend.
Und wer durchmessen seinen Halbkreis, drehte
Zu neuem Aufeinanderstoß sich um.
Ich, dessen Herz von Mitleid fast durchbohrt war,
Begann: O Meister jetzt verkünde mir,
Wer diese sind, und ob die Tonsurierten
Zu unsrer Linken alle geistlich waren? –
Drauf er: Im ersten Leben waren alle
So geistig blind, daß sie nichts ausgegeben,
Wobei das rechte Maß sie eingehalten.
Ihr eigner Ruf gibt dessen bellend Kunde,
Wenn, wo der Schuld Verschiedenheit sie trennt,
Sie an des Kreises Enden sich begegnen.
Die, deren Wirbel unbehaart ist, waren
Geistlichen Standes, Päbst' und Kardinäle,
In denen Geiz sein höchstes Maß erreichet. –
Und ich: O Meister, unter diesen Schatten
Vermut ich mehrere, die mir bekannt sind,
Weil sie mit solcher Sünde sich beschmutzten. –
Der Meister aber sprach: Dein Wahn ist irrig.
Das einsichtslose Leben, das sie führten,
[35]
Verdunkelt sie für jegliches Erkennen.
Zum Doppelanprall kommen sie auf ewig.
Geschornen Haupts erstehn noch aus dem Grabe
Die einen, mit geschlossener Faust die andern.
Verkehrtes Geben oder Halten raubte
Den Himmel ihnen, treibt zu diesem Kampf sie,
Den dir zu schildern ich die Worte spare.
Erkennen kannst du nun den kurzen Wahn
Der Güter, die dem Glück sind übergeben
Und die zu so viel Streit die Welt entflammen.
Denn alles Gold, das jetzt sich unterm Monde
Befindet, oder je befand, vermöchte
Nicht eine dieser Seelen zu befried'gen –
Drauf sagt' ich, Meister, offenbare mir
Was jenes Glück ist, dessen du gedachtest,
In dessen Klau'n die Erdengüter sind? –
Und er zu mir: O törichte Geschöpfe,
Wie schwer umnachtet euch Unwissenheit.
Nimm achtsam in dich auf nun meine Lehre!
Er, dessen Wissen alles übersteiget,
Erschuf die Himmel, gab jedwedem Lenker,
So daß in gleichbemess'ner Lichtverteilung
Ein jeder jeden andern Teil bestrahlet.
So auch zur allgemeinen Lenkerin
Der Erdengüter ordnet' er Fortuna,
Die jenen eitlen Glanz zur rechten Stunde
Von Volk zu Volk, von Stamm zu Stamm vertausche,
Entrückt der Gegenwehr von Menschenklugheit.
Nach ihrem Urteilsspruch, der sich verborgen,
So wie die Schlang' im Grase hält, geschieht es,
Daß ein Geschlecht regiert, ein andres kranket.
Machtlos ist gegen sie eu'r ganzen Wissen;
Sie überlegt, beschließet und vollstreckt
In ihrem Reiche so wie andre Götter.
Nicht Rast, nicht Ruhe kennt ihr ewger Wandel;
Notwendigkeit beflügelt ihre Schritte,
[36] So oft geschieht's daß die Geschicke wechseln.
An's Kreuz geschlagen wird sie von gar vielen
Auch unter denen, welche Preis ihr schulden
Und sie mit Unrecht tadeln und verläumden;
Doch unberührt bleibt sie von solcher Rede
Mit andern erstgeschaffnen Wesen lenket
Sie freudig ihre Sphär' in Seligkeit.
Laß nun zu größrer Qual uns niedersteigen
Schon senkt sich jeder Stern, der als ich aufbrach
Emporstieg, längres Weilen ist nicht statthaft. –
Das Tal zum andern Ufer hin durchschneidend
Gelangten wir zu einem Quell, der siedet
Und niederwärts durch einen Graben abfließt.
Es war sein Wasser schwarz mehr als nur dunkel
Und im Geleite seiner finstren Wellen
Führt' uns ein Pfad hinab, der rauh und seltsam.
Styx heißt der Sumpf, den dieser traur'ge Bach
Am Fuß der unheilvollen Felsen bildet,
Von deren grauer Wand er in das Tal fließt.
Und ich, der sorglich umzuschaun bemüht war,
Sah schlammbedeckte Leut' in jenem Sumpfe
Ganz nackend und mit zornerregten Zügen.
Nicht nur mit Händen schlugen sie einander,
Sie stießen sich mit Kopf und Brust und Füßen,
Zerfleischten sich durch Bisse gegenseitig.
Mein Meister aber sagte: Sohn hier siehst du
Die Seelen derer, die der Zorn bezwungen.
Doch mögest du als gleich gewiß mir glauben,
Daß andres Volk noch unterm Wasser seufzet
Und diesen Sumpf die Blasen werfen läßt,
Die dir dein Auge zeigt wohin du's wendest.
Im Schlamme steckend sagen sie: Wir waren
Unmutig in der süßen lichten Luft,
Weil unser Herz des Trübsinns Qualm benommen;
Jetzt trauern wir mit Recht im schwarzen Moore. –
Doch gurgeln sie dies Lied nur in der Kehle,
[37]
Weil sie's voll auszusprechen nicht vermögen. –
Damit umkreisten wir im weiten Bogen
Die schmutz'ge Lache zwischen Mitt' und Ufer,
Die Augen zugewandt den Schlammverschluckern;
Dann kamen wir zu eines Turmes Fuße.
Achter Gesang
Fortfahrend sag' ich, daß schon eine Weile
Eh wir zum Fuß des hohen Turms gelangten,
Zu seiner Höh' sich unser Auge wandte;
Denn aufgesteckt war dort ein Fackelpaar,
Und eine dritt' erwiderte das Zeichen,
So fern, daß sie das Auge kaum gewahr ward.
Ich sprach, gewandt zum Meer jedweder Weisheit,
Was will dies Feuer sagen, was entgegnet
Das andre, und wer sind, die sie entzündet? –
Er sagte: Schon kann auf den schmutzgen Wellen,
Was zu erwarten steht, dein Blick gewahren,
Wenn dich der Nebel nicht am Sehn verhindert. –
Nie schnellte einen Pfeil des Bogens Sehne,
Der so geschwind die Luft durchschnitten hätte,
Als über's Wasser her im Augenblick
Ein Schifflein ich auf uns zukommen sah,
Geleitet nur von einem einz'gen Fährmann.
Der schrie: Bist du nun da, verworfne Seelen? –
O Phlegyas, entgegnete mein Meister,
Vergeblich ist für diesmal dein Geschrei;
Zur Überfahrt nur sollst du uns besitzen. –
Wie wer vernimmt von schmählichem Betruge,
Der ihm gespielt ward und darob ergrimmet,
So ward, verbissnen Zornes, Phlegyas
Mein Führer stieg hernieder in den Nachen,
Und, da ich dann auf sein Geheiß ihm folgte,
Schien als ich eintrat, erst der Kahn beladen.
[38]
Als beide wir uns nun im Schiff befanden,
Durchschnitt auf seiner Fahrt der alte Kiel
Mehr Wasser, als er tut, trägt er nur Schatten.
Und während wir den toten Moor befuhren,
Taucht' einer vor uns auf, den Schlamm bedeckte:
Wer bist du, rufend, der du vor der Zeit kommst? –
Ich sagte: Kam ich, ist's nicht um zu bleiben,
Doch wer bist du, daß du so ganz besudelt? –
Drauf er: Das siehst du: einer der da weinet. –
Ich aber sprach: In Weinen und in Trauer
Verbleibe denn, du fluchbeladner Schatten!
Wohl kenn' ich dich, wenn du auch ganz beschmutzt bist. –
Da griff er nach dem Kahn mit beiden Händen;
Doch eilig stieß der Meister ihn zurück
Und sagte: Pack' dich mit den andern Hunden! –
Mir aber schlang er um den Hals die Arme.
Mein Antlitz küssend sprach er: Eiferseele,
Gesegnet sei der Schoß der dich getragen!
Ein Mensch voll Hochmut war im Leben jener;
Nicht eine Tugend schmückt sein Angedenken,
Drum ist sein Schatten hier von Wut entbrannt.
Wie viele dünken Könige sich jetzt,
Und werden Säuen gleich im Kot hier stecken,
Dort aber Schande nur und Schmach verlassen. –
Ich sagte: Meister wohl wär ich begierig
Zu seh'n, wie man ihn taucht in diese Brühe
Bevor wir hinter uns den See gelassen. –
Und er zu mir: Noch eh' die andre Küste
Sich dir gezeigt, wirst du befriedigt werden.
Die Lust, die du begehrst, sollst du genießen. –
Nicht lange drauf ward von den Schlammbedeckten
Vor meinen Augen jener so geschüttelt,
Daß, dankend, Gott darum noch heut' ich preise.
Sie alle schrie'n: Es gilt Philipp Argenti! –
Und der ergrimmte Florentiner Schatten
Zerfleischte sich mit seinen eigenen Zähnen.
[39]
Wir ließen ihn. Nicht mehr von ihm erzähl ich;
Denn meine Ohren traf ein Schmerzenslaut,
Weshalb ich angestrengt nach vorne blicke.
Der gute Führer sagte: Sohn, es nahet
Bereits die Stadt sich, welche Dis genannt wird,
Voll schwerer Bürger und voll großer Scharen. –
Ich sagte: Meister, ihre Minarette
Erblick' ich wahrlich schon im Tale drunten,
Rotschimmernd als ob Feuer sie durchglühte. –
Darauf entgegnet er: Die ew'gen Flammen,
Darin sie brennen, färben sie so rot,
Wie du gewahrst in dieser niedern Hölle. –
Wir fuhren in die tiefen Gräben ein,
Die die verzweiflungsvolle Stadt umgeben;
Die Mauern schienen mir von festem Eisen.
Indes nach langem Umweg erst gelangten
An einen Ort wir, wo mit lauter Stimme
Der Fährmann rief: Steigt aus, hier ist der Eingang! –
Ich sah wohl tausend, welche einst vom Himmel
Geregnet, bei dem Tor, die zornig sagten:
Wer ist der eine denn, der ohne Tod
Das Reich des toten Volkes so durchwandert? –
Vorsorglich gab mein Führer zu erkennen,
Daß er geheim mit ihnen reden wollte.
Da dämpften sie den wilden Zorn ein wenig
Und sagten: Komm allein. Umkehre dann
Der so verwegen eindrang in dies Reich.
Allein geh' er den tör'gen Weg zurücke,
Wenn er ihn finden kann. Du aber bleibe,
Der durch so dunkles Land ihn hergeleitet. –
Nun denk' dir, Leser, ob ich ward entmutigt
Beim Tone der vermaledeiten Worte;
Gewiß, ich dachte nimmer heimzukehren.
O teurer Führer, der du siebenmal
Und öfter Sicherheit zurück mir gabest,
Und mich aus dringender Gefahr befreitest,
[40]
Verlaß mich nicht in solchen Nöten, sagt' ich;
Ist uns das Weitergehn verwehrt, so laß uns
Gemeinsam rückwärts unsren Pfad durchmessen. –
Mein Meister, der bis dorthin mich geführt
Erwiderte: Sei furchtlos, unsre Reise
Kann niemand hemmen, solche Bürgschaft hat sie.
Nun aber bleibe hier, und speis' und stärke
Den müden Geist mit Hoffnung und Vertrauen,
Daß in der untern Welt ich dich nicht lasse. –
Also verläßt mich, also geht von dannen
Der süße Vater, und zurück in Sorgen
Bleib' ich, weil ja und nein im Haupt mir streiten.
Was er zu ihnen sprach kann ich nicht sagen;
Doch lange hatt' er nicht geweilt mit ihnen,
Als um die Wett' in's Tor ein jeder eilte.
Die Pforte schlossen unsre Widersacher
Vor meinem Herrn, dem sie den Einlaß wehrten
Und der die Schritte zögernd zu mir wandte.
Die Augen senkt' er nieder, von den Brauen
Schien jeder Mut geschwunden, und mit Seufzen
Sagt er: Wer wehrte mir des Schmerzes Wohnstatt? –
Drauf wandt' er sich zu mir: Erzürn' ich gleich,
So fürchte deshalb nicht, denn siegen werd' ich,
Was man zur Abwehr drinnen auch versuche.
Nicht neu ist solche Frechheit mir an ihnen;
An weniger geheimem Tor, das seitdem
Verschlußlos blieb, bewährten sie sie schon.
Auf ihm gewahrtest du die tote Inschrift.
Diesseits von ihm steigt schon den Abhang nieder,
Durchschneidend ohne Führer all die Kreise,
Der, dessen Macht uns wird die Pforte öffnen. –
[41] Neunter Gesang
Es trieb die Blässe, mit der Furcht mich malte,
Die neu entstanden, schleuniger zurück.
Als ich des Führers Umkehr sah, die seine,
Aufmerkend stand er gleich dem Mann der horchet;
Denn durch die düstre Luft, den dichten Nebel
Vermochte nicht das Aug' ihn weit zu tragen.
Wohl müssen wir in diesem Kampfe siegen,
Sagt' er. Wo nicht; – doch, der's versprach, wird helfen!
Wie lange däucht es mir, bis Hilfe eintrifft. –
Ich merkte wohl, wie er der Rede Anfang
Durch das verdeckte, was noch hinterdrein kam;
Denn Worte waren's jenen widersprechend.
Trotzdem erschreckte mich was er gesprochen;
Vielleicht weil ich die abgebroch'ne Rede
In schlimm'rem Sinn verstand als er sie meinte.
Stieg wohl zu diesem Grund der traur'gen Schale
Jemals ein Schatten von der ersten Stufe,
Die keine Strafe kennt als Hoffnungsmangel? –
So frug ich, und er sagte drauf: Nur selten
Geschieht es, daß aus unsrer Mitte einer
Den Weg zurücklegt, welchen ich jetzt wandle.
Doch ist es wahr, daß ich schon einmal hier war,
Beschworen von der grimmigen Erichtho,
Die zu den Leibern ihre Seelen heimrief,
Seit kurzem war mein Fleisch von mir entkleidet,
Als sie mich eingehn hieß in diese Mauer,
Um einen Geist aus Judas' Kreis zu holen.
Der dunkelste, der tiefste Ort ist das,
Der fernste von dem äußersten der Himmel;
Der Weg ist mir bekannt, darum sei ruhig.
Der argen Stank ausatmende Morast
Umgürtet rings die Stadt der bittern Schmerzen,
In die wir friedlich Eingang nicht mehr finden. –
Noch andres sagt' er, doch mir ist's entfallen;
[42]
Denn schon war zu des Turmes glühndem Gipfel
Ich durch mein Auge mächtig hingerissen.
Drei Höllenfurien, ganz von Blut gerötet,
Sah ich mit einem Mal dort aufrecht stehn,
Die an Gebärd' und Gliedern Weiber schienen.
Gegürtet waren sie mit grünen Schlangen,
Blindschleichen bildeten ihr Haar und Ottern,
Und wanden rings sich um die grausen Schläfe.
Er aber sagte, weil bekannt ihm waren
Der Königin der Tränen Dienerinnen:
Blick hin, das sind die gräßlichen Erynnen!
Die dort zur linken Seite ist Megaera,
Zur Rechten weint Alekto. In der Mitte
Siehst du Tisiphone – und damit schwieg er.
Die Brust zerriß sich mit den Nägeln jede,
Mit Fäusten sich einander schlagend, schrien
So laut sie, daß ich scheu zum Meister floh.
Medusen bringt herbei, ihn zu versteinen!
So sprachen alle, auf mich niederblickend,
Wir rächten zu gelind des Theseus Anfall. –
Schnell wende dich und schließe fest die Augen!
Denn, zeigen sie Gorgonen und du siehst sie,
So kehrst du nie zur Oberwelt zurücke. –
So sprach mein Meister, und er selber wandte
Mich rückwärts. Drauf, mißtrauend meinen Händen,
Schloß mit den seinen auch er mir die Augen.
Ihr die gesund euch das Verständnis wahrtet,
Erwägt die Lehre wohl, die mit dem Schleier
Der Verse sich verhüllt, die seltsam lauten!
Schon aber kam daher die schmutz'gen Wellen
Entsetzenvollen Tones fernes Dröhnen,
Davon die Ufer beiderseits erbebten.
Dem Winde glich es, welcher, ungestüm
Geworden durch den Kampf von Hitz' und Kälte,
Sich auf den Wald mit schrankenloser Wut stürzt,
Die Zweige bricht, hinaus die Blüten schleudert.
[43]
Staubwirbelnd schreitet er, jagt übermütig
Die Herde wie die Hirten in die Flucht.
Die Augen löst' er mir und sprach: Nun richte
Den Nerv des Sehens längs dem alten Schaume
Dorthin, wo dieses Sumpfes Qualm am dicksten. –
Wie vor der Wasserschlange, ihrer Feindin,
Die Frösche alle durch die Flut entschlüpfen,
Bis auf den Boden jeder sich geduckt hat,
So sah ich Tausende verlorener Seelen
Vor einem fliehen, der den Übergang
Des Styx bewirkte, nicht die Sohlen netzend.
Die dicke Luft von seinem Antlitz scheuchend,
Bewegt' er vor sich her oftmals die Linke,
Und nur von dieser Pein schien er beklommen.
Ich spürte wohl, er sei des Himmels Bote;
Mein Meister aber winkte noch ausdrücklich,
Daß ich in Schweigen mich vor ihm verneige.
Wie schien er so erfüllt mir von Entrüstung!
Das Tor berührt er kaum mit seiner Gerte,
So sprang es auf trotz alles Widerstrebens.
Vom Himmel ausgestoßenes schnödes Volk,
Begann er auf der grauenvollen Schwelle,
Was unterfangt ihr euch so kecker Frechheit?
Wie wagt dem Willen ihr zu widerstreben,
Der niemals unerreicht sein Ziel gelassen,
Und öfters eure Qualen schon gemehrt hat?
Was hilft es dem Geschick zu widerstreben?
Eu'r Cerberus trägt, wenn Ihr Euch entsinnet,
Geschunden noch davon so Kinn als Kehle. –
Dann wandt' er sich zurück die schmutz'ge Straße;
Zu uns sprach er kein Wort und tat wie einer,
Den andre Sorg' in Anspruch nimmt und quälet,
Als die des Mannes, der ihm gegenwärtig.
Der Stadt zu wandten wir nunmehr die Füße
Voll Zuversicht auf Grund der heiligen Worte,
Und Eintritt ward uns ohne weitern Kampf.
[44]
Ich aber, der gespannt war zu erkunden
Die Eigenheit des Orts der so befestigt,
Entsandte, wie ich eintrat, rings die Blicke,
Und sah nach jeder Richtung weite Fläche
Von Schmerzen angefüllt und arger Qual.
Wie wo die Rhone sich bei Arles aufstaut,
Und wie bei Pola nahe dem Quarnaro,
Der Wälschland schließt und seine Grenzen netzet,
Der Grund uneben ist von lauter Gräbern,
So war er's hier auch nach jedweder Seite!
Nur war der Gräber Art um vieles bittrer,
Denn Flammen brannten zwischen Grab und Grab,
Und hielten sie in so gewalt'ger Glut,
Daß größre keine Schmiedekunst erfordert.
Die Decke war von jedem aufgehoben
Und innenher erklang so bittre Klage,
Daß Zeugnis sie von schweren Martern gab.
Und ich: O Meister, wer sind diese Schatten,
Die in den Grüften hier begraben scheinen
Und sich in Seufzern so vernehmen lassen? –
Drauf Er: Hier sind der Ketzereien Stifter,
Mit seinem Anhang von Sektierern jeder;
Viel voller als du denkst sind all die Gräber.
Mit gleichem ist der gleiche hier begraben
Und mehr und minder glühend sind die Särge. –
Als er darauf zur Rechten sich gewendet
Führt unser Weg uns zwischen Qual und Zinnen.
Zehnter Gesang
So geht mein Meister auf geheimem Pfade,
Der zwischen Martern sich und Mauer hinzieht,
Und wandelnd folg' ich hinter seinen Schultern.
Erhabne Kraft, die durch die sünd'gen Kreise
Wie dir's beliebt mich wendet, so begann ich,
Steh Rede und gib Antwort meinen Fragen.
[45]
Könnt' ich das Volk nicht sehn, das in den Gräbern
Hier liegt? Sind doch die Deckel all gehoben
Und niemand ist zu sehn, der Wache hielte? –
Geschlossen werden, sprach er, all die Gräber,
Wenn heimgekehrt sie sind von Josaphat
Mit ihren Leibern, die sie droben ließen.
Nach dieser Seite hin streckt sich der Kirchhof
Des Epikur und der ihm Gleichgesinnten,
Die mit dem Leib die Seele sterben lassen.
Drum soll Genüge dir alsbald hier werden,
Nicht auf die Frage nur, die du getan hast,
Nein auf die andere auch, die du verschwiegen. –
Da sprach ich: Guter Herr, sag' ich nicht alles,
So tu' ich's nur, um nicht zu viel zu reden,
Und öfter schon hast du mir so geraten. –
Toscaner, der du durch die Stadt des Feuers
Lebendig wandelst, so verständig redend,
Gefalle dir's, ein wenig hier zu weilen.
Mir offenbar macht deine Sprache dich
Als in dem edlen Vaterland geboren,
Dem ich vielleicht zu viel Beschwerde brachte. –
So tönte plötzlich aus der Gräber einem
Zu mir empor vernehmbar eine Stimme,
Weshalb ich furchtsam mich dem Führer nahte.
Er aber sagte: Wende dich, was tust du?
Sieh' Farinata dort, der sich erhoben;
Vom Gürtel aufwärts wirst du ganz ihn sehn. –
Schon hatt' ich meine Blick' auf ihn gewendet,
Und er erhob mit Stirne sich und Brust,
Als achtet' er gering die ganze Hölle.
Da drängten meines Führers kräftige Hände
Mich zwischen all den Grüften zu ihm hin,
Wobei er sprach: Gezählt sei'n deine Worte. –
Als ich gelangt zu seines Grabes Fuße,
Schaut er mich etwas an und fast verächtlich
Frug er mich drauf: Wer waren deine Ahnen? –
[46]
Ich aber, der bereit war zu gehorchen,
Verbarg ihm nichts und offenbart' ihm alles,
Worauf die Wimper er ein wenig aufschlug.
Dann sagt' er: Feindlich waren sie zuwider
So mir als meinen Stamm und der Partei,
So daß im Kampf ich zweimal sie zerstreute. –
Und wurden sie verjagt, so sind allseitig
Das ein' und andre Mal sie heimgekehrt;
Schlecht lernten aber diese Kunst die euren. –
Da richtete längs jenem ersten Schatten
Ein zweiter, sichtbar bis zum Kinn, sich auf:
Ich glaub' er hatte knieend sich erhoben.
Er blickte um mich, als ob er verlangte
Zu wissen, ob nicht sonst wer mich begleite.
Als aber sein Vermuten ganz erloschen,
Begann er weinend: Gibt des Geistes Hoheit
Dir Recht, durch diese Kerkernacht zu wandeln,
Wo ist mein Sohn dann, und warum nicht mit dir? –
Ich sagte drauf: Nicht von mir selber komm' ich;
Mich leitet jener, der dort auf mich wartet,
Den zu gering vielleicht eu'r Guido hielt. –
Verkündet hatten schon die Art der Strafe
Und seine Worte mir des Schattens Namen,
Darum war meine Antwort so erschöpfend.
Da schnellt' er plötzlich in die Höh' und rief:
Du sagst, er hielt; so lebt er denn nicht mehr,
Verschloß sein Auge sich dem süßen Lichte? –
Und als er sah, daß ich ein wenig zaudre,
Eh' ich ihm Antwort gab auf seine Frage,
Stürzt' er zurück und ward nicht mehr gesehen.
Doch der hochherz'ge andr', auf dessen Bitte
Ich stehn geblieben war, verzog die Miene
So wenig, wie er Hals und Hüfte wandte.
Und wenn, fuhr in der vor'gen Red' er fort,
Wenn schlecht die meinen jene Kunst erlernten,
Ist größre Qual mir das als dieses Bette.
[47]
Doch fünfzig Male nicht wird neu entzündet
Der Herrin Antlitz, welche hier regieret,
So hast, wie schwer die Kunst sei, du erfahren.
Und, willst zur schönen Welt du jemals kehren,
So sprich, warum in jeglichem Gesetze
So grausam mit den Meinen jenes Volk ist? –
Die Niederlage, sagt' ich und das Unheil,
Die rot von Blut der Arbia Wasser färbten,
Sind solcher Predigt Grund in unsrem Tempel. –
Als seufzend er darauf das Haupt geschüttelt,
Sagt' er: Da war ich nicht allein und sicher
Hätt' ich ohn Ursach nicht dabei geholfen.
Doch da war ich allein, als alle riefen,
Vertilgt vom Boden müsse Florenz werden,
Der es mit offenem Visier verteidigt. –
Soll jemals eu'r Geschlecht zur Ruhe kommen,
Beschwor ich ihn, so löset mir den Knoten,
In den sich mein Verständnis hier verwickelt.
Vernehm' ich recht, so scheint es, ihr gewahret
Im voraus, was die Zeit erst mit sich bringet;
Doch für die Gegenwart verhält sich's anders. –
Wir sehn gleich einem, dessen Auge schwach ist,
Erwidert' er, die Dinge die uns fern sind;
So viel vergönnt uns noch der höchste Herrscher.
Doch nahn sie, oder sind sie schon, so können
Wir sie nicht sehn, und von dem Loos der Menschen
Erfahren wir nur, was uns andre melden.
Begreifen kannst du nun, daß alles Wissen
Für uns erlöschen muß mit jenem Tage,
An dem der Zukunft Tor sich ewig zuschließt. –
Da sprach ich, wie von meiner Schuld betroffen:
Nun saget jenem, der dort niederfiel,
Daß bei den Lebenden sein Sohn noch weilet.
Wenn statt der Antwort ich vorhin verstummte,
So sagt ihm, es geschah, weil ich dem Irrtum
Schon nachsann, welchen ihr vorhin mir lös'tet. –
[48]
Schon aber rief zurücke mich der Meister,
Weshalb den Schatten ich in Eile bat,
Mir noch zu sagen, wer mit ihm dort weile.
Ich liege hier mit mehr als tausend, sagt' er;
Dort innen ist der zweite Friederich,
Sodann der Kardinal, von andern schweig' ich. –
Drauf barg er in der Gruft sich und ich wandte
Zum alten Dichter meine Schritt', erwägend
Was feindlich mir in jener Rede schien.
Mein Führer ging voran und, wie wir gingen,
Sagt' er zu mir: Was bist du so betreten? –
Ich aber gab auf seine Frage Auskunft.
Es wahre dein Gedächtnis, was du hörtest
Daß dich bedrohe, – so gebot der Weise,
Und sprach, den Finger hebend: Nun merk' auf:
Stehst du einst vor dem süßen Strahle jener,
Die alles sieht mit ihrem schönen Auge,
So hörst von ihr du deinen Lebensweg. –
Dann wandt' er seinen Fuß zur linken Seite;
Fort von der Mauer gingen wir der Mitte
Auf einem Pfade zu, der nach dem Tale
Hinführet, dessen Stank die Luft schon einnimmt.
Elfter Gesang
An eines hohen Ufers letztem Rande,
Gelangten wir zu schlimmerem Gedränge.
Den Felsen, die im Kreis gebrochen, bilden,
Wir aber zogen vor dem Übermaße
Des schrecklichen Gestankes, der vom Abgrund
Emporqualmt, hinter eines hohen Grabes
Steindecke uns zurück, auf der ich las
Die Inschrift: Anastas, den Papst bewahr' ich,
Den ab vom rechten Wege zog Photin. –
Nur zögernd wollen wir jetzt niedersteigen,
Daß etwas sich zuvor der Sinn gewöhne
[49]
An den Gestank und er nachher nicht hindre. –
So sprach der Meister, und ich sagt': Ersinne
Was uns die Zeit, die wir hier weilen, ausfüllt. –
Er aber: Du wirst sehn, daß ich's bedachte.
Mein Sohn, im Innern dieses Felsgeklüftes,
Begann er, sind drei Kreislein, die gleich denen,
Die du verläßt, sich stufenweise folgen.
Von fluchbeladenen Geistern sind sie alle
Erfüllt, und daß dir bloßes Sehn genüge,
Vernimm, wie und warum sie eingepfercht sind.
Jedweder Bosheit Ziel, die Haß im Himmel
Erwirbt, ist Unrecht, und zu diesem Ziele
Gelangt durch Trug sie oder durch Gewalt.
Doch weil Betrug dem Menschen eigne Sünd' ist,
Mißfällt er Gott mehr, darum weilen tiefer
Und leiden größre Qualen die Betrüger.
Im ersten Kreis sind, die Gewalttat übten;
Doch weil Gewalt sich gegen drei läßt richten,
Ist weiter eingeteilt er in drei Ringe.
Man kann sich selbst, dem Nächsten, oder Gott
Gewalt antun, so ihnen als dem Ihren,
Wie du noch hören und begreifen wirst.
Durch Mord und arge Wunden tut dem Nächsten
Gewalt man an, und dem was ihm gehöret
Durch Raub und Brand und bösliche Zerstörung.
Drum quält der erste Ring, mehrfach gegliedert,
Totschläger und die freventlich mißhandeln,
Mordbrenner, Räuber und Landschädiger.
Gewalttat übt an sich und an dem Gute
Das er besitzt der Mensch. Im zweiten Ring
Ist denen drum fruchtlose Reu beschieden,
Die sich des Sein's in eurer Welt berauben,
Die ihr Vermögen mutwillig vergeuden,
Und die, statt froh zu sein, trübsinnig weinen.
Es richtet gegen Gott, der die Gewalt,
Der ihn im Herzen leugnet oder lästert,
[50]
Und die Natur und was sie schenkt verachtet.
Darum beschließt der engste der drei Ringe
Mit seinem Siegel Sodom sowie Cahors
Und die böswillig Gott verachtend reden.
Trug, welchen jegliches Gewissen anklagt,
Kann gegen den man üben, der uns trauet,
Und gegen den, der kein Vertraun beherbergt.
Die letztgenannte Weise tötet nur
Das Liebesband, das die Natur geschaffen;
Drum nisten in dem zweiten dieser Kreise
Die Kuppler, Schmeichler und die Amtsverkäufer,
Die Fälscher, die Bestechlichen und Heuchler
Nebst Dieben und mehr ähnlichem Gezüchte.
Die andre Art verletzet mit der Liebe,
Die von Natur ist, die hinzugekommne,
Auf die sich das besondre Zutraun gründet.
Darum verzehrt im engsten Kreise, wo
Des Weltalls Punkt ist, auf dem Dis beruht,
Sich wer verraten hat in Ewigkeit. –
Drauf sprach ich, Meister, deine Rede schreitet
Zwar deutlich vor und unterscheidet gut
Den Schlund hier und das Volk, das ihn bewohnet.
Doch sage mir, die von dem fetten Sumpfe,
Die, die der Wind treibt, und der Regen geißelt,
Und die mit herbem Scheltwort sich begegnen,
Wenn unter Gottes Zorn sie stehn, warum
Sind in der roten Stadt sie nicht gestrafet?
Und tun sie's nicht, warum sind sie gepeinigt? –
Und er entgegnete: Was irrt so ferne
Dein Geist von dem ab, was er sonst zu sein pflegt,
Falls dein Gedanke nicht wo anders hinschaut?
Gedenkst du nicht der Worte deiner Ethik,
Mit denen sie die dreierlei Gesinnung
Behandelt, die zuwider Gottes Willen:
Maßlosigkeit und Bosheit und die wilde
Vertiertheit, und wie von den drei'n die erste
[51]
Gott minder kränkt und weniger bestraft wird?
Betrachtest du gehörig diesen Grundsatz,
Erinnerst du dich auch, wer jene sind,
Die außerhalb der Stadt dort Strafe leiden,
So siehst du ein, warum von diesen Argen
Getrennt sie sind, warum mit mindrem Zorne
Die göttliche Gerechtigkeit sie geißelt. –
O Sonne, die umtrübten Blick du heilest,
So sehr erfreuet stets mich deine Lösung,
Daß Wissen mir nicht lieber ist als Zweifeln.
Ich bitte, sprach ich, wende die Gedanken
Zurück und lehre mich, warum der Wucher
Die Güte Gottes, wie du sagst, verletzet? –
Philosophie belehret den, der aufmerkt,
So sagt' er drauf, an mehr als einer Stelle,
Daß die Natur die Bahnen, die sie einschlägt,
Aus Gottes Geist entnimmt und seiner Kunst.
Erwägst du dann das Buch von der Physik,
So findest du nach nicht gar vielen Blättern,
Daß eure Kunst, soweit sie kann, der letzten
So wie der Schüler seinem Meister, nachfolgt
Und sozusagen Gottes Enklin ist.
Aus diesen beiden, wie die Genesis
Dir bald im Anfang sagt, soll Unterhalt
Die Menschheit nehmen und sich vorwärts helfen.
Weil nun der Wuchrer andre Bahnen einschlägt,
Verachtet er in sich und ihrer Tochter
Natur; denn andershin zielt seine Hoffnung.
Nun aber komm, weil mir beliebt zu gehen.
Die Fische blinken schon am Horizonte
Und gen Nordwest senkt sich der ganze Wagen;
Der Absturz aber fällt dort jenseits ab. –
[52] Zwölfter Gesang
Es war der Ort, wo zu des Ufers Abstieg
Wir kamen, felsig und was dort zu schaun war
Von solcher Art, daß jedem Blick drob grauste.
Wie jener Felssturz ist, der diesseits Trento
Durch Erderschütt'rung oder Stützungsmangel
Die Etsch in ihre linke Flanke traf,
So daß vom Gipfel her, von dem er ausging,
Hinab zur Ebne das Geklüft so wild ist,
Daß es ein Niederklettern kaum gestattet,
So war hier des Gesteines jäher Abfall,
Und auf der Fläche abgebrochener Kante
Lag ausgestreckt die ewge Schmach von Kreta,
Die in der falschen Kuh empfangen ward.
Als dieser uns gewahr ward, biß er sich
Gleich einem, der im Zorn entbrannt ist, selber.
Mein Meister aber rief ihn an: Vermeinst du
Vielleicht, der Herzog von Athen sei hier,
Der in der Welt dort oben dir den Tod gab?
Fort, Untier, packe dich, den ich begleite
Kommt nicht von deiner Schwester unterwiesen;
Er geht, um eure Strafen zu betrachten. –
Gleichwie der Stier, der sich im Augenblicke
Wo er den Todesstreich empfangen, losreißt,
Des Gehns unfähig hin und wieder taumelt,
So sah ich Minotaurus sich gebahren.
Da rief mein Führer: Eile schnell vorüber,
Ratsam ist, daß du absteigst, weil er wütet. –
Also begannen nieder wir zu steigen
Auf jenen Trümmersteinen, die sich häufig
Von meiner Füße neuer Last bewegten.
Nachdenkend ging ich; jener aber sagte:
Denkst du dem Absturz nach, der überwacht wird
Von jenem Untier, das ich jetzt gebändigt?
[53]
So wisse denn, daß, als zum ersten Male
Ich niederstieg in diese untre Hölle,
Die Felsenwand noch nicht herabgestürzt war.
Doch, irr ich nicht, so war es kurz vorher,
Eh' jener eintraf, der die große Beute
Dem obersten der Höllenkreise raubte,
Als dieses Tal des Stank's von allen Seiten
So sehr erbebte, daß das all auf's neu' ich
Entbrannt von Liebe wähnte, die zum Chaos,
Wie mancher glaubt, die Welt mehrmals gewandelt.
In dem Moment fiel dieser alte Felsen
So hier wie auch noch anderwärts zusammen.
Nun aber wende deinen Blick zu Tale;
Schon naht der Blutstrom sich, in welchem
Gesotten wird, wer durch Gewalttat schadet. –
O blinde Gier, o wahnbetörter Zorn,
Die uns zur Sünd' im kurzen Leben treiben
Und ewiglich zu solcher Qual uns tauchen!
Ein breiter Graben bot sich meinen Blicken,
Der, wie der Meister mir zuvor verkündet,
Im Bogen jenen Talgrund ganz umwand.
Und zwischen Fluß und Felsenabsturz liefen
Zentauren, pfeilbewaffnet, hin und wieder,
Wie sie in unsrer Welt beim Jagen pflegten.
Doch alle hielten an, als sie uns sahen,
Und dreie sonderten sich von den andern,
Nachdem sie Bogen sich und Pfeil' erkoren.
Der eine rief von fern: Die ihr den Felsen
Herniedersteigt, zu welcher Marter kommt ihr?
Sagt ihr's nicht gleich, so drück' ich los den Bogen. –
Mein Meister aber sprach: Die Antwort werden,
Sobald wir unten sind, wir Chiron geben;
Zu deinem Unheil warst du stets so hitzig. –
Dann sagt' er, mich anrührend: Der ist Nessus,
Der für die schöne Dejanira starb
Und mit sich selber sich zu rächen wußte.
[54]
Der mittelste, der nieder auf die Brust blickt,
Ist, der Achill erzog, der große Chiron,
Der dritt' ist Pholus, der so voller Zorn war.
Zu Tausenden umkreisen sie den Graben
Und wehren mit dem Pfeilgeschosse jedem,
Der mehr als seine Schuld gestattet auftaucht. –
Als wir genaht den schnellen Ungetieren,
Nahm Chiron einen Pfeil, und mit der Kerbe
Strich zu der Kinnlad' er den Bart zurück.
Dann mit dem großen unverhüllten Munde
Sagt' er zu den Gefährten: Saht ihr wohl,
Wie, was der zweite anrührt, sich beweget?
Der Toten Fuß hat solche Wirkung nimmer. –
Mein Führer, der ihm schon zur Seite stand
Da wo sich Mensch- und Tiergestalt berühren,
Erwidert' ihm: Gewiß ist er lebendig
Ich muß dies dunkle Tal ihm einsam zeigen;
Notwendigkeit, nicht Lust ists, die ihn herbringt.
Sein Hallelujasingen unterbrach
Ein hehrer Geist, der solche Pflicht mir auftrug;
Kein Dieb ist er, ich keines Räubers Schatten.
Doch, bei der Kraft, die auf so wildem Pfade
Mich wandeln heißt, gib aus der Schar der deinen
Uns einen mit, der unsre Schritte leitend
Des Blutstroms Furt uns zeigt, und der hinüber
Auf seinem Rücken diesen, der kein Geist ist
Und durch die Luft nicht gehn kann, willig trage. –
Da wandte Chiron sich zur rechten Seite
Und sagte: Nessus, geh' sie zu geleiten,
Und trefft ihr andre, heiße Platz sie machen. –
So gingen in verläßlicher Begleitung
Den Strand des roten Sudes wir entlang,
Aus dem der Wehruf der Gesottnen tönte.
Bis zu den Brau'n im Blut sah ich die einen:
Das sind Tyrannen, sagte der Zentaur.
Die reichlich Blut vergossen und geplündert,
[55]
Beweinen hier erbarmungslose Taten.
Sieh Alexander hier und Dionysen,
Durch den Sizilien arge Zeit erfuhr.
Und jene Stirn mit dunkelschwarzem Haare
Gehört dem Azzolin; der Blonde aber
Ist Obizzo von Este, den in Wahrheit
Der Stiefsohn droben in der Welt gemordet. –
Drauf wandt' ich mich zum Meister; doch er sagte:
Jetzt sei dir Nessus erster, ich nur zweiter. –
Nicht weit davon hielt der Zentaur bei Schatten,
Die aus dem heißen Strom bis zu der Kehle
Auftauchen durften, seine Schritte an.
Auf einen, der allein stand, deutend, sprach er,
Das Herz durchbohrte der in Gottes Schoße,
Das an der Themse Strande noch geehrt wird. –
Und andre Geister sah ich weiterhin,
Die aus dem Fluß so Haupt als Brust erhoben;
Nicht wenige von dieser Zahl erkannt' ich.
Und seichter ward das Blut und immer seichter,
Daß es zuletzt die Füße nur bedeckte;
Da war's, wo wir den Graben überschritten.
Wie du gesehn hast, daß auf dieser Seite,
Sprach der Zentaur, der Strom des heißen Blutes
Sich mehr und mehr verflacht, so sollst du glauben,
Daß dort hinaus sein Boden immer tiefer
Sich senkt, bis er bei jener Stelle anlangt,
Wo Tyrannei in schwerer Marter seufzet:
Dort straft die göttliche Gerechtigkeit
Den Attila, der eine Geißel war,
Nebst Pyrrhus und nebst Sextus, und preßt ewig
Dem Rinier Pazzo und dem von Corneto,
Die raubend heimgesucht des Landes Straßen,
Die Tränen aus, die durch den Sud entquollen. –
Dann wandt er sich zur Rückkehr durch die Furt.
Dreizehnter Gesang [2]
[56]
Dreizehnter Gesang
Noch war nicht jenseits Nessus angekommen,
Als wir in ein Gebüsche uns vertieften;
In dessen Dickicht sich kein Pfad uns zeigte.
Dort war kein grünes, sondern düstres Laub,
Nicht glatte, sondern knorrig krumme Zweige,
Nicht Früchte, sondern giftgefüllte Stacheln.
Nicht hausen in so dichtverwachs'nem Dorne
Die wilden Tiere, die dort von Corneto
Zur Cecina bewohntes Land vermeiden.
Hier baun ihr Nest die häßlichen Harpyen,
Die mit Verkündigung zukünft'gen Leides
Von den Strophaden die Trojaner trieben.
Groß sind die Flügel, Hals und Antlitz menschlich,
Der Bauch befiedert und bekrallt die Füße;
Ihr Wehruf tönt von den seltsamen Bäumen.
Der gute Meister sagte: Eh' du weiter
Hineingehst, wisse, daß im zweiten Ringe
Du bist und bleiben wirst, bis du gelangest
Zur grauenvollen Fläche glühnden Sandes.
Drum merke wohl auf; Dinge wirst du sehen,
Die meinem Worte, sagt' ich's, Glauben nähmen. –
Wehklagen hört' ich schon von jeder Seite;
Doch weil ich niemand wahrnahm, der sie ausstieß,
Hielt ich betreten an mit meinen Schritten.
Ich glaub', er glaubte wohl, ich möchte glauben,
Die vielen Stimmen rührten her von Leuten,
Die in dem Dickicht sich vor uns verbergen.
Drum sprach zu mir der Meister: Wenn von einem
Der Bäume hier du eine Gerte abbrichst,
So wird der Wahn, den du jetzt hegst, erblassen. –
Ein wenig vorwärts reckt' ich meine Hand
Und raubt' ein Zweiglein einem großen Baume.
Da rief der Stamm: Wer heißt dir, mich verletzen? –
[57]
Und als der Bruch von Blut sich dunkel färbte,
Rief er aufs neu': Warum zerpflückst du mich?
Ist deine Brust so völlig mitleidsleer?
Jetzt sind wir Stämme; doch wir waren Menschen
Und wären wir von Schlangen nur die Seelen,
So sollte deine Hand mitleid'ger sein. –
Wie, wenn ein grüner Klotz am einen Ende
Im Feuer liegt, er an dem andern zischt
Und von der Luft die sich herausdrängt stöhnet,
So drängten sich aus jenem Bruche Worte
Und Blut hervor, so daß ich gleich dem Manne,
Den Furcht ergreift, das Zweiglein fallen ließ.
Gekränkte Seele, sagte drauf mein Meister,
Hätt' ohne eignes Anschaun er vermocht
Zu glauben, was mein Lied nur ihm berichtet,
So hätte nicht er sich an dir vergriffen.
Doch die Unglaublichkeit der Sache ließ
Mich ihn zu tun bewegen, was mich selbst schmerzt.
Nun sag' ihm, wer du bist, und deinen Ruf
Wird er, zu ein'ger Buße, in der Welt
Zu der er wiederkehren darf, erfrischen. –
So sehr besticht mich, sagte drauf der Stamm,
Dein süßes Wort, daß ich nicht schweigen kann;
Gewährt mir drum ein williges Gehör.
Ich bin's, der in der Hand die beiden Schlüssel
Zu Friedrichs Herzen hielt, und so gelinde,
Zum Öffnen wie zum Schließen, sie bewegte,
Daß sein Vertrauen fast niemand mit mir teilte.
Treu blieb ich meines hohen Amtes Pflichten,
So daß ich Puls' und Adern drum verlor.
Doch jene Hure, die die frechen Blicke
Stets dahin wendet, wo der Kaiser herbergt,
Die allwärts Tod bringt, doch am Hof daheim ist,
Entflammte gegen mich all die Gemüter,
Daß die entflammten Friedrich selbst entflammten
Und Ehr und Freud' in Jammer sich verkehrten.
[58]
Da machte gegen mich, den sonst gerechten,
Um sterbend der Verachtung zu entgehn,
Des Unmuts Bitterkeit mich ungerecht.
Doch, bei den neuen Wurzeln dieses Stammes
Beschwör ich's, daß ich nimmer meinem Herrn
Der so der Ehre wert war, Treue brach.
Kehrt wer von euch zurück zur Oberwelt,
So richt' er mein Gedächtnis wieder auf,
Das von des Neides Schlag daniederliegt. –
Ein wenig wartet' er, dann sprach mein Meister
Zu mir: Da er nicht weiter redet, eile
Ihn noch zu fragen, was du wissen möchtest. –
Ich aber sagte: Frage du ihn lieber
Nach dem was wichtig du für mich erachtest;
Ich könnt' es nicht, weil Mitleid mich bewältigt. –
Drauf sprach er wieder: Soll, was du gebeten,
Der Mann hier gern und reichlich dir gewähren,
So woll' uns noch, gefangner Geist, berichten,
Wie sich an dies Geäst die Seele bindet.
Und sag' uns auch, wenn du es kannst, ob jemals
Aus solchem Leib sich eine wieder losmacht. –
Da schnob der Stamm gar sehr, bis solches Schnauben
Zu diesen Worten endlich sich gestaltet:
In Kürze geb' auf eure Frag' ich Antwort.
Sobald geschieden ist vom Leib die Seele,
Von dem sie selber sich verzweifelnd losriß,
Schickt sie zum siebenten der Schlünde Minos.
Kein fester Punkt im Wald ist ihr beschieden;
Nein, wo das Ungefähr sie hingeschleudert
Da keimt und sproßt sie wie ein Samenkorn,
Sie wächst zum Schößling und zum Waldesbaume
Es schaffen die Harpy'n, von ihrem Laube
Sich nährend, Schmerz ihr und dem Schmerz ein Tor.
Auch wir erhalten einst die Erdenhülle
Zurück; doch nicht, sie wieder anzuziehn,
Denn niemandem gebührt was er sich selbst nahm.
[59]
Wir schleppen sie hierher, und allerwärts
Im dunklen Wald wird eines jeden Körper
An seines lästgen Schattens Baum gehenket. –
Noch waren wir dem Stamme zugewandt,
Im Glauben, daß er mehr uns sagen wollte,
Als uns ein seltsam Rauschen überraschte,
Wie der es wohl vernimmt, auf dessen Standort
Der Keiler mit der Jagd im Sturm herankommt
Und Wild und Hund' und morsche Zweige toben.
Da stürzten nackend und zerkratzt zur Linken
Zwei Schatten in so wilder Flucht hervor,
Daß alles Waldgezweige sie durchbrachen.
Der vordre schrie: Komm Tod und mach' ein Ende! –
Der andre, der zu folgen nicht vermochte,
Rief: Lano, wahrlich deine Füße waren
Nicht so behende beim Turnier von Toppo! –
Und, weil der Atem ihm vermutlich ausging,
Barg er sich kauernd in des Strauchs Gezweige.
Doch hinter ihnen wimmelte der Wald
Von Rüden schwarz und gierig, die dem Windhund,
Der von der Kette loskommt, zu vergleichen.
In den Geduckten schlugen sie die Zähne,
Zerfleischten stückweis ihn, und mit den Gliedern,
Die schmerzhaft zuckten, eilten sie von dannen.
Der treue Führer nahm mich bei der Hand
Und leitete zum Strauch mich, der vergebens
Aus seinen Wunden blutete und klagte.
O Jacob, rief er aus, von Sant' Andrea,
Was half es dir, als Schild mich zu gebrauchen?
Nicht Schuld bin ich an deinem wüsten Leben. –
Als nun mein Meister bis zu ihm gelangt war,
Frug er: Wer bist du, dem aus so viel Brüchen
Die Schmerzensrede und das Blut hervorquillt? –
Er aber sprach: Ihr Seelen, die gekommen
Zu sehn, wie schmachvoll ich Mißhandlung litt,
So daß mein Laub fern um mich her verstreut ist,
[60]
So sammelt es am Fuß des traur'gen Busches
Der Stadt gehört' ich an, die mit dem Täufer
Den ersten Schutzpatron vertauscht, weshalb er
Stets Unheil ihr durch seine Kunst bereitet.
Und wäre nicht am Übergang des Arno
Ein Bruchstück noch von seinem Bilde sichtbar,
So wär' umsonst der Bürger Müh gewesen,
Die auf der Asche, welche Attila
Nur übrig ließ, die Stadt aufs neu gegründet.
Zum Galgen wählt ich mir die eignen Häuser. –
Vierzehnter Gesang
Weil mich das Mitgefühl der gleichen Heimat
Bewegte, sammelt' ich die losen Blätter
Am Fuß des matt gewordenen Strauches auf.
Dann kamen dorthin wir, wo von dem zweiten
Der dritte Ring sich trennt und wir die grause
Kunst göttlicher Gerechtigkeit erblickten.
Was sich hier zeigte wohl zu schildern, sag' ich
Daß wir zu einer weiten Fläche kamen,
Die keiner Pflanze Wuchs auf sich gestattet.
Der Wald des Weh's umgibt gleich einem Kranz sie,
Wie diesen wiederum der heiße Blutstrom.
Dort gingen wir entlang am letzten Saume.
Die Tenne war von dichtem, trocknem Sande,
Beschaffen gleich dem Wüstensande, den
In Lybien Cato's Füße einst betreten.
Wie sehr, o Rache Gottes, sollte jeder
Dich fürchten, der da liest, was meinem Auge
Auf diesem Sandgefild sich offenbarte:
Von nackten Seelen sah ich manche Schar
Und alle jammerten vor Schmerz, obwohl
Verschiedner Ordnung sie botmäßig schienen.
Die einen lagen rücklings ausgestreckt,
Am Boden sitzend kauerten die zweiten,
[61]
Noch andere rannten rastlos hin und wieder.
Die größte Zahl war deren, die da liefen
Die liegend Qual erlitten waren minder,
Doch lauter klagend regten sie die Zunge.
Und große Feuerflammen fielen leise
Auf jenes Sandes weite Fläche nieder,
Wie Schnee bei stiller Luft im Hochgebirge.
So wie die Flammen, die auf Alexander's
Heerschar im heißen Indien niederfielen
Und ihre Glut am Boden noch bewahrten
(Weshalb der König seine Leute hieß,
Das Erdreich festzustampfen, weil die Dünste
Für sich allein sich besser löschen ließen),
So regnete die ew'ge Glut hernieder,
Wovon der Sand, zur Qualverdopplung, brannte,
Wie unterm Feuerstahl sich Schwamm entzündet.
Es war ohn' Unterlaß der Tanz der Hände,
Womit bald hier bald dort sich die Gequälten
Des frischen Brandes zu erwehren suchten.
O, Meister, hub ich an, der alle Dinge
Bezwingt, die bösen Teufel ausgenommen,
Die uns am Eingangstor entgegentraten,
Wer ist der Große, welcher diese Flammen
Für nichts zu achten scheint und trotzig daliegt,
Als ob der Feuerregen ihn nicht kümmre? –
Doch jener, der vernahm, daß seinetwegen
Ich meinen Führer frug, schrie mir zur Antwort:
Der ich im Leben war, bleib' ich im Tode!
Mag Jupiter nur seinen Schmied ermüden,
Von dem im Zorn den scharfen Blitz er nahm,
Zu Boden mich am letzten Tag zu schmettern,
Mag in des Mongibello schwarzer Esse
Im Wechseldienst die andren er ermatten
Und schrein: Zur Hilfe komm, Vulcan zur Hilfe,
So wie er schrie bei jenem Kampf von Phlegra,
Mag Blitz' er nach mir schleudern wie er will;
[62]
Nie soll er Freud' an seiner Rach erleben. –
Da sprach mein Führer mit gehobner Stimme,
Daß ich so laut ihn nimmer noch vernommen:
O Kapaneus, daß ungebeugt dein Stolz ist,
Darin erleidest du die schwerste Strafe;
Denn keine Qual vermöchte deinen Frevel
So zu vergelten, als wie deine Wut. –
Dann, freundlicheren Blicks zu mir gewendet:
Von jenen sieben Königen war er einer,
Die Theben einst belagert, und noch scheint er
So wie er damals tat, Gott zu verachten.
Doch ist sein Schmähen, wie ich eben sagte,
Für seine Brust die wohlverdiente Zierde.
Nun aber folge mir und habe acht,
Den Sand, der glimmend ist, nicht zu betreten;
Stets halte hart am Walde sich dein Fuß. –
Wir gingen schweigend, bis wir zu der Stelle
Gelangten, wo dem Wald' ein kleines Flüßchen
Entquillt, ob dessen Röte noch mir schaudert.
Wie aus dem heißen Sprudel bei Viterbo
Der Bach rinnt, den die Sünderinnen teilen,
So rann dies Flüßchen durch den Sand dahin.
Sein Boden und die Ufer beiderseitig,
So wie die Ränder, waren fester Stein;
Daraus erriet ich, daß dort unser Weg sei.
Von allem was seither ich dir gewiesen,
Seitdem durch jene Pforte wir gekommen,
Durch welche einzutreten jedem freisteht,
Sah nichts dein Auge, das bemerkenswert
Gleich diesem Bach ist, welcher über sich
Jedwede Glut des Feuerregens auslöscht. –
So lauteten die Worte meines Meisters;
Drum bat ich, daß die Speis' er mir gewähre,
Zu der die Lust in mir er wachgerufen.
Einsam im Meer liegt ein verwüstet Eiland,
Entgegnet' er darauf, des Nam' ist Kreta.
[63]
Keusch war die Welt, als einst sein Fürst regierte.
Dort ist ein Berg, der sonst durch Wald und Quellen
Das Aug' erfreut, und den man Ida nannte;
Verwüstet ist er jetzt und ungeachtet.
Den wählte Rhea einst zur sichren Wiege
Für ihren Sohn, und ließ, sobald er weinte,
Ihn übertönendes Geschrei erheben.
Aufrecht in jenem Berge steht ein Greis!
Die Schultern wendet er nach Damiette,
Und Rom als seinen Spiegel schaut er an.
Es ist sein Haupt aus feinem Gold gebildet,
Von reinem Silber sind so Brust als Arme,
Das weitre bis zur Gabelung ist Kupfer.
Von da nach unten folgt erles'nes Eisen;
Doch ist der rechte Fuß gebrannter Ton,
Und mehr auf ihm, als auf dem andern ruht er.
Das Gold ist unversehrt; sonst zieht durch alle
Die Glieder sich ein Spalt, der Tränen träufelt,
Die dann vereinigt diesen Fels durchfressen.
Zu diesem Tal senkt sich ihr Lauf hernieder;
Sie bilden Acheron, Styx, Phlegethon,
Und fließen dann durch diese enge Rinne
Zu jenem Punkt, wo man nicht weiter absteigt.
Dort bilden sie Cocytus, welchen Teich
Du selber sehn wirst. Drum laß hier mich schweigen. –
Drauf sagt' ich: Wenn nun also dieser Graben
Bis hier von unsrer Oberwelt herabfließt,
Warum begegneten wir ihm nicht früher? –
Und er zu mir: Du weißt, daß rund der Raum ist,
Und ob du wohl, fortwährend links gewendet,
Schon weit hinabgestiegen in die Tiefe,
Hast du den ganzen Kreis noch nicht vollbracht.
Wenn also neues unserm Blick sich zeiget,
Soll sich dein Auge darum nicht verwundern. –
Drauf sprach ich weiter: Sage mir wo sind denn
Lethe und Phlegethon? Du schweigst vom einen,
[64]
Den andern sagst du bilden jene Tränen. –
In allen deinen Fragen lob' ich dich;
Allein des roten Wassers Sieden konnte
Dir eine, die du tatest, füglich lösen.
Lethe wirst du, doch nicht hier unten sehn.
Es waschen sich in ihm die reu'gen Seelen,
Wenn Buße ihnen jede Schuld getilgt hat. –
Dann sagt er: Uns vom Walde zu entfernen
Ist es nun Zeit, drum folge meinen Schritten,
Gehn wir den Damm entlang; die Glut verschont ihn
Und über ihm erlischt der Feuerregen. –
Fünfzehnter Gesang
So trägt uns nun der eine jener Dämme,
Und so erstickend wirkt des Wassers Broden,
Daß vor der Glut er Bach und Ränder schützet.
Sowie die Flämen zwischen Brügg' und Kadsand,
Geängstet von der Flut, die auf sie anstürmt,
Schutzwehren baun, das Meer sich fernzuhalten,
Und wie die Padovaner längs der Brenta,
Eh' Chiarentana Sommerglut empfindet,
Vor Schlössern und vor Gärten Deich' errichten,
Also gebildet waren jene Dämme;
Nur daß ihr Meister, wer er immer sei,
In minderer Höh' und Stärke sie geschaffen.
Schon waren wir so weit entfernt vom Walde,
Daß, hätt' ich auch zurücke mich gewendet,
Ich nicht erspäht mehr seine Stelle hätte,
Als wir auf eine Schar von Seelen trafen,
Die längs des Dammes uns entgegen kamen,
Und deren jed' uns ansah, wie beim Neumond
Sich abends zwei Begegnende beschaun.
So hefteten auf uns sie ihre Blicke,
Wie auf das Nadelöhr ein greiser Schneider.
Als mich in solcher Art die Schar betrachtet,
[65]
Erkannte mich der ein', und an dem Saume
Des Kleid's mich fassend, rief er: Welch ein Wunder! –
Und während nach mir hin den Arm er streckte,
Wandt' ich mein Aug' auf die verbrannten Züge,
So daß der Glut Entstellung meinen Sinn
Nicht mehr verhinderte, ihn zu erkennen.
Die Hand darauf zu seinem Antlitz neigend,
Sagt ich: O Herr Brunetto, seid ihr hier? –
Er aber sprach zu mir: Mein Sohn gestatte,
Daß während die Gefährten weiter eilen,
Bruno Latini etwas mit dir umkehrt. –
Ich sprach: So viel ich kann, bitt' ich euch drum,
Und, wollt' ihr's, will ich auch mich zu euch setzen,
Wenn dieser mir's erlaubt, denn mit ihm geh' ich. –
Mein Sohn, sagt' er, wer sich von dieser Herde
Nur irgendwie verweilt, bleibt unbewegt
Dann hundert Jahr, ob auch das Feu'r ihn peitsche.
Geh' weiter denn; ich bleibe dir zur Seite
Und hole später die Gefährten ein,
Die um ihr Elend, das nie endet, weinen. –
Ich wagte nicht, den Damm hinabzusteigen
Um neben ihm zu gehn. Gesenkten Hauptes
Schritt ich darum, wie wer in Ehrfurcht wandelt.
Drauf hub er an: Ist's Zufall oder Schickung,
Was vor dem letzten Tag dich hier herabführt?
Und wer ist jener, der den Weg dir weiset? –
Dort oben, sagt' ich, in dem lichten Leben
Verirrt' ich mich in einem wald'gen Tale,
Eh voll geworden meiner Jahre Zahl;
Erst gestern morgen kehrt' ich ihm den Rücken
Als ich mich wieder wandte, traf ich diesen,
Der mich auf solchem Pfad heimführen will. –
Drauf sagt' er mir: Folgst du nur deinem Sterne,
So kann des Ruhmes Port dir nicht entgehen,
Wenn recht ich wahrnahm dort im schönen Leben.
Und wär' ich nicht so früh von dir geschieden,
[66]
So hätt ich dich in deinem Werk gefördert,
Da ich den Himmel dir so günstig wußte.
Doch jenes Volk voll Bosheit und voll Undank,
Das niederstieg von Fiesole vor Alters
Und nach dem Berg' und dem Gestein noch schlachtet,
Wird feindlich dir ob deines Rechttums werden.
Wie sollt' es anders sein? Die süße Feige
Kann unter herben Schlehen nie gedeihen.
Schon alte Rede nennt sie blind dort oben;
Hochmütig sind sie, geizig und voll Neides.
Hab' acht, daß ihre Sitten du dir fernhältst!
Dein Schicksal hat zur Ehre dir beschieden,
Daß jede der Partei'n nach dir wird hungern;
Doch bleibe fern dem Schnabel solche Weide.
Das Fiesolaner Vieh zertret' einander
So viel es will; jedoch an keiner Pflanze,
Wenn eine noch in solchem Unrat aufkommt,
Vergreif' es sich, worin der heilge Samen
Von jenen Römern auflebt, die dort blieben,
Als einst so vieler Bosheit Nest gebaut ward. –
Wenn meinem Wunsche voll entsprochen wäre,
Erwidert' ich ihm drauf, wär't aus dem Leben
Der Menschen wahrlich ihr noch nicht verbannet.
Eur lieb' und gutes väterliches Bild,
Das itzt mich weinen macht, trag' ich im Herzen,
Wie ihr dort in der Welt von Tag zu Tage
Mich lehrtet nach Unsterblichkeit zu ringen.
Wie wert ich's halte, soll, so lang' ich lebe,
In meiner Rede noch sich offenbaren.
Was ihr von meines Lebens Fortgang sagtet,
Bewahr' ich, daß es mir mit andrem Texte
Ein hohes Weib glossiert, die dessen kundig.
Doch so viel kann ich itzt schon euch versichern,
Daß, wenn mich mein Gewissen nur nicht schilt,
Bereit ich bin zu gut' und bösem Glücke.
Nicht neu ist meinem Ohr solch übles Angeld;
[67]
Drum möge nur ihr Rad Fortuna rollen,
Mir gilt's, als ob der Bauer seinen Karst schwingt. –
Da wendete sein Haupt zur rechten Seite
Mein Meister, blickte nach mir hin und sprach:
Wer sich es merkt, der ist der beste Hörer. –
Nicht hinderte das Reden unsre Schritte;
Doch bat ich Ser Brunetto, die Gefährten,
Die hochgestellt und namhaft, mir zu nennen.
Von einigen zu reden, ist geziemend;
Von andern ist es löblicher zu schweigen;
Es reicht die Zeit nicht hin zu so viel Namen:
Vernimm indes, daß sie teils geistlich waren
Teils grundgelehrte Leute hohen Ruhmes,
Von gleicher Schuld besudelt insgesamt.
Mit jener argen Schar geht Priscian
Und Franz, Accursens Sohn, auch konntest
Wenn anders du nach solcher Räude Lust trägst,
Du den erblicken, den der Knecht der Knechte
Vom Arnostrand verpflanzt zum Bacchiglione,
Wo er die sündentflammten Nerven ließ.
Gern spräch' ich weiter; doch Geleit und Rede
Muß ich beenden, weil dort aus dem Sande
Ich vor uns neuen Rauch aufsteigen sehe.
Fernbleiben muß ich denen, die da kommen.
Laß den Tesoro dir empfohlen sein,
In dem ich leben blieb, nur das begehr' ich. –
Dann wandt' er sich zurück, gleich deren einem,
Die in Verona um den grünen Teppich
Den Plan durchlaufen; doch nicht dem Verlierer,
Nein, jenem glich er, der den Sieg davonträgt.
[68] Sechzehnter Gesang
Schon waren wir am Ort, wo man das Tosen
Des Wasserfalls, der in dem nächsten Kreise
Hinabstürzt, hörte, wie Gesumm' von Bienen.
Da trennten vollen Laufes miteinander
Drei Schatten sich von einer größern Schar,
Die bei des Feuerregens Qual dahinflog.
Sie kamen auf uns zu und jeder rief:
Halt an, der nach der Weise deiner Kleidung
Du einer scheinst aus unsrer argen Heimat! –
Ach was für Wunden, frisch' und halbvernarbte,
Sah eingebrannt ich allen ihren Gliedern;
Noch schaudert mich's wenn ich nur dran gedenke.
Aufmerksam ward durch ihren Ruf mein Meister;
Dann wandt' er sich zu mir und sprach: Hab' Achtung;
In Ehrfurcht ziemt sich's diesen zu begegnen.
Und wäre nicht das Feuer, das des Ortes
Natur herniederregnen läßt, so sagt' ich,
Daß, mehr als ihnen, Dir die Eil geziemte. –
Kaum standen wir, so sangen sie auf's neue
Das alte Lied, und als sie uns erreichet,
Begannen sie selbdritt im Kreis zu laufen.
So wie die Kämpen, die gesalbt und nackend,
Eh' sie zum Schlagen und zum Stoßen schreiten,
Vorteil und Angriff spähend sich erwägen,
So wandt' im Kreislauf jeder das Gesicht
Fortwährend nach mir hin, weshalb den Füßen
Entgegen immer sich der Hals bewegte,
Entwertet uns vielleicht und unsre Bitten,
Begann der eine, dieses Ortes Elend
Und unser Aussehn, das voll Brand und Wunden,
So laß durch unsren Nachruhm dich bewegen
Zu sagen wer du bist, der du so sicher
Lebend'gen Fußes durch die Hölle schreitest.
[69]
Der, dessen Spuren meine Schritte folgen,
Wie nackt er und geschunden auch einhergeht,
War höher wohl gestellt, als du vermutest.
Gualdradens Enkel war er, jener guten:
Sein Nam' ist Guido Guerra und im Leben
Hat er mit Schwert und Klugheit viel geleistet.
Der, welcher hinter mir den Sand zertritt
Ist Tegghiai' Aldobrandi, dessen Wort
Dort in der Welt man gern vernehmen sollte.
Ich aber, der die gleiche Qual erdulde,
War Jacob Rusticucci, und wahrhaftig
Der Gattin Stolz war meines Unheils Hauptgrund. –
Wär' ich gesichert vor der Glut gewesen,
So wär' ich unter sie hinabgeeilt,
Und zugelassen hätt' es wohl mein Lehrer.
Doch, weil des Feuers Glut verbrannt mich hätte,
Bewältigte die Furcht den guten Willen,
Der mich verlangen ließ, sie zu umarmen.
Drauf hub ich an: Sobald mein Herr und Meister
Mir Worte sagt', aus denen ich entnahm,
Daß solche Schatten wie ihr seid, sich nahten,
Erweckte nicht Mißachtung, sondern Schmerz
Eur traurig Los mir in der tiefsten Brust,
Und nicht sobald wird er daraus verschwinden.
Aus eurer Heimat bin ich und von jeher
Hab' eure Taten und gepriesne Namen
Ich liebevoll gehört und wiederholet.
Die Galle lassend, geh ich nach den Früchten,
Die süß der treue Führer mir verheißet,
Doch muß ich erst zum Zentrum niedersteigen. –
Soll deine Seel', entgegnete nun jener,
Noch lange deines Leibes Glieder lenken
Und soll der Ruhm dein Leben überdauern,
So sag' ob Tapferkeit und Rittersitte
In unsrer Stadt wie sonst noch weilen, oder
Ob sie aus deren Mauern sind gewichen.
[70]
Denn Wilhelm Borsier, welcher unsre Qualen
Seit kurzem teilt und dort mit den Gefährten
Dahin läuft, kränkt uns oft durch seine Reden. –
Das neue Volk, die plötzlichen Gewinnste,
Die haben Stolz und Übermaß, o Florenz,
In dir erzeugt, so daß du schon drum weinest! –
So rief ich mit erhobnem Angesichte;
Und jene drei, die mich vernommen, winkten
Einander, wie man wohl der Wahrheit beistimmt.
Macht es dir jederzeit so wenig Mühe,
Die andern zu befried'gen, sagten alle,
So bist du glücklich, so nach Wunsch zu sprechen.
Entrinnst du aber diesen dunklen Räumen
Und kehrst zurück, zu sehn die schönen Sterne,
Wo du dann gerne sagen wirst, ich war,
So säume nicht, der Welt von uns zu reden. –
Da brachen sie den Kreis ab und entflohen,
Daß die behenden Füße Flügel schienen.
Verschwunden waren sie in kürzrer Zeit
Als man bedarf ein Amen auszusprechen;
Drum schien zu gehn es an der Zeit dem Meister.
Ich folgt' ihm, und bevor wir weit gegangen,
War uns so nah des Wasserfalles Brausen,
Daß übertönt selbst laute Red' es hätte.
So wie der Fluß, der auf der linken Seite
Des Apennin gen Ost von Mont Viso
Zur Adria zuerst selbständigen Weg hat
Und oben Acquacheta heißt, bevor
Er talwärts fließt zu seinem niedren Bette,
Doch bei Forlì nicht mehr den Namen führet;
Wie dieser bei San Benedetto toset,
Weil er hinab zu einer Halde stürzet,
Wo Unterkunft für tausend sollte sein,
So hörten von des Ufers steilem Absturz
Die dunkelfarbne Flut wir niederbrausen;
In kurzem hätt' es weh dem Ohr getan.
[71]
Mit einem Stricke war mein Leib gegürtet,
Durch den, den Pardel mit dem bunten Felle
Zu fangen, ich gehofft vorzeiten hatte.
Nachdem ich, so wie jener mir befohlen,
Den losgebunden hatte, reicht' ich ihn
Verschlungen und verknotet meinem Meister.
Der aber wandte sich zur rechten Seite
Und warf, etwas entfernt noch von dem Ufer,
In jenen tiefen Abgrund ihn hinunter.
Ich sagte bei mir selbst: Was wird nur neues
Die Antwort sein auf dies besondre Zeichen,
Dem sorglich mit dem Aug' der Meister nachfolgt? –
Ach, wie behutsam soll man sein bei denen,
Die, statt allein die äußre Tat zu sehn,
In die Gedanken mit dem Geiste dringen!
Er sprach zu mir: Auftauchen wird in Bälde
Was ich erwarte, und, was du jetzt träumend
Dir denkst; alsdann sich deinem Blick enthüllen. –
Der Wahrheit, die der Lüge Antlitz trägt
Soll, wenn es möglich, man die Lippen schließen,
Denn unverschuldet bringt sie uns Beschämung.
Hier aber kann ich's nicht, und bei den Versen
Von diesem Liede schwör' ich dir, o Leser,
Wenn lange Gunst sie nicht entbehren sollen,
Daß ich durch jene dicke finstre Luft
Empor ein Untier schwimmen sah, so seltsam,
Daß wohl der Mutigste sich drob entsetzte.
Dem Manne glich es, der, nachdem den Anker
Vom Fels er löste, oder sonst'gem Anhalt,
Um aus dem Meeresgrund emporzutauchen,
Die Füße anzieht und sich streckt nach oben.
[72] Siebzehnter Gesang
Sieh' da das Untier mit dem spitzen Schwanze,
Das Berge übersteigt und Waff' und Wehr bricht,
Sieh' jenen, dessen Stank die ganze Welt füllt! –
So hub der Führer an zu mir zu reden.
Dann winkt' er jenem, daß er komm' ans Ufer
Nah her zum Rande der betretnen Steine.
Mit Haupt und Brust kam jenes schmutzge Sinnbild
Des Truges an das Ufer nun heran;
Den Schwanz indessen zog er nicht auf's Land.
Dem eines Biedermannes glich sein Antlitz,
So wohlgesinnt erschien er äußerlich;
Ein Schlangenleib indes war alles andre.
Zwei Tatzen hatt' er, haarig bis zur Achsel;
Bemalt mit Ringen und mit Knoten waren
Die Brust, der Rücken und die Flanken beide.
Nie machten Türken noch Tartaren Tücher,
Drin Einschlag sich so bunt dem Aufzug mischte,
Und nie begann Arachne solch Gewebe.
Wie manchmal Kähne wohl am Ufer stehen,
Zum Teil im Wasser und zum Teil am Lande,
Und so wie dort bei den gefräß'gen Deutschen
Der Biber sich, um Jagd zu machen, aufstellt,
So weilte jenes schnöde Tier am Rande
Der Steine, die des Sandes Ring beschließen.
Frei in dem Raum bewegte sich der Schwanz
Und aufwärts kehrt' er seine giftige Gabel,
Die nach Skorpionenart ein Stachel endet.
Mein Führer sagte: Wenden wir den Pfad
Ein wenig nun zur Seite bis zu jenem
Bösart'gen Tier, das dort am Ufer lagert. –
So stiegen wir hinab zur rechten Seite
Und taten auf dem Uferrand zehn Schritte,
Um Sand und Feuerregen wohl zu meiden.
[73]
Als wir gelangt bis zu dem Tiere waren,
Erblickt' ich etwas jenseits auf dem Sande
Unfern dem Felsenabsturz Leute sitzen.
Der Meister sagte hier: Auf daß vollkommne
Erfahrung dieses Kreises du davonträgst,
So gehe hin und sieh auch ihr Verhalten;
Doch sorge, daß nur kurz dort dein Gespräch sei.
Bis du zurückkehrst werd' ich diesem sagen,
Daß seine starke Schultern er uns biete. –
So ging ich denn entlang dem letzten Ende
Des siebenten der Kreise ganz allein
Dorthin, wo trauernd jene Schatten saßen.
Aus ihren Augen brach der Schmerz hervor,
Bald hier, bald dort erwehrten mit den Händen
Sie sich der Dünste Glut und der des Bodens.
Nicht anders tun zur Sommerszeit die Hunde
Mit Schnauz' und Pfote, wenn gequält durch Bisse
Von Fliegen, Bremsen oder Flöh'n sie werden.
Zwar heftet' ich auf einige den Blick,
Auf die das Feuer schmerzentzündend fiel,
Doch kannt' ich keinen; nur ward ich gewahr,
Daß jeglichem am Hals' ein Beutel hing
Besondrer Farbe und besondren Zeichens;
Ihr Auge aber schien sich dran zu weiden.
Und wie ich blickend ihnen näher trete,
Seh' Blaues ich auf einem gelben Beutel,
Das Kopf und Haltung eines Löwen hatte.
Und als ich weiterhin das Auge wandte,
Sah einen Beutel ich so rot als Blut,
Der eine Gans aufwies, so weiß als Rahm.
Der aber eine blaue trächtge Sau
Auf seiner weißen Tasche zeigte, rief:
Was hast in dieser Grube du zu schaffen?
So geh denn, und weil du noch bist am Leben
Vernimm, daß bald mein Nachbar Vitaliano
Hier sitzen wird zu meiner linken Seite.
[74]
Die sind aus Florenz, ich aus Padova.
Oft tun sie meinen Ohren weh mit ihrem
Geschrei: Wo bleibt der oberste der Ritter,
Der bringen soll die Tasche mit drei Böcken? –
Das Maul verzog er drauf, und gleich dem Ochsen,
Der seine Nase leckt, wies er die Zunge.
Und weil ich glaubte, daß mein längres Säumen
Ihn, der zur Eile mich gemahnt, erzürne,
Kehrt' ich zurück von den gequälten Seelen.
Ich fand den Führer, der schon auf den Rücken
Des grauenhaften Tiers war gestiegen.
Er sagte: Zeige dich nun stark und mutig!
Auf solcher Treppe gilts hinabzusteigen.
Doch setze du dich vorn; damit der Stachel
Dir nicht gefährlich sei, bleib' ich inmitten. –
Gleich einem, den des Wechselfiebers Schauer
Befallen, dem schon blau die Nägel werden
Und der sich schüttelt, sieht er nur den Schatten,
So wurde mir zu Mut bei jenen Worten;
Doch weckt' in mir sein Zuspruch jene Scham,
Die vor des Herrn Aug' dem Knechte Mut gibt.
Ich setzte mich zurecht auf jenen Schultern,
Und: Halte mich umschlungen, wollt' ich sagen,
Allein die Stimme drang nicht aus der Kehle.
Doch, der in andrer Not schon mir geholfen,
Umfaßte, als ich kaum erst aufgestiegen,
Und unterstützte mich mit seinen Armen.
Dann sprach er: Geryon, nun mach dich auf;
Doch steige langsam und in weiten Kreisen
Hinunter, denke an die neue Last. –
So wie das Schiff, verläßt es seinen Standort,
Erst rückwärts sich bewegt, so tat auch er;
Kaum aber fühlt er völlig sich im Freien,
So kehrt' er dorthin wo die Brust gewesen
Den Schwanz und braucht' ihn, gleich dem Aal, als Steuer,
Doch mit den Tatzen schlug die Luft er rudernd.
[75]
Nicht größer war die Furcht des Phaëton,
So glaub ich, als die Zügel ihm entfielen,
Und sich verbrannt, wie noch zu sehn, der Himmel,
Noch die des Ikarus, als von den Schultern
Das Wachs ihm schmolz und sich die Flügel lösten.
Und: falsch ist deine Richtung! – rief sein Vater,
Als nun die meine war, wie ich gewahr ward,
Daß rings um mich nur Luft sei, und nichts andres
Mir sichtbar blieb, als nur das Ungeheuer.
Das schwimmt dahin, bedächtig, sachte, sachte
Im Kreise senkt es sich, doch fühl ich's nur
Weil mein Gesicht die Luft von unten anhaucht.
Schon hört' ich rechts das grausenhafte Tosen,
Das unter uns der Sturz des Wassers machte,
Weshalb ich Haupt und Blick nach unten neigte.
Da mehrte noch die Furcht sich vor dem Anprall;
Denn Feuer sah ich und vernahm viel Klagen,
Weshalb ich zitternd mich zusammenduckte.
Nun sah ich auch an all den argen Qualen,
Die rechts und links sich nahten, was zuvor
Ich nicht gesehn, das Sinken und das Kreisen.
Dem Falken gleich, der lang' in Lüften schwebte
Und, weil nicht Federspiel er sieht noch Vogel,
Den Falkner sagen macht: O weh du senkst dich! –
Der müde niedersteigt in hundert Kreisen,
Von wo er rasch sich aufschwang, und verdrießlich
Von seinem Herrn fern ab sich setzt und tückisch;
So setzte Geryon uns hart am Fuße
Der senkrecht steilen Felsenmauer ab,
Und als er sich entledigt seiner Last
Fuhr er dahin, wie von der Schnur die Kerbe.
[76] Achtzehnter Gesang
Ein Ort der Hölle heißet Malebolge
Und, gleich der Felswand die ihn rings umschließet,
Ist er durchaus von Stein und eisenfarbig.
In dieses argen Feldes Mittelpunkte
Tut sich ein Brunnen auf, der weit und tief ist
Und dessen Weis' ich seinerzeit berichte.
Rund ist sonach der Raum, der frei bleibt, zwischen
Dem Brunnen und dem Fuß des Felsenufers,
Und in zehn Täler ist geteilt sein Boden.
Wie die Gestalt ist, die, wo zur Verteid'gung
Rings um die Mauern einer Burg viel Gräben
Gezogen sind, die Bodenfläche bietet,
So war das Bild, das jene Gräben zeigten.
Und so wie von den Toren solcher Burgen
Zum äußren Ufer kleine Brücklein ausgehn,
So gingen von dem untren Teil der Wand
Felsstücke aus, die bis hinab zum Brunnen
Die Dämm' und Gräben schnitten und verbanden.
Da war es, wo vom Rücken Geryon's
Wir abgesetzt uns fanden, und es wandte
Der Dichter, dem ich folgte, sich zur Linken;
Zur Rechten aber sah ich neuen Jammer
Sah neue Qualen, neue Peiniger,
Die dieser ersten Bolgia Raum erfüllten.
Nackt waren in des Tales Grund die Sünder;
Diesseits der Mitte kamen sie auf uns zu,
Doch jenseits gingen sie mit uns, nur schneller:
So wie die Römer, ob der großen Menge,
Im Jubiläumsjahr der Übergang
Der Brücke für die Pilgerschar geregelt,
Daß sie zur einen Seite, nach der Burg
Die Stirne kehrend, gen Sankt Peter gehn,
Und auf der andren sich zum Berge wenden.
[77]
Diesseits und jenseits in der dunklen Felskluft
Sah' ich gehörnte Teufel, die von hinten
Mit großen Geißeln jene Sünder schlugen.
Wie hoben die schon von den ersten Hieben
Die Hacken in die Höhe, und nicht einer
Erwartete die zweiten und die dritten!
Als ich so ging, da trafen meine Augen
Auf einen Schatten, und ich rief sofort:
Nicht fremd sind diese Züge meinen Blicken. –
Ihn zu erkennen, hemmt' ich meine Schritte,
Der süße Führer aber tat das gleiche
Und ließ auch zu, daß ich zurück mich wandte.
Sich zu verbergen suchte der Gepeitschte
Und senkte drum das Haupt, indes vergebens;
Weshalb ich ausrief: Der du blickst zur Erde,
Sind täuschend nicht die Züge, die du trägst,
Bist du Venedico Caccianimico.
Was aber führt dich in so arge Schluchten? –
Drauf er zu mir: Ungerne nur bekenn' ich's;
Doch deine klare Rede nötigt mich,
Die mich erinnert an die alte Welt.
Ich war es, der die schöne Ghisola
Bewogen, sich dem Markgraf preiszugeben,
Wie anders auch die schnöde Mähr berichte.
Auch wein' ich nicht als einz'ger Bolognese
An diesem Ort; nein, ihrer sind so viele,
Daß zwischen Sávena und Reno heute
Nicht so viel Zungen sind, die Sipa sagen.
Begehrst dafür du Zeugnis oder Bürgschaft,
So denke nur an unsre geiz'gen Herzen. –
Noch sprach er also, da versetzt' ein Teufel
Ihm einen Geißelhieb und sagte: Pack dich,
Du Kuppler, feile Dirnen gibt's hier nicht. –
Zu meinem Führer kehrt' ich nun zurück,
Und dorthin kamen wir nach wenig Schritten,
Wo von dem Ufer sich ein Felsblock löste.
[78]
Mit kleiner Mühe stiegen wir hinauf,
Und rechts gewandt auf seinem rauhen Rücken
Verließen wir die ew'gen Mauerkreise.
Als wir gelangten, wo der Fels nach unten
Zum Durchgang der Gepeitschten offnen Raum läßt,
Begann mein Führer: Weil und laß dein Auge
Jetzt dieser andren Sünder Antlitz treffen;
Noch sahst du, weil bisher in gleicher Richtung
Mit uns sie gingen, nicht in ihr Gesicht. –
Und von der alten Brücke Rand beschauten
Die Schar wir, die uns dort entgegenkam
Und von der Geißel ebenfalls gejagt ward.
Und ungefragt begann der gute Meister:
Sieh' jenen Großen, der uns zugewendet,
Was er auch leide, keine Träne weinet.
Wie ist so königlich noch seine Haltung!
Jason ist es, durch dessen Mut und Schlauheit
Das goldne Vließ den Kolchiern geraubt ward.
Es hatten, als auf Lemnos er ans Land stieg,
Die kühnen und erbarmungslosen Weiber
Was auf der Insel männlich war getötet.
Durch Schmeicheln wußt' er und gewandte Rede
Hypsipyle, die junge, zu betrügen,
Die vorher all die andren Frau'n betrogen;
Dann ließ er schwanger einsam sie zurück.
Ob dieser Schuld erfährt er diese Strafe,
Doch wird zugleich Medea mitgerächt.
Wer so betrogen, geht in gleicher Richtung;
Und dies genüge dir vom ersten Tale
Zu wissen und von denen, die es einschließt. –
Schon waren dort wir wo der enge Pfad,
Den zweiten Damm erreichend, Widerlage
Für einen andren Brückenbogen bildet.
Von dort aus hörten in der zweiten Bolgia
Wir Leute ächzen, prustend mit der Schnauze,
Und mit der flachen Hand sich selber schlagen.
[79]
Ein Schimmel überkleidete die Ufer,
Der sich gebildet von dem Qualm des Grundes
Und widrig war dem Auge wie der Nase.
So dunkel war das Tal, daß auf den Boden
Zu sehn, nur dem gelang, der auf die Höhe
Des Bogens stieg, wo senkrecht man hinabblickt.
Dorthin gelangten wir, und in der Tiefe
Gewahrt' ich Volk, ganz eingetaucht in Kot,
Der herzurühren schien aus Abtrittsgruben.
Und während noch mein Aug' dort unten spähte,
Erblickt ich einen, so beschmutzten Hauptes,
Daß ich nicht sah', ob Lai' er oder geistlich.
Der schrie mich an: Was bist du so begierig,
Vor all den andern nur auf mich zu blicken? –
Und ich zu ihm: Weil, wenn ich mich nicht täusche,
Ich dich mit trocknem Haar schon sah, und du
Alessio bist Interminei aus Lucca;
Drum richtet sich mein Aug auf dich vor allen. –
Da schlug er auf den Schädel sich und sagte,
Die Schmeichelreden tauchten mich hier ein,
Von denen nimmer meine Zunge abließ. –
Mein Führer sagte drauf: Laß deine Blicke
Noch etwas weiter gehn, damit dein Auge
Das Angesicht der Dirne wohl erfasse,
Die dort voll Schmutzes und mit kahlem Kopfe
Sich eifrig kratzt mit ihren kotgen Nägeln,
Und bald sich niederduckt, bald aufrecht steht.
Das ist die Hure Thais, die dem Buhlen
Als er sie frug: Steh ich in großer Gunst
Bei dir? erwiderte: In wunderbarer.
Genügen möge dieses unsren Blicken. –
[80] Neunzehnter Gesang
O Zaubrer Simon, o ihr schmachbeladnen
Nachfolger, die die heil'gen Dinge, welche
Der Tugend sich allein vermählen sollten,
Um Gold und Silber räub'risch ihr verkuppelt!
In die Posaune stoß' ich jetzt um euch,
Weil euch die dritte Bolgia zugemessen.
Erstiegen hatten wir des Felsblocks Höhe,
Der überwölbt die nächste Gruft, und standen
Nun senkrecht über dieses Grabens Mitte.
Wie groß ist deine Kunst, o höchste Weisheit,
Die Himmel, Erd und Hölle offenbaren,
Und wie gerecht teilt deine Allmacht aus!
Ich sah des bräunlichen Gesteines Boden
Und beiderseit'gen Abhang voll von Löchern,
Die sämtlich rund und gleich an Weite waren.
Sie däuchten enger nicht mir und nicht weiter,
Als, die in meinem schönen San Giovanni
Zum Platz der Tausenden sind hergerichtet.
Solch ein Behältnis brach vor wenig Jahren
Entzwei ich, weil ein Mensch darin erstickte,
Und dies sei Zeugnis, jeden zu enttäuschen.
Aus jedes dieser Löcher Mündung ragten
Die Füße eines Sünders bis zur Wade
Hervor, doch alles andre steckte drinnen;
In Flammen loderten die Sohlen aller,
Weshalb die Knöchel so gewaltsam zuckten,
Daß Strick' und Bande sie zerrissen hätten.
Und, wie beim Brennen fettbestrichner Dinge
Die Flammen an der Oberfläche spielen,
So taten hier sie von den Zeh'n zum Hacken.
Wer ist wohl jener, der durch ärgres Zucken
Sich mehr beklagt, als die Gefährten alle
Und dessen Sohlen rötre Flamme leckt? –
[81]
So frug ich; und der Meister: Soll ich dort
Den mindersteilen Hang dich niedertragen,
So wird er Schuld und Namen selbst dir künden. –
Genehm ist, sagt' ich, mir was dir beliebt,
Du bist der Herr, von deinem Will'n entfern' ich
Mich nimmer, auch was man nicht ausspricht weißt du. –
Also gelangten wir zum vierten Damme;
Dort wandten wir uns links und stiegen nieder
In die durchlöcherte und enge Tiefe.
Von seiner Hüfte setzte mich der Meister
Nicht ab, bis wir zur Felsenmündung kamen,
Aus welcher jener mit den Beinen klagte.
Der du das Obre so gekehrt nach unten
Im Boden wie ein Pfahl steckst, traur'ge Seele,
Wer du auch sei'st, vermagst du es, so rede. –
Ich stand gebückt, so wie der Mönch, der Beichte
Dem Meuchler hört, wenn der, schon in der Grube,
Den Tod noch zu verschieben, ihn zurückruft.
Er aber schrie: So bist du schon zur Stelle,
So bist du schon zur Stelle Bonifazio?
Um mehr als ein Jahr log die Prophezeiung.
Bist du so bald gesättigt von dem Gut,
Daß dich die schöne Braut durch Lügenkünste
Zu frei'n bewog und dann sie zu mißhandeln? –
Ich glich dem Manne, der, weil unverständlich
Ihm ist, was ihm gesagt wird, zweifelnd dasteht,
Verhöhnt sich glaubt und keine Antwort findet.
Drauf sagte mir Virgil: Erwid'r ihm schnell,
Der bin ich nicht, der nicht, den du erwartest, –
Und meine Antwort war, wie er befohlen.
Darob verdrehte schier der Geist die Beine
Und sagte seufzend mit bewegter Stimme:
Bist du der nicht, was willst du denn von mir?
Liegt dir so viel dran, wer ich sei, zu wissen,
Daß du deshalb das Ufer niederstiegest,
So wisse, daß ich trug den großen Mantel.
[82]
Doch war ich ein wahrhafter Sohn der Bärin,
Begierig, so die Bärenbrut zu fördern,
Daß droben Geld ich, und hier mich einsackte.
Mir unterm Haupte liegen all die andren,
Die mir voraus im Ämterschacher gingen,
Tief eingeklemmt in des Gesteines Spalten.
In jene Tiefe sink' auch ich, wenn jener,
Für den ich dich gehalten, kommen wird,
Als ich die rasche Frag' an dich gerichtet.
Doch längere Zeit schon brannten mir die Füße,
Seit ich den Kopf zu unterst hier verweile,
Als er hier sein wird mit entflammter Sohle.
Denn nach ihm kommt von Westen her ein Hirte,
Der ärger noch es treibt und kein Gesetz kennt,
So daß er mich bedecken wird und jenen.
Dem Jason wird, von dem die Makkabäer
Berichten, gleich er sein; wie dem sein König
Gefällig war, wird ihm es der von Frankreich. –
Ich weiß nicht, war ich hier allzu verwegen,
Daß ich ihm Antwort gab in diesem Tone:
So sage mir doch, was für Schätze heischte
Vom heil'gen Petrus unser Herr, bevor
Er die Gewalt der Schlüssel ihm vertraute?
Nur eins verlangt er: Komm und folge mir!
Auch Petrus und die andren heischten Silber
Und Gold nicht von Matthias, als das Los ihm
Den Platz gab, den verloren der Verräter.
