Charlotte Birch-Pfeiffer
Vatersorgen
Komisches Zeitgemälde in drei Akten

[2]

Personen

Personen.

    • Baron von Gleisenburg, ein reicher Land-Edelmann

    • Julius, sein Sohn, Student

    • Magister Kahlmann, sein Hofmeister

    • Joachim Krabbe, ein wohlhabender Gewürzkrämer aus der Provinz

    • Julius, sein Sohn, Student

    • Eweline von Schönhelm, eine junge Wittwe

    • Barbara Klammer, Försterswittwe

    • Emma, ihre Tochter

    • Fritze, ihr Neffe

    • Gustav Rosenberg, ein Handlungs-Commis

    • Gottlieb Baldrian, ein alter Soldat, des Barons Jäger

    • Klara, Kammerjungfer der Frau von Schönhelm

    • Pellmann, bei der Eisenbahn

    • Mehrere Reisende

    • Eisenbahndiener

1. Akt

1. Szene
Erste Scene
Baron. Gleich darauf Krabbe und Pellmann.

BARON
aus dem Bahnhof, in stattlichem Reisekleide, eine Tasche am Lederriemen, hohe Stiefeln mit Sporen, Cigarre rauchend, steht mit einer Lorgnette suchend umher.

Gottlieb! Gottlieb Baldrian! Donnerwetter, wo steckt der alte Kerl? wo ist er hingekommen? Er geht suchend nach dem Hintergrunde.

KRABBE
mit Pellmann aus dem Bahnhofe.

Er trägt eine große Wildschur, den Pelz nach, außen, eine Pelzmütze mit Ohrklappen unter dem Kinn gebunden, darunter eine weiße Nachtmütze; Stiefeln von Seehundsfell bis über die Knie, einen kleinen Koffer auf den Schultern und zwei Nachtsäcke nebst Hutsutteral in den Händen. Ei, so laß Er mich zufrieden, ich transportire meine Effekten allein!

[3]
PELLMANN
grob.

Aber wozu sind wir denn da? Wenn die Passagiere selbst das Lastthier abgeben wollen, so mag sie Alle der Teufel holen!

KRABBE.
Fluch Er nicht so lästerlich! Er gehört gewiß auch zu den Krawallern!
PELLMANN.

Was geht das den Herrn an? Es ist jetzt Rede-Freiheit, da kann ich dem Herrn alle Schockmillionen Donnerwetter auf den Hals fluchen, wenn mir das Plaisir macht!

KRABBE.
So fluche Er meinetwegen; aber sage Er mir, geht's da hinaus nach der Leipziger Straße?
PELLMANN.

Werde mir hüten! Besorgen Sie sich das selbst wie Ihre Effekten! Aber das kann ich Ihnen sagen, daß es mir sehr unangenehm berührt, mir per »Er« traktiren zu lassen! Grob. Versteht Er mir?

KRABBE.

Ih, wovor wäre denn Rede-Freiheit, wenn ich Ihn nicht anreden dürfte, wie es mir beliebt? Versteht Er mich?

BARON
aus dem Hintergrunde zurückkommend.
Das alte Mammut muß sich verlaufen haben! Ruft. Nummero!
PELLMANN
ganz Liebenswürdigkeit.
Zu Befehl!
BARON.

Mein Bedienter, der das Gepäck besorgen sollte, hat mich wahrscheinlich unter der Menge verloren. Besorgen Sie mir eine Droschke, und kommt Ihnen ein alter Jäger zu Gesicht mit weißem Schnurrbart und einer Fratze, als ob er Sie beißen wollte, so sagen Sie ihm: Der Herr Baron von Gleisenburg sei bereits in's Standquartier abgefahren.

PELLMANN.

Werde Alles bestens besorgen! Die Droschken sind zwar schon fort – aber ich hole Ihnen eine vom Thor; ich habe Nr. 23. Sie können sich auf mir verlassen! Ab links.

[4]
2. Szene
Zweite Scene
Baron. Krabbe.

KRABBE
der im Begriff war, zu gehen, bleibt stehen, als der Baron seinen Namen nennt.

Ih – da habe ich wohl die Ehre, den Herrn Baron zu sehen, der mich jede Weihnacht durch Ankauf von Pfefferkuchen und Lichte in Glognitz gütigst in Nahrung zu setzen beliebt? Ganz gehorsamster Diener!