So schweige; denn gerecht ist deine Strafe.
Bewahre nur das schlechterworb'ne Geld,
Das gegen Karl dich übermütig machte.
Und hielte nicht noch immer mich zurück
Die Ehrerbietung vor den hohen Schlüsseln,
Die du gehalten hast im heitren Leben,
So würd' ich noch viel härtre Worte brauchen.
Verderblich ist eu'r Geiz der Welt; die Guten
Tritt er mit Füßen und erhebt die Schlechten.
[83]
Euch Hirten meinte der Evangelist,
Als er das Weib, das auf den Wassern sitzet,
Mit Königen auf Erden huren sah,
Die da geboren ward mit sieben Häuptern
Und ihre Stütze fand in den zehn Hörnern
So lange Tugend ihrem Mann gefiel.
Gemacht habt ihr aus Silber und aus Golde
Euch euren Gott; ihr gleicht dem Götzendiener,
Doch betet der nur einen an, ihr hundert.
O Constantin, wie großen Übels Mutter
War – deine Taufe nicht –, nein jene Mitgift,
Die du verliehn dem ersten reichen Vater! –
Schlug das Gewissen ihm, trieb ihn der Zorn,
Ich weiß nicht, doch bei meines Liedes Noten
Verdreht' er heftig beide Sohlen.
Der Führer aber schien mir beizustimmen,
Mit so zufriednem Ausdruck folgt' er stetig
Dem Klange meiner wahrheitstreuen Worte.
Dann faßt' er mich mit seinen beiden Armen,
Und als er fest an seiner Brust mich hielt,
Stieg er zurück, wo er hinabgestiegen.
Nicht eher ließ er ab, mich so zu tragen
Bis er gebracht mich zu des Bogens Höhe,
Der sich vom vierten Damm zum fünften wölbet.
Hier setzte sanft er seine Bürde nieder:
Sanft auf dem Felsen, der so rauh und steil war,
Daß ihn selbst Ziegen schwer erklommen hätten.
Drauf ward ein neuer Talgrund mir enthüllet.
Zwanzigster Gesang
Von neuer Strafe soll mein Lied berichten,
Dem zwanzigsten Gesange Stoff zu geben
Im ersten Liede, dem von den Versenkten.
Schon war mit allem Eifer ich beflissen,
[84]
Hinabzuschaun in den nun offnen Grund,
Den Tränen der Verzweiflung benetzten.
Und in dem runden Tal sah ich Gestalten
Desselben Schrittes stumm und weinend kommen,
Der in der Welt bei Litanei'n gebräuchlich.
Als tiefer sich mein Blick zu ihnen senkte,
Sah ich, wie wunderbar vom Kinn ein jeder
Bis zu des Rumpfes Anfang war verrenket;
Denn zugewandt dem Rücken war ihr Antlitz
Und rückwärts schreitend mußten sie einhergehn,
Weil vorwärts sie zu blicken nicht vermochten.
Vielleicht, daß jemals schon Gewalt der Krämpfe
Die Glieder eines Menschen so verrenkte,
Doch sah' ich's weder, noch kann ich es glauben.
O Leser, willst du, daß aus deinem Lesen
Dir Segen Gott gewähre, so bedenke,
Ob trocken wohl mein Antlitz bleiben konnte,
Als ich mir gegenüber unser Bild
So sehr entstellt sah, daß der Augen Tränen
Den Hintern niedertroffen durch die Kerbe.
Gewiß, ich weinte, angelehnt an eine
Der Kanten jenes Felsens; doch es sprach
Der Meister: Bist auch du der Toren einer?
Fromm ist hier der, in dem das Mitleid tot ist;
Wer frevelt ärger wohl, als wer in Mitleid
Sich auflehnt gegen göttliches Gericht?
Erhebe denn das Haupt, gewahre jenen,
Für den im Angesichte der Thebaner
Sich auf der Boden tat, und alle riefen,
Amphiaraus, wie? verläßt das Heer du?
Er aber stürzte weiter, immer weiter,
Bis er zu Minos kam, der jeden anhält.
Sieh, wie die Schultern er zur Brust gewandelt.
Weil zu weit vorwärts er zu sehn sich traute,
Blickt er nun hinter sich und schreitet rückwärts.
Tiresias sieh, der die Gestalt verändert,
[85]
Als er vom Mann zum Weib gewandelt wurde
Und seiner Glieder jegliches vertauschte.
Doch mußte, eh das männliche Gefieder
Am Kinn ihm wieder wuchs, mit seinem Stabe
Auf's neue die zwei Schlangen er berühren.
Der mit dem Rücken seinem Bauch sich anschließt
Ist Aruns der in Luna's Bergen, wo
Der Carrarese, der im Tal wohnt, rodet,
Die Felsenhöhle zwischen weißem Marmor
Bewohnte, die zum Meer und zu den Sternen
Die Aussicht ihm nach jeder Seite freiließ.
Die aber mit den aufgelösten Flechten
Die Brüste sich bedeckt, die du nicht siehst,
Und dorthin wendet, was an ihr behaart ist,
War Manto, die so manches Land durchwandert,
Eh sie sich niederließ; wo ich zur Welt kam,
Und hiervon höre mich ein wenig an:
Nachdem ihr Vater aus der Welt geschieden
Und unfrei Bacchus' Stadt geworden war,
Ging lange Zeit sie durch die Welt umher.
Im schönen Welschland liegt am Fuß der Alpen,
Die gen Tirol das deutsche Land verschließen,
Ein großer See, den man Benaco nennet.
Wohl netzt von tausend Quellen all des Wassers,
Das dann in jenen See fließt, Apennin
Sich zwischen Cal Camonica und Garda.
Ein Fleck ist dort inmitten, wo der Bischof
Von Trento, Brescia, wie der Veronese,
Wenn sie des Weges kämen, segnen könnte.
Peschiera jene feste, schöne Wehr,
Um Bergamo wie Brescia Trutz zu bieten,
Liegt wo sich rings zumeist das Ufer senkte.
Dorthin muß alles Wasser niederrinnen,
Das Raum nicht findet in Benaco's Schoße,
Und durch der Weiden Grün rinnt es als Fluß.
Sobald dies Wasser nun zu fließen anfängt,
[86]
Heißt es Benaco nicht mehr, sondern Mincio,
Bis bei Governo in den Po es mündet.
Nach kurzem Laufe findet's eine Mulde,
In der es sich verbreitend, sie versumpfet
Und oft zur Sommerszeit Verderben bringt.
Als dieses Weg's die rauhe Jungfrau kam,
Gewahrte Land sie in des Sumpfes Mitte,
Noch unbebaut und der Bewohner mangelnd.
Hierher zog, Zauberkünste übend, Manto
Sich mit den ihren vor der Welt zurücke.
Hier lebte sie, ließ sterbend ihren Leib hier.
Dann sammelten die Leute, die umher
Gewohnt, an diesem Ort sich, weil er wegen
Des Sumpfes, der sich um ihn breitet, fest war.
Ob den Gebeinen bauten eine Stadt sie
Und nannten die, das Los nicht weiter fragend,
Der Uransiedlerin nach, Mantova.
Zahlreicher waren drin einst die Bewohner,
Bevor die Albernheit des Casalodi
Sich überlisten ließ durch Pinamonte.
Nun merke dir's, daß, wenn in andrer Weise
Den Ursprung meiner Stadt dir wer berichtet
Die Wahrheit nimmer Lüge dir verdunkle. –
Und ich: O Meister, deine Reden bieten
Mir so gewissen Glauben, daß, was andre
Berichten, mir erloschnen Kohlen gleich gilt.
Doch sag', ob unter denen die dort wandeln
Du welche siehst, die des Bemerkens wert sind,
Denn darauf nur ist jetzt mein Sinn gerichtet. –
Er aber sagte: Der, von dessen Wangen
Der Bart auf die gebräunten Schultern fällt,
War einst, als Griechenland so männerleer war,
Daß Knaben kaum sich in den Wiegen fanden,
Wahrsager, und in Aulis gab mit Kalchas
Das Zeichen er, das erste Tau zu kappen.
Er hieß Eurypylus und so berichtet
[87]
Mein hohes Trauerspiel an einer Stelle;
Du weißt es, denn ganz hast du's im Gedächtnis.
Der andre, der so schmal ist in den Weichen
War Michel Scotto, der die Trügereien
Der Zauberkünste gründlich spielen ließ.
Sieh dort Guido Bonatti, sieh Asdente!
Jetzt hätte gern er Leder nur und Pechdraht
Gehandhabt; doch zu spät kommt diese Reue.
Sieh die Verkehrten, die, um wahrzusagen
Die Nadel ließen, wie die Spul' und Spindel,
Und Zauberei mit Bild und Kräutern trieben.
Nun aber komm; bereits schwebt an der Gränze
Der zwei Halbkugeln und berührt die Welle
Jenseits Sevilla Cain mit dem Dornbusch.
Erst gestern Nacht war voll des Mondes Scheibe;
Du mußt es wissen, denn im tiefen Walde
War manches Mal ihr Leuchten dir von Nutzen. –
So sagt' er und er sprach noch, als wir gingen.
Einundzwanzigster Gesang
Von Brücke so zu Brücke gehend sprachen
Wir manches, das mein Lied nicht erst berichtet.
Als wir erreicht des Bogens Höhe, standen
Wir still, ein neues Malebolgetal
Voll unfruchtbarer Tränen zu betrachten,
Und dunkler schien es mir noch als die andren.
So wie im Arsenal der Venezianer
Im Winter zähes Pech zu sieden pflegt,
Um schlecht gewordne Schiffe zu kalfatern
Die nicht mehr fahren können, und der eine
Ein neues Fahrzeug baut, indes der andre
Des vielgereisten lecke Flanken ausstopft,
(Der pocht am Schnabel, jener nächst dem Steuer,
Der schneidet Ruder, jener windet Taue,
[88] Der flickt am Besam-, der am Hauptmastsegel)
So kochte dort, doch, statt durch Feuersgluten,
Durch Gottes Wunderkräfte, dickes Pech,
Das beide Ufer klebrig überzog.
Ich sah es wohl, doch drin erkannt' ich nur
Die Blasen, die der Sud erhob, von dem
Das Pech bald anschwoll, bald sich niedersenkte.
Noch blickt' ich aufmerksam in jene Tiefe,
Da riß der Führer mit dem Ruf: Sieh dorthin! –
Vom Ort mich, wo ich weilt', an seine Seite.
Ich wandte mich gleich dem, der ungeduldig
Zu sehen ist, was ihn zum Fliehen nötigt,
Und, obwohl Furcht ihm plötzlich allen Mut nimmt,
Zu fliehn nicht abläßt, doch fortwährend hinstarrt.
Und hinter uns sah einen schwarzen Teufel
Den Fels heran im schnellen Lauf ich kommen.
Wie war sein Aussehn doch so wild und grimmig,
Wie schien so grausam mir sein Tun und Wesen,
Mit offnen Flügeln und mit leichten Sohlen!
Auf seiner Schulter, die sich spitz erhob,
Bracht' einen Sünder rittlings er getragen
Und an den Knöcheln hielt er ihn gepackt.
O Malebranche, rief er, diese Brücke,
Da ist ein Aldermann der heil'gen Zita!
Taucht ihn ins Pech; ich gehe, mehr zu holen
In jene Stadt, die reichsten Vorrat bietet.
Bis auf Bonturo ist dort jeder käuflich;
Das Nein wird dort für Geld zum Ja gewandelt. –
Hinunter stürzt' er ihn, und wandte dann
Den Fels zurück sich, eilender, als je
Ein losgelassner Hund den Dieb verfolgte.
Der ging zugrunde, und mit dem Kopf nach unten
Taucht' er noch einmal auf; jedoch die Teufel
Der Brücke schrien: Hier gibt's kein heilig Antlitz!
Hier gilt es anders schwimmen als im Serchio.
Drum, willst du nicht erfahren wie wir kratzen,
[89]
So hüte aus dem Pech dich aufzutauchen. –
Dann faßten sie ihn mit wohl hundert Haken:
Hier gilt es, riefen sie, verdeckt zu tanzen,
Im Trüben, wenn es dir gelingt, zu fischen. –
So läßt der Koch wohl von den Küchenjungen
Mit langen Gabeln in des Kessels Mitte
Das Fleisch, daß es nicht schwimme, untertauchen.
Der gute Meister sprach: Damit sie dich
Noch nicht gewahren, so verbirg dich kauernd,
Wo dir ein Felsblock ein'gen Schutz gewähret,
Und, was sie mir vielleicht auch antun möchten,
So fürchte nicht. Ich bin der Dinge kundig;
Bestand ich doch schon früher gleichen Handel. –
Dann stieg die Brücke jenseits er hinab,
Und als betreten er das sechste Ufer,
Bedurft' er wahrlich Mut und Zuversicht.
Mit jener Wut, mit jenem Ungestüme,
Womit sich Hunde auf den Armen stürzen,
Der anhält und um eine Gabe bittet,
So brachen jene unterhalb der Brücke
Hervor und kehrten wider ihn die Spieße;
Er aber rief: Vergreif' an mich sich keiner!
Bevor eu'r Haken mich zu packen wagt,
Tret' einer vor und höre meine Rede;
Dann überlegt, ob ihr mich dennoch krallet. –
Da riefen alle: Geh' du, Malacoda. –
Und einer kam, dieweil die andren blieben;
Der aber sagte: Nun, was soll's ihm nutzen? –
Glaubst du wohl, Malacoda, sprach mein Meister,
Du würdest ohne Furcht vor euren Waffen
Hier angelangt mich sehn, wenn Gottes Wille
Und günstige Geschicke mich nicht führten?
Laß uns denn gehn; es ist des Himmels Wille,
Daß diesen rauhen Weg ich jemand weise. –
Da war der Übermut ihm so gesunken,
Daß niederfallen er den Haken ließ,
[90]
Und den Gefährten zurief: Tut ihm nichts! –
Dann rief der Führer: Der, vom Felsenvorsprung
Der Brücke du verdeckt, dort heimlich kauerst,
Komm jetzo unbesorgt zu mir zurücke. –
So brach ich auf, und eilte schnell zu ihm.
Die Teufel aber traten all' hervor,
Weshalb ich des Vertrages Bruch besorgte.
So sah die Knappen, die auf Treu und Glauben
Abzogen von Caprona, einst ich zittern,
Als rings umher sie nichts als Feind' erblickten.
Da drängte mit dem ganzen Leib' ich mich
Eng an den Führer und kein Auge wandt' ich
Von ihren Blicken, die nur Unheil drohten.
Die Haken senkten sie und: Soll im Kreuze
Ich einhaun? – sprach der eine zu dem andern.
Ja! war die Antwort, aber pack' ihn tüchtig. –
Der Teufel aber, der mit meinem Führer
Geredet hatte, wandte sich in Eile
Und sagte: Ruhe, Ruhe Scarmiglione! –
Dann redet' er zu uns: Auf diesen Felsen
Könnt ihr nicht weitergehn, weil ganz zertrümmert
Der sechste Bogen in der Tiefe liegt.
Wenn aber fürder euch beliebt zu gehen,
So wandert fort auf diesem Felsendamme;
Bald trefft ihr einen Block der gangbar ist.
Erst gestern waren's doch fünf Stunden später
Als jetzt, zwölfhundertsechsundsechzig Jahre,
Seit unterbrochen hier die Straße ward.
Dorthinwärts schick' ich ein'ge meiner Leute,
Um nachzusehn, ob aus dem Pech wer auftaucht;
Begleitet sie und nichts soll'n sie euch antun. –
So tretet vor, Cagnazzo, Alichino,
Hub er zu reden an, und Calcabrina,
Doch Führer von den Zehn sei Barbariccia.
Auch Libicocco komm' und Draghignazzo,
Ciriatto mit den Hauern, Graffiacane
[91]
Nebst Farfarell und Rubicant, dem tollen.
So spähet denn entlang dem heißen Peche,
Doch diese rührt bis zu der nächsten Brücke
Nicht an, die feststeht über all den Schluchten. –
O weh mir, rief ich, Meister, was erblick ich!
Laß ohne dies Geleite, weißt den Weg du,
Uns weitergehn, denn nicht begehr' ich seiner.
Merkst du so sorglich auf, als du gewohnt bist,
So schau nur hin, wie sie die Zähne fletschen
Und, sich einander winkend, uns bedräun. –
Und er zu mir: Du sollst dich drum nicht fürchten;
Laß nach Belieben sie die Zähne fletschen,
Sie tun das nur für die gesottnen Sünder. –
Nun wandten sie sich nach dem Damm zur Linken;
Doch gegen ihren Führer hatten alle
Zuvor die Zunge als Signal gebläkt,
Und als Trompete er den Steiß gebraucht.
Zweiundzwanzigster Gesang
Aufbrechen sah ich Ritter manches Mal
Zum Sturme, oder ihre Kunst zu proben,
Zu Zeiten auch, um sich durch Flucht zu retten.
Landsknechte sah ich eu'r Gebiet durchstreifen,
O Aretiner, und viel Reitertruppe,
Wettkämpfe sah ich auch und sah Turniere.
Drommeten gaben bald, bald gaben Glocken,
Bald Trommeln den Befehl, bald von den Burgen
Signale, heimischer und fremder Weise;
Doch Reiter sah ich nie, sah niemals Fußvolk,
Nicht Schiffe, welche Stern und Leuchtturm leitet,
Dem Ruf so seltsamer Schalmei gehorchen.
So zogen wir dahin mit den zehn Teufeln:
Ein gräuliches Geleit; doch in der Kirche
Mit Heiligen, mit Säufern in der Schenke!
[92]
Stets nach dem Peche war mein Blick gewandt,
Um die Beschaffenheit der fünften Bolgia
Und der darin Gesottenen zu gewahren.
Wie die Delphine mit des Rückens Bogen
Den Schiffern oft ein Warnungszeichen geben,
Daß vor des Sturms Beginn ihr Schiff sie bergen,
So zeigte, um die Qualen sich zu mindern,
Bald hier bald dort ein Sünder seinen Rücken
Und barg ihn schneller als ein Blitz vergeht.
Und wie am Rand von eines Grabens Wasser
Die Schnauze nur heraus die Frösche stecken
Und unsichtbar so Leib als Füße bleiben,
So saßen hier die Sünder allerwege.
Doch wenn sie Barbariccia kommen sahn,
Verschwanden schnell sie unterm schwarzen Sude.
Da sah ich, und noch bebt mein Herz davon,
Der Schatten einen seine Flucht verzögern,
Wie ein Frosch wohl verweilt, wenn andre tauchen.
Und Graffiacane, der zunächst ihm war,
Schlang um den Haken die durchpichten Haare
Und hob ihn hoch; da glich er der Fischotter.
Von allen Zehn kannt' ich bereits die Namen,
Denn aufgemerkt hatt' ich, als Malacoda
Sie wählt' und dann wenn sie einander nannten.
Schnell, Rubicante, schlage deine Krallen
Ihm derb ins Fleisch, daß du das Fell ihm abziehst, –
So schrien einstimmig all die Maledeiten.
Ich sagte: Meister, wenn du kannst, so sorge,
Daß ich, wer der Unsel'ge ist, vernehme,
Der seinen Widersachern in die Hand fiel. –
Da trat mein Führer zu ihm hin und frug
Nach seiner Heimat ihn; der aber sagte:
Navarra's Königreich war mein Geburtsland.
In Herrendienst verdrang mich meine Mutter,
Weil sie mit einem Schelmen mich erzeuget,
Der seiner Hab' und sich ein Ende machte.
[93]
Dann ward mein Herr der gute König Thibault,
Und feil war ich in meines Dienstes Pflichten,
Wofür in dieser Glut ich Rechnung lege. –
Ciriatto, dessen Maul zu jeder Seite,
Gleich dem des Ebers, einen Hauzahn vorwies,
Ließ ihn nun fühlen, wie der eine aufschlitzt.
Gar schlimmen Katzen war die Maus verfallen;
Doch Barbariccia faßt' ihn in die Arme
Und sagte: Fort! so lang' als ich ihn halte. –
Dann wandt' er das Gesicht zu meinem Meister
Und sagte: Willst du mehr noch von ihm wissen,
So frag ihn jetzt, bevor er abgetan wird. –
Bericht' uns, sprach Virgil, von den Genossen.
Kennst unter denen, die im Pech sich bergen,
Du nicht Lateiner? – Jener drauf: Soeben
Verließ ich wen, der dort herum zu Hause
Wär' unterm Peche ich, gleich ihm, verborgen,
So wollt' ich Krallen nicht, noch Haken fürchten. –
Doch Libicocco: Allzulange hatten
Geduld wir – und mit seinem Haken packt' er
Den Arm und riß ihm eine Muskel aus.
Auch Draghignazzo wollt' ihn an den Beinen
Erfassen; doch ihr Hauptmann wandte drob
Sich rings umher mit zürnender Gebärde.
Als sie dann etwas sich beruhigt hatten,
Frug ohne Aufenthalt mein Führer jenen,
Der traurig noch auf seine Wunde blickte,
Wer war es denn, den, wie du sagst, zum Unheil
Du ließest, um ans Ufer hier zu kommen? –
Er sagte drauf: Das war Frate Gomita,
Der aus Gallura, Rüstzeug jeden Truges,
Der seines Herren Feind' in Händen hatte,
Und ihnen tat, daß alle drum ihn loben.
Er nahm das Geld und ließ sie sich »verkrümeln«,
Wie er es nennt, und auch in andren Pflichten
War immer ohne Scheu er jedem käuflich.
[94]
Mit ihm verkehrt zumeist Don Michel Zanche
Aus Logodoro, und vom Land Sardinien
Ermüden ihre Zungen nie zu reden.
Doch seht nur, seht die Zähne den da fletschen!
Wohl sagt ich mehr, besorgt' ich nicht, er habe
Im Sinne, übel mir den Grind zu kratzen. –
Da sagt' ihr Führer rasch zu Farfarello,
Der schlagfertig schon den Blick verdrehte,
Halt ein und tritt zur Seite, schlimmer Vogel! –
Liegt euch daran, Toscaner und Lombarden,
Begann beruhigter darauf der Sünder,
Zu hören und zu sehn, kann ich sie schaffen;
Nur müssen dann die üblen Krall'n sich etwas
Entfernen, damit jene sich nicht fürchten.
Ich aber will, an dieser Stelle sitzend,
Indem ich pfeife, so wie unser Brauch ist,
Wenn wer von uns aus diesem Peche auftaucht,
Für einen der ich bin, euch sieben schaffen. –
Die Schnauz' erhob bei solchem Wort Cagnazzo
Und schüttelte den Kopf: Seht nur die Bosheit,
Sagt' er, die der entsann, uns zu entspringen! –
Doch jener, der der Listen Fülle hatte,
Erwiderte: Nur allzu boshaft bin ich,
Wenn größres Unheil ich den Meinen schaffe. –
Nicht länger hielt sich Alichino; trotz
Der andren rief er: Willst du uns entwischen,
So lauf ich im Galoppe dir nicht nach,
Nein, überm Pech hin, schlag' ich meine Flügel.
Verlassen wir den Damm, das Ufer berg' uns.
Ob mehr du kannst als wir wird dann sich zeigen. –
Ein neues Spiel wirst, Leser, du nun hören:
Nach jenseits wandten alle das Gesicht
Und der zuerst, der lautest widersprochen.
Der Navarrese paßte wohl die Zeit ab,
Schloß rasch die Beine, und mit einem Sprunge
Entging er allem, was im Sinn sie hatten.
[95]
Da warf sich jeder das Geschehene vor,
Und der am meisten, der den Fehl verschuldet.
Schnell flog er auf und schrie: Da halt' ich dich! –
Doch wenig fruchtet's ihm, denn nicht vermochten
Des andern Furcht die Flügel einzuholen;
Als jener tauchte flog er wieder aufwärts,
Nicht anders wie, wenn niederstößt der Falke,
Die Ente plötzlich untertaucht, er aber
Erboßt und müde wiederum emporfliegt.
Im Zorn, verhöhnt zu sein, flog Calcabrina
Ihm nach und war, um Grund zum Streit zu haben,
Daß jener sich gerettet, wohl zufrieden.
Sobald der Navarres' im Pech verschwand,
Kehrt' er die Krallen wider den Gefährten
Und faßte überm Graben sich mit ihm;
Der andre aber war ein guter Stößer
Und packt' ihn mit den Krallen, so daß beide
Hinfielen in des heißen Pfuhles Mitte.
Wohl brachte schnell die Glut sie auseinander;
Doch mit dem Fliegen war es drum noch nichts,
So klebten ihnen von dem Pech die Flügel.
Gleich allen ärgerlich, ließ Barbariccia
Von seinen Leuten vier an's andre Ufer
Mit ihren Haken fliegen, und behende
Stieg dies- und jenseits gleiche Zahl zum Strande.
Die Haken streckten sie nach den Verklebten,
Die sich verbrannt bis tief in's Innre hatten;
So waren sie verstrickt, als wir sie ließen.
Dreiundzwanzigster Gesang
Schweigsam, allein und des Geleites ledig,
Der eine nach dem andren, gingen wir,
Wie Minoriten auf dem Wege gehn.
Es wandt' ob dieses Streites mein Gedanke
Sich zu Aesopens Fabel, wo vom Frosche,
[96]
Vom Geier er und von der Maus berichtet.
Denn ähnlicher ist nicht ein Ei dem andern,
Als Streit und Fabel tun, verknüpft man richtig
Anfang und End' in sorglicher Erwägung.
Und wie Gedanke aus Gedanken quillt,
Also gebar der ein' in mir den andren,
Wodurch mir doppelt große Furcht erwuchs.
Ich dachte bei mir selbst: So überlistet
Sind jene unserthalb mit Hohn und Schaden,
Daß, wie ich glaub' es sie nicht wenig ärgert.
Kommt nun zum bösen Willen Zorn hinzu,
So werden, ärger als der Hund den Hasen,
Den er schon fast erreicht, sie uns verfolgen.
Schon fühlt' ich, wie sich mir die Haare sträubten
Vor lauter Furcht, und rückwärts horcht' ich auf.
Da sagt ich: Meister, birgst du nicht in Eile
Uns beide, fürcht' ich, daß die Malebranche
Uns fassen, denn sie sind auf unsren Fersen;
So malt sie mir die Angst, daß ich sie fühle. –
Er aber: Wär' ich bleibelegtes Glas,
So böte schneller nicht dein Bild von außen
Sich mir, als jetzt ich's innerlich empfange.
Erst eben mischten deine sich zu meinen
Gedanken, gleich an Inhalt und Gebärde,
So daß uns beiden ein Entschluß hervorging.
Ist solcher Art des rechten Ufers Abhang,
Daß wir hinab zur nächsten Bolgia können,
So woll'n wir der geahnten Jagd entrinnen. –
Kaum hatt' er diesen Vorsatz ausgesprochen,
Als ich sie, nahe schon, um uns zu greifen,
Uns nach mit offnen Flügeln kommen sah.
Da faßt' in großer Eile mich der Führer,
Wie wohl die Mutter, die vom Knistern aufwacht
Und neben sich die Flamme lodern sieht,
Ihr Kind, an dem ihr mehr als an ihr selbst liegt,
Ergreift und ohne Säumen schnell davoneilt,
[97]
So daß sie mehr nicht als ein Hemd nur anzieht.
Und rücklings an des rauhen Ufers Höhe
Ließ er den steilen Fels sich niedergleiten,
Durch den das nächste Tal diesseits begrenzt wird.
So eilig schoß durch ein Gerinne nimmer
Das Wasser, um ein Mühlrad umzutreiben,
Da wo den Schaufeln es am nächsten kam,
Als diesen Rand mein Meister niederglitt
Und mich dabei, als ob sein Sohn ich wäre,
Nicht der Gefährte, trug auf seiner Brust.
Erreicht war kaum der Grund von seinen Füßen,
Als über uns die Teufel auf dem Damme
Erschienen; doch war nun nichts mehr zu fürchten.
Denn, die zu Dienern sie des fünften Grabens
Bestellt, die hohe Vorsehung, beraubt sie
Der Fähigkeit, von dort sich zu entfernen.
Die dort wir fanden, trugen falsche Farben.
Langsamen Schrittes zogen sie daher,
Erschöpft und kraftlos schienen sie und weinten.
Sie trugen Kutten mit Kapuzen, welche
Die Augen überdeckten, denen ähnlich,
Die man in Clugny für die Mönche fertigt.
Vergoldet sind sie außen, daß es blendet;
Doch innen bleiern und so schwer, daß jene,
Die Friedrich umtat, Stroh dagegen schienen.
Und dieser Mantel lastet ewiglich!
Wir wandten, merkend auf ihr traurig Klagen,
Zur Linken uns, mit ihnen gleicher Richtung;
Doch gingen, ob der schweren Last, die Müden
So langsam, daß bei jedem neuen Schritte
Wir andre Seelen zu Gefährten hatten.
Zum Führer sagt' ich drum: Indem wir gehen,
Bitt' ich dich umzuschau'n, ob du nicht einen
Gewahrst, des Namen oder Tat bekannt ist. –
Und einer, der vernommen, was toskanisch
Ich sprach, rief hinter uns: Hemmt eure Schritte,
[98]
Die ihr so lauft in diesen dunklen Räumen;
Vielleicht kann, was du wünschest, ich gewähren. –
Mein Führer wandte sich und sagt': Erwart' ihn,
Und geh' dann gleichen Schrittes mit ihm weiter. –
Ich stand, und Zweie sah ich, deren Eifer
Mich einzuholen ihre Züge malten;
Doch hemmten Last und enger Weg die Eile.
Herangekommen, schauten von der Seite
Sie eine Weile nach mir hin und schwiegen;
Dann blickten sie einander an und sagten:
Lebendig scheint der eine, denn er atmet;
Doch, sind sie tot, wie kommen sie zum Vorrecht,
Des schweren Mantels ledig hier zu wandeln? –
Toskaner, sprachen sie, der zu der Heuchler
Unwürd'ger Gilde du gekommen bist,
Verschmähe nicht, uns wer du bist zu künden. –
Geboren, sagt' ich, und erwachsen bin ich
Am schönen Arno in der großen Stadt.
Den Leib, den ich gehabt, hab' ich noch immer.
Doch wer seid ihr denn, über deren Wangen
So vielen Schmerz ich niederträufeln sehe,
Und was für Strafe tragt ihr, die so gleißet? –
Die gelben Kutten, sagte drauf der eine,
Sind von so dickem Blei, daß die Gewichte
Die Balken ihrer Wage stöhnen machen.
Gaudenten waren wir und Bologneser,
Ich Catalano, jener Loderingo
Genannt, und deine Vaterstadt berief uns,
So wie, zum Schutz des innern Friedens, einen
Man sonst zu rufen pflegt, und wir verfuhren
So, wie man beim Gardingo noch gewahr wird. –
O Brüder, so begann ich, Eure Qualen – –
Doch da verstummt' ich, denn ich sah am Boden,
Gekreuzigt mit drei Pflöcken, einen liegen.
Als der mich sah, zuckt' er am ganzen Leibe
Und stöhnte unter Seufzen in den Bart.
[99]
Fra Catalano sah's und sprach zu mir:
Den du dort angenagelt siehst, der sagte
Einst zu den Pharisäern, es sei besser,
Daß ein Mensch sterbe für das ganze Volk.
Nun liegt er nackt querüber auf dem Wege,
Wie du ihn siehst, und was ein jeder wiege,
Der dieses Pfades geht, muß er empfinden.
Die gleiche Strafe trifft den Schwiegervater
Und die noch sonst zum hohen Rat gehörten,
Der für die Juden schlimme Saat geworden. –
Da nahm ich wahr, wie sehr Virgil erstaunte
Ob dessen, der so tief erniedrigt dort lag
In's Kreuz gespannt in ewiger Verbannung.
Zu dem Gaudenten sprach er dann die Worte:
Ist's euch erlaubt, so wollet uns berichten,
Ob in dem Damm hier, rechts ein Tal sich einsenkt,
Durch welches, ohne erst die schwarzen Engel
Zu unsrer Hilf zu entbieten, beide
Aus dieser Schlucht den Ausgang wir gewönnen? –
Der gab zur Antwort: Näher als du hoffest
Ist euch ein Fels, der von der großen Kreiswand
Ausgehend, all' die Schluchten überbrückt,
Und eingestürzt nur über dieser ist.
Hinaufzusteigen hilft Euch das Getrümmer,
Das, unten aufgehäuft, die Steile mindert. –
Ein Weilchen stand gesenkten Haupts mein Führer,
Dann sagt' er: Übel hat uns der berichtet,
Der drüben mit dem Haken Sünder krallt. –
Und jener sprach: Man hat mir in Bologna
Vom Teufel manche Sünd' erzählt, darunter,
Daß er ein Lügner sei und Lügenvater. –
Mit großen Schritten ging der Führer weiter
Und Unmut färbt' ein wenig seine Wangen.
So schied ich von den schwer beladnen Sündern
Und setzt' in seine Spuren meine Füße.
[100] Vierundzwanzigster Gesang
In jener Zeit des jungen Jahres, wo
Die Sonn' ihr Haar im Wassermanne kräftigt
Und gegen Süden schon die Nächt' entweichen,
Geschieht's wohl, daß der Reif den Boden rings
Mit seiner weißen Schwester Bild malt;
Doch seiner Feder Schnitt hält wenig vor.
Dann steht der Landmann, dem das Futter mangelt,
Am Morgen auf, und, sieht er seine Felder
Weiß überdeckt, so schlägt er sich die Hüfte,
Kehrt wieder heim und klagt nach allen Seiten
Dem Armen gleich, der sich nicht weiß zu raten.
Noch einmal schaut er aus, und seine Hoffnung
Erstarkt auf's neu; denn schon sieht er verwandelt
Das Ansehn der Natur, und schnell ergreift er
Den Stab um seine Schäflein auszutreiben.
Also erschrak ich, als des Meisters Stirne,
Mit Wolken, wie ich wahrnahm, sich umzog,
Also gab für die Wund' er schnell das Pflaster.
Denn, als wir kamen zur zerstörten Brücke,
Wandt' er zu mir sich mit dem güt'gen Ausdruck,
Den ich zuerst am Fuß des Berges sah:
Die Arme tat er auf und, als ein Weilchen
Er sich bedacht, indem das Felsgetrümmer
Er überschaute, hob er mich empor.
Wie wer zu gleicher Zeit erwägt und ausführt,
Und, handelnd, immer vorzusorgen scheint,
So tat auch er indem er mich hinauftrug.
Von einer Klipp' erspäht' er schon die zweite
Und sagt': An jene halte dich nun an;
Doch prüfe erst, ob festen Fuß sie bietet. –
Das war kein Weg im Mantel ihn zu machen!
Ihm, der so leicht, und mir, von ihm gehoben,
Gelang es kaum, von Fels zu Fels zu klettern.
[101]
Und wäre nicht des Tales inn're Böschung
Viel niedriger, so weiß ich nicht, ob er;
Ich aber wäre sicher unterlegen.
Weil aber Malebolge nach der Mündung
Des tiefsten Brunnens sich herniedersenkt,
So bringt des Orts Beschaffenheit es mit sich,
Das ein Rand aufsteigt und der andre abfällt.
Endlich gelangten wir zum obren Saume,
Von wo der letzte Stein diesseits geneigt ist.
So gänzlich war der Atem mir vergangen,
Als ich dort ankam, daß ich nicht mehr konnte
Und vor Erschöpfung gleich mich niedersetzte.
Der Lässigkeit mußt du dich nun erwehren,
Begann mein Meister, denn auf Lotterbetten
Gelangt zum Ruhm man nicht, noch unter Daunen.
Wer aber ohne den sein Leben hinbringt,
Läßt keine andre Spur zurück auf Erden,
Als in der Luft der Rauch, der Schaum im Wasser.
So steh' denn auf, bezwinge die Erschöpfung
In jenem Willen, der den Kampf zum Sieg führt,
Beugt er sich nur nicht vor des Körpers Schwere.
Viel höh're Stiege bleibt noch zu erklimmen.
Von diesen los zu sein, reicht noch nicht hin;
Verstehst du mich, so laß es sich bewähren. –
Sofort erhob ich mich und, mich bestrebend
An Atem reicher als ich war zu scheinen,
Sagt' ich: Wohlan, mutvoll bin ich und kräftig. –
Den Brückenfels hinan führt' unser Weg,
Der eng und rauh und schwierig war zu gehen
Und steiler noch um vieles als der früh're;
Doch sprach im Geh'n ich, um nicht matt zu scheinen
Da tönte aus dem Graben eine Stimme,
Die ungeschickt schien, Worte zu gestalten.
Ich weiß nicht, was sie sagte, ob ich gleich
Schon angelangt war auf des Bogens Höhe;
Doch schien der Redende erregt von Zorne.
[102]
Ich sah hinab: doch des Lebend'gen Auge
Erreichte durch das Dunkel nicht den Boden.
Drum sagt' ich: Meister laß uns jenes Ufer
Gewinnen und die Böschung niedersteigen
Wohl hören kann ich hier, doch nichts verstehen,
So seh' ich auch, und kann doch nichts erkennen. –
Statt aller Antwort, sagt' er, will ich tun
Was du begehrt; denn die verständ'ge Bitte
Soll durch die Tat man, ohne Wort', erfüllen. –
So stiegen von der Brücke wir hernieder,
Dort wo das achte Ufer sie berühret,
Und nun ward mir die Bolgia offenbar.
Da drinnen kroch und wimmelt' es von Schlangen,
So grauenvoll und so verschiedner Arten,
Daß mir das Blut gerinnt, denk ich daran.
So viel kann sich Lybiens Sand nicht rühmen;
Denn, zeugt er Vipern auch und Ringelnattern,
Gleich Ottern und viel ähnlichem Gezüchte,
Zeigt' er doch nie so viel und argen Giftstoff,
Auch wenn man Äthiopien noch hinzunimmt
Und das am roten Meer belegne Land.
Und zwischen all' dem gräulichen Getiere
Sah hin und her ich Nackte laufen, welche
Umsonst nach Heliotrop und Schlupfloch suchten.
Rücklings gebunden waren ihre Hände
Von Schlangen, die mit Kopf und Schwanz ihr Kreuz
Durchbohrt, um beide vorne zu verknoten.
Da schnellt' auf einen, der uns nahe stand,
Sich eine Schlange los und sie durchstach ihn,
Wo mit dem Hals der Nacken sich verbindet.
Kein O ward je so schnell, kein I geschrieben,
Als er in Flammen aufging und verbrannte
Und dann zu Boden fiel, ein Häuflein Asche.
Kaum aber lag er so zerstört danieder,
Als sich der Staub auf's neu' zusammenfand
Und wieder ward, was er zuvor gewesen.
[103]
So melden uns die Weisen alter Zeit,
Daß, wenn er auf fünfhundert Jahr sein Alter
Gebracht, der Phönix stirbt und wieder auflebt.
Nicht Korn noch Kräuter frißt er all sein Leben;
Amomus nährt ihn nur und Weihrauchstränen,
Sein Leichentuch sind Nard' und Myrrhenbalsam.
Und wie, wer niederfällt, weil ihn ein Dämon
Besessen, oder weil sein Blut in Stockung
Geriet, so daß ihm das Bewußtsein schwand,
Wenn er dann wieder aufsteht, rings umherschaut,
Und, ganz verstört von der erlitt'nen Angst,
Beklommen seufzt, wie er die Augen öffnet,
So tat der Sünder als er sich erhoben.
O Allmacht Gottes, wohl bemißt du richtig,
Wenn solche Schläge du zur Rache austeilst!
Dann frug der Führer ihn nach seinem Namen.
Und er darauf: Ich schneite aus Toskana
Unlängst in diesen grausen Schlund hernieder.
Ein Bastard war ich, und ich führt' ein Leben
Mehr vieh- als menschengleich, hieß Vanni Fucci,
Das Vieh. Pistoja war mir würd'ges Lager. –
Zum Meister sagt ich: Heiß' ihn, nicht entschlüpfen
Und frag' ihn, welche Schuld hierher ihn brachte;
Einst kannt' ich ihn als Mann des Blut's und Zornes. –
Der Sünder wandte, als er dies vernommen,
Zu mir so Aug' als Sinn, und ohne Hehl
Sprach traurig er und Scham färbt' ihm die Wangen:
Mehr schmerzt es mich, daß ich in solchem Elend,
Wie du hier siehst, von dir ward angetroffen,
Als mich es schmerzte, aus der Welt zu scheiden.
Versagen mag ich nicht, was du begehrst:
Weil in der Sakristei der Prachtgeräte
Ich stahl, ward ich verdammt in solche Tiefe,
Und fälschlich ward's wem andren beigemessen.
Doch, daß du solchen Anblicks dich nicht freuest,
Wenn je die finstren Räume du verlässest,
[104]
So hör' auch das, was ich dir nun verkünde:
Pistoja wird zuerst an Schwarzen ärmer,
Dann wandlen sich in Florenz Leut' und Sitten.
Dunst ruft aus Val di Magra Mars hervor,
Um den sich trübe Wetterwolken lagern;
Dann wird auf dem Picenischen Gefilde
Gekämpft mit mächtigem und wildem Sturme.
Der aber wird den Nebel schnell zerreißen,
So daß der Schlag jedweden Weißen trifft.
Dies sagt ich Dir, um dich damit zu kränken. –
Fünfundzwanzigster Gesang
Es reckte, als er schwieg, der Dieb die Hände
Mit durchgesteckten Daumen beid' empor
Und schrie: Dir Gott gilt die Gebärde, nimm sie!
Lieb sind seitdem die Schlangen mir geworden;
Denn eine wand sich fest um seinen Hals,
Als sagte sie: Du sollst nicht weiter reden.
Dir Arme schnürt' ihm eine andre fest
Und sie verknotete sich vorn so enge,
Daß keinen Ruck zu tun er mehr vermochte.
Pistoja, ach, warum beschließt du nicht,
Dich selbst durch Feuer von der Welt zu tilgen,
Weil du noch schlimmer bist als wie dein Samen!
In keinem all' der dunklen Höllenkreise
Sah einen Geist ich, der so frech gelästert;
Auch der nicht, der von Thebens Mauern stürzte.
Fort eilte er und sprach nicht eine Silbe.
Und wild kam ein Zentaur daher gesprengt,
Der rief: Wo ist, wo ist er hin der Arge? –
Wohl hegt nicht so viel Schlangen die Maremma,
Als ihm vom Widerrist bis dahin lagen,
Wo die Gestalt den Menschen an ihm anfängt.
Doch über dem Genick' und auf den Schultern
[105]
Hockt' ihm ein Drache mit gespreizten Flügeln,
Der durch den Atem was er antrifft zündet.
Da sprach mein Meister: Siehe, das ist Cacus,
Der oft am Fuß des Aventiner Berges
Solch Blut vergoß, daß es in Lachen stau'te.
Weil er durch List und Trug die große Herde,
Als sie ihm nahe rastete, gestohlen,
Geht mit den Brüdern er nicht gleichen Weges.
Damals beendeten sein schnödes Treiben
Des Herkules gewalt'ge Keulenschläge.
Ihn trafen hundert, doch nicht zehne fühlt' er. –
Drei Geister waren, als er sprach und jener
Vorüberfloh, bis unter uns gekommen;
Doch sah der Meister sie sowohl als ich
Erst als der eine rief: Sagt an, wer seid ihr? –
Da machten dem Gespräche wir ein Ende
Und merkten nun auch unsrerseits auf sie.
Ich kannte ihrer keinen; doch geschah es,
Wie wohl durch Zufall zu geschehen pflegt,
Daß einer im Gespräch den andern nannte.
Wo ist, so sagt' er, Cianfa nur geblieben? –
Damit der Führer nun aufmerken möchte,
Streckt' ich vom Kinn zur Nase meinen Finger.
Bist du, o Leser, was ich nun berichte
Zu glauben schwer geneigt, nimmt mich's nicht Wunder;
Glaub ich's doch kaum, der es mit angesehen.
Noch war mein Auge ihnen zugewendet,
Da sah ich eine Schlange mit sechs Füßen,
Die vorn auf einen lossprang und ihn packte.
Die mittler'n Bein' umklammerten den Bauch ihm,
Die vordersten verstrickten sich den Armen.
Dann, mit den Zähnen, faßte sie die Backen,
Die Lenden nieder dehnte sie die hintren,
Es bog den Schwanz sie zwischen beiden durch,
Ihn dann das Kreuz entlang emporzustrecken.
Nie haftete an einem Baum der Efeu
[106]
So fest, als wie dies grause Ungeheuer
Die seinen um die fremden Glieder schlang.
Dann klebten aneinander sie, als wären
Sie heißes Wachs, und mengten ihre Farbe,
Und keiner schien mehr das, was er gewesen.
So geht am brennenden Papier der Flamme,
Die weiter greift, voraus die dunkle Färbung,
Die noch nicht schwarz und doch auch nicht mehr weiß ist.
Die andern beiden schauten zu, und jeder
Rief: Weh' Agnello, wie du dich verwandelst!
Sieh doch, wie du nicht eins nun bist, nicht zweie. –
Schon waren die zwei Häupter eins geworden
Die Züge beider schienen uns verschmolzen
In ein Gesicht, aus dem die zwei geschwunden.
Es wurden aus vier Streifen die zwei Arme,
So Bein' als Lenden, Rumpf sowohl wie Bauch
Umformten sich zu nie gesehnen Gliedern.
Verschwunden war jedwedes frühre Aussehn:
So beides, als von beiden keins, entfernte
Sich das entstellte Bild langsamen Schrittes.
Wie um die Zeit der ärgsten Hundstagsglut
Eidechsen, die von Zaun zu Zaune schlüpfen,
Den Weg durchkreuzen, gleich dem Blitz behende,
So anzuschaun war eine grimm'ge Schlange,
Die schwarz und bräunlich, so wie Pfefferkörner,
Sich auf den Bauch der beiden andren stürzte.
Den Teil, durch den zuerst uns Nahrung zugeht,
Durchbohrte sie dem einen und dann fiel
Zu seinen Füßen regungslos sie nieder.
Es schaute der Verwundete sie an,
Doch schwieg er; als ob Fieber oder Schlaf
Ihn packe, gähnt' er unbewegten Fußes.
Die Schlange blickt' auf ihn und er auf sie.
Qualm drang aus seiner Wund' und ihrem Maule
Und mit dem einen mischte sich der andre.
Es schweige nun Lucan, wo von dem armen
[107]
Sabellius und Nasidius er berichtet,
Und höre wohl auf das, was nun gesagt wird.
Auch schweig' Ovid von Arethus' und Kadmus;
Nicht neid ich ihn, verwandelt sein Gedicht
Zur Schlange diesen und zur Quelle jene
Denn nie vertauscht' einander gegenüber
Er zwei Naturen, so daß die Gestalten
Die Stoffe wechselsweis gewandelt hätten.
Also entsprachen sie sich nun einander
Daß ihren Schweif die Schlang' in zweie teilte
Und jener seine Füß' in eins verband.
So wuchsen aneinander Bein' und Lenden,
Daß ihre Fuge wiederzuerkennen
In kurzer Zeit nicht mehr gelungen wäre.
Und die Gestalt, die dort verloren wurde,
Gewann der Schlange Schweif der sich gespalten.
Weich wurde ihre Haut und hart die seine,
Die Arme zog er in die Achselhöhlen;
Des Tieres kurze Bein' hingegen dehnten
Sich ebenso, wie jene sich verkürzten.
Verschlungen bildeten die Hinterfüße
Der Schlange jenes Glied, das man verhüllet,
Und zweigeteilt ward jenem Ärmsten seines.
Mit neuer Farbe kleidete die beiden
Der Rauch noch und beraubte den der Haare,
Mit welchen jenen er dafür bedeckte,
Als einer aufstand und der andre hinfiel,
Doch ohne drum die Augen zu verwenden,
Wobei sie wechselsweis die Züge tauschten.
Es zog der Aufrechtsteh'nde zu den Schläfen
Das Fleisch, und aus dem so gehäuften wurde
Das Ohrenpaar, das aus dem Haupt hervortrat.
Aus dem was nicht nach rückwärts quoll und vorne
Sich häufte, ward dem Angesicht die Nase
Und was die Lippen anzuschwellen nötig.
Es streckt der Liegende die Schnauze vorwärts
[108]
Und in das Haupt zieht er die Ohren ein,
Wie Schnecken tun wenn sie die Hörner einziehn.
Es spaltet sich die bisher ungeteilte,
Zum Reden fert'ge, Zung', und die gespaltne
Schließt sich zusammen, – und der Qualm vergeht.
Der Schatten, der zum Tiere nun geworden,
Enteilte zischend durch das dunkle Tal;
Der andre spuckte redend hinter ihm.
Dann wandt er ihm die neu erlangten Schultern
Und sprach zum andren: Mag auf seinem Bauche,
Wie ich bisher getan, nun Buoso laufen! –
Verwandeln sah ich so und sich vertauschen
Des siebten Grabens Schlamm, und es entschuldge
Den Kiel, ließ er sich etwas gehn, die Neuheit.
Wie meine Augen auch befangen waren
Und wie bestrickt mein Sinn, so konnten jene
Doch nicht so heimlich fliehn, daß ich nicht deutlich
Puccio Sciancato hätt' erkennen mögen.
Und der von ihnen war's, der unverwandelt
Allein noch übrig war von jenen drei'n;
Den du beweinst, Gaville, war der andre.
Sechsundzwanzigster Gesang
Erfreue dich o Florenz deiner Größe,
Denn über Land und Meer schlägst du die Flügel
Und in der ganzen Höll' erklingt dein Name.
Fünf deiner Bürger fand ich bei den schlimmsten
Spitzbuben, dessen iceh mich höchlich schäme,
Und große Ehre drob dir nicht erwächst.
Wenn aber Wahrheit Morgenträume künden,
So wird in naher Zukunft dir begegnen,
Was Prato, andre zu geschweigen, wünschet.
Wär's schon gescheh'n, so wär es nicht verfrühet.
Wär's nur vorbei, ist's einmal unvermeidlich;
[109]
Denn, wie ich älter werde, trag' ich's schwerer.
Wir gingen weiter, und hinauf die Stufen,
Als welche uns zuvor gedient die Höcker,
Stieg erst mein Meister und mich zog er nach sich.
Wie zwischen dem Geklüfte und den Zacken
Der Felswand wir den öden Weg verfolgten,
Kam, wenn die Hand nicht half, der Fuß nicht vorwärts
Da klagt' ich laut und klage jetzo wieder,
Denk' ich an das zurück, was ich gesehen
Und zügle meinen Geist mehr als ich pflege,
Daß, ungeführt von Tugend, er nicht laufe;
Damit, wenn die Gestirne, oder Bessres
Mir Heil beschieden, ich's nicht selbst verscherze.
So viel Glühwürmer unten in dem Tale,
Wo Wein vielleicht er erntet oder ackert,
Der Landmann, der am Bergesabhang ruht,
Sobald die Fliege weichen muß der Mücke,
Erblickt, wenn der Planet, der Licht der Welt leiht,
Sein Antlitz uns am wenigsten verbirgt,
Von so viel Flammen sah die achte Bolgia
Ich rings erglänzen, als ich zu der Stelle
Gelangt war, wo ihr Boden sich mir zeigte.
Wie der Prophet, der sich durch Bären rächte,
Entschwinden sah den Wagen des Elias,
Als steil gen Himmel sich die Rosse hoben,
Und wie, als mit dem Aug' er ihn verfolgte,
Er endlich nichts mehr sah, als nur die Flamme,
Die einem Wölkchen gleich nach oben schwebte,
So regte sich im Schlunde jenes Grabens
Jedwede Flamm' ohn' ihren Raub zu zeigen;
Denn einen Sünder raubt sich deren jede.
Zum Sehen vorgeneigt stand auf der Brück' ich,
Und, hätt' ich nicht ein Felsenstück ergriffen,
So wär ich nieder ohne Halt gefallen.
Mein Führer, der mich so gefesselt sah,
Begann: In jenen Feuern weilen Geister;
[110]
In das hüllt jeder sich, wovon er lodert. –
Mein Meister sagt' ich drauf, durch deine Worte
Werd' ich bestärkt; doch hatt' ich schon erraten,
Daß also sich's verhielt', und wollte fragen,
Wer in der Flamme weilt, die so nach oben
Geteilt erscheint, wie die des Scheiterhaufens,
Der Eteokles mit dem Bruder trug? –
Ulyss', erwidert' er, und Diomedes
Erleiden Straf' in ihr, die jetzt zur Rache,
Wie einst zum Zorne, miteinander gehn.
In jener Flamme büßen sie die Tücke
Des Pferdes, welches jenes Tor gebrochen,
Durch das der Römer edler Samen ausging.
Dort büßen sie die List, ob der im Tode
Noch Deidamia um Achilles trauert.
Auch dem Palladium gilt zugleich die Strafe. –
O Meister, sagt' ich, wenn in jenen Flammen
Sie reden können, bitt' ich dich inständig
Und bitte, daß die Bitt' als tausend gelte,
Du mögest dich nicht weigern, zu verweilen
Bis hierher die gehörnte Flamme kommt.
Du siehst es wie der Wunsch mich zu ihr hinneigt. –
Und er zu mir: Weil allen Lobes wert ist
Was du begehrest, heiß' ich es genehm;
Doch deine Zung' enthalte sich der Rede,
Laß mich nur sprechen. Wohl hab' ich verstanden,
Um was es dir zu tun; weil jene Griechen
Gewesen, möchten sie dein Wort nicht achten. –
Als nun so weit die Flamme war gekommen,
Daß Zeit und Ort dem Führer passend schienen,
Hört' ich in solcher Weise ihn beginnen:
Ihr, die ihr zweie seid in einem Feuer,
Wenn ich um euch mir wenig oder viel
Verdienst' erworben, während meines Lebens,
Als droben die erhab'nen Vers' ich schrieb,
So haltet an, und einer von euch sage,
[111]
Wohin er ging, als er verscholl und starb. –
Da hub das größre Horn der alten Flamme
Zu flackern und dabei zu brausen an,
Der Flamme gleich, die mit dem Winde kämpfet.
Dann regte sie die Spitze hin und wieder,
Als ob zum Reden sie die Zunge wäre
Und ihre Stimm' erscholl in diesen Worten:
Als Circe ich verlassen, welche länger
Mich als ein Jahr, dort bei Gacta festhielt
Eh' noch Aeneas also es benannte,
Vermochten nicht die Zärtlichkeit zum Sohne
Und nicht die Ehrfurcht für den alten Vater,
Die Liebe nicht, durch die Penelope'n
Zu freun mir oblag, jenen Trieb zu dämpfen,
Der mich die Welt und Tugenden wie Laster
Der Menschen weiter noch erkunden hieß.
So fuhr ich mit der kleinen Zahl Gefährten,
Die mir verblieb, auf einem einz'gen Schiffe
Hinaus in's weite schrankenlose Meer.
Ich sah die beiden Ufer bis nach Spanien
Und nach Marokko, sah die Sarderinsel,
Sowie die andren, die dies Meer bespület.
Schon alt und träge waren die Gefährten
Gleich mir geworden, als wir zu der Enge,
Wo Herkules die Zeichen setzte, kamen,
Daß weiter vorzudringen niemand wage.
Zur Rechten ließen wir Sevilla liegen,
Schon war zur andern Ceuta uns geblieben.
O Brüder, sagt' ich, die durch hunderttausend
Gefahren ihr erreicht den fernen Westen,
Versagt dem kurzen Abend eurer Sinne,
Der euch noch übrig ist, nicht die Erfahrung,
Der Bahn der Sonne folgend, jenen Teil
Der Welt, der unbewohnt ist, zu erkunden!
Erwägt den Samen, welchem ihr entsprossen:
Ihr seid bestimmt, nicht Tieren gleich zu leben,
[112]
Nein, Tugend zu erringen und Erkenntnis. –
So eifrig machte diese kurze Rede,
Zur Weiterreise alle die Gefährten,
Daß sie zu halten kaum vermocht ich hätte.
Gen Morgen wandten wir das Steu'r und machten
Zu Flügeln unsres tör'gen Flugs die Ruder,
Indem wir stets zur linken Seite hielten.
Schon sah die Nacht vollzählig die Gestirne
Des andren Poles, und so tief den unsren,
Daß aus der Meeresfläch' er nicht mehr aufstieg.
Das Licht der Mondesscheibe hatte fünfmal
Sich neu entzündet, war fünfmal erloschen,
Seit hinter uns den Engpaß wir gelassen,
Als sich ein Berg uns zeigte, welchen dämmrig
Die Ferne scheinen ließ, und solcher Höhe
Als keinen noch ich je zuvor gesehen.
Wir freuten uns, doch folgten bald die Tränen;
Denn von dem neuen Land' erhob ein Sturm sich,
Der unsres Schiffes Vorderteil erfaßte.
Dreimal trieb er im Kreis' es mit den Wellen;
Beim vierten hob das Steuer er empor
Und ließ auf höhren Willen in die Tiefe
Den Schnabel schießen, bis das Meer uns deckte. –
Siebenundzwanzigster Gesang
Schon wieder aufrecht stand die Flamm' und, weil sie
Nicht weiter sprach, nun ruhig, und entlassen
Vom süßen Dichter, eilte sie von hinnen,
Als eine zweite, hinter jener folgend,
Durch einen wirren Ton, der von ihr ausging,
Auf ihren Gipfel unsre Blicke lenkte.
Sowie Siziliens Stier der, wohlverdient,
[113]
Zum erstenmal von dessen Wehruf brüllte,
Der ihn gestaltete durch seine Feile,
Wie dieser Stier in des Gequälten Stimme,
Obwohl von Kupfer, doch nicht anders brüllte,
Als ob von Schmerzen er gemartert würde,
So wandelten sich die betrübten Worte,
Die aus dem Ursprung tief im Feuer Ausgang
Und Weg nicht fanden, in des Schattens Sprache.
Doch, als sie oben, durch der Flamme Spitze
Den rechten Pfad gewählt und ihr die Regung
Erteilt, die von der Zunge sie erhalten,
Vernahmen wir: O du, an den die Rede
Ich richt', und der vorhin Lombardisch sprach
Und sagte: Geh', ich halte dich nicht länger,
Verschmähe nicht, weil später ich gekommen,
Hier mit mir redend etwas zu verweilen;
Verschmäh', doch ich es nicht, obwohl ich brenne.
Bist du erst jüngst in diese blinde Welt
Gestürzt aus der Lateiner süßem Lande,
Aus dem was ich gesündigt alles kommt,
So sag' ob Krieg, ob Fried' ist in Romagna.
Denn dem Gebirg' entstammt' ich nächst Urbino
Und jenem Joch, von dem die Tiber ausgeht. –
Geneigt nach unten stand ich noch und horchte;
Da stieß die Seite leise mir der Meister
Und sagte: Rede du, der ist Lateiner. –
Ich aber, der bereit die Antwort hatte,
Begann nun ohne Säumen so zu reden:
O Seele, die verhüllt dort unten weilet,
In seiner Zwingherrn Brust war dein Romagna
Von Kriege nimmer frei und ist's auch jetzt nicht,
Doch keinen offenbaren ließ ich dort.
Noch ist Ravenna, wie es war seit Jahren:
Es hauset dort der Aar der Polentaner,
So daß er Cervia deckt mit seinen Schwingen.
Der Ort, der einst so lange standgehalten
[114]
Und der Franzosen Leichen blutig türmte,
Ist noch den grünen Tatzen unterworfen.
Verrucchio's alter Hund, sowie der neue,
Die übel mit Montagna umgesprungen,
Sie hau'n die Zähne ein wo sie gewohnt sind.
Der kleine Löwe in dem weißen Neste,
Der die Partei vom Sommer tauscht zum Winter,
Lenkt des Lamone Stadt und des Santerno.
Und jen', an deren Flanke spült der Savio,
Weilt zwischen Tyrannei und freiem Wesen,
So wie sie zwischen Berg und Ebne liegt.
Nun aber bitt' ich, wer du sei'st, bericht' uns.
Sei härter nicht, als wie die andren waren,
Soll lange in der Welt dein Name dauern. –
Nachdem zuvor das Feuer eine Weile
Nach seiner Art gebrüllt, regt' es die Spitze
Hierhin und dorthin, und dann haucht' es also:
Glaubt' ich, daß meine Antwort wer vernähme,
Der je zur Oberwelt zurückgelangte,
So bliebe unbeweglich diese Flamme.
Weil aber, ist, was man sagte, richtig,
Lebendig niemand diesem Schlund' entstiegen,
Kann ohne Furcht der Schmach ich Antwort geben.
Ich war ein Kriegsmann, nahm dann Strick und Kutte
Und dachte Buß' in diesem Kleid zu tun;
Und was ich glaubte, Wahrheit wär's geworden,
War nicht der große Pfaff, den Unheil treffe,
Der mich zurückzog in die alten Sünden;
Wie und warum sollst du nun von mir hören.
Solang ich Form des Fleisch's und der Gebeine
Noch war, die mir verlieh'n die Mutter, hatten
Nicht Löwen- sondern Fuchsart meine Taten.
Mit allen Listen und verdeckten Wegen
War ich bekannt und übte so geschickt sie,
Daß bis an's End der Welt davon erzählt ward.
Als zu dem Lebensalter ich gediehn war,
[115]
Wo einzuziehn die Taue, und die Segel
Herabzulassen jeglichem geziemt,
Beklagt' ich was zuvor erfreut mich hatte,
Und beichtete reumütig meine Sünden;
Und, wehe mir! es hätte mir gefruchtet!
Allein der Fürst der neuen Pharisäer,
Als Krieg er führte dort beim Lateran,
Und nicht mit Sarazenen oder Juden
(Denn Christen waren seine Feinde sämtlich,
Und keiner war bei Akkons Fall beteiligt,
Noch Kaufmann in des Sultans Land gewesen)
Mißachtet' er in sich sein höchstes Amt
Und seine heil'gen Weih'n, an mir den Strick,
Der magrer sonst, die die ihn tragen, machte.
Wie Konstantin aus des Soracte's Wildnis
Sylvester rief, den Aussatz ihm zu heilen,
So rief auch dieser mich, daß ich ein Arzt ihm
Zur Heilung seines Hochmutsfiebers würde
Er frug um meinen Rat; ich aber schwieg,
Denn seine Worte achtet' ich für trunken.
Dann sagt' er: Fürchte nicht in deinem Herzen,
Ich spreche dich im voraus los; doch lehre
Mich, wie ich Palästina niederwerfe.
Den Himmel kann so lösen ich als binden,
Wie du wohl weißt, darum sind zwei der Schlüssel,
Die mein Vorgänger nicht zu schätzen wußte. –
Bestimmt ward ich von den gewicht'gen Gründen,
Die mir als schlimmstes Teil das Schweigen wiesen,
Und sagte: Vater, da du von der Sünde,
In die ich fallen soll, mich also rein wäschst,
Wird viel versprechen und nur wenig halten
Im hohen Sitze dir Triumph verleihn. –
Als ich dann tot war, kam um meinetwillen
Der heil'ge Franz; jedoch ein schwarzer Cherub
Rief aus: Laß ab von ihm, tu mir kein Unrecht!
Herab zu meinen Knechten muß er kommen,
[116]
Weil den betrügerischen Rat er gab,
Seit welchem meine Hand am Schopf ihn festhielt.
Lossprechen kann man den nur, der bereut,
Und sünd'gen und bereu'n geht nicht zusammen
Des Widerspruches wegen, der's nicht zuläßt. –
O weh mir Armen, wie entsetzt' ich mich,
Als er mich packt' und rief: Du dachtest
Wohl nicht, daß ich auf Logik mich verstünde? –
Zu Minos bracht' er mich, und der umwandte
Den harten Rücken achtmal mit dem Schweife
Und biß vor großer Wut dann noch hinein.
Der, sagt' er, kommt zum räuberischen Feuer! –
Drum bin ich da, wo du mich siehst verloren
Und wandle jammervoll in solchem Kleide.
Als seine Rede also er beendet,
Verließ die Flamm' uns unter Schmerzenslauten,
Indem ihr spitzes Horn sie dreht' und regte.
Dann gingen wir, ich und mein Führer, weiter
Den Felsen hin bis zu dem andren Bogen,
Der ob dem Tal sich wölbt, in dem die Buße
Die zahlen, die durch Spaltung sich belasten.
Achtundzwanzigster Gesang
Wer könnte, selbst in ungebundner Rede
Bei öfterem Erzählen, all' das Blut
Und all' die Wunden, die ich jetzt sah, schildern?
Jedwede Zunge würde daran scheitern,
Sowohl der Sprach, als der Erinnrung wegen,
Die, soviel zu umfassen, nicht genügen.
Und sähe man auch all' das Volk beisammen,
Das einstmals auf dem schicksalsschwangren Boden
Apuliens sein vergoßnes Blut beklagte
In dem Trojanerkrieg' und jenem langen,
Wo die Karthager soviel Ring' erbeutet,
[117]
Als Livius, welcher nimmer irrt, berichtet,
Das Volk auch, das durch Wunden Schmerz erlitten,
Weil es dem Robert Guiscard widerstand,
Und das auch, dessen Knochen man noch aufliest
Bei Ceperano, wo zum Lügner jeder
Pugliese ward, und dort bei Tagliacozzo
Wo waffenlos Alard, der alte, siegte,
Und zeigte dieser dann zerfetzte Glieder,
Und der verstümmelte; nicht zu vergleichen
Wär's doch der achten Bolgia grausem Inhalt.
Kein Faß, verliert es Dauben oder Boden,
Wird so zerfetzt, als wie ich einen sah,
Gespalten von dem Kinn bis zu dem After.
Es hingen ihm die Eingeweide zwischen
Den Beinen; Herz und Leber gleich dem Sacke
Der was man schlingt in Kot verwandelt sah man.
Noch heftete auf ihn ich meine Blicke,
Da riß, mich anschauend, er die Brust sich auf
Und sagte: Sieh hierher, wie ich zerberste;
Also verstümmelt siehst du Mahomet.
Alì geht vor mir her und weinet laut,
Gespalten im Gesicht vom Kinn zum Wirbel.
Und all' die andren, die du hier gewahrest,
Sie sä'ten lebend Zwietracht aus und Spaltung,
Drum sind sie hier, so wie du siehst gespalten.
So richtet uns ein Teufel zu, dort hinten,
Der jeden, der vorbeikommt nach der Reihe
Die Schneide seines Schwertes fühlen läßt,
So oft den Weg der Schmerzen er beendet;
Denn zugeheilt sind jedesmal die Wunden,
Eh' wir im Kreise wieder zu ihm kommen.
Doch du, wer bist du, der dort oben lungert,
Wohl um die Strafe später anzutreten,
Die dir auf dein Geständnis zuerkannt ward? –
Noch griff der Tod ihn nicht, auch treibt ihn Schuld nicht
Die Qual zu leiden, sagte drauf mein Meister.
[118]
Nur um wahrhafte Kunde ihm zu geben,
Muß ich, der tot ich bin, ihn durch die Hölle
Von einem Kreise zu dem andren führen.
Dies ist, so wahr ich mit dir rede, wahr. –
Wohl mehr als hundert hemmten, als sie's hörten,
Im Graben ihren Schritt, mich zu betrachten,
So staunend, daß der Strafe sie vergaßen.
Der du vielleicht bald wiedersiehst die Sonne,
Ermahne Fra Dolcin, daß, will er anders
Nicht bald hierher mir folgen, er mit Vorrat
Sich wohl verseh', damit der Schnee ihn nicht
Bedräng' und Sieg dem Novaresen leihe.
Wie anders ihn zu zwingen möchte schwer sein. –
Als einen Fuß zum Geh'n er schon erhoben,
Sprach diese Worte Mahomet zu mir;
Dann setzt' er, weitergehend, ihn zu Boden.
Ein andrer, dem durchbohrt die Kehle war
Und weggestutzt bis zu den Brau'n die Nase,
Der auch am Kopf ein einzig' Ohr nur hatte,
War staunend mit den andren stehngeblieben;
Doch öffnet vor den andren er den Schlund,
Der außen blutig war nach jeder Seite.
Dann sagt' er: Du den nicht die Schuld verdammt
Und den ich im Latinerland schon sah,
Täuscht anders große Ähnlichkeit mich nicht,
Erinn're dich an Pier von Medicina,
Siehst du die schöne Fläche jemals wieder,
Die sich bis Marcabò senkt von Vercelli,
Und laß die besten zwei von Fano wissen
Den Messer Guido wie den Angiolello,
Daß wenn nicht, was man hier vorhersieht, täuschet,
Sie der Verrat des schnödesten Tyrannen
In's Meer aus ihrem Schiffe werfen wird
Und säcken nächst Cattolica's Gestade.
Es sah Neptun, von Cypern bis Majorca,
Seeräuber und argolisches Gesindel
[119]
So große Missetat niemals begehn.
Es wird sie der einäugige Verräter,
Der jenen Ort, den nie gesehn zu haben
Der eine meiner Nachbar'n wünscht, beherrschet,
Zu sich entbieten, um Gespräch zu halten;
Dann aber so tun, daß sie kein Gelübde
Zum Schutze vor Focara's Wind mehr brauchen. –
Drauf ich zu ihm: Erläutre mir und sage,
Soll ich nach oben Botschaft von dir bringen,
Wem, wie du sagst, der Anblick bittre Frucht trug? –
Da legte er die Hand an des ihm Nächsten
Kinnlade, riß den Mund ihm auf und schrie:
Der ist es; doch verlernt hat er das Reden.
Verbannt, ertötet' er in Cäsars Herzen
Den Zweifel, als er sagte, dem Bereiten
Gereichte Säumen immerdar zum Nachteil. –
Wie so verstört schien mir, mit bis zum Schlunde
Ihm ausgeschnittner Zunge, jener Curio,
Der einst zum Reden überkühn gewesen!
Und einer, welchem abgehackt, so diese
Als jene Hand war, hob empor die Stummeln,
So daß sein Angesicht das Blut beschmutzte:
Erinn're dich, so rief er, auch des Mosca,
Der leider sagte: »nach der Tat kommt Rat«,
Was Unheilsamen ward dem Volk der Tusker. –
Und deines Hauses Tod! – also ergänzt' ich;
Worauf, zum Schmerze neue Schmerzen häufend,
Gleich dem er hinging, den der Gram verwirrt.
Ich aber blieb, die Schar mir zu betrachten,
Und fürchten würd' ich, was ich sah, zu sagen,
Hätt' ich kein andres Zeugnis als mein Wort.
Doch Zuversicht verleiht mir mein Gewissen,
Der wackere Gesell, der unverzagt macht
Den, dessen Harnisch ist, sich rein zu wissen.
Gewiß, ich sah, und noch zu sehen dünkt mich's,
Gleichwie die andren jener Herde gingen,
[120]
Des Haupt's ermangelnd einen Rumpf einhergehn.
Den abgeschlagnen Kopf hielt an den Haaren
Er hängend in der Hand, gleich einer Lampe.
Der aber schaut' uns an und sagte: Wehe! –
Sich selber braucht' er, um sich zu beleuchten;
In einem waren's zwei, in zweien einer.
Wie das geschah, weiß nur, wer's so verordnet.
Als senkrecht er am Fuß der Brücke stand,
Hoch hob empor den Arm er mit dem Haupte,
Um seine Worte näher uns zu bringen.
Sie lauteten: Der atmend du die Toten
Im Gehn beschaust, sieh meine grause Strafe
Und sag', ob eine wohl so groß als diese?
Damit der Welt du Kunde von mir bringest,
So wisse, daß ich Bertram bin von Bornio,
Der schlimmen Rat erteilt Johann dem König.
Den Sohn verfeindet' ich mit seinem Vater;
Ahitophel tat Absalom nicht ärger,
Als wider David er ihn böslich hetzte.
Und weil zwei so Verbundne ich getrennet,
Trag' ich zur Qual getrennet mein Gehirn
Von seinem Ursprung, der in diesem Rumpf ist.
Also wird mir, wie ich getan, vergolten. –
Neunundzwanzigster Gesang
So trunken waren von dem vielen Volke
Und den verschiednen Wunden meine Augen,
Daß sie sich sehnten, ruhend auszuweinen.
Mein Meister aber sprach: Was schaust du noch,
Was haftet unverwandt dein Blick dort unten
Bei den verstümmelten unsel'gen Schatten?
In andren Bolgien tatest du nicht also
Vernimm, willst du, die hier im Tal sind, zählen,
Daß zweiundzwanzig Miglien es umkreiset.
[121]
Schon steht der Mond grad' unter unsren Füßen,
Nur wenig Zeit ist jetzt uns noch verstattet
Und manches bleibt zu sehn, das du noch nicht sahst. –
Wenn du den Grund beachtet hättest, sagt' ich
Darauf, der mich bewog hinabzublicken,
Das Weilen hättest du vielleicht gestattet. –
Schon ging mein Führer und ich folgt' ihm nach,
Als ich ihm diese Antwort gab, und weiter
Fügt' ich hinzu: In jener dunklen Grube,
Wohin ich eben stier mein Auge wandte,
Glaub' ich, beweint ein Geist von meinem Blute
Die Sünde, die so teuer hier bezahlt wird. –
Da sprach zu mir mein Meister: Es bekümmre
Nicht fürder seinethalb sich dein Gedanke:
Er bleibe wo er ist, merk du auf andres;
Denn an dem Fuß der Brücke sah ich ihn,
Dich, heftig drohend, mit dem Finger zeigen,
Und Geri hört' ich ihn del Bello nennen.
Du warst von dem, der Hautefort besessen,
Damals so ganz gefesselt, daß nicht eher
Du ihn gewahrtest, als bis er davon ging. –
O Führer, der an ihm verübte Mord,
So rief ich aus, den bis zur Stunde keiner,
Auf den die Schande mitgefallen, rächte,
Erweckte seinen Zorn, und drum vermut' ich,
Ging er vorüber, ohn' ein Wort an mich;
Mich aber faßt darob erhöhtes Mitleid. –
So sprachen wir bis wo der Fels zuerst
Das nächste Tal, wär's heller nur gewesen,
Uns bis zum Grunde hätte sehen lassen.
Wir standen oberhalb der letzten Klause
Der Malebolge, deren Laienbrüder
Sich unsrem Blick nun offenbaren konnten.
Da stürmten, Pfeilen ähnlich, deren Spitzen
Mitleid bewehrt, viel Klagen auf mich ein,
Weshalb die Ohren mit der Hand ich deckte.
[122]
So vieles Leiden als beisammen wäre,
Wenn man in eine Gruft mit der Spitäler
Des Chianatals vom Juli bis September
Maremma's und Sardiniens Seuchen brächte,
So viel war hier, und solcher Stank erhob sich,
Als aus Gliedmaßen, welche eitern, aufsteigt.
Wir stiegen, immerdar nach links gewandt,
Zum letzten Strand des langen Felsens nieder,
Und klarer sah ich da in jene Tiefe,
In der die Dienerin des hohen Herrschers,
Die nie zu täuschende Gerechtigkeit,
Die Fälscher, die sie hier schon einschrieb, strafet.
Nicht trauriger, vermut' ich, war der Anblick,
Das ganze Volk Aegina's krank zu sehn,
Als so verpestet war der ganze Dunstkreis,
Daß, was da lebte, bis zum kleinsten Wurme
Tot niederfiel, und dann sich die Bewohner,
Wie uns als Wahrheit melden die Poeten,
Aus der Ameisen Samen neu ergänzten!
Nicht traur'ger, als in diesem Tal die Geister
Zu sehn, wie haufenweise sie verlechzten.
Auf seinem Bauch lag der, ein zweiter stützte
Sich auf des andren Schultern, jener schlich
Den traur'gen Pfad dahin auf allen Vieren.
Langsamen Schrittes gingen wir und schwiegen;
Doch sah'n und hörten wir auf jene Kranken,
Die nicht vermochten sich emporzurichten.
Und aneinander sah ich zwei sich stützen,
Wie Tiegel man an Tiegel stützt beim Wärmen,
Vom Haupt bis zu dem Fuß bedeckt mit Schörfen.
Nie sah ich einen Knecht, der ungern wach bleibt,
Nie einen, dessen Dienstherr auf ihn wartet,
Den Striegel in so großer Hast bewegen,
Als jeder dieser beiden, ob der Qual
Des Juckens, die er so nur weiß zu lindern,
Am Leibe mit den Nägeln hin- und herfuhr.
[123]
Und wie ein Messer Schuppen streift vom Karpfen
Und andren Fischen, die noch größre haben,
So rissen jene Nägel ab die Schörfe.
Der mit den Fingern du dich selbst zerfleischest,
Begann zu einem jener zwei mein Meister,
Und öfters auch als Zange sie gebrauchest,
Soll dir in Ewigkeit zu solcher Arbeit
Dein Nagel g'nügen, so erteil' uns Auskunft,
Ob irgendein Lateiner ist hierinnen. –
Wir beid', erwidert' unter Tränen einer,
Die du so schwer entstellt siehst, sind Lateiner;
Doch du, der nach uns frugest, sprich, wer bist du? –
Von Stufe, sagte drauf Virgil, zu Stufe
Steig' ich mit diesem, der noch lebt, hernieder,
Denn mir liegt ob, die Hölle ihm zu zeigen. –
Da brach die Wechselstützung auseinander;
Erzitternd blickten nur nach mir die beiden
Und alle die's zur zweiten Hand vernommen.
Drauf wandte sich zu mir der gute Meister
Und sagte: Sprich zu ihnen was dir gut dünkt. –
Und ich begann, so wie er mir geheißen:
Soll eu'r Gedächtnis in der ersten Welt
Der menschlichen Erinn'rung nicht entschwinden
Und weiter leben unter vielen Sonnen,
So sagt mir, wer ihr seid und welchen Stammes;
Die ekle Strafe, die ihr duldet hindre
Euch nicht an eures Namens Offenbarung. –
Ich stamme von Arezzo, sprach der eine,
Verbrennen ließ mich Albero von Siena;
Doch starb ich nicht für das was mich hierher führt.
Wohl sagt' ich, doch im Scherze, daß ich fliegend
Mich aufzuschwingen in die Luft vermöchte;
Einfältig und voll Neugier wollte jener,
Daß ich die Kunst ihm lehr', und weil ich nicht
Zum Dädalus ihn machte, ließ zum Holzstoß
Er mich durch den, der ihn als Sohn hielt, schicken.
[124]
Weil aber droben Alchimie ich übte
Hat Minos, der sich nimmer täuscht, zur letzten
Von den zehn schlimmen Bolgien mich verurteilt. –
Zum Dichter sagt' ich drauf: Sah man wohl jemals
Ein Volk leichtsinnig so wie die Sanesen?
Selbst die Franzosen sind's um vieles minder. –
Der andre Sücht'ge, der mein Wort vernommen,
Erwiderte darauf: Doch nimm den Stricca,
Der so bescheidnen Aufwand machte, aus,
Auch Nicolò nimm aus, der in dem Garten,
Wo solche Saat gedeiht, der Nägelein
Kostspieliges Rezept erfunden hat.
Nimm die Gesellschaft aus, in welcher Caccia
D'Asciano mit dem großen Wald den Weinberg
Und Abbagliato seinen Ruf vergeudet.
Doch, daß du wissest, wer so mit dir einstimmt
Im Tadel der Sanesen, sieh mich scharf an,
So daß mein Angesicht dir Antwort gebe.
Erkennen wirst du dann Capocchio's Schatten,
Der ich durch Alchimie Metalle fälschte,
Und, seh' ich anders recht, muß dir bewußt sein,
Daß ich ein guter Affe der Natur war. –
Dreißigster Gesang
Zur Zeit, wo Juno wegen Semele's
So sehr dem Blute der Thebaner zürnte,
Als sie zu manchen Malen es betätigt,
Ward Athamas von Wahnsinn so befallen,
Daß, als an jeder Hand mit einem Kinde
Beladen, er die Gattin sah, er rief:
Die Netze stellet auf, daß ich beim Wechsel
Die Löwin und die jungen Löwen fange.
Dann streckt er aus die unbarmherz'gen Krallen,
Ergriff den einen, der Learchus hieß,
[125]
Und sein Gehirn zerschmettert' er am Felsen;
Sie aber mit dem andren sprang in's Meer.
Und als das Schicksal der Trojaner Hoheit,
Die alles unternahm, zum Sinken brachte,
So daß zugrunde gingen Reich und König,
Stieß Hekuba, gefangen und im Elend,
Als tot Polyxena ihr lag zu Füßen,
Und auf dem Meeresstrande sie voll Schmerzen
Den Leichnam ihres Polydor gewahrte,
In ihrem Wahnsinn hündisches Gebell aus;
Also verkehrte ihren Geist der Schmerz.
Doch Troja's oder Thebens Furien hetzten
Niemanden je, um Tiere so zu quälen,
Geschweige denn die Glieder eines Menschen,
Als ich zwei Schatten tun sah bleich und nackend,
Die andre beißend hin und wieder liefen,
Wie Schweine tun, entläßt man sie dem Koben.
Es stürzte sich der eine auf Capocchio;
Packt in's Genicke ihn und schleift' ihn also,
Daß ihm den Bauch der harte Boden kratzte.
Der Arctiner, der zurückblieb, bebte
Und sprach: Der Poltergeist ist Gianni Schicchi;
In seiner Wut zerfleischt er wen er antrifft. –
O, sagt' ich, soll der andre seine Zähne
In dein Genick nicht schlagen, so gewähre,
Eh' er enteilt, mir, wer er ist, zu künden. –
Und er zu mir: Das ist die Seele Myrrha's,
Der alten Frevlerin, die ihren Vater
In andrer als der rechten Lieb' umarmte.
Auf das mit ihm, zu sünd'gen ihr gelinge,
Verfälschte also sie in fremde Form sich,
Wie um »der Koppel Königin« zu haben,
Der andre, der dort hineilt, unternahm
Buoso Donati fälschend vorzustellen
Und so für ihn letztwillig zu verfügen. –
Als die zwei Rasenden vorüber waren,
[126]
Die bis dahin mein Auge festgehalten,
Wandt' ich's um andre Sünder zu betrachten.
Geformt gleich einer Laute war der eine,
Wenn nur, von da an wo der Mensch sich gabelt,
Des Körpers untrer Teil gemangelt hätte.
Die Wassersucht, die, weil die Säfte krankhaft
Sie wandelt, so das Ebenmaß der Glieder
Zerstört, daß Kopf und Leib sich nicht entsprechen,
Riß, wie dem Lungenkranken, ihm die Lippen
So voneinander, daß des Durstes wegen
Zum Kinn sich eine kehrt', die andre aufwärts.
Die ihr, ich ahne nicht aus welchem Grunde,
Von Strafe frei seid in der Welt des Jammers,
Seht her und merket auf das bittre Elend
Des Meister Adam, – so sprach er zu uns.
Was ich begehrte hatt' ich einst in Fülle;
Jetzt lechz' ich Ärmster um ein Tröpflein Wassers.
Die Bächlein, welche von den grünen Hügeln
Des Casentino hin zum Arno rinnen
Und ihre Ufer kühlen und befeuchten,
Stehn zu vermehrter Qual mir stets vor Augen;
Denn ärger dörrt ihr Bild mich, als die Krankheit,
Die meinem Angesicht das Fleisch entzieht.
Die streng mich geißelnde Gerechtigkeit
Entnimmt dem Ort, wo ich gesündigt, Mittel,
Um meiner Seufzer Hast noch zu vermehren.
Dort ist Romena, wo ich die Legierung,
Die mit des Täufers Bild geprägt wird, fälschte,
Weshalb verbrannt ich meinen Leib zurückließ.
Doch, säh' ich hier die schnöde Seele Guido's,
Die Alessandro's, oder die des Bruders,
Um Fontebranda gäb' ich nicht den Anblick.
Schon ist die ein' hier innen, wenn die Schatten,
Die wütend ringsum laufen, Wahrheit künden;
Doch nutzt mir's nicht, denn lahm sind meine Glieder.
Wär' ich nur noch so leicht, daß im Jahrhundert
[127]
Ich einen einz'gen Zoll breit vorwärts käme,
So hätt' ich längst mich auf den Weg gemacht,
Ihn unter den Entstellten hier zu suchen,
Obwohl elf Miglien dieses Tales Umkreis
Und seine Breite reichlich eine halb' ist.
In dieser Sippe bin ich ihretwegen;
Auf ihr Verlangen prägt' ich jene Gulden,
Die drei Karat wohl an Legierung hatten. –
Drauf ich zu ihm: Wer sind die beiden Armen
Die hier zunächst an deiner Rechten liegen
Und dampfen wie benetzte Händ' im Winter? –
Hier fand ich sie, als ich in diese Schlucht
Geregnet, und nicht rührten sie seitdem sich,
Auch glaub' ich nicht, daß sie sich je mehr rühren.
Die ein' ist, die den Joseph falsch beschuldigt,
Der falsche Grieche Sinon ist der andre;
Des hitz'gen Fiebers Glut macht sie so qualmen. –
Der eine, der es übel wohl vermerkte,
Nicht ehrender genannt zu werden, schlug
Mit seiner Faust den harten Bauch Adamo's;
Der aber dröhnte drob gleich einer Trommel
Den Schlag erwidert' er ihm in's Gesicht
Mit seinem Arme, der nicht wen'ger hart schien,
Und sagte: Kann ich auch nicht von der Stelle,
Weil mir gelähmt die Glieder sind, so ist
Der Arm doch frei zu solcherlei Verrichtung. –
Die Antwort war: Als man zum Scheiterhaufen
Dich führte, war dein Arm nicht so behende;
Doch war er's ebenso und mehr beim Prägstock. –
Du sagst die Wahrheit, sprach der Wassersücht'ge,
Doch so wahrhaftig war dein Zeugnis nicht;
Als um die Wahrheit man dich frug bei Troja. –
Ich redete, du aber münztest Lügen,
Sprach Sinon; ich bin wegen einer Sünde,
Du wegen mehr hier unten als kein Teufel. –
Meineidiger, gedenke doch des Pferdes,
[128]
Gab der mit dem geschwollenen Bauch zur Antwort;
Daß alle Welt es weiß, sei deine Strafe. –
Die deine sei der Durst, von dem die Zunge
Dir birst, sprach Sinon, und das faule Wasser,
Das dir den Bauch bis vor die Augen aufbläht. –
Dein Maul zerreißt sich, sagte drauf der Münzer,
Gewohnterweise nur zur eigenen Schande.
Quält mich der Durst und schwillt mein Leib vom Wasser,
So brennt dich Fieberglut und schmerzt dein Kopf dich,
Und, daß vom Spiegel des Narciß du lecktest,
Bedürft' es auch bei dir nicht langes Bitten. –
Ich dacht' an nichts, als nur auf sie zu hören,
Da sprach zu mir mein Meister: Sieh doch, siehe;
Es fehlt nicht viel daran, daß ich dich schelte. –
Als zürnend ich zu mir ihn reden hörte,
Blickt' ich ihn an mit solchem Schamgefühle,
Daß noch es mich ergreift, wenn ich dran denke.
Dem Manne gleich, der träumt, es treff' ihn Unheil
Und träumend wünschet, daß es nur ein Traum sei,
Und so, was ist, als wär' es nicht, ersehnet,
War mir zu Mut; doch reden konnt' ich nicht.
Entschuld'gen wollt' ich mich, und wie ich glaubte,
Ich tät es nicht, hatt' ich mich schon entschuldigt.
Es büßt geringre Scham wohl größren Fehler
Als deiner war, begann darauf mein Meister;
So wirf denn von dir jegliche Betrübnis,
Und führt der Zufall je dich wieder hin,
Wo Leute sich in solcher Weise zanken,
So denke stets, du habest mich zur Seite.
Denn niedren Sinn zeigt, wer auf solches aufmerkt. –
[129] Einunddreißigster Gesang
Dieselbe Zunge, die mich erst verwundet,
So daß sie mir die beiden Wangen färbte,
Bot heilend mir sodann die Arzenei.
So pflegt' Achills und seines Vaters Lanze,
Wie ich vernommen, dem, den sie getroffen
Erst Unheil und dann wieder Heil zu bringen.
Den Rücken kehrten wir dem Tal des Jammers
Und gingen, des Gesprächs uns enthaltend,
Am Ufer hin, das jenes rings umgürtet.
Da war nicht volle Nacht und voller Tag nicht,
So daß nur wenig vorwärts drang mein Auge;
Doch hört' ich wie ein Horn so laut erklang,
Daß übertönt es jeden Donner hätte
Dem folgt' in umgekehrtem Sinn mein Auge
So daß auf einen Punkt nur es sich wandte.
So schrecklich klang nicht nach der Niederlage
Von Roncisval, wo Karl die heil'ge Schar
Verlor, das Horn, in welches Roland stieß.
Nicht lang hatt' ich das Haupt dorthin gewendet,
Als mir es schien, ich säh' viel hohe Türme;
Weshalb ich frug: Wie heißt die Stadt, o Meister? –
Und er zu mir: Weil durch die Finsternisse
Zu weit dein Auge schweifen will, geschieht es,
Daß deine Phantasie erratend irr' geht.
Kommst du dorthin, so wirst du selbst gewahren,
Wie sehr der Sinn sich täuscht aus solcher Ferne;
Drum sporne selber dich zu größrer Eile. –
Dann faßt' er freundlich meine Hand und sagte:
Damit die Sache minder dich befremde,
Vernimm, noch eh' wir weiter vorgedrungen,
Daß das nicht Türme, sondern Riesen sind,
Die von dem Nabel abwärts gleicherweise
Rings in dem Brunnen um das Ufer stehn. –
[130]
Wie, wenn die Nebel sachte sich zerstreuen,
Der Blick allmählich mehr und mehr erkennet
Was, luftverdichtend, ihm der Dunst verborgen,
So scheucht' er jetzt, die dicke düstre Luft
Durchdringend, wie ich mich dem Ufer nahte,
Den Irrtum fort und mehrte das Entsetzen.
Denn, wie auf seinem runden Mauerkreise
Montereggione sich bekränzt mit Türmen
So ragten hier mit ihrem halben Leibe
Vom Rande, der den Brunnen rings umwindet,
Die schrecklichen Giganten, die, wenn's donnert,
Noch jetzt vom Himmel Jupiter bedroht.
Von dem mir Nächsten sah ich schon das Antlitz,
Brust, Schultern und des Bauches größren Teil,
Auch an den Seiten nieder beide Arme.
Gar wohl tat die Natur, als sie die Kunst
Solch Ungetüm hinfort zu schaffen, aufgab,
Daß derlei Werkzeug Mars nicht ferner habe.
Enthält der Wallfisch' und der Elephanten
Sie doch sich nicht, so nennt, wer feiner aufmerkt,
Um so verständ'ger sie, um so gerechter;
Denn, wo zum üblen Willen und zur Macht
Die Fähigkeit des Geistes noch hinzutritt,
Vermag den Angriff niemand abzuwehren.
So lang und breit schien mir sein Angesicht,
Als wie der Pinien-Apfel zu Sankt Peter;
Die andren Glieder waren nach Verhältnis,
So daß der Strand, der von der Mitte abwärts
Als Schurz ihm diente, so viel von ihm sehn ließ,
Daß, bis zu seinem Haupthaar zu gelangen,
Vergebens sich bemüht drei Friesen hätten.
Denn von da ab, wo man den Mantel heftet,
Sah ich ihn reichlich dreißig Spannen lang.
Rafel mai amech zabi almi, –
Also begann das große Maul zu schreien,
Das nicht geeignet war für sanftre Psalmen.
[131]
Mein Führer rief ihm zu: Einfältige Seele,
Wenn Zorn und andre Leidenschaft dich packen,
So halte dich an's Horn, sie auszulassen.
Faß nur an deinen Hals, verwirrte Seele,
Da findest du die Schnur, an die's gebunden;
Sieh, wie sich's um die große Brust dir krümmt. –
Dann wandt' er sich zu mir: Der klagt sich selbst an;
Der Nimrod ist's, durch dessen Unterfangen
Nicht eine Sprache nur die Menschen reden.
So lassen wir ihn; sprechen wär' umsonst,
Denn ihm ist jede Sprache, wie die seine
Den andren ist, da niemand sie verstehn kann. –
Nach links gewendet schritten wir nun weiter
Und fanden, einen Bogenschuß entfernet,
Den zweiten, der noch größer war und schlimmer.
Ich weiß nicht, welcher Meister es vollbrachte,
Ihn so zu fesseln; doch den einen Arm
Hielt vorwärts, und den rechten auf dem Rücken
Ihm eine Kette, die vom Halse nieder
Ihn dicht umschlang und bis zur fünften Windung
So weit zu sehn er war, sich um ihn legte.
Hochmütig wollte dieser seine Kräfte
Im Kampfe gegen Jupiter erproben;
Jetzt wird ihm so vergolten, sprach mein Meister.
Ephialtes ist sein Nam', und als die Götter
Vor den Giganten bebten, tat er Großes;
Nun regt die Arm' er nicht mehr, die das taten. –
Ich sagte drauf: Wenn es gestattet ist,
So wünscht' ich des gewalt'gen Briareus
Erfahrung meinen Augen zu erwerben. –
Und er darauf: Hier nah' wirst den Antäus
Du sehn, der spricht und dessen Arme frei sind;
Der soll auf aller Sünde Grund uns setzen.
Den du zu sehn begehrst, ist noch viel weiter;
Er gleichet diesem, ist wie er gefesselt,
Nur daß sein Angesicht noch wilder aussieht. –
[132]
Nie bebte wohl die Erde so gewaltsam,
Nie ward ein Turm dadurch so sehr geschüttelt,
Wie nun Ephialtes plötzlich sich bewegte.
Da fürchtet' ich mehr als je sonst den Tod,
Ja, Furcht allein schon hätt' ihn mir gebracht,
Wenn mich die Fesseln nicht beruhigt hätten.
Als wir dann weitergingen, trafen wir
Antäus, der bis an des Hauptes Anfang
Fünf gute Ellen aus dem Felsen ragte.
O du, der in dem schicksalsschwangern Tale,
Wo Scipio großen Ruhmes Erb' erworben,
Als Hannibal und die Karthager flohn,
Wohl tausend Löwen einst als Beut' erlegte,
Von dem man heute noch vermuten möchte,
Daß, hätt' er seiner Brüder Kampf geteilt,
Der Erde Kindern Sieg geblieben wäre,
Verschmähe nicht uns dort hinabzusetzen,
Wo des Cocytus Flut im Eise starret.
Schick' uns nicht zu Typhoeus oder Tityus;
So neige dich und wende dich nicht von uns,
Denn dieser kann, was hier begehrt wird, geben:
Noch kann er droben deinen Ruhm verkünden
Er lebt und langes Leben wartet seiner,
Wenn ihn nicht vor der Zeit die Gnade abruft. –
So sprach der Meister; jener aber faßte
Schnell meinen Führer mit denselben Händen,
Die einst den Herkules so schwer bedrängten.
Und als Virgil sich so ergreifen fühlte,
Sagt' er zu mir: Tritt so, daß ich dich fasse. –
Er tat es und wir bildeten ein Bündel.
Wie Carisenda dem, der zu ihr aufblickt,
Da wo sie überhänget, dann erscheinet,
Wenn Wolken ziehn in umgekehrter Richtung,
So schien Antäus mir, der ich emporsah
Sich bücken ihn zu sehn, und lieber wär' ich
Auf andrem Weg zu jener Zeit gegangen.
[133]
Leicht aber setzt' er uns am Boden nieder,
Der Judas so wie Lucifer verschlingt;
Doch weilt' er nicht in der gebückten Stellung
Und schnellte, wie ein Mast im Schiff, empor.
Zweiunddreißigster Gesang
Besäß ich Reime rauh und widerstrebend,
Wie sie dem grauenhaften Schlund' entsprächen,
Auf dem die andren Felsen alle lasten,
So drückt' ich meines Gegenstandes Saft
Wohl besser aus; doch weil ich sie nicht habe,
Schick' ich nicht furchtlos mich zu reden an.
Denn ein Beginnen ist's nicht leicht zu nehmen,
Des Weltalls Fundament zu schildern, noch auch
Dem Mund der »Papa« lallt und »Mama« paßlich.
Doch helfen mögen meinem Vers die Frauen,
Durch die Amphion Thebens Mauern baute,
Damit das Wort der Wirklichkeit entspreche.
O du, zum Unheil nur geschaffner, Pöbel,
Der an dem Ort weilt, den ich ungern schildre,
Euch wäre besser, wärt' ihr Schaf' und Ziegen!
Als unten wir im finstren Brunnen waren,
Viel tiefer noch als des Giganten Füße,
Und ich empor die hohe Mauer blickte,
Hört' ich die Worte: Achte wo du hintrittst,
Daß du mit deinen Sohlen nicht die Häupter
Der armen unglücksel'gen Brüder stoßest. –
Da wandt' ich mich, und einen See gewahrt' ich
Zu meinen Füßen und weithin, dem Kälte
Des Glases, nicht des Wassers, Ansehn lieh.
Nie hüllt' in Österreich in so dichte Schleier
Die Donau ihren Lauf zur Winterszeit,
Noch Tanais dort unterm kalten Himmel,
Als dieser war, und wäre Tambernic
[134]
Darauf gefallen, oder Pietrapana,
So hätt' es selbst am Rande nicht geknickt.
Und wie zur Zeit, wenn oft vom Ährenlesen
Die Bäurin träumt, der Frosch bei seinem Quaken
Die Schnauze nur hervorstreckt aus dem Wasser,
So staken bis dahin, wo uns die Scham färbt,
Die Schatten blaugefroren fest im Eise,
Mit Zähnen klappernd nach dem Takt des Storches.
Hernieder senkten alle sie das Antlitz,
Vom Froste gab der Mund, vom schweren Herzen
Das Aug' einander wechselweise Zeugnis.
Als ein'ge Zeit umhergeschaut ich hatte,
Blickt ich herab, und sah zwei so nah sich,
Daß ihrer Häupter Haare sich vermengten.
Die Brust an Brust so fest ihr dränget, frug ich,
Wer seid ihr, sprecht? – Da wandten sie die Hälse,
Und als empor zu mir sie blickten, troffen
Die bis dahin nur tränenschwangren Augen
Hervor nun aus den Lidern; doch vor Kälte
Ward jede Träne Eis und schloß die Wimpern
So fest, wie keine Klammer Holz mit Holze
Jemals verband, weshalb im grimmen Zorne
Sie Stirne gegen Stirn gleich Böcken stießen.
Und einer, dem der Frost schon beide Ohren
Genommen, sagte, ohne aufzublicken:
Wer heißt dich, so in uns dich zu bespiegeln?
Doch willst, wer jene zweie sein du wissen:
Das Tal, aus dem herabfließt der Bisenzio,
Alberto's ihres Vaters war's und ihres.
Ein Leib' gebar sie, aber die Caïna,
Durchsuchst du ganz sie, zeigt dir keinen Schatten,
Der würd'ger wär' als sie im Eis zu stecken.
Nicht jener, dem die Hand des Königs Artus
Mit einem Wurfe Brust durchstieß und Schatten,
Focaccia nicht, nicht der des Haupt die Aussicht
Mir so versperrt, daß ich nicht vorwärts sehn kann,
[135]
Und der genannt ward Sassol Mascheroni,
Nun weißt du wer er war, bist du Toskaner.
Und daß du mich nicht weiter fragest, höre,
Daß ich der Camicion de' Pazzi war;
Carlin erwart' ich, daß er mich entschuld'ge. –
Gesichter sah ich dann, wohl mehr als tausend,
Vor Kälte dunkelblau; drum graut mir jetzt noch
Und wird es ewig, vor gefrornen Wässern.
Wie wir uns so dem Mittelpunkte nahten,
Zu welchem alles hinstrebt was da schwer ist,
Und ich vor Frost im ew'gen Schatten bebte,
Da stieß ich, war es Vorsatz oder Zufall,
War es Geschick, durch all die Köpfe wandelnd,
Hart mit dem Fuße einem ins Gesicht.
Was trittst du mich, warf er mir vor und weinte,
Und, kommst du nicht die Rach' um Mont' Aperti
Noch zu vermehren, warum quälst du mich? –
O Meister, sagt' ich, weile hier ein wenig,
Bis über diesen ich in's Klare komme;
Dann heiße mich, soviel du Lust hast, eilen. –
Mein Führer stand, ich aber sprach zu jenem,
Der laut mit seinen Lästerreden fortfuhr:
Wer bist du, der du so die Leute ausschiltst? –
Drauf er: Wer bist denn du, der Antenora
Durchwandelnd, fremde Wangen so hart stößest,
Daß, wärst du lebend auch, zu hart es wäre? –
Lebendig bin ich, und das kann dir lieb sein,
War meine Antwort, wenn du Ruhm begehrest,
Daß deinen Namen ich zu andren schreibe. –
Doch er darauf: Das Gegenteil begehr' ich.
Geh nun; laß ab, mich länger noch zu quälen,
Denn schlecht versteht hier unten du zu schmeicheln. –
Ich aber packt' ihn fest beim hintern Haupthaar,
Und sprach: Den Namen sollst du doch mir sagen,
Sonst wird hier oben nicht ein Haar dir bleiben. –
Und er darauf: Wie sehr du mich auch raufest,
[136]
Nicht sag' ich, wer ich sei, noch offenbar' ich's,
Wenn du auf's Haupt auch tausendmal mir herfällst. –
Schon hielt die Haar' ich in der Hand umschlungen
Und ausgerauft hatt' ich ihm manchen Büschel,
Wozu er mit gesenkten Augen bellte;
Da rief ein andrer aus: Was hast du Bocca?
Genügt dir's nicht zu klappen mit den Zähnen,
Daß du noch bellen mußt; was Teufel ist dir? –
Böswilliger Verräter, nun verlang' ich
Nicht daß du redest, sagt' ich, dir zur Schande
Werd' ich schon wahre Kunde von dir geben. –
Drauf er: Geh' hin und was du willst erzähle;
Entsteigst du aber diesem Schlund, so schweige
Von dem nicht, dessen Zunge jetzt so rasch war.
Das Geld beweint er, das ihm Frankreich gab.
Ich sah, so kannst du sagen, den von Duera
Da wo's den Sündern nicht an Kühlung mangelt.
Und fragt man dich, wer sonst noch hier gewesen,
So hast den Beccheria du zur Seite,
Dem Florenz einst die Gurgel durchgeschnitten.
Gianni de' Soldanier ist, denk ich, weiter
Dorthin mit Ganellon und Tribaldello,
Der als man schlief Faenza's Tor geöffnet. –
Schon hatten wir ihn hinter uns gelassen,
Als zwei ich sah in ein Loch eingefroren,
So daß des einen Haupt des andren Hut war.
Und wie in's Brot der Hungrige hineinbeißt,
So packt der obre jenen mit den Zähnen,
Wo das Gehirn dem Nacken sich verbindet.
Nicht anders nagte Menalippus' Schläfe
Tydeus vor großem Zorn, als dieser Schatten
Des andren Schädel tat und was dem angrenzt.
Der durch dein viehisches Gebahren du
Dem Haß bezeig'st von dem du issest, sagt' ich,
Erzähle mir den Grund, und ich verspreche,
Daß, wenn du recht hast über ihn zu klagen,
[137]
Und ich erst, wer ihr seid und seine Sünde
Vernahm, ich's in der Oberwelt dir lohne,
Wenn die, mit der ich rede, nicht vertrocknet. –
Dreiunddreißigster Gesang
Vom grauenhaften Mahl erhob der Sünder
Den blut'gen Mund und wischt ihn an den Haaren
Des Schädels ab, den hinten er zerfleischt;
Dann sprach er: Du begehrst, daß ich erneue
Den wilden Schmerz, den mir schon in Gedanken
Das Herz abpreßt, noch eh' ich von ihm rede;
Doch, soll mein Wort zum Samenkorne werden,
Aus welchem Schande keimt für den Verräter,
Den ich benagt, so will ich weinend sprechen.
Ich weiß nicht wer du bist, noch welchen Weges
Hierher du kamst, doch hör' ich deine Rede,
So dünkst du wahrlich mir ein Florentiner.
So wisse denn, ich war Graf Ugolino
Und dieser ist der Erzbischof Ruggieri;
Warum ich solch ein Nachbar bin vernimm nun.
Daß ich infolge seiner schlauen Tücken
Gefangen ward, weil ich ihm Zutrau'n schenkte,
Und dann getötet, darf ich nicht erst sagen;
Allein was niemand dir berichten konnte,
Wie grausam meines Todes Art gewesen,
Das hör', und sprich dann ob mein Haß gerecht ist.
Schon hatte manchen Mond das schmale Lichtloch
Des Kerkers, der nach mir der Hungerturm heißt,
Und andre künftig noch einschließen wird,
Durch seine Öffnung mich erblicken lassen,
Als mir der Schlaf das böse Traumbild brachte,
Das von der Zukunft mir den Schleier riß.
Als Herrn und Meister sah ich diesen hier
So Wolf als Wölflein jagen auf dem Berge,
[138]
Der die Pisaner nicht bis Lucca sehn läßt.
Es ritten vor ihm her mit einer Meute
Von magren Hündinnen, die gierig spürten,
Sismondi, nebst Gualandi und Lanfranchi.
Ermüden sah ich schon nach kurzem Laufe
Den Vater wie die Jungen; ihre Weichen
Sah ich der Rüden scharfen Zahn zerreißen.
Als ich erwacht war eh' der Morgen graute,
Hört' ich im Schlafe meine Kinder weinen,
Die mit mir waren, und nach Brot verlangen.
Hartherzig bist du, wenn du nicht schon mitfühlst,
Erwägst du was mein banges Herz nun ahnte;
Und, weinst du nicht, um was pflegst du zu weinen?
Auch sie erwachten, und die Stunde nahte,
Zu der man Nahrung uns zu reichen pflegte,
Und seines Traumes dachte jeder sorgend.
Vernageln hört' ich da den untren Ausgang
Des grauenvollen Turmes, und ich schaute
Sprachlos darum in meiner Kinder Antlitz.
Ich weinte nicht, so sehr erstarrt' ich innen;
Sie aber weinten und mein Anselmuccio
Rief aus: Du blickst so, Vater, sprich, was ist dir? –
Und dennoch weint ich nicht und gab nicht Antwort
Den ganzen Tag nicht und die Nacht die folgte,
Bis abermals der Welt die Sonne aufging.
Als etwas Licht bis in den Schmerzenskerker
Gedrungen war, und ich die eignen Züge
In vier Gesichtern abgespiegelt sah,
Biß ich vor Jammer mir die beiden Hände
Da richteten, im Wahne, daß, nach Speise
Verlangend, ich's getan, sie schnell sich auf
Und sagten: Vater, glaub', es schmerzt uns minder,
Wenn du von uns dich nährst; bekleidet hast du
Mit diesem armen Fleisch uns, nimm es wieder! –
Und ich bezwang mich, ihren Schmerz zu mildern;
Stumm blieben diesen Tag wir und den nächsten.
[139]
Was tat'st du dich nicht auf, grausame Erde?
Als wir gelangt zum vierten Tage waren
Warf Gaddo sich mir ausgestreckt zu Füßen.
Und rief: Mein Vater, warum hilfst du nicht? –
So redend starb er, und, wie du mich siehst,
Sah ich vom fünften bis zum sechsten Tage
Die drei hinsinken, einen nach dem andren.
Schon blind, tappt' ich von Leiche dann zu Leiche
Und rief zwei Tage sie nach ihrem Tode,
Bis, was kein Schmerz vermocht, der Hunger tat. –
Als er geendet, faßt' er stieren Blickes
Den armen Schädel mit den Zähnen wieder,
Die, Hundeszähnen gleich, sich hart bewährten.
O Pisa, Schande du des Menschenstammes
Im schönen Lande, wo das sì ertönet!
Wenn deine Nachbarn dich zu strafen säumen,
So soll Caprara und Gorgona kommen,
Den Arno an der Mündung aufzustauen.
Um zu ersäufen, was in dir nur atmet.
Verklagte das Gerücht Graf Ugolino,
Daß an den Feind die Burgen er verraten,
So durftest du die Knaben doch nicht martern.
Von Schuld entband die Jugend, neues Theben,
Brigata, Uguccione und die beiden,
Die oben schon von meinem Lied genannt sind.
Wir gingen weiter dorthin, wo die Decke
Des Eises andre Schatten grausam einschnürt,
Nicht vorgebeugt, nein auf dem Rücken liegend.
Das Weinen selbst verhindert dort am Weinen;
Die Träne, die im Aug' ein Hemmnis findet,
Drängt sich zurück, die innre Angst zu mehren.
Zu einem Damm erstarr'n die ersten Tränen
Und füllen, gleich kristallenen Visieren,
Die ganze Höhlung unterhalb der Brauen. –
Obwohl auf meinem Angesicht die Kälte,
Als wäre schwielenhart die Haut geworden,
[140]
Fast ganz ertötet die Empfindung hatte,
So glaubt' ich dennoch Windeswehn zu spüren,
Und sagte: Meister, was bewegt die Luft hier;
Ist nicht hier unten jeder Dunst erloschen? –
Drauf er zu mir: Bald wirst du dorthin kommen,
Wo hierauf Antwort dir dein Auge gibt,
Siehst es den Grund, von dem dies Wehen ausgeht. –
Ein Sünder aber aus der kalten Decke
Hub an: Ihr Seelen, die so schuldbeladen
Ihr seid, daß euch der letzte Platz zuteil wird,
Lös't von den Augen mir die harten Schleier
Damit der Schmerz, der mir das Herz drückt, etwas
Ausström', eh' wieder mir die Tränen frieren. –
Drauf ich zu ihm: Begehrst du meine Hilfe,
So sage, wer du bist, und tu' ich's dann nicht,
Mög' auf des Eises Grund ich steigen müssen. –
Da sagt' er: Frate Alberigo bin ich,
Der Früchte bot, gereift in bösem Garten;
Doch hier bezahlt für Feigen man mir Datteln. –
Wie, sagt' ich, bist du denn bereits gestorben? –
Und er zu mir: Wie's meinem Körper gehe
Dort oben in der Welt, kann ich nicht sagen;
Das ist das Vorrecht dieser Ptolemäa,
Daß oft die Seele schon in sie herabfällt,
Eh' Atropos zu scheiden ihr geheißen.
Und daß bereiter, die verglasten Tränen
Du sei'st vom Angesicht mir wegzunehmen,
So wisse, daß sobald, wie ich getan,
Verrat die Seele übt, von ihrem Leibe
Besitz ein Teufel nimmt, bis abgelaufen
Die ganze Zeit ist, die ihm zugemessen;
Sie aber stürzt hinab in diesen Brunnen.
Vielleicht erscheint dort oben noch der Körper
Des Schattens, der dort hinten eingewintert;
Du mußt es wissen, wenn du eben herkömmst.
Ser Branca d'Oria ist es, und schon Jahre
[141]
Verstrichen, seit ihn so das Eis umschließet. –
Ich glaube, sagt' ich ihm, du willst mich täuschen;
Denn Branca d'Oria starb bisher mit nichten,
Der ißt und trinkt und schläft und geht in Kleidern. –
Dort oben in dem Tal der Malebranche,
Wo stets im Sieden bleibt das zähe Pech,
War Michel Zanche noch nicht eingetroffen,
Als dieser schon, statt seiner, einen Teufel
In seinem Leibe ließ und des Verwandten,
Der zum Verrate sich mit ihm verbunden.
Doch strecke zu mir nieder nun die Hand aus
Und öffne mir die Augen! – Doch ich tat's nicht,
Und hart mit ihm zu sein, war Schuldigkeit.
O Genuesen, Volk das abgewendet
Von aller Sitte ist und voller Tücke,
Warum seid aus der Welt ihr nicht verstoßen!
Denn mit dem schlimmsten Schatten aus Romagna
Fand ich der euren einen, dessen Sünden
Die Seele dort schon im Cocytus büßet,
Obwohl der Leib hier oben scheint zu leben.
Vierunddreißigster Gesang
Des Höllenköniges Paniere wehen
Uns schon entgegen, sagte nun mein Meister,
Drum blicke vorwärts, ob du ihn erkennest. –
Wie eine Mühle die vom Wind bewegt wird
Erscheint, wenn dichte Nebel streichen, oder
Die Nacht beginnt auf unsrer Hemisphäre,
Solch' ein Gebäude glaubt' ich zu erblicken;
Dann zog ich hinter meinen Führer, wegen
Des Windes, mich zurück, da sonst nichts schützte.
Schon waren wir, und schaudernd schreib' ich's nieder,
Dort wo die Schatten ganz im Eise staken,
Und drin erschienen, wie der Halm im Glase;
[142]
Die einen ausgestrekt, die andren aufrecht,
Die oben mit dem Kopf, die mit den Sohlen,
Gekrümmt das Haupt bis zu den Füßen jene.
Als vorwärts wir so weit gekommen waren,
Daß mir die Kreatur, die einst so schön war,
Zu zeigen, meinem Führer an der Zeit schien,
Trat er zur Seit' und hieß mich stille stehn.
Sieh' sprach er, hier ist Dis, und hier die Stelle,
Wo dir, mit Stärke dich zu waffnen, not tut. –
Nicht frage Leser, wie ich da erstarrte,
Wie alle Kraft mir schwand; ich schreib es nimmer,
Weil ungenügend alles Reden wäre.
Ich starb nicht, und doch blieb ich nicht lebendig;
So denke denn, bist du des Denkens fähig,
Wie, Tod und Leben missend, mir zu Mut war!
Der Kaiser von dem Reich der Schmerzen ragte
Vor aus dem Eise mit der halben Brust,
Und, mehr entsprech' ich der Giganten Größe,
Als die Giganten seinen Armen gleichen.
Erwäge nun, wie groß das Ganze sein muß,
Damit es solcher Glieder Maß entspreche!
Wenn er so schön war, als er häßlich jetzt ist,
Und gegen seinen Schöpfer dennoch aufstand,
Muß alles Leiden freilich von ihm ausgehn.
Welch staunenswertes Wunder schien es mir,
Als drei Gesichter ich an seinem Haupt sah:
Das eine vorn, und das war roter Farbe;
Die andren waren zwei, die sich an dieses
Anfügten, über jeder Schulter Mitte,
Und sich verbanden an des Wirbels Stelle.
Weißgelblich war das zu der rechten Seite,
Das linke glich an Farbe denen, welche
Von daher kamen, wo der Nil zu Tal fließt.
Zwei Flügel ragten unter jedem Antlitz
So groß, wie solchem Vogel sie geziemten;
Nie sah ein Seeschiff ich mit größren Segeln.
[143]
Sie waren federlos und ihre Weise
Glich der der Fledermaus; von ihrem Schlagen
Entstand dreifacher Wind nach den drei Seiten,
Von dessen Wehn erstarrte der Cocytus.
Er weinte aus sechs Augen, an drei Kinnen
Troff mit den Tränen blut'ger Geifer nieder.
In jedem Maul zerquetscht' er einen Sünder
Mit seinen Zähnen, ähnlich wie man Flachs bricht,
So daß er drei in solcher Weise quälte.
Für den nach vorne war das Beißen wenig,
Verglichen mit dem Kratzen, so daß öfters
Der ganze Rücken aller Haut beraubt war.
Judas Ischarioth ist jene Seele,
Die schwerste Qual erfährt, das Haupt nach innen,
Die Beine außen zappelnd, sprach mein Meister.
Von den zwei andren, deren Kopf herabhängt,
Ist der dort links im schwarzen Rachen Brutus;
Sieh, wie er sich verdreht und dennoch stumm bleibt.
Der andre, der so kräftig scheint, ist Cassius.
Allein die Nacht kehrt wieder, und zu scheiden
Ist's an der Zeit, da alles wir gesehen. –
Den Hals umschlang ich ihm, wie er geheißen;
Er aber nahm des Ortes und der Zeit wahr
Und, als genug die Flügel sich geöffnet,
Packt' er sich fest an die behaarten Rippen.
Von Zotte stieg er dann zu Zotte zwischen
Dem dichten Haare und der Eiswand nieder.
Als wir zur Stelle kamen, wo der Schenkel
Sich wendet in der Hüfte größter Wölbung,
Da wandt' er, angestrengt und unter Keuchen,
Wie wer emporsteigt tut, an's Haar sich klammernd;
Dorthin das Haupt, wo erst die Füße waren;
So daß zur Hölle ich zu kehren glaubte.
Umhalse fest mich, denn auf solcher Leiter
(So sprach mein Meister wie ein Müder stöhnend)
Entklimmen wir allein so schwerem Übel. –
[144]
Aus einem Felsenloche stieg er endlich,
Und setzte mich auf dessen Rande nieder;
Dann folgt' er mit vorsicht'gem Schritt mir nach.
Ich hob das Aug' und glaubte Luzifer
Zu sehn, so wie ich ihn verlassen hatte,
Und sah die Bein' ihn nun nach oben strecken.
Und wenn die Angst mich damals übermannte,
So denke nach, wem noch nicht klargeworden,
Was für ein Punkt von mir war überschritten.
Erhebe dich, begann nunmehr mein Meister,
Der Weg ist lang und schlimm zu gehn der Pfad,
Fast seit zwei Stunden steht die Sonn' am Himmel –
Das war kein Weg gleich eines Schlosses Rampe
Den wir nun stiegen; eine Felsenklüftung
Mit rauhem Boden und des Lichts ermangelnd.
Als ich mich aufgerichtet, sprach ich: Meister,
Eh' diesem Abgrund ganz ich mich entrissen,
Gib Auskunft mir und tilge meinen Irrtum.
Wo ist das Eisfeld, und weshalb steckt dieser
Den Kopf zu unterst, und wie ging die Sonne
So schnell vom Abend zu dem Morgen über? –
Drauf er zu mir: Du glaubst, noch immer sei'st du
Jenseits des Mittelpunktes, wo ich die Haare
Des Wurmes der die Welt durchnagt, ergriffen.
So lang' ich niederstieg, warst du noch jenseits;
Als ich mich wandte warst du an dem Punkte,
Zu dem aus aller Welt die Schwere hinzieht.
Doch nun gelangtest du zur Hemisphäre
Der gegenüber, die das große Festland
Bedeckt, und unter deren Gipfel starb
Der sündenlos geboren ward und lebte
Du hast die Füß' auf einem kleinen Kreise,
Der die Kehrseite der Judecca bildet.
Hier ist es Morgen, wenn es Abend dort ist,
Und noch steckt ebenso, wie er zuvor tat,
Der, dessen Haar als Leiter uns gedient.
[145]
Vom Himmel stürzt' auf dieser Seit' er nieder,
Und alles Land, das diesseits sich erhoben,
Verbarg aus Furcht sich in des Meeres Schleier
Und tauchte auf in eurer Hemisphäre;
Hier aber ließ vielleicht es diese Höhlung
Um ihn zu fliehn, und türmte sich zum Berge. –
Von Beelzebub erstreckt ein Raum dort unten
So weit sich als die Höllengrube diesseits;
Doch nicht das Auge, nur das Ohr erkennt ihn
Am Rauschen eines Bach's, der das Geklüfte,
Durch das in Windungen mit wenig Falle
Er absteigt, in den Felsen selbst genagt hat.
Auf so verborgnem Pfad begann mein Führer
Mit mir zur lichten Welt zurückzukehren.
So stiegen, er zuerst und ich ihm folgend,
Wir ohn' uns Ruh zu gönnen immer aufwärts,
Bis durch ein rundes Loch ich wieder etwas
Von dem gewahr ward, was den Himmel schmückt;
Dann traten wir hinaus und sahn die Sterne.

Fegefeuer

Erster Gesang
Zeuch auf die Segel, um nun bess're Fluten,
O Schifflein meines Geistes, zu durchschneiden,
Das hinter sich so grimmes Meer zurückläßt.
Von jenem zweiten Reiche will ich singen,
Wo sich der Geist der Abgeschiednen läutert
Und würdig wird zum Himmel aufzusteigen.
Doch hier erhebe ich die tote Dichtkunst,
O heil'ge Musen, denn ich bin der eure,
Und höher schwinge sich Calliope,
Mein Lied mit jenem Klange zu begleiten,
Der so die armen Pieriden traf,
Daß des Verzeihens Hoffnung sie verloren.
Des indischen Sapphires schöne Farbe,
Die sich im Anblick dieser, bis zum ersten
Der Kreise lautren, Luft gesammelt bot,
Gewährte meinen Blicken neue Wonne,
Sobald ich aus der toten Luft hervortrat,
Die mir betrübt so Brust als Augen hatte.
Der ganze Morgenhimmel lacht' im Glanze
Des schönen Wandelsterns, der Liebe fördert,
So daß die Fisch' erblichen, die ihn hegten.
Als ich, nach rechts mich kehrend, jenem Pole
Mein Augenmerk zuwandte, sah' vier Stern' ich,
Die seit den ersten Menschen niemand sah.
Zu freun schien sich der Himmel ihrer Flämmlein.
Wie bist du, mitternächtig Land, verwaiset,
Weil dieser Sterne Anblick dir versagt ist!
Von ihrem Anschaun wandt' ich meine Blicke
Ein wenig mehr dem andren Pole zu,
An dem der Wagen unsichthar geworden.
Da sah, mir nächst, ich einen Greis allein stehn;
Nach seinem Aussehn solcher Ehrfurcht würdig,
Wie größre nie ein Sohn dem Vater schuldet.
[148]
Lang trug den Bart er, der, dem Haupthaar ähnlich,
In reichlichem Gemisch von weißen Haaren
Zur Brust herab in Doppelstreifen wallte.
Sein Angesicht umleuchteten die Strahlen
Der heiligen vier Lichter so mit Klarheit,
Daß ich ihn sah, als wie im Licht der Sonne.
Wer seid ihr, die, dem dunklen Bach entgegen,
Entflohn ihr seid dem ewigen Gefängnis? –
So redend, regt' er die ehrwürdigen Haare.
Wer war euch Führer, wer hat euch als Leuchte
Gedient, als ihr herausstiegt aus der Nacht,
Die stets das Höllental bedeckt mit Dunkel?
Ist das Gesetz des Abgrunds so gebrochen,
Hat neuer Ratschluß obgesiegt im Himmel,
Daß, als Verdammt', ihr kommt zu meinem Felsen? –
Bei diesen Worten faßte mich mein Führer
Und hieß mit Worten, Hand und Winken mich,
Durch Aug' und Kniee Ehrfurcht ihm beweisen.
Dann sagt' er: Nicht von freien Stücken kam ich;
Vom Himmel stieg ein Weib, auf deren Bitte
Ich diesem Beistand lieh durch mein Geleite.
Doch weil dein Wunsch es ist, daß ich genauer,
Wie sich's mit uns verhält, dir offenbare,
Kann nicht der meine sein, es zu verschweigen.
Noch nimmer sah den letzten Abend dieser;
Doch bracht' ihn seine Torheit ihm so nahe,
Daß gar geringe Zeit noch daran fehlte.
Gesendet ward ich, wie du schon vernommen,
Um ihn zu retten, und zum Ziele führte
Von allen Wegen der nur, den ich einschlug.
Schon zeigt' ich ihm die Sünder all' und denke
Ihm nun die andren Seelen auch zu zeigen,
Die unter deiner Obhut hier sich läutern.
Viel Zeit bedürft' es, wollt' ich dir erzählen,
Wie ich ihn hergebracht; durch Kraft von oben
Führt' ich ihn her, zu sehn dich und zu hören.
[149]
Geneige denn, sein Kommen gutzuheißen.
Nach Freiheit strebt er, deren Wert am besten
Versteht, wer ihrethalb das Leben aufgab.
Du weißt es, denn nicht scheutest du den Tod
In Utica für sie, wo das Gewand
Du ließest, das am großen Tag wird leuchten.
Wir brachen nicht die ewigen Gesetze,
Denn dieser lebt, und ich bin, frei von Minos,
In jenem Kreise, wo die schönen Augen
Von deiner Marcia sind, die noch den Wunsch hegt,
O heil'ges Herz, daß du für dein sie haltest. –
So sei uns, ihr zu Liebe, denn gewogen,
Laß deine sieben Reiche uns durchwandeln.
Erlaubst du, daß dort unten man dich nenne,
So werd' ich unsren Dank ihr überbringen. –
So angenehm war Marcia meinen Augen,
So lang' ich jenseits weilte, sagt' er drauf,
Daß jeden ihrer Wünsch' ich ihr gewährte.
Doch, seit sie jenseits weilt des argen Flusses,
Berührt sie mich nicht mehr nach dem Gesetze,
Das aufgerichtet ward, als ich dort ausging.
Doch wenn, wie du mir sagst, ein Weib vom Himmel
Dich gehn hieß und dich lenkt, bedarf's kein Schmeicheln;
Daß ihrethalb du bittest, muß genügen.
So geh' und sorge, daß mit schlichter Binse
Du diesen kränzest und vom Angesicht,
Ihn rein'gend, jede Schmutzesspur du tilgest;
Denn ungeziemend würd' es sein, mit Augen
Die Nebel noch umfingen, vor den ersten
Der Paradieses-Diener hinzutreten.
Es trägt ringsum an ihrem untren Ende,
Wo Wellen sie bespülen, diese Insel
Der Binsen viel auf ihrem grünen Ufer.
Nicht würde ein Gewächs, das sich belaubte
Und Holz ansetzte, dort am Leben bleiben,
Weil es der Welle Schlägen sich nicht fügte.
[150]
Nicht hierher mögt ihr dann zurück euch wenden.
Die Sonne, die gleich aufsteigt, wird euch weisen
Wo ihr den Berg in mindrer Steile angreift. –
Damit verschwand er, aber ich erhob mich
Und schloß mich schweigend eng an meinen Führer,
Auf den ich aufmerksam die Augen wandte.
Darauf begann er: Folge meinen Schritten,
Und kehren wir zurück, denn diese Ebne
Neigt dorthin sich zu ihrem untren Ende.
Schon wich die Dämmerung der Morgenhelle
Und floh gen Westen, so daß aus der Ferne
Des Meeresspiegels Zittern ich erkannte.
Wie wer zum Weg, den er verfehlte, umkehrt
Und meint, bis zu ihm hin geh' er vergebens,
So schritten wir auf jener öden Fläche.
Als wir dorthin gelangten, wo der Tau
Im Kampf ist mit der Sonne, doch an Stellen
Wo länger Schatten bleibt nur schwach verdunstet,
Da streifte mit den ausgespannten Händen
Gelinde das betaute Gras mein Meister.
Ich aber, der erriet, was er bezweckte,
Bot ihm die tränenreichen Wangen dar.
Da ließ die Farbe, die der Hölle Qualen
An mir verhüllt, er völlig wiederkehren.
Dann kamen wir zum öden Meeresstrande,
Der niemals seine Flut durchschiffen sah
Von einem, der dann heimgekehret wäre.
Dort kränzt er mir die Stirn nach jenes Willen,
Und, Wunder! jede unscheinbare Pflanze,
Die er erkor, wuchs an derselben Stelle,
Wo er sie ausriß, gleich in alter Weise.
[151] Zweiter Gesang
Schon nahte jenem Horizont die Sonne,
Des Mittagskreis in seinem höchsten Punkte
Jerusalem bedeckt, die hochgebaute,
Und, die die Erd' ihr gegenüber umkreist,
Die Nacht stieg aus dem Ganges mit der Wage,
Die ihrer Hand entfällt, wenn sie erstarket;
So daß die roten und die weißen Wangen
Der lieblichen Aurora, wo ich war,
Vor Alter sich allmählich gelber färbten.
Noch waren nahe wir dem Strand des Meeres,
Gleich Leuten, die den Weg sich überlegend,
Im Herzen gehn, doch mit dem Leib verweilen.
Da sieh', wie überrascht vom Morgengrauen
Im fernen Westen, nah dem Meeresspiegel
Rotglühend Mars durch dichte Dünste schimmert,
So schien mir (möcht' ich einst es wiedersehen!)
Ein Licht so eilig über's Meer zu kommen,
Daß keines Vogels Flug an Schnell' ihm gleich ist.
Als ich das Aug' ein wenig abgewendet,
Nur um vom Führer Auskunft zu erbitten,
War größer es und leuchtender geworden.
Dann sah ich Weißes ihm zu beiden Seiten;
Nicht wußt' ich, was es sei, jedoch allmählig
Ward unten andres Weiß noch offenbar.
Noch schwieg mein Meister; aber als das Weiße
Das wir zuerst sah'n, sich als Flügel zeigte,
Und er den Fährmann sicher nun erkannte,
Da rief er: Beuge, beuge schnell die Kniee
Und sieh, die Hände faltend, Gottes Engel!
Nur solche Diener wirst fortan du treffen.
Die Mittel, die der Mensch bedarf, verschmäht er;
Du siehst kein Ruder führt er und die Flügel
Sind über weites Meer sein einzig Segel.
[152]
Sieh, wie er aufrecht sie gen Himmel kehret,
Die Luft mit ewigem Gefieder schlagend,
Das sich nicht ändert, wie das Haar des Menschen. –
Je mehr der Gottesvogel nun herankam,
Um soviel leuchtender erschien sein Strahlen,
So daß von Nahem nicht das Aug' ihm Stand hielt,
Und ich es senkte. Jener aber führte
Heran den schnellen Nachen, der so leicht war,
Daß nichts davon das Wasser in sich aufnahm.
Am Steuer stand der gottentsandte Schiffer,
So schön, daß seine Schildrung schon beseligt,
Und innen saßen mehr als hundert Geister.
Sie sangen insgesamt mit einer Stimme:
»Da Israel hinauszog aus Ägypten«
Und was in jenem Psalme mehr geschrieben.
Als dann er mit dem Kreuze sie gesegnet,
Warf sich ein jeglicher behend ans Ufer;
Er aber ging, so schnell als er gekommen.
Fremd schien der Menge, welche nun zurückblieb,
Der Ort: Denn zweifelnd blickten sie umher,
Gleich einem, der da probt, was ihm noch neu ist.
Nach jeder Seit' entsendete die Sonne
Den Tag, und hatte mit den lichten Pfeilen
Den Steinbock von des Himmels Höh' vertrieben.
Zu uns erhoben da die Neugekomm'nen
Ihr Angesicht und sagten: Wißt ihr ihn,
So zeigt den Weg uns zu des Berges Aufstieg. –
Virgil erwiderte: Vermutlich denkt ihr,
Wir sei'n des Ortes kundig; doch wir sind
Fremdlinge hier, nicht anders, als auch ihr seid.
Nur kurz vor euch sind wir auf andrem Wege
Als ihr gekommen, und so schwierig war er,
Daß uns des Berg's Ersteigung nun ein Spiel dünkt. –
Die Seelen aber, die an meinem Atmen
Erraten hatten, daß ich lebend sei,
Verwunderten sich so, daß sie erblaßten.
[153]
Wie wohl, um neues zu vernehmen, Leute
Entgegenziehn dem Boten mit dem Ölzweig
Und sich vor dem Gedränge keiner fürchtet,
So hafteten an meinem Anblick diese
Beglückten Seelen alle und vergaßen,
Den Schmuck der Reinigkeit sich zu erringen.
Und aus der Seelenschar hervortrat eine,
Mich zu umarmen mit so großer Liebe,
Daß zur Erwiderung sie mich bewog.
O Schatten, wesenhaft nur für das Auge!
Dreimal umwand ich hinter ihm die Hände
Und dreimal führt' ich sie zur Brust zurück.
Vor Staunen glaub' ich, daß ich mich verfärbte,
Weshalb der Schatten lächelnd von mir wich,
Und als ich vorwärts schritt, um ihm zu folgen,
Mich sanft und freundlich abzustehn ermahnte.
Da ward ich, wer er sei, gewahr und bat ihn,
Daß er, mit mir zu reden etwas weile.
Wie ich im Leib, der sterblich war, dich liebte,
Erwidert' er, lieb' ich von ihm getrennt dich.
Darum verweil' ich; aber warum gehst du? –
Hierher zurückzukehren, mein Casella,
Sagt' ich darauf, schritt ich zu dieser Reise.
Doch was hat dir so viele Zeit genommen? –
Und er darauf: Wenn, der da abruft wen er
Und wann er will, mir diese Überfahrt
Mehrfach verwehrt, geschah mir drum kein Unrecht;
Denn aus gerechtem Willen fließt der seine.
Hat er doch seit drei Monden aufgenommen,
Wer einzugehn verlangt' in rechtem Frieden.
So wurde denn, zum Meeresstrand gewendet,
Wo sich der Salzflut mischt das Tiberwasser,
Auch ich wohlwollend von ihm aufgenommen.
Zu jener Mündung spannt er jetzt die Flügel;
Denn eingesammelt wird zu allen Zeiten
Dort, wer nicht niedersteigt zum Acheron. –
[154]
Raubt dir kein neu Gesetz, sagt' ich dagegen,
Des liebevollen Sanges Brauch und Kenntnis,
Der all mein Sehnen zu beruh'gen pflegte,
So wolle meiner Seele, die begleitet
Vom Leib hierherkam und sich schwer beklemmt fühlt,
Ein wenig Labsal durch dein Lied bereiten. –
»Die Liebe, die zu mir im Geiste redet«
Hub er darauf so süß zu singen an,
Daß noch die Süßigkeit mir innen nachtönt.
Mein Meister, sowie ich und jene Seelen,
Die mit ihm kamen, schienen so beseligt,
Als läge keinem sonst etwas im Sinne.
Wir gingen ganz vertieft in seine Töne;
Da stand der würd'ge Greis vor uns und schalt:
Was soll das heißen, ihr saumseligen Geister?
Welch Säumen ist das, welche Lässigkeit?
Zum Berge eilt, die Hülle abzustreifen,
Die offenbar euch Gott nicht werden läßt! –
Wie Tauben, die versammelt sind zum Futter,
Schweigsam und ohne den gewohnten Hochmut
Die Haferkörner picken, oder Trespen,
Sobald, was ihnen Frucht bringt, sie gewahren,
Weil sie nun Wichtig'res zu sorgen finden,
Ablassen alsobald von ihrer Atzung,
So sah ich jene neugekommene Schar
Sich vom Gesange ab, zum Berge wenden,
Wie wer nicht weiß, wohin sein Weg ihn führe.
Und unser Aufbruch war nicht minder eilig.
[155] Dritter Gesang
Obwohl die schnelle Flucht die andren alle
Weithin verstreute über jene Fläche
Zum Berg hin, wo Gerechtigkeit uns züchtigt,
Schloß ich mich doch dem treuen Führer an;
Wie wär' ich ohne ihn auch vorgegangen,
Wer hätte mich den Berg hinaufgeleitet?
Es schien mir, daß ihn sein Bewußtsein schelte.
O unbeflecktes, würdiges Gewissen,
Wie ist ein kleiner Fehl dir herber Vorwurf!
Als sich der Eile seine Füß' entschlugen,
Die jeder Handlung raubt den rechten Anstand,
Erschloß mein Geist sich, der bisher gebannt war,
Begierig neue Dinge wahrzunehmen,
Und zu dem Berge wandt' ich meine Blicke,
Der mehr als einer aus dem Meere auftaucht.
Und, was in meinem Rücken rötlich glühte,
Das Sonnenlicht, war vor mir unterbrochen
In der Gestalt, in der mein Leib es hemmte.
Als nur vor mir ich dunkel sah die Erde,
Da kehrt' ich voller Schrecken mich zur Seite,
Weil ich verlassen mich vom Führer wähnte.
Doch, der mir Stütze war und Trost, begann,
Mir gänzlich zugekehrt: Warum mißtraust du,
Glaubst du mich fern und daß ich dich nicht führe?
Schon sinkt der Abend dort wo meinen Körper,
In dem ich Schatten warf, Neapel hegt,
Das ihn den Brundusinern hat entnommen.
Ist denn kein Schatten jetzt vor mir zu sehen,
So wundre dich's nicht mehr, als daß ein Himmel
Dem andren keinen Strahl des Lichts verdecket.
Um Qualen zu erdulden, Frost und Gluten,
Gibt Leiber, jenen ähnlich die wir hatten,
Die Kraft uns, die geheimhält, wie sie schaffe.
[156]
Betört ist, wer mit menschlichem Verstande
Den Weg ohn' End' erspähn will, den ein Wesen
In drei Personen geht in seinem Wirken.
Begnügt, ihr Menschen, euch bei dem »So ist es!« –
Denn, wäret, alles zu verstehn, ihr fähig,
So brauchte nicht Maria zu gebären;
Wohl sah't vergeblich solche ihr verlangen,
Die, wenn je einer, Frucht erwarten durften
Der Sehnsucht, die für sie nun ew'ge Qual ist.
Den Aristoteles und Plato mein' ich
Und andre mehr. – Alsdann senkt er die Stirne
Und schwieg, nachhängend traurigen Gedanken.
Zum Fuß des Berges waren wir gelangt;
Doch war der Felsenhang von solcher Steile,
Daß fruchtlos blieb des Bein's Behendigkeit.
Die wüstesten, die jähsten Felsensteige
Dort von Turbia bis gen Lerici
Sind im Vergleiche gar bequeme Treppen.
Wenn man nun wüßte, wo der Berg sich senket,
Begann mein Meister, seine Schritte hemmend,
So daß, wer keine Flügel hat, hinaufkann. –
Und während er, den Blick zur Erde senkend,
Des Weg's Beschaffenheit noch untersuchte,
Und an der Felsenwand empor ich schaute,
Sah eine Schar von Geistern linkerhand
Ich ihre Füße auf uns zu bewegen;
Jedoch so langsam, daß man's kaum gewahr ward.
Erhebe, sagt' ich da, dein Auge, Meister,
Dort sind, wenn du nicht selber Auskunft findest,
Die ob des Weges uns belehren werden. –
Er blickte auf und mit entschlossnem Tone
Erwidert' er: So komm; die gehn gar sachte,
Du aber hoffe sicher, lieber Sohn! –
Wir mochten Schritt gegangen sein,
Und jene Geisterschar war uns nur noch
Um eines guten Wurfes Weite fern,
[157]
Als an die harte Wand des hohen Ufers
Sich drängend alle unbeweglich standen,
Wie wer, des Weg's unsicher, spähend stehn bleibt.
Ihr wohlgestorbnen, schon erkornen Seelen,
Also begann Virgil, bei jenem Frieden
Der eurer aller, wie ich glaube, wartet,
Sagt uns, wo sich des Berges Steile senket,
So daß hinaufzusteigen möglich werde.
Zeit zu verlieren scheut zumeist der Kluge. –
So wie die Schäflein aus der Hürde kommen
Zu zweien oder drei'n, indes die andren
Furchtsam so Aug' als Schnauze niedersenken,
Und was das erste tut, das tun die andren;
Einfach und still und das warum nicht wissend,
Stehn sie, ihm angedrängt, sobald es stehn bleibt.
Also sah damals ich die Spitze jener
Beglückten Herde zögernd sich bewegen,
Im Antlitz schamhaft und im Gange ehrbar.
Als nun das Sonnenlicht zu meiner Rechten
Am Boden unterbrochen sah'n die vordern,
So daß der Schatten fiel von mir zum Fels hin,
Da standen sie und traten scheu zurücke;
Die andren aber hinter ihnen taten
Das gleiche, ob sie wohl den Grund nicht kannten.
Bevor ihr fraget, will ich euch bekennen,
Daß dieser hier ein Menschenkörper ist;
Drum ist das Sonnenlicht vor ihm gespalten.
Erstaunet nicht und seid vielmehr versichert,
Daß er nicht ohne Kraft, gewährt von oben,
Bestrebt ist, diese Felswand zu erklimmen. –
Also mein Meister, und die werten Seelen,
Mit umgekehrter Hand uns winkend riefen:
Kehrt um; dort vorwärts findet ihr den Eingang. –
Und einer aus der Schar begann: Wer immer
Du seiest, schaue her, indes du wandelst,
Ob jemals du dort jenseit mich gesehn hast. –
[158]
Ich wandte mich ihm zu mit scharfem Blicke;
Blond war und schön er und von edlem Ansehn,
Doch hatt' ein Hieb gespalten eine Braue.
Als ehrerbietig ich darauf verneinet,
Ihn je gesehn zu haben, sprach er: Sieh' dann! –
Und zeigt' hoch auf der Brust mir eine Wunde.
Dann lächelt' er und sagte: Ich bin Manfred,
Der Enkelsohn der Kaiserin Constanza.
Drum bitt' ich dich, wenn zu der Welt du heimkehrst,
Zu meiner schönen Tochter, die die Mutter
Von Arragon's und von Siziliens Ruhm ist,
Zu gehn, statt Lüge Wahrheit ihr zu künden.
Als mir durchbohrt von zweien Todeswunden
Der Körper war, da übergab ich weinend
Dem Herren mich, der willig zu verzeihn ist.
Entsetzlich waren meine Sünden; doch
So groß ist Gottes Gnadentum, daß jeden,
Der reuig sich ihm zukehrt, er ergreifet.
Wenn dieses Blatt im Worte Gottes besser
Der Hirte von Cosenza, welchen Clemens
Jagd auf mich machen hieß, gelesen hätte,
So ruhten die Gebeine meines Leibes
Noch jetzt bei Benevent am Fuß der Brücke,
Behütet von den aufgehäuften Steinen.
Jetzt schlägt der Regen und zerstreut der Wind sie
Jenseits der Grenze nah dem Verdestrande,
Wohin er bei verlöschtem Licht sie brachte.
Wem sie geflucht, ist drum nicht so verloren,
Daß nicht, so lang die Hoffnung nicht verdorrt ist,
Die ew'ge Lieb' ihm wiederkehren könnte.
Wer ungehorsam stirbt der heil'gen Kirche,
Muß, endet er auch reuig, dreißigmal
Solang' als er in seinem Trotz beharrte,
Von diesem Felsenufer ausgeschlossen
Verweilen, wenn die so bestimmte Frist
Durch wirksames Gebet ihm nicht gekürzt wird.
[159]
Erkenne nun, ob du mir wohltun kannst,
Enthüllst du meiner wackeren Constanza
Wie du mich fandest und was mich hier festhält.
Gar förderlich sind hier uns die dort drüben. –
Vierter Gesang
Wenn unsre Seel' in Freuden oder Schmerzen,
Die eine unsrer Kräft' in Anspruch nehmen,
Ausschließlich dieser einen Kraft sich zukehrt,
So scheint sie taub für jeden andren Eindruck.
Das widerlegt den Irrtum, welcher wähnet,
Daß Seel' auf Seele sich in uns entzünde.
Deshalb vergeht, und man bemerkt es nicht,
Die Zeit, gewahrt man, oder hört man Dinge,
Die mächtig unsre Seele an sich ziehen;
Denn eine ist die Fähigkeit, die aufmerkt,
Und die der ganzen Seele ist die andre;
Die erste frei, gebunden aber diese.
Hiervon hatt' ich lebendige Erfahrung,
Als voll Verwundrung jenem Geist ich lauschte;
Denn, ohne daß ich's wahrgenommen, war
Die Sonne fünfzig Grad emporgestiegen.
Einstimmig riefen da die Seelen alle:
Hier ist der Ort; hier ist was ihr begehret. –
Oft ist die Öffnung größer, die der Landmann
Mit einer Gabel voller Dornen zuschließt,
Wenn seine Trauben sich im Herbste bräunen,
Als jener Kluft, durch welche meinem Führer
Nachfolgend, ich nun einsam aufstieg, Eingang,
Indes die Seelenschar sich von uns trennte.
Zum Kulm Bismantova's steigt man hinauf
Geht nach San Leo, steigt nach Noli nieder
Auf eignen Füßen; doch hier gilt's zu fliegen
Mit heißer Sehnsucht kräftigem Gefieder,
[160]
Dem sicheren Geleit des Führers folgend,
Der, Hoffnung reichend, mir den Pfad erhellte.
Wir kletterten in jenes Felsens Spalte,
Durch das Gestein gehemmt von jeder Seite,
Auch forderte der Boden Händ und Füße.
Als zu des hohen Ufers letztem Rande
Gelangt wir waren, zu der offnen Tenne,
Begann ich: Meister, welche Richtung wählst du? –
Bergab gewandt sei deiner Schritte keiner,
Sagt' er darauf; mir folgend, strebe aufwärts
Bis ein des Weges Kund'ger uns begegnet. –
Der Berg stieg höher als das Auge reichte
Und steiler war sein Abhang, als die Linie,
Die von dem Zentrum führt zum Halbquadranten.
Ermattet war ich, als ich so begann:
Ach, süßer Vater, wende dich und siehe,
Wie ich zurück, wenn du nicht weilest, bleibe. –
Er sagte: Nur bis dorthin schleppe dich –
Und wies auf einen Vorsprung wenig höher,
Der rings den Berg an dieser Stell' umgürtet.
Gespornt von seinem Wort, rafft' ich mich auf,
Bis ich, ihm nach, auf allen Vieren kletternd,
Des Berges Ring mit meinem Fuß betreten.
Wir setzten, hingewandt woher wir kamen,
Uns beide, unser Aug' gekehrt gen Morgen,
Wohin zu blicken, Heil zu bringen pflegt.
Erst schaut' ich abwärts zu dem niedren Ufer,
Dann blickt' ich auf zur Sonn', und wie erstaunt ich,
Als ihre Strahlen uns von links her trafen.
Wohl ward gewahr der Dichter, wie ich ganz
Befremdet nach des Lichtes Wagen starrte,
Der zwischen uns und Norden sich bewegte.
Drum sagt' er mir: Wenn Castor sowie Pollux
Jetzt im Geleite jenes Spiegels wären,
Der auf- und abwärts seine Strahlen spendet,
So sähst den Tierkreis, von der Sonn' entflammet,
[161]
Noch näher an den Bärinnen du kreisen,
Falls den gewohnten Weg er nicht verließe.
Willst du imstande sein, dies zu erkennen,
So denk', in dich gekehrt, dir auf der Erde
Sich gegenüber diesen Berg und Zion.
Drum haben sie verschiedne Hemisphären,
Doch einen Horizont, und du begreifst nun,
Wenn aufmerksam dein Geistesauge hinblickt,
Warum der Weg, den Phaëton verfehlte,
Liegt er dort drüben auf der einen Seite,
Hier auf der andren muß vorüberführen. –
Gewiß, mein Meister, sprach ich, nimmer sah ich
Mit solcher Klarheit, als ich nun erkenne,
Wo meine Faßkraft unzureichend schien.
Der Mittelkreis der himmlischen Bewegung,
Der zwischen Sonne stets und Winter weilt,
Und den in einer Kunst man nennt Äquator,
Muß, um wieviel gen Mittag die Hebräer
Ihn sahen, aus dem Grunde, den du nanntest,
Von hier gen Mitternacht gelegen sein.
Doch, wenn es dir beliebt, vernähm' ich gerne,
Wie weit sich unser Weg erstreckt; die Höhe
Steigt weiter auf, als meine Blicke reichen. –
Drauf sagt' er: Dieser Berg ist so beschaffen,
Daß schwierig er beim untren Anfang däucht,
Und leichter wird, je höher man emporsteigt.
Wird dir der Berg dann einst so eben scheinen,
Daß schwerer nicht dir aufzusteigen vorkommt,
Als günst'gen Windes mit dem Strom zu fahren,
So bist gelangt du zu des Pfades Ende
Und magst von allen Mühn der Ruhe pflegen.
Mehr sag' ich nicht; doch dies weiß ich als Wahrheit. –
Und als sein Wort er kaum beendet hatte,
Erscholl uns nah': Wer weiß, ob du zuvor,
Dich auszuruhen nicht Bedürfnis fühlest? –
Bei diesem Worte wandten wir uns beide
[162]
Und sahn ein Felsenstück zu unsrer Linken,
Das weder er noch ich zuvor gewahrte.
Dort wandten wir uns hin und fanden Leute,
Die in dem Schatten so bequem sich's machten,
Wie wer vor Lässigkeit der Ruhe pfleget.
Und einer, welcher mir besonders müde
Erschien, umarmte sitzend seine Knie
In deren Mitt' er hängen ließ sein Haupt.
Mein teurer Herr, begann ich, o betrachte
Doch diesen, der sich lässiger beweist,
Als wenn die Faulheit seine Schwester wäre. –
Da wandt' er sich zu uns und uns bemerkend
Erhob die Augen er entlang dem Schenkel
Und sprach: Geh' nur hinauf, wenn du so stark bist. –
Da sah ich, wer er sei, und die Beklemmung,
Die etwas mir den Atem noch beeilte,
Verhinderte mich nicht zu ihm zu gehen.
Nur wenig hob er, als ich ihn erreichet,
Das Haupt und sagte: Hast du wohl gesehn,
Daß hier die Sonne links den Wagen lenket? –
Die läss'ge Weise und die kurzen Worte
Bewegten etwas meinen Mund zum Lächeln:
Belacqua, sagt' ich dann, so ist die Sorge
Um dich mir nun gehoben; aber sage,
Was du hier weilst? Erwartest du Gefährten?
Hat dich die alte Unart neu befallen? –
Ach Bruder, sagt' er drauf, was hilft das Steigen?
Mich ließe ja zur Büßung doch nicht gehen
Der Gottesvogel, der dort an der Tür sitzt.
So lange muß zuvor mir außer ihr
Der Himmel kreisen, als er tat im Leben,
Weil gute Seufzer bis zum End' ich aufhob,
Wenn früher Hilfe nicht Gebete bringen
Aus einem Herzen, das in Gnade steht;
Nutzlos sind andre, nicht erhört im Himmel. –
Schon aber stieg vor mir der Dichter weiter
[163]
Und sagte: Komme nun, denn schon berühret
Den Mittagskreis die Sonne und vom Strand' aus
Bedeckt die Nacht mit ihrem Fuß Marokko.
Fünfter Gesang
Schon war von jenen Schatten ich geschieden
Und folgte weiter meines Führers Spuren,
Als einer hinter mir, gehobnen Fingers:
So seht doch, ausrief, wie der Strahl der Sonne
Nicht leuchtet zu des untren linker Seite
Und wie er sich gebart, als ob er lebe. –
Bei dieser Worte Laut wandt' ich die Blicke
Und sah wie sie nach mir, nach mir nur starrten
Und nach dem Lichtstrahl, der durch mich gehemmt war.
Was läßt du dir den Geist so sehr befangen,
Begann mein Meister, daß im Gehn du nachläßt?
Was kümmert dich was dort geflüstert wird?
Komm, folge mir und laß die Leute reden.
Steh' fest gleich einem Turme, dessen Spitze,
Wie auch die Winde toben, nicht erzittert;
Denn wer in sich Gedanken auf Gedanken
Aufschließen läßt, entfernt sich nur vom Ziele;
Des einen Ungestüm schwächt ja den andren. –
Was konnt' ich wohl erwidern, als: Ich komme. –
Ich sagt' es, angehaucht von jener Farbe,
Die oft dem Fehlenden Verzeihung einbringt.
Inzwischen kam den Abhang quer hernieder,
Nur wenig vor uns, eine Seelenschar
Die wechselweise sang: »Gott sei mir gnädig«.
Als sie bemerkten, daß den Sonnenstrahlen
Mein Körper durchzudringen nicht gestatte,
Ward ihr Gesang zum langen, heis'ren O!
Und zwei von ihnen liefen als Gesandte
Der andren uns entgegen mit der Frage:
[164]
Wollt über euren Zustand uns belehren. –
Mein Meister sagte drauf: Geht denn zurücke
Und saget denen, die euch hergesendet,
Der Körper dieses hier sei Fleisch und Bein.
Sind also, weil sie seinen Schatten sahn,
Sie stehn geblieben; so genügt die Antwort;
Sie haben ihn zu ehren allen Anlaß. –
Nie sah entflammte Dünst' ich so geschwinde
Den Himmel beim Beginn der Nacht durchstreifen,
Noch, wenn die Sonn' im Sinken, Sommerwolken,
Daß schneller rückgekehrt nicht diese wären.
Kaum waren sie dort angelangt, als alle
Vereint in jähem Lauf sich zu uns wandten.
Gar zahlreich sind die hier sich an uns drängen,
Sie kommen dich zu bitten, sprach der Meister,
Doch weile nicht und höre sie im Gehn. –
O Seele, die, um froh zu werden, aufsteigt
Mit den dir von Geburt verliehnen Gliedern,
Halt' etwas an, so riefen sie, die Schritte.
Schau hin, ob je du wen von uns gesehn hast,
Daß Kunde du von ihm hinüberbringest.
Willst du schon gehn? Warum magst du nicht weilen?
Gewaltsam litten alle wir den Tod
Und waren Sünder bis zur letzten Stunde;
Da bracht' ein Himmelslicht uns zur Besinnung,
So daß wir reuig und dem Feind vergebend
Das Leben endeten, versöhnt mit Gott,
Der, ihn zu schaun die Sehnsucht uns in's Herz legt. –
Und ich: Wie eure Züg' ich auch betrachte,
Zum Heil geborne Geister, kenn' ich keinen;
Doch wünschet ihr, was ich vermag zu leisten,
So sprecht, und ich gelob' es zu vollbringen
Bei jenem Frieden, den mit solchem Führer
Von Welt zu Welt ich zu erlangen strebe. –
Und einer sagte: Ohne daß du schwörest,
Vertraut ein jeder deiner guten Tat,
[165]
Wenn nicht Unmöglichkeit den Willen aufhebt.
Drum bitt' ich, der ich vor den andren rede,
Daß, wenn das Land du siehst, daß von Romagna
Sich zu dem Königreiche Karls erstreckt,
Du so willfährig mir dein Fürwort spendest,
Daß man für mich in Fano bet', und Zutritt
Ich zu der schweren Sünden Buße finde.
Dort stammt' ich her; allein die tiefen Wunden
Woraus das Blut, in dem ich wohnte, floß,
Erhielt ich im Gebiet der Stadt Antenor's,
Wo ich am sichersten zu sein vertraute.
Geheißen hatt' es der von Este, welcher
Weit mehr, als zu entschuld'gen ist, mich haßte.
Doch wäre nur gen Mira ich geflohn'
Als eingeholt ich ward bei Oriago,
So weilt' ich dort noch heute, wo man atmet.
Ich aber lief zum Sumpf, und Schmutz und Röhricht
Verstrickten mich; ich stürzte und nun sah ich
Mein Blut am Boden eine Lache bilden. –
Dann rief ein andrer: Ach, wenn das Verlangen
Gewährt dir werde, das dich zieht zum Berge,
So hilf dem meinen du durch gutes Mitleid.
Ich war aus Montefeltro, bin Buonconte;
Nicht denkt Johanna mein und nicht die andren,
Drum geh gesenktes Haupt's ich unter diesen. –
Drauf sagt' ich: Welcher Zufall, welche Macht
Entfernte dich so weit von Campaldino,
Daß nie bekannt ward deines Grabes Stelle? –
Und er: Noch über'm Eremo entspringt
Im Apennin ein Bach, genannt Archiano
Und fließt dann nieder zu dem Casentino.
Dorthin, wo dessen Name schwindet, kam ich
Auf flücht'gem Fuße mit durchbohrter Kehle;
Es färbte, wie ich floh, mein Blut den Boden.
Da ward mein Auge trübe und der Name
Maria's war mein letztes Wort. Dann fiel ich
[166]
Zur Erde und mein Leib blieb nun allein.
Die Wahrheit red' ich, und du sag' es weiter:
Mich faßte Gottes Engel; doch der Bote
Der Hölle schrie: Raub ist das, du vom Himmel!
Ob eines Tränleins, das ihn mir entrissen,
Trägst du von hinnen sein unsterblich Teil;
So will ich mit dem andren anders schalten. –
Du weißt, wie in der Luft die feuchten Dünste
Sich sammeln, die als Wasser niederfallen,
Sobald zur kalten Schicht sie aufsteigen.
Durch die Gewalt, die ihm verliehn sein Wesen,
Erregte Dunst und Sturm der arge Wille,
Der mit des Geistes Kraft nur Arges sinnt.
Sobald es Nacht ward, überzog mit Nebel
Von Pratomagno bis zum Joch das Tal er
Und ließ darüber solche Kält' entstehen,
Daß jene schwangere Luft zu Wasser wurde.
Der Regen fiel, und was das Land nicht aufsog,
Floß nieder in so manchem kleinen Rinnsal.
So angesammelt in den größten Bächen
Stürzt' er zum Königsstrom hin so gewaltsam,
Daß seinen Lauf kein Hindernis mehr aufhielt.
Archiano, flutenreich, fand meinen Körper
Erstarrt an seiner Mündung; in den Arno
Riß er ihn fort, das Kreuz der Arme lösend,
Das ich gemacht, als mich der Schmerz bewältigt.
Er wälzte mich umher an Grund und Ufern
Und seine Beute ward mir Hüll und Decke. –
Ach, wenn du heimgekehrt bist zu der Welt,
Und ausgeruht von deiner langen Reise,
So schloß der dritte Geist sich an die Rede
Des zweiten, denke mein, ich bin die Pia;
Mich zeugte Siena, tötete Maremma.
Der weiß es, der zuvor auf meinen Finger
Den Trauring mit dem Edelstein mir steckte. –
[167] Sechster Gesang
Wenn aufgehoben wird das Würfelspiel,
Bleibt, wer verloren, ärgerlich zurück,
Bedenkt die Würf', und lernt was er versehn hat.
Dem andren aber folgt der ganze Haufen:
Der drängt sich vor, ein zweiter zupft ihn hinten,
Ein dritter macht sich seitwärts ihm bemerklich.
Er aber weilt nicht, hört auf den und jenen;
Wem er die Hand gereicht, ist nicht mehr lästig,
Und so erwehrt er klug sich des Gedränges.
So tat auch ich in jener dichten Schar;
Denn, mein Gesicht bald da, bald dorthin wendend,
Macht' ich mich los von ihnen durch Versprechen.
Der Aretiner, den die grimmen Arme
Des Ghin di Tacco töteten, war da,
Und auch der andre, der gejagt ertrunken.
Da baten mich mit ausgestreckten Händen
Friedrich Novello so wie der Pisaner,
Durch den Marzucco Kraft bewies, der gute.
Graf Orso sah ich, und die, wie sie sagte,
Aus Neid und Mißgunst, nicht ob eigner Schuld,
Von ihrem Körper losgeriss'ne Seele
Des Peter de la Brosse, und dies bedenke
Die Dame von Brabant, weil sie noch hier ist,
Daß sie nicht ärger Herde drum verfalle.
Als ich mich losgemacht von all' den Schatten,
Die nur, daß andre beten möchten, baten,
Damit ihr Heiligwerden sich erfrühe,
Begann ich: Du mein Licht, in einem Texte
Scheinst du mit klaren Worten zu verneinen,
Daß je Gebet des Himmels Ratschluß ändre;
Und dennoch bitten diese nur um solches.
Täuscht sie denn ihre Hoffnung, oder
Blieb unklar mir die Deutung deines Wortes? –
[168]
Nicht dunkel ist mein Wort, sagt' er dagegen,
Noch trügerisch die Hoffnung dieser Seelen,
Wenn man nur aufmerkt mit gesundem Geiste.
Es beugt sich nicht des Richterspruches Höhe,
Erfüllt im Augenblick das Liebesfeuer
Was zu bezahlen hat, wer hier verweilet.
Dort aber, wo ich jenen Grundsatz aussprach,
Ward nicht der Mangel ausgefüllt durch Bitten;
Denn losgetrennt von Gott war das Gebet.
Damit begnüge dich, und bis dich jene
Belehrt, die zwischen Wahrheit und Verständnis
Dir Leuchte wird, laß ab von solchem Zweifel.
Verstehst du mich? Von Beatrice red' ich,
Du wirst sie wiedersehn; doch weiter oben,
Auf dieses Berges Gipfel, selig lächelnd. –
O Herr, so sagt' ich, gehn wir denn geschwinder,
Nicht so wie früher werd' ich nun ermatten,
Und sieh, wie Schatten schon der Berg uns bietet. –
Wir wollen vorwärts gehn mit diesem Tage,
Erwidert' er darauf, so weit wir können;
Doch anders steht, als wie du denkst, die Sache.
Denn, die sich hinterm Berge jetzt versteckt hat,
So daß du ihre Strahlen nicht mehr auffängst,
Siehst, eh' wir oben sind, du wiederkehren.
Doch sieh' den Schatten, der so ganz allein
Dort weilend nur nach uns das Auge wendet;
Er wird vom nächsten Weg' uns Kunde geben. –
Wir kamen näher; o Lombardenseele,
Wie saßest stolz du da und unerschüttert,
In deines Aug's Bewegung Ruh' und Würde!
Sie redete mit keinem Wort uns an,
Nur, wie wir gingen, blickte sie nach uns,
Wie wohl ein Löwe tut, wenn er sich ausruht.
Da trat Virgil zu ihr mit dem Begehren,
Daß sie den besten Weg zur Höh' uns zeige;
Sie aber, statt der Bitte zu entsprechen,
[169]
Frug uns nach Vaterland und Lebensweise.
Aus Mantova – begann mein süßer Meister;
Da stand, der nur in sich bisher gekehrt war,
Der Schatten auf, und sprach entgegeneilend:
O Mantovaner, sieh' in mir Sordello,
Aus deiner Stadt! – worauf sich beid' umarmten.
Geknechtetes Italien, Haus der Schmerzen,
Schiff ohne Steuermann in großem Sturme,
Nicht Länderkönigin, nein Hurenkammer!
Schon bei dem süßen Klange seiner Heimat
War dieser edle Schatten so beeifert
Den Landsgenossen freudig zu begrüßen;
Doch du! – auch heute sind die in dir leben
Nicht ohne Krieg, es hassen sich einander
Die eine Mauer und ein Graben einschließt.
Betrachte ringsum deine Meeresküsten,
Du Ärmste, blicke dann in deinen Schoß,
Ob Frieden irgendeinen Teil erfreue.
Was hilft es, daß Justinian den Zügel
Dir hergestellt, wenn ledig bleibt der Sattel,
Geringer wär' die Schande ohne jenen.
Ihr, die verpflichtet wäret, fromm zu sein,
Im Sattel Cäsar unbeirrt zu lassen,
Verstündet recht ihr, was euch Gott gebietet,
Seht, wie so tückisch ist dies Tier geworden,
Weil nicht mehr in der Flank es fühlt die Sporen,
Seit an den Zügel ihr gelegt die Hand!
Der du dies Roß, das wild ward und unbändig,
Statt zügelnd in den Sattel dich zu schwingen,
Sich selber überlässest, deutscher Albrecht,
Gerecht Gericht, das offenbar und neu sei,
Mög' auf dein Blut von den Gestirnen fallen,
So daß die Furcht, den der Dir nachfolgt, fasse.
Wie durftet ihr, du und dein Vater, dulden,
Nur weil die Habsucht euch dort jenseits festhielt,
Daß eures Reiches Garten gar verwildre?
[170]
Komm, sieh' die Cappelletti und Montecchi,
Monald' und Filippeschi, Pflichtvergeßner;
In Furcht die einen, schon betrübt die andern.
Fühlloser, komm und sieh', wie schwer bedrückt
Dein Adel ist; komm, heile seine Schäden!
Sieh' selber, tiefgesunken, Santa Fiore.
Sieh, deine Roma, die in heißen Tränen,
Verwittwet und allein, bei Nacht und Tage,
Mein Cäsar, ruft, warum bist du mir ferne? –
Komm sieh', in welcher Art man hier sich lieb hat;
Und wenn du doch mit uns kein Mitleid fühlest,
So komm, ob deines Rufes dich zu schämen.
Ist wohl zu kühn die Frage, Herr des Himmels,
Der du für uns gekreuzigt bist auf Erden:
Ob anderwärts dein heil'ges Auge hinblickt?
Bereitest du vielleicht in deines Ratschluß'
Grundloser Tief' ein Heil auf diesem Wege,
Das menschlichem Erkennen unerreichbar?
Sind doch Italiens Städte samt und sonders
Voll von Tyrannen; ein Marcellus dünkt sich
Jedweder Bauer, der Parteiung zettelt.
Mein Florenz, sei zufrieden, du hast Ursach,
Denn dich kann dieser Ausfall nimmer treffen,
Dank deinem Volke, das so klug sich vorsieht.
Gerechtigkeit im Herzen haben viele,
Doch scheun sie, unberaten loszudrücken;
Dein Volk indes hat stets sie auf den Lippen.
Wohl manche fliehn die Last für's allgemeine;
Doch deine Bürger eilen ungefordert
Zu rufen: Gebt nur her, ich unternehm' es.
So freue dich, denn Grund hast du die Fülle.
Du bist ja reich, friedfertig, voller Weisheit;
Ob ich die Wahrheit sage, zeigt die Wirkung.
Athen und Lacedämon, die vor Zeiten
Gesetze gebend edle Sitte übten,
Mit dir verglichen leisteten sie wenig;
[171]
Denn du erläßt so pfiffige Gebote,
Daß nicht zur Hälfte des Novembers vorhält,
Was während des Oktobers du gesponnen.
Wie oft schon, seit ich denke, hast Gesetze,
Hast Münzen, Ämter, Sitten du gewechselt
Und umgewandelt alle deine Glieder.
Erinnerst du dich recht und hast du Einsicht,
So wirst du sehn, daß du der Kranken gleichest,
Die auf dem Pfühl nicht Ruh zu finden weiß,
Und die sich wendet, um dem Schmerz zu wehren.
Siebenter Gesang
Als jene freudig ehrenhaften Grüße
Schon drei- und viermal sich erneuet, trat
Sordell zurück und sprach: Sagt an wer seid ihr? –
Eh' sich zu diesem Berg die Seelen wandten,
Die würdig sind zu Gott emporzusteigen,
Ward mein Gebein von Octavian bestattet.
Ich bin Virgil, und nur die eine Schuld
Raubt mir den Himmel, daß mir Glauben fehlte. –
So lautete die Antwort meines Führers.
Wie einer, der vor seinen Augen plötzlich
Etwas erblickt, ob dessen er sich wundert,
Und glaubt und nicht glaubt, daß es sei und nicht sei,
So schien mir jener; doch die Wimpern senkt' er
Und wandt' in Demut sich zu ihm zurück,
Wo sich der niedre anhält, ihn umarmend.
O der Lateiner Ruhm, sagt' er, durch welchen
Was sie vermag, gezeigt hat unsre Sprache,
Du ew'ger Preis des Ortes meiner Heimat,
Leiht mir Verdienst, leiht Gnade deinen Anblick?
Und bin ich dich zu hören wert, so sage,
Ob du der Höll' entstieg'st und welchem Schlunde? –
Durch jeden Kreis des schmerzensvollen Reiches,
[172]
Sprach er, ging ich hindurch, hierher zu kommen;
Mich sandte Himmelskraft, die mich begleitet.
Nicht wegen Tuns, nur wegen Nichttuns werd' ich
Die Sonne nimmer sehn, die du ersehnest,
Und die ich leider allzuspät erkannte.
Ein Ort ist drunten, unbetrübt von Qualen,
Den Finsternis nur drückt und wo die Klagen
Nicht Schmerzensrufe, sondern Seufzer sind.
Mit den unschuld'gen Kindern weil' ich dort,
Die, unbefreit noch von der Menschheit Sünde,
Ergriffen wurden von dem Biß des Todes:
Genosse deren, die zwar mit den drei
Geweihten Tugenden sich nicht bekleidet,
Doch frei von Fehl, die andren sämtlich übten.
Du aber, weißt du anders und vermagst es,
Gib Kunde uns, wie wir am nächsten dahin
Gelangen, wo das Fegefeuer anfängt. –
Und er: Kein fester Ort ist uns beschieden;
Ich darf bergauf und hin und wieder wandeln,
So weit ich geh'n kann, werd' ich dich geleiten.
Doch sieh', wie schon der Tag zu Ende eilet,
Und ist es Nacht, kann man nicht weitersteigen;
Drum tun wir wohl auf gute Rast zu sinnen.
Hier rechts, nicht weit entfernt, verweilen Schatten;
Ist dir's genehm, so führ ich dich zu ihnen,
Und sicher ist dir, sie zu sehn erfreulich. –
Wie ist das, war die Antwort, würde jemand
Den hindern, der des Nachts aufstiege, oder
Vermöcht' er's nicht, weil ihm die Kraft gebräche? –
Sordell, der gute, streifte mit dem Finger
Die Erd' und sprach: Nicht diesen Strich vermagst du
Zu überschreiten, wenn die Sonn' entschwunden,
Doch hindert weiter nichts emporzusteigen,
Als nur allein die nächt'ge Finsternis;
Sie hemmt die Kraft und mit ihr auch den Willen.
Wohl aber könnte man, auch wenn den Tag
[173]
Der Horizont verschließt, nach unten kehren
Und auch umirrend längs dem Strande schweifen. –
Verwundert schien mein Herr mir, als er sagte:
So führ' uns dorthin, wo, wie du berichtest,
Uns Freude werden soll, indem wir weilen. –
Erst wenig weiter waren wir geschritten,
Als in dem Berg' ich eine Senkung wahrnahm,
Wie diesseits Täler sich in Berge senken.
Dorthin, so sprach der Schatten, laß uns gehen,
Wo in dem Abhang sich ein Schoß gebildet;
Dort wollen wir den neuen Tag erwarten. –
Ein Fußweg bot sich zwischen Steil' und Fläche,
Der uns zur Flanke jenes Tales führte,
Dort wo sein Rand mehr als zur Hälfte schwindet.
Gold, Silber und Karmin wie Elfenbein
Und Holz aus Indien, sowie glänzend lichtes,
Smaragd auch, der soeben erst gespalten,
Sie wären von den Gräsern und den Blumen
In diesem Tal an Farbenpracht besiegt,
Sowie der Schwächre unterliegt dem Starken.
Und nicht gemalt nur hatte dort Natur;
Die Würzigkeit von tausend Wohlgerüchen
Vermischte sich zu niegekannter Süße.
Und auf dem Rasen und den Blumen sah ich
Salve Regina singend, Seelen sitzen,
Die, ob des Tals, man außerhalb nicht wahrnahm.
Bevor die Sonne ganz zur Rüste gehe,
Begann der Mantovaner, der uns führte,
Verlangt nicht, daß zu jenen ich euch bringe.
Das Tun, sowie die Züge aller werdet
Von diesem Vorsprung besser ihr erkennen,
Als, seid ihr drunten erst, in ihrer Mitte.
Der dort am höchsten sitzt, doch dessen Ausdruck
Anzeigt, daß seine Pflicht er unterlassen,
Und der den Mund nicht regt beim Sang der andren,
War Kaiser Rudolph, der die Todeswunden
[174]
Italiens noch imstande war zu heilen,
Wo jetzt kein andrer mehr vermag zu helfen.
Der zweite, der dem Anschein nach ihn tröstet,
Befahl dem Lande, dessen Wässer alle
Moldau der Elb' und die dem Meere zuführt.
Ottokar hieß er und schon in den Windeln
War er um vieles tüchtiger als Wenzel,
Sein Sohn, im Bart, den Wollust freut und Nichtstun.
Der stumpf Benas'te, der in engem Zwiesprach
Mit jenem scheinet, der so gütig aussieht,
Starb auf der Flucht die Lilien entblätternd.
Seht, wie in Reu' er sich die Brust zerschlägt!
Und seht den andren, welcher unter Seufzern
Auf seine flache Hand das Haupt gebettet:
Der Vater sind sie und der Schwiegervater
Des Frankenunheils, und daß sie sein Leben
Voll Schand' und Laster kennen, macht sie traurig.
Der Gliederkräftge dort, der im Gesange
Sich jenem anschließt mit der starken Nase,
Mit jeder Trefflichkeit war er gegürtet.
Und wäre nur die Krone jenem Jüngling,
Den hinter ihm ihr sitzen seht, geblieben,
So ging die Tüchtigkeit von Haupt zu Haupte.
Doch mit den andren Erben ist's nicht also:
Jacob und Friedrich haben wohl die Reiche,
Doch nichts besitzen sie vom besseren Erbteil.
Nur selten wiederholt sich in den Zweigen
Der Menschen Würdigkeit, und also will es
Der sie verleiht, daß man von ihm sie heische.
Und meine Rede gilt, sowohl als Peter,
Dem Großbenas'ten auch, der mit ihm singt,
Weshalb Apulien und Provence wehklagt.
Der Sam' ist so viel schlechter wie die Pflanze,
Als sich Constanze mehr wie Beatrice
Und Margarete ihres Gatten rühmet.
Sieh' dort den König von einfältigem Wandel,
[175]
Heinrich von England, abgesondert sitzen;
Der hat in seinen Zweigen bessren Ausgang.
Der andre, welcher tiefer sich gelagert
Und aufwärts schauet, ist der Markgraf Wilhelm,
Ob dessen Monferrat und Canavese
Um Alessandria weint und dessen Krieg. –
Achter Gesang
Gekommen war die Stunde, die die Sehnsucht
Der Schiffer weckt, die weicher macht die Herzen
Am Tag, wo sie von lieben Freunden schieden,
Und Liebeswunden schlägt dem Pilgerneuling,
Hört er von Ferne Glockentöne hallen,
Die ob des Tages Tod zu klagen scheinen,
Als aufzuhorchen ich allmählich nachließ,
Auf einen Schatten blickend, welcher aufstand,
Und winkend mit der Hand, Gehör begehrte.
Er trat hervor und richtete die Augen
Mit aufgehobenen Händen gegen Morgen,
Als sagte er zu Gott: Dich nur begehr' ich. –
Te lucis ante tönt aus seinem Munde
So fromm und innig, in so süßen Klängen,
Daß ich zuhörend selber mich verlor.
Die andren aber sangen, ihn begleitend,
Die Augen zugewandt den ew'gen Rädern,
Mit gleicher Innigkeit den ganzen Hymnus.
Nun suche, Leser, scharfen Blick's die Wahrheit;
So locker ist der Schleier itzt gewoben,
Daß wenig Mühe macht, ihn zu durchdringen.
Ich sah wie jenes edle Heer von Schatten,
Schweigsam nach oben blickend und beklommen,
Gewärtig dessen war, das kommen würde.
Da sah zwei Engel ich mit feur'gen Schwertern,
Die abgestumpft und ohne Spitzen waren,
[176]
Von oben kommen und herniedersteigen.
Mit grünen Flügeln fächelten und schlugen
Sie das Gewand, das, grün gleich jungen Blättern,
Bewegt vom Winde hinter ihnen wallte.
Nah über uns ließ sich der eine nieder,
Der zweite senkte sich zum andren Ufer,
So daß sie zwischen sich die Seelen hatten.
Das blonde Haupt erkannt' ich wohl an ihnen;
Ihr Antlitz aber blendete mein Auge,
Wie vor dem Übermaß die Kraft versagt.
Sie kommen beide von Maria's Schoße
Zur Wache dieses Tales, sprach Sordello,
Der Schlange wegen, die in kurzem nahet. –
Ich aber, der nicht wußte, von woher,
Sah forschend ringsherum, und ganz erstarret
Drängt' ich mich fest an die erprobten Schultern.
Sordell sprach weiter: Steigen wir nun nieder
Und reden wir mit jenen großen Schatten.
Gewiß ist ihnen, euch zu seh'n willkommen. –
Ich glaube, nur drei Schritte stieg ich abwärts,
Da war ich unten, und sah einen, welcher
Nach mir nur schaut, als wollt' er mich erkennen.
Schon dunkelte die Luft; doch nicht im Maße,
Daß sie nicht zwischen meinem Aug' und seinem
Erläutert hätte, was sie erst verborgen.
Entgegen trat er mir; ich ihm desgleichen:
Giudice Nino, wie zufrieden war ich,
Als ich erfuhr, du sei'st nicht bei den Sündern.
Der trauten Grüße tauschten wir die Fülle.
Dann frug er mich: Seit wann bist über's Meer
Zum Fuße dieses Berges du gekommen? –
O, sagt' ich, tief her aus den traur'gen Räumen
Kam ich heut früh und bin im ersten Leben;
Doch streb' auf dieser Reis' ich nach dem zweiten. –
Als diese meine Antwort sie vernommen,
Trat, gleich Sordell, die ganze Schar zurück,
[177]
Wie Leute, die vor Staunen sich nicht fassen.
Virgil sah einer an, der zweite wandte
Sich einem zu, der dort saß: Auf, Corrado!
Rief er, vernimm, was Gott aus Gnaden wollte. –
Und dann zu mir: Bei dem besondren Danke,
Den dem du schuldest, welcher seine Gründe
Also verbirgt, daß keine Furt zu finden,
Bist du erst jenseits von den breiten Wellen,
So bitte du Giovanna, meine liebe,
Zu bitten, wo die Unschuld man erhöret.
Nicht scheint's, daß ihre Mutter mich noch liebe,
Seit abgelegt sie hat die weißen Binden,
Die noch zurückbegehren wird die Arme.
An ihrem Beispiel kann man leicht erkennen,
Wie schnell in Weiberherzen Lieb' erlischt,
Entflammt sie nicht das Aug' und die Berührung.
Die Schlange, welche Mailand's Fahnen zeigen,
Wird ihrem Grabe mindre Zierde sein,
Als es Gallura's Hahn gewesen wäre. –
So sprach er und in seinem Antlitz prägte
Der Stempel sich des rechten Eifers aus,
Der, glühend in der Brust, doch Maß behält.
Begierig haftete mein Blick am Himmel,
Dort wo am langsamsten die Sterne kreisen,
Dem Rade gleich zunächst an seiner Achse.
Mein Führer sprach: Was schaust du nach dort oben? –
Und ich darauf: Nach den drei Fackeln schau ich,
Von denen dieser Pol so ganz entbrannt ist. –
Und er zu mir: Die leuchtenden vier Sterne,
Die du heut morgen sahst, sind jetzt dort unten,
Und diese stiegen auf an jener Stelle. –
Ich sagte: – doch Sordello zog ihn an sich
Und sprach, die Richtung mit dem Finger weisend:
Sieh hin, dort kommt er, unser Widersacher. –
Dort, wo des Tales Eingang offen lag,
War eine Schlange, der wohl zu vergleichen,
[178]
Die Eva einst die bittre Speise bot.
Der böse Streifen, zwischen Gras und Blumen
Kam er und wandte leckend oft zum Rücken
Das Haupt, wie Tiere tun, wenn sie sich putzen.
Ich sah es nicht, drum kann ich's nicht berichten,
Wie jene Himmelsfalken sich erhoben,
Doch sah ich beide während sie schon flogen.
Als sie den Schlag der grünen Flügel hörte,
Entfloh die Schlange, und die Engel kehrten
Zurück zu ihren Plätzen, gleichen Fluges.
Nicht hatte während dieses ganzen Angriffs
Der Schatten, der zu Nino war getreten,
Als dieser rief, den Blick von mir gewendet.
Soll jene Leuchte, die dich aufwärts führet,
So vieles Wachs in deinem Willen finden,
Als nötig ist bis zu der höchsten Bläue,
(Also begann er) wenn du wahre Kunde
Von Valdimacra hast und seiner Gegend,
So gib sie mir, denn einst war ich dort mächtig.
Mein Name war Corrado Malaspina;
Der alte bin ich nicht, doch von ihm stamm' ich. –
Daß ich zu sehr die Meinen liebte, büß' ich. –
Nie, sagt' ich, war bisher in eurem Land' ich;
Wo aber kann man in Europa weilen,
Daß man von denen Kunde nicht vernähme?
Es preist der Ruf, der eures Hauses Ehre
Verkündet, so die Herrn als wie die Landschaft,
So daß drum weiß, wer auch nicht dort gewesen.
So wahr hinaufzugehn ich hoffe, schwör' ich,
Daß euer ehrenhaft Geschlecht den Ruhm
Des Reichtums wie des Schwertes sich bewahrte.
Durch Übung und Natur ist es bevorzugt,
Daß es allein, den Irrweg meidend, recht geht,
Ob auch die Welt ihr schnödes Haupt verkehre. –
Und er: So gehe; denn nicht sieben Male
Wird sich die Sonn' im Bette, das der Widder
[179]
Umspannt mit seinen Füßen, niederlegen,
Daß diese günst'ge Meinung dir im Haupte
Verfestigt werden wird mit größren Nägeln
Als fremde Rede sie vermag zu bieten,
Bleibt ungehemmt im Lauf des Himmels Ratschluß. –
Neunter Gesang
Tithon's, des alten, Bettgenossin blinkte
In weißem Schimmer von des Ostens Söller,
Entschlüpft den Armen ihres süßen Freundes.
Es leuchtet' ihre Stirne von Juwelen,
Die angeordnet waren nach dem Bilde
Des kalten Tier's, das mit dem Schwanz verwundet.
Der Schritte, welche sie emportut, hatte
Die Nacht, da wo wir waren, zwei getan,
Und seine Flügel senkte schon der dritte,
Als ich, der Adams Erbteil bei mir trug,
Vom Schlaf bewältigt, auf das Gras mich neigte,
Wo wir dann alle Fünfe niedersaßen.
Und um die Stunde, wo beim Nahn des Morgens
Die Klageruf' ertönen läßt die Schwalbe,
Vielleicht gedenkend einst erfahrner Leiden,
Und wo die Seele, mehr als sonst dem Fleische
Entrückt, und von Gedanken nicht gefesselt,
Fast göttlich ist in ihren Traumgesichten,
Glaubt' einen Adler, goldenen Gefieders,
Ich schwebend über mir mit offnen Flügeln
Zu sehn, als wollt' er eben niederschießen.
Auch war mir's als ob ich mich dort befände,
Wo Ganymed die Seinigen verließ,
Als er entrückt ward zu dem Rat der Götter.
Ich dachte bei mir selbst: des Adlers Weise
Ist wohl, nur hier zu stoßen; anderwärts
Verschmäht er, sich die Beute herzuholen.
Da schien es mir, als ob nach ein'gem Kreisen
[180]
Er niederführe, schrecklich wie der Blitz,
Und mich nach oben risse bis zum Feuer.
Dann kam mir's vor, als ob wir beide brannten!
Und den geträumten Brand fühlt' ich so schmerzhaft,
Daß plötzlich aus dem Schlaf er mich erweckte.
Nicht anders schreckte einst Achilles auf
Und wandte ringsum die erwachten Augen,
Weil er nicht wußte, wo er sich befinde,
Nachdem in ihrem Arm die Mutter schlafend
Aus Chiron's Hut nach Skyros ihn geflüchtet,
Von wo die Griechen später ihn entführten,
Als ich emporfuhr, wie von meinem Antlitz
Der Schlaf entwich, und so betroffen war ich,
Wie wohl ein Mann ist, der vor Schreck erstarret.
Zur Seite mar nur der mir, der mein Trost war;
Mehr als zwei Stunden hoch stand schon die Sonne,
Und mein Gesicht war nach dem Meer gewendet.
Sei ohne Sorgen, sprach zu mir mein Meister,
Vertraue fest, wir sind auf gutem Wege.
Erweitre denn, vermindre nicht die Tatkraft.
Zum Ort der Läut'rung bist du nun gekommen;
Sieh' dort die Felswand, die ihn rings umschließet,
Sieh', wo die Wand durchbrochen ist, den Eingang.
Noch in der Dämm'rung, die dem Tag vorhergeht,
Als deine Seele schlief auf jenen Blumen,
Womit das Tal dort unten reich geschmückt ist,
Erschien ein Weib und sprach: Ich bin Lucia;
Gestattet, daß ich diesen Schläfer nehme,
So will ich ihn auf seinem Wege fördern. –
Sordell blieb mit den andren dort zurück;
Sie aber nahm dich und sobald es Tag war
Erhob sie sich, und ich folgt' ihren Spuren.
Hier setzte sie dich nieder und es zeigte
Ihr schönes Auge mir den offnen Eingang;
Dann schwand dein Schlaf und sie zu gleicher Zeit. –
Gleich einem, der nach Zweifeln sicher wird
[181]
Und seine Furcht in Zuversicht verwandelt,
Nachdem die Wahrheit sich ihm offenbarte,
So wandelt' ich mich, und als guten Mutes
Virgil mich sah, wandt' er dem Bergesanstieg
Sich zu; ich aber folgte seinen Schritten.
Du siehst o Leser, wie zu größ'rem Stoffe
Ich mich erhebe; wundre dich denn nicht,
Wenn mit vermehrter Kunst ich ihn behandle.
Wir nahten uns, und kamen bald dahin,
Wo, was mir erst nur eine Spalte däuchte,
Wie die, von denen Mauern wohl geborsten,
Als Pforte sich ergab, zu der von unten
Drei Stufen von verschied'ner Farbe führten;
Dazu ein Pförtner, der für jetzt noch schwieg.
Wie ich bei weitrem Hinschaun wahrnahm, saß
Er auf der höchsten, und sein Antlitz strahlte
So, daß mein Aug' es nicht ertragen konnte.
Und in der Hand trug er ein bloßes Schwert,
Das spiegelte auf uns die Sonnenstrahlen
So hell, daß oft umsonst ich nach ihm blickte.
Sagt an, von dort aus, was ist eu'r Begehren,
Begann er drauf: Wen habt ihr zum Geleite?
Habt acht, daß eu'r Aufsteigen euch nicht schade. –
Ein Weib vom Himmel, dieser Dinge kundig,
Erwidert' ihm mein Meister, sprach erst eben
Zu uns: Geht dorthin, denn dort ist der Eingang. –
So möge sie denn eure Schritte fördern,
Begann mit güt'gem Blick auf's Neu' der Pförtner,
Wohlan, so tretet vor zu unsren Stufen. –
Die erste Stufe, welche wir erreichten,
War weißer Marmor, solcher Glätt' und Reinheit,
Daß treu gespiegelt ich mich drin erblickte.
Die zweite, die noch dunkler war als Purpur,
Bestand aus rauhem schlackigen Gesteine
Und war geborsten nach der Läng' und Quere.
Die dritte, die sich jenen beiden auflegt,
[182]
Schien Porphyr mir von solcher Glut der Farbe
Wie Blut, das eben aus der Ader rieselt.
Auf diese stützte seine beiden Füße
Der Engel Gottes, auf der Schwelle sitzend,
Die mir von lautrem Demantstein däuchte.
Indes ich auf das Wort des Führers willig
Hinaufstieg die drei Stufen, sagt' er: Bitte
Demütig, daß der Pforte Schloß er öffne. –
Ehrfurchtsvoll warf ich mich zu seinen Füßen,
Schlug dreimal mir die Brust und bat ihn dann,
Daß er die Tür mitleidig mir erschließe.
Da schrieb er mit der Spitze seines Schwertes
Mir auf die Stirne sieben P und sagte:
Bist du dort innen, tilge diese Wunden. –
Gleichfarbig wären trockne Erd' und Asche
Der Farbe seines Kleides, und zwei Schlüssel
Zog er aus dessen Falten nun hervor.
Der eine war von Gold, der andre silbern
Und mit dem weißen erst, dann mit dem gelben
Tat er der Pforte so wie ich es wünschte.
Versagt auch einer nur von diesen beiden,
Daß er im Schlüsselloch nicht recht sich wendet,
Sagt' er zu uns, so bleibt dies Tor geschlossen.
Der ein' ist werter; doch der andre fordert
Mehr Kunst und Einsicht, eh' das Schloß er aufschließt,
Denn dieser ist es, der den Knoten löset.
Von Petrus hab' ich sie; er hieß im Öffnen
Noch eher als im Weigern mich zu irren,
Wenn nur zu Füßen man sich vor mir werfe. –
Dann stieß der heil'gen Pforte Tür er auf
Und sagte: Tretet ein; jedoch bemerket,
Daß ausgewiesen wird, wer hier zurückschaut. –
Als nun in ihren Angeln sich die Zapfen
Des Tors der heil'gen Königsburg bewegten,
Die von Metalle stark und tönend waren,
Da rauschte nicht Tarpeja, als der gute
[183]
Metell geraubt ihr ward und sie geplündert,
So laut, und zeigte mindren Widerstand.
Aufmerksam wandt' ich mich beim ersten Laute,
Und im Gesang, den süßer Ton begleitet,
Glaubt' ich: Herr Gott dich loben wir, zu hören.
Genau den Eindruck bot mir, was ich hörte,
Als der ihn zu empfangen pflegt, der aufmerkt,
Wenn wo gesungen wird zum Orgelspiele,
Und er die Worte bald versteht, bald nicht.
Zehnter Gesang
Als innerhalb des Tors wir uns befanden,
Das selten nur gebraucht wird, weil den Irrweg
Die falsche Liebe recht erscheinen läßt,
Hört' ich es tönend hinter mir verschließen;
Und, hätt' ich jetzt nach ihm mich umgewendet,
Wie hätt' Entschuldigung mein Fehl gefunden?
Wir stiegen auf in einer Felsenspalte,
Die sich bald rechts, bald wieder links bewegte,
Wie wohl die Welle wechselnd flieht und nahet.
Hier gilt es, einges Geschick zu zeigen,
Begann Virgil, um sich bald der, bald jener
Gebirgswand, die zurückweicht, anzuschließen. –
So taten unsre Schritte, und wir machten
So langsam sie, daß eh'r des Mondes Neige
Sein Bett' erreichte, sich darein zu legen,
Als wir hervor aus jener Schlucht gelangten.
Doch, als wir oben waren, frei und offen
Dort, wo der Berg nach innen sich zurückzieht,
Ermüdet ich, und beide wir des Weges
Unkundig, setzten wir uns auf der Fläche,
Die öder schien, als Straßen durch die Wüste.
Drei Manneslängen mäße wohl die Breite
Von ihrem Anfang, wo sie an die Leere
[184]
Angrenzt, bis wo das Ufer weiter aufsteigt.
Und rechts und links, soweit als seine Schwingen
Mein Auge trugen, schien mir dies Gesimse
In gleicher Weise überall beschaffen.
Noch waren vorwärts wir dort nicht geschritten,
Als ich bemerkte, wie ringsum das Ufer,
Das aufzusteigen jedermann verwehret,
Von weißem Marmor war, und mit Gebilden
So ausgeschmückt, daß nicht nur Polyklet,
Nein die Natur, nichts Gleiches schaffen könnte.
Dort war der Engel, der mit dem Beschlusse
Des während vieler Jahr' erweinten Friedens,
Der den so lang gesperrten Himmel auftat,
Zur Erde niederstieg, vor unsren Augen
So wahr gebildet, mit so holdem Ausdruck,
Daß er nicht einem Bildwerk glich, das schweiget.
Man schwüre, daß er spreche: Sei gegrüßet! –
Denn dargestellt war die auch, die den Schlüssel,
Die höchste Liebe zu eröffnen, drehte,
Und ausgedrückt las man in ihren Zügen
Die Rede: Sieh', ich bin des Herren Magd, –
So wie in Wachse man ein Siegel abdrückt.
Nicht eine Stelle fass' allein in's Auge, –
Begann der Meister, der mich auf der Seite,
Auf der das Herz die Menschen haben, hatte.
Da wandt' ich meinen Blick, und in der Richtung
Wo der mir war, der meine Schritte lenkte,
Sah jenseits von Marien ich am Felsen
Ein andres Bildwerk kunstvoll eingegraben
Drum trat, Virgil vorüber, ich ihm näher
Daß meinem Aug' es offenbarer würde.
Und eingemeißelt war dem Stein der Wagen
Bespannt mit Stieren, drauf die heil'ge Lade,
Die Scheu erweckt vor unberufnem Dienste.
Voraus, geteilt in sieben Chöre, gingen
Viel Leute, und von meinem Sinnen sagte
[185]
Der eine, ja, sie singen, nein der andre.
In gleicher Weise stritten ob des Dampfes
Des Räucherwerks, der dort gebildet war,
Sich Aug' und Nase über ja und nein.
Dem heiligen Gefäße ging in Demut
Voraus, geschürzt und tanzend, der Psalmist,
Der hierin mehr als König war und minder.
Und gegenüber sah man aus des großen
Palastes Fenster staunend Michal blicken,
Gleich einem Weib, das sich erboßt und zürnet.
Und weiter ging vom Ort ich, wo ich weilte,
Um nah zu seh'n das andere Gebilde,
Das hinter Michal schimmernd ich bemerkte.
Dort sah' ich dargestellt den hohen Ruhm
Des röm'schen Kronenträgers, dessen Größe
Gregor zu seinem Siege Anlaß bot.
Trajan der Kaiser ist's, von dem ich rede,
Und eine Witwe fiel ihm in den Zügel
Mit Tränen angetan und bittrem Schmerze.
Man sah, wie sich die Ritter um ihn drängten
Und glaubte, daß vom Winde über ihm
Auf goldnem Grund die Adler sich bewegten.
Es schien die Ärmste unter all' den Leuten
Zu sagen: Herr, gewähre du mir Rache
Für meines Sohnes Mord, der mich betrübet. –
Und er erwidert' ihr: So warte denn
Bis ich zurückekehre; – aber sie,
Gleich einem, den des Schmerzes Macht nicht ruhn läßt:
Doch, kehrst du nicht zurück? – und er: Wer nach mir
Regiert, wird dann dich rächen; – aber jene:
Und tät er's auch; so hast du's doch versäumet. –
Drauf er: So tröste dich; denn ich erkenne
Daß meine Pflicht ich tun muß, eh' ich ziehe.
Gerechtigkeit erheischt's und Mitleid hält mich. –
Der nie gesehn, was neu für ihn gewesen
Gab dieser Wechselrede Sichtbarkeit,
[186]
Und weil das hier nicht vorkommt, ist's uns neu.
Und noch ergötzt' ich mich, an diesen Bildern,
Die lieb dem Blick ob ihres Künstlers sind,
So vieler Demut Beispiel zu beschauen,
Da flüsterte der Meister: Sieh' hier diesseits
Viel Leute kommen; doch sie schritten langsam.
Wohl weisen die uns zu den hohen Stufen. –
Es wandten die in Schaun versunknen Augen,
Um Neues zu erspähn, wie sie begehren,
Nicht zögernd sich auf's Wort des guten Meisters.
Vernimmst du, Leser, nun, in welcher Weise
Gott will, daß man die Schuld an ihn bezahle,
So lasse drum nicht ab von gutem Vorsatz.
Nicht auf die Form der Martern sollst du merken;
Denk an die Folg', und daß im schlimmsten Falle
Sie mit dem großen Richterspruche enden.
Nicht menschliche Gestalten, so begann ich,
O Meister, dünken die mich, die dort kommen;
Doch weiß ich, was sie sind nicht zu enträtseln. –
Und er zu mir: Die schwere Art der Buße,
Die ihnen auferlegt, drückt sie zu Boden,
So daß mein Aug' anfänglich mit sich kämpfte.
Doch wenn du, fest hinblickend, mit den Augen
Was unter jenen Steinen kommt entzifferst,
So kannst du sehn, wie jeder seine Brust schlägt. –
O stolze, doch beklagenswerte Christen,
Die, krank am Blicke eures geist'gen Auges,
Vertraun ihr setzt in die verkehrten Schritte,
Erkennt ihr nicht, daß wir nichts sind als Würmer,
Bestimmt den Engelsschmetterling zu zeugen,
Der wehrlos dem Gericht entgegenfliegt?
Was überhebt sich so eu'r stolzer Mut,
Da ihr erst werdende Insekten seid,
Gleich Würmern, deren Bildung noch bevorsteht.
Wie wohl, um Söller oder Dach zu stützen,
Aus Stein gebildet wir Gestalten sehn,
[187]
Die mit den Knieen ihre Brust berühren,
So daß Unwahres wahre Qual hervorruft
In dem, der solches anschaut; – so beschaffen
Fand ich die Schatten, als ich sorglich hinsah.
Doch waren mehr und minder sie gekrümmt,
Nachdem mehr oder mindre Last sie drückte,
Und wer geduld'ger als die andren aussah,
Sprach weinend – wie es schien – ich kann nicht mehr.
Elfter Gesang
O Vater unser, der du bist im Himmel,
Nicht in Beschränkung, nein, weil größre Liebe
Du hegst zu jenen ersten Werken droben.
Von aller Kreatur gepriesen werde
Dein Nam' und deine Macht, wie sich gebühret
Dank darzubringen deinem süßen Hauche.
Der Friede deines Reiches komme zu uns;
Denn nicht vermögen wir mit allem Streben,
Wenn er zu uns nicht kommt, ihn zu erreichen.
So wie die Engel, Hosianna singend,
Dir ihren Willen opfern, also mögen
Die Menschen auch mit ihrem Willen tun.
Gib unser täglich Manna, Herr, uns heute;
Denn ohne solches kommt in dieser Wüste
Zurück, wer noch so sehr mit Gehn sich abmüht.
Vergib uns unsre Schuld, so wie wir jedem
Das Übel das wir litten gern vergeben,
Und blicke nicht auf das, was wir verdienen.
Versuche unsre Kraft, die wenig standhält,
Nicht durch den alten Widersacher, sondern
Erlöse uns von ihm, der ihr so nachstellt.
Doch diese letzte Bitte, teurer Herr,
Tun wir für uns nicht, die wir's nicht bedürfen;
Für die Zurückgebliebnen tun wir sie. –
[188]
So gingen jene Schatten, gute Wand'rung
Für sich und uns erbittend, von der Last,
Wie man sie manchmal träumt, verschiednermaßen
Geängstigt und erschöpft, den ersten Absatz
Des Berges rings entlang, um von dem Dunste
Des Erdenlebens büßend sich zu läutern.
Wird dorten allzeit so für uns geredet,
Was kann für jene diesseits tun und sagen
Der, dessen Willen hat die rechte Wurzel?
Die Makeln, die sie hier befleckt, zu tilgen
Behilflich soll man sein, daß leicht und lauter
Zu den gestirnten Rädern gehn sie können.
Ach, soll Erbarmen und Gerechtigkeit
Euch bald entlasten und die Flügel lösen,
Euch aufzuschwingen, so wie ihr ersehnet,
Zeigt uns auf welcher Seite man am nächsten
Zur Stiege geht, und sind mehr Weg' als einer,
So zeigt uns den, der minder steil herabsteigt.
Denn, der hier mit mir kommt, ist ob der Schwere
Des Adamsfleisches, das ihn noch bekleidet,
Zum Steigen, wider seinen Willen, lässig. –
Von wem die Worte kamen, welche Antwort
Auf dessen Rede brachten, dem ich folgte,
Das wurde meinem Ohr nicht offenbar;
Doch wir vernahmen: Geht zur rechten Seite
Gleich uns am Ufer; einen Aufgang werdet,
Der Lebenden ersteigbar, ihr dort finden.
Und wär' ich von dem Steine nicht behindert,
Der mein hochmütiges Genicke bändigt,
So daß den Blick ich senken muß nach unten,
So möcht' ich den, der lebt und sich nicht nennet,
Wohl anschau'n, um zu sehn, ob ich ihn kenne,
Und dann ob dieser Last sein Mitleid wecken.
Lateiner war ich, edlen Tuskerstammes,
Wilhelm Aldobrandesco war mein Vater:
Ich weiß nicht, ob ihr je den Namen hörtet.
[189]
Mein edles Blut, die ritterlichen Taten
Der Ahnen brachten mich zu solchem Hochmut,
Daß ich, der Mutter aller nicht gedenkend,
Geringe jeden schätzte, und das Leben
Darob verlor, wie die Saneser wissen,
Und alle Kinder Campagnatico's.
Ich bin Omberto und es bringt der Stolz
Nicht mir nur Schaden; alle meine Vettern
Hat in's Verderben er gleich mir gezogen.
Und seinethalb muß, weil ich es im Leben
Versäumte, diese Last hier bei den Toten
So lang' ich tragen, bis ich Gott genug tat. –
Aufhorchend ging ich mit geneigtem Antlitz;
Und ihrer einer, nicht der, welcher sprach,
Verwandte, trotz der Last sich, die ihn drückte.
Als er mich sah, erkannt' er mich und rief mich,
Indem das Aug' er mühsam nach mir wandte,
Der neben ihm ich ging gesenkten Hauptes.
Da sagt' ich: Ach, bist du nicht Oderisi,
Agubbio's Ehr' und Ehre jener Kunst,
Die in Paris man nennt: Illuminieren? –
Die Blätter, die der Bologneser Franco
Gemalt, mein Bruder, sprach er, lächeln schöner;
Ihm bleibt die Ehre ganz, mir nur ein Teil.
So anerkennend hätt' ich nicht geredet,
Weil ich noch lebte, wegen des Verlangens
Hervorzuragen, das mein Herz erfüllte.
Für solchen Hochmut zahl' ich hier die Buße;
Und hätt' ich nicht, als ich noch sünd'gen konnte,
Zu Gott mich hingewandt, wär' ich nicht hier.
O eitler Ruhm der menschlichen Begabung;
Wie schnell vergeht das Grünen seines Gipfels,
Wenn hinter ihm nicht rohe Zeiten folgen!
Das Feld der Malerei zu halten dachte
Einst Cimabuë; jetzt rühmt man nur Giotto,
So daß verdunkelt wird der Ruf des ersten.
[190]
So nahm der Sprache Ruhm der eine Guido
Dem andern, und vielleicht ist schon geboren,
Der diesen aus dem Nest wie jenen treibt.
Der Preis der Welt ist nichts als nur ein Hauch
Der bald von hierher bläst und bald von dorther,
Und mit der Richtung seinen Namen ändert.
Nach tausend Jahren ist dein Ruhm nicht größer
Wenn du ergraut dein Fleisch ablegst, als starbst du
Zur Zeit, wo du von »Kikerling« und »Pappen«
Noch sprachest, und, der Ewigkeit verglichen,
Sind jene wen'ger, als ein Blick der Wimpern
Dem Himmelskreise, dessen Drehn das schwächste.
Der Name dessen, der so sachten Schrittes
Hier vor mir schleicht, erfüllt' einst ganz Toscana;
Jetzt flüstert man ihn kaum noch in dem Siena,
Das sein war, als die Wut der Florentiner
Vernichtet ward, die, wie sie kleinlaut jetzt ist,
Hochfahrend damals war und übermütig.
Es ist eu'r Ruhm so wie des Grases Farbe,
Die kommt und geht, und der heißt sie erbleichen,
Der sie hervorrief aus der rauhen Erde. –
Drauf ich: Gerechte Demut pflanzt in's Herz mir
Dein wahres Wort und dämpft sein stolzes Aufblähn;
Doch wer ist der, von dem du eben sprachest? –
Das ist, so sagt' er, Provenzan Salvani,
Hier aber büßt er, daß er sich erkühnte,
Ganz Siena sich allein zu unterwerfen.
Seitdem er starb, geht er in solcher Weise,
Und rastlos geht er fort; mit solcher Münze
Bezahlen muß, wer nach zu Hohem strebte. –
Ich sagte drauf: Wenn, wer mit seiner Reue
Bis zu des Lebens letztem Rande zögert,
Falls wirksame Gebete ihn nicht fördern,
Dort unten wartet und hierher nicht aufsteigt,
Bis soviel Zeit verstrich, als er gelebt hat,
Wie wurde ihm zu kommen schon gestattet? –
[191]
Im höchsten Ruhmesglanze, sagte jener,
Lebt' er, da ließ, bewältigend die Scham,
Er auf dem Marktplatz sich von Siena nieder
Und scheute, um des Freundes Not zu enden,
Die dieser litt von König Karl gefangen,
Sich nicht des Zitterns an jedweder Ader.
Mehr sag' ich nicht, wenn dunkel auch die Red' ist;
Doch werden die dir nah stehen so verfahren,
Daß bald du selbst vermagst, sie zu erklären.
Dies Werk befreite ihn von jenen Schranken. –
Zwölfter Gesang
In gleicher Haltung, wie im Joch die Stiere,
Ging ich mit der beladnen Seel' einher
So lang genehm es war dem süßen Lehrer.
Doch als er sprach: Verlaß ihn und geh' weiter;
Denn hier soll jeder, wie er's nur vermag,
Mit Rudern seinen Kahn und Segeln treiben –,
Da richtet' ich mich völlig wieder auf,
Wie sich's zum Gehen schickt, ob die Gedanken
Auch noch gesenkt mir und befangen waren.
Schon ging ich wieder, meines Meisters Schritten
Mit Freuden folgend, und der ein' und andre
Bewährte schon, wie wir so leicht uns fühlten,
Als er mir sagte: Wende deine Blicke
Nach unten; dir den Weg erleichtern wird es,
Betrachtest du das Bette deiner Füße. –
Sowie, um das Gedächtnis der Begrabnen
Zu wahren, über ihnen Leichensteine
Darstellen, wie im Leben sie gewesen
(Weshalb auf Erden manches Mal man weinet,
Ob der Erinn'rung Stachels, der nur denen
Die Sporen gibt, die an der Treue halten),
So sah ich dort, doch nach der Meisterschaft
[192]
Der Kunst viel schöner, überdeckt mit Bildern
Was vom Gestein des Berges dient zum Wege.
Vom Himmel niederfallen unter Blitzen
Sah ich zur einen Seite den, der edler
Geschaffen ward, als alle Kreaturen.
Zur andern sah, vom himmlischen Geschosse
Durchbohrt, Briareus ich am Boden liegen,
Vom Todesfroste kalt und unbeweglich.
In Waffen noch sah Mars, Apoll und Pallas
Um ihren Vater stehend, die zerstreuten
Gigantenglieder staunend ich betrachten.
Dann sah, am Fuße seines großen Werkes,
Ich Nimrod stehn und wirr die Völker anschaun,
Die stolz in Sinear mit ihm gewesen.
O Niobe, mit welchem Blick des Schmerzes
Sah, abgebildet auf des Bodens Fläche,
Ich zwischen sieben dich und sieben Kindern.
O Saul, wie todesstarr erschienst du dort,
Gestürzt in's eigene Schwert, auf Gelboè,
Das seit der Zeit kein Tau mehr netzt und Regen.
Dich sah ich auch, o törichte Arachne,
Schon halb als Spinne, traurig auf den Fetzen
Des Werkes, das du machtest dir zum Unheil.
Rehabeam, wohl schien dein Abbild hier
Nicht mehr zu droh'n; es trug in wildem Schrecken
Ein Wagen ihn dahin, den Unverfolgten.
Der harte Felsgrund zeigte noch, wie teuer
Alkmäon einst den unheilvollen Schmuck
Der Mutter Eriphyle scheinen ließ.
Er zeigte, wie im Tempelheiligtume
Auf Sanherib sich warfen seine Söhne
Und wie sie den Getöteten dort ließen.
Das herbe Ende zeigt' er und den Hohn,
Womit Tamyris Cyrus strafte, sprechend:
Blutdürstiger! mit Blut will ich dich füllen.
Er zeigte die Assyrer, überwunden
[193]
Nach Holofernes' Tod', in wilder Flucht,
Und auch der Marter Überreste zeigt' er.
In Trümmern sah ich Troja und in Asche
O Ilion, wie tief gefallen zeigte
Dein Abbild dich, das dorten ich gewahrte! –
Wer führte so den Griffel oder Pinsel,
Daß auch der feinste Geist erstaunen müßte,
Wie Umriß dargestellt und Schatten waren?
Die Toten schienen tot, Lebend'ge lebend;
Es sah, wer selbst die Wahrheit sah, nicht besser
Als ich, geneigten Haupt's zu Boden blickend. –
So überhebt euch denn, ihr Evakinder,
Tragt hoch den Kopf und senkt ihn nicht zur Erde,
Sonst würdet ihr gewahr, wie falsch eu'r Weg sey! –
Schon hatten mehr vom Berge wir umwandelt,
Und mehr vom Sonnenpfade war verbraucht,
Als meine Seele, die nicht frei war, wähnte;
Da hub, der stets im Geh'n nach vorwärts spähte,
Zu reden an: Erhebe nun dein Haupt;
So sinnend fortzugehn, ist nicht geziemend.
Sieh' einen Engel dort, der uns entgegen
Zu kommen sich bereitet; sieh vom Dienste
Die sechste Tagesdienerin entlassen.
Mit Ehrfurcht schmücke Antlitz wie Gebärden,
Daß er hinaufzusenden uns geneige;
Bedenke, daß das Heut nie wieder taget. –
Gewöhnt war ich bereits an seine Mahnung
Die Zeit nicht zu verlieren; dunkel also
Konnt' er in diesem Punkte mir nicht reden.
Es nah'te sich das liebliche Geschöpf
In Weiß gekleidet, und es schien sein Antlitz
Dem Morgensterne gleich, der strahlend zittert,
Die Arme öffnet' er und dann die Flügel:
Kommt hierher, sprach er, denn hier sind die Stufen,
Geringe Mühe kostet jetzt das Steigen.
Nur wenige entsprechen solcher Ladung.
[194]
Ihr Menschen, die geboren, aufzufliegen,
Was laßt ihr euch von wenig Wind schon werfen? –
Er leitet' uns zu jenes Felsens Einschnitt;
Da schlug er mit den Flügeln mir die Stirne,
Des Weges sichren Fortgang mir verheißend.
Wie um dort rechts den Berg emporzusteigen,
Auf dem die Kirche, die die Wohlregierte
Beherrscht, erbaut ist, über Rubaconte
Erleichtert wird des Anstiegs jähe Steile
Durch Treppen, angelegt vor alten Zeiten,
Als sicher Stadtbuch noch und Daube waren,
So wird das Ufer, das vom nächsten Kreise
Gar steil sich niedersenket, hier gemildert;
Doch hemmt der hohe Fels zu jeder Seite.
»Gesegnet sind die geistig Armen« sangen
Als in die Kluft wir eingetreten, Stimmen,
So schön, daß keine Red' es schildern könnte.
Ach wie verschieden sind doch diese Tore
Von denen in der Hölle; mit Gesängen
Tritt hier man ein, und dort mit grimmen Klagen.
Schon stiegen wir empor die heil'gen Stufen
Und leichter, als zuvor ich in der Ebne
Mir vorkam, schien ich mir zu sein um vieles.
Drum sprach ich: Sage Meister, was ist Schweres
Von mir genommen, daß das Gehen jetzo
Anstrengung mich so gut als gar nicht kostet? –
Sind erst die P, die, jetzt schon fast verloschen,
Dir noch im Antlitz blieben, gleich dem einen,
Erwidert' er, einst völlig ausgetilgt,
So wird der gute Wille deine Füße
So sehr beherrschen, daß emporzusteigen
Sie nicht nur nicht ermüden, sondern freu'n wird. –
Da tat ich denen gleich, die, was am Haupte
Sie tragen selbst nicht wissend, durch die Winke
Vorübergehender bedenklich werden,
Und dann die Hand, sich zu belehren, brauchen,
[195]
Die sucht und findet, und das Amt verrichtet,
Dem zu genügen nicht vermag das Auge;
Und mit der rechten Hand gespreizten Fingern
Fand ich der Zeichen, die mir ob den Schläfen
Der Schlüsselträger einschnitt, nur noch sechse.
Drob lächelte, als er es sah, mein Meister.
Dreizehnter Gesang
Zum höchsten Punkt der Treppe waren wir
Gelangt, wo in dem Berg, der die Ersteiger
Von Schuld befreit, ein zweiter Einschnitt ist.
Hier windet um den Hügel sich als Kranz
Ein breiter Weg, der ganz dem ersten ähnlich,
Nur daß sein Umkreis enger ist gebogen.
Nicht Bildwerk ist, nicht Zeichnung dort zu sehen;
Es zeigt das Ufer gleich dem schlichten Boden
Nichts andres, als des Steines düst're Farbe.
Wenn um zu fragen, Leute wir erwarten,
Begann der Meister, fürchte ich, es möchte
Zu lange uns're Wahl sich hier verzögern. –
Dann richtet' er zur Sonne fest das Auge,
Und wandte seines Körpers linke Seite,
Indem als Zentrum ihm die rechte diente.
O süßes Licht, auf welches ich vertrauend
Den neuen Weg betrete, führe du uns,
So sprach er, wie zu geh'n sich hier gebühret.
Du bist es, das die Welt wärmt und erleuchtet;
Es soll dein Strahl, wo kein besondrer Grund
Das Gegenteil befiehlt, uns Führer sein. –
Gemacht schon hatten wir nach ird'scher Rechnung
Wohl eine Miglie Weg's; doch bei dem Eifer
Der uns beseelte, in gar kurzer Frist.
Da hörten wir, doch ohne sie zu sehen,
Wie Geister uns im Flug' entgegenschwebten,
[196]
Zum Liebesgastmahl süße Ladung rufend.
Sie haben keinen Wein, – so sagte laut
Die Stimme, die zuerst vorüberflog
Und wiederholt' es hinter uns noch weiter.
Und noch bevor wir sie, ob der Entfernung,
Nicht mehr vernahmen, rief im raschen Fluge
Die zweit': Ich bin Orest – und zog vorüber.
O Vater sagt ich, was für Stimmen sind das? –
Und während ich noch frug, erscholl die dritte,
Die sagte: Liebet, die euch übeltaten. –
Der Meister sagte: Dieser Gürtel züchtigt
Die Schuld des Neides; darum ist die Geißel
Mit Strängen, die die Liebe beut, bewehrt.
In and'rem Sinne muß der Zügel lauten;
Vernehmen wirst du's, wenn ich recht vermute,
Eh' du zum Ausgang, der da sühnt, gelangest.
Doch richte vorwärts, aufmerksam die Augen
Und sitzen siehst du eine Reihe Schatten,
Von denen jeder an die Felswand lehnet. –
Da öffnet' ich mehr als zuvor die Augen,
Und Leute sah ich angetan mit Mänteln,
Nicht unterschieden von des Steines Farbe.
Als etwas weiter wir gegangen waren,
Da hört ich rufen: Bitt' für uns Maria,
Und Petrus, Michael und alle Heil'gen. –
Wohl glaub' ich, daß auf Erden niemand wandelt
So harten Herzens, daß ihn nicht das Mitleid
Bei dem, was ich nun sah, ergriffen hätte;
Denn als so nah zu ihnen ich gelangt war,
Daß ihre Haltung sicher ich erkannte,
Brach bitt'rer Schmerz hervor aus meinen Augen.
Mit grobem Haartuch waren sie bekleidet
Und auf des Nächsten Schulter stützte jeder
Sich, wie das Felsenufer alle stützte.
So sieht die Blinden man, die Mangel leiden,
Wenn sie beim Ablaß Gaben sich erbitten,
[197]
Sein Haupt den einen auf den andren lehnen,
Damit noch neben ihrer Worte Inhalt
Der Anblick, der nicht minder dringend bittet,
In fremden Herzen rasch das Mitleid wecke.
Und wie den Blinden nichts die Sonne fruchtet,
So will das Himmelslicht an jenem Orte
Den Schatten nichts von seinem Glanz gewähren;
Denn aller Augenlid durchbort ein Draht
Und schließt es also wie dem wilden Sperber
Zu tun man pflegt, damit er ruhig bleibe.
Mir kam es vor, als ob ich Unrecht tue,
Wenn, ungesehn, die and'ren ich beschaute;
Drum wandt' ich mich zu meinem weisen Rater.
Und da er den noch Stummen schon verstand,
Erwartet' er nicht erst, daß ich ihn früge
Und sagte: Rede kurz denn und verständig. –
Virgil ging neben mir auf jener Seite,
Wo man gefährdet ist hinabzufallen,
Weil Raum für keinen Rand das Ufer läßt.
Zur and'ren Seite saßen still ergeben
Die Schatten, welche durch die grause Nat
So preßten, daß sich ihre Wangen netzten.
Ich wandte mich zu ihnen und begann:
O Seelen, sicher, einst das Licht zu schauen,
Nach dem allein sich eu'r Verlangen richtet,
Soll Gnade bald den letzten Schaum zerstreuen,
Der eu'r Gewissen trübet, so daß helle
Die Rückerinn'rung in ihm niederfließe,
So sagt mir, ob Lateinerin nicht eine
Hier unter euch ist; mir wär' es willkommen,
Und fruchten könnt es ihr, wenn ich's erfahre. –
O Bruder, Bürgerin ist hier jedwede
Der einen wahren Stadt; doch willst du sagen,
Ob ein' als Pilgerin in Wälschland lebte. –
Die Worte glaubt' ich etwas weiterhin,
Als wo ich stand, zur Antwort zu vernehmen,
[198]
Weshalb mein Vorgehn ich bemerklich machte.
Da sah ich einen Schatten, dem das Warten
Man ansah, und wenn jemand früg': An was denn?
So sag' ich, Blinden gleich, erhob das Kinn er.
Geist, der um aufzusteigen, Qualen duldet,
Bist du's, begann ich, der mir Antwort gab,
So mach durch Namen oder Ort dich kenntlich. –
Ich war aus Siena, sprach er, und mit allen,
Die hier sind, läutr' ich mich vom schuld'gen Leben,
Daß Gott sich uns gewähr', in Tränen bittend.
Sapía ward ich zwar genannt; doch weise
War ich so wenig, daß der Schaden and'rer
Mehr als mein eigner Vorteil mich erfreute.
Damit du nicht, daß ich dich täusche glaubest,
So höre selbst, wie töricht ich gewesen:
Schon neigte abwärts sich mein Lebensbogen
Als meine Landsgenossen dort bei Colle
Mit ihrer Feinde Heer zusammenstießen.
Da bat ich Gott um das, was er beschlossen.
Geschlagen wurden sie und in die Schritte
Der bitt'ren Flucht gejagt, und meine Freude,
Als ich die Flücht'gen sah, war außer Maßen,
So daß empor die kecke Stirn ich wandte
Und rief: O Gott, nun fürcht' ich dich nicht länger;
Wie wegen wenig Sonnenscheins die Amsel.
Am Ende meines Lebens sucht' ich Frieden
Mit Gott; doch würde meine Schuld durch Buße
Noch sich zu mindern nicht begonnen haben,
Wenn nicht in seinen heiligen Gebeten
Sich aus Erbarmen Peter Pettinagno
Fürbittend meiner oft erinnert hätte.
Doch wer bist du, der du nach uns'rem Zustand
Mit ungebundnem Auge also fragest,
Und bei dem Sprechen, wie ich glaube, atmest? –
Das Auge wird auch mir geraubt hier werden;
Doch kurze Zeit nur, sagt' ich, denn die Sünde,
[199]
Die neidisch blickend es verübt, ist klein nur.
Viel größre Furcht indes hält meine Seele
Befangen vor der Qual im vor'gen Kreise
Und drücken fühl' ich schon die Last dort unten. –
Und sie zu mir: Wer führte hier herauf dich,
Wenn du nach unten denkst zurückzukehren? –
Und ich: der mir zur Seite geht und schweiget.
Lebendig bin ich; drum, erwählter Geist,
Verlange nur, wenn dir daran gelegen,
Daß jenseits ich für dich den Fuß noch rege. –
So neu ist was du sagst und unerhört,
Sprach sie, daß es bezeugt, Gott liebe dich;
Drum denke manchmal in Gebeten meiner.
Auch bitt' ich dich bei dem, was du vor allem
Ersehnst, daß, kommst du jemals nach Toscana,
Du meinen Ruf dort herstellst bei den Meinen.
Du findest sie bei dem leichtsinn'gen Volke,
Das noch vergeblicher, wie bei dem Suchen
Der Diana, Hoffnung baut auf Talamone;
Doch schlimmer geht es noch den Admiralen. –
Vierzehnter Gesang
Wer ist es, der bevor der Tod ihm Flügel
Geliehen, also uns'ren Berg umkreiset
Und nach Gefall'n die Augen schließt und auftut? –
Ich weiß es nicht; doch ist er nicht allein.
Sprich du ihn an, denn du bist ihm der Näh're;
Und rede so, daß gern er Antwort gebe. –
So sprachen über mich zu uns'rer Rechten
Zwei Geister, einer zugeneigt dem andren;
Dann hoben das Gesicht sie, um zu reden.
Und einer sagte: Seele, die im Körper
Noch weilend, du entgegengehst dem Himmel,
Gib uns'ren Bitten nach und laß uns hören
[200]
Woher und wer du seist; denn so verwundert
Die Gnad' uns, die dir ward, wie einem Dinge,
Das nie zuvor gesehen ward, sich gebühret. –
Drauf sagt' ich: Mitten durch Toscana wandert
Ein Flüßchen, das entspringt am Falterona
Und dem nicht hundert Miglien Laufs genügen;
Von seinem Ufer bring' ich diesen Leib.
Vergeblich wär', euch wer ich sei zu sagen,
Da noch mein Name nur geringen Klang hat. –
Verkörpert mein Verständnis richtig deinen
Gedanken, sagte, der zuvor gesprochen,
So meinst mit deiner Rede du den Arno. –
Der and're aber sprach zu ihm: Weswegen
Verbarg er nur den Namen jenes Flusses,
Wie man mit grauenhaften Dingen tut? –
Darauf erwiderte der so Gefragte:
Ich weiß es nicht; doch weiß ich, wohl verdiente
Den Untergang der Name dieses Tales.
Wird doch von seinem Anfang, wo die Kette,
Von der Pelorum losgerissen wurde,
An Quellen reicher ist, als irgend sonst wo,
Bis dahin wo zu dem Ersatz des Nasses
Es beiträgt, das vom Meer der Himmel aufsaugt
Und dann den Flüssen ihren Inhalt spendet,
Von jedermann die Tugend so als Feindin
Verscheucht, wie gift'ge Schlangen; sei's die Schuld
Des Bodens, sei es Unsitt', ihnen eigen.
Gewandelt haben deshalb die Bewohner
Des argen Tals so gänzlich ihre Weise,
Als wären sie in Circe's Kost gewesen.
Den armen Pfad lenkt zwischen wüsten Schweinen
Zuerst es, denen, mehr als Menschenspeise,
Zur Nahrung Eichelmast geziemen würde.
Dann findet es im Niedersteigen Kläffer,
Viel knurriger, als ihrer Macht gemäß ist;
Doch denen kehrt verächtlich es den Rücken.
[201]
Und weiter senkt der maledeite Graben,
Der unheilvolle, sich, und wie er anschwillt,
Sieht er die Hunde sich in Wölfe wandeln.
Zuletzt, durch düst're Schlünd' hinabgestiegen,
Trifft er auf Füchse, die so voller Trug sind,
Daß auch der Schlau'ste sie nicht überlistet.
Wer mich auch hört, ich rede drum nicht minder,
Und gut wird's jenem sein, gedenkt dereinst er
An das, was ein wahrhafter Geist mir kundtut.
Ich sehe deinen Enkel an dem Ufer
Des argen Strom's als Jäger jener Wölfe,
So daß sie alle sich darob entsetzen.
Ihr Fleisch verkauft er, während sie noch leben;
Dann, wie ein altes Raubtier, würgt er sie.
Das Leben raubt er vielen, sich die Ehre;
Den traur'gen Wald verläßt er blutbesudelt,
Verwüstet also ihn, daß ein Jahrtausend
Nicht hinreicht, wie zuvor ihn zu bestocken. –
Wie bei Verkündigung von Schmerz und Schaden
Das Angesicht des Hörers sich verfinstert,
Woher auch immer die Gefahr ihm drohe,
So sah die andre Seel' ich, welche hörend
Aufmerkte, voller Trauer sich verfärben,
Als jenes Wort sie in sich aufgenommen.
Begierig machten mich nach ihren Namen
Der einen Rede und der andren Mienen;
Darum verband mit meiner Frag' ich Bitten.
Der Geist, der allererst zu mir gesprochen,
Begann: Du willst, daß ich bereit mich finde,
Dir, was du selbst nicht tun willst, zu gewähren;
Doch, weil es Gott gefällt, daß seine Gnade
So aus dir leuchte, karg' auch ich nicht, drum
Vernimm, daß Guido ich del Duca bin.
Es war mein Blut so sehr entbrannt von Neide,
Daß mich entstellt der Scheelsucht Farbe hätte,
Hätt' ich in fremdem Auge Freud' entdeckt.
[202]
Von meiner Aussaat ernt' ich solches Stroh
Was wendet, Menschen, dorthin ihr das Herz,
Wo der Genossenschaft Verbot notwendig?
Der ist Rinieri, Ruhm und Preis des Hauses
Der Calboli, in dem, seit er gestorben,
Kein Erbe seiner Tüchtigkeit sich fand.
Und nicht nur seinem Blute kam abhanden
Vom Po zum Berge und vom Strand zum Reno
Was nötig ist zum Wahren wie zur Freude;
Das ganze Land ist zwischen diesen Grenzen
Von giftigem Gesträuch so dicht verwachsen,
Daß Axt und Pflugschar jetzt zu nichts mehr nützen.
Wo sind Pier Traversar, der gute Lizio
Heinrich Mainardi, Guido von Carpigna?
Wie seid, o Romagnolen, ihr entartet!
Wann keimt ein Fabbro in Bologna wieder.
Ein Bernardin di Fosco in Faenza,
Als edles Reis von unscheinbarem Grase?
Nicht wund're dich, Toscaner, daß ich weine,
Denk' ich mit Guido, dem von Prata, dessen
Der mit uns lebte, Ugolin's von Azzo,
Friedrich Tignoso's und des Freundekreises,
Der Häuser Traversar' und Anastagi
(Das eine unbeerbt sowie das andre),
Der Ritter und der Frau'n, der Müh'n und Freuden,
Die uns zu Minn' und edler Sitte führten,
Wo jetzt die Herzen so verderbt geworden.
O Brettinoro, was entfliehst du nicht,
Da sich dein Herrenhaus von dir gewendet,
Der Bosheit zu entgehn und mit ihm viele?
Wohl tut Bagnacaval, wenn sich's nicht fortpflanzt,
Doch übel Castrocar' und schlimmer Conio,
Daß sich's auf solcher Grafen Zeugung einläßt.
Gut werden die Pagani tun, sobald erst
Ihr Teufel fort ist; doch nicht in dem Maße,
Daß je von ihnen rein das Zeugnis bliebe.
[203]
Dein Name, Ugolin de' Fantolini,
Ist sicher, da kein Sproß mehr zu erwarten,
Der durch Entarten ihn verdunkeln könnte.
Nun aber geh, Toscaner, denn mich freut jetzt
Um vieles mehr, zu weinen, als zu reden,
So sehr hat dies Gespräch mein Herz befangen. –
Wir wußten wohl, daß diese teuren Seelen
Es hörten, wie wir gingen; darum hießen
Sie schweigend, unsrem Wege uns vertrauen.
Als vorwärts schreitend wir allein uns fanden,
Vernahmen einen Ruf wir uns entgegen,
Dem Blitze gleich, wenn er die Luft durchbricht:
Totschlagen wird mich jeder, der mich antrifft; –
Und er entschwand, verhallend wie der Donner,
Wenn ungestüm die Wolke er zerreißt.
Kaum hatte unser Ohr von diesem Ruhe,
Da kam ein zweiter mit so lautem Schalle,
Daß er dem Donner glich, der schleunig nachfolgt:
Aglauros bin ich, die zum Stein geworden. –
Da tat, um mich dem Dichter anzuschmiegen,
Statt vorzuschreiten, ich den Schritt zurücke.
Schon war die Luft nach jeder Seite ruhig
Und jener sprach: Das war der harte Zaum,
Der euch in euren Schranken sollte halten;
Doch ihr greift nach dem Köder, und die Angel
Des alten Widersachers zieht euch zu ihm,
So daß gar wenig Ruf und Zügel fruchten.
Es ruft der Himmel euch, der euch umkreisend,
Euch seine wandellose Schönheit zeiget,
Und dennoch blickt eu'r Auge nur zur Erde;
Drum züchtigt euch, der alles recht erkennt. –
[204] Fünfzehnter Gesang
Soviel als bis zum Schluß der dritten Stunde
Seit dem Beginn des Tages von der Sphäre,
Die stets nach Kindesweise spielt, zu sehn ist,
So viel von ihrem Laufe schien der Sonne
Beim Nah'n des Abends übrig noch geblieben;
Dort war es Vesperzeit, hier Mitternacht.
Es traf ihr Strahl uns mitten auf die Stirne
Denn soweit war der Berg von uns umwandelt,
Daß wir genau nun gegen Abend gingen.
Da fühlt' ich meine Augen von dem Glanze
Um vieles mehr noch als zuvor beschweret
Und staunen machte mich das Unbekannte.
Drum hob ich zu der Höhe meiner Brauen
Die beiden Hände, mir als Schirm zu dienen,
Der dem Gesichtskreis das Zuviel verschränke.
Wie, wenn vom Wasser, oder von dem Spiegel
Der Strahl zurückprallt auf die Gegenseite,
Er, wie Erfahrung lehrt und Wissenschaft,
So wie er einfiel, so auch wieder aufsteigt,
Und von dem Fall des Stein's in gleicher Weise,
Wie kommend er getan, im Gehen abweicht,
So glaubt' ich mich von einem Licht getroffen,
Das dort vor mir zurückgeworfen würde,
Weshalb zur Flucht sich schnell mein Auge wandte.
O süßer Vater, was ist das, wogegen
Ich mit Erfolg nicht schirmen kann das Auge,
Und das, so scheint es, auf uns zukommt? – sagt' ich.
Erstaune nicht, wenn dich des Himmels Diener
Für jetzt noch blenden, gab er mir zur Antwort,
Ein Bot' ist's, der zum Höhersteigen ladet.
Bald wird das Anschau'n solcher Dinge dir
Nicht mehr Beschwer, nein, so viel Freude geben,
Als zu empfinden dir Natur gewährte. –
[205]
Wie wir zum benedeiten Engel kamen,
Sprach er mit froher Stimme: Tretet hier ein!
Bequemer als die and'ren ist die Treppe. –
Wir stiegen auf, und hörten hinter uns:
Gebenedeit sind die Barmherz'gen singen
Und ferner: Freue dich, du, der du siegest. –
So gingen wir allein, ich und mein Meister,
Nach oben, und ich dachte, daß im Gehen
Ich Vorteil könnte ziehn aus seinem Worte.
Drum wandt' ich mich an ihn mit dieser Frage:
Was meinte wohl der Schatten aus Romogna,
Genossenschaft erwähnend und Verbot? –
Drauf er zu mir: Von seiner größten Sünde
Kennt er den Schaden; wenn er sie nun schilt,
Daß minder man drum weine, ist's kein Wunder.
Weil eu'r Verlangen dahin sich gerichtet,
Wo durch Genossenschaft der Teil gekürzt wird,
Bewegt der Neid den Blasebalg der Seufzer.
Doch, wenn die Liebe zu dem höchsten Kreise
Gewandt nach oben eu'r Verlangen hätte,
So spüret in der Brust ihr jene Furcht nicht.
Je mehr es sind, die droben »unser« sagen,
Um so viel mehr an Gut besitzt ein jeder,
So reichere Liebe brennt in jenem Kloster. –
Entfernter bin ich der Befriedigung,
Sagt' ich, als wenn ich ganz geschwiegen hätte,
Und größ'ren Zweifel berg' ich in der Seele.
Wie kann es sein, daß ein verteiltes Gut
Den mehreren Besitzern mehr von sich
Gewähre, als wenn Wen'ge es besäßen? –
Und er zu mir: Indem du die Gedanken
Nur auf die ird'schen Dinge richtest, glaubst du,
In wahrem Licht nur Finsternis zu sehen.
Das Gut dort oben, welches unaussprechlich
Ist und unendlich, eilt der Lieb' entgegen,
Wie sich der Strahl zum lichten Körper wendet.
[206]
Je nach dem Maß der Glut gewährt es sich,
So daß, wie sehr die Liebe sich erweitert,
So sehr die ew'ge Kraft darüber fortwächst.
Je mehr der Herzen droben sich begegnen,
Je mehr ist liebenswert und wird geliebet,
Und, Spiegeln gleich, teilt einer mit dem andern.
Doch tilgt dir meine Rede nicht den Hunger,
So harre Beatrice's, die, wie jedes,
Auch dies Verlangen ganz dir stillen wird.
Bemüh' dich nur, daß, so wie schon die beiden,
Auch die fünf andren Wunden bald getilgt sind,
Die, um je mehr sie schmerzen, schneller heilen. –
Nun hast du mich befriedigt –, wollt' ich sagen,
Da sah ich mich gelangt zum andren Kreise,
Drum hieß in Schaulust mich das Auge schweigen.
Da war's, als ob in plötzlicher Verzückung
Zu einem Bild' ich hingerissen würde
Und viele Leute säh' in einem Tempel.
Ein Weib trat eben ein, aus deren Zügen
Die Mutterliebe sprach, und diese sagte:
Warum, mein Sohn, hast du uns das getan?
Denn, sieh, ich und dein Vater haben beide
Mit Schmerzen dich gesucht. – Und wie sie schwieg,
Verschwand das Bild, das mir zuerst erschienen.
Dann sah ein andres Weib ich, deren Wangen
Das Wasser netzte, das der Schmerz hervorruft,
Den große Kränkung in der Brust entzündet.
Sie sprach: Bist wirklich du der Stadt Gebieter,
Um deren Namen sich die Götter stritten
Und die das Licht jedweden Wissens ausstrahlt,
So räche dich an den verweg'nen Armen,
Pisistratus, die unser Kind umfangen. –
Wohlwollend schien der Herr mir d'rauf und milde
Ihr zu entgegnen mit gelass'nen Zügen:
Verdammen den wir, der uns liebt, was sollen
Mit dem wir machen, der uns Unheil anwünscht? –
[207]
Dann sah, entflammt von Zornes Glut ich Männer,
Die laut einander zuschrien: Töte, töte!
Nach einem Jüngling Stein auf Steine werfen.
Ihn aber sah ich bei des Todes Nahen,
Der Kraft beraubt, sich still zur Erde neigen;
Doch seine Augen blieben Himmelspforten
Und mit dem Ausdruck, der Erbarmen aufschließt,
Bat er den Herrn im schweren Kampf, er möge
Die Sünde den Verfolgern nicht behalten.
Als mein verzückter Geist dann zu den Dingen,
Die äuß're Wahrheit haben, wiederkehrte,
Erkannt' ich mein, nicht trügerisches, Irren.
Mein Führer sah, wie ich mich gleich dem Manne
Gebahrte, der sich von dem Schlafe losmacht,
Und sprach: Unsicher ist dein Gang. Was ist dir?
Schon mehr als ein halbe Stunde gehst du
Geschloss'nen Auges und mit irrem Fuße
Gleich dem, den Wein bewältigt, oder Schlummer. –
O süßer Vater, wenn du mir Gehör gibst,
Sagt' ich, bericht' ich dir, was mir erschienen,
Als ich unmächtig meiner Füße war. –
Und er: Bedecktest du mit hundert Larven
Dein Angesicht, so wären mir die kleinsten
Gedanken, die du heg'st, doch nicht verborgen.
Was du gesehn, bereit sollt' es dich machen,
Dein Herz den Friedenswässern aufzuschließen,
Die aus der ew'gen Quelle sich verbreiten.
»Was ist dir?« frug ich nicht aus gleicher Ursach,
Wie wer nur mit dem Auge sieht, das blind wird,
Sobald entseelt der Leib am Boden liegt;
Nur deinen Füßen Kraft zu geben, frug ich.
So stacheln soll die Faulen man, die träg sind
Die Wachezeit zu nutzen, wenn sie da ist. –
Den lichten, abendlichen Strahlen gingen
Entgegen wir, und unsre Augen strebten
Vorwärts zu schauen, soweit als sie vermochten.
[208]
Und sieh: ein Rauch kam näher uns und näher,
Der uns so dunkel schien als wie die Nacht.
Auch fehlt' an Raum es, um ihm auszuweichen.
Der nahm die reine Luft uns und die Augen.
Sechzehnter Gesang
Der Hölle Dunkel, oder das der Nacht
Die kein Planet erhellt und deren Himmel
Von dichtestem Gewölke ganz verhüllt ist,
Sie webten meinem Auge dünn're Schleier,
Als wie der Nebel, der uns dort bedeckte,
Und schienen dem Gefühle minder scharf;
Denn offen konnt' ich nicht das Auge halten.
Weshalb mein treuer kundiger Begleiter
Mir nahetretend mir die Schulter darbot,
Und wie der Blinde seinem Führer nachgeht,
Daß er fehlgehend nicht auf Dinge stoße,
Die ihm beschwerlich sind, vielleicht gar tötlich,
So ging ich durch die herbe, schmutz'ge Luft,
Dem Führer lauschend, der beständig sagte:
Hab' acht nur, daß du nicht von mir getrennt wirst. –
Ich hörte Stimmen, und mir schien, daß jede
Zum Lamme Gottes, das die Sünden trägt,
Um Frieden bete und Barmherzigkeit.
»O du Lamm Gottes!« So begann ein jeder.
Gleich war das Wort und gleich die Weise aller,
Vollkomm'ne Eintracht schien sie zu verbinden.
Sind Schatten, Meister, was ich höre? – frug ich.
Und er zu mir: Es ist, wie du vermutest;
Des Zornes Knoten streben sie zu lösen. –
Wer bist denn du, der unsren Rauch durchschneidet
Und von uns redend dich nicht anders ausdrückst,
Als teiltest du die Zeit noch nach Kalenden? –
[209]
Also ließ eine Stimme sich vernehmen,
Weshalb mein Meister sprach: Antworte du
Und frag' auch, ob nach oben dies der Weg ist. –
Und ich: O Kreatur, die du dich reinigst,
Um schön zu deinem Schöpfer heimzukehren,
Gehst du mit mir, so wirst du Wunder hören. –
Begleiten will ich dich so weit ich darf,
Sprach er, und wenn der Rauch das Sehn nicht zuläßt,
So wird das Ohr uns doch beisammen halten. –
Drauf hub ich an: Mit eben dem Gewande,
Das durch den Tod zerstört wird, steig' ich auf
Und hierher kam ich von der Hölle Qualen.
Hat mich denn Gott so sehr in seine Gnade
Geschlossen, daß er seinen Hof mich sehn läßt
Ganz gegen den Gebrauch der neuern Zeiten,
So birg mir nicht, wer lebend du gewesen
Und sag' auch, ob ich recht zum Aufgang gehe;
Dann sollen deine Wort' uns Führer werden. –
Lombarde war ich; Marco war mein Name,
Gekannt hab' ich die Welt, geehrt die Tugend,
Nach der jetzt niemand mehr den Bogen spannt.
Du gehst den rechten Weg, um aufzusteigen. –
Nach dieser Antwort sagt' er noch: Ich bitte,
Daß, wenn du oben bist, du für mich bittest. –
Und ich: Bei meinem Wort gelob' ich dir,
Zu tun, was du begehrst; doch ich vergehe
Vor einem Zweifel, bis er mir gelöst wird.
Erst war einfach und nun ward er doppelt
Durch deine Rede, welche mir bestätigt
Das sonst Gehört', an das ich jene knüpfe.
Wohl ist, so wie du sagst, von jeder Tugend
Die Welt verlassen, und von arger Bosheit
Ganz überdeckt und von noch weit'rer trächtig,
Doch bitt ich dich, die Ursach' mir zu künden,
Daß ich sie sehn und and'ren weisen könne;
Im Himmel sucht sie der, hienieden jener. –
[210]
Erst seufzt' er tief, und seinen Seufzer streckte
Der Schmerz zum »Wehe!« Dann begann er: Bruder,
Die Welt ist blind, und wohl kommst du von ihr.
Ihr Lebenden, ihr schiebt die Schuld von allen
Nur auf den Himmel droben, als ob seiner
Bewegung jegliches gehorchen müßte.
Vernichtet wäre, wenn sich's so verhielte,
In euch die Willensfreiheit, und nicht Recht,
Daß Gutem Lohn und Bösem Strafe nachfolgt.
Der Regung Anbeginn kommt euch vom Himmel;
Nicht jeder Regung sag' ich, sagt' ich's aber,
So ward euch Licht für Gutes und für Böses
Und freier Wille, der, wenn auch ihm Mühe
Die ersten Kämpfe mit dem Himmel kosten,
Wird er gekräftigt, alles überwindet.
Denn größ're Kraft und bessere Natur
Regiert als Freie euch, von dieser habt ihr
Die Seele, der der Himmel nicht gebietet.
Drum, wenn die Welt vom rechten Weg itzt abirrt,
So liegt der Grund in euch, bei euch nur sucht ihn;
Davon will ich dir wahre Kundschaft geben.
Aus dessen Hand, der liebend sie betrachtet
Eh sie noch ist, geht, einem Kinde gleich,
Das mit dem Weinen spielt, wie mit dem Lachen,
Hervor die Seele, die in Einfalt nichts weiß,
Als daß, entsprossen einem frohen Schöpfer,
Sie gern zu dem was sie ergötzt sich wendet.
Erst findet sie Geschmack an kleinem Gute,
Das sie nur täuscht; doch eilt sie es zu haschen,
Wenn ihre Lust nicht Zaum noch Führer wenden.
Drum war der Zügel des Gesetzes nötig;
Drum mußt' ein König sein, daß er den Turm
Der wahren Stadt doch mindestens erkenne.
Gesetze gibt's, doch wer ist's der sie handhabt?
Nicht einer; weil der Hirte, der vorangeht,
Wohl wiederkäut, doch nicht die Klauen spaltet.
[211]
Sieht nun das Volk den Führer nach dem Gute
Nur trachten, das es selber lüstern macht,
So nährt sich's d'ran und sehnt sich nicht nach and'rem.
Erkennen kannst du, daß die schlechte Leitung
Die Ursach ist, warum die Welt so schlecht ward,
Und nicht in euch entartete Natur.
Das Rom, das einst die Welt zum Guten lenkte,
Zwei Sonnen hatte es, die beide Wege,
Den für die Welt und den zu Gott hin, zeigten.
Nun hat die eine ausgelöscht die andre,
Verbunden ist das Schwert dem Hirtenstabe;
Und weil, vereint, nicht eins das andre fürchtet,
Bringt ihr Zusammengehn notwendig Schaden.
Glaubst du mir nicht, so sieh' nur auf die Ähren,
Denn jedes Kraut kennt man an seinem Samen.
Im Lande, welches Etsch und Po benetzen,
War Tapferkeit und Rittersinn zu Hause,
Eh Friedrich seinen Zwist dort ausgefochten.
Jetzt könnte unbesorgt das Land durchreisen,
Wen etwa Scham bewöge, die Begegnung
Und das Gespräch der Guten zu vermeiden.
Noch leben dort drei Greise, als ein Vorwurf
Der alten an die neue Zeit; sie hoffen,
Daß Gott sie bald zu bess'rem Leben rufe:
Der gute Gerhard, Conrad da Palazzo
Und Guido da Castel: ich nenn' ihn lieber
Nach Frankenart, den einfachen Lombarden.
Nun magst du sagen, daß die Kirche Rom's
In sich vereinend die zwei Regimente,
Zur Erde fällt, sich und die Last beschmutzend. –
Mein Marco, sagt' ich drauf, du folgerst richtig,
Und nun erkenn' ich, warum von dem Erbe
Die Kinder Levi ausgeschlossen wurden;
Doch welcher Gerhard ist's, von dem du sagest,
Daß er, als Prob' erloschener Geschlechter,
Ein Vorwurf unsrer Zeit blieb, die verwildert? –
[212]
Entweder täuschet, oder prüft dein Wort mich,
Antwortet' er, wenn du, toskanisch redend,
Vom guten Gerhard nichts zu wissen scheinest.
Ich kenn' ihn unter keinem andren Namen,
Nähm' ich ihn nicht von seiner Tochter Gaja.
Gott sei mit euch; nun folg ich euch nicht weiter.
Sieh' wie die Helle schimmernd durch den Rauch
Schon leuchtet; Zeit ist's, daß ich euch verlasse,
Eh mich der Engel sieht, der dort verweilet. –
So kehrt' er um und wollte nichts mehr hören.
Siebzehnter Gesang
Erinn're Leser dich, wenn im Gebirge
Dich je ein Nebel überfiel, durch den du
Nicht anders sahst, als durch das Fell der Maulwurf,
Wie dann, wenn erst die dichten feuchten Dünste
Zu lockern sich beginnen, schwachen Scheines
Das Licht der Sonnenscheibe durch sie eindringt,
Dann wird es ohne Mühe dir gelingen,
Dir vorzustellen, wie zuerst die Sonne
Ich wiedersah, die eben unterging.
So trat ich, nach des Meisters sich'ren Schritten
Mich richtend, aus der Wolke in die Strahlen,
Die schon am nied'ren Uferrand erstarben.
Einbildungskraft, die du uns manches Mal
Uns selber so entrückst, daß wirs nicht hörten,
Ob um uns tausendfach Posaunen klängen,
Wer regt dich an, da dich der Sinn nicht wachruft? –
Ein Licht ist's, das bald aus sich selbst der Himmel
Gebildet, bald ein höhrer Wille sendet.
In meiner Vorstellung erschien ein Abbild
Der Bosheit jener, die sich in den Vogel
Verwandelt, den zumeist erfreut das Singen.
Und so sehr war in sich zurückgezogen
[213]
Mein Geist, daß keine Art von äuß'rem Eindruck
Er damals in sich aufgenommen hätte.
Es stürzte in die hohe Phantasie
Dann ein Gekreuzigter, nach seinem Aussehn
Stolz und erzürnt, und ebenso verschied er.
Es standen um ihn Ahasver, der große,
Esther, die Königin, und Mardochai,
Der so gerecht im Handeln war und Reden.
Als dann dies Bild von selbst, wie es gekommen,
Verschwunden war, gleichwie, sobald das Wasser,
Das sie umhüllte, fehlt, zerspringt die Blase,
Erschien in meiner Vision ein Mädchen,
Das heftig weinend rief, o Königin,
Warum hast zürnend du dich selbst vernichtet?
Lavinien nicht zu lassen, tötetest
Du dich; jetzt hast du mich verlassen, Mutter,
Und deinen Sturz betraur' ich vor dem fremden. –
So wie der Schlaf, wenn er vom neuen Lichte,
Das plötzlich die geschloss'nen Augen trifft,
Verscheucht wird, eh' er ganz entschwindet, nachzuckt,
Also versanken diese inn'ren Bilder,
Sobald ein Lichtglanz mir das Antlitz traf,
Um vieles größer, als wir ihn gewohnt sind.
Ich wandte mich zu sehen, wo ich wäre;
Da hört' ich sagen: Hier steigt man hinauf. –
Darob vergaß ich jedes andre Denken.
Und so begierig wurde mein Verlangen,
Mit Augen den zu sehn, der so gesprochen,
Daß nicht geruht es, ohn' Erfüllung, hätte.
Doch wie die Sonne unsren Blick bewältigt
Und uns ihr Bild durch Übermaß verschleiert,
So reichte dort auch meine Kraft nicht hin.
Ein gottgesandter Geist, der ungebeten
Den Weg hinaufzugehn uns anweist, ist es
Und er verbirgt sich in dem eignen Lichte.
Er hilft uns so, wie jedermann sich selber;
[214]
Denn, wer die Not sieht, und auf Bitten wartet,
Der denkt böswillig schon an das Verweigern.
Laß solcher Ladung uns'ren Fuß denn folgen.
Beschleun'gen wir das Steigen, eh' es Nacht wird;
Unmöglich wär's nachher bis Tages Anbruch. –
So sprach mein Führer und die Schritte wandten
Wir beide, er und ich, der Treppe zu,
Und als ich kaum erreicht die erste Stufe,
Fühlt' ich mir nahe wie ein Flügelschlagen,
Gleich Windshauch im Gesicht, und: selig sind,
Die ohne Zorn friedfertig sind –, so tönt' es. –
Schon waren über uns die letzten Strahlen,
Auf welche dann die Nacht folgt, so erhaben,
Daß Sterne hin und wieder uns erschienen,
O meine Kraft, was schwindest du mir so? –
Sagt' ich zu mir, als ich die Kraft der Füße
So unerwartet mir versagen fühlte.
Wir waren da, wo nicht weiter aufwärts
Die Treppe steigt, und fühlten uns gehalten
Dem Schiffe gleich, das auf den Strand gelaufen.
Erst horcht' ich eine Weile, ob vielleicht
Im neuen Kreis' ich etwas hören möchte.
Dann sagt' ich, meinem Meister zugewendet:
O süßer Vater, welche Übertretung
Wird in dem Kreis gebüßt, in dem wir weilen?
Nicht ruhe, ruht der Fuß, auch deine Rede. –
Und er zu mir: Ergänzt wird hier die Liebe
Zum Guten, die an's Maß der Pflicht nicht reichte;
Hier schlägt man neu das schlaff geführte Ruder.
Doch, daß noch völliger du mich verstehest,
So wende deinen Geist mir zu; ergiebig
An guter Frucht wird dann dir unser Weilen.
So wenig das Geschöpf, als wie der Schöpfer
War, wie du selber weißt, je ohne Liebe,
Die bald Natur und bald der Wille einflößt.
Die Liebe von Natur kann niemals irren;
[215]
Die andre kann es wegen schlechten Zieles
Und allzu schwacher und zu großer Kraft.
Ist auf die ersten Güter sie gerichtet,
Und hält sie in den niedren rechtes Maß,
So kann sie nimmer schlechte Lust erzeugen;
Doch, kehrt sie sich zum Bösen, oder strebt sie
Zum Guten übereifrig oder lässig,
So wirkt dem Schöpfer das Geschöpf entgegen.
Hieraus kannst du entnehmen, daß die Liebe
In euch der Samen ist jedweder Tugend
Und jeder Handlung, welche Strafe fordert.
Weil nun die Liebe nimmer von dem Heile
Der eignen Wesenheit sich wenden kann,
Sind vor dem Selbsthaß alle Dinge sicher.
Und weil kein Wesen sich getrennt vom höchsten
Und nur auf sich beruhend, denken läßt,
Kann sich der Haß nie gegen jenes kehren.
So bleibt denn, teil' ich anders richtig ein,
Daß man des Nächsten Unheil liebt, und dreifach
Kann solche Lieb' entstehn in eurem Staube.
Der eine hofft vom Niedergang des Nächsten
Die eigene Erhebung und wünscht deshalb
Herabgedrückt von seiner Höhe jenen.
Der andre fürchtet, Macht, Gunst, Ruhm und Ehre,
Sobald der Nächste aufsteigt, zu verlieren,
Und scheut dies so, daß er ihm Unheil anwünscht.
Der Dritte fühlt sich durch Beleidigung
So sehr beschämt, daß er nach Rache dürstet
Und deshalb auf des Nachbarn Übel sinnet.
Solch' dreifach falsche Liebe wird hier unten
Beweint; doch sollst du nun von der vernehmen,
Die mit unricht'gem Maß zum Guten strebt.
Ein Gut nimmt jeder wahr, ob auch verworren,
In dem Befriedigung die Seele finde,
Weshalb jedweder strebt, dies zu erreichen.
Ist lässig eure Lieb' es zu erkennen,
[216]
Ist sie es im Erwerben, so bestraft euch,
Nachdem ihr recht bereu't habt, dieser Kreis.
Noch gibt es Güter, die nicht glücklich machen,
Die nicht das Heil sind, nicht der gute Keim,
In welchem alle guten Früchte wurzeln.
Geht solchem Gut zu sehr die Liebe nach,
Wird über uns beweint sie in drei Kreisen.
Warum indes die Büßung dreigeteilt ist,
Verschweig' ich, daß du selber es erkundest. –
Achtzehnter Gesang
Es hatte seine Rede abgeschlossen
Der hohe Lehrer und nun blickt' er forschend
In's Auge mir, ob ich zufrieden scheine.
Doch ich, gestachelt noch von neuem Durste
Schwieg äußerlich und sagte bei mir selber:
Vielleicht beschwert ihn mein zu vieles Fragen. –
Doch der wahrhafte Vater, der erkannte,
Was zaghaft ich begehrte und nicht aussprach,
Gab Mut zum Reden mir durch seine Rede.
Drum sagt' ich: Meister, so belebt mein Schauen
In deinem Licht sich, daß ich klar erkenne,
Was deine Rede schildert und entwickelt.
Drum bitt' ich dich, geliebter, süßer Vater,
Daß du die Liebe mir erklärst, auf welche
Du gute, sowie schlechte Tat zurückführst. –
So richte denn des Geistes scharfes Auge
Auf mich, so sagt' er, und dir offenbart sich
Der Blinden Irrtum, die sich Führer nennen.
Der Wille, von Natur geneigt zum Lieben,
Wird leicht bewegt von allem das gefällt,
Sobald zur Tat ihn das Gefallen weckte.
Von einem wahren Gegenstand entnimmt
Ein Abbild eure Auffassung, entwickelt
[217]
Es innerlich und zieht zu ihm den Willen.
Wenn der gezogne dann sich zu ihm hinneigt,
Heißt Liebe dieser Zug und ist Natur,
Die das Gefallen neu mit euch verbunden.
Dann, wie das Feuer sich zur Höhe wendet
Nach seinem Wesen, das dorthin zu steigen
Bestimmt ist, wo sein Stoff am längsten dauert,
Faßt den ergriff'nen Willen ein Verlangen,
Das geistige Bewegung ist, und diese
Ruht nicht, bis sich ihm, was er liebt, gewähret.
Einleuchten kann dir nun, wie tief verborgen
Die Wahrheit denen ist, die da behaupten,
Jedwede Liebe sei an sich schon löblich.
Denn, wenn auch immer gut der Stoff der Liebe
Erscheinen mag, ist doch nicht jedes Siegel
Schon gut, weil es in gutes Wachs gedrückt ward. –
Wohl hat dein Wort und mein folgsames Denken,
Antwortet' ich, die Liebe mir enthüllet;
Doch ward ich drum noch schwangerer an Zweifeln.
Denn, wenn die Liebe uns von außen kommt
Und nur durch sie die Seele sich bewegt,
So ist des Weges Wahl nicht ihr Verdienst. –
Und er zu mir: Was die Vernunft ergründet,
Kann ich dir sagen; weiteres erwarte
Nur von Beatrix, das ist Glaubenssache.
Besondre, ihr nur eigne, Kraft hat jede
Substantielle Form an sich gebunden,
Die frei vom Stoff und doch mit ihm vereint ist.
Man nimmt sie wahr, erst wenn sie sich betätigt;
Ihr Dasein zeigt sie nur in ihrer Wirkung,
Wie grünes Laub des Baumes Leben zeigt.
Drum weiß kein Mensch, woher ihm die Erkenntnis
Der Urbegriffe kam, woher die Neigung
Zu des Verlangens ersten Gegenständen,
Die euch bestimmt, sowie der Trieb die Biene,
Daß Honig sie erzeugt. Solch' erste Neigung
[218]
Verdient das Lob so wenig als den Tadel.
Damit nun ihr sich jede andre eine,
Ward angeboren euch des Rates Gabe,
Daß des Entschlusses Schwelle sie bewache.
Sie ist der Quell, und je nachdem die gute
Und schlechte Liebe sie ergreift und sichtet,
Ist sie in euch die Ursach des Verdienstes.
Die Denker, die am tiefsten eingedrungen,
Erkannten wohl die angeborne Freiheit;
Drum ließen sie der Welt die Sittenlehre.
Gesetzt nun auch, daß mit Notwendigkeit
Jedwede Liebe sich in euch entflamme,
So liegt in eurer Macht doch, sie zu halten.
Die Willensfreiheit ist es, die Beatrix
Als »edle Kraft« bezeichnet; denke dessen,
Wenn sie zu dir von diesen Fragen redet. –
Der Mond, der fast bis Mitternacht schon säumte,
Und einem Eimer glich, der ganz erglühet,
Ließ uns die Sterne seltener erscheinen.
Dem Himmelslauf entgegen zog die Bahn er,
Wo dann die Sonne flammet, wenn der Römer
Sie zwischen Korsen sinken sieht und Sardern.
Der holde Schatten aber, dessentwillen
Man Pietola mehr nennt als Mantova,
Entlastet hatt' er sich von meiner Bürde.
Und ich, der ich bestimmt' und klare Auskunft
Auf meine Fragen nun geerntet hatte,
Stand wie wer schlafbefangen Träumen nachhängt.
Doch wurd' ich diesem Halbschlaf schnell entrissen
Durch Leute, welche hinter unsrem Rücken
Uns zugewandt mit raschen Schritten eilten.
Wie einst des Nachts Asopus und Ismenus
Gedräng' an ihrem Ufer sahn und Auflauf,
Wenn Bacchus' Hilfe die Thebaner brauchten,
So schleunigten in diesem Kreis die Schritte,
Wie ich an diesen wahrnahm, all' die Seelen,
[219]
Die guter Will' und rechte Liebe spornen.
Bald hatt' uns eingeholt die ganze Schar,
Weil schnellen Lauf's sie alle sich bewegten,
Und weinend riefen laut die beiden ersten:
Auf das Gebirge ging Maria eilig,
Und um Ilerda zu bezwingen, traf
Massilien Cäsar und flog dann nach Spanien. –
Nur rasch, nur rasch, um nicht aus Liebesmangel
Zeit zu verlieren, riefen all' die andren;
Damit am Eifer neu die Gnad' ergrüne. –
O Schatten, die ihr jetzt durch Glut des Eifers
Das Säumen und die Lässigkeit ergänzet,
Womit ihr lau im Gutestun gewesen!
Sobald die Sonne wieder scheint will dieser,
Der lebt (wahrhaftig ist mein Wort) hinaufgehn;
Drum weis't uns, wo der Eingang ist hier nahe. –
Dies waren Worte, die mein Führer sagte,
Und einer jener Geister sprach: So folge
Uns nach, dann findest du die Felsenspalte.
Vom Trieb zur Eile sind wir so durchdrungen,
Daß wir nicht weilen können; drum verzeihe,
Wenn, wo wir recht tun, wir unhöflich scheinen.
Abt war ich von Sankt Zeno in Verona,
Als Kaiser war der gute Barbarossa,
Von welchem Mailand weinend noch berichtet.
Schon hat den einen Fuß im Grabe jemand,
Der wegen jenes Klosters baldigst weinen
Und trauern wird, daß er dort Macht besessen,
Weil seinen Sohn er, der am Leib und ärger
Am Geist verkrüppelt ist und schlecht zur Welt kam,
Einsetzte an den Platz des wahren Hirten. –
Ob er noch mehr sprach oder ob er schwieg,
Das weiß ich nicht, denn schon war er vorüber;
Dies aber hört' ich und dies wollt' ich merken.
Und der in jeder Not mir Hilfe war,
Rief aus: Sieh hierher; horch, wie jene Beiden
[220]
Die Lässigkeit mit herben Worten geißeln. –
Sie riefen allen nach: Aussterben mußte
Das ganze Volk, vor dem das Meer sich auftat,
Bevor der Jordan seine Erben sah.
Und die die Mühsal nicht bis an das Ende
Ertrugen mit dem Sohne des Anchises,
Bereiteten sich selbst ruhmlosen Tod. –
Als nun so fern uns jene Schatten waren,
Daß sie der Blick nicht mehr erreichte, stiegen
Gedanken neuen Inhalt's in mir auf.
Draus keimten wieder andre mannigfaltig
Und von dem einen irrt' ich so zum andren
Daß vor Behagen ich die Augen schloß
Und die Gedanken mir zu Träumen wurden.
Neunzehnter Gesang
Zur Stunde, wo des Tages Glut, bezwungen
Vom Frost der Erd' und manchmal des Saturn,
Des Mondes Kälte nicht mehr mindern kann,
Und wo ihr »großes Glück« die Geomanten
Im Osten vor der Dämmerung auf Wegen
Aufsteigen sehn, wo bald das Dunkel schwindet,
Erschien im Traume mir ein stammelnd Weib
Mit schielem Blick und mißgestalten Beinen,
Von bleicher Farbe und gelähmten Händen.
Ich sah sie an, und wie die Sonne Glieder,
Die nächt'ger Frost erstarrt hat, wieder kräftigt,
So ward von meinen Blicken ihre Zunge
Gelöst; dann richtete in kurzer Weile
Sie sich empor, und wie's die Liebe wünschet,
So färbten sie ihr das erbleichte Antlitz.
Als so die Redekraft sie neu gewonnen,
Begann mit solcher Süße sie zu singen,
Daß ungern abgewandt mein Ohr ich hätte.
[221]
Sie sang: Ich bin die liebliche Sirene,
Die Schiffer auf dem hohen Meer betöret,
So wonnig ist es, meinem Sang zu lauschen.
Von seiner Irrfahrt wandte den Ulysses
Mein Singen ab; wer sich mit mir befreundet
Verläßt mich kaum, weil ganz ich ihn beglücke. –
Geschlossen hatte sie noch nicht den Mund,
Als neben mir ein heil'ges Weib ich sah,
Die jene zu beschämen sich beeilte.
Virgil, so sprach sie zürnend, o Virgil,
Wer ist dies Weib? – Doch seine Augen ruhten
Im Gehen unverwandt auf jener Reinen.
Da griff sie nach der andren und zerriß ihr
Die Kleider vorn, den nackten Leib mir zeigend;
Dann weckte mich der Stank, der von ihm ausging.
Die Augen wandt' ich und: Schon mehr als dreimal
Rief ich, steh auf und komm! (so sprach Virgil)
Erspähen wir den Spalt, durch den du eintrittst. –
Ich richtete mich auf; vom hohen Tage
Erfüllt war jeder Kreis des heil'gen Berges.
Dann gingen wir, die junge Sonn' im Rücken.
Als ich ihm folgte, trug ich meine Stirne
Wie einer, dem sie schwer ist von Gedanken,
So daß er gleicht dem halben Brückenbogen.
Da hört' ich sanft und mit so güt'gem Tone,
Als hier im Reich der Sterblichkeit man niemals
Vernimmt, uns rufen: Kommt, hier ist der Eingang. –
Es schlug, der so gesprochen, die zwei Flügel,
Gleich Schwanenflügeln auf, und wies uns zwischen
Den beiden Wänden des Gestein's nach oben.
Dann regt' er das Gefieder, uns zu fächeln,
Indem er selig, die da trauern, pries,
Weil ihre Seele reich an Troste sein wird.
Was ist dir, daß du nur zu Boden blickest? –
Begann mein Führer, als wir beide wenig
Vom Engel erst emporgestiegen waren.
[222]
Und ich: So fesselt mich ein neu Gesicht,
Daß sein zu denken ich nicht lassen kann;
Deswegen geh ich so in mich versunken. –
Du sahst, entgegnet' er, die alte Zaub'rin,
Um die allein noch über uns man weinet.
Du sahst auch, wie der Mensch von ihr sich losmacht.
Genüg' es dir, und tritt mit rüst'gem Fuß auf,
Blick' auf die Lockung, die der ew'ge König
Dir, kreisend in den großen Rädern, zeigt. –
So wie der Falk, der auf die Füße schaute,
Sich auf den Ruf des Falkners streckt und wendet,
Weil dorthin die Begier nach Fraß ihn zieht,
Tat ich, und also ging, solang' der Felsen
Zum Pfade sich für den, der aufsteigt, spaltet,
Bis wo der neue Ring ist, ich empor.
Als offenbar mir ward der fünfte Kreis
Sah Leute ich in ihm am Boden liegend,
Das Angesicht nach unten, welche weinten.
Es hat am Staub gehaftet meine Seele –
Hört' ich sie sagen, mit so tiefen Seufzern,
Daß man die Worte kaum vernehmen konnte.
O ihr Erkornen Gottes, deren Leiden
Sowohl Gerechtigkeit als Hoffnung mildern,
Weis't uns den Weg, den Berg emporzusteigen. –
Kommt von der Pflicht zu liegen frei ihr her
Und wollet ihr den Weg bildmöglichst finden,
So kehrt nach außen stets die rechte Seite. –
So frug Virgil und so ward wenig vor uns
Zur Antwort ihm erteilt und ich erriet
Was noch verhüllt mir war, an seiner Rede.
Die Augen wandt' ich da zu meinem Herrn;
Er aber willigte mit heit'rem Winke
In das, was sichtbar mein Verlangen bat.
Als, was ich wollte, mir zu tun erlaubt war,
Stellt' ich mich über jenem Schatten auf,
Den seine Worte kenntlich mir gemacht,
[223]
Und sagte: Geist, der weinend jene Buße
Beschleunigt, die allein zu Gott zurückführt,
Verschieb' ein wenig deine höchste Sorge!
Sag' an, wer warst du, und warum die Rücken
Emporgewandt ihr habt, soll etwas dort,
Woher ich lebend kam, ich dir erwirken. –
Und er: Weshalb der Himmel unsre Rücken
Sich zugekehrt, künd' ich dir; jedoch zuvor
Vernimm, daß ich Nachfolger Petri war.
Ein schönes Flußtal senkt sich zwischen Sestri
Und Chiavari zum Meer, mit dessen Namen
Des Ranges Höhe mein Geschlecht bezeichnet.
Kaum mehr, als einen Monat lang erfuhr ich,
Dem, der ihn reinhält, sei der große Mantel
So schwer, daß leicht die andren Lasten scheinen.
Zu Gott bekehrt' ich leider mich gar spät;
Doch als ich Hirte war von Rom geworden,
Erkannt' ich, wie so lügenhaft das Leben.
Ich sah, wie dort das Herz nicht Ruhe finde;
Und als ich jenes Lebens höchste Stufe
Erreicht, entbrannt' in Liebe ich für dieses.
Elend war meine Seele bis dahin,
Von Gott geschieden und dem Geiz verfallen;
Hier werd' ich drum, so wie du siehst, gezüchtigt.
Des Geizes Wirkung wird hier an der Buße
Der Seelen offenbar, die sich bekehrten;
Und keine Straf' auf diesem Berg' ist bittrer.
Wie unser Auge von den ird'schen Dingen
Befangen, sich nicht himmelwärts erhoben,
So senkt Gerechtigkeit es hier zur Erde.
Und wie der Geiz die Liebe zu dem Bess'ren
In uns erstickt, am Gutestun uns hindernd,
So hält Gerechtigkeit uns hier gebunden,
An Händen und an Füßen eng gefesselt.
Wir bleiben regungslos hier ausgestreckt
So lang' es dem gerechten Herrn gefällt. –
[224]
In's Knie gesunken wollt' ich eben reden;
Doch als ich anfing und er am Gehör nur
Die ehrerbietige Gebärde wahrnahm,
Frug er: Aus welchem Grunde neig'st du dich? –
Und ich zu ihm: Um eurer Würde willen
Hieß, so zu tun mich Stehnden mein Gewissen. –
Erhebe Bruder dich und stehe aufrecht;
Laß dich nicht irren, sagt' er, nur ein Mitknecht
Desselben Herrn bin ich mit dir und allen.
Vernahmst du je das Wort des heil'gen Buches,
Daß nach dem Tode sie nicht freien werden,
So kannst du sehn, warum ich also rede.
Nun aber geh, nicht länger sollst du bleiben;
Denn dein Verweilen hindert meine Tränen,
Mit denen ich, was du gesagt, beschleun'ge.
Die Nichte, die ich dort verließ, Alagia,
Ist gut an sich, wenn durch sein schlimmes Beispiel
Nicht mein Geschlecht zum Bösen sie verleitet,
Und sie allein ist jenseits mir geblieben. –
Zwanzigster Gesang
Schwer kämpft der Wille wider bess'ren Willen;
Deshalb zog, ungern zwar, ihm zu Gefallen
Den Schwamm ich ungesättigt aus dem Wasser.
Ich ging, und auf dem freien Boden setzte
Die Füße längs der Felsenwand mein Führer,
Wie man auf Mauern nächst den Zinnen geht.
Denn jene Schar, aus deren Aug' in Tropfen
Das Übel abfließt, das die Welt erfüllt,
Naht jenseits sich zu sehr dem äußern Rande.
Vermaledeiet sei'st du, alte Wölfin,
Die du mehr Beute hast als andre Tiere,
Weil ewig unersättlich ist dein Hunger!
O Himmel, dessen Kreisen man die Wandlung
[225]
Der irdischen Begebenheiten zuschreibt,
Wann wird der kommen, dem dies Tier muß weichen?
Nur klein und langsam waren unsre Schritte;
Ich aber ging und merkte auf die Schatten,
Die rührend klagen ich und weinen hörte.
Zufällig hört' ich vor uns: O Maria,
Du süße! – unter Tränen also rufen,
Wie wohl ein Weib es tut in Kindesnöten.
Ich hörte weiter: Wie so arm du warest,
Das offenbart der Stall uns und die Krippe,
Worin du deine heil'ge Bürde legtest. –
Sodann vernahm ich: Wackerer Fabricius,
Du wolltest lieber mit der Armut Tugend,
Als mit der Sünde großen Reichtum haben. –
So hatten diese Worte mir gefallen,
Daß, um vom Geist, der scheinbar sie gesprochen,
Genau'res zu vernehmen, ich voranschritt.
Noch redete der Geist von den Geschenken,
Die den drei Jungfrau'n Nikolaus machte,
Zur Ehrbarkeit zu leiten ihre Jugend.
O Seele, die so löblich redet, sagt' ich,
Sag' an mir, wer du warst, sag' an, warum
Nur du so wohl verdientes Lob erneuerst?
Nicht unbelohnt soll deine Antwort bleiben,
Denn um des Lebens, das zum Ziel dahinfliegt,
Weg zu vollenden, kehre ich zurück. –
Und er: Du sollst es hören; nicht der Hilfe,
Die ich von dort erwarte, halber, sondern
Weil eh' du starbst, dir so viel Gnade leuchtet:
Ich war die Wurzel jenes argen Baumes,
Der alles Land der Christenheit verdumpfet,
So daß es selten gute Frucht gewährt.
Doch hätten Douay, Lille, Gent und Brügge
Nur Macht genug, so folgte bald die Rache,
Die ich von dem, der alles richtet, fordre.
Man nannte mich dort jenseits Hugo Capet,
[226]
Die Ludwig's zeugt' ich alle und die Philipp's,
Von denen Frankreich neuerdings regiert ward;
Mein Vater war ein Schlächter in Paris.
Als, bis auf einen, der die Kutte trug,
Erloschen war das Haus der alten Fürsten,
Fand ich in meiner Hand der Herrschaft Zügel
So sicher ruh'n so große Kraft zu neuem
Erwerbe und an Freunden solche Fülle,
Daß meinem Sohn des Reichs verwaiste Krone
Auf's Haupt gesetzt ward, und mit ihm begann
Die Reihe der gesalbten Schädel jener.
Solange meinem Blut die große Mitgift
Von ganz Provence nicht die Scham benommen,
Taugt' es nicht viel, doch tat es keinen Schaden.
Erst da begann es mit Gewalt und Lüge
Den Länderraub, und nahm sich dann zur Buße
Ponthieu, Gascogne und die Normandie.
Karl zog nach Wälschland, und den Conradin
Ermordet' er zur Buße und nicht minder
Schickt er zur Buße Thomas in den Himmel.
Nicht fern von heute seh' ich eine Zeit,
Da zieht ein andrer Karl von Frankreich aus,
Sich und die Seinen besser noch zu zeichnen.
Er kommt allein und waffenlos; die Lanze,
Die Judas führte, legt er ein, und Florenz
Trifft er damit, daß dessen Wanst zerberstet.
Nicht Landbesitz, wohl aber Schuld und Schande
Wird er gewinnen, um so schwerer wiegend,
Je weniger er solchen Schaden achtet.
Verhandeln wird der Dritte, der schon auszog
Und dann zu Schiff gefangen ward, die Tochter,
Wie die Korsaren tun mit andren Mägden.
O Geiz, was kannst du Schlimm'res noch bewirken,
Da du so sehr gefesselt mein Geschlecht,
Daß es das eigne Fleisch und Blut nicht achtet?
Daß alte Schuld und künft'ge minder scheine,
[227]
Seh' ich die Lilien in Anagni einziehn
Und im Statthalter Christum selber fangen.
Verspottet seh' ich ihn zum zweitenmal,
Essig und Gall' erneuern sich, und zwischen
Lebend'gen Schächern seh' ich ihn getötet.
So wild seh' ich den heutigen Pilatus,
Daß hiervon noch nicht satt, er unberufen
Mit gier'gem Segel in den Tempel eindringt.
O Herr des Himmels, wann werd' ich erfreut sein,
Die Rache zu gewahren, die, in deinem
Geheimnis schlafend, deinen Zorn versüßt?
Was von der einz'gen Braut des heil'gen Geistes
Vorhin ich sagte, und was dich bewog,
Um weit're Auskunft dich an mich zu wenden,
Das ist auf alle unsre Bitten Antwort
So lang' es Tag ist; aber bricht die Nacht ein,
Bedienen wir uns umgekehrter Rede.
Pygmalion's gedenken wir alsdann,
Der Dieb, Verräter und Verwandtenmörder
Durch seine Lüsternheit nach Golde wurde;
Des geiz'gen Midas auch und seines Elends,
Das ihm erwuchs aus seinem gier'gen Wunsche,
Der heute noch zum Lachen jeden reizt.
Des tör'gen Achan auch gedenkt ein jeder,
Der von der Beute stahl, weshalb es scheint,
Daß Josua's Zorn selbst hier ihn noch erreiche.
Mit ihrem Mann verklagen wir Sapphira;
Die Tritte preisen wir, die Heliodor
Erlitt, und Polymnestor wird mit Schande
Ringsum genannt, der Polydor gemordet.
Zuletzt noch wird von uns gerufen: Crassus,
Sag' an, wie schmeckt das Gold, du mußt es wissen.
So wie mit mehr und minder raschem Schritte
Zu gehn uns Inbrunst anspornt, also redet
Der eine lauter und der andre leiser.
Drum war zum Guten, das wir Tages reden,
[228]
Vorhin ich nicht allein; nur daß hier nahe
Kein andrer seine Stimme laut erhob. –
Schon hatten wir ihn hinter uns gelassen,
Bemüht, so viel als unsre Kraft erlaubte,
Von jenem engen Pfad zurückzulegen,
Als ich den Berg, wie wenn ein Sturz geschähe,
Erbeben fühlte; drob mich Frost befiel,
Wie den zu tun pflegt, der zum Tod geführt wird.
Gewiß, so sehr erzitterte nicht Delos,
Eh' sich Latona dort ihr Nest bereitet,
Um beide Himmelsaugen zu gebären.
Darauf erhob sich rings ein Ruf, so mächtig,
Daß: Fürchte nicht, wenn ich dich führe, sagend, –
Der Meister zu mir trat, mich zu beruh'gen.
»Gott in der Höh sei Ehre« sagten alle,
Soviel von denen ich, die mir so nahe,
Daß ich den Ruf verstand, entnehmen konnte.
Wir standen regungslos und zweifelnd, gleich
Den Hirten, die zuerst dies Lied vernahmen,
Bis es verklang und bis das Beben nachließ.
Dann setzten wir die heil'ge Wandrung fort,
Die Schatten anschau'nd, die am Boden lagen
Und die gewohnten Klagen neu begannen.
Und wenn mich die Erinnerung nicht täuscht,
Bekämpfte nimmer mich Unwissenheit
Mit solchem Trieb, Belehrung zu erlangen,
Als damals ich in meinem Denken fühlte.
Und weder wagt' ich, ob der Eil zu fragen,
Noch wußt' ich Auskunft bei mir selbst zu finden;
Drum ging ich scheu und in Gedanken weiter.
[229] Einundzwanzigster Gesang
Es quälte mich der angeborne Durst,
Der nie gesättigt wird, als durch das Wasser,
Das sich die Samariterin erbat;
Zugleich fühlt' ich, ob der gerechten Rache
Mitleid empfindend, auf dem engen Pfade,
Dem Führer nach, zur Eile mich getrieben,
Da, siehe, so wie Lucas uns beschreibt,
Daß, schon erstanden aus der Grabeshöhle,
Christus den Zweien auf dem Weg' erschien,
So wurde hinter uns ein Schatten sichtbar,
Der nieder auf die Schar, die da lag, blickte;
Doch eh' er sprach, bemerkten wir ihn nicht.
Gott geb' euch Frieden, sagt' er, meine Brüder! –
Da wandten wir uns eilig und Virgil
Entgegnete mit grüßender Gebärde.
Darauf begann er: Möge dich in Frieden
Zur Schar der Seel'gen Gottes Wahrspruch führen,
Der mich verweist in ewige Verbannung. –
Wie, sagte jener, während scharf wir gingen,
Seid Schatten ihr, die droben Gott nicht zuläßt;
Wer führte bis hierher euch seine Treppe? –
Mein Lehrer drauf: Beachtest du die Male,
Die dieser trägt und die der Engel zeichnet,
So siehst du, mit den Guten soll er herrschen.
Weil aber, die da spinnt bei Nacht und Tage,
Ihm noch nicht leer gemacht den Wocken hatte,
Den Klotho jedem aufsteckt und zurechtmacht,
War seine Seele, dein' und meine Schwester,
Den Berg herauf allein zu gehn nicht fähig;
Denn, so wie wir, vermag er nicht zu schauen.
Entnommen ward ich drum dem weiten Schlunde
Der Hölle, das, wofür mein Wissen ausreicht,
Ihm auszudeuten und so werd' ich ferner.
[230]
Doch sag' uns, weißt du es, warum vorhin
Der Berg so bebt' und bis zu seinem Fuße,
Dem feuchten, überall ein Ruf ertönte. –
So traf in's Nadelöhr er mein Verlangen
Durch seine Frage, daß schon durch die Hoffnung
Gemindert war das Brennen meines Durstes.
Und jener drauf: Des Berg's geweihte Weise
Gestattet nichts, was außerhalb der Ordnung
Und außer dem Gebrauch des Ortes wäre;
Von jedem Wechsel frei sind diese Räume.
Nur was der Himmel aus sich selbst empfängt,
Kann hier noch Wirkung üben; andres nimmer.
Denn oberhalb der Treppe von drei Stufen
Fällt weder Regen je, noch Schnee und Hagel,
Auch tauet es so wenig, als es reift.
Nicht dichte Wolken gibt es hier, noch lockre;
Kein Wetterleuchten sehn wir, noch die Tochter
Des Thaumas, die bei euch den Stand oft wechselt.
Kein trockner Dunst steigt weiter als zur höchsten
Von jenen Stufen, die dem Stellvertreter
Sankt Petri dient als seiner Füße Schemel.
Dort unten bebt es wohl mehr oder minder;
Doch wegen Windes, der, ich weiß nicht wie,
Sich in der Erde birgt, bebt hier es nimmer.
Hier bebt der Berg, fühlt rein sich eine Seele
Sich zu erheben, oder aufzuschwingen,
Und dann gibt das Geleit ihr jener Ruf.
Der Reinheit Prüfstein ist allein der Wille,
Der, ist die Seel' erst frei den Ort zu wechseln,
Sie plötzlich faßt und zum Entschluß ihr Kraft leiht.
Auch früher will sie wohl; doch nicht gestattet's
Die Lust, die an der Qual (wie einst am Sündigen)
Die göttliche Gerechtigkeit ihr einflößt.
Und ich, der ich fünfhundert Jahr und länger
In diesen Schmerzen lag, empfand erst eben
Nach bess'rer Stuf' in mir den freien Willen.
[231]
Drum fühltest du das Beben, und es priesen
Die frommen Seelen an des Berges Abhang
Den Herrn, der bald auch sie nach oben sende. –
So redet' er zu uns, und weil, je größer
Der Durst ist, um so mehr das Trinken wohltut,
Kann ich nicht sagen, wie er mich erfreute.
Mein weiser Führer sprach: Das Netz erkenn' ich
Das hier euch festhält, nun, und wie sich's löset,
Warum es bebte und wie ihr euch mitfreu't;
Doch wer du war'st, laß mich nunmehr erfahren,
Auch laß durch deine Antwort mich begreifen,
Warum du hier so manch' Jahrhundert lagest. –
Zur Zeit, als durch des höchsten Königs Hilfe
Der gute Titus jene Wunden rächte,
Woraus das Blut, verkauft von Judas, floß,
War in dem Namen jenseits ich berühmt,
Der mehr als andre ehrt und dauert; aber
Noch fehlte Glauben mir, – so sprach der Schatten.
So lieblich tönte meine Dichterstimme,
Daß mich den Tolosaner Rom heranzog,
Wo ich der Myrte Stirnschmuck mir verdiente.
Noch nennt man jenseits meinen Namen, Statius;
Von Theben und Achill, dem großen, sang ich,
Doch mit der zweiten Last fiel ich zu Boden.
Der Same meiner Glut kam von den Funken
Der Götterflamme, welche mich erwärmet
Und die schon mehr als tausend hat entzündet:
Der Aeneide sag' ich, die mir Mutter
Gewesen ist und Amm' in meinem Dichten;
Auch nicht das Kleinste schrieb ich ohn' ihr Vorbild.
Und, um gelebt zu haben, während drüben
Virgil noch lebte, wollte gern ein Jahr
Mehr als ich muß, Verbannung ich ertragen. –
Bei diesen Worten sah Virgil mich an,
Und schweigend sagten seine Züge: Schweige! –
Doch es vermag die Willenskraft nicht alles;
[232]
Denn Lachen folgt und Weinen aus der Regung,
Die sie hervorruft so naturnotwendig,
Daß sie der Wahrheitsfreund am schlechtesten zügelt.
Ich lächelte, wie wer dem andren zuwinkt,
Weshalb der Schatten schwieg und in die Augen
Mir sah, wo sich zumeist die Seele spiegelt.
Soll so viel Müh zum guten Ziel dich führen,
Sagt' er, so sprich, warum dein Antlitz eben
Das Blitzen eines Lächelns mir gezeigt hat. –
Gefangen fühlt' ich mich nach beiden Seiten;
Heißt die mich schweigen, so beschwört mich jene
Zu reden; darum seufzt' ich, und mein Meister
Verstand mich und er sprach: So fürchte denn
Nicht mehr zu reden; sprich nur und bericht' ihm
Wonach mit solchem Eifer er verlanget. –
Drauf ich: O alter Geist, vielleicht verwunderst,
Du ob des Lächelns dich, das mir entschlüpfte;
Doch größres Wunder soll dich noch ergreifen.
Mein Führer, der empor mein Auge leitet,
Ist der Virgil, von welchem Kraft du liehest,
Die Götter und die Menschen zu besingen.
Hast du geglaubt, ich lächl' aus andrem Grunde,
So sieh als Wahn es an; jedoch die Worte,
Die du von ihm gesagt, nimm für den wahren. –
Schon beugt' er sich, die Füße meines Lehrers
Wollt' er umfassen; doch: Laß ab, mein Bruder,
Sprach dieser, Schatten bist und Schatten siehst du. –
Der Liebe Fülle, die zu dir ich hege,
Sprach Statius und erhob sich, kannst du messen,
Wenn unsre Nichtigkeit ich so vergesse,
Daß Schatten so wie Körper ich behandle. –
[233] Zweiundzwanzigster Gesang
Schon war der Engel hinter uns geblieben,
Der Engel, der uns wies zum sechsten Kreise,
Und hatt' ein Mal getilgt von meiner Stirne.
Die nach Gerechtigkeit verlangen, selig
Gepriesen hatte er und seine Stimme
Mit »dürstet« ohne weiteres geschwiegen.
Ich aber, leichter als bei andren Pässen,
Ging solchen Schrittes, daß ich ohne Mühe
Den Berg empor den raschen Geistern folgte.
Und es begann Virgil: Die Liebe, welche
Entflammt durch Tugend ward, entflammt die andre,
Sobald die Flamme offenbar geworden.
Drum seit dem Tag' an welchem Juvenal
Zu uns herabstieg in der Hölle Vorhof
Und deine Neigung offenbar mir machte,
Fühlt' ich für dich Wohlwollen, wie kein größres
Für jemand, den man nie gesehn, gefühlt ward.
Nun werden kurz mir diese Treppen scheinen.
Doch gib mir Auskunft und als Freund vergib mir,
Läßt zu viel Kühnheit mir den Zügel schießen,
So daß als Freund zum Freund du mit mir redest:
Wie konnte Geiz nur bei so vieler Einsicht,
Als du gewonnen hast durch deinen Eifer,
In deinem Herzen eine Stätte finden? –
Zuerst bewogen Statius diese Worte
Etwas zum Lächeln; dann gab er zur Antwort:
Von Liebe zeugt mir jedes deiner Worte.
In Wahrheit, oft erscheinen Dinge, welche
Zum Zweifel Anlaß bieten, der doch falsch ist,
Weil unerkannt die wahren Gründe blieben.
Mir zeigt die Frage, die du tust, du glaubest,
Vielleicht des Kreises wegen, wo ich weilte,
Daß ich im andren Leben geizig war.
[234]
So wisse denn, daß mir nur allzu kerne
Der Geiz gelegen, und dies Übermaß,
Es ward bestraft durch Tausende von Monden.
Und hätt' ich mein Bestreben nicht gebessert,
Als ich die Stelle las, wo du der Menschen
Geschlechte, wie von Zorn ergriffen zurufst:
»Was zügelst du, geweihter Goldeshunger,
Die Leidenschaft der Menschen nicht?« so wälzt' ich
Im argen Wettkampf wohl dort unten Felsen.
Da sah' ich ein, daß auch zu weit die Flügel
Die Hände auftun können, wenn sie geben,
Und diese Schuld bereut' ich gleich den andren.
Geschornen Hauptes auferstehn wird mancher,
Weil aus Unwissenheit er diese Sünde
So lebend wie im Tode nicht bereute.
Nun wisse, daß die Schuld, die einer Sünde
Im graden Gegensatze widerspricht,
Mit ihr zugleich ihr grünes Holz hier trocknet.
Drum, wenn zu meiner Läuterung bei denen
Geweilt ich habe, die den Geiz beweinen,
So ist's geschehn des Gegensatzes wegen. –
Der Hirtenlieder Dichter sagte drauf:
Als du die grausenhaften Waffen sangest,
Die der Jocasta Doppeltrauer brachten,
Scheint es nach dem, wie Clio dort die Saiten
Mit dir berührt, daß dir der Glaube fremd war,
Bei dessen Mangel, recht zu tun nicht hinreicht.
Ist's also, welche Sonne, welche Kerzen
Erleuchteten dich so, daß du die Segel,
Dem Fischer nachzufolgen hast gerichtet? –
Und er zu ihm: Du hast mich zum Parnasse
Zuerst gesandt, aus dessen Born zu trinken;
Du warst es auch, nächst Gott, der mich erleuchtet.
Du tatest, wie wer bei der Nacht die Leuchte
Nach rückwärts hält, so daß sie ihm nichts fruchtet,
Wohl aber die belehrt, die nach ihm kommen,
[235]
Indem du sagtest: »neu wird das Jahrhundert,
Gerechtigkeit und goldne Zeit kehrt wieder,
Herab vom Himmel steigt ein neuer Sprößling«.
Du machtest mich zum Dichter, du zum Christen;
Doch, daß du, was ich zeichne, besser sehest,
Reg' ich die Hand, es weiter auszumalen.
Schon war die Welt nach allen Seiten schwanger
Vom wahren Glauben, welcher ausgelä't war
Durch die Verkündiger des ew'gen Reiches.
Und weil dein Wort, das ich vorhin erwähnte,
So wohl entsprach der neuen Pred'ger Rede,
Gewöhnt' ich mich, sie häufig heimzusuchen.
Und es erschien ihr Wandel mir so heilig,
Daß, während Domitian sie schwer verfolgte,
Mein Weinen ihren Tränen sich gesellte.
Ich unterstützte sie, solang' ich jenseits
Verweilte, und die Reinheit ihrer Sitten
Hieß alle andren Sekten mich verachten.
Und eh' ich dichtend zu den Flüssen Thebens
Die Griechen führte, ward ich schon getauft;
Doch hielt aus Furcht geheim ich meinen Glauben
Und stellte lange Zeit mich noch als Heiden.
Den vierten Kreis ließ diese Lauigkeit
Mehr als vierhundert Jahr lang mich umkreisen.
Du aber, der den Schleier mir gehoben,
Der jenes Gut mir barg, das ich bezeichnet,
Berichte, weißt du es, so lang zu steigen
Wir haben, wo Terenz verweilt, der alte,
Wo Varro, Plautus, wo Cäcilius, sag' auch,
Ob sie verdammt sind und an welcher Stelle? –
Sie alle, Persius, ich und noch viel andre
Sind mit dem Griechen, den die Musen mehr,
Als jemals wen getränkt, im ersten Ringe
Des blinden Kerkers, sagte drauf mein Führer,
Und von dem Berg, den unsre Nährerinnen
Stets bei sich sieht, besprechen wir uns oftmals.
[236]
Euripides und Antiphon sind bei uns,
Auch Agathon, Simonides und andre
Hellenen, die die Stirn mit Lorbeer schmückten.
Von deinen Helden sieht man dort Argia,
Deiphile und mit Antigone
Ismene, traurig, wie sie sonst gewesen.
Man sieht die dem Adrast Langia zeigte,
Auch des Tiresias und der Thetis Tochter,
So wie Deidamia mit den Schwestern. –
Verstummt war schon der beiden Dichter Rede;
Vom Steigen frei und von den Felsenwänden,
Entsandten rings sie aufmerksame Blicke.
Es waren von des Tages Dienerinnen
Schon vier zurückgeblieben und noch lenkte
Der Deichsel glühndes Horn die fünfte aufwärts.
Da sprach mein Führer: Längs dem Felsenrande,
Vermut' ich, soll'n wir rechts die Schultern wenden,
Den Berg umkreisend, so wie wir gewohnt sind. –
So ließen wir vom Brauch den Weg uns weisen
Und schritten vor mit größerem Vertrauen,
Bei jenes werten Schattens Einverständnis.
Sie wandelten voraus; nach ihnen folgte
Ich einsam und auf ihre Reden merkend,
Die Einsicht in die Dichtkunst mir erschlossen.
Da unterbrach die traulichen Gespräche
Ein Baum, den mitten wir im Wege trafen
Mit Früchten würzigen und süßen Duftes.
Und wie nach obenhin die Tanne abnimmt
Von Ast zu Ast, so tut der Baum nach unten:
Vielleicht damit ihn niemand mög' ersteigen.
Zur Seite, wo den Weg die Bergwand abschloß,
Fiel von dem hohen Fels ein klares Naß
Und netzte niederträufelnd all die Blätter.
Dem Baume nahten sich die beiden Dichter,
Und aus dem Laub' hervor rief eine Stimme:
Von dieser Speise sollt ihr euch enthalten. –
[237]
Dann sagte sie: Maria dachte mehr,
Daß ehrenhaft die Hochzeit sei und völlig,
Als an den eignen Mund, der jetzt für euch spricht.
Die Römerinnen alter Zeit begnügten
Mit Wasser sich zum Trank, und Daniel
Verschmähte Speisen und erwarb sich Weisheit.
Die erste Zeit, die schön war gleich dem Golde,
Gab Wohlgeschmack durch Hunger selbst den Eicheln
Und machte jeden Bach durch Durst zum Nektar.
Die Speisen, die den Täufer in der Wüste
Ernährten, waren Heuschrecken und Honig;
Drum ward er glorreich und so groß vor allen,
Als offenbart euch ist im Evangelium. –
Dreiundzwanzigster Gesang
Noch heftet' unverwandt ich meine Augen
Auf jenes grüne Laub, wie der zu tun pflegt,
Der seine Zeit verliert mit Vogelstellen.
Der mehr mir war als Vater, sagte: Sohn
Nun komm; die Zeit, die uns noch zugemessen,
Sind nützlicher wir zu verwenden schuldig. –
Das Antlitz und nicht minder schnell die Schritte
Wandt' ich den Weisen zu, und was sie sprachen
War so, daß ich des Weges Mühn nicht fühlte.
Da hörte ich: »tu' auf, Herr, meine Lippen!«
So herzgewinnend unter Tränen singen,
Daß Freude es zugleich und Schmerz erweckte.
Was ist das, süßer Vater, das ich höre? –
So frug ich. Schatten sind es, die den Knoten
Der Pflicht vielleicht im Gehen lösen, – sagt' er.
Wie Pilger wohl, versunken in Gedanken,
Wenn unterwegs sie Unbekannte treffen,
Nach ihnen umschaun, doch den Schritt nicht hemmen;
So blickte eine Schar uns staunend an,
[238]
Die andachtsvoll und schweigend hinter uns
Mit schnell'ren Schritten kam, als sie vorbeiging.
Tief in den dunklen Höhlen sag ihr Auge,
Bleich war ihr Antlitz und so abgezehrt,
Daß eng die Haut sich auf die Knochen legte.
Ich glaube nicht, daß also zum Gerippe
Vertrocknet Erysichthon war vom Fasten,
Als er den Hungertod am meisten scheute.
Ich sagte bei mir selber in Gedanken:
So waren die Jerusalem verloren,
Als in ihr eignes Kind Maria biß. –
Steinlosen Ringen glich die Augenhöhle,
Und wer im Menschenantlitz omo liest,
Der hätte hier das M gar leicht erkannt.
Wer glaubte wohl, daß eines Apfels Duft
Und eines Wassers, das Verlangen weckend,
Man weiß nicht wie, die Schatten so verwandle?
Ich staunte schon, von was so ausgehungert
Sie sei'n; denn unbekannt war mir die Ursach
Von ihrer Magerkeit und Schuppenhaut.
Da, siehe, wandte aus des Hauptes Tiefen
Ein Schatten starren Blick's auf mich die Augen
Und rief dann: Welche Gnade widerfährt mir! –
Nie hätt' ich an den Zügen ihn erkannt;
In seiner Stimme aber offenbarte
Sich was verwüstet schien in seinem Aussehn.
An diesem Funken fachte die Erinn'rung
Der so entstellten Züge neu sich an,
Daß ich Forese's Antlitz drin ersah.
Er bat: Versage nicht dem dürren Aussatz,
Der mir die Haut entfärbt, und nicht dem Mangel
An Fleisch, woran ich leide, deine Antwort;
Nein, sage Wahrheit mir von dir, und wer
Die beiden Seelen sind, die dich begleiten.
Entziehe dich mir nicht und steh' mir Rede. –
Dein Antlitz, das ich schon als tot beweinte,
[239]
Erwidert ich, gibt jetzt nicht mindren Grund mir
Zu Tränen, da ich so entstellt es sehe.
Drum sage schnell mir, was euch so entblättert.
Heiß mich nicht reden, während ich so staune;
Es spricht sich schlecht, wenn andres man im Sinn hat. –
Und er zu mir: Es legt der ew'ge Ratschluß
In Wasser und in Baum, dort hinter uns,
Die Kraft, von der ich also mich verzehre.
Die ganze Schar hier, welche weinend singt,
Erstrebt die Heiligung in Durst und Hunger,
Weil maßlos sie der Schlemmerei gefröhnt hat.
Ein Duft geht von dem Apfel und dem Wasser,
Das jenes grüne Laub besprühet, aus,
Der uns Verlangen weckt nach Trank und Speise,
Und nicht nur einmal, wenn wir diesen Ring
Im Kreis' umgehn, erneuert sich die Strafe
(Ich sage Straf' und sollte Freude sagen);
Denn zu dem Baum führt uns der gleiche Wille,
Durch welchen Christus freudig rief Eli,
Als er mit seinem Blute uns befreite. –
Und ich zu ihm: Forese, seit dem Tage,
Wo du die Welt vertauscht für bessres Leben,
Bis heute sind fünf Jahre nicht verstrichen.
War nun in dir die Fähigkeit zu sünd'gen
Erloschen, eh' die Zeit des rechten Schmerzes,
Der wieder uns mit Gott vereint, gekommen,
Wie kamst du schon bis hier herauf? Ich glaubte,
Dort außerhalb des Tor's dich anzutreffen,
Wo Zeit mit gleicher Zeit vergolten wird. –
Und er zu mir: Durch ihre heißen Tränen
Hat meine Nella mich so schnell gefördert,
Der Martern süßen Wermut zu genießen.
Ihr brünstiges Gebet und ihre Seufzer
Enthoben mich dem Abhang wo man wartet,
Und machten frei mich von den andren Kreisen.
Um so viel werter Gott, um so genehmer
[240]
Ist meine Witwe, die ich innig liebte,
Je mehr sie einsam ist im guten Wandel.
Selbst die Barbagia in Sardiniens Bergen
Hält mehr auf Scham bei Mädchen und bei Frauen,
Als die Barbagia, wo ich sie zurückließ!
Was soll, o süßer Bruder, ich dir sagen?
Schon seh' ich eine künft'ge Zeit im Geiste,
Der nicht gar alt wird heißen diese Stunde,
Wo von der Kanzel man den Florentiner
Schamlosen Weibern untersagt, die Brüste
Bis zu den Warzen unverdeckt zu zeigen.
Bedurft' es geistlicher und andrer Strafen
Bei Sarazenen- und Barbarenfrauen
Jemals, damit den Busen sie verhüllten?
Doch wären sich die Unverschämten klar,
Was ihrer in des Himmels Kreislauf wartet,
Sie öffneten schon jetzt den Mund zum Heulen.
Denn, täuscht mich nicht, was ich voraus hier sehe,
Beginnt ihr Trauern, eh' die Wange dessen,
Der jetzt dem »Nanna« zuhört, Bart bekleidet.
Nun aber, Bruder, birg dich mir nicht länger;
Du siehst, daß, nicht nur ich, die Seelen alle
Dorthin schaun, wo die Sonne du verhüllest. –
Drauf ich zu ihm: Rufst du dir in's Gedächtnis,
Wie du mit mir und wie mit dir ich lebte,
So wird dich die Erinn'rung noch beschweren.
Von solchem Leben wandte mich erst neulich
Der ab, der vor mir geht, als deren Bruder,
Die dort am Himmel steht (die Sonne wies ich),
Euch voll geleuchtet. Durch die tiefe Nacht
Der wahrhaft Toten hat er mich geleitet
Mit diesem wahren Fleische, das ihm nachfolgt.
Von dort stieg ich empor durch seinen Zuspruch,
Den Berg umkreisend, welcher, was die Welt
An euch verbogen, wieder grade richtet.
Er will so lange, sagt er, mich begleiten,
[241]
Bis ich, wo Beatrice sein wird, bin.
Von dort an soll ich sein Geleit entbehren.
Der solches mir verheißet, ist Virgil
(Und dabei zeigt' ich ihn); der andre Schatten
Ist der, um den vorhin in jedem Kreise
Eu'r Reich, das ihn aus sich entläßt, erbebte. –
Vierundzwanzigster Gesang
Das Reden hemmte nicht das Gehn, noch hemmte
Das Gehen jenes, sprechend gingen wir
Schnell wir ein Schiff bewegt von günst'gem Winde.
Und die zum zweitenmal gestorben schienen,
Die Schatten, sogen durch die Augenhöhlen
Verwundrung ein, als sie erkannt, ich lebe.
Fortsetzend meine Rede, sagt' ich drauf:
Vielleicht geht minder schnell, als sonst er täte,
Aus Rücksicht auf wen anders er empor.
Doch wenn du's weißt, so sprich, wo ist Piccarda;
Und sage mir, ob wer bemerkenswert
In dieser Schar sei, die so starr mich anschaut. –
Schon freut sich triumphierend ihrer Krone
Dort droben im Olympe meine Schwester,
Die schön und gut, ich weiß nicht welches mehr, war.
So sprach er erst und dann: Hier ist jedweden
Zu nennen unverwehrt, da unser Fasten
Die Züge des Gesichts so völlig aufsog.
Der hier (und dabei wies er mit dem Finger)
Ist der Lucchese Bonagiunta; jenseits
Das Antlitz, abgezehrter als die andren,
Die heil'ge Kirche hielt's in seinen Armen.
Es war von Tours und büßt hier durch Entbehren
Den edlen Wein und die Bolsener Aale.
Noch viele nannt' er, einen nach dem andren
Und jedem schien genehm, genannt zu werden,
[242]
So daß ich finster dreinschaun keinen sah.
Vor Hunger sah umsonst die Zähn' ich brauchen
Den Bonifaz, der mit dem Krummstab viele
Geweidet, so wie Ubaldin von Pila.
Den Herrn Marchese auch, der in Forli
Mit minder trockner Kehle trinken konnte
Und dennoch nimmer sich gesättigt fühlte.
Wie wer, nachdem er umgeschaut, mehr eines
Als andres schätzt, tat ich mit dem von Lucca;
Auch schien von mir am meisten er zu wissen.
Er sprach für sich und da, wo er die Wunde
Des göttlichen Gerichts, das sie verzehret,
Empfand, vernahm ich etwas wie »Gesindel«.
O Seele, sagt' ich, die mit mir zu sprechen
So zu verlangen scheint, laß dich vernehmen,
Daß deine Rede dich und mich erfreue. –
Schon lebt ein Weib, doch trägt sie noch nicht Binden,
Begann er, welche lieh dir meine Stadt
Wird werden lassen, wie man sie auch tadle.
Begleiten wird dich diese Zukunftsahnung,
Und wenn vorhin dich mein Gemurmel täuschte,
So wird der Dinge Wahrheit es bericht'gen.
Doch sage mir, ob den ich vor mir sehe,
Der Lieder neuer Art ersann, beginnend:
»O Frau'n, die ihr Verständnis habt der Liebe«? –
Drauf gab ich ihm zur Antwort: Ich bin einer
Der aufmerkt, wenn mich Amor's Hauch berühret,
Und was er innen vorsagt, schreib' ich nieder. –
Drauf er: Den Knoten, Bruder, seh' ich nun,
Der den Notar, Guittone und mich selber
Diesseits des schönen, neuen Stil's zurückhielt.
Ich sehe wohl, wie eure Federn sorglich
Nur das, was Amor einflößt, wiedergeben;
Das war mit unsren sicher nicht der Fall.
Und wer sich anmaßt weiter noch zu blicken,
Sieht nicht die Kluft von einem Stil zum andren. –
[243]
Mit diesen Worten schwieg er wie befriedigt.
Gleichwie die Vögel, die am Nil durchwintern,
Erst in der Luft zu einer Schar sich sammeln,
Dann eiliger in einer Reihe fliegen,
Also beeilten alle, die dort waren,
Das Antlitz wendend, ihre Schritte nun,
Leicht, wie sie Magerkeit und Wille machten.
Und wie, wer müde ist des raschen Laufens,
Voraus läßt die Gefährten, langsam wandelnd
Bis seiner Brust beklommnes Keuchen nachläßt,
So ließ Forese jene heil'ge Herde
Vorüberziehn und langsam mit mir folgend,
Frug er: Wann werd' ich wohl dich wiedersehen? –
Ich weiß nicht, sagt' ich drauf, wie lang' ich lebe;
Doch kehr' ich sicher nicht so früh zurück,
Daß nicht vorausgeeilt mein Wille wäre.
Denn jener Ort, wo mir zu leben obliegt,
Entkleidet täglich mehr sich von der Tugend
Und scheint verfallen unheilvollem Umsturz. –
Er sagte: Geh'; denn der zumeist dran Schuld ist,
Den seh' an eines Tieres Schweif ich schleppen
Hin zu dem Tal, wo nie die Schuld gesühnt wird.
Mit jedem Schritte rennt das Tier geschwinder,
Wird immer wilder, bis es ihn zerschmettert
Und grauenvoll entstellt den Körper läßt.
Nicht viel zu kreisen haben diese Räder
(Und auf zum Himmel richtet' er die Augen),
Bis klar dir wird, was dunkel jetzt mein Wort läßt.
Doch bleibe nun zurück; die Zeit ist teuer
In diesem Reich. Zuviel müßt' ich verlieren,
Ging' fürder ich mit dir so gleichen Schrittes. –
Wie manchmal wohl ein Reiter im Galopp
Allein hervorsprengt aus der Schar, die anrückt,
Daß er des ersten Anprall's Ruhm gewinne;
Also verließ er uns mit größ'ren Sätzen,
Und ich ging weiter fort mit jenen Beiden,
[244]
Die lebend so als Führer vorgeleuchtet.
Als jener dann so weit von uns entfernt war,
Daß meine Augen ihm nicht besser folgten,
Als seinem Wort zuvor mein Geist gefolgt war,
Erblickte fruchtbeladen ich und kräftig
Noch eines Baumes Zweig' in kleiner Ferne,
Weil dorthin wir erst eben uns gewendet.
Und Schatten hoben unter ihm die Hände
Und riefen, was verstand ich nicht, zum Laube,
Wie Kindlein, die begehrlich sind und töricht,
Wenn auf ihr Bitten der Gebetne schweigt,
Und um noch zu verschärfen ihre Sehnsucht,
Nicht birgt, was sie begehren, sondern hochhält.
Dann gingen, wie enttäuscht, von ihm sie weiter;
Wir aber kamen zu dem großen Baume,
Der soviel Bitten, soviel Tränen abweist.
Geht, ohne euch zu nahen, rasch vorüber!
Entnommen ist dies Reis dem Baum, von welchem
Einst Eva aß, der weiter oben steht. –
So sprach, ich weiß nicht wer, aus dem Gezweige,
Weshalb ich, Statius und Virgil mich enge
Anschließend, auf der Seite ging, die aufsteigt.
Der Maledeiten denkt, die in der Wolke
Erzeugt (so sprach er), mit zwiefacher Brust,
Als sie des Weines voll, mit Theseus kämpften.
Der Juden auch, die, weil sie trinkend weichlich
Sich zeigten, Gideon nicht mit sich nahm,
Als er die Höh'n gen Midian hinabstieg. –
So hörten dicht am einen Rande gehend,
Die Schuld der Völlerei, sowie die schlimmen
Gewinnste, welche sie gewährt, wir geißeln.
Wohl hatten, breiter auf der öden Straße
Wir gehend, tausend Schritt' und mehr durchmessen,
Und schweigend ging ein jeder in Gedanken.
Was geht ihr drei so sinnend? – hörten plötzlich
Wir eine Stimme sagen, und ich fuhr
[245]
Zusammen, wie ein Tier vor Schrecken scheu wird.
Den Redenden zu sehn, wandt' ich das Haupt,
Und weder Glas sah noch Metall im Ofen
Ich je so glühend oder rot, als der war,
Den ich nun sah und der uns sagte: Wollt ihr
Noch höher gehn, so müßt ihr hier euch wenden;
Hier ist der Weg, wo man zum Frieden aufsteigt.
Die Sehkraft hatte mir geraubt sein Anblick,
Weshalb, wie wer vom Ohr sich leiten läßt,
Ich, meinen Lehrern folgend, mich bewegte.
Wie als Verkünderin der Morgenfrühe
Die Maienluft sich regt und Duft verbreitet,
Durchdrungen ganz von jungem Grün und Blüten,
So fühlt' ich mitten auf der Stirn ein Lüftchen
Mich fächeln und empfand des Flügels Regung,
Von dem ein Duften wie Ambrosia ausging.
Dann hört ich sagen: Selig sind, die Gnade
So sehr erleuchtet, daß die Lust des Gaumens
Ihr Herz nicht mit dem Qualm der Gier erfüllt,
Weil nach Gerechtigkeit sie immer hungern. –
Fünfundzwanzigster Gesang
Kein Säumen mehr gestattete die Stunde
Da schon den Mittagskreis dem Stier die Sonne,
Die Nacht dem Skorpion gelassen hatte.
Drum, gleich dem Mann, der, was ihm auch begegne,
Nicht anhält, sondern seines Weges fortgeht,
Weil stachelnd die Notwendigkeit ihn antreibt,
So traten, einer auf den andern folgend,
Wir in die Schlucht, hinan die Treppe steigend,
Die, weil sie eng ist, die Ersteiger trennet.
Und wie der kleine Storch, der flugbegierig
Den Flügel hebt, doch, weil das Nest zu lassen
Er sich nicht traut, ihn wieder sinken läßt,
[246]
So war zugleich mein Wunsch zu reden brennend,
Und doch erloschen, so daß meine Lippen
Wie die des Redenwollenden sich regten.
Wie eilig wir auch gingen, doch bemerkt' es
Mein süßer Vater, und: – Drück ab den Bogen
Des Wort's, der bis zum Schloß gespannt ist, – sagt' er.
Da öffnet' ich vertrauensvoll den Mund
Und sagte: Wie ist Magerwerden möglich,
Wo kein Bedürfnis der Ernährung vorliegt? –
Gedächtest du des Meleager, sprach er,
Der vom Verbrennen eines Holzscheit's sich
Verzehrt, so schiene dies dir minder schwierig.
Und dächtest du, wie, wenn ihr euch bewegt,
Eu'r Bild im Spiegel die Bewegung nachahmt,
So würdest, was dir hart scheint, weich du finden.
Doch, daß hierin nach Wunsch du heimisch werdest,
Ist Statius hier zur Hand; ihn ruf' und bitt' ich,
Daß diese Wunden dir er völlig heile. –
Entfessl' ich ihm den Blick für ew'ge Dinge,
Wo du zugegen bist, war Statius' Antwort,
So tu' ich's, weil ich nichts dir kann versagen. –
Dann hub er an: Mein Sohn, wenn meine Worte
Dein Geist recht in sich aufnimmt und bewahret,
So werden sie dir Licht für deine Frage.
Vollkommnes Blut, das von den durst'gen Adern
Niemals getrunken wird und übrig bleibt,
Wie Nahrungsmittel, die vom Tisch man abhebt,
Empfängt im Herzen Bildungskraft für alle
Gliedmaßen, gleich dem Blute, das die Adern
Durchströmt, um jene Glieder zu gestalten.
Nochmals gereinigt, steigt es dorthin nieder,
Wovon man besser schweigt als spricht, und träufelt
Auf fremdes Blut in passendem Gefäße.
Da eint mit diesem jenes sich; das eine
Geschickt zum Leiden, wie zum Tun das andre,
So edel ist der Ort, von dem es herstammt.
[247]
Also verbunden fängt es an zu wirken,
Macht erst gerinnen, und belebt alsdann
Was fest geworden war, durch seinen Einfluß.
Die tät'ge Kraft, die nun zur Seele wurde
Gleich der der Pflanze, mit dem Unterschiede,
Daß jene weitergeht und dies' am Ziel ist,
Bewirkt Gefühl schon und soviel Bewegung
Als die des Meerschwamms; dann beginnt Organe
Den ihr entkeimten Kräften sie zu bilden.
Nun, Sohn, entfaltet sich, nun dehnt die Kraft
Sich aus, die des Erzeugers Herz entstammet,
Wo die Natur dem ganzen Gliedbau obliegt.
Doch wie zum Kinde wird solch tierisch Wesen
Siehst du noch nicht, und diese Schwierigkeit
Ließ einen Weiseren, als du bist, irren,
Weil er in seiner Lehr', als von der Seele
Getrennt, den fähigen Verstand behandelt,
Für den kein eigenes Organ er vorfand.
Tu' auf der Wahrheit, die dir naht, dein Herz
Und wisse, daß sobald dem Ungebornen
Die Glied'rung des Gehirns gebildet ist,
Sich freudig solchem Kunstwerk der Natur
Der Urbeweger zukehrt, neuen Geist ihm
Einhauchend, welcher mit der Kraft begabt ist,
Was er dort tätig findet, in sein Wesen
Hineinzuziehn, nur eine Seele bildend,
Die lebt und fühlt und in sich selbst zurückkehrt.
Damit du weniger dies Wort bewunderst,
So denke, wie, der Rebe Saft verbunden,
In Wein die Glut der Sonne sich verwandelt.
Hat Lachesis dann ihren Flachs geendet,
Löst sich der Geist vom Fleisch als Fähigkeit
Mitnehmend Göttliches wie Menschliches.
Und wenn die andren Kräfte all' verstummen,
So bleibt Erkenntnis, Wille und Erinn'rung
In Tätigkeit, viel schärfer als zuvor.
[248]
Die Seele fällt von selber ohne Weilen
An eins der beiden Ufer wunderbar;
Den ihr beschiednen Ort erfährt sie dort erst.
Ist dann ein fester Raum ihr angewiesen,
So strahlt ringsum aus ihr die Bildungskraft,
Wie einst sie tat in den lebend'gen Gliedern.
Und wie die Luft, wenn sie des Regens voll ist,
Durch fremde Strahlen, welche sie zurückwirft,
Geschmückt wird mit gar mannigfachen Farben,
So bildet hier die nachbarliche Luft
Zu der Gestalt sich, die durch geist'ge Kraft
Die Seele, die dort weilet, in ihr ausprägt.
Und ähnlich, wie die Flamme stets dem Feuer,
Wie sehr dies auch den Ort vertausche, nachfolgt,
So folgt dem Geiste seine neue Form.
Und weil er nur durch sie Erscheinung hat,
Wird Schatten sie genannt, und jeden Sinn
Gewährt sie ihm, mit Inbegriff der Sehkraft.
Sie ist's durch die wir reden, sowie lachen,
Durch die so Tränen wir als Seufzer bilden,
Gehört wirst du den Berg herauf sie haben.
Wie uns ein Wunsch und sonstige Erregung
Ergreift, das drückt sich aus in jenen Schatten;
Das ist der Grund von dem, was dich verwundert. –
Schon waren wir zur letzten Büßerqual
Gekommen, und nachdem zur rechten Seite
Wir uns gewandt, ergriff uns andre Sorge.
Hier nämlich wirft die Felswand Flammen aus;
Dagegen bläs't ein Wind am Rand' empor,
Der sie, zurückebiegend, von ihm abhält,
So mußten wir denn, einer nach dem andern
Am offnen Rande hingehn, und ich scheute
Das Feuer links und rechts hinabzufallen.
Mein Führer sprach: An diesem Orte muß man
Gar kurz im Zügel seine Augen halten;
Denn übel irren könnte man um wenig. –
[249]
Dann hörte mitten in der heißen Glut
»O Gott, an höchster Gnade reich« ich singen,
So daß ich doch dorthin mich wenden mußte.
Da sah ich Geister durch die Flammen wandeln,
So daß auf sie und meine Schritte schauend,
Von Zeit zu Zeit die Blicke ich verteilte.
Und als sie jenes Lied vollendet, riefen
Sie alle laut: »Ich weiß von keinem Manne«;
Dann wiederholten leise sie den Hymnus.
Nach dessen Schlusse riefen sie: Es blieb
Im Walde Diana, Helice daraus
Verjagend, die der Venus Gift gekostet. –
Dann kehrten zum Gesange sie, und nannten
So Frau'n als Gatten, welche keusch geblieben,
Wie Tugend es und Ehepflicht erfordert.
Ich glaub' in diesem Wechsel fahren dauernd
Sie fort, solange sie dies Feuer brennet.
Mit solcher Arzenei, mit solcher Speise
Wird endlich zugeheilt die alte Wunde.
Sechsundzwanzigster Gesang
Als so am Rand' hin, einer nach dem andern,
Wir gingen und der Meister öfters sagte:
Sei vorsichtig und folge meinen Tritten –
Traf auf die rechte Schulter mich die Sonne,
Die, strahlend, schon den ganzen Abendhimmel,
Statt blau, sowie zuvor, weiß scheinen ließ.
Und glühnder war der Flamme Farbe, wo
Mein Schatten hinfiel; manche Seele aber
Sah, gehend, ich auf dieses Zeichen merken.
Ob dieser Ursach fingen diese Geister
Von mir zu reden an, und einer sagte
Zum andern: Jener scheint kein Schattenkörper.
Dann traten einzelne, soviel sie konnten,
[250]
Zu mir heran, gewissenhaft vermeidend,
Den Raum der Flammenqual zu überschreiten.
Der du, wohl nicht weil säumiger du wärest,
Den andren nach, vielleicht aus Ehrfurcht, wandelst,
Gib Antwort mir, den Durst und Feuer brennen.
Bedürftig deiner Antwort bin nicht ich nur:
Wir alle dürsten mehr danach als Inder
Und Mohren sich nach kaltem Wasser sehnen.
Gieb Auskunft uns, weswegen du nicht anders
Als Wand der Sonne dienst, wie wenn du nimmer
Geraten wärest in das Netz des Todes. –
So sprach der ein' aus jener Schar, und Auskunft
Hätt' ich sogleich erteilt, wenn nicht in Anspruch
Ein neues Schauspiel mich genommen hätte.
In des entflammten Weges Mitte kamen,
Den vorigen entgegen, andre Schatten,
Auf die allein sich nun mein Auge wandte.
Da sah von beiden Seiten ich die Schatten
Sich im Vorübereilen paarweis küssen,
Mit kurzem Gruß sich ohne Rast begnügend.
So sieht in ihrer braunen Schar man eine
Ameise, Maul an Maul, die andre grüßen,
Wohl um, wohin es geht und wie zu hören.
Und eh' sie nach der freundlichen Begegnung
Den ersten Schritt getan, bemüht sich, lauter
Noch als die andre, jede Schar zu rufen:
Die Neugekommnen: »Sodom und Gomorrha!«
»Pasiphaë steigt in die Kuh«, die andre,
»Damit der Stier sich ihrer Geilheit füge«.
Wie Kraniche, die teils zur Wüste, teils
Zu den Riphäer Bergen flögen, jene,
Weil Frost sie, diese, weil sie Sonne scheuten,
So ging dann eine Schar, die andre kam
Und fuhr im vorigen Gesange, weinend,
Und in dem Rufe fort, der ihr geziemte.
Und die vorher um Auskunft mich gebeten,
[251]
Sie traten, wie zuvor, an mich heran,
Sichtlich auf was ich reden würde merkend.
Ich aber, der schon zweimal ihr Begehren
Gesehn, begann: O Seelen, die ihr Frieden,
Wann es auch sei, gewiß seid zu erlangen,
Nicht unreif und nicht reif ließ meine Glieder
Ich dort zurück; nein sie begleiten hier
Mit ihrem Blute mich und ihren Muskeln.
Empor steig' ich, um nicht mehr blind zu bleiben.
Ein Weib ist droben, das uns Gnad' erwirbt;
Ihr dank' ich's, wenn im Leib' ich zu euch komme.
Doch, soll eu'r höchster Wunsch sich bald erfüllen
Und Herberg' euch der Himmel, der am weit'sten
Sich wölbt und ganz von Lieb' erfüllt ist, werden,
So sagt mir, daß ich einst es niederschreibe,
Wer seid ihr, und wer ist die Schar, die dorten
Von hinnen eilet hinter eurem Rücken? –
Nicht anders steht, betroffen und verwirrt
Der Bergbewohner und verstummt im Schauen,
Betritt die Stadt er bäurisch, unerfahren,
Als in Gebärden jeder Schatten tat.
Doch als sie des Erstaunens sich entledigt,
Das in den edlen Herzen schneller nachläßt,
Begann derselbe, der zuerst mich fragte:
Heil dir, daß du, um seliger zu sterben,
Erfahrung sammeln darfst an unsren Küsten
Die Schatten, die nicht mit uns gehn, sie haben
Durch das gesündigt, weshalb beim Triumphe
Sich Cäsar »Königin!« zurufen hörte.
Darum entfernten sie sich »Sodom!« rufend,
Als Vorwurf für sie selbst, wie du vernahmest,
Und fördern durch die Scham der Flamme Wirkung.
Doch unsre Sünde war hermaphroditisch,
Und weil, statt menschliches Gesetz zu wahren,
Wir, Tieren gleich, der schnöden Lust gehorchten,
Wird, wenn wir scheiden, die zu unsrer Schande
[252]
Von uns genannt, die im vertierten Holze
Aus Wollust selber sich zum Tier erniedrigt.
Nun kennst du unsre Schuld und unsre Weise;
Doch, wolltest du noch, wer wir sind, vernehmen,
So langt die Zeit nicht und mir fehlt die Kunde.
Was mich betrifft, will ich dir gern genügen;
Mein Nam' ist Guido Guinizelli. Läutern
Darf ich mich jetzt schon, denn in Reue starb ich. –
Wie nach Lykurgus' Unglück die zwei Söhne
Beim Wiedersehn der Mutter sich gebahrten,
So tat ich, doch mit minderem Erkühnen,
Als ich vernahm, wie der sich selber nannte,
Der mir und all den Bess'ren Vater war,
Die süße Liebesreime je gedichtet.
Nicht redend und nicht hörend ging ich lange
Nachdenklich in sein Anschaun ganz versunken;
Doch näher trat ich nicht, des Feuers wegen.
Als ich geweidet mich zum Schauen hatte,
Erbot ich ihm zu jedem Dienst mich willig
Mit der Beteurung, welche Glauben findet.
Und er zu mir: So lichtes Angedenken
Läßt du in mir zurück durch deine Worte,
Daß Lethe mir's nicht rauben kann noch schwächen;
Doch, soll, was du geschworen, sich bewähren,
So sage mir, warum du solche Liebe
In Worten mir bezeigest und in Blicken? –
Und ich: Der Grund sind eure süßen Lieder,
Die wert den Griffel machen, der sie schrieb,
So lang' der neue Dichterbrauch bestehn wird. –
O Bruder, sagt' er, den ich mit dem Finger
Dir weis' (und einen Schatten vor mir zeigt' er),
Der war ein bessrer Schmidt der Muttersprache.
In Liebesversen und Romanenprosa
Ziemt ihm der Preis, was auch die Toren sagen,
Die den aus Limousin für höher achten.
Mehr auf den Ruf, als auf die Wahrheit schaun sie,
[253]
Und stellen so ihr Urteil fest, bevor
Was Kunst und Einsicht sagen, sie vernommen.
So tat vor Zeiten oft man mit Guittone,
Den jeder pries, weil er ihn preisen hörte,
Bis jetzt die Wahrheit obgesiegt durch manche.
Ist dir solch hoher Vorzug nun geworden,
Daß in das Kloster dir zu gehn erlaubt ist,
In welchem Christus des Kapitels Abt ist,
So richt' an ihn für mich ein Vaterunser,
So weit als wir's in dieser Welt bedürfen,
Wo die Versuchung uns nicht länger anficht. –
Dann, wohl um einem andren Raum zu geben,
Der nächst ihm ging, verschwand er in dem Feuer,
Dem Fisch gleich, der im Wasser niederfährt.
Ich trat zu dem, der mir gezeigt war, vor
Und sagt' ihm, welchen freudigen Empfang
Für seinen Namen mein Verlangen sichre.
Darauf begann er willig so zu reden:
Die Bitte, die ihr höflich tut, erfreut mich,
So daß ich mich nicht bergen kann noch will.
Ich bin Arnald und unter Tränen sing' ich.
Wohl seh' ich trauernd die vergangne Torheit;
Doch schon erquickt mich die gehoffte Freude.
Darum beschwör' ich euch bei jener Kraft,
Die euch zum Gipfel führt von diesen Stufen,
Daß ihr bei Zeiten meines Leid's gedenket! –
Drauf barg er sich im Feuer, das sie läutert.
[254] Siebenundzwanzigster Gesang
Wie wenn sie ihre ersten Strahlen dorthin
Entsendet, wo sein Blut vergoß ihr Schöpfer,
Indem die Wage überm Ebro steht
Und Mittagsglut erhitzt des Ganges Welle,
So stand die Sonne und es ging zu Ende
Der Tag, als uns erschien der Engel Gottes.
Am Ufer stand er außerhalb der Flamme
Und: Selig sind, die reines Herzens – sang er
Viel hellren Tones, als der Menschen Stimme.
Dann, als wir näher ihm gekommen, sagt' er:
Bis euch das Feuer brannt', ihr heil'gen Seelen,
Dürft ihr nicht weiter; geht denn in die Flammen
Und schließt dort drüben dem Gesang' eu'r Ohr nicht. –
Als ich dies Wort vernahm, ward ich an Blässe
Dem Manne gleich, der lebend ward begraben.
Und in die Flamme blickend, dacht' ich lebhaft
Der Menschenleiber, die ich brennen sah,
Und bog mich vorwärts mit verschränkten Händen.
Die gütigen Gefährten wandten beide
Sich zu mir, und es sprach Virgil: Mein Sohn,
Hier kann es Qualen, aber Tod nicht gelten.
Gedenke, o gedenk' ... und wenn vor Schaden
Ich auf dem Rücken Geryon's dich schützte,
Was werd' ich tun, Gott um so vieles näher.
Vertraue mir, daß, wenn du auch im Schoße
Von dieser Flamme tausend Jahre weiltest,
Sie doch dir nicht ein Härlein rauben könnte.
Und glaubtest du vielleicht, daß ich dich täusche,
So tritt heran und deines Kleides Saum
Belehrt dich, hältst du ihn in dieses Feuer.
Laß fahren denn jedwede Furcht und wende
[255]
Dich hierher, schreite zuversichtlich vorwärts. –
Doch ich blieb stehn, unfolgsam dem Gewissen.
Als er mich also stehn sah unbeweglich,
Sprach er, etwas erzürnt: Nun denn, mein Sohn,
Von Beatrice trennt dich diese Mauer. –
Wie, sterbend, Pyramus bei Thisbe's Namen
Die Augen aufschlug, um sie anzublicken,
Als rot des Maulbeerbaumes Frucht sich färbte,
So wandte ich, mit nun erweichtem Trotze,
Mich zu dem süßen Führer bei dem Namen,
Der unablässig sprießt in meiner Seele.
Dann schüttelt' er die Stirn und sprach: Was meinst du
Ob wir nicht bleiben? – und dann lächelt' er
Wie, wenn ein Kind der Apfel zwang, man tut.
Drauf trat er vor mir in die Feuersgluten
Und hinter mir zu gehen bat er Statius,
Der uns getrennt den langen Weg her hatte.
In siedend Glas hätt' ich mich, als dort innen
Ich war geworfen um mich abzukühlen,
So über alles Maß war dort die Hitze.
Mein süßer Vater sprach zu mir im Gehen,
Mir Mut zu geben, nur von Beatrice
Und sagt': Ihr Auge schon zu sehen däucht mir. –
Und ein Gesang, von jenseits zu uns tönend,
Geleitet' uns, und auf ihn merkend traten
Wir aus den Flammen da, wo man emporsteigt.
»Kommt zu mir, die mein Vater hat gesegnet!«
Erscholl aus einem Licht von solchem Glanze,
Daß, überwältigt, ich's nicht anschaun konnte.
Die Sonne sinkt, so sprach die Stimme weiter,
Der Abend kommt, beschleunigt drum die Schritte,
Bevor im Westen dunkel wird der Himmel. –
Grad' aufwärts stieg der Weg durch das Gestein
In solcher Richtung, daß der Sonne Strahlen,
Die schon tief unten stand, ich vor mir deckte.
Erst wenig Stufen hatten wir erprobt,
[256]
Als ich und meine Weisen, weil mein Schatten
Verlosch, den Untergang der Sonne spürten.
Und ehe noch in all den weiten Räumen
Gleichfarbig war der Horizont geworden
Und eh die Nacht sich ganz verbreitet, hatte
Sich jeder eine Stuf' als Bett erkoren;
Denn die Beschaffenheit des Berges raubte
Uns nicht die Lust, jedoch die Kraft zum Steigen.
Wie wenn zur Zeit der ärgsten Sonnengluten
Die Ziegen, die, bevor sie sich gesättigt,
Keck und behende um die Gipfel klimmten,
Schweigsam und zahm im Schatten wiederkäuen,
Indes der Hirt, auf seinen Stab gelehnt,
Sie hütet, ihnen Sicherheit verheißend,
Und wie der Schäfer, wenn er draußen herbergt,
Bei seiner Herde ruhig übernachtet,
Acht habend, daß kein Raubtier sie zerstreue:
So waren wir selbdritt zu jener Stunde,
Den Hirten sie, der Zieg' ich zu vergleichen,
Vom Felsen eingeengt zu beiden Seiten.
Von dem was draußen war, sah dort man wenig;
Doch an dem Wenigen sah ich viel heller
Und größer als ich sonst gewöhnt die Sterne.
In solchem Sinnen und im Schaun auf jene
Befiel mich Schlaf, der Schlaf, der manchesmal
Von Dingen Kunde hat noch eh sie kamen.
Zur Stunde, dünkt mich, wo vom Morgenhimmel
Den Berg zuerst Cytherens Stern bestrahlte,
Der stets zu glühen scheint im Liebesfeuer,
Glaubt' ich ein junges, schönes Weib im Traume
Zu sehen, die auf einer Aue wandelnd
Sich Blumen brach und singend also sagte:
Wer meinen Namen wissen will, vernehme,
Ich heiße Lea, meine schönen Hände
Beweg' ich um mir einen Kranz zu winden.
Um mir im Spiegel zu gefallen, schmück' ich
[257]
Mich hier; doch Schwester Rahel kehrt von ihrem,
Vor dem sie immer sitzt, die Blicke nie.
Sie sieht so gern in ihre schönen Augen,
Als ich mich gerne mit den Händen schmücke;
Sie freut am Schauen sich, wie ich am Wirken. –
Es floh schon vor dem Glanz der Morgenfrühe,
Den, wenn der Pilger heimkehrt, um so lieber
Er kommen sieht, je ferner er genächtigt,
Die Finsternis der Nacht in jeder Richtung.
Mit ihr entfloh mein Schlaf und ich erhob mich,
Da ich schon aufrecht sah die großen Meister.
Die süße Frucht, nach der auf so viel Zweigen
Der Menschen Sorge ausschaut, soll noch heute
Befriedigung all deinem Hunger geben. –
In diesen Worten sprach Virgil zu mir,
Und nimmer ward noch ein Geschenk gegeben,
Das Freude, diesem gleich verursacht hätte.
Und so verdoppelte sich mein Verlangen
Hinaufzukommen, daß bei jedem Schritte
Zum Flug' ich mir die Schwingen wachsen fühlte.
Als wir durchmessen nun die ganze Treppe
Und auf der obersten der Stufen standen,
Da richtete Virgil auf mich die Blicke
Und sprach: Das ew'ge und das zeit'ge Feuer,
Mein Sohn, hast du gesehn, und bist nun dorthin
Gelangt, wo mein Blick nicht mehr weiter reicht.
Mit Kunst und Weisheit führt' ich dich hierher;
Fortan nimm dein Gefallen nur zum Führer,
Nicht steile Pfade triffst du mehr noch enge.
Sieh dort die Sonne dir in's Antlitz scheinen,
Die Kräuter sieh, die Blumen und die Sträucher,
Die hier der Boden aus sich selbst erzeuget.
Hier unter ihnen ausruhn, oder wandeln
Darfst du, bis freudig dir die schönen Augen
Erscheinen, die mich weinend zu dir sandten.
Nicht harre meines Wink's noch meiner Rede,
[258]
Jetzt ist dein Wille frei, gesund und richtig;
Ihm nicht zu folgen wäre fehlerhaft,
Drum geb' ich über dich dir Kron' und Mitra.
Achtundzwanzigster Gesang
Den dichten Gotteswald, den lebensfrischen,
Der meinem Aug' das Licht des Tages dämpfte,
Ringsum und innen zu durchspähn verlangend,
Verließ ich ohne Zaudern nun den Bergrand,
Und auf dem Plan, dem Duft ringsum entströmte,
Durchwandelt' ich die Flur langsamen Schrittes.
Ein süßer Luftzug, frei von jedem Wechsel
In seinem Hauch, berührte mir die Stirne,
Nicht stärker als das Wehen leisen Windes.
Es neigten sich, davon gelind' erzitternd,
Die Blätter allesamt nach jener Seite,
Nach der des Berges erster Schatten fällt;
Doch sie entfernten von der graden Richtung
Sich so nicht, daß in Übung ihrer Kunst
Gestört die Vöglein auf den Wipfeln wären.
Nein, freudig grüßten sie die Morgenstunde
Mit Lobgesang, verborgen in dem Laube,
Das summend ihrem Lied als Grundbaß diente,
So wie im Pinienwald von Zweig zu Zweige
Es rauschet dort am Meeresstrand von Chiassi
Wenn den Scirocco Aeolus entfesselt.
Schon hatten, die ich langsam tat, die Schritte
So weit mich in den alten Hain getragen,
Daß meines Eintritts Ort ich nicht mehr sah,
Als mir ein Bach das Weitergehn verwehrte,
Von dessen kleinen Wellen sich die Gräser,
Die ihm am Ufer sproßten, linkshin neigten.
Das lauterste der Wässer hier auf Erden
Getrübt erscheinen würd' es gegen dieses,
[259]
Das nichts von dem verbirgt, das es bedecket,
Obwohl in tiefem Dunkel es dahinfließt
Des ew'gen Schattens, der dorthin zu strahlen
Der Sonne nie und nie dem Mond verstattet.
Wohl stand mein Fuß; jedoch es überschritten
Den Fluß die Augen um der frischen Maien
Zahllose Mannigfaltigkeit zu schauen.
Da sah ich, wie man plötzlich wohl gewahr wird
Was durch das Staunen, das es in uns wachruft,
Verscheucht jedweden anderen Gedanken,
Ein holdes Weib, die einsam vor sich hinging
Und singend unter all den Blüten wählte,
Die ihren Weg mit bunten Farben malten.
O schönes Weib, die an der Liebe Strahlen
Du dich entflammst, darf ich dem Aussehn glauben,
Das von dem Herzen Zeugnis pflegt zu geben,
Gefall' es dir, zu diesem Bache näher
Heranzutreten – so sprach ich sie an –
Damit ich was du singst, vernehmen möge.
Du mahnst mich, wie und wo Proserpina
Zu jener Stunde war, als sie der Mutter
Verloren ging, und ihr der Blütenfrühling. –
So wie beim Tanze sich ein Mägdlein wendet,
Die Sohlen hart am Grund und aneinander,
Und einen Fuß kaum vor den andren setzet,
So wandte auf den rot und gelben Blumen
Sie sich zu mir, der Jungfrau, welche sittsam
Den Blick zu Boden schlägt, in allem gleichend.
Und also sich mir nähernd, daß des süßen
Gesanges Wortverständnis mich erreichte,
Gewährte meinen Bitten sie Erfüllung.
Als dorthin sie gelangt war, wo die Gräser
Schon von dem Naß des schönen Bach's benetzt sind,
Schlug sie, mich zu erfreun, die Augen auf.
Ich glaube nicht, daß unter Venus' Wimpern,
Als sie der Sohn, ganz wider seine Weise,
[260]
Verwundet hatte, solch ein Licht erglänzte.
Sie lächelte von jenem rechten Ufer,
Der Farben, welche samenlos dies Hochland
Hervorbringt, mehr noch mit den Händen sammelnd.
Nur um drei Schritte trennte uns das Flüßchen;
Doch von Leander ward der Hellespont
Nicht mehr gehaßt, weil da, wo Xerxes ihn
(Ein Zaum für Menschenstolz) einst überschritten,
Er zwischen Sestos und Abydos brandet,
Als dies von mir, weil sich's nicht vor mir auftat.
Neulinge seid ihr hier – also begann sie –
Und weil an diesem Orte, der zum Neste
Der Menschheit auserkoren ward, ich lächle,
Verwundert ihr euch wohl und tragt Bedenken
Der Psalm: »Du lässest, Herr, mich fröhlich singen«
Gibt aber Licht und scheucht des Geistes Nebel.
Und du, der Vordre, der du mich gebeten,
Sag' an, was du noch hören willst; bereit,
All deinen Fragen zu genügen, kam ich. –
Das Wasser, sprach ich, und des Waldes Rauschen
Bekämpfen in mir, was ich, dem zuwider,
Erst jüngst vernommen habe und geglaubt. –
Drauf sagte sie: Wie das, was dich verwundert,
Sich zuträgt, und warum will ich dir künden,
Und so den Nebel, der dich drückt, zerstreuen.
Das höchste Gut, das selbst nur sich genügt,
Schuf gut den Menschen und zum Heil, und schenkte
Ihm diesen Ort als Pfand des ew'gen Friedens.
Ob seines Fehltritts weilt' er hier nur wenig,
Ob seines Fehltritts tauscht' er Schmerz und Tränen
Für würd'ges Lächeln ein und süßes Spiel.
Damit die Störung, die nach unten hin
Des Wassers und der Erde Dünste, welche
Der Wärme soviel möglich nachgehn, wirken,
Den Menschen hier in keiner Art beläst'ge,
Erhebt der Berg, von dort ab wo man zuschließt
[261]
Von Dünsten frei, so weit sich himmelwärts.
Weil nun die ganze Luft, wenn der Bewegung
Kein Hindernis entgegentritt, im Kreise
Sich dreht, der ersten Himmelswölbung folgend,
So wird von der Bewegung dieser Gipfel,
Der frei hinausragt in die Luft, getroffen
Und Rauschen in dem dichten Hain geweckt.
Und die berührte Pflanz' ist so beschaffen,
Daß sich mit ihrer Kraft die Luft erfüllt,
Die diese, ringsum kreisend, fallen läßt.
Der andre Boden, je nachdem er würdig
Durch sich und seinen Himmel ist, empfängt
Und zeuget Kräuter mannigfacher Art.
So wundr' es euch, nachdem ihr dies vernommen,
Nicht mehr, wenn, ohne daß ihr Samen spürtet,
Zu Zeiten neue Pflanzen bei euch keimen.
Und wissen sollst du, daß von jedem Samen
Die heil'ge Fläche, wo du bist, erfüllt ist,
Und Früchte, die man dort nicht bricht, hervorbringt.
Das Wasser hier entspringt aus keiner Ader,
Die sich ergänzt durch abgekühlte Dünste,
Wie Flüsse tun, die mehr und minder schwillen;
Lebend'gem, wandellosem Quell entstammt es,
Der was er nach den beiden Seiten ausströmt,
So viel zurückempfängt durch Gottes Willen.
Er fließet diesseits mit der Kraft hernieder,
Zu tilgen die Erinnerung der Sünde;
Die guten Taten stellt er jenseits her.
Diesseitig Lethe, jenseits Eunoe
Wird er geheißen, und damit er wirke,
Muß er erst hier, dann dort gekostet werden.
Nichts andres kommt an Wohlgeschmack ihm gleich.
Und könnt' auch, wenn ich dir nicht mehr entdeckte,
Dein Durst befriedigt sein in vollem Maße,
Will einen Zusatz ich aus Gunst dir schenken,
Und minderwert wird schwerlich meine Rede
[262]
Dir sein, geht weiter sie als ich verheißen:
Vielleicht, daß die vor Alters goldne Zeiten
Und deren Glück in ihrem Lied geschildert,
Von diesem Ort auf dem Parnasse träumten.
Hier war der Menschheit Wurzel ohne Schuld,
Hier reift jedwede Frucht bei stetem Frühling,
Der Quell hier ist der vielgenannte Nektar. –
Da wandt' ich ganz zu meinen beiden Dichtern
Mich um und sah, wie sie nicht ohne Lächeln
Der Rede letzten Satz vernommen hatten.
Zum holden Weibe kehrt' ich dann das Antlitz.
Neunundzwanzigster Gesang
Gleich einem liebentbrannten Mädchen singend
Fuhr sie nach ihren letzten Worten fort:
»Wohl denen, deren Sünden sind bedecket.«
Und wie von Nymphen, die im Waldesschatten
Lustwandelten, die eine wohl den Anblick
Der Sonne mied, indes die andr' ihn suchte,
Ging dann dem Lauf des Baches sie entgegen
Am Ufer hin, ich aber tat das Gleiche,
Mit kleinem Schritt dem kleinen Schritte folgend.
Kaum hundert Schritte hatten wir zusammen
Getan, als sich die beiden Ufer wandten,
Weshalb ich wiederum dem Morgen zuging.
Nicht waren lange also wir gegangen,
Da sprach das holde Weib zu mir gewendet:
Nun, Bruder, merke auf mit Ohr und Auge. –
Und siehe, plötzlich strömt' ein helles Leuchten
Von allen Seiten durch den weiten Wald,
So daß ich zweifelte, ob das ein Blitz sei.
Doch weil der Blitz, wie er gekommen, aufhört,
Dies Leuchten aber heller ward und heller,
So sagt' ich in Gedanken: Was kann das sein? –
[263]
Und durch die lichterfüllte Luft hin strömte
Gar süße Melodie, so daß mein Eifer
Eva's Vermessenheit mich schelten ließ,
Die, wo gehorsam waren Erd' und Himmel,
Ein einzeln Weib und eben erst geschaffen,
Daß etwas ihr verhüllt sei, nicht ertrug;
Denn, hätte folgsam sie die Hüll' ertragen,
So wären jene namenlosen Wonnen
Mir früher und auf läng're Zeit geworden.
Und während, wie verzückt, ich unter allen
Den Erstlingsfrüchten ewgen Heils dahinging
Und immer neue Seligkeit verlangte,
Ward vor uns unter all den grünen Zweigen
Die Luft so licht wie helle Feuerflammen,
Und als Gesang der süße Ton vernehmbar.
O heil'ge Jungfrau'n, wenn ich jemals Hunger
Um euch ertrug, Nachtwachen oder Frost,
So hab' ich Grund, den Lohn nun zu begehren.
Der Quelle Helikon's bedarf ich jetzt
Und daß Urania und ihr Chor mir helfe,
In Versen schwer zu Denkendes zu sagen.
Nur wenig weiter fälschte mir die große
Entfernung, die noch zwischen uns und ihnen
Bestand, das Scheinbild sieben goldner Bäume;
Doch als so nah ich war herangekommen,
Daß trügerische Gleichheit der Gestalt
Nichts vom Besondren mehr entgehn mir ließ,
Erkannte jene Kraft, die Unterscheidung
Dem Geiste bietet, daß es Leuchter waren,
Und im Gesang der Stimmen »Hosianna!«
Viel heller flammt' am ob'ren Teil das schöne
Gerät, als Mitternachts bei heitrem Himmel
Der Mond in seines Monats Mitte leuchtet.
Voll Staunen wandt' ich mich zurück zum guten
Virgil, und Antwort gaben seine Züge,
Worin Verwundrung sich nicht minder aussprach;
[264]
Dann richtet' ich auf jene hohen Dinge
Nochmals das Angesicht, die uns so langsam,
Daß schneller junge Bräute gehn, sich nahten.
Es schalt das holde Weib mich: Was entbrennst du
So in dem Anblick der lebend'gen Lichter,
Und achtest nicht auf das, was ihnen nachfolgt? –
Da sah den Lichtern ich, als ihren Führern,
Gestalten folgen, angetan in Weiß,
Wie es hienieden nie so rein gesehn ward.
Des Baches Wasser glänzte mir zur Linken
Und gab das Abbild meiner linken Seite,
Blickt' ich hinein, zurück gleich einem Spiegel.
Als ich am Ufer soweit war gekommen,
Daß nur des Flüßchens Breite noch mich trennte,
Hemmt' ich die Schritt' um besser sehn zu können.
Es ließen, wie sie sich voran bewegten,
Die Flämmlein Streifen in der Luft zurück,
Die losgelöster Wimpel Aussehn hatten.
So war der Himmel dort von sieben Streifen
Durchzogen, in denselben Farben wie
Der Sonne Bogen und des Mondes Gürtel.
Nach rückwärts reichten weiter diese Banner,
Als meine Sehkraft, und den Zwischenraum
Der beiden äuß'ren schätzt' ich auf zehn Schritte.
Von diesem schönen Himmel überwölbt,
Sah vierundzwanzig Älteste, zu Zweien
Und Zwei'n, bekränzt mit Lilien ich kommen.
Und alle sangen sie: Gebenedeiet
Sei'st unter Adams Töchtern du und ewig
Gebenedeiet werde deine Schönheit. –
Als wieder frei die Blumen und die Kräuter
Des Ufers, das mir gegenüberlag,
Von der erles'nen Schar geworden waren,
Da folgten, wie dem einen Licht am Himmel
Ein andres Licht zu folgen pflegt, vier Tiere,
Ein jegliches bekränzt mit grünem Laube.
[265]
Befiedert mit sechs Flügeln war ein jedes,
Die Federn zeigten Augen; also würden
Des Argus Augen sein, wär' er lebendig.
Mehr Verse ihre Form zu schildern, spar' ich;
So nötig brauch' ich sie zu andrem Zwecke,
Daß hier sie zu verschwenden mir verwehrt ist.
Lies denn, o Leser, den Hesekiel,
Der sie von Mitternacht mit Wolk' und Feuer
Im ungestümen Winde kommen sah.
Wie du sie finden wirst auf seinen Blättern,
So waren sie; nur daß Johannes anders
Als er die Flügel schildert und mir Recht gibt.
Es war im Raume zwischen diesen Vieren
Ein Siegeswagen, ruhend auf zwei Rädern,
Und diesen zog ein Greif an seinem Halse.
Er streckte zwischen jener Streifen mittler'n
Und drei und drei'n nach oben seine Flügel,
So daß verletzend keinen er berührte.
Sie ragten weiter auf als meine Blicke;
Die Glieder waren Gold, soweit des Vogels
Gestalt ging, aber rot und weiß die andren.
Nicht nur, daß Africanus und August
Ihr Rom mit schön'rem Wagen nie erfreuten,
Nein, gegen ihn wär' arm auch der der Sonne,
Der Wagen, welcher auf der frommen Erde
Gebet, weil abgeirrt er war, verbrannt ward,
Als Jupiter geheimnisvoll gerecht war.
Es tanzten um das rechte Rad im Kreise
Drei Frau'n, und eine war so rot, daß kaum
Im Feuer man sie unterschieden hätte.
Die andre war nicht anders anzuschauen,
Als ob smaragden Fleisch und Bein lie hätte;
Es glich die Dritte frisch gefallnem Schnee.
Bald schienen von der Weißen sie geleitet,
Bald von der Roten, und nach deren Liede
Bemaßen sie des Tanzes Eil' und Säumen.
[266]
Zur Linken tanzten vier den Festesreigen,
Und alle waren sie gehüllt in Purpur,
So wie die eine, die drei Augen hatte.
Und hinter alle dem was ich geschildert,
Sah ich zwei Greise von verschiedner Kleidung,
Im Ausdruck aber beide fest und ehrbar.
Der eine zeigte sich als ein Vertrauter
Hippokrates' des großen, den Natur
Den Tieren schenkte, welche ihr die liebsten.
Es wies des andren Schwert, das blank und scharf war,
So daß von jenseits es mir Furcht erweckte,
Auf ein Bestreben umgekehrter Art.
Dann sah ich vier von gar bescheidnem Aussehn,
Und einzeln hinter allen kam ein Greis
Mit klugem Angesicht, in Schlaf versunken.
So wie die Vordren waren diese Sieben
Gekleidet; doch um ihre Häupter blühten
Nicht Lilien, wie sie es bei jenen taten,
Nein Rosen nur und andre rote Blumen,
So daß man, nahe selbst, geschworen hätte,
Sie stünden, oberhalb der Brau'n, in Flammen.
Als gegenüber mir der Wagen war,
Ertönt ein Donnerschlag, der jenen Würd'gen
Das Weitergehn zu untersagen schien,
Da still sie standen gleich den vordren Fahnen.
Dreißigster Gesang
Als so des ersten Himmels Nordgestirn,
Das Aufgang nie gekannt und Niedergang,
Noch anders als durch Sünde je umwölkt ward,
Und das, wie denen, die, den Hafen suchend
Das Steuer drehn, der niedre Nordstern tut,
So jedem dort verkündet was ihm obliegt,
Nun stillstand, wandte die wahrhafte Schar,
[267]
Die bis dahin vom Greifen es getrennt,
Dem Wagen sich als seinem Ziele zu.
Wie gottgeheißen, rief der eine singend
Dreimal: Komm meine Braut vom Libanon! –
Und alle andren folgten seinem Beispiel.
Beim jüngsten Aufruf werden so die Sel'gen,
Aus seiner Höhle jeder, schnell erstehen,
Mit neuer Stimme Halleluja singend,
Wie auf dem göttlichen Gefährte hundert,
Des ewgen Lebens Diener und Gesandte,
Auf solchen Greises Stimme sich erhoben.
»Gelobt sei der da kommt«, so sagten alle,
Und, Blumen werfend rings und drüberhin:
»O streuet Lilien aus mit vollen Händen!«
Wohl sah ich schon bei dem Beginn des Tages
Des Himmels Osten ganz wie Rosen glühn
Und anderweit in lichter Bläue glänzen,
Auch sah beim Aufgehn ich verhüllt die Sonne,
So daß das Auge durch der Dünste Mild'rung
Sie anzublicken läng're Zeit vermochte;
So ward ich in der Wolke jener Blumen,
Die sich erhoben aus der Engel Händen
Und niederfielen innen so wie außen,
Ein Weib gewahr, die über weißem Schleier
Bekränzt mit Öllaub, unter grünem Mantel
Gekleidet war in heller Flamme Farben.
Und, der so lange schon durch ihre Nähe
Nicht mehr vor Staunen zitternd sich bewältigt
Gefühlt, mein Geist, empfand, obwohl die Augen
Ihm weitre Kunde noch nicht mitgeteilt,
Auf Grund geheimer Kraft, die von ihr ausging,
Der alten Liebe mächtige Gewalt.
Als nun von jener hohen Kraft mein Auge
Getroffen ward, die, eh' das Knabenalter
Ich überschritten, todeswund mich machte,
Wandt' ich zur Linken mich mit dem Vertrauen,
[268]
Mit dem das Kind zu seiner Mutter eilt,
Wenn es sich fürchtet, oder schon versehrt ist,
Um zu Virgil zu sagen: Nicht ein Quentchen
Von Blut ist mir geblieben, das nicht bebte;
Der alten Flamme Spuren kenn' ich wieder. –
Allein entzogen hatte uns Virgil
Sein teures Selbst, Virgil, der süße Vater,
Virgil, dem ich zum Heile mich ergeben.
Und alles, was verwirkt die erste Mutter,
Nicht hindert es die taugeklärten Wangen,
Aufs neue sich durch Tränen zu verdüstern.
Dante, nicht weil Virgil von hinnen ging,
Sollst du schon weinen, darum noch nicht weinen;
Ein andres Schwert noch wird dich weinen machen. –
So wie vom Steuer bald und bald vom Schnabel
Ein Admiral erspäht, wie auf den Schiffen
Die Mannschaft tätig ist und sie ermuntert,
So sah ich, als beim Klange meines Namens,
Den ich genötigt bin hier einzutragen,
Ich mich gewandt, am linken Rand des Wagens
Das hohe Weib, die von den Blumenspenden
Der Engel mir verhüllt zuerst erschien,
Auf mich, der diesseit stand, die Augen richten,
Obwohl, umkränzet von Minervas Laube,
Der Schleier, der von ihrem Haupte wallte,
Sie unvollkommen nur erkennen ließ.
Und sie fuhr fort, mit königlichem Stolze
Im Ausdruck, dem vergleichbar, der beim Sprechen
Der Rede wärmsten Teil sich vorbehält:
Sieh uns nur an! Wohl bin ich's, bin Beatrice.
Wie wagtest diesem Berge du zu nahen?
Weißt du nicht, daß der Mensch hier glücklich ist? –
Zum klaren Bach senkt' ich das Auge nieder;
Doch als ich drin mein Bild sah, drückte Scham
Mir so die Stirn, daß ich's zur Matte wandte.
So scheint die Mutter fremd und hart dem Kinde
[269]
Wie sie mir schien, und bitter war für mich
Des herben Mitleid's brennender Geschmack.
Kaum schwieg sie, so begann der Engel Chor:
Den Psalm »Auf dich, Herr, traue ich« zu singen;
Doch weiter nicht, als »stellest meine Füße«.
Wie vom Nordost getrieben und verdichtet,
Und festgehalten von lebend'gen Balken,
Der Schnee zu Eis gefriert auf Wälschlands Rücken,
Und schmelzend dann in sich zusammensinkt,
Sobald es weht vom schattenlosen Lande,
Daß er sich auflöst, wie ein Licht am Feuer,
So konnt' ich Tränen nicht, noch Seufzer finden
Bis zum Gesange jener, deren Töne
Stets die Musik der Sphären wiedertönen;
Doch als in ihren süßen Melodie'n sie
Mir Mitleid zeigten, mehr als ob: O Herrin,
Was tust du ihm so weh? – gesagt sie hätten,
Da ward der Frost, der mir das Herz erstarrte,
Zu Hauch und Wasser, so daß mit Beklemmung
Er aus der Brust mir drang durch Mund und Augen.
Sie aber, fest auf der gedachten Seite
Des Wagens stehend, richtet' ihre Rede
An jene frommen Wesen solcherweise:
Ihr wacht ohn' Unterlaß im ew'gen Tage,
So daß euch keinen Schritt, der auf den Wegen
Der Welt getan wird, Nacht und Schlaf entziehn.
Drum fass' ich meine Antwort mehr zum Zwecke,
Daß der mich höre, der dort jenseits weinet,
Damit der Schuld das Maß des Schmerzes gleiche.
Nicht durch die Gunst allein der hohen Räder,
Die, je nachdem die Sterne günstig sind,
Jedweden zu bestimmtem Ziele leiten;
Auch aus der Fülle höchster Gnadenspende,
Die aus so hohem Dunstkreis Regen schöpft,
Daß nicht annähernd unser Aug' hinanreicht,
War dieser so in seinem neuen Leben
[270]
Begabt, daß Übung rechter Art
Bewundernswürdigen Erfolg verhieß.
Doch um so wilder wird, um so verderbter,
Schlecht angebaut und schlecht besä't, das Erdreich,
Je mehr von guter Bodenkraft ihm inwohnt.
Mit meinem Antlitz hielt ich eine Zeit ihn.
Indem die jungen Augen ich ihm zeigte,
Führt' ich ihn mit mir in der rechten Richtung;
Doch, als die Art des Lebens ich vertauschte
An meines zweiten Lebensalters Schwelle,
Macht' er sich los von mir und gab sich andren.
Als ich vom Fleisch erhoben war zum Geiste
Und Schönheit mir, wie Kraft gewachsen waren,
Ward minder lieb ich ihm und minder wert.
Zu falschen Wegen wandt' er seine Schritte,
Den Bildern trügerischen Heiles folgend,
Die kein Versprechen halten, das sie gaben,
Auch half es nicht, daß Zeichen ich erwirkte,
Durch die in Träumen ich und andrer Weise
Zurück ihn rief; so war er mir entfremdet.
Er fiel so tief, daß nur das eine Mittel
Zu seinem Heile blieb, vor allen andren:
Die Scharen der Verdammten ihm zu zeigen.
Um seinethalb hab' ich der Toten Pforte
Besucht, und meine Bitten unter Tränen
Dem dargebracht, der ihn hieher geleitet.
Ein hohes, göttliches Verhängnis würde
Gebrochen sein, wenn ohne ein'gen Zoll
Der Reu', die Tränen auspreßt, solche Frucht
Gekostet würd' und Lethe überschritten. –
[271] Einunddreißigster Gesang
Der jenseit du des heil'gen Flusses weilest,
Begann fortfahrend sie ohn' alles Säumen,
Indem der Rede Spitze, deren Schneide
Mir schon so weh tat, gegen mich sie kehrte,
Sag' an, ob wahr ich sprach? denn zu so schwerer
Beschuldigung muß dein Geständnis treten. –
Es war so gänzlich meine Kraft gebrochen,
Daß sich die Stimme regte, aber tonlos
Erlosch, eh' ihr Organ sie kundgegeben.
Nach kurzem Warten sagte sie: Was denkst du?
Antworte mir; das Wasser hat die trüben
Erinnerungen dir noch nicht genommen. –
Furcht und Beschämung preßten miteinander
Verbunden solch' ein Ja! aus meinem Munde,
Daß durch das Aug' es nur vernehmbar ward.
So wie die Armbrust, die zu straff gespannt ist,
Drückt man sie los, so Sehne bricht als Bogen,
Weshalb der Pfeil mit mindrer Kraft das Ziel trifft,
So brach ich ob der großen Last zusammen,
Und Tränen quollen vor und so viel Seufzer,
Daß an der Pforte sie die Stimme schwächten.
Und sie zu mir: Was fandest im Verlangen
Nach mir, das jenes Gut dich lieben lehrte,
Jenseits von dem kein Ziel die Sehnsucht findet,
Für Ketten du und welche Wäll' und Gräben,
Die dir die Hoffnung, ihrer Herr zu werden
Und vorzuschreiten so benommen hätten?
Und welcher Vorteil, welch Entgegenkommen
Hat sich auf andrer Güter Stirn gezeigt,
Daß deine Schritte du zu ihnen kehrtest? –
Nachdem ich bitter aufgeseufzt und tief,
Gewann zur Antwort mühsam ich die Stimme
Und kaum gelang dem Mund der Worte Bildung:
[272]
Die gegenwärt'gen Dinge, sagt' ich weinend,
Sie wandten mir durch falsche Lust die Schritte,
Sobald eu'r Angesicht sich mir verborgen. –
Und sie: Ob du verschwiegst, ob leugnetest
Was du gestanden, wäre deine Schuld
Nicht minder kundig, solch ein Richter kennt sie
Doch, klagt mit eignem Mund der Schuldige
Sich selber an, so kehrt an unsrem Hofe
Des Schleifsteins Rad der Schneide sich entgegen.
Allein, damit du jetzo deines Irrtums
Dich schämest, und wenn künftig die Sirenen
Du wieder hörst, du größre Kraft bewährest,
So hemme nun der Tränen Quell und höre
Wie dir ein Antrieb umgekehrten Sinnes
Mein eingesargtes Fleisch zu sein bestimmt war.
Nie wies Natur, nie Kunst, dir solche Wonne,
Als es die schönen Glieder taten, die mich
Umschlossen und auf Erden nun zerstreut sind.
Und schlug durch meinen Tod die höchste Wonne
Dir also fehl, wie konnte dann ein andres
Sterbliches Ding noch dein Verlangen wecken?
Wohl hätt'st du dich schon bei dem ersten Pfeile
Der trügerischen Dinge, mir zu folgen,
Die nicht mehr sterblich war, aufschwingen sollen.
Nicht durften Mädchen dir, noch Eitelkeiten,
Die nutzlos rasch vergehn, die Flügel hemmen,
Daß ausgesetzt du weitren Schlägen bliebest.
Ein junges Vöglein läßt sich mehrmals täuschen;
Doch vor der ausgewachs'nen Augen stellet
Umsonst man Netze aus und zielt mit Pfeilen. –
Wie Kinder die gefehlt, sich schämend, schweigen
Und niederblickend ihre Schelte hören,
Den Fehl erkennend und die Tat bereuend,
So stand ich, und sie sagte: Schmerzt dich schon
Was du gehört, so hebe nun den Bart auf,
Und größren Schmerz wird was du siehst dir bringen. –
[273]
Wohl mit geringrem Widerstande kämpft
Der Nordwind, oder der aus Jarba's Lande,
Wenn einen kräft'gen Eichbaum er entwurzelt,
Als ihr Geheiß, daß ich das Kinn erhebe.
Und wie den Bart statt des Gesichts sie nannte,
Verstand ich wohl das Gift der Redeweise.
Als ich mein Angesicht nun aufgerichtet,
Ward ich gewahr, wie jene ersten Wesen
Mit ihrem Blumenstreuen innehielten.
Mein Aug' indes sah, scheu noch und unsicher,
Beatrix zu dem Tiere, das nur eine
Person in zwei Naturen ist, gewendet.
Verhüllt vom Schleier und jenseit des Wassers
Schien so viel schöner sie, als sie gewesen,
Wie hier sie alle andren überragte.
Da brannte mich so sehr der Reue Nessel,
Daß mir, welch' andres Ding zur Lieb' am meisten
Mich je gelockt, das feindlichste nun wurde.
So brannt' in meinem Herzen Schuldbewußtsein,
Daß ich bewältigt niedersank, – und sie,
Die das bewirkte, weiß in welchem Zustand.
Als dann das Herz den Sinnen wieder Kraft gab,
Sah ich das holde Weib, das ich allein fand,
Nun über mir, und: Fasse mich nur! – sprechend.
Sie zog mich, den sie in den Fluß getaucht
Bis an die Kehle, nach, und auf dem Wasser
Ging sie so leicht als wie ein Weberschiffchen.
Als ich dem seelgen Ufer nahe war,
Hört' ich: »Entsünd'ge mich« so süßen Tones,
Daß ich's nicht sagen, ja nicht denken kann.
Es öffnete das schöne Weib die Arme
Und tauchte mich, mein Haupt umfassend, unter,
Weshalb notwendig Wasser ich verschluckte.
Dann zog sie mich heraus, und den Benetzten
Bot sie dem Reigen der vier Schönen dar,
Und ihrer jed' umfing mich mit den Armen.
[274]
Hier sind wir Nymphen, doch am Himmel Sterne;
Bestellt sind wir zu ihren Dienerinnen,
Noch eh Beatrix niederstieg zur Erde.
Vor ihre Augen woll'n wir dich geleiten;
Doch schärfen für das heitre Licht in ihnen
Die drei, die tiefer blicken, erst die deinen. –
Also begannen singend sie und führten
Mich dann der Brust des Greifen gegenüber,
Wo zu uns hergewandt Beatrix weilte.
Dann sagten sie: Nun spare nicht die Blicke!
Vor die Smaragden stellten wir dich hin,
Draus Amor einst dir seine Pfeile sandte. –
Es zog die meinen zu den Strahlenaugen
Verlangen tausendfach, wie Flammen glühend;
Sie aber hafteten am Greife nur
Nicht anders strahlte drin, als wie im Spiegel
Die Sonne strahlt, das zwiegestalt'ge Tier,
In dieser bald und bald in andrer Weise.
Erwäge, Leser, ob ich mich verwundert,
Als ich die Sache, ruhig in sich selber,
In ihrem Abbild so sich wandeln sah.
Noch nährte froh und staunend meine Seele
Sich von der Speise, die zwar mit sich sättigt,
Doch immer neuen Hunger nach sich wachruft.
Da traten, höhre Abkunft in der Haltung
Verratend, die drei andren Frau'n hervor
Und tanzten vor dem Engelswagen her.
Beatrix, wende deine heil'gen Augen
Nun deinem Treuen zu, so war ihr Lied,
Der, dich zu sehn, so manchen Schritt getan hat.
Tu' uns die Gnad', aus Gnade deinen Mund
Ihm also zu enthüllen, daß er auch
Die zweite Schönheit, die du birgst, erkenne. –
O Glanz des ewigen, lebend'gen Lichtes!
Wer bleichte so in des Parnasses Schatten
Die Wange, wer trank so aus seinem Brunnen,
[275]
Daß nicht umnebelt dann sein Geist erschiene,
Wenn er, zu schildern, wie du war'st versuchte,
Als du, von Himmelsharmonien umschattet,
Dein Angesicht der freien Luft enthülltest!
Zweiunddreißigster Gesang
So haftete mein Auge fest und eifrig,
Zehn Jahre langen heißen Durst zu stillen,
Daß tot die andren Sinne sämtliche schienen.
Mit einer Wand umgab sie rechts und links
Gleichgültigkeit; so zog das heil'ge Lächeln
Sie mit dem alten Netze zu sich hin.
Da ward gewaltsam nach der linken Seite
Von jenen Göttinnen mein Blick gewandt;
Denn ich vernahm: Nicht allzustier! – sie sagen.
Und jener Zustand, der die Augen blendet,
Wenn eben erst die Sonne sie getroffen,
Beraubte mich auf ein'ge Zeit der Sehkraft.
Als dann mein Aug' allmählich für Gering'res
Empfänglich ward (Gering'res im Vergleiche
Des Zuviel, dem mein Aug' entrissen war),
Gewahrt' ich, wie zur rechten Seite hin
Die heil'ge Schar gekehrt war, und das Antlitz
Zur Sonne wandte und den sieben Flammen.
Wie eine Kriegsschar, die, beschützt von Schilden,
Um sich zu retten fliehn will, mit der Fahne
Voraus, sich wendet, ehe ganz sie umkehrt,
So ging der Teil von jenem Himmelsheere,
Der erst voranging, ganz an uns vorbei,
Eh noch sein vordres Holz den Wagen wandte.
Dann stellten zu den Rädern sich die Frauen,
Und ohne, daß sich eine Feder regte,
Bewegte die geweihte Last der Greif.
Von Statius und von mir begleitet, folgte
[276]
Das holde Weib, die durch die Furth mich zog,
Dem Rade, das die kleinste Wendung machte.
Es regelte, als durch den Wald (der leer steht
Durch deren Schuld, die einst der Schlange glaubte)
Wir gingen, unsren Schritt ein Engelslied.
Vielleicht, daß solchen Raum in dreien Flügen
Ein losgelass'ner Pfeil durchmißt, als wir
Zurückgelegt, da Beatrice abstieg.
Da hört' ich murrend alle »Adam« sagen.
Drauf kreisten sie um einen Stamm, des Zweige
Beraubt der Blüten waren, wie der Blätter.
Sein Haar, das um so weiter sich verbreitet,
Je mehr es aufsteigt, würd' ob seiner Höhe
Selbst in den Wäldern Indiens Staunen wecken.
Gesegnet sei'st du, Greif! daß dieses Holzes
Dein Schnabel sich enthält, obwohl es süß schmeckt;
Denn übel wurmt es hinterdrein im Bauche. –
So schrie'n, rings um den kräft'gen Baum, die andren;
Das zwiegestalt'ge Tier dagegen sagte:
Also bewahrt man alles Rechtes Samen! –
Und zugewandt der Deichsel, die er lenkte,
Zog er zum Fuß sie des verwaisten Baumes
Und ließ an ihn, was von ihm war, gebunden.
Wie unsre Pflanzen, wenn das große Licht
Vermischt mit dem zur Erde niederfällt,
Das, auf die Himmelsfische folgend strahlt,
In ihren Knospen schwellen, und dann jede
In eigner Farbe sprießt, noch eh die Sonne
In andrem Sternbild ihre Rosse anschirrt,
So ward der Baum, der so verwaiste Zweige
Zuvor gewiesen, neu belebt, mehr Farbe
Als Veilchen, weniger als Rosen zeigend.
Den Hymnus, welchen jene Schar dann sang,
Verstand ich nicht; hier wird er nicht gesungen,
Auch konnt' ich bis zu Ende nicht ihn hören.
Wüßt' ich zu schildern, wie die strengen Augen
[277]
In Schlaf, als sie von Syrinx hörten, sanken,
Und längres Wachen dann so teuer zahlten,
Dann würd' ich, wie, wenn er ein Vorbild nachmalt,
Der Maler tut, wie ich in Schlaf fiel zeichnen;
Nun schildre, wie man einschläft, wer da Lust hat,
Drum übergeh' ich bis wo ich erwachte,
Und sag', ein Glanz zerriß des Schlafes Schleier
Mir mit dem Ruf vereint: Steh auf! was säumst du? –
So wie Johannes, Petrus und Jacobus,
Als sie (geführt, des Apfelbaumes Blüten,
Nach dessen Frucht die Engel selbst gelüstet
Und der im Himmel ew'ge Hochzeit feiert,
Zu sehn) entschlummert waren, bei dem Worte
Das tiefren Schlaf bezwungen hat, erwachten,
Und ihre Schule dann gemindert fanden
Sowohl um Moses als auch um Elias,
Und umgewandelt ihres Meisters Kleidung –
So sah, als mir Besinnung wiederkehrte,
Ich jene Fromme neben mir, die längs
Des Bachs geleitet hatte meine Schritte.
Wo ist Beatrix? – sagt' ich voller Zweifel.
Drauf jene: Siehe dort sie auf der Wurzel
Des neubelaubten Baum's im Schatten sitzen.
Sieh das Geleite, welches sie umgibt;
Die andren gehn dem Greife nach gen oben
Und singen süß're Lieder noch und tiefre. –
Nicht weiß ich, ob sie weiter noch gesprochen:
Schon hatten meine Augen die erfaßt,
Die mich für andres unempfänglich machte.
Sie saß allein auf dem wahrhaften Boden,
Geblieben, um den Wagen zu bewachen,
Den ich vom Doppeltier befest'gen sah.
Im Kreis' umschlossen sie die sieben Nymphen
Und trugen jene Lichter in den Händen,
Die sicher sind vor Nordwind oder Föhn:
Nur kurze Zeit noch wirst ein Gast du hier sein;
[278]
Dann bleibst du ewig Bürger jenes Rom's,
Von welchem Christus selbst ein Römer ist;
Darum, der Welt zum Nutz, die übel wandelt,
Sollst auf den Wagen du die Augen richten,
Und heimgekehrt, was du gesehn hast, schreiben, –
So sprach Beatrix, und, der ich bereit
Zu ihres Willens Füßen saß, ich wandte
So Geist als Augen dorthin, wo sie wollte.
Aus dichter Wolke schoß mit solcher Schnelle
Niemals die Flamme nieder, wenn der Regen
Von unsres Dunstkreis' fernster Grenze kommt,
Als durch den Baum den Vogel Jupiter's
Ich niederschießen sah, die Rinde splitternd
So wie die Blumen und die neuen Blätter.
Mit aller seiner Kraft traf er den Wagen;
Der aber wankte, wie ein Schiff in Nöten,
Das Wellen hinten bald, bald vorn bedrängen.
Dann sah ich in des Siegeswagens Wiege
Sich einen Fuchs voll Freßbegierde stürzen,
Der alles guten Futters ledig schien.
Doch meine Herrin zieh ihn schnöder Sünden
Und jagte ihn in so behende Flucht,
Als die Gebeine ohne Fleisch ihn trugen.
Dann aber sah ich in des Wagens Arche
Vom vor'gen Ort den Adler wiederkehren
Und seiner Federn einen Teil ihr lassen.
Wie aus der Brust die bitter sich beklaget,
So kam vom Himmel eine Stimm' und sagte:
Wie bist, mein Schifflein, übel du beladen! –
Dann war's, als täte zwischen den zwei Rädern
Der Grund sich auf, ausspeiend einen Drachen,
Der mit dem Schwanze das Gefährt durchbohrte.
Und, wie zurück den Stachel zieht die Wespe,
So riß, den bösen Schweif er nach sich ziehend,
Ein Stück vom Boden aus und floh behende;
Was übrig blieb, bezog, wie fettes Erdreich
[279]
Mit Grase, mit den Federn sich, die wohl
Gespendet waren in der besten Absicht.
Das ein' und andre Rad, die Deichsel auch
Bedeckten sich damit in solcher Schnelle,
Daß länger wohl den Mund ein Seufzer aufhält.
Also verwandelt, streckte dann das heil'ge
Gebäude Häupter vor aus seinen Teilen:
Drei aus der Deichsel, eins aus jeder Ecke.
Gehörnt wie die des Stieres, waren jene,
Nur ein Horn aber trugen die vier andren;
Ein ähnlich Ungetüm war nie zuvor.
Wie eine Burg auf hohem Felsen trotzig,
Sah auf dem Untier eine Hur' ich sitzen,
Die rings umher die frechen Blicke wandte,
Und neben ihr, hoch aufrecht, auf der Wacht,
Daß man sie ihm nicht raube, stand ein Riese,
Der geiler Küsse manchen mit ihr tauschte.
Als rings umschweifend sie das gier'ge Auge
Auf mich gerichtet, schlug der wilde Buhle
Vom Haupt sie bis zur Sohle mit der Geißel;
Dann aber lös't er voll Verdacht und zornig
Das Ungetüm und schleppt' es in den Wald
So weit hinein, daß dieser mich vom Anblick
Der Hure und des neuen Tiers befreite.
Dreiunddreißigster Gesang
In süßer Psalmodie begannen weinend
Die Frau'n: »Herr in dein Erbe sind die Heiden
Gefallen«, wechselnd ihrer drei und vier.
Beatrix aber horchte dem Gesange
So schmerzlich seufzend, daß am Fuß des Kreuzes
Nur wenig mehr Maria sich verfärbte.
Als ihrer Rede dann die andren Jungfrauen,
Indem sie selber schwiegen, Raum gegeben,
[280]
Erhob sie sich zur Antwort, rot wie Feuer:
In kurzem werdet ihr mich nicht mehr sehen;
Dann aber auch, ihr meine lieben Schwestern,
In kurzem werdet ihr mich wiedersehen. –
Voranzugehn befahl sie dann den Sieben
Dem holden Weib, und mir durch Wink gebietend,
Gleich Statius, der noch weilte, ihr zu folgen.
So ging sie, und nicht ihrer Schritte zehnten,
Bedünkt mich, hatte nieder sie gesetzt,
Als ihre Augen auf die meinen trafen.
Mit ruh'gem Ausdruck sprach sie: Geh geschwinder,
Damit, wenn ich die Rede an dich richte,
Du wohl bereitet sei'st, auf mich zu hören. –
Als neben ihr ich war, so wie ich sollte,
Begann sie: Bruder, da du mit mir kommst,
Warum mich zu befragen wagst du nicht? –
Wie denen, die bei zu viel Ehrerbietung
Mit dem, der höher steht, zu reden haben,
Kaum hörbar an die Zähne dringt die Stimme,
Also geschah mir; denn nur halbvernehmlich
Begann ich: Herrin, alles was mir nottut
Kennt ihr und so auch, was dafür mir gut ist. –
Von aller Furcht und Scham, das ist mein Wille,
Sollst du dich nun befrein, so sagte sie,
Daß du nicht redest, wie ein Mann der träumet.
Vernimm, der Wagen, den der Wurm zerbrochen,
War, aber ist nicht. Wer dran Schuld hat, wisse,
Die Rache Gottes scheut nicht Eingebrocktes.
Nicht immerdar bleibt unbeerbt der Adler,
Von dem der Wagen das Gefieder hat,
Das erst zum Untier, dann zur Beut' ihn machte.
Denn sicher seh' ich, und darum bericht' ich's
Schon nahe Sterne, frei sowohl von Hind'rung
Als Widerstande eine Zeit uns bringen,
In der ein Gottgesendeter Fünfhundert
Und Zehn und Fünf die Räuberin wird töten
[281]
Sowie den Riesen, welcher mit ihr sündigt.
Vielleicht, daß, dunkel, so wie die der Themis
Und Sphinx, dich meine Rede zweifeln läßt,
Weil sie nach deren Art den Sinn verhüllt;
Doch werden die Geschicke bald Najaden
Dir werden und dies schwere Rätsel lösen,
Und unbeschädigt Vieh und Feldfrucht bleiben.
Du aber merk' und melde diese Worte,
Wie ich sie sagte, denen, die des Lebens,
Das nur zum Tod' ein Laufen ist, noch leben.
Auch sollst, wenn du sie schreibst, du nicht verschweigen,
In welchem Zustand du den Baum gesehn hast,
Der nun zum zweiten Male hier beraubt ward.
Wer immer ihn beraubt, wer ihn zersplittert,
Der kränkt durch tatgewordne Läst'rung Gott,
Der nur zu seinem Dienst ihn heilig schuf.
Fünftausend Jahr' und mehr verlangt' in Sehnsucht
Die erste Seele, weil von ihm sie aß,
Nach dem, der an sich selbst den Biß bestrafte.
Es schläft dein Geist, wenn er nicht wohl erkennt,
Daß aus besondrem Grund der Baum so hoch
Und fremdgestaltet ist in seinem Gipfel.
Und wären nicht die eitelen Gedanken
Für deinen Geist gleich Elsa's Flut gewesen,
Und ihre Lust, wie Pyramus dem Maulbeer,
So würdest du schon aus so vielen Gründen
Sittlich die göttliche Gerechtigkeit
In dem Verbot des Baumes erwiesen finden.
Doch, weil in deinem Geiste ich versteinert,
Und in dem Steine noch verfärbt, dich finde,
So daß dich blendet meiner Rede Licht,
Sollst du, wenn auch als Schrift nicht, doch als Bild,
Sie innen mit dir nehmen, aus dem Grunde,
Warum den Stab mit Palmen Pilger schmücken. –
Und ich: So wie die eingegrabne Form
Des Siegels sich im Wachs entsprechend ausdrückt,
[282]
So trägt jetzt eure Prägung mein Gehirn.
Warum indes fliegt eu'r ersehntes Wort
So über meine Sehkraft weit hinaus,
Daß sie's nur mehr verliert, je mehr sie nachstrebt? –
Damit du würd'gen lernst die Schule, welcher
Du anhingst, und wie wenig ihre Lehre
Imstand' ist, meinem Wort zu folgen (sprach sie),
Und seh'st, wie Gottes Wege von den euren
So weit entfernt sind, als von eurer Erde
Der Himmel absteht, der am höchsten eilet. –
Und ich erwiderte: Ich wüßte nicht,
Daß ich mich je von euch entfremdet hätte,
Noch macht mir mein Gewissen solchen Vorwurf. –
Kannst du dich, so entgegnete sie lächelnd,
Nicht dran erinnern, so erwäge nur,
Daß du vom Lethe eben erst getrunken.
Und wie man aus dem Rauch auf's Feuer schließet
So zeigt dies dein Vergessen, daß dein Wille,
Der andres Ziel verfolgte, schuldig war.
Jedoch von nun an sollen meine Worte
Insoweit nackt sein, als sie zu enthüllen
Notwendig ist für deine blöden Augen. –
Und flammender und mit langsamren Schritten
Verweilte schon die Sonn' im Mittagskreise,
Der hin und her mit dem Beschauer wechselt,
Als an dem Ende des farblosen Schattens,
(Wie unter grünem Laub und schwarzen Ästen
Die Alpen ihn an kühlen Bächen tragen)
Die sieben Frau'n nicht anders stille standen,
Als der tut, der, geht er der Schar als Führer
Voraus, auf neues oder dessen Spur trifft.
Euphrat und Tigris schienen mir vor ihnen
Hervorzurinnen aus derselben Quelle,
Und dann, gleich Freunden zögernd, sich zu trennen.
O Licht, o Ruhm des menschlichen Geschlechtes,
Was für ein Wasser strömt von einem Ursprung
[283]
Hier aus, um dann sich von sich selbst zu scheiden? –
Auf solche Bitte wurde mir erwidert:
Matelda bitte, daß sie dir es sage. –
Da sprach das holde Weib, wie wer Verschuldung
Ablehnen will: So dies als andre Dinge
Vernahm er schon von mir, und Lethe's Wasser
Hat sicher davon nichts vor ihm verborgen. –
Drauf Beatrice: Wohl mag größre Sorge,
Die oftmals das Gedächtnis raubt, verdunkelt
Das Auge der Erinnerung ihm haben
Sieh aber Eunoè, die dort entspringet;
Zu dieser führ' ihn so wie du gewohnt bist,
Ihm die erlahmte Kraft neu zu beleben. –
So wie ein edles Herz nicht Ausflucht suchet;
Nein, zu dem seinen macht den fremden Willen,
Sobald ein Zeichen ihm ihn offenbaret,
Nicht anders schritt, nachdem sie mich erfasset,
Das holde Weib voran und sprach zu Statius
Im Ton der Herrin: Komm auch du mit ihm. –
Wär' mir, o Leser, weitrer Raum zum Schreiben
Verstattet, sänge ich den süßen Trank
Wohl teilweis, der mich nie gesättigt hätte;
Weil aber voll schon sind die Blätter alle,
Die für dies zweite Lied ich angelegt,
So heißt der Zaum der Kunst, mich innehalten.
Erneuert kehrt' ich von der heil'gen Quelle
In gleicher Art zurück, wie junge Pflanzen
Verjüngert sich durch junge Blätter fühlen,
Rein und bereit zum Aufschwung nach den Sternen.

Das Paradies

Erster Gesang
Des Allbewegers Herrlichkeit durchdringt
Das ganze Weltall, aber sie erglänzet
An einer Stelle mehr, als an der andren.
Im Himmel, dem von seinem Licht am meisten
Zuteil wird, war ich und ich schaute Dinge,
Die weder sagen kann, noch weiß, wer heimkehrt.
Denn, naht sich unser Geist dem letzten Ziele
Der Sehnsucht, so versinkt in solche Tief' er,
Daß das Gedächtnis ihm nicht folgen kann.
Doch, was an Schätzen aus dem heil'gen Reiche
Aufspeichern ich in der Erinnrung konnte,
Sei nun der Gegenstand von meinem Liede.
O gütiger Apollo, mach du mich
So zum Geräte für die letzte Arbeit,
Wir du verlangst zur werten Lobeerspende.
Der eine von den Gipfeln des Parnasses
Genügte mir bisher; nun muß mit beiden
Ich auf den Plan, der noch zurück ist, treten.
So zeuch denn ein in meine Brust und hauche,
Sowie du tatest, als den Marsyas
Du aus der Scheide seiner Glieder zogest!
O Himmelskraft, gewährst du dich so weit mir,
Daß des gebenedeiten Reiches Schatten,
Wie ihn mein Haupt bewahrt, ich offenbare,
So siehst du zu dem Baume der dir lieb ist
Mich kommen, mit dem Laub mich zu bekränzen,
Des du mich wert machst und der Gegenstand.
So selten wird davon gepflückt, o Vater,
Damit zu krönen Feldherrn oder Dichter
(Zur Schuld und Schande menschlicher Begierden),
Daß des Penéus Laub dem frohen Gotte
Von Delphi, wenn in jemand es Verlangen
Nach sich hervorruft, Lust bereiten sollte
[286]
Aus kleinem Funken lodert große Flamme;
Vielleicht, daß einst mit mehr befugter Stimme
Gebeten wird um Cirrha's günst'ge Antwort.
Aus manch verschiedner Mündung steigt die Leuchte
Der Welt den Sterblichen empor; jedoch
Aus keiner bess'ren Laufs und mit Gestirnen
Von höhrer Kraft verbunden, nie bereitet
Und siegelt sie so gut das Wachs der Welt,
Als wenn vier Kreisen sie drei Kreuze einet.
Fast hatte Morgen jene Mündung dort,
Und Abend hier gemacht; deshalb war jene
Halbkugel völlig hell, die unsre dunkel,
Als ich Beatrix nach der linken Seite
Gewendet sah und in die Sonne schauen;
Kein Adler schaute je so fest hinein.
Und wie ein zweiter aus dem ersten Strahle
Hervorzugehn und aufzusteigen pflegt,
Gleich wie ein Pilger, der sich wieder heimsehnt,
So folgte ihrem Tun, das durch die Augen
Sich mitgeteilt mir hatte, meines nach,
Und über Menschenbrauch blickt' ich zur Sonne.
In Kraft des Ortes, der geschaffen ward
Zum Eigentum der Menschheit, können dort
Die Sinne manches, was sie hier nicht können.
Nicht lang' ertrug ich's, aber doch so lange,
Daß ich rings um sie funkeln sah, wie wenn
Das Eisen siedend aus dem Feuer rinnet.
Und plötzlich schien ein zweiter Tag dem Tage
Hinzugefügt, als hätte, der es kann,
Mit einer Sonne mehr geschmückt den Himmel.
Es haftete nur an den ew'gen Rädern
Beatrix' Auge, und als ich die meinen,
Von oben abgekehrt, auf sie nur wandte,
Ward ich in ihren Anblick innerlich
Dem Glaukus ähnlich, der als er vom Kraute
Geprobt, Genosse ward der Meeresgötter.
[287]
»Die Menschheit überschreiten« ist durch Worte
Nicht auszudrücken, drum genüge jedem,
Dem Gnad' Erfahrung vorbehält, das Beispiel.
Ob ich nur das war, was du neu geschaffen,
Weißt du, o Liebe, die den Himmel lenket,
Da du mit deinem Lichte mich emporhobst.
Als mich das Kreisen, welches du durch Sehnsucht
Verewigst, durch die Harmonie, die du
Bestimmst und einteilst, zu sich hingewendet,
Schien durch der Sonne Flamme mir vom Himmel
So viel entbrannt zu sein, daß Überschwemmung
Und Regen nie so großen See gebildet.
So machten mich nach ihrem Grund begierig
Des Tones Neuheit und das große Licht,
Daß gleiche Wißbegier ich nie gekannt.
Doch sie, die mich verstand, so wie ich selber
Tat eh' zum Fragen ich den Mund geöffnet,
Den ihren, um mich zu befried'gen, auf,
Und sie begann: In deinem falschen Wahne
Betörst du selber dich: so daß du nicht siehst,
Was, würfest du ihn ab, du sehen würdest.
Nicht auf der Erde bist du wie du wähnest;
Nie fuhr ein Blitz, verlassend seine Stätte,
So schnell hinab, als du zu ihr hinauf eilst. –
Wenn mich die kurzen, unter süßem Lächeln
Gesprochnen, Worte von dem ersten Zweifel
Befreit, verstrickte nun ein zweiter mich.
Ich sagte: Schon werd' ich von großem Staunen
Beruhigt; doch, wie diese leichten Körper
Mein Körper überfliegt, bestaun' ich nun. –
Drauf richtet' unter mitleidsvollem Seufzer
Auf mich den Blick sie mit der Mutter Ausdruck,
Die ihres Kindes Fieberwahne zuschaut.
Und sie begann: Geordnet zueinander
Sind alle Dinge; dies Gesetz allein
Macht, daß das All der Welt Gott ähnlich ist.
[288]
Es sehn in ihm die hohen Kreaturen
Die Spur der höchsten Kraft, in der das Ziel liegt,
Zu welchem die gedachte Ordnung hinweist.
Es fügen ihr sich alle Wesen ein,
Die ihrem Ursprung, je nach ihrem Lose,
Mehr oder minder fern und nahe sind.
Drum schiffen in des Daseins großem Meere
Sie nach verschied'nen Häfen, und Naturtrieb
Ward jedem zugeteilt, daß er es leite.
Er ist es, der das Feuer mondwärts treibt,
Des Menschenherzens Regung kommt von ihm,
Er ist es, der den Erdball eint und festigt.
Und dieses Bogens Pfeile treffen
Nicht nur erkenntnislose Wesen, nein,
Auch die begabt mit Einsicht sind und Liebe.
Es gibt die Vorsehung, die dies geordnet,
Mit ihrem Licht dem Himmel ew'ge Ruhe,
In welchem, der am schnellsten eilt, sich drehet.
Jetzt aber trägt, wie zu beschlossenem Ziele
Dorthin uns jener Bogensehne Kraft,
Die was sie losschnellt lenkt zu frohem Ende.
Wohl ist es wahr, daß, wie des Künstlers Absicht
Die Form oft nicht entsprechen will, indem
Der Stoff, als wär' er taub, nicht Antwort gibt,
So das Geschöpf sich oft von dieser Bahn
Losmacht, da, trotz des Antriebs, es die Macht hat,
Sich auch nach andrer Seite hinzuwenden
(Wie ja zur Erde Feuer aus der Wolke
Man fallen sieht), sobald durch falsche Lüste
Zu Irdischem der erste Drang gelenkt wird.
Nun hast du, schließ' ich recht, nicht größren Anlaß
Zum Staunen, als wenn du von hohem Berge
Zum Tal hernieder fließen siehst den Bach.
Wär'st, frei vom Hemmnis, unten du geblieben,
So wäre das nicht minder zu verwundern,
[289]
Als blieb' am Boden haften frisches Feuer. –
Dann wandt' ihr Aug' aufs neue sie gen Himmel.
Zweiter Gesang
Die hörbegierig ihr in kleinem Nachen
Bis hieher nachgefolgt seid meinem Schiffe,
Das mit Gesange seine Bahn durchmißt,
Kehrt nun zurück zu eurem Heimatsstrande,
Wagt nicht ins hohe Meer euch; denn ihr wäret,
Verlört ihr meine Spur, gar leicht verloren.
Nie ward das Meer beschifft, das ich befahre,
Mich führt Apoll, Minerva schwellt die Segel
Und die neun Musen zeigen mir die Bären.
Ihr wenigen jedoch, die ihr bei Zeiten
Den Hals gestreckt nach jenem Engelsbrote,
Das Nahrung hier, nie Sättigung gewährt,
Wohl dürft eu'r Schifflein in die hohe Meerflut
Ihr lenken, haltet ihr nur meine Furche,
Eh sich das Wasser wieder glättet, ein.
Die Ruhmgekrönten, die nach Kolchis fuhren,
Erstaunten minder, wie zum Pflüger Jason
Geworden war, als ihr erstaunen werdet. –
Uns trug der anerschaff'ne ew'ge Durst
Nach jenem Reich, das Gottes Stempel trägt,
So schnell fast als der Fixsternhimmel kreis't.
Beatrix sah nach oben, ich auf sie,
Und in der Zeit, in der ein Pfeil ans Ziel kommt
Und fliegt und von der Nuß sich losmacht,
Gelangt' ich dorthin wo ein wunderbares
Gesicht mein Auge auf sich zog; Sie aber,
Der nichts verborgen blieb, was in mir vorging,
Sie wandte sich zu mir so schön als freudig
Und sagte: Richte dankbar nun den Geist
Zu Gott, der uns dem ersten Stern vereint hat. –
[290]
Mir war es, als bedeck' uns eine Wolke,
Die licht und dicht war, fest und wie geglättet,
Daß Diamant im Sonnenstrahl sie schien.
Es nahm uns in sich selbst die ew'ge Perle
Nicht anders auf, als wie den Strahl des Lichtes
Das Wasser aufnimmt und in sich geeint bleibt.
War ich nun Körper, und ist's unbegreiflich,
Daß eine Räumlichkeit die andre zuließ,
Wie wenn ein Körper in den andren schlüpfte,
So sollten drum nur heißer wir verlangen
Die Wesenheit zu schauen, welche zeigt,
Wie Gott sich menschlicher Natur geeinigt.
Was hier wir glauben, das wird dort man schauen,
Nicht als erwiesen, nein als selbstverständlich,
So wie die erste Wahrheit, die wir glauben.
Andächtig, wie ich irgend nur zu sein weiß
(Sagt' ich darauf), o Herrin, dank' ich dem,
Der mich der Welt der Sterblichkeit entrückt hat.
Doch saget mir, was sind die dunklen Zeichen
An diesem Körper, die zu Kainsfabeln
Dort unten auf der Erde Anlaß geben? –
Nach kurzem Lächeln sprach sie: Daß die Meinung
Der Menschen da auf falschen Wegen geht,
Wo nicht aufschließen kann der Sinne Schlüssel,
Darf mit des Staunens Pfeil dich nicht mehr treffen,
Siehst du zu kurz die Flügel der Vernunft
Selbst da, wo ihr den Weg die Sinne weisen.
Doch sage mir, was deine Ansicht ist? –
Und ich: Was uns verschieden scheint hier oben,
Bewirkt, so glaub' ich, Lockerheit und Dichte. –
Und sie zu mir: Gewiß wirst du dein Wähnen
In Irrtum tief versunken sehn, vernimmst du,
Was ich dagegen dir entwickeln werde.
Es hat die achte Sphäre viele Lichter,
Die, als an Art verschieden wie an Größe
Erkennen muß, wer auf ihr Aussehn acht hat.
[291]
Wenn Lockerheit und Dichte das bewirkten,
So wäre eine Kraft in ihnen allen.
Verschieden nur verteilt nach mehr und minder.
Verschiedne Kräfte müssen unterschiedner
Urgründe Früchte sein; die aber wären
Nach deiner Meinung, bis auf einen, tot.
Und wäre Lockerheit der Grund des Dunkels,
Nach dem du fragst, so wäre ja entweder
Der Mond dort durch und durch so stofflos, oder
In seinem Umfang wechselten die Schichten
Von dicht und locker, so wie fett und mager
In eines Körpers Fleisch verteilt wir sehen.
Das erste würde, wär' es wahr, sich zeigen,
So oft die Sonne sich verfinstert, da ihr Licht
Durchscheinen müßte, wie durch andres Lock're.
Ist dem nun nicht, so ist nur noch das andre
Zu prüfen; wenn ich dann auch dies vernichte,
Wird deine Meinung sich als falsch ergeben.
Durchdringt das Lock're denn den Mond nicht ganz,
So muß ein Endpunkt sein, an dem das Dichte
Das Licht verhindert, weiter vorzudringen.
Dort aber müßte so der fremde Strahl
Abprallen, wie ein farbig Bild vom Glase,
Das hinten überkleidet ist mit Blei.
Nun sagst du wohl, es zeige sich um deshalb
Der Strahl dort dunkler als an andren Stellen,
Weil weiter rückwärts er gespiegelt werde;
Von diesem Einwurf kann, willst du sie machen,
Erfahrung dich befreien, die die Quelle
Von allen Bächen eurer Kunst zu sein pflegt.
Drei Spiegel nimm, entferne deren zweie
Gleich weit von dir, und lasse zwischen beiden
Den dritten ferner ab dein Auge treffen.
Laß hinter deinem Rücken, bist den Spiegeln
Du zugewandt, ein Licht aufstell'n, das alle
Erhell' und rückgestrahlt von allen werde.
[292]
Erreicht nun auch, des Bildes Größe nach,
Der fernre Spiegel nicht die beiden nähern,
So siehst du doch gleichmäßig alle glänzen.
Da, so wie von der Kraft der warmen Strahlen
Der Boden schneebefreit sich wieder bloßlegt,
Des Winters Farbe und den Frost verlierend,
Nunmehr dein Geist geworden ist, so will ich
Mit so lebend'gem Lichte dich erleuchten,
Daß du erbeben sollst bei dessen Anblick.
Im Himmel ew'gen Gottesfriedens dreht
Ein Körper sich, in dessen Kraft das Wesen
Vor allem dem beruht, was er enthält.
Der nächste Himmel mit den vielen Lichtern
Verteilt dies Wesen in verschiedne Gaben,
Von ihm verschieden und in ihm enthalten.
Die andren Kreis', in gar verschiedner Weise,
Verteilen ihrer Kräfte Unterschied
Je nach dem Zwecke und je nach dem Samen.
So ist der Gang von diesen Weltorganen,
Von Stufe, wie du nun erkennst, zu Stufe;
Von oben nehmen sie und wirken abwärts.
Nun achte wohl auf mich, wie zu der Wahrheit,
Die du begehrst, ich diesen Punkt durchschreite,
Damit allein du einst die Fuhrt nicht fehlest:
Die Kraft der hei'gen Kreis' und die Bewegung
Muß, wie die Kunst des Hammers von dem Schmiede,
Ausgehen von den seligen Bewegern.
Der Himmel, den so viele Lichter schmücken,
Nimmt von dem tiefen Geist, der ihn beweget,
Das Abbild in sich auf und wird sein Stempel.
Wie ihr die Seele sich in eurem Staube
In Gliedern mannigfacher Art und Zweckes
Auflösen sehet zu verschiednen Kräften,
So wird die Güte der Intelligenz,
Indem sie selbst um ihre Einheit kreiset,
Zur Vielfachheit in der Gestirne Wirkung.
[293]
Verschiedene Kraft tritt in verschiedner Mischung
Zum Himmelskörper, welchen sie belebt,
An ihn sich, wie an euch das Leben, bindend.
Aus der gemischten Kraft strahlt durch den Körper
Die freudige Natur, von der sie herstammt,
Wie aus lebend'gem Augenstern die Freude.
Das ist es, und nicht Lockerheit und Dichte,
Was einen Stern verschieden macht vom andren:
Ein wesentlich Prinzip, das Hell und Dunkel
Je nach dem Maße seiner Güt' erzeuget. –
Dritter Gesang
Die Sonne, die mein Herz in Lieb' entflammte,
Sie hatte mir das Antlitz schöner Wahrheit
Beweisend und verwerfend nun enthüllet.
Um zu bekennen, daß ich überzeugt
Und meines Irrtums mir bewußt sei, hob ich
So weit zum Reden nötig war mein Haupt;
Doch ein Gesicht erschien mir, das mein Auge
So ganz gefangen hielt, daß mein Geständnis
Vergessen wurde und nicht ausgesprochen.
Gleich wie aus glattem und durchsicht'gem Glase,
Und wie aus klarem wellenlosem Wasser,
Das, weil es flach, den Boden nicht verbirgt,
Die Linien unsrer Züge so verschwimmend,
Daß eine Perl' auf weißer Stirne leichter
Das Auge unterscheidet, wiederkehren,
Sah ich Gesichter, die bereit zum Reden
Mir schienen, und ich irrte umgekehrt,
Als der in Liebe zu dem Quell entbrannte.
Denn kaum, daß wahrgenommen ich sie hatte,
Als ich, im Wahn, es seien Spiegelbilder,
Zu sehn von wem sie sei'n, das Auge wandte.
Als nichts ich sah, wandt' ich sie wieder vorwärts
[294]
Grad' in das Licht der süßen Führerin,
Die lächelnd in den heil'gen Augen glühte.
Sie sprach: Belächl' ich deinen knabenhaften
Gedanken, so verwundre das dich nicht,
Da noch dein Fuß, nicht sicher in der Wahrheit
Sich gründend, wie er pflegt, Abwege wandelt.
Wahrhafte Wesen, die hierher gebannt sind
Weil ihr Gelübde sie gebrochen, siehst du.
Drum sprich sie an, und glaube was sie sagen,
Denn das wahrhafte Licht, das sie befriedigt,
Erlaubt nicht, daß von ihm den Fuß sie wenden. –
Den Schatten, der, so schien es, das Gespräch
Am meisten wünschte, sprach ich an und sagte
Gleich einem, den zu großer Wunsch bedränget:
Zum Heil geschaffner Geist, der bei den Strahlen
Des ew'gen Lebens du die Süße fühlest,
Die ungekostet nie verstanden wird,
Als Gunst nähm' ich es auf, wenn euer Los
Und deinen Namen du mir künden wolltest. –
Bereit und frohen Blick's sprach dann der Schatten:
Gerechtem Wunsche schließet unsre Liebe
Die Pforte nimmer; denn sie gleicht der höchsten,
Die ihren ganzen Hof sich ähnlich sehen will.
Auf Erden war ich gottverlobte Jungfrau,
Und wenn du dein Gedächtnis recht befragest,
Kann mich vermehrte Schönheit Dir nicht bergen,
Und als Piccarda wirst du mich erkennen,
Die mit den andren Seligen hier selig
Ich in der langsamsten der Sphären bin.
Es fügen unsre, nur im Wohlgefallen
Des heil'gen Geist's entbrannte, Wünsche freudig
Der Ordnung sich, die er für sie verfügte.
Dies Los, das niedrig vor den andren scheint,
Ward uns, weil die Gelübde, die wir taten,
Versäumt wir und zum Teil gebrochen haben. –
Und ich: Es strahlt aus euren wunderbaren
[295]
Gesichtern solch besondrer Gottesglanz,
Daß er den alten Bildern euch entfremdet;
Darum war ich so säumig im Erinnern.
Nun aber, wo was du gesagt mir nachhilft,
Wird leichter mir, dich wieder zu erkennen.
Doch sage, die ihr selig hier euch fühlet,
Begehrt ihr nicht nach einer höhren Stelle,
Um mehr zu schauen und werter Gott zu werden? –
Als mit den andren etwas sie gelächelt,
Gab sie mir Antwort mit solch frohem Ausdruck,
Als glühte sie im ersten Liebesfeuer:
O Bruder, Ruhe spendet unsrem Willen
Der Liebe Kraft, die uns nur was wir haben
Begehren läßt und nach nichts andrem dürsten.
Wenn wir verlangten höher aufzusteigen,
Wär' unser Wunsch nicht mit dem Willen dessen
In Einklang, welcher diesen Stern uns anwies;
Das aber kann nicht sein in diesen Kreisen.
Du siehst es ein, erwägst du, daß in Liebe
Hier alle sind, und die Natur der Liebe'
Denn wesentlich im Sein der Sel'gen ist es,
Daß in dem göttlichen ihr Wille bleibe:
Einträchtig ist drum unser aller Wille.
Wie wir verteilt in diesem Reich von Stufe
Zu Stufe sind, gefällt's dem ganze Reiche;
Denn aller Willen lenkt des Königs Wille.
Sein Will' ist unser Will', er ist das Meer
Zu welchem alles hinfließt, was er selber
Geschaffen und was die Natur gebildet. –
Da ward mir klar, daß, wenn auch gleichermaßen
Nicht allen träuft des höchsten Gutes Gnade,
Doch überall im Himmel Paradies ist.
Doch, wie man von der einen Speise wohl
Genüge hat, und noch begehrt der andren,
Um die man bittet, wenn man dankt für jene,
So tat auch ich in Worten und Gebärden,
[296]
Um von ihr zu erfahren, welches Linnen
Ihr Weberschiffchen unvollendet ließ.
Verdienste seltner Art und Lebensreinheit
Erhöhn ein Weib zu schön'rem Himmel, sprach sie,
Nach deren Weise drunten Kleid und Schleier
Man trägt, um mit dem Bräut'gam bis zum Tode
Zu weilen Tag und Nacht, der, was aus Liebe
Zu ihm gelobt ward, immerdar genehm heißt.
Ihr nachzufolgen floh ich jung an Jahren
Die Welt und hüllte mich in ihr Gewand,
Gelobend, ihrer Regel nachzuleben.
Doch raubten Menschen mich dem süßen Kloster,
Die Böses mehr zu tun als Gutes pflegen,
Und wie seitdem mein Leben war, weiß Gott.
Was so von mir ich sage, will der Lichtglanz,
Den du zu meiner Rechten in der Fülle
Des Lichtes unsrer Sphär' entbrennen siehst,
Gleichmäßig auch von sich verstanden wissen:
Auch sie war Schwester, und vom Haupte ward
Auch ihr geraubt der heil'gen Binde Schatten.
Doch, ward der Welt sie gegen ihren Willen
Und gute Sitte wieder zugewendet,
So legte nie sie ab des Herzens Schleier.
Constanza strahlt aus diesem Licht, die große,
Die mit dem zweiten Sturm aus Schwabenlande
Den dritten zeugte, ihrer Herrschaft letzten. –
So sprach sie; dann begann sie singend: »Ave
Maria«, und indem sie sang verschwand sie,
So wie der Stein, der sinkt in trübem Wasser.
So lang es möglich war, folgt' ihr mein Auge;
Doch, als es sie verloren hatte, kehrt' es
Zurück zum Ziel des größeren Verlangens
Und wandte ganz sich Beatrice zu.
Sie aber strahlte so mit Blitzeshelle,
Daß es mein Auge anfangs nicht ertrug;
Weshalb zu fragen ich ein wenig säumte.
[297] Vierter Gesang
Bevor ein freier Mann von zweien Speisen,
Die ihm gleich nah sind und gleich sehr ihn reizen,
Zum Mund die eine führte, stürb' er Hungers.
So stünd' ein Lamm auch zwischen zweien Wölfen
Blutdürst'ger Gier, in gleicher Furcht vor beiden;
Also ein Hund inmitten zweier Hirsche.
Drum, wenn von meinen Zweifeln gleicherweise
Bedrängt, ich schwieg; will ich mich weder loben,
Noch tadeln; tat ich doch so, weil ich mußte.
Und wenn ich schwieg, so stand mir im Gesichte
Mein Wunsch geschrieben, und mit ihm die Bitte
Viel dringender als in gesprochnen Worten.
Wie Daniel Nebucad Nezar tat,
Den Zorn, der ungerechterweis' ihn grausam
Gemacht, besänftigend, so tat Beatrix.
Sie sprach: Wohl seh' ich, wie dich so der eine
Und andre Wunsch ergriff, daß dein Verlangen,
Sich selber fesselnd, nicht nach außen durchdringt.
Du folgerst also: Wenn der gute Wille
Nur bleibt, mit welchem Recht kann dann die fremde
Gewalttat des Verdienstes Maß mir mindern?
Und ferner bietet dir zum Zweifel Anlaß,
Daß, folgen Plato's Meinung wir, die Seelen
Zurückzukehren zu den Sternen scheinen.
Das sind die Fragen, die auf deinem Willen
Gleichmäßig lasten, und zuerst will ich
Die lösen, die am meisten Galle birgt.
Der Seraph, der in Gott am tiefsten schaute,
Auch Moses, Samuel und wen von beiden
Johannes' du auch wählst, ja selbst Maria,
Es sind in keinem andren Himmel ihnen
Die Sitze zugeteilt, als diesen Geistern,
Auch hat ihr Sein nicht mehr, noch minder Jahre;
[298]
Nein, alle schmücken sie den ersten Himmel.
An Seligkeit verschieden sind sie darin,
Daß Gottes Hauch sie mehr und minder spüren.
Hier zeigten sie sich, nicht weil diese Sphäre
Für sie bestimmt ist; als die niedrigste,
Ist Sinnbild sie für ihres Schauens Umfang.
Zu solchem Ausdruck nötigt eu'r Verständnis,
Das von den Sinnen erst empfangen muß,
Was sich das Denken dann zueignen soll.
Darum läßt sich zu eurer Fähigkeit
Die heil'ge Schrift herab, wenn Gott sie Füße
Und Hände beilegt, und es anders meinet.
So stellt euch Michael und Gabriel
Gleich dem, der Heilung dem Tobias brachte,
In menschlicher Gestalt die Kirche dar.
Doch, was Timaeus von den Seelen aussagt,
Ist dem nicht ähnlich, was du hier gesehn hast,
Wenn er es so meint, wie er scheint zu sagen.
Er sagt: zurück zu ihrem Sterne kehre
Die Seel', als hätte sie Natur von dort
Entlehnt, als eines Leibes Form sie wurde.
Doch kann es sein, daß anders seine Meinung
Als wie die Worte lauten ist, so daß
Sie, recht verstanden, keinen Spott verdienet.
Meint er, der Ruhm für ihren Einfluß falle,
So wie der Tadel, heim an diese Räder,
So trifft vielleicht sein Bogen etwas Wahrheit.
Dies falsch verstandene Prinzip verführte
Beinah die ganze Welt einst; Jupiter,
Mars und Merkur als Götter anzurufen.
Der andre Zweifel, welcher dich bedränget,
Ist minder giftig; denn durch seine Bosheit
Kannst abgewandt von mir du nimmer werden.
Scheint ungerecht den Menschenaugen unsre
Gerechtigkeit, so liegt darin ein Zeichen
Des Glaubens und nicht ketzerischer Tücke.
[299]
Weil aber eure Fassungskraft gar wohl
Vermag, in diese Wahrheit einzudringen,
Will deinen Wünschen ich Genüge leisten:
Liegt dann nur Zwang vor, wenn, der ihn erduldet,
In nichts dem nachgibt, der Gewalt ihm antut,
So handelten nicht schuldlos diese Seelen.
Der Wille, der nicht will, ist unbezwingbar,
So wie naturgemäß das Feuer aufflammt,
Ob Zwang auch tausendmal es niederbeuge.
Doch, gibt er nach, sei's minder oder mehr,
So leistet Folg' er der Gewalt, wie diese
Als Wiederkehr zum Kloster ihnen freistand.
Wär' ungebeugt ihr Wille fest geblieben,
Gleich dem, der auf dem Rost Laurentius festhielt,
Und Mucius gegen seine Hand verhärtet,
So hätten sie den Weg, den man sie schleppte,
Zurückgetan, sobald sie frei geworden;
Doch wunderselten ist so fester Wille.
Hast diese Worte, du, so wie du solltest
Dir angeeignet, so zerfällt der Einwand,
Der sonst noch öfter dich belästigt hätte.
Jetzt aber tut vor deinen Augen sich
Ein andres Hemmnis auf, und du erlahmtest,
Bevor aus eigner Kraft du dies bezwängest:
Als Wahrheit hab' ich fest dir eingeprägt,
Daß nie ein sel'ger Geist vermag zu lügen,
Weil stets er bei der ersten Wahrheit ist.
Und doch vernahmst du von Piccarda, daß
Constanza's Liebe stets dem Schleier blieb,
Weshalb es scheint, daß sie mir widerspreche.
O Bruder, um Gefahren zu entrinnen,
Tat wider seinen Willen schon so mancher,
Was er verpflichtet war zu unterlassen.
So tötete auf seines Vaters Bitte
Alkmäon seine Mutter, und verletzte
Die Kindespflicht der Kindespflicht zu Liebe.
[300]
Erkenne nun, daß sich in solchem Zustand
Gewalt und Wille mischen, und deshalb
Die Übeltaten nicht entschuldbar sind.
Nicht stimmt der Will' an sich dem Unrecht bei,
Doch tut er es insofern, als er fürchtet
Noch größrem Leid durch Weigern zu verfallen.
Deshalb gilt, was Piccarda sagt, vom Willen
An sich, und meine Rede vom bedingten,
So daß wir bei der Wahrheit beide blieben.
So lautete des heil'gen Baches Wallen,
Der aus der Quelle jeder Wahrheit strömte,
Und also ward mein Doppelwunsch befriedigt.
Drauf ich: o Göttliche, der ersten Liebe
Geliebte, so erwärmt und überströmt mich
Eu'r Wort, daß es mich mehr und mehr belebet.
Nicht tief genug ist mein Gefühl, um würdig
Durch Danken eurer Gabe zu entsprechen;
Entspreche der denn, der da schaut und kann.
Wohl seh' ich unser Geist wird nie gesättigt,
Solange nicht die Wahrheit, außer der
Sich keine Wahrheit findet, ihn erleuchtet.
Er ruht in ihr, so wie das Wild im Lager,
Sobald er sie erfaßt hat, und das kann er,
Sonst wär' erfolglos jegliches Verlangen.
Am Fuß der Wahrheit keimet, wie ein Schößling
Der Zweifel, und so fördert die Natur
Von Hügel uns zu Hügel bis zum höchsten.
Das ist es, was mich antreibt, und mir Mut gibt,
Um eine andre, mir noch dunkle, Wahrheit,
O Herrin, ehrerbietig euch zu fragen:
Zu wissen wünsch' ich, ob für unerfüllte
Gelübde so der Mensch durch andre Werke
Genügen kann, daß eurer Wag' es ausreicht? –
Vom Liebesfeuer so vergöttlicht blickten
Mich da die Augen Beatrice's an,
[301]
Daß meine Kraft, besiegt, zur Flucht sich wandte
Und fast bewußtlos ich die Blicke senkte.
Fünfter Gesang
Wenn heller ich, als man auf Erden sieht,
Dir flamme in der Gut der heil'gen Liebe,
So daß ich deiner Augen Kraft besiege,
So wundre dich nicht; nur dein tiefres Schauen
Ist dessen Grund, und, so wie es erfaßte,
So schreitet im erfaßten Gut es vorwärts.
Ich sehe wohl, wie schon in deinem Geiste
Der Strahl des ew'gen Lichts zu glänzen anfängt,
Das, nur gesehn, auf ewig Lieb' entzündet.
Was immer eure Liebe sonst verführt,
Es lockt euch, weil auch darin eine Spur,
Obwohl verkannt, von jenem Lichte schimmert.
Du wünschst zu wissen, ob für unerfüllte
Gelübde man so viel durch andere Dienste
Erstatten kann, daß sicher sei die Seele. –
Dies war der Anfang, den Beatrix diesem
Gesange gab, und wie, wer seine Rede
Nicht trennt, gab sie ihm also heil'gen Fortgang:
Die größte Gabe, welche bei der Schöpfung
Aus Gnaden Gott verlieh, die seiner Güte
Zumeist entspricht, die er am höchsten hält,
Des Willens Freiheit war's mit welcher alle
Vernunftbegabte Wesen, und nur sie,
So wohl begnadigt waren, als noch sind.
Erwägst du dies, so wirst du des Gelübdes
Erhabnen Wert erkennen, ist der Art es,
Daß, willigst du ein, Gott zugleich einwilligt.
Sobald als den Vertrag der Mensch mit Gott schließt,
So opfert er den Schatz solch hohen Wertes
Als ich gesagt, und zwar durch dessen Tat.
[302]
Was kann man also zum Ersatze bieten?
Willst du, was du geopfert, gut verwenden,
So willst du mit Geraubtem Gutes tun.
Klar ist dir nun der wichtigste der Punkte;
Doch weil Dispens erteilt die heil'ge Kirche
(Was dem zuwider scheint, was ich dir sagte),
Mußt du ein wenig noch bei Tische weilen;
Denn, weil die Speise, die du nahmst, so schwer ist,
Bedarfst der Hilfe du sie zu verdauen.
Eröffne denn den Geist dem was ich künde
Und halt' es fest darin; denn wenig fruchtet,
Wenn man es nicht behält, gehört zu haben.
Zu dieses Opfers Wesen sind zwei Dinge
Gehörig: eines ist der Gegenstand,
Die Übereinkunft aber ist das andre.
Die letzte ist nicht anders zu beseit'gen
Als durch Erfüllung, und auf sie bezog sich
Was so entschieden oben ich dir sagte.
Drum war das Opfern nur die Pflicht der Juden,
Wenn auch im einzelnen die Opfergabe,
Wie dir bekannt ist, manchesmal vertauscht ward.
Das andre, was ich Gegenstand dir nannte,
Kann füglich so sein, daß mit etwas andrem
Vertauscht es ohne Fehltritt werden kann.
Doch soll die Bürde seiner Schultern niemand
Aus eigener Willkühr, wenn die beiden Schlüssel,
Der weiß' und gelbe, sich nicht drehten, tauschen.
Und jeden Tausch soll er für Täuschung halten,
Wo das Erlass'ne nicht im Übernommnen
Enthalten ist, wie in der Sechs die Viere.
Drum, ist so schwer nach ihrem Wert die Sache,
Daß stets sie niederzieht der Wage Schale,
So kann durch andres nimmer man erstatten.
Nicht soll'n die Menschen mit Gelübden spielen.
Was ihr gelobt, das haltet; doch gelobt nicht
Blindhin, wie Jephta bei dem ersten Opfer.
[303]
Ihm ziemte mehr, zu sagen: übel tat ich,
Als durch Worthalten Schlimmeres zu tun.
Gleich töricht war der große Griechenführer,
Als Iphigenien er ihr schönes Antlitz
Beweinen ließ und mit ihr Weis' und Toren,
Die je von solchem Götterdienst vernommen.
O Christen, was ihr tut, das tut besonnen!
Seid nicht der Feder gleich in jedem Winde,
Und wähnet nicht, Euch wasche jedes Wasser.
Ihr habt das alt' und neue Testament,
Sowie den Kirchenhirten, der euch leitet;
Genügen kann euch das zu eurem Heile.
Wenn üble Leidenschaft euch andres zuruft,
So seiet Menschen, nicht sinnlose Tiere,
Daß euch der Jude unter euch nicht höhne.
Gleicht nicht dem Lamme, das die Milch der Mutter
Verläßt, und voller Einfalt übermütig
Nach eigner Lust mutwillig sich umhertreibt! –
So wie ich schreibe, sprach zu mir Beatrix;
Dann wandte sie sich voll Verlangen dorthin,
Wo Leben mehr als sonstwo hat die Welt.
Ihr Schweigen, wie der Wechsel ihres Ausdrucks
Gebot dem wißbegier'gen Geiste Schweigen,
Der neue Fragen schon in Vorrat hatte.
Und wie ein Pfeil, der in das Ziel hineinschnellt,
Bevor die Sehne ruhig noch geworden,
So flogen wir dem zweiten Reiche zu.
So freudestrahlend sah ich meine Herrin,
Als dieses Himmelslicht sie in sich aufnahm,
Daß heller der Planet darob erglänzte.
Und wandelte sich das Gestirn in Lächeln,
Wie mußte mir erst sein, der von Natur
So wandelbar ich bin nach jeder Richtung!
Wie man die Fische wohl im klaren Weiher
Zuschießen sieht auf was von außen kommt,
Wenn sie zum Futter es für tauglich halten,
[304]
So sah auf uns ich mehr als tausend Lichter
Zueilen, und es tönt' aus einem jeden:
Dort kommt, der einst wird unser Lieben mehren. –
Und jede Seele, wie sie sich uns nahte,
Bekundete die Fülle ihrer Freude
Im hellen Lichtblitz, welcher von ihr ausging.
Denkst Leser du, welch peinliches Begehren
Mehr zu vernehmen du empfändest, bräch' ich
Hier plötzlich ab was ich begonnen habe,
So wirst du selbst erkennen, welch Verlangen
Ich zu erfahren trug, wer diese seien,
Seit offenbar sie meinem Blick geworden.
O du zum Heil Geborner, welchem Gnade,
Zu schauen die Throne ewigen Triumphes
Verstattet, während du noch Streiter bist!
Vom Lichte, das den Himmel ganz durchdringt,
Sind wir entbrannt; drum, wünschst du über uns
Belehrung, so soll Sättigung dir werden. –
So sprach zu mir von jenen frommen Geistern
Der eine, und Beatrix sagte: Rede
Vertrauensvoll, und glaube so wie Göttern. –
Ich sehe wohl, wie in dem eignen Lichte
Du nistest, und es ausstrahlst aus den Augen,
So daß sie hell aufleuchten, wenn du lächelst;
Doch weiß ich, wer du sei'st nicht, und warum
Du, würdge Seele, des Planeten Stufe,
Den fremder Strahl für uns verschleiert, einnimmst. –
So sprach ich, zu dem Lichte hingewendet,
Das erst mich ansprach, und es ward darob
Noch leuchtender, als es bisher gewesen.
So wie die Sonne sich durch Übermaß
Des Lichtes selbst verbirgt, sobald die Wärme
Der dichten Dünste Mildrung aufgesogen,
So barg sich mir durch höhre Freudigkeit
Die heilige Gestalt in ihren Strahlen,
[305]
Und was sie, so verhüllet, mir erwidert,
Das wird der nächste der Gesänge singen.
Sechster Gesang
Seit Constantin des Adlers Flug, entgegen
Dem Himmelslauf, gewandt, dem mit dem Ahn er
Gefolgt war, der Lavinien freite, hatte
Der Vogel Gottes schon am fernen Ende
Europa's nah dem Berg von dem er ausging,
Mehr als zweihundert Jahr geweilt, auch war
Im Schatten seines heiligen Gefieders
Das Regiment der Welt von Hand zu Hand
Gegangen, als es in die meine kam.
Ich bin Justinian und war ein Cäsar;
Der ersten Liebe, die ich fühle, folgend
Schied aus dem Recht' ich was zuviel und nichtig.
Bevor ich mich zum großen Werk gewendet,
Vermeinte ich, in Christo sei nur eine
Natur, und mir genügte solcher Glaube.
Allein es führte mich durch seine Worte
Zum wahren Glauben Agapet zurück,
Der Oberhirte, den ich benedeie.
Ich glaubte ihm, und seines Glaubens Inhalt
Seh' ich so klar nun, wie in Widersprüchen
Du siehst, daß eins wahr, das andre falsch sei.
Sobald mein Fuß den Weg der Kirche ging
Gefiel's in Gnaden Gott, die hohe Arbeit
Mir einzugeben, der ich ganz mich weihte.
Die Waffen ließ ich meinem Belisar,
Und also war mit ihm des Himmels Rechte,
Daß mir's ein Zeichen war, mich zu enthalten.
Empfangen hast auf deine erste Frage
Du nun die Antwort; doch ihr Gegenstand
Verlangt, daß einen Zusatz ich dir gebe.
[306]
Damit du könnest sehn, mit welchem Rechte
Entgegen streben dem hochheil'gen Zeichen
Die sich's anmaßen und die es bekämpfen,
Sieh, welche Wunderkraft der Ehr' es würdig
Gemacht von jener ersten Stunde an,
Wo Pallas starb, um ihm das Reich zu lassen.
Du weißt es, daß dreihundert Jahr und länger
Der Adler seinen Horst in Alba hatte,
Bis mit den Drei'n um ihn die Dreie kämpften;
Weißt, was vom Leide der Sabinerinnen
Er tat bis zu Lucretiens Schmerz, besiegend
Die Nachbarvölker unter sieben Kön'gen.
Du weißt, was, von den hochverdienten Römern
Getragen, gegen Brennus er und Pyrrhus
Geleistet und viel Fürsten noch und Städte.
Da ward der Ruhm, der mich erfreut, dem Quinctius
Den man vom ungepflegten Haar benennt,
Zuteil, den Deciern, Fabiern und Torquatus.
Er bändigte den Hochmut der Araber,
Die das Gebirg, von dem der Po herabströmt,
In Hannibals Gefolge überstiegen.
Pompejus triumphierte unter ihm
Noch jung, und Scipio, und verderblich ward er
Dem Berg', an dessen Fuße du das Licht sahst.
Als nahe dann die Zeit war, wo der Himmel
Sein heitres Friedensbild der Welt gewährte,
Ergriff ihn Cäsar nach dem Willen Roma's.
Was er getan vom Var bis hin zum Rheine,
Das sahn Isère, Aire sowie Seine
Und jedes Tal von dem der Rhodan anschwillt.
Was von Ravenna dann den Rubicon
Er überschreitend tat, ist solchen Fluges,
Daß Zung' und Feder nimmer folgen kann.
Nach Spanien wandt' er seine Kriegerschar,
Dann nach Durazzo, und Pharsalien traf er
So, daß den Schmerz am heißen Nil man fühlte,
[307]
Den Simois sah er, sah Antandros wieder,
Wo Hektor ruht, von wo er selber ausging,
Und flog zu Ptolemäus' Unheil weiter.
Dann schloß er blitzesgleich herab auf Juba,
Und wandte sich demnächst nach eurem Westen,
Wo die Pompejische Drommete rief.
Was mit dem nächsten Bannerherrn er tat,
Bellt Brutus in der Hölle noch und Cassius,
Und Modena beweint es gleich Perugia.
Auch weint Kleopatra in herber Trauer,
Weil, vor ihm fliehend, sie den jähen Tod
Sich durch der Schlange gift'gen Biß bereitet.
Mit diesem eilt' er bis zum Roten Meere,
Mit diesem gab der Welt er solchen Frieden,
Daß zugeschlossen ward des Janus Tempel.
Doch alles, was das Zeichen, das ich meine,
Im Reich der Sterblichkeit, das er regiert,
Getan, und was zu tun ihm ferner oblag,
Das muß, schaut in der Hand des dritten Cäsar
Man hellen Aug's und reinen Sinn's es an,
Gering und dunkel im Vergleich erscheinen;
Denn, die mir, was ich sage eingibt, Gottes
Gerechtigkeit, gewährt in dessen Händen
Den hohen Ruhm ihm, seinen Zorn zu rächen.
Nun staune, was ich daran weiter knüpfe:
Mit Titus eilte dann der Adler, Rache
Zu nehmen für der alten Sünden Rache.
Denn schützte siegend unter seinen Flügeln
Der große Karl die heil'ge Kirche, als
Der Zahn der Longobarden sie verletzte.
Urteilen kannst du über jene nun,
Die ich vorhin verklagt und ihre Sünden,
Die Ursach sind an allen euren Übeln.
Entgegen stellt dem allgemeinen Zeichen
Die gelben Lilien der, den andren ist es
Parteisymbol. Wer sagt, wer schlimmer fehle?
[308]
Wählt, Ghibellinen, euch für eure Künste
Ein ander Zeichen; nimmer ziemt sich dieses
Für den, der von Gerechtigkeit es scheidet.
Und dieser neue Karl mit seinen Guelfen,
Er soll's nicht stürzen, nein, die Fänge fürchten,
Die höh'ren Löwen schon des Fell's beraubten.
Es weinten um der Väter Schuld die Kinder
Schon manchmal, und man glaube nicht, daß Gott
Sein Wappenschild für diese Lilien tauschet.
Es sammeln sich auf diesem kleinen Sterne
Die guten Geister, welche tätig waren,
Um Ehre sich und Nachruhm zu erwerben.
Doch wenn abirrend dorthin sich die Wünsche
Begehrend richten, müssen wohl die Flammen
Der wahren Liebe matter aufwärts zielen.
Mit dem Verdienste unsren Lohn zu messen
Ist Teil von unsrer Freude, denn wir sehen,
Daß kleiner er so wenig ist, als größer.
Darum versüßet in uns die lebend'ge
Gerechtigkeit so das Verlangen, daß es
Zu keinem Argen je sich wenden kann.
Mehrstimmiger Gesang tönt drunten süßer;
So folgt der süße Wohlklang dieser Räder
Aus der Verschiedenheit von unsren Sitzen.
In dieser Perle strahlt das Licht Romeo's,
Dem seine Tat, so groß sie war und schön,
Vergolten ward mit üblem Dankeslohne.
Allein die Provençalen, die so feindlich
Ihm waren, lachten nicht; denn übel wandelt
Wer fremde Guttat sich zum Schaden rechnet.
Vier Töchter hatte Raimund Berengar,
Und Königin ward jede; das verdankt' er
Romeo, dem bescheidnen fremden Manne.
Und dann bewogen ihn scheelsücht'ge Worte,
Von jenem Wackren Rechenschaft zu fordern,
Der ihm statt Zehen, Fünf und Sieben aufwies.
[309]
Von hinnen ging er arm und alt an Jahren.
Wohl preist die Welt ihn; aber wenn sie wüßte,
Mit welchem Herzen stückweis er sein Brot sich
Erbettelt, würde sie noch mehr ihn preisen. –
Siebenter Gesang
Bewähre Heil, o du Herr Zebaoth,
Den sel'gen Flammen dieser Königreiche,
Indem du sie bestrahlst mit deiner Klarheit! –
So hört' ich, sich bei seinem Liede wendend,
Den sel'gen Geist, in dem zwiefaches Licht
Entbrannt, das Aug' auf mich gerichtet, singen.
Dann dreht 'er mit den andren sich zum Tanze,
Und, überschnellen Funken gleich, verbargen
Sie sich vor mir durch plötzliche Entfernung.
Ich schwankte noch und: sage ihr's, ja sag' ihr's,
Sagt' ich bei mir, der teuren Herrin sag' es,
Die deinen Durst dir löscht mit süßem Taue;
Doch jene Ehrfurcht, die mich ganz bemeistert,
Sobald ich B und ICE nur vernehme,
Ließ mich das Haupt, gleich dem, der einschläft, senken.
Nicht lange ließ sie mich in solchem Zustand,
Dann strahlte sie mich an mit einem Lächeln,
Das selig selbst im Feuer macht' und sprach:
Nach meinem Dünken, das sich nimmer täuschet,
Macht dir Bedenken, wie gerechter Rache
Gerechte Rache folgen könn' als Strafe.
Doch werd' ich bald dir deine Zweifel lösen,
Und du merk' auf, denn meine Worte werden
Dir großen Richterspruch vor Augen stellen.
Der niegeborne Mensch, weil seines Willens
Heilsamen Zügel er nicht tragen wollte,
Verdammte mit sich allen seinen Samen.
Drum lag das menschliche Geschlecht dort unten
[310]
Viel hundert Jahre krank in großem Irrtum,
Bis Gottes Wort zur Erde niederstieg,
Wo die Natur, die sich von ihrem Schöpfer
Entfremdet hatte, Er mit Sich persönlich
Durch seiner ew'gen Liebe Tat vereinte.
Nun richte deinen Blick auf meine Rede:
Es war, geeint mit ihrem Schöpfer, jene
Natur, wie sie geschaffen wurde, rein und gut.
Sie selber hat sich aus dem Paradiese
Vertrieben, weil sie sich vom Weg der Wahrheit
Und ihrem eignen Leben abgewendet.
Der angenommenen Natur nach wurde
Gerecht're Strafe nimmer denn verhängt,
Als jene, die gebüßet ward am Kreuze.
Und doch war keine je so ungerecht,
Erwägt man die Person, die sie erduldet
Und sich mit menschlicher Natur bekleidet.
Aus einer Tat entsprang verschiedne Wirkung:
Gott und die Juden wollten einen Tod,
Den Himmel schloß er auf, die Erd' erbebt' ihm.
Nun kann dir nicht mehr unbegreiflich scheinen,
Wenn dir gesagt ward, daß gerechte Rache
Dann von gerechtem Richterhof gerächt ward.
Doch seh ich deinen Geist, von dem zu jenem
Gedanken, nun verstrickt in einen Knoten,
Den sehnlich er gelöst zu sehn erwartet.
Du sagest, wohl versteh' ich, was ich höre;
Doch warum Gott nur diese Weise wählte
Uns zu erlösen, das bleibt mir verborgen.
Begraben bleibt, o Bruder, dieser Ratschluß
Für jeden, dessen Geist nicht in der Flamme
Der Lieb' herangewachsen ist zur Reife;
Doch weil so viel nach diesem Ziel man ausschaut
Und wenig es erkennt, will ich dir sagen,
Warum das würdigste der Mittel dies war.
Die Güte Gottes, die jedwede Mißgunst
[311]
Von sich zurückweist, sprühet solche Funken,
Daß Sie die ew'ge Schönheit offenbar macht.
Was unvermittelt niederträuft von ihr,
Hat nie ein Ende, weil wenn sie gesiegelt,
Der Abdruck keinem Wandel unterliegt.
Was unvermittelt von ihr niederregnet,
Ist völlig frei, denn nimmer unterliegt es
Geschaffner Dinge wandelbarem Einfluß.
Was ihr am meisten gleicht, ist ihr das Liebste;
Denn die das All bestrahlt, die heil'ge Glut,
Ist in dem Ähnlichsten am meisten wirksam.
Geschmückt mit jedem Vorzug ward
Die menschliche Natur, und fehlt ihr einer,
So muß von ihrer Würde sie verlieren.
Die Sünde ist's, die ihr die Freiheit raubt
Und sie unähnlich macht dem höchsten Gute,
Weshalb sein Licht nur wenig sie erleuchtet.
Und nie gewinnt sie wieder ihre Würde,
Fällt nicht die Lücke, die die Schuld geschlagen,
Trotz böser Lust, gerechte Strafe aus.
Von diesen Würden, wie vom Paradiese,
Ward ausgeschlossen, als sie sündigte,
Die menschliche Natur in ihrer Ganzheit.
Und einsehn mußt du, wenn du sorgsam spähest,
Daß sie sich wieder nicht erwerben ließen,
Ward eine dieser Furten nicht durchschritten:
Entweder mußte Gott aus seiner Gnade
Vergeben, oder aus sich selber mußte
Der Mensch Genüge tun für seine Torheit.
Nun hefte in den Abgrund ewigen
Beschlusses deinen Blick soviel dir möglich
Und folg' in engem Anschluß meiner Rede!
Es konnte nie der Mensch in seinen Schranken
Genüge tun, weil nimmer er in Demut
Soweit gehorsam niedersteigen konnte,
Als er emporgestrebt in Ungehorsam.
[312]
Und darin liegt der Grund, warum der Mensch
Von sich aus zu genügen nicht vermochte.
So mußte Gott denn zum vollkommnen Leben
Zurück die Menschen seine Wege führen,
Der Wege einen sag' ich, oder beide.
Doch weil das Werk um so viel werter ist,
Je reichlicher es von des Herzens Güte,
Aus welchem es hervorging, Zeugnis beut,
Gefiel's der Güte Gottes, die im All
Sich ausprägt, um euch wieder zu erheben,
Auf allen ihren Wegen vorzuschreiten.
Vom ersten Morgen bis zum letzten Abend,
Sah man so großen und erhabnen Vorgang
Auf jener Wege keinem, sieht ihn nimmer.
Freigebiger, als hätt' er nur verziehen,
War Gott, als er sich opferte, damit
Der Mensch sich zu erheben Kraft gewinne.
Und der Gerechtigkeit genügte keiner
Von allen Wegen, hätte Gottes Sohn
Sich nicht so weit erniedrigt, Fleisch zu werden.
Doch um dir jeden Wunsch nun zu erfüllen,
Kehr' ich zurück, dir einzelnes zu deuten,
Damit so klar du schauest, wie ich schaue.
Du sagst, ich sehe Wasser, sehe Feuer
Und Luft und Erd' und alle ihre Mischung
Zugrunde gehn und kurze Zeit nur dauern,
Und diese Dinge sind doch auch geschaffen;
Drum müßten sie, wenn wahr ist was ich sagte,
Gesichert alle vor Verderbnis sein.
Die Engel, Bruder, und das lautre Land
In dem du weilest sind, so wie sie noch sind,
In ihrer vollen Wesenheit geschaffen.
Die Elemente aber, die du nanntest
Und was daraus gebildet wird, Gestaltung
Erhält es durch geschaffne Kräfte nur.
Erschaffen ward der Stoff, den sie enthalten,
[313]
Erschaffen auch die Kraft in diesen Sternen,
Die Kreise um sie ziehn, sie zu gestalten.
Es ziehn aus Stoffen, die dazu sich schicken,
Der heil'gen Lichter Strahlen und Bewegung
Die Seele jedes Tieres und der Pflanzen.
Eu'r Leben aber strömet unvermittelt.
Die höchste Huld aus, und in solcher Liebe
Entflammt sie's, daß es stets nach ihr begehrt.
Auch eure Auferstehung kannst hieraus du
Entnehmen, überlegst du nur gehörig,
In welcher Art der Menschen Fleisch geformt ward,
Als Gott die ersten Eltern beide schuf. –
Achter Gesang
Es pflegte wahnbetört die Welt zu glauben,
Daß, sich im dritten Epizykel drehend,
Die schöne Göttin Cypern's Liebe strahle.
Drum taten ihr die alten Völker Ehre
Im alten Irrtum, nicht nur durch Gelübde
Und feierliche Opferdienste, an,
Nein, sie verehrten so Dionen, wie
Cupido: sie als Mutter, ihn als Sohn,
Der, sagten sie, geruht in Dido's Schoße.
Und diesen Stern, der, bald der Sonne folgend,
Bald ihr voraus, ihr nah bleibt, nannten sie
Nach ihr, mit welcher oben ich begonnen.
Nicht ward gewahr ich, daß zu ihm ich aufstieg;
Doch die vermehrte Schönheit meiner Herrin
Gab mir Gewißheit, daß ich in ihm sei.
Und wie man Funken in der Flamme wahrnimmt,
Wie Stimme man von Stimme unterscheidet,
Wenn die den Ton hält, jene auf- und absteigt,
So sah in diesem Licht ich andre Leuchten
Sich drehn mit größerer und mindrer Schnelle,
[314]
Wohl nach dem Maße ihrer ew'gen Einsicht.
Ein Windstoß fuhr aus kalter Wolke nimmer,
Ob sichtbar oder nicht, so rasch hernieder,
Daß der nicht langsam ihn und säumig fände,
Der mitgesehn, wie schnell die heil'gen Lichter
Den Tanz, der mit den hohen Seraphinen
Begonnen war, abbrechend, zu uns eilten.
Und »Hosianna!« tönt' aus deren Mitte,
Die wir zunächst sahn, uns so süß entgegen,
Daß stets seitdem ich's neuzuhören wünschte.
Dann kam das ein' uns näher und begann
Allein: Wir alle sind dir zu Gefallen
Bereit, damit du unsrer dich erfreuest.
Mit jenen Himmelsfürsten haben wir
Den Kreis, das Kreisen und den Durst gemeinsam,
Zu denen einst dort in der Welt du sagtest:
»Die ihr erkennend dreht den dritten Himmel.«
So lieberfüllt sind wir, daß dir zu Liebe
Nicht minder süß uns deucht, etwas zu ruhen. –
Nachdem mein Aug' in Ehrfurcht meiner Herrin
Sich dargeboten, und Befriedigung
Wie Zuversicht von ihr erhalten hatte,
Kehrt' ich zum Lichte, das so viel verheißen,
Mich um, und mit dem Ausdruck heißen Wunsches
In meiner Stimme sprach ich: Sag', wer seid ihr? –
Wie sah ich da vor neuer Freudigkeit,
Die zur bisher'gen als ich sprach hinzutrat,
Vergrößern sich dies Licht und heller leuchten.
So glänzend sprach es: Kurze Zeit besaß mich
Die Welt dort unten, aber manches Übel,
Das sein wird, wäre nicht, blieb ich am Leben.
Eb macht die Freudigkeit, die mich umstrahlet,
Mich dir unkenntlich und verbirgt mich dir,
Wie sich der Wurm in seine Seide einhüllt.
Du hast mich sehr geliebt und hattest Ursach;
Denn, starb ich nicht so bald, so zeigt' ich dir
[315]
Von meiner Liebe mehr als nur die Blätter.
Das linke Ufer, das der Rhodan netzt,
Nachdem er mit der Sorgue sich vermischt hat,
Erwartete als seinen Herrn mich künftig.
Italiens Horn auch, das von wo der Tronto
Und Verde sich in's Meer ergießt, mit Bari
Gaeta und Catona sich bevölkert.
Schon leuchtete auf meiner Stirn die Krone
Des Landes, das der Donaustrom bewässert,
Nachdem die deutschen Ufer er verlassen.
Trinakrien auch, das schöne, das in Qualm
Sich einhüllt vom Pachynus zum Pelorus,
Am Busen, den der Ost am schlimmsten heimsucht,
Weil Schwefel dort entsteht, nicht durch Typhoeus,
Es würde die durch mich von Karl und Rudolph
Gezeugten Kön'ge noch erwartet haben,
Wenn nicht die schlechte Herrschaft, welche immer
Der Untertanen Groll erweckt, Palermo
Zum Todesrufe aufgestachelt hätte.
Erkennte dies mein Bruder, sicher mied' er
Die geizige Ärmlichkeit der Catalonen
Schon jetzt, damit er sie nicht mehr erbittre.
Denn wahrlich Not tut's, daß auf seinen Nachen
Er selber achte, oder jemand für ihn,
Daß die schon schwere Last sich nicht vermehre.
Sein Wesen, das sich von freigeb'gem Ursprung
Zum Geiz gewandt, bedürft' ein Kriegsheer,
Das andres trachtete, als Geld zu sammeln. –
Indem ich glaube, daß die hohe Freude,
Dir mir dein Wort gewährt, o teurer Herr,
Du dort erblickst, wo alles Guten Anfang
Und Ende ist, wie ich sie selbst erblicke,
Ist sie mir wert, und dadurch um so werter,
Daß du sie siehst, indem in Gott du schauest.
Du gabst mir Freude, gib mir nun auch Klarheit,
Weil deine Rede Zweifel in mir weckte,
[316]
Wie süßer Same Bittres zeugen kann. –
So ich zu ihm, und er: Wenn ich die Wahrheit
Dir kund getan, so wird, wie jetzt dein Rücken,
Dein Antlitz zugewandt sein deiner Frage.
Das Heil, daß dieses Reich, in dem du aufsteigst,
Befriedigt und bewegt, läßt seine Fürsicht
Zur Kraft in diesen großen Körpern werden.
Und in dem Geiste, der in sich vollkommen,
Vorhergesehn sind, nicht nur die Naturen
An sich, mit ihnen ist es auch ihr Heil.
Darum, was immer dieser Bogen abschießt,
Das trifft, vorherbedacht, bereites Ziel,
Wie alles, was gelangt, wohin es sollte.
Wenn anders sich's verhielte, so erzeugte,
Den du durcheilst, der Himmel, solche Früchte,
Daß sie nicht Kunstwerk, nein, Ruinen wären.
Das aber kann nicht sein, sind nicht die Geister,
Die diese Sterne lenken, mangelhaft
Und mangelhaft der mangelhaft sie schuf.
Willst du noch mehr erklärt sehn diese Wahrheit? –
Und ich: O, nein; wohl seh' ich, daß unmöglich
Natur in dem ermüden kann, was not ist. –
Drauf er: Sag' an, ob Schlimm'res für den Menschen
Auf Erden wär', als Bürger nicht zu sein? –
Nein, sagt' ich; keinen Grund dafür bedarf ich. –
Und kann er Bürger sein, lebt man dort unten
Verschieden in verschiednen Ämtern nicht?
Gewiß nicht, hat eu'r Meister recht geschrieben, –
So schritt schlußfolgernd er bis hierher fort;
Zum Schlusse kam er dann: Verschieden müssen
Die Wurzeln dessen, was ihr wirkt dann sein.
Der kommt zur Welt als Solon, der als Xerxes,
Der als Melchisedek, der als der Künstler,
Der fliegend durch die Luft den Sohn verlor.
Die kreisende Natur, die gleich dem Siegel,
Dem Wachs der Menschen ist, übt ihre Kunst,
[317]
Doch unterscheidet sie nicht Haus vom Hause.
Daher geschieht's, daß schon im Mutterleibe
Sich Jacob trennt von Esau, und Quirin
So niedrig abstammt, daß man Mars' ihn zuschreibt.
Mit den Erzeugern würde die erzeugte
Natur stets auf demselben Pfade wandeln,
Wenn Gottes Vorsicht hier nicht überwöge.
Was dir im Rücken war, siehst du nun vor dir.
Doch, daß du spürst, wie ich an dir mich freue,
Geb' einen Zusatz ich dir zum Gewande.
So oft Natur ihr feindlichen Geschicken
Begegnet, bringt sie üble Frucht hervor,
So wie der Samen tut auf falschem Boden.
Wenn auf den Grund, den die Natur gelegt hat,
Acht haben wollte eure Welt, so könnte
Ein wohlgeartetes Geschlecht sie haben;
Ihr aber zwingt zum Ordenskleide manchen,
Den die Natur bestimmt, das Schwert zu tragen,
Und macht zum König, der zum Pfaffen taugt;
Drum muß eu'r Weg abirren von der Straße.
Neunter Gesang
Nachdem dein Karl, anmutige Clemenza,
Mich so belehrt, erzählt' er mir den Trug,
Den künftig sein Geschlecht erfahren sollte;
Doch sagt' er: Schweig, und laß die Jahre kreisen. –
Verkünden darf ich denn nur dies: Es werden
Gerechte Tränen eurem Schaden folgen.
Schon hatte sich des heil'gen Lichtes Leben
Der Sonne zugewandt, die als das Heil,
Das jedem Ding genüget, es erfüllet.
Betörte Seelen, arge Kreaturen,
Die ab von solchem Heil das Herz ihr wendet,
Der Eitelkeit zukehrend eure Schläfe!
[318]
Und sieh, da nahte mir sich eine andre
Von jenen Flammen, und daß sie bereit sey,
Gefällig mir zu sein, bewies ihr Leuchten.
Die Augen Beatrice's, die wie vorher
Fest auf mir ruhten, gaben mir Gewißheit
Willkommener Bewill'gung meines Wunsches.
Laß bald Erfüllung mein Verlangen finden,
Sagt' ich, o seel'ger Geist, und mich erproben,
Daß sich auf dich rückspiegelt was ich denke. –
Drauf fuhr das andre Licht, das mir noch neu war,
Als freute guter Tat sich's, aus dem Inn'ren,
Von wo zuvor sein Lied gekommen, fort:
In jenem Teil des schnöden Land's Italien,
Das zwischen dem Rialto und den Quellen
Der Brenta und der Piave sich erstreckt,
Erhebt ein Hügel sich zu mäß'ger Höhe,
Von welchem eine Fackel, die das Land
Mit Ungestüm verheerte, einst hervorging.
Mit ihr ensproß ich aus der gleichen Wurzel,
Cunizza war mein Name, und hier glänz' ich
Weil mich bezwungen dieses Sternes Kraft.
Indes verzeih' ich meines Loses Ursach
Mir selber gern und fühle kein Bedauern,
Mag's auch befremdlich eurem Pöbel scheinen.
Von dieser teuren Flamme, mir zunächst,
Die unsres Himmels leuchtendes Juwel ist,
Blieb hoher Ruhm zurück, und eh' er endet
Verfünffacht sich noch des Jahrhunderts Zahl
Drum suche sich hervorzutun der Mensch,
Daß ihm vom ersten Leben bleib' ein zweites.
Des aber achtet das Gesindel nicht,
Das zwischen Etsch und Tagliamento hauset,
Und keine Reue fühlt, obwohl geschlagen.
Doch bald wird Padova bis hin zum Sumpfe
Das Wasser wandeln, das Vicenza netzet,
Weil störrisch gegen seine Pflicht das Volk ist.
[319]
Und wo den Sile der Cagnan begleitet
Herrscht einer jetzt mit hochgehobnem Haupte,
Den einzufangen schon das Netz gestrickt wird.
Wohl wird die Sünden seines schnöden Hirten
(Und Malta ward um größre nie beschritten)
Noch zu beweinen Feltro Ursach haben.
Der Bottich, der das Blut der Ferraresen
Aufnehmen sollte, müßte wahrlich groß sein,
Und müde würde, wer es lotweis wöge:
Das Blut, das so gefällig dieser Pfaffe
Verschenken wird, nur der Partei zu Liebe;
Doch solche Gaben sind dort landesüblich.
Dort oben weilen Spiegel, »Throne« sagt ihr,
Aus denen Gott, der Richtende, uns glänzet;
Drum heißen wir auch solche Rede gut. –
Hier schwieg sie, und indem sie in den Kreis,
Dem sie zuvor gehörte, wieder eintrat,
Bewies sie, daß sie nun an andres dachte.
Die andre Wonne, die, als hohen Wertes,
Mir schon bekannt war, glich zu mir gewendet
Dem edelsten Rubin im Sonnenstrahle.
So wie das Lächeln hier, so mehrt dort oben
Die Freudigkeit den Glanz, nur daß hienieden
Die Trauer auch der äußre Schatten zeigt.
O seel'ger Geist, so sagt' ich, Gott sieht alles,
In ihn versenkt dein Schaun sich also, daß
Kein Wünschen sich vor dir verbergen kann.
Warum entspricht denn deine Stimme, welche,
Verbunden mit dem Lied der in sechs Flügel
Gehüllten heil'gen Flammen, stets den Himmel
Erfreuet, nicht von selber meinem Wunsche?
Erkennt' ich dich, so wie du mich erkennest,
So würd ich nicht auf dein Begehren warten. –
Das größte Becken, drin sich Wasser sammelt,
Also begann nun seine Rede, wenn man
Vom Meere absieht, das die Welt umgürtet,
[320]
Erstreckt sich zwischen zwiegespaltnen Ufern
So weit, daß man am einen Ende Mittag
Da hat, wo für das andre Horizont ist.
An dieses Beckens Ufer, zwischen Ebro
Und Macra, die das Land der Genovesen
Abschneidet von Toscana, war ich heimisch.
Fast einen Untergang und Aufgang haben
Budscheia und die Stadt aus der ich stammte,
Die einst mit eignem Blut den Hafen wärmte.
Von denen die mich kannten ward ich Foulquet
Genannt, und also wie ich dieses Himmels
Gepräge trage, trägt er auch das meine.
Denn mehr entbrannte Belus Tochter nicht,
Als ihr Sichaeus und Creusa zürnten,
Denn ich, solang' es meinem Alter ziemte.
Nicht mehr auch, von Demophoon betrogen,
Die Rhodopäerin, nicht mehr Alkides,
Als in sein Herz er Jole geschlossen.
Doch fühlt man hier nicht Reue, nein, man lächelt;
Nicht ob der Schuld, denn die hat man vergessen,
Nein, ob der Kraft, die ordnet und vorhersieht.
Die Kunst bestaunt man hier, die solche Wirkung
Hervorbringt, und man lernt das Heil begreifen,
Das nach der obern Welt die niedre wendet.
Doch damit jeden der in dieser Sphäre
Entstandnen Wünsche du erfüllt davon trägst,
Muß sich noch weiter meine Red' erstrecken.
Zu wissen wünschest du, wer in dem Lichte
Hier neben mir, so wie der Sonnenstrahl
Im klaren Wasser, hell erglänzend weilet.
So wisse denn, in ihm fand Rahab Ruhe
Und dieser Kreis trägt, seit sie ihm gehört,
Voll ausgeprägt den Stempel ihres Siegels.
Sie war die erste Seele, die von Christi
Triumphe dieser Himmel (wo der Schatten
Sich zuspitzt, den die Erde wirft) empfangen.
[321]
Wohl ziemte sich's, daß, als des Sieges Palme
Den eine und die andre Hand erkämpfte,
Aufnahme sie in einem Himmel fand;
Denn sie begünstigte den ersten Ruhm,
Den Josua sich erwarb im heil'gen Lande,
An das den Papst zu denken wenig kümmert.
Es prägt und es verbreitet deine Stadt
Die der gepflanzt hat, welcher seinem Schöpfer
Zuerst den Rücken wandt', und dessen Neid
So viel beklagt wird, die verwünschte Blume,
Die ab vom Wege führt so Schaf als Lämmer,
Weil sie zum Wolf gewandelt hat den Hirten.
Die Evangelien und die Kirchenväter
Versäumt man ihrethalb; nur Dekretalen
Studiert man, daß die Ränder davon zeugen.
Nach ihr nur streben Papst und Kardinäle,
Nicht ist ihr Sinn nach Nazareth gewendet,
Dorthin, wo Gabriel die Flügel auftat.
Allein der Vatikan und all' die andren
Erwählten Plätze Rom's, die Kirchhof wurden
Für jene Kriegsschar, welche Petro folgte,
Bald werden frei sie sein von solchem Ehbruch.
Zehnter Gesang
Indem die unnennbare erste Kraft
Auf ihren Sohn mit jener Liebe blickte,
Die stets von einem und der andern ausgeht,
Schuf sie was sich in Geist und Raum bewegt
Mit solcher Ordnung, daß wer dies betrachtet,
Nicht ohne Vorschmack von ihr selber sein kann.
So hebe Leser zu den hohen Rädern
Mit mir den Blick denn auf jener Stelle,
Wo sich Bewegung und Bewegung treffen.
Und da beginne, jenes Meisters Kunst
[322]
Voll Staunens zu beschaun, der seine Schöpfung
So liebt, daß er das Aug' nicht von ihr wendet.
Sieh, wie von dort der schräge Kreis sich abzweigt,
Der die Planeten trägt, damit Genüge
Der Welt geschehe, welche sie herbeiruft.
Und hätte ihre Bahn nicht schräge Richtung,
So blieb' erfolglos manche Himmelskraft
Und tot die meiste Fähigkeit auf Erden.
Entfernte jene Bahn von grader Richtung
Sich mehr und minder, bliebe manches drunten
Und oben mangelhaft in eurer Schöpfung.
Nun bleib' auf deiner Bank, o Leser, sitzen
Und denke dem was dir kredenzt ward nach,
Soll, eh du müde bist, dir Freude werden.
Ich trug dir auf; nun nimm dir selbst die Speise,
Weil jener Stoff, des Schreiber ich geworden,
Ausschließlich meine Sorg' in Anspruch nimmt.
Der größte von den Dienern der Natur,
Durch den des Himmels Kraft im All sich ausprägt
Und der die Zeit mit seinem Licht uns abmißt,
Bewegte sich mit jenem Himmelsteile,
Den oben ich erwähnte, in der Spirale,
In der er täglich sich uns früher zeigt.
Schon war ich ihm verbunden; doch das Steigen
Ward ich nur so gewahr, wie man den ersten
Gedanken kommen sieht, bevor er da ist.
Beatrix ist es, die mich so vom Guten
Zum Besseren geleitet, und so plötzlich,
Daß ihr Vollbringen keine Zeit umfaßt.
Wie mußte selber reich an Lichte sein,
Was in der Sonne, die ich nun betreten,
Durch Licht mir, nicht durch Farbe, sichtbar ward!
Ob ich Talent anriefe, Kunst und Übung,
Nie sagt' ich's so, daß man sich's denken könnte;
Doch kann man's glauben und zu schaun verlangen.
Ist unsre Phantasie für solche Hoheit
[323]
Zu niedrig, soll uns das nicht Wunder nehmen;
Bewältigte die Sonne doch kein Auge.
So strahlte dort die vierte Schar der Kinder
Des hohen Vaters, der sie immer sättigt,
Beweisend wie er haucht und wie er zeuget.
Und es begann Beatrix: Danke, danke
Der Sonne aller Engel, daß aus Gnade
Zu dieser sichtbaren sie dich erhob! –
Nie war ein Menschenherz so ganz von Andacht
Durchdrungen und niemals so gern bereit,
Sich Gott mit jedem Wunsche zu ergeben,
Als ich bei jenen Worten, und so gänzlich
Versenkte sich in ihn nur meine Liebe,
Daß in Vergessen sie Beatrix hüllte.
Nicht zürnte drum sie; nein, sie lächelte,
So daß das Leuchten ihrer freud'gen Augen
Den ein'gen Sinn in zwei Gefühle teilte.
Viel Flammen, heller als die Sonne, sah ich
Nun uns, als ihren Mittelpunkt, umkränzen,
An Stimmen süßer noch, als licht dem Auge.
So sehn umgürtet wir Latona's Tochter,
Wenn so die Luft gesättigt ist von Dünsten,
Daß sie die Fäden solchen Gürtels festhält.
Im Himmelshof, von dem ich wiederkehre,
Trifft man viel Edelsteine schön und wertvoll,
So daß unmöglich ist sie auszuführen,
Und dieser Lichter Lied war solcher Art.
Wer sich dorthin zu fliegen nicht befiedert,
Dem gebe von dorther der Stumme Kunde.
Nachdem so singend jene lichten Sonnen
Sich dreimal um uns her gedreht im Kreise,
Wie Sterne in des festen Poles Nähe,
Erschienen sie gleich Frau'n, die nicht im Tanze
Hineilen, sondern still aufhorchend weilen,
Bis sie die neue Weise aufgefaßt.
Und aus dem einen hört' ich so beginnen:
[324]
Erglänzt in dir der Gnadenstrahl, an welchem
Wahrhafte Liebe sich entflammt, und liebend
Zu immer höhrem Liebesreichtum anwächst,
So daß sie diese Leiter dich hinanführt,
Die niemand, der nicht wiederkehrt, hinabsteigt,
So wäre, wer den Wein aus seiner Flasche
Nicht deinem Durst gewährte, gleich dem Wasser
Unfrei, das nicht hinab zum Meere fließet.
Die Blüten willst du kennen, draus der Kranz
Besteht, den deine Herrin liebend anblickt,
Der Herrin, die dich für den Himmel zeitigt.
Ich war ein Lamm von jener heil'gen Herde,
Die Sankt Dominicus auf Pfaden führt,
Wo man gedeiht, wenn man nicht Eitlem nachjagt.
Der mir der nächste ist zu meiner Rechten,
War Bruder mir und Meister, er ist Albrecht
Von Cöln und ich bin Thomas von Aquino.
Willst du der andern ebenso gewiß sein,
So laß, entlang dem sel'gen Blumenkranze,
Dein Auge meinem Wort im Kreise folgen.
Dies andre Flammen leuchtet aus dem Lächeln
Des Grazian, der beiderlei Gerichten
So half, daß man sich freut im Paradiese.
Der aber nach ihm unsres Chores Schmuck ist,
War jener Petrus, der der heil'gen Kirche,
Wie einst die Witwe, seinen Schatz geboten.
Das fünfte Licht, in unsrem Kreis das schönste,
Haucht solche Liebe aus, daß alle Welt
Dort unten Kunde von ihm haben möchte:
Der hohe Geist, in den so tiefes Wissen
Gelegt ward, daß, wenn Wahrheit wahr, kein Zweiter
Zu solchem Schaun sich aufschwang, weilt in ihm.
Das nächste Licht gehört der Kerze an,
Die dort im Fleische die Natur der Engel
Und ihren Dienst am richtigsten erschaute.
Aus jenem kleinen Licht daneben lächelt
[325]
Der Christenzeiten kräftiger Verteid'ger,
Auf dessen Wort sich Augustinus stützte.
Hat nun dein geistig Auge, meinem Lobe
Nachfolgend, sich gewandt von Licht zu Lichte,
So fühlt bereits den Durst es nach dem achten.
Im Anschau'n alles Heils freut sich in ihm
Die heil'ge Seele, die den Trug der Welt
Dem offenbart, der recht vernahm die Kunde.
Es ruht der Leib, aus welchem sie verjagt ward,
Dort in Cieldauro; aber sie erhob sich
Von Martern und Exil zu solchem Frieden.
Sieh' weiterhin den brünst'gen Hauch des Beda,
Des Isidor und jenes Richard flammen,
Der an Gedankentiefe mehr als Mensch war.
Und der, von dem dein Blick zu mir zurückkehrt,
Ist eines Geistes Leuchte, dem in ernsten
Gedanken spät der Tod zu kommen schien.
Das ew'ge Licht von jenem Sigier ist es,
Der, als er las, wo Streu die Gasse deckt,
Schlußfolgernd neidenswerte Wahrheit nachwies. –
Dann sah ich, gleich dem Uhrwerk, das zur Stunde,
Wo, um die Gunst des Bräut'gams zu gewinnen,
Sich Gottes Braut erhebt zur frühen Mette,
Uns ruft, und, wie die Räder zieh'n und treiben,
Tin Tin erklingen läßt, so süßen Tones,
Daß liebend schwillt der gottbereite Geist,
Sich jenes ruhmesreiche Rad bewegen
Und Stimm' und Stimme also sich in Wohlklang
Und Süß' entsprechen, als man nur verstehn kann,
Wo solcher Wonne Ewigkeit gewährt ist.
[326] Elfter Gesang
Sinnlose Sorge du der Sterblichen,
Wie sind so trügerisch all' deine Schlüsse,
Ob deren abwärts du die Flügel schlägst;
Der ging dem Jus, der Aphorismen nach,
Dem Priestertum ein andrer, jener strebte
Durch Trug zu herrschen oder durch Gewalt,
Der raubte, der trieb bürgerlich Gewerbe,
Der mühte ruhlos sich, in Fleischeslüste
Verstrickt, der faulen Muße pflegt' ein andrer,
Indessen, frei von all' dem nied'ren Treiben,
Mit Beatrice droben ich im Himmel
Im Kranze solchen Ruhms empfangen ward.
Als jeder dann zu jenem Punkt des Kreises
Zurückgekehrt, an dem zuvor er weilte,
Stand fest er, wie ein Licht im Leuchter steht.
Ich aber hört' im Innern jener Leuchte,
Die mir zuvor gesprochen und nun heller
Erglänzte, unter Lächeln so beginnen:
So wie von seinen Strahlen ich erglänze,
So seh' ich die Gedanken, die du hegest,
Schau' ich in's ew'ge Licht, woher sie stammen.
Du zweifelst, und begehrst in klarer Rede
Und deutlich so, daß deine Fassungskraft
Nachfolgen könn', Erläut'rung meiner Rede,
Als ich vorhin gesagt: »Wo man gedeiht«,
Und weiterhin: »Kein Zweiter schwang sich auf.«
Hier aber muß genau man unterscheiden:
Die Vorsehung, die mit so tiefer Weisheit
Die Welt regiert, daß kein geschaff'nes Auge
Unüberwältigt wagt, sie zu ergründen,
Verordnete, damit die Braut des Bräut'gams,
Der unter lautem Ruf mit heil'gem Blute
Sie sich verlobte, sich'rer in sich selbst,
[327]
Und treuer ihm, zu ihrem Trauten ginge,
Zu Schutz und Hilfe ihr zwei hohe Ritter,
Daß sie ihr Führer sei'n zu beiden Seiten.
War seraphgleich an Liebesglut der eine,
So schien der andr' an Weisheit dort auf Erden
Ein Abglanz von dem Licht der Cherubim.
Vom einen will ich sagen: Wen zu preisen
Man wählen möge, gilt das Lob von beiden;
Denn beider Taten hatten nur ein Ziel.
Es senkt von hohem Berg' ein Abhang fruchtbar
Sich zwischen dem vom seligen Ubaldo
Erkor'nen Hügel und Tupino nieder,
Von wo Perugia nächst dem Sonnentore
So Frost als Hitze fühlt, und jenseits Gualdo
Den rauhen Berg beklagt, sowie Nocera.
Von diesem Abhang, da wo seine Steile
Am schwächsten ist, stieg eine Sonne auf,
Wie diese manchmal aus dem Ganges aufsteigt.
Wer also reden will von diesem Orte,
Der sag Assisi nicht, das wäre dürftig:
Er sage Morgenland, will recht er reden.
Noch war nicht ferne sie von ihrem Aufgang,
Als einige Erquickung sie der Erde
Von ihrer großen Kraft zu kosten gab.
Noch jung entzweite sich mit seinem Vater
Der, den ich meine, um ein Weib, dem jeder
Das Tor der Lust, als wie dem Tode schließt.
Und vor dem Hofe geistlichen Gerichtes,
In Gegenwart des Vaters freit' er sie
Und liebte mehr sie dann von Tag zu Tage.
Es hatte, seit sie ihres ersten Gatten
Beraubt war, bis auf ihn elfhundert Jahr
Um die Verachtete niemand geworben.
Nicht half es ihr, daß bei der Stimme dessen,
Vor dem die Welt erbebte, mit Amyklas,
Wie man vernahm, sie unerschüttert blieb.
[328]
Nicht half ihr Treue, noch so fester Sinn
Daß sie, wo selbst Maria drunten blieb,
Das Kreuz erstieg, mit Christo dort zu weinen.
Doch, daß ich dir nicht unverständlich bleibe,
So nimm für diese Liebenden Franciscus
In meiner langen Rede und die Armut.
Es riefen ihre Freudigkeit und Eintracht
In Lieb', in süßem Blick und in Erstaunen
Bei manchem heilige Gedanken wach,
So daß Bernardus, der ehrwürd'ge, sich
Entschuhte, solchem Frieden nachzueilen,
Und eilend glaubt' er noch zu sehr zu zögern.
O unbekannter Reichtum, fruchtbar Gut!
Der Braut zu Liebe folgen, sich entschuhend,
Dem Bräutigam Aegidius und Sylvester.
So geht mit seiner Braut und mit der Schar
Der seinen, welche der demüt'ge Strick
Schon gürtete, ihr Vater und ihr Meister.
Auch drückte Feigheit nicht die Stirn ihm deshalb,
Weil Peter Bernardone's Sohn er war,
Noch weil gering geschätzt er allen schien.
Mit königlichem Mut tat Innocenzen
Er seinen harten Vorsatz kund, und dieser
Gab ihm das erste Siegel seines Ordens.
Und als, ihm folgend, dessen Wunderleben
Geeigneter dort in des Himmels Glorie
Man sänge, sich, das arme Volk vermehrte,
Ward dieses Oberhirten heil'ger Wille
Vom ew'gen Hauche durch Honorius Hand
Mit einer zweiten Krone noch umwunden.
Als dann im Durste nach dem Martertume
Er in des Sultans schnöder Gegenwart
Gepredigt Christum und die ihm gefolgt sind,
Und, da er jenes Volk für die Bekehrung
Nicht reif erfand, um nicht umsonst zu weilen,
Zur Frucht ital'scher Pflanzen heimgekehrt war,
[329]
Empfing auf rauhem Felsen zwischen Tiber
Und Arno er das letzte Siegel, welches
Sein Leib zwei Jahre lang noch trug von Christo.
Als dem, der ihn für solches Heil erkoren,
Demnächst gefiel, ihn zu dem Lohn zu rufen,
Den er durch Selbsterniedrigung verdienet,
Empfahl er seine Braut, die vielgeliebte,
Den Ordensbrüdern, seinen rechten Erben,
Mit dem Befehl, in Treue sie zu lieben;
Doch wollt' aus ihrem Schoß sein lichter Geist
Zu seinem Reich heimkehrend sich erheben,
Und für den Leib wollt' er nur diese Bahre.
Bedenke nun, wie der war, der mit diesem,
Als würdiger Genoß, das Schifflein Petri
Im hohen Meer erhielt auf rechten Wegen,
Und das ist unser Patriarch gewesen;
Drum kannst du sehn, daß wer, wie er geboten
Ihm nachfolgt, sicher gute Ladung führt.
Doch seine Herde ward nach neuer Nahrung
So lüstern, daß, wie könnt' es anders sein,
Sie sich verstreut auf Weiden mancher Art.
Je mehr, abirrend, aber seine Schafe
Von ihm sich trennen, um so leerer kehren
An Milch sie wieder heim zu ihrem Stalle.
Wohl sind noch ein'ge, die den Schaden fürchten
Und sich zum Hirten halten, doch so wen'ge,
Daß ihre Kutten nicht viel Tuch erfordern.
Sind meine Worte klanglos nicht gewesen,
Hast aufmerksam du ihnen zugehört,
Und rufst du das Gesagte dir zurück,
So muß dein Wunsch zum Teil befriedigt sein;
Denn du erkennst den Baum, den man verstümmelt,
Und siehst weshalb der Riementräger sagte:
»Wo man gedeiht, wenn man nicht Eitlem nachjagt.«
[330] Zwölfter Gesang
Kaum hatte die gebenedeite Flamme
Ihr letztes Wort gesprochen, als auf's neue
Die heil'ge Mühle sich zu dreh'n begann.
Noch hatte sie die Runde nicht vollendet,
Da schloß sich rings um sie ein zweiter Kreis,
Einhaltend gleichen Takt im Tanz und Liede.
Und wie der erste Glanz den rückgestrahlten,
So übertrifft dies Lied in solchen Kehlen
Das unsrer Musen, unserer Sirenen.
So wie, wenn Juno ihre Botin sendet,
Zwei gleichgefärbte, parallele Bogen
Auf zartem Wolkengrunde sich bewegen,
Und so den inn'ren wiedergibt der äuß're,
Wie jener Flücht'gen Wort tut, die von Liebe
Verzehrt ward, wie die Sonne Dunst verzehrt,
Uns aber, ob des Bundes, welchen Gott
Mit Noah schloß, die Zuversicht gewähren,
Daß niemals überschwemmt die Welt mehr wird,
So wanden sich um uns die beiden Kränze
Von jenen Rosen, welche nie verblühn,
Und so entsprach dem inneren der äuß're.
Als nun der Tanz und all die Freudenzeichen,
Die, singend und von Licht zu Licht einander
Anstrahlend, sie in Lust und Liebe tauschten,
Gleichzeitig und in Willenseinheit ruhten,
Wie, dem Belieben das sie lenkt gehorchend,
Die Augen sich zusammen auf- und zutun,
Da tönte aus der neuen Lichter einem
Mir eine Stimme, die nach ihrem Ursprung
Mich zog, so wie der Nordstern zieht die Nadel:
Die Liebe, welche mich verschönt, begann sie,
Heißt von dem andren Herzog mich noch reden,
Um dessenthalb der meine so gerühmt ward.
[331]
Wo man vom einen spricht, soll man des andren
Gedenken; wie sie für das gleiche Ziel
Gekämpft, muß auch ihr Ruhm vereinigt leuchten.
Die Heerschar Christi, welche neu zu waffnen
Soviel gekostet, folgte ihrer Fahne
Unsich'ren Mutes und langsamen Schrittes,
Als unser Kaiser, der ohn' Aufhör herrschet,
Für seine Streiter, die gefährdet waren,
Aus Gnaden sorgte, nicht weil sie's verdienten,
Und, wie gesagt, zur Hilfe seiner Braut
Zwei Kämpfer sandte, deren Tun und Reden
Dem Volke seinen Irrweg offenbarte.
In jenem Land, von wo die jungen Knospen,
Mit denen dann Europa neu sich kleidet,
Der süße Zephyr aufzuschließen ausgeht,
Nicht weit vom Strand, an den die Wellen schlagen,
Wo jenseits, ob der großen Wasserwüste,
Zeitweis die Sonne keinem Menschen scheinet,
Dort liegt von Heil begnadigt Calaroga
Im Schutz des großen Schildes, das den Löwen
Hier unterliegend zeigt, dort unterjochend.
Zur Welt kam dort der liebentbrannte Buhle
Des Christenglaubens, jener heil'ge Kämpe,
Der, mild den Seinen, hart war mit den Feinden.
Und, kaum erschaffen, war schon seine Seele
So voll lebend'ger Kraft, daß zum Propheten
Sie ihn gemacht hat in der Mutter Schoße.
Als zwischen ihm das Bündnis und dem Glauben
Am heil'gen Born geschlossen war, wo beide
Mit Heil einander wechselsweis begabten,
Erblickte, die für ihn das Jawort gab,
Die Frau, im Traum die wunderbare Frucht,
Die bringen sollten er und seine Erben.
Und, daß er heiße wie er wirklich war,
Gebot ein Geist, ihn mit dem Eigenschaftswort
Von dem zu nennen, dem er ganz gehörte.
[332]
Dominicus ward er genannt, und von ihm red' ich,
Als von dem Ackermanne Christi, welchen
Er sich zur Hilf' erkor für seinen Garten.
Wohl schien er Christi Bote und Vertrauter,
Indem die erste Liebe, die er kund tat,
Den ersten Rat, den Christus gab, befolgte.
Gar manches Mal fand schweigend ihn und wach
Die Wärterin am Boden, daß es schien,
Als ob er sagen wollte: Dazu kam ich.
Wohl hieß mit vollem Recht sein Vater »Felix«,
Und ebenso »Johanna« seine Mutter,
Wenn dies den Sinn hat, welchen man ihm beimißt.
Nicht in dem Dienst der Welt, in dem, Thaddaeus
Und dem von Ostia folgend, man sich abmüht,
Nein, um des wahren Manna's willen nur
Gewann in kurzem er so tiefes Wissen,
Daß er den Weinberg durchzuforschen anfing,
Der bald verrottet, wenn der Winzer schlecht ist.
Und von dem Stuhl, der den gerechten Armen
Einst wohler wollte, weil zwar nicht er selbst,
Wohl aber der ihn einnimmt, aus der Art schlug,
Begehrt' er nicht das Recht, für zwei bis drei
Von sechs zu dispensieren, nicht den Nießbrauch
Vakanter Pfründen, nicht die, Gottes Armen
Gehör'gen Zehnten; nein, das Recht, den Irrtum
Der Welt für jenen Samen zu bekämpfen,
Aus dem zweimal zwölf Pflanzen dich umgeben.
Dann brach er, wie ein Strom aus reicher Quelle,
Gestützt auf apostolische Berufung,
Mit Wissens- und mit Willenskraft hervor,
Und stürzte auf die ketzerischen Knorren
Mit um so größrem Ungestüm, je zäher
Die Störrigkeit des Widerstandes war.
Viel Bäche sind von ihm dann ausgegangen,
Berieselnd des kathol'schen Glaubens Garten,
So daß nun frischer seine Sträucher grünen.
[333]
War so das eine Rad des Kriegeswagens,
In dem die heil'ge Kirche sich verteidigt,
In ihrem Bürgerkrieg das Feld behauptend,
So sollte die Vortrefflichkeit des andren,
Die Thomas eh' ich kam so freundlich pries,
Nun zur Genüge dir erkennbar sein.
Allein, verlassen ist jetzt das Geleise,
Das es gemacht mit seinem obren Umkreis,
So daß nun Schimmel sich statt Weinsteins ansetzt.
Denn sein Gefolge, das die Füß' einst grade
In seine Spur gesetzt, verwandte so sich,
Daß an der Zehen Platz der Hacken eintritt.
Doch bald wird an der Ernte man die schlechte
Bestellung sehn, wenn klagen wird der Lolch,
Daß in der Lade keinen Platz er findet.
Wer unsren Band von Blatt zu Blatt durchsuchte,
Der würd', ich sag' es selbst, auf Seiten treffen,
Auf denen stünd': Ich bin was ich gewesen.
Doch wäre deren Heimat nicht Casale,
Noch Acquasparta, woher die gekommen,
Die bald die Schrift verengen, bald verleugnen.
Ich selber bin Bonaventura's Leben
Von Bagnoregio. In den höchsten Ämtern
Stellt' immer ich hintan die falsche Sorge.
Hier sind Illuminat und Augustin,
Die ersten fast der schuhelosen Armen,
Die strickumgürtet Gottes Freunde wurden.
Hier ist mit ihnen Hugo von Sankt Victor,
Petrus Comestor und Hispaniens Petrus,
Der heute noch in zwölf Traktaten leuchtet.
Auch Nathan, der Prophet, Chrysostomus
Metropolit, Anselm und der Donatus,
Der nicht verschmäht, die erste Kunst zu lehren.
Raban ist hier, und mir zur Seite endlich
Erglänzt Abt Joachim der Calabrese,
Der mit dem Geist der Prophetie begabt war.
[334]
Solch hohem Paladine nachzueifern
Bewog die liebentbrannte Freundlichkeit
Des Bruders Thomas und sein edles Wort
So mich, als diese, die mit mir vereint sind. –
Dreizehnter Gesang
Es denke sich, wer was ich nun gewahrte
Recht fassen will (und während ich dann rede,
Halt' er das Bild gleich einem Felsen fest),
Die fünfzehn Sterne, die, ringsum verteilet,
Den Himmel so mit ihrem Glanz erhellen,
Daß sie selbst dickgewebte Luft durchdringen:
Den Wagen denk' er sich, der Tag und Nacht
Genüge hat an unsres Himmels Schoße,
So daß ihn uns nicht birgt der Deichsel Wendung,
Er denke sich die Mündung jenes Hornes,
Das an der Spitze von der Achse anfängt,
Um welche sich das erste Rad bewegt;
Sie alle denk' er zu zwei Himmelszeichen
Vereinigt, ähnlich dem, das Minos' Tochter,
Als sie des Todes Frost empfand, gebildet,
Und so, daß eines in dem andren strahlte,
Und beide sich in solcher Weise drehten,
Daß eines vor, das andre rückwärts ginge.
Dies Bild kann ihm gleich einem Schatten dienen
Des Sterngebildes und des Doppeltanzes,
Der jenen Punkt umkreiste wo ich war.
Als Schatten nur; denn über unsren Brauch
Ist es so weit hinaus, als die Bewegung
Des schnellsten Himmels über die der Chiana.
Dort sang, statt Bacchus man und statt Päanen,
Die göttliche Natur in drei Personen
Und mit der menschlichen geeint zu einer.
Es wandten, als ihr Maß Gesang und Kreisen
[335]
Vollendet, sich zu uns die heil'gen Lichter,
Von einer Sorge froh zur andren greifend.
Dann brach das Schweigen der einmüt'gen Geister
Das Licht, aus dem das wunderbare Leben
Des Armen Gottes mir berichtet worden,
Und es begann: Da nun die ersten Garben
Gedroschen sind und eingeheimst die Körner,
Heißt süße Liebe mir den zweiten Ausdrusch.
Du glaubst, daß in die Brust, aus der die Rippe
Entlehnt ward, der entstammt die schöne Wange,
Für deren Gaum so schwer die ganze Welt zahlt,
Und in die andre; die, durchbohrt vom Speere,
So viel genug getan, zuvor wie nachher,
Daß drob die Schale jeder Schuld besiegt wird,
Was nur an Licht die menschliche Natur
Vermag, von jener Kraft die beide sie
Geschaffen, völlig eingegossen sei.
Darum verwundert dich mein früh'res Wort,
Als ich gesagt, es habe seines Gleichen
Das Heil im fünften Lichte nie gehabt.
Nun öffne meiner Antwort deine Augen,
Und sieh, dein Glaube und mein Wort verhalten
Wie Zentrum sich und Umkreis in der Wahrheit.
Unsterbliches und was da sterben kann,
Es ist ein Abglanz nur von der Idee,
Die unser Herr aus Liebesfülle zeugt.
Denn das lebend'ge Licht, das aus dem Lichtquell
Also hervorgeht, daß von ihm so wenig
Sich's trennt, als von der Liebe, die die dritt' ist,
Vereiniget aus Güte seine Strahlen
Gleich wie in Spiegeln, in neun Wesenheiten,
Obwohl es ewig in sich selber eins bleibt.
Abwärts von ihnen steigt von Kraft zu Kraft es
Hinab bis zu den letzten Fähigkeiten,
So daß es endlich nur Zufäll'ges bildet.
Als dies Zufällige bezeich'n ich alle
[336]
Erzeugten Dinge, die der Himmel kreisend
In's Dasein ruft, mit oder ohne Samen.
Ihr Wachs und der es aufträgt, sind nicht immer
Gleich gut; drum prägt der ideale Stempel
Bald besser sich, bald wieder schlechter aus.
Daher geschieht es, daß der Art nach gleiche
Gewächse doch verschiedne Früchte tragen;
Drum kommt zur Welt ihr mit verschiednen Gaben.
Wenn makellos des Wachses Reinheit wäre,
Und auch der Himmel in der höchsten Kraft,
Dann sähe man des Siegels volle Schönheit;
Doch unvollkommen nur drückt's die Natur aus,
Weil ihre Arbeit der des Künstlers gleich ist,
Der, kunstgeübt zwar, mit den Händen zittert.
Bereitet nun und prägt die heiße Liebe,
Der ersten Kraft lichtvolles Schauen aus,
So wird Vollkommenheit schlechthin erreicht.
So ward das Land geschaffen, das befähigt
Zu jeder tierischen Vollendung war,
In solcher Weise ward die Jungfrau schwanger.
Beistimmen muß ich also deiner Meinung,
Daß, was in jenen Zwei'n die menschliche
Natur gewesen, sie nie war noch sein wird.
Wohl würden deine Worte, wenn ich nun
Nicht weiter reden wollte, so beginnen:
Wie war denn also jener ohne Gleichen?
Doch damit klar, was jetzt dir unklar, werde,
So denke, was er war, und was ihn antrieb,
Zu fordern, als zu ihm gesagt ward: Bitte!
Ich sprach nicht also, daß du nicht vermöchtest
Zu sehn, wie er als König bat um Weisheit,
Damit ein König rechter Art er sei.
Nicht nach der Zahl der Himmelslenker frug er,
Noch ob Notwend'ges mit Zufälligem
Verknüpft Notwendiges ergeben könne.
Auch nicht, ob Urbewegung anzunehmen,
[337]
Noch ob ein Dreieck ohne rechten Winkel
Sich machen lasse aus dem halben Kreise.
Erwägst du dies und was ich oben sagte,
So sieh die Königsklugheit und das Schauen,
Auf das sich richtet meiner Absicht Pfeil.
Und fassest du das »schwang sich auf« in's Auge,
So wirst du sehn, daß es nur Kön'gen gilt,
Die zahlreich sind, doch gute drunter wenig.
Nimm denn mein Wort mit dieser Unterscheidung;
So kann's mit dem, was du vom ersten Vater
Und unsrer Wonne glaubest, wohl bestehn.
Das sei dir immer Blei an deinen Füßen,
Daß du zum Ja und Nein, das du nicht siehst,
Gleich einem Müden langsam dich bewegest;
Denn unter Toren selbst steht der gar niedrig,
Der ohne Unterschied bejaht und nein sagt,
Mag es um dies sich oder jenes handeln.
Gar oft geschieht's, daß die gemeine Meinung
Zur falschen Seite hinneigt, aber dann
Die Leidenschaft die bessre Einsicht fesselt.
Noch schlimmer als vergeblich stößt vom Ufer,
Weil er nicht heimkehrt wie er ausfuhr, wer
Nach Wahrheit fischt, und nicht die Kunst versteht.
Des liefern deutlichen Beweis der Welt
Parmenides, Melissus, sowie Brissus
Und andre, die des Weges Ziel nicht wußten.
Sabellius auch, Arius und die Toren,
Die so wie Schwerter mit der Schrift verfuhren,
Ihr grades Antlitz frevelhaft entstellend.
Es sei'n die Leut im Urteil nicht so sicher!
Sie soll'n nicht tun wie einer, der die Ernte
Schon auf dem Felde schätzt, bevor sie reif ist.
Wohl sah den Winter über ich den Dorn
Voll Stacheln dastehn, starr und ungefüge,
Und dann auf seinem Zweig die Rose tragen.
Auch sah ein Schiff ich rasch und grader Richtung
[338]
Das Meer durchfliegen auf der ganzen Reise.
Dann aber scheitern an des Hafens Eingang.
Frau Bertha und Herr Martin soll'n nicht glauben,
Wenn den sie stehlen sehn und jenen opfern,
Sie säh'n drum, was sie sind in Gottes Ratschluß;
Denn der kann fallen, jener sich erheben.
Vierzehnter Gesang
Vom Mittelpunkt zum Kreis, von ihm zu jenem
Bewegt in runder Schale sich das Wasser,
Wird es berührt von außen oder innen.
In meinem Geist trat plötzlich was ich sage
Hervor, nachdem das ruhmgekrönte Leben
Des Thomas aufgehört zu reden hatte,
Weil ähnlich zu der Rede Beatrice's
Die seine sich verhielt; doch ihr gefiel es
Als er geendet, also zu beginnen:
Not täte diesem, doch er spricht es nicht
In Worten aus, auch denkt er es bis jetzt nicht,
Noch einer Wahrheit Wurzel zu erkennen.
Sagt ihm denn, ob das Licht, von dem eu'r Wesen
Hier Blütenschmuck erhält, so wie es jetzt ist,
Euch bleiben wird in alle Ewigkeit.
Und wenn's der Fall ist, so erklärt ihm weiter,
Wie, nachdem Sichtbarkeit euch wieder ward.
Dies Licht nicht eurer Sehkraft Schaden tut?
Wie manchmal, von erhöhter Lust getrieben,
Die sich im Ringeltanze drehn und singen
Die Stimm' erhebend freud'ger sich gebärden,
So zeigten bei der frommbereiten Bitte
Die heil'gen Kreis' in ihres Liedes Tone
Und in des Tanzes Schwingung neue Freude.
Wer sich beklagt, daß man hienieden sterbe,
Um droben fortzuleben, fühlte nimmer
[339]
Des Gnadenregens ewige Erquickung.
Der immer lebt und eins und zwei und drei ist
Und immer herrscht in dreien, zwei'n und einem,
Der, schrankenlos, das All der Welt umschränkt,
Er ward von jedem dieser sel'gen Geister
Dreimal in solcher Melodie gesungen,
Daß jeglichem Verdienst sie reichlich lohnte.
Dann hört ich wie im strahlendsten der Lichter
Des klein'ren Kreises eine sanfte Stimme,
Vielleicht wie die des Engels zu Marien,
Zur Antwort gab: Solang die Festesfeier
Des Paradieses währt, wird unsre Liebe
Aus sich hervor ein solches Lichtkleid strahlen.
Es wird der Glut ensprechen seine Helle,
Die Glut dem Schau'n; dies aber dringt so tief,
Als über eigne Kraft es Gnad' empfängt.
Wenn mit dem heiligen verklärten Fleische
Wir angetan sind, dann wird unser Wesen,
Weil nun vollständig, wohlgefäll'ger sein.
Drum wird sich, was an unverdientem Lichte
Das höchste Gut uns schenkt, alsdann vermehren,
Dem Licht, das uns befähigt ihn zu schau'n,
So muß denn unsres Schauens Tiefe wachsen,
Die Glut auch wachsen, die sich dran entzündet,
Und so der Lichtglanz, der von dieser ausgeht.
Doch wie die Kohl', aus welcher Flamme lodert,
Durch weißen Lichtglanz sie noch übertrifft,
So daß im Feuer sie erkennbar bleibt,
So wird der Glanz, der uns schon jetzt umhüllet,
Vom Fleische, das die Erde jetzt bedeckt,
An Helligkeit noch übertroffen werden.
Auch wird so großes Licht uns nicht beschweren;
Denn Kraft wird den Organen unsres Leibes
Für alles dann zuteil, was uns erfreuet. –
So rasch und eifrig sagten beide Chöre
Hierzu ihr »Amen«, daß man wohl die Sehnsucht
[340]
Nach ihren toten Leibern dran erkannte;
Vielleicht nicht nur den ihren, auch wohl denen
Der Väter, Mütter und der andren, die sie
Geliebt, bevor sie ew'ge Flammen waren.
Und, siehe, gleich an Helligkeit, erschien
Rings um die schon vorhandenen ein Glanz,
Dem Horizont, der sich erhellt, vergleichbar.
Und wie, wenn eben erst der Abend aufsteigt,
Sichtbar am Himmel neue Lichter werden.
Daß man sie bald zu seh'n, bald nicht zu seh'n glaubt,
So schien es mir, als fing' ich neue Wesen
Dort zu erblicken an, die einen Kreis
Noch außerhalb der beiden andren schlössen.
O wahres Funkensprüh'n des heil'gen Geistes,
Wie zeigte sich's so plötzlich mir und glühend,
Daß mein geblendet Aug' es nicht ertrug!
Doch Beatrice sah so schön und lächelnd
Mich an, daß davon, wie von sonst Geseh'nem,
Das die Erinn'rung nicht bewahrt, ich schweige.
Als wieder Kraft gewonnen meine Augen
Emporzublicken, sah ich mich entrückt
Zu höh'rem Heil, allein mit meiner Herrin.
Daß ich emporgestiegen sei, bewies mir
Das feuerfarbne Lächeln des Planeten,
Der röter mir erschien, als ich gewohnt war.
Von ganzem Herzen bracht' ich in der Sprache,
Die gleich für alle ist, solch Dankesopfer
Dem Herren dar, wie solche Gnad' es heischte.
Es war des Opfers Glut in meinem Herzen
Noch nicht erloschen, als ich schon gewahr ward,
Daß günstig aufgenommen war mein Opfer;
Denn Lichter solchen Glanzes und so rot
Erschienen mir im Inn'ren zweier Strahlen,
Daß, Helios, wie schmückst du sie! ich ausrief.
Wie die Milchstraße, Weisen selbst ein Rätsel,
Weißschimmernd sich von Pol zu Pole zieht,
[341]
In Sterne, mehr und minder klein, zerfallend,
So konstellieret zeigten auf dem Grunde
Des Mars das heil'ge Zeichen diese Strahlen,
Das in dem Kreise die Quadranten bilden.
Es unterliegt der Geist hier dem Gedächtnis;
Denn Christus leuchtete von jenem Kreuze
So, daß kein würd'ges Bild ich finden kann.
Doch wer das Kreuz auf seine Schultern nimmt
Und Christo nachfolgt, der verzeiht mein Schweigen,
Sieht Christum er in jenem Schimmer leuchten.
Von Arm zu Arm, vom Wipfel zu dem Fuße
Bewegten Lichter sich, die hell aufflammten,
Wenn sie sich trafen und wenn sie sich trennten.
So sieht hienieden man die Sonnenstäubchen,
Bald schnell, bald langsam, krumm bald und bald grade,
Bald kurz, bald langgezogen, in dem Strahle,
Der manchmal durch den Schatten hinstreift, welchen
Zum Schutz vor Sonnenglut die Menschen, sinnreich
Vorkehrend, hergerichtet, sich bewegen.
Wie, wenn bei vieler Geigen oder Harfen
Zusammenklang, auch wer die Melodie
Nicht auffaßt, doch ein süßes Klingen hört,
So tönte mir vom Kreuz der Lichter, die mir
Dort sichtbar wurden, eine Weise, welche,
Verstand ich auch das Lied nicht, mich entzückte.
Ich fühlte wohl, es sei ein hohes Loblied;
Denn mich erreichte: »Du erstehst und siegest«,
Wie den, der reden hört und nicht verstehn kann.
Daran entbrannte ich in solcher Liebe,
Daß bis dahin kein Gegenstand mich jemals
Gefesselt hatte mit so süßen Banden.
Und wem mein Wort allzu verwegen schiene,
Weil ich hintan die schönen Augen setze,
In die zu schaun mir jede Sehnsucht stillt;
Erwägt der wohl, daß die lebend'gen Siegel
Der Schönheit mit dem Steigen Kraft gewinnen,
[342]
Und ich nach jenen dort noch nicht geblickt,
So kann ob dessen, des ich mich beschuld'ge,
Er mich entschuld'gend, sehn, daß wahr ich rede;
Schließ' ich die heil'ge Freude doch nicht aus,
Die laut'rer wird mit jeder höh'ren Stufe.
Fünfzehnter Gesang
Geneigter Will', in welchen sich die Liebe,
Die nach dem Rechten hinstrebt, immer auflöst,
Wie die verkehrte Liebe in Begierde,
Gebot der süßen Leier nun zu schweigen
Und hieß die heil'gen Saiten, die die Rechte
Des Himmels anzieht oder nachläßt, ruhn.
Wie sollten taub sein für gerechte Bitten
Die Wesen, welche um mir Mut zu machen,
Daß ich sie bitte, jetzt einmütig schwiegen?
Wohl ist es Recht, daß endlos sich beklage,
Wer Dingen, die vergänglich sind, zu Liebe
Auf ewig dieser Liebe sich beraubt!
Wie in der Stille einer klaren Nacht
Rasch durch den Himmel wohl ein Feuer eilt,
Auf sich die Blicke ziehend, die da ruhten,
Als wär's ein Stern, der seinen Ort vertauschet,
Nur daß, von wo es ausging, keiner fehlet,
Und daß es selber kurze Zeit nur dauert,
So eilte von dem Arm des Sterngebildes
Das dort erglänzt, der sich nach rechtshin ausdehnt,
Ein Stern zum Fuße jenes Kreuzes nieder.
Auch schied nicht das Juwel von seinem Bande;
Nein, durch des Kreuzes Strahlen flog es hin,
Wie hinter Alabaster man ein Licht sieht.
So eilte liebevoll herbei Anchises,
Ist unsre größte Muse glaubenswert,
Als im Elysium er den Sohn erblickte.
[343]
O du mein Blut, o Gnade, die von Gott
Herniederströmt, Wem wurde je gleich dir
Des Himmels Pforte zweimal aufgeschlossen? –
So sprach dies Licht und fesselte mein Ohr;
Dann wandte ich den Blick zu Beatrice,
Und hier und da fand ich zum Staunen Anlaß.
Denn solch ein Lächeln brannt' in ihren Augen,
Daß ich das höchste mir beschiedne Ziel
Von Gnad' und Paradies erreicht nun glaubte.
Dann fügt', erfreulich, wie dem Ohr, dem Auge,
Der Geist dem Anfang weiteres hinzu,
So tiefen Sinnes, daß ich's nicht verstand.
Indes verbarg er sich mir nicht aus Willkür,
Nein, aus Notwendigkeit, weil sein Gedanke
Hinausflog über sterbliches Verständnis.
Und als der Bogen glühender Erregung
So weit ermäßigt war, daß nun die Rede
Hinabstieg in des Menschengeistes Schranken,
War: Sei gebenedeit du drei und einer,
Der du so gnädig bist in meinem Sohne –
Von dem was mir verständlich war das erste.
Dann fuhr er fort: Gestillt in diesem Lichte,
In dem ich zu dir rede, hast du Sohn,
Der sei's gedankt, die dich zum Flug befiedert,
Den langgehegten und willkommnen Hunger,
Der mir erwuchs, seit ich im großen Buche,
In dem nie Schwarz und Weiß vertauscht wird, las.
Du meinst, zu mir gelange dein Gedanke
So aus dem ersten, wie das fünf und sechs
Hervorgeht aus dem eins, das man erkennt;
Drum fragst du, wer ich sei nicht, noch warum
Ich freudiger mich gegen dich bezeige,
Als irgendwer von dieser frohen Schar.
Wohl glaubst du wahr, denn kleine so wie große
Hier Lebende schauen alle in den Spiegel,
In dem, noch ungedacht, dein Denken kund wird.
[344]
Doch, daß der ew'gen Liebe mehr Genüge
Gescheh', in der ich ewig schauend wache,
Und die mir süßer Sehnsucht Durst erweckt,
So künde deine Stimme freudig, sicher
Und kühn den Wunsch und Willen, die du hegst,
Auf welche meine Antwort schon bestimmt ist. –
Nach Beatrice blickt' ich; doch sie hatte
Gehört noch eh' ich sprach, und meinem Willen
Ließ Flügel ihr beifäll'ger Wink erwachsen.
Drauf hub ich an: Seit euch die erste Gleichheit
Erschienen, ward für jeden unter euch
Gleich an Gewichte Wunsch und Fähigkeit;
Denn, die mit Licht und Wärme euch erleuchtet
Und brennen macht, die Sonne ist so gleich,
Daß jedes Bild nur ungenügend wäre.
Doch, aus dem Grunde, der euch offenbar ist,
Sind Wunsch und Fähigkeit bei Sterblichen
Nicht in dem gleichen Maß zum Flug befiedert.
Weil ich, als Sterblicher, daß sie es nicht sind
Jetzt fühle, dank ich mit dem Herzen nur
Für diesen Audruck väterlicher Freude.
Doch bitt' ich dich, lebendiger Topas,
Der du dies köstliche Geschmeide zierest,
Daß du den Durst mir stillst nach deinem Namen. –
O du mein Laub, an dem schon in Erwartung
Ich mich erfreute, ich war deine Wurzel. –
Also begann er, Antwort mir erteilend.
Dann sagt' er weiter: Der, nach dem dein Stamm sich
Benennt, und der seit mehr als hundert Jahren
Den Berg umkreist auf seiner ersten Stufe,
Er war mein Sohn und war dein Ältervater.
Wohl sollst du dich bemühn, durch deine Werke
Der Buße lange Arbeit ihm zu kürzen.
Es war im alten Mauerkreis, von wo
Ihm None noch und Terz gezählt wird, Florenz
Friedfertig, voller Mäßigkeit und schamhaft.
[345]
Nicht kannt' es gold'ne Ketten und nicht Kronen,
Nicht aufgeputzte Weiber und nicht Gürtel,
Die mehr als die sie trägt in's Auge fielen.
Noch machte nicht bei der Geburt die Tochter
Dem Vater Sorge; denn noch überschritten
Mitgift und Zeit das Maß nicht beiderseitig.
Noch gab's nicht Häuser von Bewohnern ledig,
Noch war Sardanapal nicht angelangt,
Was in Gemächern man vermag, zu zeigen.
Noch übertraf nicht eu'r Uccellatojo
Den Berg des Marius; aber, wie im Steigen,
Wird auch im Fallen er ihn übertreffen.
Gegürtet sah mit Leder ich und Knochen
Bellincion Berti, und sein Weib vom Spiegel
Mit unbemaltem Angesichte kommen.
Mit bloßem Lederwamms sah ich Del Vecchio
Und Nerli sich begnügen; beider Frauen
Sah bei der Spindel ich und bei der Kunkel.
Die Glücklichen! Der Grabesstätte sicher
War ihrer jede, und um Frankreichs willen
War keine noch in ihrem Bett verlassen.
Die eine wachte sorglich bei der Wiege
Und redete beschwichtigend die Sprache,
An der die Eltern sich zuerst ergötzen.
Es plauderte die zweite mit den Ihren,
Indes dem Wocken sie das Haar entzog,
Von den Trojanern, Fiesole und Rom.
Ein Wunder wär' ein Weib wie die Cianghella,
Ein Lapo Salterello da gewesen,
Wie Cincinnat jetzt und Cornelia wären.
So ruhigem, so schönem Bürgerleben,
So zuverlässiger Genossenschaft,
So süßem Heimatsort hat mich Maria
Gewährt auf lautem Schmerzensschreies Flehen.
In eurem altehrwürd'gen Baptisterium
Ward ich ein Christ zugleich und Cacciaguida.
[346]
Moronto hatte ich und Eliseo
Zu Brüdern, aus dem Potal kam mein Weib,
Und da her stammt der Name den du führest.
Dann folgt' ich Kaiser Conrad. Wackre Taten
Gewannen so mir seine Gunst, daß er
Den Gürtel seiner Ritterschaft mir schenkte.
Ich folgt' ihm nach zum Kampf mit des Gesetzes
Verkehrtheit, dessen Volk, was euer Recht ist,
Allein durch eurer Hirten Schuld, sich anmaßt.
Entfesselt von der trügerischen Welt,
In deren Lust viel Seelen sich beflecken,
Ward ich im Kampf mit jenem schnöden Volke
Und kam vom Martertod zu diesem Frieden.
Sechzehnter Gesang
Wohl bist gering du, unsres Blutes Adel;
Doch wenn die Menschen hier sich deiner rühmen,
Wo Schwachheit unsre Neigungen bestimmt,
So soll's in Zukunft nimmer mich verwundern,
Da dort, wo nichts den Wunsch vom Rechten ablenkt,
Im Himmel sag' ich, deiner ich mich rühmte.
Du bist ein Mantel, der gar bald zu kurz wird;
Die Zeit bestutzt ihn rings mit ihrer Schere,
Tut man von Tag zu Tage nicht hinzu!
Dann fingen meine Worte mit dem »ihr«,
Das Rom einst zuließ, und in dem die Seinen
Am mindesten beharren, wieder an.
Da war in ihrem Lächeln Beatrice,
Die etwas ferner stand, der zu vergleichen,
Die bei Ginevra's erstem Fehl gehustet.
Und also hub ich an: Ihr seid mein Vater;
Zum Reden gebt ihr mir den vollen Mut,
Mich so erhebend, daß ich mehr als ich bin.
Mit Freudigkeit erfüllt aus so viel Bächen
[347]
Mein Herz ihr, daß es in sich jauchzet, weil es
So viele Lust erträgt und doch nicht berstet.
So sagt mir denn, ihr mein geliebter Urahn,
Von wem ihr abgestammt und welche Zahlen
Der Jahre man in eurer Kindheit schrieb.
Sagt mir auch von dem Schafsstall Sankt Johannis,
Wie groß er war, und nennt mir die Geschlechter,
Die wert der höchsten Sitze damals schienen. –
Wie bei der Winde Hauch entbrannte Kohlen
Lebend'ger sich entzünden, so erglänzte
Dies Licht bei meinen Schmeichelworten heller.
Und wie es meinem Auge sich verschönte,
So sprach's mit süßerer und sanftrer Stimme,
Doch nicht in dieser Sprache neurer Zeit,
Zu mir: Vom Tag' an dem gesagt ward: Ave
Zu dem, wo meine Mutter, die jetzt heilig,
Von mir, der Frucht, befreit ward, die sie trug,
Kam dieser Stern fünfhundertachtzigmal
Zu seinem Löwen, unter dessen Sohlen
Neu anzufachen seine Glut, zurück.
Es wohnten meine Alten, und zur Welt
Kam ich, wo wer eu'r Jahresrennen läuft
Zuerst betritt den letzten Stadtbezirk.
Von meinen Vordern möge dies genügen;
Wer sie gewesen und woher gekommen,
Verschweig' ich schicklicher als ich es sage.
Was zwischen Mars zu der Zeit und dem Täufer
Der Waffen fähig war, betrug ein Fünftel
Von denen, welche heutzutage dort leben.
Allein das Bürgerblut, das jetzt gemengt ist
Mit Campi, mit Fighine und Certaldo,
War damals rein im kleinsten Handwerksmann.
O wie viel besser wär's, wenn ihr zu Nachbarn
Die hättet, die ich nannt', und eure Grenze
Noch bei Trespiano wär' und beim Galluzzo,
Als innen sie zu haben, und den Stank
[348]
Des Aguglion zu tragen und des Signa,
Der schon nach wem, der ihn besteche, ausschaut.
Und hätten die nicht, die am schlimmsten sünd'gen,
Stiefmütterlich gehandelt an dem Kaiser,
Statt, wie den Sohn die Mutter, ihn zu hegen,
So hätte mancher, der als Florentiner
Nun kauft und verkauft, sich nach Simifonte
Gewandt, wo betteln ging sein Ältervater.
Dann hätten Montemurlo noch die Grafen,
Pivier d'Acon bewohnten noch die Cerchi,
Das Grevetal vielleicht die Buondelmonti.
Vermengung der Personen war von jeher
Die Ursach des Verderbens für die Städte,
Wie für den Leib was man zur Speis' ihm beut.
Es fällt geschwinder als ein blindes Lamm
Der blinde Stier, und mehr und besser schneidet
Ein Schwert gar manches Mal, als ihrer fünfe.
Beachtest Luni du und Urbisaglia,
Wie sie verkommen sind, und wie nach ihnen
Auch Sinigaglia schwindet so wie Chiusi,
So wird, wenn du vernimmst wie die Geschlechter
Vergehn, dich das nicht wundern, noch dir neu
Erscheinen, da auch Städt' ein Ende nehmen.
Dem Tod' ist all das eurige verfallen,
So wie ihr selbst; doch birgt sich das an Dingen
Die lange währen, ob des Lebens Kürze.
Und wie der Mondeshimmel durch sein Kreisen
Den Meeresstrand bald überschwemmt, bald aufdeckt,
So tut Fortuna mit dem Volk von Florenz.
Drum darf, was von den hohen Florentinern
Ich sagen werde, deren Ruf die Zeit
Verborgen hat, dir wunderbar nicht scheinen.
Schon sinkend, doch als hochgestellte Bürger,
Sah ich die Ughi, Greci, Catellini,
Filippi, Alberichi und Ormanni.
So alt als blühend sah ich, neben denen
[349]
Vom Haus della Sannella, die dell' Arca,
Die Soldanier, Ardinghi und Bostichi.
Die Ravignani, deren Stamm Graf Guido
Entsprossen ist, und jeder der am Namen
Des hohen Bellincione Teil hat, wohnten
Am Tore, das von neuer Büberei
So überladen jetzt ist, daß in kurzem
Man über Bord solch schlimme Ladung wirft.
Der della Pressa kannte schon die Kunst
Des Regiments, schon führte Galigajo
Vergoldet Heft und Degenknopf im Hause.
Schon waren mächtig die gescheckte Säule,
Sacchetti, Giuochi, Fifanti, Barucci,
Galli, und die des Scheffels halb erröten.
Der Stamm, aus dem erwuchsen die Calfucci,
War groß bereits, und zu des Staates Ämtern
Berief man Arrigucci schon und Sizj.
Wie sah so groß ich jene, deren Stolz
Sie dann gestürzt! Die goldnen Kugeln blühten,
Wo immer Florenz Großes unternahm.
Nicht minder taten es die Väter derer,
Die, wenn erledigt ist eu'r Bischofstuhl,
Sich mästen, weis sie sitzen im Kapitel.
Die übermüt'ge Brut, die den der fliehet
Mit Drachenwut verfolgt, doch gegen den,
Der Zähne oder Geld ihr weist, zum Lamm wird,
Kam schon empor, doch von geringem Volke,
Weshalb es Ubertin Donato kränkte,
Daß sie zu Vettern ihm sein Schwieher machte.
Schon waren gute Bürger Infangato
Und Giuda; Caponsacco war schon nieder
Von Fiesole auf unsren Markt gestiegen.
Unglaublich scheint es wohl, doch ist es wahr:
Das Tor, durch das man in den kleinen Kreis
Eintrat, es hieß nach denen della Pera.
Wer immer an dem schönen Schild des großen
[350]
Barones teilnahm, dessen Ruhm und Namen
Das Fest des heil'gen Thomas jährlich auffrischt,
Entnahm von ihm den Adel wie die Rechte,
Obwohl sich jetzt dem niedern Volke anschließt,
Der es umwindet mit dem goldnen Streifen.
Mehr Friede wäre jetzt im Borgo, hätten
Die Gualterotti und die Importuni,
Die schon bestanden, Nachbarn nicht erhalten.
Schon war mit den Genossen hochgeachtet
Das Haus, von welchem durch gerechten Zorn,
Der euch getötet und das frohe Leben
Bei euch beendet hat, eu'r Weinen ausging.
Zu welchem Unheil horchtest, Buondelmonte,
Du schlechtem Rat und miedest jener Hochzeit!
Froh wären manche, die nun traurig sind,
Wenn, als das erstemal zur Stadt du kamest,
Dich Gott der Ema überlassen hätte.
Doch wohl geziemte sich's daß solch ein Opfer
Dem Trümmerstein, der bei der Brücke wacht,
In seinem letzten Frieden Florenz brachte.
Mit diesen und mit anderen Geschlechtern
Sah Florenz ich in solcher Ruhe leben,
Daß ihm zum Klagen jeder Anlaß fehlte.
Mit solchen Bürgern sah so reich an Ruhme
Und so gerecht sein Volk ich, daß die Lilie
Niemals verkehrt gesteckt ward auf die Lanze
Und niemals rotgefärbt im Bürgerzwiste.
Siebzehnter Gesang
Wie Wahrheit über das, was gegen ihn
Gesagt war, der von Klymene verlangte,
Der noch die Väter karg den Söhnen macht,
So fühlt ich mich und so verstand mich auch
Sowohl Beatrix, als die heil'ge Lampe,
[351]
Die meinethalb zuvor den Platz gewechselt.
Drauf meine Herrin: Laß des Wunsches Flamme
Hervor nur brechen; aber sei bedacht,
Daß sie gezeichnet sei vom innren Stempel.
Nicht daß sich unsre Kunde durch dein Wort
Vermehre; nein, damit du so den Durst
Zu künden dich gewöhnst, daß man dir schenke. –
Mein teurer Stamm, der du so hoch erhöht bist,
Daß, so wie Menschengeister sehn, im Dreieck
Sei für zwei stumpfe Winkel nimmer Platz,
So du die Dinge, die der Zufall lenket,
Bevor sie sind, hinschauend auf den Punkt
Erkennst, dem gegenwärtig jede Zeit ist;
Als ich noch mit Virgil verbunden war,
Den Berg hinauf, der Heilung bringt den Seelen,
Und niedersteigend in die Welt der Toten,
Vernahm ich über mein zukünft'ges Leben
Viel schwere Worte, ob ich mich auch gegen
Des Schicksals Schläge wohlgekantet fühle.
Drum würde mir's Befriedigung gewähren,
Zu hören, welches Schicksal mich erwartet;
Vorhergesehner Pfeil trifft minder heftig. –
So sprach ich zu dem Lichte, das zuvor
Mit mir geredet, und gestanden hatt' ich
Nun meinen Wunsch, wie Beatrice wollte.
Und nicht mit Umschweif, wie die tör'gen Völker
Sich drin verstrickten, ehe das Lamm Gottes
Getötet war, das alle Sünde trägt;
Mit klarem Wort und in bestimmter Rede
Erteilte Antwort jene Vaterliebe,
In's eigne Licht gehüllt und aus ihm leuchtend:
Des Zufalls Wechselspiel, das sich nicht weiter
Erstreckt als wie eu'r Stoff, vollständig liegt es
Vor Gottes Aug' im voraus abgebildet;
Jedoch Notwendigkeit erhält es davon
So wenig, als vom Auge, drin sich's spiegelt,
[352]
Ein Schiff das mit dem Strom zu Tale fährt.
Von dort empfang ich, sowie von der Orgel
Zum Ohre süße Harmonie gelangt,
In das den Einblick, was dir noch bevorsteht.
Wie wegen seiner argen, unbarmherz'gen
Stiefmutter Hippolyt Athen verließ,
Also wirst Florenz du verlassen müssen.
Das wünscht man dort, das will man dort erreichen
(Und bald wird was man dort bezweckt erfolgen),
Wo Christum man verkauft von Tag zu Tage.
Auf den Gekränkten wird im Mund der Leute
Das Unrecht fallen; doch es wird der Wahrheit
Der Zeugnis geben, der die Rache austeilt.
Was dir am liebsten ist, das wirst du alles
Verlassen, und das ist der erste Pfeil,
Den der Verbannung Bogen auf dich schleudert.
Dann wirst du fühlen, wie das fremde Brot
So salzig schmeckt, und welch ein harter Pfad ist
Die fremden Treppen auf- und abzusteigen.
Was dir die Schultern mehr noch wird beschweren,
Ist die nichtsnutz'ge schmähliche Gesellschaft,
Mit der du fallen wirst in diese Schlucht.
In allem töricht, undankbar und schlecht
Wird gegen dich sie sein; doch ihre Schläfe,
Nicht deine, werden bald darob sich röten.
Wie sehr sie Bestien gleicht, das wird ihr Fortgang
Beweisen, und zum Ruhm wird dir gereichen,
Daß du dir für dich selbst Partei gebildet.
Die erste Zuflucht und die erste Herberg'
Wird dir der mächtige Lombarde bieten,
Der auf der Leiter führt den heil'gen Vogel.
So gütig wird er gegen dich gesinnt sein,
Daß unter euch an Bitten und Gewähren,
Was sonst das spätre ist, das erste sein wird.
Mit ihm wirst den, der dieses starken Sternes
Eindruck bei der Geburt so sehr erfahren,
[353]
Daß was er tun wird Staunen weckt, du sehn.
Noch hat die Welt, ob seines zarten Alters
Ihn nicht bemerkt, denn diese Räder haben
Erst seit neun Jahren sich um ihn gedreht;
Doch eh' den hohen Heinrich der Gascogner
Verrät, wird an des Geldes und der Mühen
Nichtachtung Funken seines Wert's man sehen.
So wird von seiner Großmut sich die Kunde
Verbreiten, daß sogar der Feinde Zungen
Darüber stumm zu bleiben nicht vermögen.
Auf ihn vertrau' und das was er dir tun wird;
Verwandelt wird durch ihn das Los von vielen,
Indem er Arme reich macht, arm die Reichen.
Was du von ihm vernahmst, das trag' im Geiste
Mit fort; doch sage nichts. – Und Ding' erzählt' er,
Unglaublich denen selbst, die's einst erleben.
Dann fuhr er fort: Mein Sohn, das sind die Glossen
Zu dem was dir gesagt ward, das die Schlingen,
Die wen'ger Jahre Kreislauf noch verbirgt.
Doch sollst du deine Nachbar'n nicht beneiden;
Denn länger währt die Zukunft deines Lebens,
Als ihrer Missetaten Strafe reicht. –
Als nun die heil'ge Flamme durch ihr Schweigen
Bezeigte, daß sie des Gewebes Einschlag
Vollendet, das gezettelt ich ihr darbot,
Begann ich, einem gleich, der, selber zweifelnd,
Von jemand Rat begehrt, der rechten Willen
Und Einsicht hat, und der zugleich ihm wohl will:
Ich sehe wohl, mein Vater, daß die Zeit
Auf mich heranstürmt, um mich so zu schlagen,
Wie der am schwersten fühlt, der sich ergibt.
Drum tu' ich gut, mit Vorsicht mich zu waffnen,
Daß, wenn der Orte liebster mir geraubt wird,
Ich durch mein Lied die andren nicht verscherze.
Dort unten in der endlos bittren Welt
Und auf dem Berg', von dessen schönem Gipfel
[354]
Die Augen meiner Herrin mich erhoben,
Und dann im Himmel hier von Licht zu Lichte
Vernahm ich, was, im Fall ich's wiedersage,
Nach herber Säure schmecken wird für viele.
Und, bin ich furchtsam in der Wahrheit Freundschaft,
So fürcht' ich, geht das Leben mir bei denen
Verloren, welchen alt heißt diese Zeit. –
Das Licht, in dem mein dort gefundnes Kleinod
Mir lächelte, erglänzte erst so hell
Wie in der Sonne Strahl ein goldner Spiegel;
Dann gab es mir zur Antwort: Ein Gewissen,
Das eigne oder fremde Schuld befleckt,
Wird deines Wortes Herbigkeit empfinden.
Doch soll dich das nicht hindern, ungeschminkt
Vollständig dein Gesicht zu offenbaren,
Und wer dann räudig ist, den laß sich kratzen.
Wird deines Wort's anfänglicher Geschmack
Auch lästig sein, so wird es, wenn verdaut,
Dem Hörer Lebensnahrung hinterlassen.
Es wird dein Ruf dem Winde gleichen, welcher
Am heftigsten die höchsten Gipfel trifft,
Und zu nicht kleinem Ruhm wird das gereichen.
Gezeigt sind deshalb dir in diesen Rädern,
Den Berg herauf und in dem Tal der Schmerzen
Nur Seelen, welche durch den Ruf bekannt sind;
Denn nicht befriedigt, noch überzeugt
Des Hörers Geist ein Beispiel, dessen Wurzel
Ihm unbekannt ist und verborgen blieb,
Noch sonst ein Grund, der nicht in's Auge fällt. –
[355] Achtzehnter Gesang
Schon freute seines Wort's der sel'ge Spiegel
Sich nun allein, und im Geschmack des meinen
Ermäßigt' ich das Herbe mit dem Süßen.
Und jene Herrin, die zu Gott mich führte,
Sie sprach: Laß ab von Sorgen, und bedenke,
Daß dem, der jedes Unrecht sühnt, ich nah bin. –
Auf deren, die mein Trost ist, liebend Wort
Wandt' ich den Blick; doch welche Lieb' ich damals
In ihren heil'gen Augen sah, verschweig' ich.
Nicht nur, daß meiner Rede ich mißtraue,
Nein, auch weil das Gedächtnis, ungeleitet,
Sich über sich so hoch nicht schwingen kann.
Berichten kann von diesem Augenblicke
Ich nur, daß, sie anschauend, mein Verlangen
So lange frei von jedem andren Wunsch war,
Als mich die ew'ge Wonne, die Beatrix
Unmittelbar bestrahlt', im Wiederscheine
Aus ihrem schönen Angesicht beglückte.
Durch eines Lächelns Leuchten mich besiegend
Sprach sie zu mir: Nun wende dich und höre;
Nicht nur in meinem Aug' ist Paradies. –
Und wie man hier, ist der Affekt so groß,
Daß er in Anspruch nimmt die ganze Seele,
Ihn manchmal ausgedrückt sieht in den Zügen,
So konnt' ich in des heil'gen Glanzes Flammen,
Zu dem ich mich gewandt, den Wunsch erkennen,
Noch etwas weiteres mit mir zu reden.
Und er begann: Auf dieser fünften Stufe
Des Baums, der aus dem Gipfel Nahrung zieht,
Der immer Frucht bringt und das Laub nie abwirft,
Sind sel'ge Geister, die, bevor der Himmel
Sie aufnahm, drunten solchen Ruf genossen,
Daß jeder Muse reichen Stoff sie böten.
[356]
So schau' nun auf die Arme dieses Kreuzes,
Und jeden, den ich nenne, wirst du tun sehn,
Wie in der Wolke tut ihr schnelles Feuer. –
Da sah ein Licht ich durch das Kreuz hin eilen,
Sobald der Name Josua's genannt ward,
Und früher als mein Sehn war nicht das Hören.
Und bei des hohen Makkabäers Namen
Sah wirbelnd ich ein andres sich bewegen,
Und innre Freude war des Kreisels Peitsche.
Bei dem des großen Karl und Roland's folgte
Mein aufmerksamer Blick zwei andren dann,
Wie seinem Falk' im Fluge folgt das Auge.
Dann zogen Wilhelm und dann Rennewart
Und Herzog Gottfried, sowie Robert Guiscard
Mein Aug' entlang den Armen jenes Kreuzes.
Drauf zeigte mir, vereint sich mit den andren
Bewegend, jenes Licht das zu mir sprach,
Wie es im Himmelschor ein Künstler sei.
Ich wandte mich zu meiner rechten Seite,
Um in Beatrix' Reden oder Miene
Zu lesen, was mir nun zu tun gebühre.
Und solchen Glanzes sah ich, sah so freudig
Ihr Auge, daß die Schönheit ihres Aussehns
Die früh'ren übertraf und selbst die letzte.
Und wie der Mensch an größrer Freudigkeit
Im Gutestun von Tag zu Tag gewahr wird,
Daß für die Tugend ihm die Kräfte wachsen,
Also erkannt' ich, größer sei der Bogen
Geworden, drin ich mit dem Himmel kreis'te,
Weil soviel schöner ich dies Wunder schaute.
Wie einer Jungfrau weißes Antlitz schnell
Die Farbe wechselt, wenn von ihren Wangen
Die Scham verschwindet, welche sie gerötet,
So war's vor meinem Aug', als ich mich wandte
Des weißen Lichts des sechsten Sternes wegen,
Der milder strahlend mich nun aufgenommen.
[357]
Ich sah in jener Fackel Jupiters
Das Funkensprühn der Liebe, die dort weilte,
Vor meinen Augen Menschenrede zeichnen.
Wie Vögel, die vom Ufer sich erheben,
Als freuten sie der Atzung sich gemeinsam,
In Linien bald und bald im Kreis sich scharen,
So sangen jene heiligen Geschöpfe,
In ihren Lichtern hin und wieder fliegend,
Ein D erst bildend, dann ein I und L.
Erst tanzten sie nach ihres Sanges Takte,
Dann wurden sie das eine jener Zeichen,
Dann hielten sie ein wenig ein und schwiegen.
O Pegasea, Göttin, die den Geistern
Du Ruhm verleihst und Leben langer Zeiten,
Wie sie durch dich den Städten und den Reichen,
Erhelle mich aus dir, daß ihre Bilder,
Wie ich sie aufgefaßt, ich wiedergebe;
Es leuchte deine Kraft aus meinen Versen.
In fünfmal sieben Konsonanten und
Vokalen zeigten sie sich, und ich merkte
Die Teile, wie sie mir zu lauten schienen.
Diligite justitiam, das waren
Der ganzen Rede erstes Zeit- und Hauptwort,
Die mit qui judicatis terram schloß.
Und zu dem M des fünften Wort's geordnet,
Beharrten sie, so daß dort Jupiter
Mit Golde eingelegtes Silber schien.
Und andre Lichter sah ich auf der Höhe
Des M sich niederlassen, und, lobsingend
Dem Gut, das sie zu sich zieht, glaub' ich, weilen.
Dann schienen mir, wie bei entbrannter Scheite
Zusammenstoß unzähl'ge Funken sprühn
(Woraus die Narr'n sich künft'ges Glück verkünden),
Von dort wohl tausend Lichter aufzusteigen,
Die einen niedriger, die andren höher,
Wie es die Sonn', in der sie brennen, wollte.
[358]
Und als an seinem Ort nun jedes ruhte,
Sah eines Adlers Hals und Kopf dies Feuer
Ich auf dem weißren Hintergrunde bilden.
Der dorten malt, hat niemand der ihn leite;
Er aber leitet, und nur ihm entstammt
Die Kraft, die Formen bildet in den Nestern.
Die andre sel'ge Schar, die erst zufrieden
Schien, sich dem M zur Lilie anzufügen,
Schloß der Gestaltung, schwach bewegt, sich an.
Wieviel und was für edle Steine zeigten
Mir menschliche Gerechtigkeit als Wirkung
Des Himmels, den du schmückst, o schöner Stern!
So bitt' ich denn den Geist, von dem dein Kreisen
Herstammt und deine Kraft, daß er den Ursprung
Des Rauch's, der deine Strahlen trübt, erwäge,
So daß er ob des Kaufens und Verkaufens
Im Tempel, der durch Wunder und durch Martern
Gemauert ward, auf's neu' in Zorn entbrenne.
O bitte du, des Himmels Kriegerschar
Die ich betrachte, für die Erdbewohner,
Die in die Irre schlechtes Beispiel führte.
Einst pflegte mit dem Schwert man Krieg zu führen;
Jetzt tut man's, da und dort das Brot entziehend,
Das keinem Kind versagt ein frommer Vater.
Du aber, der nur schreibt um auszustreichen,
Bedenk, daß Petrus noch und Paulus leben,
Die für den Weinberg, den du schädigst, starben.
Wohl kannst du sagen: So steht mein Verlangen
Nach dem nur, der die Einsamkeit erwählte,
Und dem den Martertod das Tanzen brachte,
Daß ich nicht Fischer und nicht Paulus kenne.
[359] Neunzehnter Gesang
Das schöne Bild, das die vereinten Seelen
Im freudigen Genuß befriedigte,
Erschien vor mir mit ausgespannten Flügeln,
Und ein Rubin zu sein schien eine jede,
In welchem so das Licht der Sonne brannte,
Daß es zurückgestrahlt ward in mein Auge.
Das aber, was mir nun zu schildern obliegt,
Sprach keine Zunge je, schrieb keine Feder,
Und Phantasie hat nimmer es gestaltet.
Denn reden sah und hört' ich jenen Schnabel
Und »ich« und »mein« in seiner Rede sagen,
Wo die Bedeutung »wir« und »unser« war.
Und er begann: Weil ich gerecht und fromm bin,
Ward ich hierher erhöht zu dieser Glorie,
Die mehr gewährt als je ein Wunsch erstrebte.
Zurück auf Erden ließ ich solch Gedächtnis,
Daß zwar die argen Völker es beloben,
Doch der Geschichte Beispiel schlecht befolgen. –
So wie nur eine Glut aus vielen Kohlen
Man brennen fühlt, so ging aus diesem Bilde
Von vielen Liebenden ein Ton nur aus.
Drauf sagt' ich: O unwandelbare Blumen
Der ew'gen Freude, die all' eure Düfte
Ihr mich empfinden laßt, als wär' es einer,
O macht mit eurem Hauch dem großen Fasten
Ein Ende, das durch Hunger lang' mich quälte,
Weil Speise dafür nicht die Erde bot.
Wohl weiß ich, ist der Himmelreiche eines
Ein Spiegel göttlicher Gerechtigkeit,
So sieht das eurige sie ohne Schleier.
Ihr wißt, wie aufmerksam ich mich bereite,
Euch zuzuhören, wißt auch, welcher Zweifel
Der Inhalt meines alten Hungers ist. –
[360]
So wie der Falke, nimmt man ihm die Kappe,
Den Kopf bewegt und mit den Flügeln schlägt,
Indem er Jagdlust zeigt und sich herausputzt,
So sah ich unter Liedern, die nur kennt
Wer dort beseligt ist, den Adler tun,
Der ganz aus Lob von Gottes Huld bestand.
Alsdann begann er: Der bis zu den Enden
Der Welt den Zirkel schlug, und der in ihr
So viel des Dunkeln schied vom Offenbaren,
Vermochte nicht, in das gesamte Weltall
So seine Kraft zu prägen, daß sein Wort
Es nicht unendlich weit noch überragte.
Beweis davon ist, daß der erste Stolze,
Der doch der Kreaturen höchste war,
Aus Ungeduld nach Licht so schmählich fiel.
Es folgt hieraus, daß jedes kleinre Wesen
Ein kärgliches Gefäß des Gutes ist,
Das, schrankenlos, sich selber nur zum Maß dient.
So kann denn unser Blick, der von den Strahlen
Des Geistes, dessen alle Dinge voll sind,
Ein einzelner nur sein kann, nie aus eigner
Natur vermögend sein, soviel zu schauen,
Daß nicht sein Urgrund noch viel tiefer dränge,
Als was in seiner Macht steht zu erkennen.
Drum in die ewige Gerechtigkeit
Dringt so der Blick ein, der der Welt gewährt ist,
Wie auf des Meeres Grund das Auge dringt.
Wohl sieht es nahe ihn dem Küstensaume,
Doch nicht im hohen Meer, und dennoch ist er
Vorhanden; nur daß seine Tief' ihn birgt.
Was von dem Himmel, dessen Blau nie dunkelt,
Nicht herkommt, ist kein Licht, ist Finsternis,
Ist fleischgeborner Schatten oder Gift.
Nun ist die dunsle Schlucht dir aufgehellt,
Die die lebendige Gerechtigkeit
Dir barg und dich bewog zu soviel Fragen.
[361]
Du sagtest, an des Indus Ufer wird
Ein Mensch geboren; aber dort ist niemand
Der redet, oder liest und schreibt von Christo.
Doch ist in allem was er will und tut
Nach menschlichem Begriff er gut zu nennen,
Im Leben wie in Worten ohne Sünde;
So stirbt er ungetauft und ohne Glauben.
Ist's nun Gerechtigkeit, ihn zu verdammen?
Wo ist denn seine Schuld, wenn er nicht glaubte?
Wer bist denn du, der auf den Richterstuhl
Dich setzen willst, um auf viel tausend Meilen
Zu richten, und dein Blick reicht keine Spanne?
Wohl hätte, wer mit mir so feine Fragen
Ergründen wollte, Grund zu schwerem Zweifel,
Wenn über euch die heil'ge Schrift nicht stünde.
Ihr Tiere ird'schen Stoff's, ihr stumpfen Geister;
Der höchste Wille, welcher gut an sich ist,
Entfernt sich nie von sich, dem höchsten Gute.
Was ihm entsprechend ist, das ist gerecht.
Ihn an sich ziehn kann kein erschaffnes Gut,
Er aber ist, ausstrahlend, dessen Ursach. –
Sowie der Storch, nachdem er seine Jungen
Gefuttert, über seinem Neste kreist,
Und die Gesättigten zu ihm emporschaun,
So tat das benedeite Bild, die Flügel
Im Einklang vielfachen Entschlusses regend,
Und so schlug ich zu ihm die Wimpern auf.
Im Kreise schwang es singend sich und sprach:
Wie mein Gesang dir unverständlich bleibt,
So ist's das ewige Gericht euch Menschen. –
Zur Ruhe kehrten dann die lichten Brände
Des heil'gen Geistes wieder in dem Zeichen,
Durch das die Welt den Römern Ehrfurcht zollte.
Dann fuhr es fort: Es stieg zu diesem Reiche
Nie jemand auf, der nicht an Christum glaubte,
Sei's eh' man ihn ans Holz schlug oder nachher.
[362]
Doch sieh, gar viele rufen: Christe, Christe!
Die im Gericht ihm werden minder nah sein,
Als mancher, der von Christo nichts vernommen.
Und manchen Christen wird der Mohr verdammen,
Wenn die zwei Scharen einst geschieden werden,
Die eine ewig reich, und arm die andre.
Was können nicht die Perser euren Kön'gen
Vorhalten, wenn das Buch sie offen sehn,
Drin deren Sünden alle sind geschrieben.
Drin wird man lesen unter Albrechts Taten
Die welche bald bewegen wird die Feder,
So daß verödet bleibt das Prager Reich.
Das Unheil wird man sehn, das an der Seine
Durch seine Münzverfälschung der herbeiführt,
Der sterben wird von eines Hauers Stoße.
Man wird den Stolz sehn der den Engelländer,
Den Toren, gleich dem Schotten so erfüllt,
Daß ihre Schranken sie nicht dulden wollen.
Man wird die Wollust und die Weichlichkeit
Des Spaniers sehen, sowie die des Böhmen,
Der Tüchtigkeit nie kannt' und nie gewollt hat.
Dort wird dem Ciotto von Jerusalem
Mit I man seine Güte, doch mit M
Das Gegenteil ihm angezeichnet finden.
Man wird den Geiz, die niedrige Gesinnung
Des Hüters von der Feuerinsel sehn,
Auf der Anchises schloß sein langes Leben.
Und um zu zeigen, wie gering er ist,
Wird seine Schrift mit abgekürzten Lettern
Verfaßt, die viel in wenig Raume sagen.
Des Oheims und des Bruders schmutz'ge Taten
Wird jeder sehn, die solch ein edles Volk,
Sowie zwei Kronen, tief herabgewürdigt.
Den Portugiesen wird und den Norweger
Man dort erkennen, sowie den von Rascien,
Der, sich zum Unheil, sah Venedig's Stempel.
[363]
Ein Glück für Ungarn, läßt es sich nicht länger
Mißhandeln; glücklich auch Navarra, braucht es
Als Waffe das Gebirg, das es umgürtet.
Erkenne jeder, daß zum Zeichen dessen
Schon Nicosia sowie Famagosta
Laut über ihre Bestie murr'n und klagen,
Die von der andren Flanke sich nicht losmacht. –
Zwanzigster Gesang
Wenn der Planet, der Licht dem Weltall spendet,
Von unsrer Hemisphäre niedersteigt,
So daß der Tag auf allen Seiten schwindet,
So schimmert bald der Himmel, der zuvor
Von ihm allein entbrannt war, in viel Lichtern,
In denen allen nur das eine glänzt.
An solche Himmelswandlung mußt' ich denken,
Als das Panier der Welt und seiner Führer
Nun mit dem benedeiten Schnabel schwieg.
Denn alle die lebend'gen Lichter stimmten,
Nun heller als zuvor, Gesänge an,
Die mein Gedächtnis nicht bewahren konnte.
Die du dich hüllst in Lächeln, süße Liebe,
Wie glühend hört' ich dich in jenen Flöten,
Die nichts als heilige Gedanken hauchten.
Nachdem die teuren leuchtenden Juwele,
Womit geschmückt das sechste Licht ich sah,
Die Engelglockentöne schweigen hießen,
Glaubt' eines Flusses Murmeln ich zu hören,
Der klar herniederfällt von Fels zu Felsen,
Die Wasserfülle seines Quell's bewährend.
Und, wie der Klang Gestalt am Hals der Zither
Gewinnt, und wie die Luft, die durch sie hinzieht,
Zum Ton wird an der Mündung der Schalmei,
So stieg, ein weitres Säumen nicht erwartend,
Des Adlers Murmeln in dem Hals' empor,
[364]
Wie wenn er ausgehöhlt zur Gurgel wäre.
Zur Stimme wird es dort, und aus dem Schnabel
Trat es hervor in Form von Worten, wie
Das Herz, drin ich sie aufschrieb, es vermutet:
Aufmerksam sollst du nun, also begann er,
Den Teil von mir, der Sehkraft hat, beschauen,
Und der die Sonn' erträgt an euren Adlern;
Denn von den Flammen all, die mich gestalten
In Stufen mannigfach, sind die die höchsten,
Von denen mir im Haupt das Auge funkelt.
Der mir inmitten als Pupille leuchtet,
Er war des heil'gen Geistes Sänger, der
Die Bundeslade trug von Ort zu Orte.
Nunmehr erkennt er seines Lied's Verdienst,
Soweit aus seinem Ratschluß es hervorging,
Durch die Belohnung, welche gleiches Maß hält.
Von Fünfen, die sich mir zur Braue biegen,
Hat, der dem Schnabel mir der nächste ist,
Getröstet wegen ihres Sohn's die Witwe.
Nun sieht er ein, wie, Christo nicht zu folgen
So teuer kostet, da dies süße Leben
Er, wie zuvor sein Gegenteil erfahren.
Und der nun in des Bogens höchster Wölbung,
Von dem ich rede, nachfolgt, hat den Tod
Hinausgeschoben durch wahrhafte Buße.
Nun sieht er ein, daß sich gerechter Ratschluß
Nicht ändert, möge auch gerechtes Bitten
Zu Morgigem dort unten Heut'ges machen.
Es machte, der nun folgt, mit den Gesetzen
Und mir, in guter, schlecht belohnter, Absicht
Dem Hirten Raum zu geben, sich zum Griechen.
Nunmehr erkennt er, wie das Unheil, welches
Aus seiner guten Tat floß, ihm nicht schadet,
Obwohl die Welt dadurch zugrunde ging.
Und den du in des Bogens Neigung siehst,
War jener Wilhelm, den das Land betrauert,
[365]
Das über Karl und Friedrich weint, die leben.
Nun sieht er ein, wie den gerechten König
Der Himmel liebt, und dessen gibt er Zeugnis
Durch seines Glanzes helleres Entflammen.
Wer glaubte wohl in eurer Welt voll Irrtum,
Daß von den heil'gen Lichtern dieser Rundung
Das fünfte Ripheus, der Trojaner, sei!
Gar viel erkennt er nun von Gottes Gnade,
Was unsichtbar dem Menschenauge bleibt,
Obwohl auch sein Blick nicht den Grund erreicht. –
Der Lerche gleich, die in die Luft sich schwingend
Erst singt, dann aber, von der letzten Wonne,
Die ihr Genüge tut, befriedigt, schweigt,
Also befriedigt däuchte mir dies Bild
Des Abdrucks ew'ger Wonne, durch das Sehnen
Nach welcher jedes Ding wird was es ist.
Und, war ich gleich für meinen Zweifel dort
Wie Glas der Farbe, die es überkleidet,
Ertrug er's doch nicht, schweigend zu erwarten.
Und aus dem Munde trieb durch seine Schwere
Er: Was für Dinge sind das? – mir hervor,
Weshalb, auflodernd, Freude mir bezeigt ward.
Drauf gab zur Antwort, noch entflammt'ren Auges,
Das benedeite Sinnbild mir, um länger
Mich in des Staunens Schwebe nicht zu halten:
Ich sehe wohl, du glaubst was du vernommen,
Weil ich's gesagt; doch du erkennst den Grund nicht,
So daß, obwohl geglaubt, dir's dunkel bleibt.
Du gleichest einem, dem der Sache Namen
Bekannt ist; doch der ihre Wesenheit
Nicht sieht, bis sie ihm kund ein andrer tut.
Gewalt erleidet durch lebend'ge Hoffnung
Und heiße Liebesglut das Himmelreich;
Denn sie besiegen auch den Willen Gottes.
Nicht wie ein Mensch dem andern obsiegt; sondern
Weil er besiegt sein will wird er besiegt,
[366]
Und so besiegt, siegt er durch seine Gnade.
Der Braue erstes sowie fünftes Leben
Macht dich erstaunen, weil mit ihnen beiden
Du ausgestattet siehst das Reich der Engel.
Doch nicht als Heiden, wie du wähnst; sie ließen
Den Leib als Christen, an die Füße glaubend,
Die schon gelitten, oder leiden sollten.
Heim zum Gebeine kehrte aus der Hölle,
Wo niemand Gutes wollen kann, der eine,
Und das war Lohn für lebenskräft'ge Hoffnung:
Für jene Hoffnung, die auf die Gebete,
Daß Gott ihn auferweck' und sich sein Wille
Zum Glauben wenden könne, fest vertraute.
So kehrt' auf kurze Zeit in's Fleisch zurück
Die ruhmgekrönte Seele, die ich meine,
Und glaubt' an den, der Hilf' ihr geben konnte.
Und glaubend brannte sie in solchem Feuer
Wahrhaft'ger Liebe, daß beim zweiten Tode
Sie zugelassen ward zu diesen Spielen.
Die andre richtete aus Gnadenwirkung
So tiefer Quelle, daß das Auge keines
Geschöpfes je zur ersten Welle drang,
All ihre Liebe auf Gerechtigkeit;
Weshalb den Blick von Gnade ihr zu Gnade
Der künftigen Erlösung Gott erschloß.
So glaubte sie an jene, und von da an
Trug sie nicht mehr den Stank des Heidentumes
Und schalt darob die irrenden Geschlechter.
Wohl tausend Jahr und länger vor dem Taufen
Vertraten die drei Frau'n des rechten Rades,
Die du gesehn hast, ihr der Taufe Stelle.
O Gnadenwahl, wie doch so weit entlegen
Ist deine Wurzel von den Blicken deren,
Die nicht die erste Ursach ganz erkennen!
Ihr Sterblichen indes, enthaltet euch
Zu richten, denn selbst wir, die Gott wir schauen,
[367]
Wir kennen doch nicht all' die Auserwählten.
Und dies Nichtwissen süß bedünkt es uns;
In solchem Heil erhöht sich unser Heil noch,
Denn Gottes Willen ist auch unser Wollen. –
So ward von jenem göttlichen Gebilde
Mein Auge, das kurzsicht'ge, zu erleuchten,
Mir Arzenei voll Süßigkeit gereicht.
Und wie des Sängers Lied der Saitenspieler
Begleitet mit den Schwingungen der Saite,
Wodurch erhöht wird des Gesanges Wohlklang,
Sah während dieser Rede ich die beiden
Gebenedeiten Lichter, mit den Worten
Zusammenstimmend, wie der Augen Blinken
Zusammenstimmt, bewegen ihre Flämmlein.
Einundzwanzigster Gesang
Die Augen hatt' ich und zugleich die Seele
Dem Antlitz meiner Herrin zugewendet
Und sie entzogen jedem andren Ziele.
Doch lächelte sie nicht: Denn, lächelt' ich,
Also begann sie, würde dir geschehen,
Wie Semele, als sie zu Asche wurde.
Es leuchtet meine Schönheit, die, wie du
Gesehn, des ewigen Palastes Stufen
Hinan sich immer strahlender entzündet,
Jetzt so, daß wenn sie ungemildert bliebe,
Dem Laub dein sterbliches Vermögen gliche,
In das ein Wetterstrahl herniederfährt.
Entrückt sind wir zum siebenten Planeten,
Der unter des entflammten Löwen Brust,
Vermischt mit ihm, jetzt seine Kraft entsendet.
Nun folge sorglich mit dem Geist den Augen
Und mache sie zu Spiegeln von dem Bilde,
Das dir erscheinen wird in diesem Spiegel. –
Wer wüßte, welche Wonne meinen Blicken
[368]
Das Schau'n des sel'gen Angesichtes bot,
Als ich mich doch zu andrer Sorge wandte,
Der sähe draus, wie gern bereit ich war,
Der himmlischen Begleiterin zu folgen,
Wög' er die ein' und andre Seite ab.
In dem Kristalle, der die Welt umkreisend
Den Namen seines hohen Führers trägt,
Zu dessen Herrscherzeit die Bosheit tot war,
Sah in des Goldes Farbe, das ein Strahl
Bescheint, ich eine Leiter aufgerichtet,
So hoch, daß sie mein Auge nicht verfolgte.
Die Sprossen sah so mannigfachen Glanz
Ich niedersteigen, daß jedwedes Licht
Des Himmels dort ich ausgestreuet wähnte.
Und wie, natürlicher Gewohnheit folgend,
Die Kräh'n bei Tagesanbruch sich gemeinsam,
Die kalten Federn zu erwärmen, regen,
Dann diese gehn, nicht wieder umzukehren,
Zurück zum Ausgangspunkte andre fliegen,
Noch andre weilend sich im Kreise drehn,
Also zu tun schien jenes Lichtgefunkel,
Das auf und ab dort stieg, sobald zu einer
Bestimmen Sprosse sie gekommen waren.
Das Licht indes, das uns am nächsten weilte,
Erglühte so, daß bei mir selbst ich dachte:
Die Liebe seh' ich wohl, die du mir kündest. –
Doch sie, von welcher ich das wie und wann
Des Schweigens und der Red' erwart', ist stumm,
Weshalb ich trotz des Wunsches besser schweige.
Sie aber, die mein Schweigen in dem Anschaun
Von dem gewahrte, welcher alles sieht,
Sie sagte: Löse nur dein heiß Verlangen. –
Und ich begann: Wohl macht mich mein Verdienst
Nicht deiner Antwort wert; doch ihretwillen,
Die mir vergönnt zu fragen, sel'ges Leben,
Das in den Glanz der eignen Freudigkeit
[369]
Du dich verbirgst, verkünde mir die Ursach,
Die dich so nahe zu mir hergeführt,
Und sage mir, warum in diesem Kreise
Die süße Symphonie des Himmels schweigt,
Die in den andren so andächtig tönte? –
So wie dein Aug', ist sterblich dein Gehör,
Sagt' er; derselbe Grund, der Beatrice
Nicht lächeln ließ, verhindert unser Singen.
Der heil'gen Leiter Stufen stieg so weit ich
Hinab, durch meine Rede und das Licht
Das mir als Mantel dient dich zu erfreuen.
Nicht größ're Liebe machte mich bereiter,
Denn, wie der Glanz der Lichter zeigt, entflammt
Auch andre Seelen mehr und gleiche Liebe.
Doch, die uns zu bereiten Dienerinnen
Vom Ratschluß der die Welt regieret, macht,
Die hohe Liebe ist es, die hier auswählt. –
Ich sehe wohl, begann ich, heil'ge Leuchte,
Wie freie Lieb' an diesem Hofe ausreicht,
Um was die Vorsehung bestimmt, zu wollen;
Was aber schwer mir zu begreifen dünkt,
Das ist, warum nur du vorherbestimmt wardst
Zu solchem Amte vor so viel Genossen. –
Es machte, eh' ich noch zum letzten Worte
Gelangt, dies Licht zum Zentrum seine Mitte,
Um die sich's drehte, gleich geschwinder Mühle.
Dann sprach die Liebe, die darinnen weilte:
Ein Strahl von Gottes Licht kehrt sich zu mir;
Das Licht durchdringend, welches mich umhüllt.
Indem mich seine Kraft mit meinem Schauen
Verbunden über mich erhebt, gewahr' ich
Die höchste Wesenheit, aus der es stammt.
Da her die Freudigkeit in der ich leuchte;
Denn nach dem Maß der Klarheit meines Schauens
Bestimmt sich auch die Klarheit meiner Flamme.
Doch die verklärteste der Himmelsseelen,
[370] Der Seraph, der sein Aug' in Gott versenkt,
Genügen kann er deiner Frage nicht;
Denn in den Abgrund ewigen Beschlusses
Vertieft sich, was du wissen willst, so weit,
Daß kein erschaffner Blick bis dahin vordringt.
Berichte, wenn du heimkehrst, dies der Welt
Der Sterblichen, daß sie sich nicht erkühne,
Nach solchem Ziele hin den Fuß zu heben.
Auf Erden qualmt der Geist, wenn hier er leuchtet;
Erwäge denn, ob drunten er vermag,
Was ihm versagt bleibt auch als Himmelsbürger. –
So fühlt' ich mich gehemmt durch seine Worte,
Daß ich die Frage aufgab und in Demut
Ihn, wer er sei zu fragen mich beschränkte:
Inmitten von Italiens beiden Ufern
Erheben, unfern deiner Heimat, Felsen
So hoch sich, daß die Donner tiefer rollen.
Den Höcker, den sie bilden, nennt man Catria;
Ein Eremitenkloster liegt darunter,
Bestimmt nur zu andächtiger Betrachtung. –
Also begann er seine dritte Rede;
Dann aber fuhr er fort und sprach: Im Dienste
Des Herrn befestigt' ich mich dort so sehr,
Daß ich bei Speisen, nur mit Saft des Ölbaums
Bereitet, Frost und Hitze leicht ertrug,
Befriedigt von beschaulichen Gedanken.
Wohl lieferte dies Kloster unsren Himmeln
Sonst reiche Ernte; doch nun ist's verweltlicht,
So sehr daß bald es allen offenbar wird.
Im Kloster hieß ich Petrus Damianus;
Petrus peccator aber in dem Hause
Von unsrer Frau am Strand der Adria.
Nur wenig Lebenszeit war mir geblieben,
Als zu dem Hute man mich lud und drängte,
Den nach dem Schlechten meist ein Schlecht'rer trägt.
Einst gingen Kephas und das große Rüstzeug
[371]
Des heil'gen Geistes mager her und schuhlos,
Die Speise nehmend aus jedweder Herberg';
Die Hirten unsrer Zeit bedürfen rechts
Und links, wer sie geleit' und unterstütze,
So schwer sind sie, und wer die Schleppe trage.
Den Zelter auch bedecken ihre Mäntel,
So daß in einem Fell zwei Bestien stecken.
O göttliche Geduld, wie lang' erträgst du's? –
Bei dieser Rede sah ich viele Flämmlein
Die Stufen niedersteigen und sich drehn,
Und schöner machte sie jedwede Drehung.
Um ihn gesammelt ruhten sie dann alle
Und taten einen Schrei so mächt'gen Tones,
Daß sich ein Gleichnis hier nicht finden läßt.
Verstehn konnt' ich ihn nicht, vom Schall bewältigt.
Zweiundzwanzigster Gesang
Betäubt von Staunen wandt' ich, gleich dem Kinde,
Das dort die Hilfe sucht, wo es am meisten
Vertrauen hegt, mich zu der Führerin.
Sie aber, gleich der Mutter, welche schleunig
Durch ihre Stimme, die ihm neuen Mut gibt,
Dem Kinde hilft, das atemlos und bleich ist,
Sie sprach zu mir: Vergißt du, daß im Himmel
Du bist, und daß in ihm nur Heil'ges sein kann?
Was hier geschieht, kommt nur von gutem Eifer.
Hat jener Schrei schon dich so sehr erschüttert,
So denke selber, wie dich der Gesang
Und wie mein Lächeln umgewandelt hätten.
Wenn du die Bitten, die in jenem lagen,
Verstanden hättest, kenntest du die Rache
Bereits, die noch bevor du stirbst, du sehn wirst.
Das Schwert des Himmels schneidet weder langsam,
Noch schneidet's eilig; nur erscheinet's dem so,
[372]
Der es erwartet, hoffend oder fürchtend.
Nun aber wende zu den andren dich;
Noch viel erlauchte Geister wirst du sehn,
Läßt meinen Worten du die Blicke folgen. –
Wie sie geboten, richtet' ich die Augen
Und sah wohl hundert Sphären, die einander
Durch ihre Wechselstrahlen noch verschönten.
Ich war gleich einem, der des Wunsches Stachel
In sich zurückdrängt, und nicht wagt zu bitten,
Weil er besorgt, daß es zuviel erscheine.
Da trat die glänzendste und größte aller
Der Perlen aus den übrigen hervor,
Freiwillig meinem Wunsche zu genügen.
Aus ihrem Inn'ren hört ich: Sähest du
Gleich mir die Liebe, welche in uns glühet,
So gäb'st du Ausdruck dem, was dir im Sinn liegt.
Doch, damit wartend du dein hohes Ziel
Nicht aufschiebst, will ich dir auf den Gedanken,
Den du zu sagen scheust, die Antwort geben.
Der Berg, an dessen Hang Casino liegt,
War einst auf seinem Gipfel viel besucht
Von schlechtgesinnten und betörten Leuten.
Ich bin es, der zuerst auf jenen Berg
Den Namen dessen trug, der uns die Wahrheit
Zur Erde brachte, die uns nun so hoch hebt.
Und mich erleuchtete so reiche Gnade,
Daß ich vom schnöden Gottesdienst ringsum
Die Orte abzog, der die Welt verführte.
Beschaulich war das Leben all der Feuer
Die du hier siehst; sie brannten in der Liebe;
Die heil'ge Blüten wachsen macht und Früchte.
Hier sind Macarius und Romuald,
Hier meine Brüder, deren Füß' im Kloster
Verweilten, während fest zugleich das Herz blieb. –
Und ich zu ihm: Die Neigung, welche redend
Du mir beweisest und der güt'ge Ausdruck,
[373]
Der sich mir zeigt in jeder eurer Flammen,
Hat, wie die Sonne mit der Rose tut,
Wenn dies' in ihrem Strahl sich soweit auftut
Als sie vermag, erweitert mein Vertrauen.
Drum bitt' ich dich, und, Vater, du belehre
Mich, ob ich soviel Gnade finden kann,
Daß ich dich seh' im unverhüllten Bilde? –
Drauf er: Es wird dein hoher Wunsch, o Bruder,
Erfüllung finden in der letzten Sphäre,
Wo alle sich erfüllen und auch meiner.
Dort ist vollkommen, reif und schon gewährt
Ein jeder Wunsch; in ihr ist jeder Teil
Am selben Orte, wo er stets gewesen.
Dort ist kein Raum und dort sind keine Pole,
Und unsre Leiter steiget dort hinauf;
Deshalb entzieht sie so sich deinem Blicke.
Jacob der Patriarch sah sie bis dorthin
Hinauferstrecken ihren obren Teil,
Als ihm so voller Engel sie erschien.
Jetzt aber hebt, um sie hinanzuklimmen,
Niemand den Fuß vom Boden; meine Regel
Ist nur geblieben zur Papierverschwendung.
Es sind die Mauern, die einst Klöster waren,
Nun Räuberhöhlen, und der Mönche Kutten
Sind Säcke nun voll von verdorbnem Mehle.
Doch wucherliche Zinsen nimmt man nicht
So wider Gottes Willen, als die Frucht,
Durch die das Herz der Mönche so betört wird.
Denn denen, die um Gotteswillen bitten,
Gehört was nur die Kirche inne hat,
Nicht Vettern, oder schlimmerem Gezüchte.
Das Fleisch der Menschen ist so leicht verführbar,
Daß guter Anbeginn bei euch nicht ausreicht
Vom Keim der Eiche bis die Eichel reif wird.
Petrus begann mit Golde nicht und Silber,
Und ich mit Fasten nur und mit Gebeten,
[374]
In Demut gründete sein Kloster Franz.
Wenn eines jeden Ursprung du betrachtest
Und dann erwägst, wohin sie nun gelangt sind,
So siehst du wohl, daß dunkel ward, was weiß war.
Zurückgewandt hat wahrlich sich der Jordan;
Doch wunderbarer war, als Gott es wollte,
Des Meeres Fliehn, wie hier die Hilfe wäre. –
So sprach er, und dann wandt' er sich zurücke
Zu seiner Schar; die aber schloß sich enger,
Und fuhr empor gleich einem Wirbelwinde.
Die süße Herrin trieb mit einem Winke
Mich leiteran und ihnen nach; so ward
Durch ihre Kraft besiegt mein eignes Wesen.
Nie war hinieden, wo man auf- und absteigt
Nach Ordnung der Natur, so schleunige
Bewegung, daß sie meinem Fluge gliche.
So wahr ich zum gesegneten Triumphe
Zu kehren hoffe, Leser, dessenthalb ich
Ob meiner Sünden oft die Brust mir schlage,
Du zögst nicht schneller aus dem Feu'r den Finger,
Den du hineingetan, zurück, als ich
Das Zeichen, das dem Stier folgt, sah und drin war.
Glorreiche Sterne, Licht an Kräften schwanger
Dem ich verdanke, was ich an Begabung
Empfangen, sei es wenig oder mehr,
Mit euch erhob sich, mit euch ging zur Rüste
Das Licht, das alles Erdenlebens Quell ist,
Als ich zuerst Toskanerluft geatmet;
Und als mir dann gespendet ward die Gnade,
In's hohe Rad, das euch bewegt, zu treten,
Ward mir beschieden euer Himmelszeichen.
Zu euch seufzt eherbietig meine Seele,
Um Kraft zu finden für das hohe Wagnis,
Von dem in Anspruch sie genommen wird!
Du bist so nahe schon dem letzten Heile,
So hub Beatrix an, daß deine Augen
[375]
Der Klarheit nun bedürfen, wie der Schärfe.
Drum, eh' du weiter dich darein vertiefest,
Schau niederwärts und sieh, welch ein Stück Welt
Bereits ich dir zu Füßen liegen machte,
Damit dein Herz so freudig als es kann
Der Schar der Triumphierenden sich zeige,
Die froh daherkommt durch das Ätherrund.
Zurück durch all die sieben Sphären kehrt' ich
Mit meinem Blick, und diese Kugel sah ich
So klein, daß lächeln mich ihr Anblick machte.
Drum halt' ich für den besten den Entschluß, der
Sie am geringsten achtet; wahrhaft redlich
Ist der zu nennen, der auf andres denkt.
Latona's Tochter sah ich von dem Schatten
Befreit, der einstens Anlaß mir gegeben
An Lockeres und Dichteres zu denken.
Den Anblick, Hyperion, deines Sohnes
Ertrug ich hier, und wie um ihn und nah' ihm
Sich Maja und Dione drehten, sah ich.
Alsdann erschien mir zwischen Sohn und Vater
Des Jupiter gemäßigt Licht, und klar
Ward mir der stete Wechsel ihrer Stellung.
Und alle sieben ließen mich erkennen,
Wie groß sie sind, wie schnell sie sich bewegen,
Und wie ihr Abstand wohl bemessen ist.
Und jenen Ball, den Schauplatz unsres Wütens,
Sah, während mit dem ew'gen Zwillingspaare
Ich kreiste, vom Gebirg' ich bis zum Strande;
Dann wandt' ich zu den schönen meine Augen.
[376] Dreiundzwanzigster Gesang
So wie der Vogel, der im lieben Laube
Die Nacht hindurch, die uns verbirgt die Dinge,
Im Nest geruht hat bei den süßen Kleinen,
Daß er erkenne die ersehnten Häupter
Und Futter suche, sie damit zu nähren,
Wobei die schwerste Mühe ihm genehm ist,
Der Zeit voran auf freiem Aste eilt
Und heiß verlangend auf die Sonne wartet,
Aufmerksam schauend, ob es noch nicht dämmre,
So aufgerichtet und mit festem Auge
Der Seite zugewandt, wo minder eilig
Die Sonne sich bewegt, stand meine Herrin;
So daß, weil ich gespannt sie sah und sinnend,
Dem Manne glich, der ob wohl andres wünschend,
Inzwischen mit der Hoffnung sich begnügt.
Doch kurze Zeit verging nur von dem einen
Zum andren Augenblick, dem des Erwartens,
Und dem wo hell und heller ward der Himmel.
Und Beatrice sagte: Sieh die Scharen
Von dem Triumphe Christi, sieh die Frucht
Des Kreisens dieser Sphären eingesammelt! –
Ihr ganzes Angesicht schien mir zu glühen,
Und so voll Wonne waren ihre Augen,
Daß ohne Schild'rung ich es muß verschweigen.
Wie Trivia in den heit'ren Vollmondsnächten
Umgeben von den ew'gen Nymphen lächelt,
Die schimmernd jeden Himmelsraum bemalen,
So sah ich über tausendfachem Lichtglanz
Die eine Sonne, welche Licht den andren
So leiht, wie unsre tut den Himmelsaugen.
Es schien durch das lebend'ge Licht hindurch
So hell die strahlenreiche Wesenheit
In meine Augen, daß sie's nicht ertrugen.
[377]
Beatrix, süße, teure Führerin ...! –
Sie aber sagte: Das, was dich bewältigt,
Ist eine Kraft, der niemand widerstehn kann.
Die Weisheit und die Macht, die von der Erde
Den Weg zum Himmel aufgetan, wonach
So lang' erfolglos man verlangt, sind hier. –
Wie Feuer sich von seiner Wolke losreißt,
Hat sich's so ausgedehnt, daß ihm der Raum fehlt,
Und niederfährt, zuwider seinem Wesen,
So ging mein Geist, der unter solchem Festmahl
Gewachsen war, heraus aus seinem Selbst
Und was er tat, kann er sich nicht erinnern.
Tu' auf die Augen nun und siehe mich
So wie ich bin; nach dem was du gesehn hast,
Vermagst du auch mein Lächeln zu ertragen. –
Wie wer an ein Gesicht, das er vergessen
Zurückedenkt, und sich umsonst bemüht,
Es der Erinn'rung wieder vorzuführen,
So war mir, als ich dies Erbieten hörte,
Das solchen Dankes wert war, wie er nimmer
Im Buch verlischt, das das Geschehne aufnimmt.
Ob alle Zungen nun ertönen möchten,
Die Polyhymnia mit ihren Schwestern
Durch ihre süße Milch zumeist gekräftigt,
Mir beizustehn; des heil'gen Lächelns Schild'rung,
Und wie das heil'ge Antlitz es verschönte,
Erreichte doch kein Tausendteil der Wahrheit.
So muß das gottgeweihte Lied, gleich einem,
Der plötzlich unterbrochen sieht den Pfad,
Es überspringen in des Himmels Schild'rung.
Doch wer des Gegenstand's Gewicht erwägt
Und daß die Schulter, die sich's auflud, sterblich,
Der wird's nicht tadeln, wenn sie drunter zittert.
Das Wasser, welches kühn der Kiel durchschneidet,
Ist nicht geschaffen für geringe Nachen,
Noch für den Steuermann der Mühen scheut.
[378]
Was fesselt dich mein Antlitz so in Liebe,
Daß du dich nicht zum schönen Garten wendest,
Der unter Christi Strahl in Blüten prangt?
Hier ist die Ros', in der das ew'ge Wort
Zum Fleische ward, hier sind die Lilien, deren
Geruch zum guten Wege hat geleitet. –
So sprach Beatrix, und bereit, wie immer,
Zu folgen ihrem Rate, unterwarf ich
Die schwachen Lider abermals dem Kampfe.
Wie einst mein Auge, selbst im Schatten weilend,
Beim Sonnenstrahl, der durch den Spalt der Wolke
Hindurchbrach, eine Blumenwiese sah,
So sah durch Lichtglanz der von oben kam
Hell angestrahlt ich Scharen lichter Geister,
Obwohl des Glanzes Ursprung ich nicht sah.
Huldreiche Kraft, die sich in ihnen ausprägt,
Du schwangest dich empor, um meinen Augen,
Die nicht mehr konnten, wieder Raum zu geben!
Der schönen Blume Namen, die ich stets
Anrufe, früh und spat, hieß meinen Geist
Sich einzig nach der größten Flamme wenden.
Als des lebend'gen Sternes Glanz und Größe,
Der dorten siegt, wie er hienieden siegte,
Sich mir gemalt in beide Augen hatte,
Stieg eine Fackel von dem Himmel nieder
In Kreisgestalt, vergleichbar einem Kranze,
Den Stern umwindend und um ihn sich drehend.
Der Melodien süßeste hienieden,
Die mehr als eine an sich zieht die Seele,
Sie klänge gleich zerrißner Wolke Donner
Verglichen mit der Leier süßem Klange,
Das jenen köstlichen Saphir umkränzte,
Von dem Saphiresglanz der Himmel lieh:
Als eines Engels Lieb' umkreise ich
Die hohe Wonne, die dem Schoß entströmet,
In welchem Herberg' unsre Sehnsucht nahm.
[379]
So lange werd' ich's tun, o Himmelsherrin,
Als du dem Sohne folgst, und als
Durch dich verherrlicht wird die höchste Sphäre. –
So siegelte, im Kreise sich bewegend,
Sich selber diese Melodie, und alle
Die andren Lichter riefen aus: »Maria!«
Der königliche Mantel aller Bände
Des Weltalls, der in Gottes Art und Odem
Am meisten brennt und sich daran belebet,
War über uns mit seinem inn'ren Ufer
Noch so entfernt, daß, wo ich mich befand,
Die Blicke nichts von ihm entdecken konnten.
Darum vermochten der gekrönten Flamme,
Die ihrem Sprosse nach gen oben schwebte,
Bis dorthin meine Augen nicht zu folgen.
Und wie das Kind, wenn es die Brust genommen,
Zur Mutter hin die kleinen Arme streckt,
Weil auch nach außen flammt wie es gesinnt ist,
So streckte jeder Lichtglanz seine Flamme
Hinauf gen oben, und gar wohl erkannt' ich,
Mit welcher Inbrunst sie Maria liebten.
Dann blieben sie vor meinen Augen dort,
So süßen Ton's: Regina Coeli singend,
Daß mich die Lust daran niemals verließ.
Wie ist so groß der Reichtum, der gesammelt
In jenen Truhen ist, die hier auf Erden
Zum Säen tücht'ge Ackerleute waren!
Man lebt hier von dem Schatz und freut sich seiner,
Den unter Tränen man in dem Exile
Von Babylon erwarb, wo man das Gold ließ.
Hier feiert unter Gottes und Mariä
Erhabnem Sohne den Triumph des Sieges
So mit dem neuen als dem alten Rate
Der, welcher dieser Glorie Schlüssel hält.
[380] Vierundzwanzigster Gesang
Genossenschaft zum hohen Abendmahle
Des Lamm's erkoren, welches so euch speist
Daß jeder eurer Wünsche stets erfüllt ist!
Gewährt, eh' ihm der Tod die Zeit beendet,
Die Gnade Gottes diesem, vorzukosten
Von dem was niederfällt von eurem Tische,
So denket seiner schrankenlosen Liebe
Und netzt mit Tau ihn, da ihr aus der Quelle
Beständig trinkt, aus der sein Denken fließt. –
Beatrix sprach's, und jene Seelen drehten
Als Sphären freudig sich um feste Pole,
Wobei sie Flammen sprühten gleich Kometen.
Und so wie Räder in der Uhr Gefüge
Sich so bewegen, daß wer aufmerkt, glaubt
Das erste stehe still, das letzte fliege,
So ließen jene Kreisenden, indem sie
Verschiedenartig tanzten, ihren Reichtum
An mehr und mindrer Schnelle mich bemessen.
Aus dem, der vor den andren schön mir dünkte
Sah ich ein Feuer solcher Freude strahlen,
Daß keiner ihn an Helle übertraf.
Alsdann umkreist' er dreimal Beatrice,
Sich mit so göttlichem Gesang begleitend,
Daß mir's die Phantasie nicht wiedersagt.
Drum sag' ich's nicht, die Feder überspringt es;
Denn unsre Einbildung, und gar die Sprache
Hat Farben nur, zu hell für solche Falten.
O meine heil'ge Schwester, die so innig
Uns bittest, durch dein glühendes Verlangen
Machst du mich los von jener schönen Sphäre. –
Als stillstand das gebenedeite Feuer,
Wandt' es zu meiner Herrin seinen Hauch,
Der also redete, wie ich berichtet.
[381]
Und sie: O ew'ges Licht des hohen Mannes,
Dem unser Herr die Schlüssel dieser Freude
Die er zur Erde brachte, übertragen,
Erprob' in schweren oder leicht'ren Fragen
Des Glaubens, der dich auf dem Meer ließ wandeln,
So wie es dir gefällig diesen hier.
Ob er recht liebt, recht hoffet und recht glaubet,
Weißt du; denn dahin ist dein Blick gewendet,
Wo abgebildet jedes Ding du siehst;
Weil aber unser Reich sich seine Bürger
Erwarb durch wahren Glauben, ziemt's für diesen
Sich, daß er dessen Ruhm zu künden habe. –
So rüstet sich der Baccalaur' und schweiget
Bis daß der Meister aufgestellt die Frage,
Um sie zu billigen, nicht zu beenden,
Wie ich mich rüstete mit allen Gründen,
Indes sie sprach, auf daß bereit ich sei
Für solchen Frager und für solch Bekenntnis.
Sag' an denn guter Christ und gib dich kund:
Was ist der Glaube? – Drauf erhob die Stirn ich
Dem Geiste zu, aus welchem dieses hauchte.
Dann wandt' ich zu Beatrix mich, und sie
Hieß durch Gebärden mich, der innren Quelle
Gewässer willig vor ihm auszugießen.
Die Gnade, welche vor dem hohen Herzog
Zu beichten mir gewährt, also begann ich,
Sie lasse, was ich denke, recht mich sagen.
Dann fuhr ich fort: So wie es deines Bruders,
Der mit dir Rom auf rechte Wege führte,
Wahrhafter Griffel niederschrieb, o Vater,
Ist Glaube die Substanz gehoffter Dinge
Und der Beweisgrund für die unsichtbaren;
Hierin scheint mir sein Wesen zu bestehn. –
Darauf vernahm ich: Recht ist deine Meinung,
Wenn du verstehst, weswegen er Substanz,
Weshalb Beweisgrund er zu nennen ist. –
[382]
Und ich entgegnete: Die tiefen Dinge,
Die meinen Blicken hier zu schaun vergönnt ist. –
Sie sind dem Aug' auf Erden so verborgen,
Daß nur im Glauben dort ihr Wesen ist,
Auf welchen sich die hohe Hoffnung gründet;
Und drum ist als Substanz er zu bezeichnen.
Da uns nun, ohne weitres Anschaun Schlüsse
Aus diesem Glauben herzuleiten obliegt,
Ist er für uns zu gleicher Zeit Beweisgrund. –
Drauf hört' ich: »Wenn, was immer man durch Lehren
Dort unten lernt, so gut verstanden würde,
So fehlte Raum für der Sophisten Scharfsinn. –
So hauchte es aus dieser glüh'nden Liebe;«
Dann sprach es weiter: Wohl erprobt ist schon
Das Korn sowie das Schrot von dieser Münze.
Nun aber sprich: Hast du sie auch im Beutel? –
Und ich: Wohl hab' ich sie so blank und rund,
Daß ihr Gepräge keinem Zweifel Raum läßt. –
Darauf ertönte aus dem tiefen Lichte,
Das dort erglänzte: Jenes teure Kleinod,
Auf das gegründet ist jedwede Tugend,
Woher empfingst du es? – Und ich: Der Regen
Des heil'gen Geist's, der reichlich auf die alten
Und neuen Pergamen' ergossen ist,
Gewährt so bündige Schlußfolgrung mir,
Daß im Vergleich mit ihr mir jeder andre
Beweis nur lahm und unzutreffend scheint. –
Darauf vernahm ich: Warum aber hältst du
Den alten und den neuen Bund, aus denen
Du also folgerst, für die Rede Gottes? –
Und ich: Beweis, der mir die Wahrheit darlegt,
Sind all die Taten mir, wozu Natur
Nie Eisen glühte, nie den Ambos schlug. –
Wer aber bürgt dir, wurde mir zur Antwort,
Daß jene Taten wahr sind? Was beglaubigt
Erst werden soll, kein anderer, beschwört dir's. –
[383]
Wenn ohne Wunder sich zum Christentume
Die Welt bekehrt hat, sagt' ich, ist dies eine
So groß als hundertfach die andren alle.
Denn in den Kampfplatz trat'st du arm und fastend,
Die gute Pflanze auszusä'n, die Rebe
Einst war, und nun geworden ist zum Dorne. –
»Herr Gott dich loben wir«, klang aus den Sphären
Des heil'gen Hofs, sobald als ich geendet,
In einer Weise, die man dort nur singt.
Und jener Glaubensritter, der von Zweige
Zu Zweige also prüfend mich geleitet,
Daß nah wir schon den höchsten Blättern kamen,
Begann auf's neu': Die deinen Geist in Liebe
Umwirbt, die Gnad', hat deinen Mund bis hierher
So aufgetan, wie du ihn öffnen solltest;
So heiß' ich denn genehm, was ihm entströmte.
Nun aber sollst du sagen, was du glaubst,
Sowie woher dir solcher Glaube kam. –
O heil'ger Vater, Geist, der du jetzt schauest,
Was also du geglaubt hast, daß zum Grab' hin
Du obgesiegt hast über jüngre Füße,
Du willst (also begann ich), daß ich meines
Bereiten Glaubens Form hier offenbare,
Auch willst du dessen Ursach von mir hören.
Ich glaube, sagt' ich drauf, an einen Gott,
Einzig und ewig, der den ganzen Himmel,
Selbst unbewegt, bewegt durch Lieb' und Sehnsucht.
Beweise liefern mir für diesen Glauben
Nicht die Physik nur und Metaphysik,
Die Wahrheit auch, die von hier niederregnet
In Moses, den Propheten, wie den Psalmen,
Dem Evangelium, und in euch, die als
Der heil'ge Geist beseelt euch hatte, schriebet.
Dann glaub' ich an drei ewige Personen,
Die so in ihrem Wesen eins und drei sind,
Daß »sind« und »ist« zugleich von ihnen gilt.
[384]
Dies innre tief verborgne Wesen Gottes,
Von dem ich sprach, besiegelt meinem Geiste
Des Evangeliums Lehre mannigfach.
Dies ist der Anfang, dieses ist der Funke,
Der dann in mir lebend'ge Flamme anfacht,
So daß sie leuchtet gleich dem Stern am Himmel. –
Sowie, wenn er willkommne Botschaft hört,
Der Herr den Knecht, sobald er ausgesprochen,
Durch jene Nachricht hocherfreut, umarmt,
So kränzte dreimal mich, als ich geschwiegen,
Den Segen mit Gesange mir erteilend,
Das Apostol'sche Licht, das mir zu reden
Geheißen, so gefiel ihm meine Rede.
Fünfundzwanzigster Gesang
Geschäh' es je, daß das geweihte Lied,
An welches Hand gelegt so Erd als Himmel,
Und welches jahrelang mich hager machte,
Die Grausamkeit bezwänge, die mich ausschließt
Von jener schönen Hürde, drin als Lamm
Ich schlief, den Wölfen feind, die sie befehden,
Mit andrer Stimme und mit andrem Vließe
Kehrt' ich dann heim als Dichter, um die Krone
Zu nehmen an dem Born wo ich getauft ward.
Dort trat ich in den Glauben, der die Seelen
Gott kund macht, ein, und um des Glaubens willen
Umkreiste Petrus also mir die Stirne.
Dann naht' ein Licht uns aus demselben Kreise,
Aus dem der Erstling von den Stellvertretern,
Die Christus hinterließ, gekommen war,
Und voller Freudigkeit sprach meine Herrin:
Sieh hin, sieh hin, das ist der hohe Ritter,
Deswegen drunten man Galizien heimsucht. –
Wie wenn die Taube neben die Gefährtin
[385]
Sich setzt, und eines dann dem andren kreisend
Und durch Gemurmel seine Neigung kund tut,
Also empfangen sah den einen jener
Glorreichen großen Fürsten ich den andren,
Die Speise feiernd, die man dort genießt.
Dann stellte jeder, als das freud'ge Grüßen
Beendigt war, sich schweigend vor mich hin,
So flammend, daß das Aug' es nicht ertrug.
Drauf sagte unter Lächeln Beatrice:
Erlauchtes Leben, das die Freudigkeit
Geschildert, die in unsrer Kirche herrscht,
Ertönen laß die Hoffnung nun hier oben;
Du weißt ja, daß du sie so oft bedeutest,
Als Jesus sich den dreien mehr verklärte. –
Richt' auf das Haupt und fasse Zuversicht;
Denn reif erst muß an unsren Strahlen werden
Was von der Welt der Sterblichkeit hierher kommt. –
Vom zweiten Feuer kam mir dieser Zuspruch,
Weshalb das Aug' ich zu den Bergen hob,
Die durch zu große Last zuvor es beugten.
Weil denn aus Gnaden unser Kaiser will,
Daß vor dem Tod' in dem geheimsten Rate
Du seinen Grafen gegenüberstehest,
Damit in dir und andren du die Hoffnung,
Die drunten rechte Liebe weckt, bestärkest,
Nachdem du unsres Hofes Wahrheit sahst,
Sprich was sie ist (so fuhr das zweite Licht
Noch weiter fort), wie deine Seele sie
Mit Blüten schmückt, und wie sie dir zuteil ward. –
Da kam die Fromme, welche mir die Flügel
Geleitet hatte zu so hohem Fluge,
Der Antwort, die mir oblag, so zuvor:
An Hoffnung reicher ist kein Sohn der Kirche
Die streitet, und so steht es in der Sonne
Die diese ganze Schar bestrahlt, geschrieben.
Drum ward vor seines Kriegesdienstes Ende
[386]
Ihm, von Ägypten nach Jerusalem
Gewährt zu kommen, daß er es beschaue.
Die beiden andren Punkte, die gefragt sind,
Nicht um zu wissen, nein, daß er berichte
In welchem Maß dir diese Tugend lieb ist,
Die lass' ich ihm; nicht Schwierigkeit, noch Selbstlob
Enthalten sie für ihn. Antworte er denn,
Und dazu wolle Gott ihm Gnade geben. –
Sowie der Schüler, der bereit und willig
Dem Lehrer folgt in allem das ihm kund ist,
Um seine Tüchtigkeit zu zeigen, sagt' ich:
Die Hoffnung ist ein sicheres Erwarten
Zukünft'ger Herrlichkeit, durch Gottes Gnade
Bewirkt und durch vorgängiges Verdienst.
Von vielen Sternen kommt mir dieses Licht;
Der aber träufelt' es zuerst in's Herz mir,
Der höchster Sänger war des höchsten Lenkers.
»Die deinen Namen kennen«, sagt er, »hoffen
Auf dich o Herr«, in seinem Gottgesange;
Kennt aber der ihn nicht, der glaubt wie ich?
Und dann betau'test du mit seinem Taue
Im Briefe mich, so daß ich dessen voll bin.
Und andren euren Regen weiter regne. –
Es zuckt', indes ich sprach, in dieses Feuers
Lebend'gem Schoß' ein häufiges und rasches
Aufflammen, dem des Blitzes zu vergleichen.
Dann sprach's: Die Lieb' in der ich noch entbrenne
Für jene Tugend, die mir bis zur Palme
Und bis zum Ausgang aus dem Kampfplatz folgte,
Heißt mich noch weiter zu dir reden, der
Du ihrer dich erfreust, und so verlang' ich,
Daß, was die Hoffnung dir verheißt du sagest.
Und ich: Die alten und die neuen Schriften
Bezeichnen mir das Ziel. – Und er: So nenn' es. –
Es sagt Jesaias von den Seelen, welche
Sich Gott befreundet, daß in ihrem Lande
[387]
Zwiefältige Kleider jede haben soll,
Und dieses süße Leben ist ihr Land.
Und viel gereifter noch enthüllt dein Bruder,
Da wo der weißen Kleider er gedenket,
Uns das Verständnis dieser Offenbarung. –
Zuerst vernahm nach dieser Worte Schlusse
Ich über uns: Es hoffen auf dich Herr! –
Worauf die Reigen alle Antwort gaben.
Dann wuchs zu solcher Helle eins der Lichter,
Daß wenn der Krebs solch ein Juwel besäße,
Ein Wintermonat einen Tag nur hätte.
Und sowie freudig eine Jungfrau aufsteht,
Vorschreitet und zum Tanze antritt, nur
Der Braut zu Ehren, nicht um eigne Lust,
So sah ich jenen neu erhellten Glanz
Zu den zwei andren kommen, die im Kreise
Nach ihrer heißen Liebe Maß sich drehten.
Wie in ihr Lied, trat er in ihren Tanz,
Und meiner Herrin Auge hing an ihnen
Gleich einer Braut bewegungslos und schweigend.
Der hat an unsres Pelikanes Brust
Gelegen, und der ward herab vom Kreuze
Zum großen Pflichtberufe auserlesen. –
So meine Herrin; doch ihr Auge hing
Nachher nicht minder als zuvor an ihm,
Indessen sie auf seine Worte lauschte.
Wie dem, der hinblickt und zu sehn erwartet
Wie sich die Sonne anfängt zu verfinstern,
Vor lauter Sehn die Kraft zu sehn erlischt,
So ging es mir bei dieser letzten Flamme.
Da ward gesagt: Was blendest du dein Auge,
Bemüht, was hier nicht Statt hat, zu gewahren?
Mein Leib ist Erd' auf Erden; mit den andren
Bleibt er so lange dort, bis unsre Zahl
Dem ew'gen Ratschluß gleichgekommen ist.
Mit beiden Kleidern sind im sel'gen Kloster
[388]
Allein die beiden aufgefahrnen Lichter,
Und das sollst du berichten eurer Welt. –
Bei diesem Wort schloß das entflammte Kreisen
Und mit ihm auch das süße Tongemische,
Das durch dreifachen Hauch gebildet war;
So halten, um Gefahr zu meiden, oder
Anstrengung, Ruder, die das Wasser schlugen,
Auf einer Pfeife Tönen alle ein.
Ach aber wie entsetzt war meine Seele,
Als ich mich wandte, um nach Beatrice
Zu schaun, und, wenn auch in der Welt des Heiles
Und neben ihr, sie nicht zu sehn vermochte.
Sechsundzwanzigster Gesang
Noch zweifelt' ich ob der erloschnen Sehkraft;
Da ging ein Hauch von jener lichten Flamme,
Die sie geblendet, aus und hieß mich lauschen.
Er sagte: Bis in dir der Sinn des Auges
Erwacht ist, welchen du an mir verzehrtest,
Ziemt es, durch Reden ihm Ersatz zu bieten.
Beginne denn, und wohin deine Seele
Sich kehre, sprich; doch halte dich versichert,
Daß deine Sehkraft schläft, nicht aber tot ist,
Indem die Herrin, die durch diesen hehren
Bezirk dich führt, in ihrem Blick die Kraft hat,
Die in der Hand des Ananias lag. –
Und ich: Früh oder spät genesen mögen,
Wie's ihr gefällt, die Augen, welche Pforten
Der Glut gewesen, die mich stets entzündet.
Das Heil, das diesen Hof zufriedenstellt,
Ist jeder Schrift, die laut mir oder leise
Die Liebe zum Gesetz macht, A und O.
Dieselbe Stimme, welche mir die Furcht
Der plötzlichen Erblindung abgenommen,
[389]
Belud mich mit der Sorge weitren Redens.
Sie sagte: Wahrlich, ein noch eng'res Sieb
Bedarf's zu deiner Klärung; sagen sollst du,
Wer auf dies Ziel gerichtet deinen Bogen. –
Und ich: Durch Gründe der Philosophie
Und manches Zeugnis, das von hier herabstieg,
Hat solche Liebe sich mir eingeprägt.
Das Gut, sobald es nur als Gut erkannt wird,
Entzündet Liebe, und zwar um so größre,
Je mehr von Güte es in sich begreift.
Deshalb muß zu dem Wesen, das an Güte
So reich ist, daß von seinem Strahl ein Licht nur,
Was Gutes außer ihm sich findet, ist,
Die Seele jedes, der die Wahrheit einsieht
Auf der mein Schluß beruht, in größrer Liebe
Als zu jedwedem andren sich bewegen.
Und meinen Geist versichert dieser Wahrheit
Der mir die erste Liebe schildert, welche
Die ewig dauernden Substanzen fühlen.
Gleichfalls versichert mich der Mund der Wahrheit
Die, von sich selber redend, sagt zu Mose:
Ich will dir alle meine Güter zeigen.
Auch du versicherst mich's in deiner hohen
Verkünd'gung Anfang, die vor allen andren,
Dort unten eu'r Geheimnis offenbart. –
Und ich vernahm: Nach menschlicher Erkenntnis
Und nach dem Wort der Schrift, das jener beistimmt,
Gehört die höchste deiner Lieben Gott;
Doch sage ferner, ob noch andre Fäden
Dich zu ihm ziehn, so daß, mit wie viel Zähnen
Dich diese Liebe beiße, du verkündest. –
Verborgen war mir nicht die heil'ge Absicht
Des Adlers Christi, und gar wohl erkannt' ich,
Wohin er leiten wollte mein Bekenntnis.
Darum begann ich wieder: All' die Bisse,
Durch die das Herz zu Gott gewendet wird,
[390]
Sie haben mitgewirkt zu meiner Liebe.
Das Sein der Welt, sowie mein eignes Dasein,
Der Tod, den er erlitt, damit ich lebe,
Und das, was jeder Gläub'ge mit mir hofft.
Sie haben mich, vereint mit jener sichren
Erkenntnis, aus dem Meere der verkehrten
Gerettet an der rechten Liebe Ufer.
Die Blätter, die des ew'gen Gärtners Garten
Belauben, lieb' ich alle in dem Maße,
In dem sie Heil von ihm empfangen haben. –
Sobald ich schwieg, ertönte durch den Himmel
Ein wundersüßes Lied, und meine Herrin
Rief mit den andren: Heilig, heilig, heilig!
Und wie bei grellem Licht der Schlaf entweicht,
Weil, wie der Glanz in's Auge tief und tiefer
Eindringt, zurück der Sehkraft Geister eilen
Und den Erwachten, dessen neues Wachsein
Bewußtlos ist, bis ihm die Urteilskraft
Zu Hilfe kommt, zurückschreckt was er sieht,
Also vertrieb Beatrix jede Trübung
Von meinen Augen durch den Strahl der ihren,
Die tausend Meilen weit und weiter glänzten.
Nun sah ich besser als zuvor ich sah,
Und schleunig frug nach einem vierten Licht ich,
Das ich bei uns gewahrte, voll Erstaunens.
In jenem Lichtglanz, sagte meine Herrin,
Beschaut die erste Seele, die die Urkraft
Jemals geschaffen, liebend ihren Schöpfer. –
Wie, wenn der Wind vorüberzieht, der Baum
Den Wipfel neigt, und dann durch eigne Spannkraft,
Die ihn nach oben treibt, empor sich richtet,
So tat ich staunend während ihrer Worte;
Dann aber gab mir neue Zuversicht
Der Wunsch zu reden, welcher mich entflammte,
Und ich begann: O Apfel, der allein du
Schon reif geschaffen bist, uralter Vater,
[391]
Dem jede Gattin Tochter ist und Schnur,
So ehrfurchtsvoll ich kann beschwör' ich dich
Zu mir zu reden. Mein Verlangen siehst du,
Doch sag' ich's nicht, auf daß ich bald dich höre. –
Wenn sich ein Tier bewegt, das überdeckt ist,
Erkennt durch die entsprechende Bewegung
Der Hülle oft man was das Tier begehrt.
Nicht anders ließ der Erstling aller Seelen
Durch seine Flammenhüll' hindurch mich sehn,
Wie gern bereit er sei, mir zu genügen.
Dann haucht' er: Dante, ob mir gleich dein Wunsch
Nicht ausgesprochen ist, kenn' ich ihn besser
Als du kennst was am besten dir bekannt ist;
Denn ich erblick' ihn im wahrhaften Spiegel,
Der alle Dinge macht nach seinem Bilde,
Indes kein Ding zu seinem Bild ihn macht.
Vernehmen willst du, vor wie langer Zeit
Mich Gott gesetzt hat in den hohen Garten
Wo diese dich gereift zur hohen Stiege.
Sodann, wie lang' er meinen Blick erfreute,
Was wahrer Grund des großen Zornes war,
Und welche Sprach' ich bildete und brauchte.
Nun denn, mein Sohn, daß ich vom Baum gekostet,
War nicht an sich der Grund so schweren Bannes;
Allein der Schranke Überschreitung war es.
Viertausend und dreihundert zweimal kreiste
Die Sonne, während ich, wo deine Herrin
Virgil berief, nach diesem Chor mich sehnte.
Und während ich auf Erden weilte, sah ich
Zu allen Lichtern ihrer Bahn die Sonne
Neunhundertdreißig Male wiederkehren.
Die Sprache, die ich redete, war eh' noch
Zum Werke, das sich nie vollenden ließ,
Sich Nimrod's Völker wandten, ganz erloschen;
Denn kein vernünftiges Erzeugnis war
Von ew'ger Dauer je, weil das Gefallen
[392]
Der Menschen wechselt mit dem Drehn des Himmels.
Natur gebeut dem Menschen, daß er rede;
Ob aber diese oder jene Sprache,
Das überläßt sie euch und eurer Willkür.
Eh' ich zur Angst der Hölle niederstieg,
Ward L das höchste Gut genannt auf Erden,
Von dem die Freude kommt, die mich umgürtet.
Dann heiß es El, und solcher Wechsel ziemt sich;
Denn gleich dem Laub' am Zweige ist der Brauch
Der Menschen, dieser geht, ein andrer kommt.
Den Berg, der aus der Flut am höchsten ragt,
Bewohnt' ich, reinen und gefallnen Lebens,
Vom Morgen bis zur Stunde, die der sechsten
Nach dem Quadrantentausch der Sonne folgt. –
Siebenundzwanzigster Gesang
Dem Vater, wie dem Sohn' und heil'gen Geiste,
Begann das ganze Paradies, sei Ehre! –
So daß der heiße Sang mich gar berauschte,
Was ich gewahrte däuchte mir ein Lächeln
Des ganzen Weltalls, so daß das Entzücken
Zugleich durch Ohr und Augen in mich eindrang.
O Freud', o Wonn' in Worten nicht zu schildern,
Der Liebe und des Friedens lautres Leben,
O sichrer Reichtum, frei von weitrem Wunsche!
Vor meinen Augen standen die vier Fackeln
In lichtem Brand, und die zuerst gekommen
Begann noch heller als zuvor zu leuchten.
So war sie anzuschaun wie Jupiter,
Wenn Vögel wären er sowohl als Mars,
Und das Gefieder wechselweis sie tauschten.
Es hatte, die Beruf und Folge dort
[393]
Bestimmt, die Vorsehung, dem sel'gen Chore
Stillschweigen auferlegt nach jeder Seite,
Als ich vernahm: Wenn ich mich so verfärbe,
Soll dich's nicht wundern; alle diese wirst du
Verfärben sich bei meiner Rede sehn.
Der auf der Erde meinen Stuhl sich anmaßt,
Den Stuhl, den Stuhl, der in dem Angesichte
Des Sohnes Gottes jetzt erledigt ist,
Verwandelt hat er zu des Blut's und Stankes
Kloake meinen Kirchhof, drob der Arge
Der von hier niederstürzte, drunten froh ist. –
Da sah den ganzen Himmel in der Farb' ich,
Mit der die Sonne, gegenüberstehend,
Die Wolken früh und Abends malt, erglühend.
Und wie ein sittig Mädchen, das auch ferner
Sich rein fühlt, dennoch ob des fremden Fehltritts
Betreten wird, wenn sie ihn nur mit anhört,
So wechselte das Aussehn Beatrice,
Und solche Finsternis ward wohl im Himmel
Als an dem Kreuz die höchste Macht gelitten.
Dann fuhr in seiner Red' er weiter fort,
Doch so verändert klang dabei die Stimme,
Daß größer nicht des Aussehns Wandlung war:
Es ward mit meinem Blut und dem des Linus
Und Cletus Christi Braut nicht aufgezogen,
Daß sie gebraucht zum Gelderwerbe werde.
Nein, zum Erwerbe dieses sel'gen Lebens
Vergossen Sixtus, Pius und Calixt
Ihr Blut gleich Urban unter manchen Tränen.
Wir wollten nicht, daß von dem Christenvolke
Ein Teil zur Rechten und ein Teil zur Linken
Von denen säße, die im Amt uns folgten,
Und nicht, daß die mir anvertrauten Schlüssel
Zum Wappenschild für eine Fahne würden,
Die zu dem Kampfe mit Getauften führte.
Auch nicht, daß ich das Siegelbild erkaufter
[394]
Und lügenhafter Privilegien werde,
Darob ich oft erröt' und Funken sprühe.
Im Kleid des Hirten sieht man von hier oben
Auf jeder Weide gier'ge Wölfe gehn;
O Schutz des Herrn, was zögerst du so lange!
Gascogner rüsten sich und Cahorsiner
Von unserem Blut zu trinken. Hoher Anfang,
Zu was für schnödem Ende mußt du sinken!
Doch die mit Scipio Rom den Ruhm der Welt
Erhielt, die hohe Vorsehung, zur Hilfe
Wird bald Sie, wie ich schon erkenne, eilen.
Und du, o Sohn, der ob der Erdenschwere
Noch dorthin wiederkehrst, tu' auf den Mund
Und birg den andren nicht was ich nicht berge. – o
Wie von gefrornen Dünsten unsre Luft,
Wenn mit der Himmelsziege Horn die Sonne
Zusammenstößt, nach unten Flocken sendet,
So sah ich aufwärts sich den Äther schmücken
Und jene siegesfrohen Flammen schnein,
Die dort bisher mit uns geweilet hatten.
Es hing mein Aug' an ihrer Lichterscheinung
Und folgte bis des Zwischenraumes Größe
Nicht mehr gestattete hindurchzudringen.
Worauf die Herrin, die vom Aufwärtsschauen
Befreit mich sah, mir sagte: Senke nun
Den Blick und sieh, wie weit du dich gewendet. –
Seit meinem ersten Niederblick durchmessen
Hatt' ich den Bogen, den die erste Zone
Von ihrer Mitte macht bis an ihr Ende,
So daß ich Gades jenseits von Ulysses'
Tollkühnem Paß erblickte, diesseits aber
Den Strand, wo süße Last Europa ward.
Und weiter wäre dieses Balls Gestaltung
Mir noch entdeckt; indes, ein Zeichen vor mir
Und mehr, schritt unter mir die Sonne vorwärts.
Mein liebentbrannter Geist, der immerdar
[395]
Um meine Herrin wirbt, begehrte heißer
Als je, den Blick auf sie zurückzuwenden.
Bot Lockungen Natur, bot jemals Kunst sie
Im Fleisch des Menschen, oder dessen Bilde
Den Augen, um durch sie den Geist zu fangen,
Sie würden insgesamt gleich nichts erscheinen
Der Himmelslust verglichen, die mir strahlte,
Als in ihr lächelnd Angesicht ich schaute.
Die Kraft, die solcher Anblick mir gewährte,
Entriß dem schönen Neste Leda's mich,
Und trieb hinan mich zu dem schnellsten Himmel.
So gleich in sich sind seine lebensvollen,
Erhabnen Teile, daß den von Beatrix
Erkornen Ort ich nicht bezeichnen kann.
Sie aber, die erkannte was ich wünschte,
Begann, und lächelte dabei so selig,
Daß Gottes Freud' aus ihrem Antlitz strahlte:
Der Welt Beschaffenheit, die nur der Mitte
Zu ruhn, sonst allem sich zu drehn gebeut,
Beginnt von hier aus ihrem Ausgangspunkte.
Es gibt kein andres wo in diesem Himmel
Als Gottes Geist, an dem die Lieb' entbrennt,
Die ihn bewegt, dem seine Kraft entstammt.
Wie alle andren er, also umgibt ihn
Ein Kreis von Licht und Lieb', und diesen Kreis
Erkennet der allein der ihn gewölbt hat.
Nicht andres dient zum Maß für dieses Himmels
Bewegung, sondern sie mißt alle andren,
Wie Hälft' und Fünftel Maß sind für die Zehn.
Nun kann dir offenbar geworden sein,
Daß dies der Boden ist, in dem die Zeit
Die Wurzeln hat, und anderwärts die Blätter.
O Habsucht, die du unter dich die Menschen
So tief hinabdrückst, daß aus deinen Fluten
Die Augen zu erheben keiner Kraft hat!
Es blüht der Wille wohl im Menschenherzen;
[396]
Jedoch der stete Regenguß verwandelt
Was edle Pflaume war in schlechte Huzel.
Unschuld und Treu und Glauben findet man
Nur noch bei Kindern; doch bevor die Wange
Behaart ist, flieht die eine wie die andre.
Gar mancher fastet noch solang' er stammelt;
Doch mit gelöster Zunge schlingt in jedem
Kalendermonat jede Speis' er nieder.
Auf seine Mutter hört in Liebe mancher
Solang' er stammelt; doch ist seine Rede
Entwickelt, möcht' er sie begraben sehn.
So schwärzt sich, die beim ersten Anblick weiß
Erschien, die Haut der schönen Tochter dessen,
Der, Morgen bringend, hinter sich die Nacht läßt.
Damit du aber dich nicht wunderst, denke,
Daß jetzt auf Erden keiner ist, der herrsche;
Drum irrt soweit ab das Geschlecht der Menschen.
Doch eh' noch (weil das Hundertsteil ihr drunten
Nicht rechnet) Jänner aus dem Winter austritt,
Wird solch ein Tönen dieser Himmelskreise
Bewegung wecken, daß die allersehnte
Fortuna, wo das Steuer ist, den Schnabel
Hinwenden wird, so daß die Flotte recht läuft
Und nach der Blüte wahre Frucht man erntet. –
Achtundzwanzigster Gesang
Der jammervollen Menschheit jetz'ges Leben
So richtend, hatte, die zum Paradiese
Den Geist erhebt, mir Wahrheit offenbart.
Und wie, wer einer Fackel Licht, das ihm
Im Rücken strahlt, und das zuvor er weder
Gesehn, noch sich gedacht, im Spiegel wahrnimmt,
Sich umkehrt, zu erkennen ob das Glas
Die Wahrheit spricht, und dann es so entsprechend
[397]
Ihr findet, wie das Lied und seine Weise,
So sagt mir mein Gedächtnis, daß ich tat,
Als ich geblickt in jene schönen Augen,
In deren Schlinge Amor mich gefangen.
Als ich mich umgewandt, fühlt' ich die meinen
Vom dem getroffen, was aus jener Wölbung
Stets leuchtet, sieht man recht in ihren Kreis.
Ein Pünktlein sah ich, das so helles Licht
Ausstrahlte, daß die Augen, die's entflammet
Sich schließen müssen ob der großen Schärfe:
Mit ihm verglichen, wie man Stern bei Sterne
Am Himmel sieht, erschien' in Mondesgröße
Sogar der Stern, der uns der kleinste dünket.
Vielleicht so nahe, als ein Hof das Licht
Das in die Luft ihn zeichnet, dann umgürtet,
Wenn dicht die Dünste, die ihn tragen, sind,
Bewegte sich um jenen lichten Punkt
Ein Feuerkreis so eilig, daß die Drehung
Des höchsten Himmels diese nicht erreichte.
Umgeben war er rings von einem andren,
Vom dritten der, vom vierten wieder dieser,
Der vierte dann vom fünften, der vom sechsten.
Dann folgt' ein siebenter von solcher Weite,
Daß Juno's Botin in der vollen Rundung
Nicht weit genug, ihn zu umspannen wäre.
So auch der acht' und neunt, und es bewegte
Langsamer jeder sich, im Maße wie er,
Der Zahl nach sich, vom ersten mehr entfernte.
An Lauterkeit des Lichtes überwog
Der minder abstand von dem reinen Funken;
Wohl weil ihn dessen Wahrheit mehr durchdringt.
Und meine Herrin, die mich schwer befangen
In Zweifel sah, begann: Es hängt der Himmel
Sowie das Weltall ab von diesem Punkte.
Sieh auf den Kreis nun, welcher ihm am nächsten
Verbunden ist, und wisse, er bewegt sich
[398]
So schnell ob seiner heißen Liebe Glut. –
Und ich zu ihr: Wär' in der gleichen Ordnung
Wie diese Räder sind die Welt gegliedert,
So würde was du sagest mich befried'gen.
Doch sieht man in der Welt, die unsre Sinne
Erkennen, um so göttlicher die Kreise,
Je weiter sie vom Mittelpunkte abstehn.
Drum, wenn mein Wunsch gelangen soll zum Ziele
In diesem wunderbaren Engelstempel,
Der Lieb' und Licht allein zu Schranken hat,
So muß Belehrung mir, warum das Abbild
Vom Vorbild so verschieden ist, noch werden,
Da ich allein vergebens drüber sinne. –
Nicht zu verwundern ist's, wenn deine Finger
Für diesen Knoten ungenügend sind;
Weil niemand sich dran wagte, ward er fest. –
So meine Herrin, und dann fuhr sie fort:
Willst du dich sättigen, so nimm zunächst
Was ich dir sagen werd' und denk ihm nach.
Weit sind die körperlichen Kreis' und enger
Je nach der größren oder mindren Kraft,
Die sich erstreckt durch alle ihre Teile.
Die größre Güte wirket größres Heil,
Und sind die Teile beider gleich vollkommen,
So fasset größres Heil der größre Körper;
Deshalb entspricht denn dieser Himmel, welcher
Das ganze Weltall mit sich reißt, dem Kreise
In dem am meisten Liebe ist und Wissen.
Legst also an die Kraft dein Maß du an,
Und nicht an die Erscheinung der Substanzen,
Die sich in sphärischer Gestalt dir zeigen,
So siehst in Himmeln und Intelligenzen
Das Mehr dem Größer, wie das Weniger
Dem Kleiner du gar wunderbar entsprechen. –
Sowie, wenn aus der Wange Boreas,
Auf der am sanftesten er atmet, bläst,
[399]
Der Dunstkreis glänzend wird und wolkenfrei,
Weil sich der Nebel, der zuvor ihn trübte,
Auflöst und reinigt, und deshalb der Himmel
Mit jeder Schönheit seiner Scharen lacht,
So tat auch ich, seit ihre klare Antwort
Die Herrin mir gewährte, und die Wahrheit
Ich leuchten sah, gleich einem Stern am Himmel.
Und als dann inne hielten ihre Worte,
Da glich das Funkensprühen jener Kreise
Geschmolznen Eisens blendendem Gefunkel.
Und wie der ganze Brand, tat jeder Funke,
Und deren Zahl vertausendfachte sich
Mehr als die Doppelung der Schachbrettfelder.
Lobsingen hört' ich sie von Chor zu Chore
Dem festen Punkte, der an seinem Platze
Jedweden hält und hielt und halten wird.
Sie aber, die im Geist mir las den Zweifel,
Begann: Es haben dir die ersten Kreise
Die Seraphim und Cherubim gezeigt.
Den Liebesbanden folgen sie so willig
Um, soviel möglich, gleich dem Punkt zu werden;
Und möglich ist's je nach des Schauens Maße.
Des Angesicht des Herren Throne nennt man
Die Liebesgluten die um diese kreisen,
Und sie beendigen die erste Dreizahl.
Und wisse, daß der Wonne sie soviel
Genießen, als ihr Blick sich in die Wahrheit
Vertieft, die jedem Geiste Ruhe bietet.
Drum kann man sehn, daß auf den Akt des Schauens
Die Seligkeit sich gründet, nicht auf den
Der Liebe, welche jenen nur begleitet.
Wie tief das Schauen sei, hängt vom Verdienst ab,
Und das beruht auf Gnad' und gutem Willen,
Und so von einer Stufe fort zur andren.
Die andre Dreizahl, die hier also sprießt
Im ew'gen Lenze, den vom nächt'gen Himmel
[400]
Kein Widder seines Blätterschmucks beraubt,
Singt Hosianna stets als Frühlingslied,
Das aus drei Freudenchören, die sie bilden
In dreigestalter Melodie ertönt.
In dieser Hierarchie sind die drei Scharen,
Die weiblich man benennet: Herrschaften, Kräfte
Und, als die dritte Ordnung, die Gewalten.
Dann kreisen in den Reigen nächst dem letzten
Erst Fürstentümer und sodann Erzengel;
Dem Spiel der Engel nur gehört der letzte.
All diese Himmelschöre schau'n nach oben
Und wirken siegend niederwärts; zu Gott hin
Gezogen sind sie all', und alle ziehn sie.
Mit solcher Sehnsucht wandte Dionys
Sich dieser Ordnungen Betrachtung zu,
Daß er, wie ich, sie unterschied und nannte.
Zwar ist Gregor dann von ihm abgewichen;
Doch hatt' er kaum das Aug' in diesem Himmel
Geöffnet, als er selber sich verlachte.
Erschloß ein Sterblicher solch ein Geheimnis
Der Erdenwelt, so soll dich das nicht wundern;
Denn dies und andre Wahrheit dieser Kreise
Entdeckte ihm wer sie gesehn hier oben. –
Neunundzwanzigster Gesang
Wie wenn sich beide Kinder der Latona,
Von Widder und von Wage überdeckt,
Zugleich umgürten mit dem Horizonte,
Wie lange dann, von wo im Gleichgewicht
Zenith sie hält, es währt, bis jenen Gürtel,
Die Hemisphäre wechselnd, beide lassen,
So lange schwieg, in ihrem Antlitz Lächeln,
Beatrix, nach dem Punkte unverwandt
Hinschauend, der mein Auge überwunden.
[401]
Dann hub sie an: Auch ohne dich zu fragen,
Was du begehrest, red' ich; denn ich sah es
Dort, wo das Ziel von jedem wo und wann ist.
Nicht um vermehrtes Gut sich zu erwerben
(Das wär' unmöglich), nur daß ausgestrahlt
Sein Glanz imstande sei, »ich bin« zu sagen,
Entfaltet' er in seiner Ewigkeit
Nach eigner Wahl und außer Zeit und Schranken
In neuen Lieben seine ew'ge Liebe.
Auch ruhte bis dahin er nicht wie müßig;
Denn Gottes Geist ging, über den Gewässern
Zu schweben, weder vorher aus, noch nachher.
Rein und verbunden traten Form und Stoff
Ins makellose Dasein, wie drei Pfeile
Ein Bogen, der drei Sehnen hat, entsendet.
Und wie in Glas, in Bernstein und Kristalle
Also ein Strahl glänzt, daß von seinem Kommen
Bis zum Durchleuchten keine Zeit vergeht,
So strahlte jene dreigestalte Wirkung
Von ihrem Herrn ununterscheidbar aus,
So daß kein Anfang sich erkennen ließ.
Den Wesen eingeprägt bei der Erschaffung
Ward ihre Ordnung, und die erste Stelle
Erhielten die der reinen Tätigkeit.
Zu unterst kam der bloße Stoff zu stehn;
Inmitten einet Stoff und Tätigkeit
Ein solches Band, daß nie sich's wieder löset.
Wohl schrieb Hieronymus euch von den Engeln,
Daß sie geschaffen sei'n so manch Jahrhundert
Eh' noch die andre Welt in's Dasein trat;
Allein die Wahrheit ward auf manchen Seiten
Geschrieben von des heil'gen Geistes Schreibern,
Und merkst du wohl auf, wirst du's selbst erkennen.
Auch kann es die Vernunft zum Teil begreifen;
Denn, daß solang unwirksam die Beweger
Gewesen seien, kann sie nicht gestatten.
[402] Wo diese Lieben, wann und wie erkoren
Sie wurden, weißt du nun, so daß drei Flammen
Von deinem Wunsche ihre Löschung fanden.
Nicht könnte zählend man so schnell bis zwanzig
Gelangen, als ein Teil von diesen Engeln
Aufwühlte eurer Elemente Grund.
Die andren blieben, und mit solcher Lust
Begannen sie die Kunst, die du hier wahrnimmst,
Daß nimmer sie von ihrem Kreisen lassen.
Es war die maledeite Hoffahrt dessen,
Den du bedrückt gesehn von allen Lasten
Der ganzen Welt, der Anfang dieses Falles.
Die hier du siehst beschieden sich in Demut,
Daß, was sie sei'n nur von der Güte stamme,
Die zum Erkennen also sie befähigt.
Drum wurde durch die Gnade, die erleuchtet,
Und ihr Verdienst gesteigert ihre Einsicht,
So daß ihr Wille völlig nun und fest ist.
Nicht zweifeln sollst du, sondern sicher glauben,
Daß, jenachdem der Wille sich ihr öffnet,
Verdienstlich ist, die Gnade anzunehmen.
Hast du nun meine Worte wohl erwogen,
So kannst du über diese Ratsgemeinde
Auch ohne Hilfe reichlich weiter denken.
Doch weil auf Erden man in euren Schulen
Von der Natur der Engel lehrt, sie eigne
Sich zum Verstehn, zum Wollen und Erinnern,
So will ich weiterreden, daß du rein
Die Wahrheit siehst, die man durch Mißverständnis
Dort unten arg verwirrt in dieser Lehre.
Es wandten diese Wesen, seit begnadigt
Sie durch das Antlitz Gottes wurden, nimmer
Von ihm, dem nichts verborgen bleibt, den Blick.
Drum wird ihr Sehn durch neue Gegenstände
Nie abgelenkt, und weil sie nichts zerstreuet,
Bedürfen sie auch nicht erst des Erinnerns.
[403]
Drum träumen drunten wachend, die für richtig
Die Lehre halten, und die sie bestreiten,
Doch liegt im letzten größre Schuld und Schande.
Ihr geht nicht eines Weg's, wenn ihr auf Erden
Philosophiert, so sehr verlockt die Liebe
Zum Scheine, und der Wunsch zu scheinen euch.
Und dennoch wird das hier mit mindrem Zorne
Geduldet, als wenn ihr die Gottesschrift
Hintansetzt, oder ihren Sinn verdreht.
Man glaubt bei euch nicht, wie viel Blut es kostet
Sie zu verbreiten, und wie wohlgefällig
Ist, wer in Demut ihrem Wort sich fügt.
Hervortun will sich jeder, drum ersinnt er
Erfindungen, die dann er in der Predigt
Erörtert, doch vom Evangelium schweigt.
Der eine sagt, daß sich beim Leiden Christi
Der Mond zurückgewandt und vor die Sonne
Gestellt, so daß der Erd' ihr Licht er barg.
Ein andrer, daß ihr Licht von selbst erlosch,
Weshalb die Finsternis, sowie den Juden,
Sich auch den Spaniern und den Indern zeigte.
Nicht soviel Lapi's trifft man, soviel Bindi's
In Florenz, als im Jahr dergleichen Fabeln
Von Kanzeln da und dort verkündet werden.
Die unerfahrnen Schäflein aber kehren
Mit Wind gefuttert von der Weid', und wenig
Hilft ihnen, daß sie nicht gesehn den Schaden.
Nicht sagte Christus zu den ersten Jüngern:
Geht hin und predigt Narretei der Welt;
Den rechten Grundbau gab er ihrer Predigt.
Und diese tönte so aus ihren Wangen,
Daß in dem Kampf, den Glauben zu entzünden,
Ihr Schild und Speer das Evangelium war.
Jetzt predigt man mit Späßen und Geschichtchen,
Und, wird nur gut gelacht, schwillt die Kapuze
Dem Pfaffen, und nichts weiteres begehrt man.
[404]
Doch nistet in dem Kragen solch ein Vogel,
Daß, wenn's die Leute sähen, so erkennten
Sie, was der Ablaß wert sei, dem sie trauen.
Es wuchs auf Erden also diese Torheit,
Daß, ohne eines Zeugnisses Beweis,
Das Volk zu jeglicher Verheißung liefe.
Mit derlei mästet Sankt Anton das Schwein
Und andre, die noch schlimmre Schweine sind,
Indem mit ungeprägtem Geld sie zahlen.
Doch weil wir um nicht wenig abgeschweift sind,
So richte auf den graden Weg die Augen,
Damit die Straße mit der Zeit sich kürze.
So hoch läuft in die Zahlen die Natur
Der Engel, daß kein sterblicher Gedanke,
Noch Menschensprache sich soweit verstiege.
Erwägst du recht was Daniel uns verkündet,
So siehst du wohl, daß die bestimmte Zahl
Sich hinter seinen Tausenden verbirgt.
Das erste Licht, das alle ausstrahlt, nehmen
Sie in so mannigfacher Weise auf,
Als Lichter sind, mit denen es sich einet.
Weil das Ergriffensein nun dem Erkennen
Entspricht, so fühlen sie der Liebe Süße
Verschiedenartig, heißer oder lauer.
Sieh denn die Höhe, die Freigebigkeit
Der ew'gen Kraft, die, ob so viele Spiegel
Sie sich erschuf, darin sie sich verteilet,
Doch in sich selber eins bleibt, wie zuvor. –
Dreißigster Gesang
Es glüht vielleicht Sechstausend Meilen weit
Von uns die Mittagsstund', und diese Welt
Senkt ihren Schatten fast zum ebnen Bette,
Wenn von des Himmels Mitte, der für uns
[405]
Der tiefe ist, schon manches Sternes Schimmer
Nicht mehr herabreicht bis auf unsren Grund.
Und wenn der Sonne lichte Dienerin
Dann weiterschreitet, schließen sich die Augen
Des Himmels nacheinander bis zum hellsten.
In solcher Weis' erlosch vor meinen Blicken
Allmählich der Triumph, der immerdar
Den Punkt umspielt, der mich bewältigte,
Scheinbar von dem umschlossen, was er einschließt;
Drum hießen Lieb' und jenes Anblick's Ende,
Den Blick auf's neu, mich auf Beatrix richten.
Wenn alles was bisher von ihr gesagt ward
Zu einem einz'gen Lob verbunden wäre,
So wär' es diesmal dennoch zu gering.
Es übersteigt die Schönheit, die ich sah,
Nicht unser Maß nur; nein, ich glaube sicher,
Daß nur ihr Schöpfer ganz sich ihrer freut.
Besiegt erkenn' ich mich an dieser Stelle,
Wie so weit über ihre Kraft noch nimmer
Den Stoff Tragöd' und Komiker gefunden.
Denn, wie dem schwächsten Aug' im Strahl der Sonne,
So schwindet dem Gedächtnis seine Kraft,
Erinnert es sich an dies süße Lächeln.
Vom ersten Tag, wo ich im Erdenleben
Ihr Antlitz sah, bis hin zu diesem Anblick
War meinem Lied das Folgen nicht benommen;
Hier aber muß ich davon, ihrer Schönheit
Noch weiter dichtend nachzufolgen, abstehn,
Wie jeder Künstler von dem letzten Ziele.
Schön, wie zu schildern ich sie höhrer Stimme,
Als meiner Tuba zusteht, überlasse,
Indes ihr schweres Werk nun diese endet,
Begann mit eines sichren Führers Miene
Und Ton sie: Aus dem größten Körper sind wir
Zum Himmel nun gelangt, der reines Licht ist,
Licht der Erkenntnis, ganz erfüllt von Liebe,
[406]
Von Liebe wahren Heiles voller Wonne,
Der Wonne, welcher keine Süße gleichkommt.
Des Paradieses ein' und andre Heerschar
Wirst du hier sehn: in der Gestalt die eine,
In der sie beim Gericht sich zeigen wird. –
Wie, unvorhergesehn, ein Blitz die Geister
Der Sehkraft so zerstreut, daß unempfänglich
Das Aug' er macht, selbst für den stärksten Eindruck,
So glänzte um mich her lebend'ges Licht,
Mit einem Schleier solcher Helligkeit
Mich rings umgebend, daß ich sonst nichts sah:
Die Liebe, die dem Himmel Frieden gibt,
Nimmt immer in sich auf mit solchem Gruße,
Daß reif der Leuchter sei für seine Flamme. –
Als diese kurzen Worte kaum zu mir
Gelangt, ward ich gewahr, daß nun erhoben
Ich über meine eignen Kräfte sei.
Und so entbrannte ich in neuer Sehkraft,
Daß meine Augen standgehalten hätten
Jedwedem Lichte, auch dem allerhellsten.
Lichtfülle sah ich, glänzend wie von Blitzen,
Gestaltet wie ein Fluß, des beide Ufer
Die wunderbarste Pracht des Frühlings malte.
Es sprühten aus dem Fluß lebend'ge Funken,
Die in die Blumen rings sich niederließen,
Rubinen gleich, gefaßt in goldne Reifen.
Dann tauchten sie, wie von den Düften trunken
Sich wieder unter in den Wunderstrom,
Indessen andre sich aus ihm erhoben.
Der hohe Wunsch, der dich entflammt und dränget,
Kenntnis von dem, was du erblickst, zu haben,
Erfreut mich um so mehr, je mehr er anwächst.
Doch mußt du erst von diesem Wasser trinken,
Bevor so hoher Durst in dir gestillt wird. –
So sprach zu mir die Sonne meiner Augen.
Noch sagte sie: Der Fluß und die Topase,
[407]
Die aus- und eingehn, und der Blumen Lächeln
Sind ihrer Wahrheit schattengleiches Vorspiel.
Auch sind an sich nicht schwierig diese Dinge;
Der Mangel liegt allein auf deiner Seite,
Weil noch dein Auge nicht soweit hinaufreicht. –
So eilte nie ein Kind, der Muttermilch
Das Antlitz zugewandt, wenn es, verspätet
Weit über die gewohnte Zeit, erwachte,
Als ich, um meiner Augen Spiegelkraft
Noch zu vermehren, mich zur Welle neigte,
Die, um vollkommener zu machen, fließt.
Kaum, daß die Ränder meiner Augenlider
Davon getrunken, so erschien zur Rundung
Der Fluß, der lang sich streckte, mir gewandelt.
Und wie ein Mensch, der hinter einer Larve
Sich barg, ein anderer geworden scheint,
Wirft er das Scheinbild ab, das ihn verhüllte;
So wandelten die Blüten und die Funken
Sich mir zu höhrem Freudenfest, so daß ich
Die beiden Himmelshöfe nun gewahrte.
O Lichtglanz Gottes, der mir den erhabnen
Triumph des wahren Reichs zu sehn gewährt,
Gib du mir Kraft, wie ich ihn sah, zu schildern!
Licht ist dort oben, welches dem Geschöpfe
Gott sichtbar werden läßt, das seinen Frieden
Nur in dem Anschaun seines Schöpfers findet.
Und es erstreckt in Kreisesform so weit sich,
Daß seines Umfangs Maß, selbst für die Sonne
Ein Gürtel wäre von zu großer Weite.
Das Auge sieht von ihm nichts als nur Strahlen,
Die, auf des erstbewegten Himmels Umkreis
Zurückgestrahlt, ihm Kraft verleihn und Leben.
Und wie ein Hügel sich im Wasser spiegelt,
Als wollt' er sehn, wie reich geschmückt an Kräutern
Und Blüten er vom Fuß zum Gipfel ist,
So sah ich was von uns zu jener Höhe
[408]
Heimkehrte, sich auf mehr als tausend Stufen
Im Lichte, das sie rings umragten, spiegeln.
Umfaßt die niedrigste von diesen Schwellen
So großes Licht, wie mächtig muß der Umfang
Der äußren Blätter dieser Rose sein!
Und doch verlor in solcher Weit' und Höhe
Mein Blick sich nicht; nein er erfaßte völlig
Das Wie und das Wiegroß von dieser Wonne.
Dort gibt und raubt nicht Nähe und nicht Ferne;
Denn da wo unvermittelt Gott regiert,
Sind der Natur Gesetze unwirksam.
In's gelbe Zentrum jener ew'gen Rose,
Die sich ausdehnt und abstuft und zur Sonne
Des steten Lenzes Lobesdüfte sendet,
Geleitete Beatrix mich, der schwieg
Und reden wollte; doch sie sagte: Schaue
Wie groß die Schar der weißen Kleider ist.
Sieh, wie so weit der Umfang unsrer Stadt ist,
Sieh, wie so voll schon unsre Sitze sind,
Daß, sie zu füllen, wen'ge nur noch fehlen.
In jenem großen Stuhl, zu dem die Krone,
Mit welcher er schon prangt, dein Auge lenkte,
Wird, eh' an diesem Hochzeitsmahl du teilnimmst,
Des hohen Heinrichs Seele, der auf Erden
Den Purpur tragen wird, und der Italien
Zu heilen kommt, eh' es bereit ist, thronen.
Es hat die blinde Gier, die euch verzaubert,
Euch so betört, daß ihr dem Kinde gleichet,
Das Hungers stirbt und doch die Amme fortjagt.
Und wer um jene Zeit dem geistlichen
Gerichtshof vorsitzt, wird geheim und offen
Nicht auf demselben Wege mit ihm gehn.
Doch wird ihn Gott in diesem heil'gen Amte
Nicht lange dulden, dann stürzt er hinab,
Wo Simon Magus büßt was er verdient hat,
Und tiefer drängt er noch den von Anagni.
[409] Einunddreißigster Gesang
So zeigte denn in einer weißen Rose
Gestalt sich mir die heilige Streiterschar,
Die Christus durch sein Blut zur Braut sich machte.
Die andre Schar, die fliegend dessen Glorie
Der sie in Lieb' entzündet, und die Güte,
Die sie so hoch erhöht hat, schaut und preiset,
War Bienen zu vergleichen, die sich bald
In Blumen tauchen, und bald dahin kehren,
Wo ihre Arbeit sich in Honig wandelt.
Sie stiegen nieder in die große Blume,
Die so viel Blätter schmücken; dann erhoben
Sie dorthin sich, wo ihre Liebe weilt.
Das Antlitz aller glich lebend'ger Flamme,
Die Flügel waren Gold, so weiß das andre,
Daß solche Weiße nimmer Schnee erreicht.
Wenn in die Blumen sie sich senkten, teilten
Von Sitz zu Sitz sie Frieden aus und Inbrunst
Die, ihre Flanken fächelnd, sie erworben.
Und ob auch fliegend noch so viele zwischen
Die Blum' und das was drüber schwebte kamen,
So hemmten sie das Sehn nicht und den Glanz;
Denn es durchdringt das Gottentstammte Licht
Je nach der Würdigkeit das ganze Weltall,
So daß ihm nichts den Weg versperren kann.
Es richtete dies ganze freuderfüllte
Und sichre Reich, von Geistern alt und neu
Bevölkert, auf ein Ziel so Blick als Liebe
Dreifaches Licht, das du aus einem Sterne
Auf ihre Blicke strahlend sie beseligst,
Blick' auf den Sturm, der uns bedroht, hernieder!
Wenn die Barbaren, aus dem Lande kommend
Das stets, mit ihrem Sohn, nach dem sie schmachtet,
Den Pol umkreisend Helice bedeckt,
[410]
Als Rom sie sahn und seine hohen Werke,
Erstaunten, um wie viel der Lateran
Was Menschen sonst geschaffen überragte,
Welch' Staunen mußte da sich mein bemächt'gen,
Der ich zum Göttlichen vom Menschlichen,
Zum Ew'gen von der Zeit gekommen war,
Und zu gerechtem, lautrem Volk von Florenz
Erfüllt von Staunen und von Freude, war mir
Willkommen stumm zu sein und nicht zu hören.
Und wie der Pilger in dem Tempel seines
Gelübdes am Beschaun sich freut, und schon,
Wie er beschaffen, zu erzählen hofft,
So ließ in dem lebend'gen Licht die Blicke
Lustwandelnd ich von Sitz zu Sitze schweifen,
Bald aufwärts, bald hinab, und bald im Kreise.
Antlitze sah ich, die zur Liebe mahnten,
Verschönt durch fremdes Licht und eignes Lächeln,
Gebärden auch im Schmuck der Zucht und Sitte.
Die allgemeine Form des Paradieses
War deutlich meinem Auge schon geworden;
Doch hatte nirgends noch mein Blick verweilet.
Da wandt' ich mich mit neuentflammtem Wunsche
Zu meiner Herrin, Dinge sie zu fragen,
Die mit Erstaunen meinen Geist befingen.
Sie meint ich; Antwort sollt' ein andrer geben.
Beatrix galt mein Blick, und einen Greis,
Gekleidet gleich den sel'gen Scharen, sah ich.
Wohlwollen übergoß und Freudigkeit
So Aug' als Wangen ihm, und die Gebärde
War teilnahmsvoll in väterlicher Liebe.
Und: Wo ist sie? – rief alsobald ich aus.
Er aber: Daß dein Wunsch sich ganz erfülle,
Entsandte mich von meinem Platz Beatrix.
Blickst du hinauf, so wirst im dritten Kreise
Vom obersten du auf dem Thron sie sehen,
Der ihr beschieden ward für ihr Verdienst. –
[411]
Nicht Antwort gab ich und erhob die Augen;
Da sah ich sie, und wie die ew'gen Strahlen
In ihr sich spiegelten und sie umkränzten.
Kein sterblich Auge, das in's Meer am tiefsten
Sich tauchte, ist von jener Himmelsgegend,
Wo es am höchsten donnert, so entfernt,
Als Beatrice meinen Blicken dort war;
Doch hinderte mich's nicht, denn unentstellt
Durch Zwischenliegendes sah ich ihr Bild.
O Herrin, du, in der mein Hoffen lebt,
Die deiner Füße Spuren in der Hölle
Zu lassen du nicht scheutest, mich zu retten,
Die Gnade und die Heilskraft all der Dinge,
Die mir zu sehn gewährt ward, danke ich
Nur deiner Güte, danke deiner Macht sie.
Du hast vom Knechte mich auf allen Wegen,
In allen Weisen, so wie dir die Macht
Darüber zustand, hingeführt zur Freiheit.
Erhalte deine Herrlichkeit in mir,
So daß die Seele, die durch dich gesund ward,
Dir wohlgefällig sich vom Körper löse. –
So bat ich, und wie fern sie mir auch schien,
So lächelte und blickte sie mich an;
Dann kehrte sie zurück zur ew'gen Quelle.
Der heil'ge Greis begann: Damit du völlig
Den Weg beendest, welcher dir bestimmt ist,
Wozu mich heil'ge Lieb' und Bitte sandten,
So fliege mit dem Blick durch diesen Garten;
Sein Anschaun wird dein Auge mehr befäh'gen,
Empor dann durch den Gottesstrahl zu steigen.
Des Himmels Königin, für die in Liebe
Ich ganz entbrenne, wird uns Gnade spenden,
Dieweil ich Bernhard, ihr Getreuer, bin. –
Wie wer von fernher, etwa von Kroatien,
Gekommen die Veronica zu sehn,
Sich ob des alten Rufes nimmer satt sieht,
[412]
Und während sie gezeigt wird, bei sich sagt:
Mein Heiland, Jesus Christus, wahrer Gott,
So war dein Antlitz also denn gestaltet?
So war mir, als ich die lebend'ge Liebe
Des Mannes ansah, der in dieser Welt
In frommem Schau'n den Frieden jener schmeckte.
O Sohn der Gnade, dieses heitre Sein,
Also begann er, wirst du nicht erkennen,
Wenn nur an diesem Grund dein Auge haftet.
Blick auf denn zu den Kreisen bis zum fernsten,
So daß die Königin du sitzen siehst,
Der in Verehrung untertan dies Reich ist. –
Ich schlug die Augen auf, und wie am Morgen
Was von dem Horizont gen Aufgang liegt,
Des Niederganges Gegend überstrahlt,
So sah ich, wie vom Tal zu Berg die Augen
Erhebend, einen Teil des obren Randes
An Helligkeit des Kreises Rest besiegen.
Und wie's am hellsten da ist, wo der Deichsel,
Die übel Phaëthon gelenkt, man wartet,
Indessen rechts und links das Licht sich mindert,
So sah ich jene Friedens-Oriflamme
Am hellsten mitten, und zu beiden Seiten
Die Flamme gleicher Weise sich vermindern.
Um jene Mitte sah ich tausend Engel
Und mehr mit ausgespanntem Fittig jubeln;
Verschieden war an Glanz und Weise jeder.
Zu ihren Spielen sah, zu ihren Liedern
Ich eine Schönheit lächeln, welche Wonne
Den Augen all der Heiligen gewährte.
Und gliche meiner Rede Reichtum dem
Der Phantasie, so wagt' ich dennoch nimmer,
Von ihrem Reiz das Mindeste zu schildern.
Als Bernhard meine Augen auf die Glut
Der eignen Wärme fest gerichtet sah,
[413]
Wandt' er die seinigen mit solcher Inbrunst
Zu ihr, daß ich im Schau'n noch mehr entbrannte.
Zweiunddreißigster Gesang
Das Lehramt übernahm freiwillig dieser
Beschauer, noch versenkt in seine Wonne,
Und er begann mit diesen heil'gen Worten:
Die Wunde, die Maria schloß und salbte,
Schlug und vergiftete die du an Schönheit
So reich zu ihren Füßen sitzen siehst.
Es folgt dann in der dritten Sitze Ordnung
Grad' unter jener, und, wie du gewahr wirst,
Zu Beatrice's Seite sitzend, Rahel.
Steigst du von Stufe dann zu Stufe nieder,
Wie ich von einem Rosenblatt zum andren
Die Namen nenne, kannst du Sarah, Judith,
Rebecca und des Sängers Ältermutter
Erkennen, der im Schmerz ob seiner Sünden,
O Herr, erbarme meiner dich! gesprochen.
Und von der siebenten der Stufen nieder,
Wie bis zu ihr, sind nur Hebräerinnen,
Die dieser Blume Lockenbau zerteilen,
Indem, je nach der Art, in der der Glaube
Auf Christum blickte, sie die Mauer bilden,
Die diese heil'gen Stufen unterscheidet.
Auf dieser Seite, wo in allen Blättern
Die Blume reif ist, fanden ihren Platz
Die an den Christus der Verheißung glaubten.
Zur andren, wo von Lücken unterbrochen
Die Plätze sind, verweilen, die die Blicke
Dem schon gekommnen Christus zugewendet.
Und so wie diesseits der erhabene Sitz
Der Himmelsherrin, und die andren Stühle
Grad' unter ihrem, solche Scheidung bilden,
[414]
So tut es jenseits der des großen Täufers,
Der, immer heilig, Wüst und Martertod
Und dann zwei Jahre lang die Höll' erduldet.
Und unter ihm bewirken diese Scheidung
Franciscus, Benedict und Augustinus
Und andre bis hierher von Kreis zu Kreise.
Sieh nun die Höhe göttlicher Voraussicht,
Da die und jene Art des gläub'gen Schauens
Gleichmäßig diesen Garten füllen wird.
Vernimm auch, daß von jener Stufe abwärts,
Die die zwei Scheidewänd' inmitten schneidet,
Man nicht aus eignem, sondern nur aus fremdem
Verdienst bedingungsweise Platz gewinnt;
Denn frei vom Körper wurden all' die Seelen,
Eh' zwischen Bös' und Gut sie wählen konnten.
Erkennen kannst du's wohl an ihren Zügen
Und ebenso auch an den Kinderstimmen,
Betrachtest du sie recht und hörst auf sie.
Nun zweifelst du, und trotz des Zweifels schweigst du;
Doch will den festen Knoten ich dir lösen,
In den dein Denken grübelnd dich verstrickte.
In dieses Reiches schrankenloser Weite
Ist für Zufälliges kein Raum zu finden,
So wenig als für Trauer, Durst und Hunger.
Denn, was du siehst, durch ewiges Gesetz
Ward es vorherbestimmt, darum entspricht es
Genau einander, wie der Ring dem Finger.
So ist auch diese, zu dem wahren Leben
Früh abgerufne, Schar nicht ohne Ursach
Hier an Vollendung unter sich verschieden.
Der hohe König, der dies Reich befriedet
Mit solcher Liebesfüll' und solcher Wonne,
Daß höher sich kein Wünschen je vermaß,
Begabt, indem vor seinem heitren Antlitz
Er sie erschafft, verschiedentlich die Seelen
Mit Gnaden; daß es also sei, genüge.
[415]
Ausdrücklich sagt euch dies mit klaren Worten
Die heil'ge Schrift, der Zwillinge gedenkend,
Die in der Mutter Schoß einander zürnten.
Darum bekränzen sich, je nach der Färbung
Der Haare solche Gnade, diese Seelen
Der Würdigkeit gemäß mit höchstem Lichte.
So sind denn ohne sittliches Verdienst
Verschiedne Plätze ihnen angewiesen;
Doch ungleich ist nur ihre erste Sehkraft.
In frühesten Jahrhunderten genügte,
Damit man Heil erlange, neben eigner
Unschuld, daß nur die Eltern gläubig waren.
Als abgelaufen war der erste Zeitraum,
Da mußte dem unschuldigen Gefieder
Beschneidung neue Kraft zum Fliegen leihn.
Doch als gekommen war die Zeit der Gnade,
Ward solche Unschuld, hatte Christi Taufe
Sie nicht empfangen, drunten festgehalten.
Nun schaue in das Antlitz, welches Christo
Am meisten gleich; denn seine Klarheit nur
Kann dich bereiten, Christum selbst zu schauen. –
Und regnen sah auf sie ich soviel Freude,
Gehegt in jenen heil'gen Geistern, welche
Geschaffen wurden zu so hohem Fluge,
Daß, was ich auch bis dahin wahrgenommen
Mit solchem Staunen nimmer mich befangen
Und mir solch Gottes Abbild nicht gezeigt.
Und es entfaltete vor ihr die Flügel
»Ave Maria, gnadenvolle«, singend
Die Liebe, die zuerst dorthin herabstieg.
Darauf erwiderte von allen Seiten
Den göttlichen Gesang der Hof der Sel'gen,
So daß sich jedes Antlitz drob verklärte.
O heil'ger Vater, der du meinetwillen
Hier unten weilst, den süßen Ort verlassend,
Den du nach ewiger Bestimmung einnimmst,
[416]
Wer ist der Engel, der mit solchem Spiele
Der Himmelskönigin in's Auge schaut,
So liebeglühend, daß er Feuer scheint? –
Belehrung sucht' ich so bei dessen Kunde,
Der sich verschönte an Maria's Anblick,
Wie an der Sonne tut der Morgenstern.
Und er zu mir: In ihm ist soviel Kühnheit
Und Anmut, als in Engel oder Seele
Nur immer sein kann, und so wünschen wir's.
Ist er es doch, der zu Marie'n hernieder
Die Palme brachte, als sich Gottes Sohn
Mit unsrer Sünden Last beladen wollte.
Nun aber folge, wie ich reden werde,
Mit deinem Blick, und merke die Patrizier
Von diesem frommen und gerechten Reiche.
Die Zwei dort oben, deren Glück das höchste,
Weil sie der Königin am nächsten sitzen,
Sind gleichsam die zwei Wurzeln dieser Rose.
Der dort zur linken Seite sich ihr anfügt
Ist jener Vater, deß verwegnes Schmecken
Das menschliche Geschlecht so bitter nachschmeckt.
Zur rechten Seite sieh den alten Vater
Der heil'gen Kirche, dem die Schlüssel Christus
Zu dieser schönen Blume anempfahl.
Und der, bevor er starb, die schweren Zeiten
Der schönen Braut, die mit den Nägeln und
Dem Speer erworben wurde, alle sah,
Sitzt neben ihm, wie neben jenem andren
Des Führers Sitz ist, unter dem von Manna
Das störrig undankbare Volk gelebt.
Sieh Petrus gegenüber Anna sitzen,
Die in der Tochter Anschaun so beglückt ist,
Daß auch beim Hosianna sie nicht wegsieht.
Der Stammeshäupter ält'stem gegenüber
Siehst du Lucìa, welche deine Herrin,
Als fliehend du die Wimpern senktest, sandte.
[417]
Weil aber deines Schlummers Zeit entflieht,
So halt ich ein, wie ein bedächt'ger Schneider,
Je nach dem Tuche, das er hat, den Rock macht.
So woll'n die Augen denn zur ersten Liebe
Wir richten, daß im Dorthinschauen du
In ihren Glanz soviel als möglich dringest.
Doch wahrlich, soll dein Flügelschlagen rückwärts,
Statt vorwärts, wie du wähntest, dich nicht bringen,
So muß Gebet erst Gnade dir erwirken:
Die Gnade deren, die zu helfen Kraft hat.
So folge mir denn mit der rechten Inbrunst,
Daß sich dein Herz von meinem Wort nicht trenne. –
Und dieses heilige Gebet begann er:
Dreiunddreißigster Gesang
O Jungfrau Mutter, Tochter deines Sohnes,
Demütigste und höchste der Erschaffnen,
Vorherbestimmtes Ziel vom ew'gen Ratschluß.
Du bist es, die die menschliche Natur
So hoch geadelt, daß ihr eigner Schöpfer
Es nicht verschmäht, in ihr Geschöpf zu werden.
In deinem Schoß entflammte neu die Liebe,
Durch deren Wärme hier im ew'gen Frieden
Sich diese Blume also hat entfaltet.
Der Liebe mittagshelle Fackel bist du
Hier oben uns; den Sterblichen dort unten
Bist du der Hoffnung lebensvolle Quelle.
Solch' hohe Herrin bist, soviel vermagst du,
Daß wer nach Gnade sucht und dich nicht anruft,
Des Wünschen möchte fliegen ohne Flügel.
Doch Hilfe leistet deine Huld nicht nur
Dem, der dich bittet; oftmals eilt freiwillig
Der Bitte des Bedürft'gen sie voraus.
In dir ist Mitleid und in dir Erbarmen,
[418]
In dir ist Großmut, ja, in dir vereint sich
Was immer im Geschöpfe ist an Güte.
Nun bittet dieser, der der Geister Leben,
Beginnend von des Weltalls tiefster Lache,
Bis hierher, alle, eines nach dem andren,
Gesehn hat, daß aus Gnaden du die Kraft
Ihm spendest, höher noch mit seinen Augen,
Bis zu dem letzten Heil sich zu erheben.
Ich, der für eignes Schau'n nie mehr entbrannte,
Als jetzt für seines, bringe meine Bitten
Dir alle dar, und flehe, daß sie g'nügen,
Auf daß du ihn durch deine Bitten losmachst
Von jeder Wolke seiner Sterblichkeit,
Und sich die höchste Wonne ihm entfalte.
Noch bitt' ich, Königin, dich, die du alles
Vermagst was du nur willst, daß du gesund ihm
Nach solchem Schau'n die Neigungen bewahrest.
Menschliche Regung zügle deine Obhut,
Sieh', wie Beatrix und die Sel'gen alle
Zu dem, was ich erbat, die Hände falten. –
Die Augen, welche teuer Gott und lieb sind,
Bewiesen uns, fest an dem Redner haftend,
Wie ihr willkommen sind andächt'ge Bitten.
Zum ew'gen Lichte wandten sie sich dann,
Zu dem den Blick, wie uns zu glauben obliegt,
Nie ein Geschöpf mit gleicher Klarheit wandte.
Ich aber, der dem Ende alles Sehnens
Mich nahte, fühlte des Verlangens Glut
Gebührend nun in mir zu Ende gehn.
Da winkte mir mit einem Lächeln Bernhard,
Daß ich nach oben blicke; doch schon hatt' ich
Von selbst getan, was er von mir verlangte.
Denn meine Sehkraft, wie sie lautrer wurde,
Drang in den Strahl des hohen Lichtes tiefer
Und tiefer ein, das an sich selber wahr ist.
Und größer wurde, als die Rede kündet,
[419]
Die diesem Anblick weicht, nunmehr mein Schauen,
Und solchem Übermaß folgt kein Gedächtnis.
Wie einer, der im Traum Gesichte sieht,
Und nach dem Traum bleibt die dadurch geweckte
Erregung, doch des Traumes Bilder schwanden,
Also bin ich, da mein Gesicht fast ganz mir
Entschwunden ist, indes die Süße noch,
Die von ihm herstammt, mir im Herzen träufelt.
Also vergeht der Schnee am Strahl der Sonne,
Also verloren sich auf leichten Blättern
Beim Windeswehn die Sprüche der Sibylle.
O höchstes Licht, das über menschlichem
Verständnis du so hoch schwebst, leihe meinem
Gedächtnis dessen etwas, das du schienest.
Gewähre meiner Zunge solche Kraft,
Daß einen Funken sie von deinem Ruhme
Dem künftigen Geschlecht verlassen könne;
Denn mehr wird man von deinem Sieg begreifen,
Wenn etwas wiederkehrt in mein Gedächtnis
Und diese Vers' ein wenig davon künden.
Die Schärfe des lebend'gen Strahles, den
Ich aushielt, hätte, glaub' ich, mich geblendet,
Wenn abgewandt von ihm den Blick ich hätte.
Das aber weiß ich, daß infolgedessen
Ich kühner ward, so daß mit meinen Augen
Die Kraft ich, die unendlich ist, erreichte.
O Gnadenüberfluß, durch den ich's wagte,
In's ew'ge Licht mein Schauen zu versenken,
So daß ich meine Sehkraft drin erschöpfte!
In seiner Tiefe sah ich verdreieinigt
Und durch die Lieb' in einen Band gefaßt,
Was sich im Weltall auseinanderblättert.
Zufall und Wesenheit und ihr Verhalten
Sah wie verschmolzen ich in solcher Weise,
Daß was ich sage nur ein Schimmer ist.
Ich glaub', ich habe dieses Knotens Grundform
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Geschaut, denn noch, indem ich davon rede,
Fühl' ich in weitrem Maße meine Freude.
Doch ward ein Augenblick mir größrer Schlaftrunk.
Als drittehalb Jahrtausende dem Wagnis,
Bei dem Neptun ob Argo's Schatten staunte.
Ganz hingerissen schaute so mein Geist
Aufmerksam, unbeweglich und gebunden,
Und immer mehr entbrannte er im Schauen.
Von solcher Art ist dieses Lichtes Wirkung,
Daß sich von ihm zu andrem Schau'n zu wenden
Aus freiem Willen nimmer möglich ist,
Indem das Heil, das jedes Willens Ziel ist,
In ihm sich einigt, und was außer ihm
Nur mangelhaft, in ihm vollkommen ist.
Hinfort wird auch für das, des mir gedenket,
Wortkarger meine Rede, als des Kindes,
Das an der Brust die Zunge netzet, sein.
Nicht als ob mehr denn nur ein einfach Bild
In dem lebend'gen Licht sei das ich schaute,
Nein, unverändert ist es, wie es war;
Doch weil im Schau'n mein Auge neue Kraft fand,
So schien die in sich einige Erscheinung
Wie ich mich wandelte, sich selbst zu wandeln.
Ich sah in dieses hohen Lichtes tiefer
Und heller Wesenheit drei Kreise schimmern,
An Farbe dreifach, doch nur eines Umfangs.
Der zweite schien ein Spiegelbild des ersten,
Wie eine Iris von der andren; Feuer,
Gleich ausgestrahlt von beiden, schien der dritte.
Wie dürftig ist die Sprache doch für meinen
Gedanken, und er selbst, mit dem verglichen,
Was ich geschau't, wie ist er mehr als winzig.
O ew'ges Licht, das du in dir nur ruhest,
Allein dich selbst erkennst, und dich, erkannt
Sowie erkennend, liebest und dir lächelst!
Das Kreisen, das mir dreifach aufgefaßt
[421]
Erschienen war, es dünkte, wie ein Spiegel,
Als meine Augen länger es betrachtet,
In seinem Innern mit den eignen Farben
Mir unsres Angesichtes Bild zu zeigen,
Weshalb mein Schau'n ich völlig drin versenkte.
Dem Geometer, der sich ganz vertieft,
Den Kreis zu messen, und, wie sehr er sinne,
Den Grundsatz dessen er bedarf nicht findet,
War ich vergleichbar bei dem neuen Anblick.
Wie mit dem Kreise jenes Bild sich einigt,
Und wo sein Platz drin ist, wollt' ich erkennen;
Doch nicht vermochten das die eignen Flügel.
Da wurde plötzlich, wie von einem Blitze,
Mein Geist durchzuckt und das Ersehnte kam.
Hier schwand die Kraft der hohen Phantasie;
Doch schon bewegte Willen und Verlangen
Mir, wie ein gleichbewegtes Rad, die Liebe,
Die kreisen macht die Sonne wie die Sterne.

Ende. [422]

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TextGrid Repository (2012). Dante Alighieri. Epos. Die Göttliche Komödie. Die Göttliche Komödie. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-6AE0-5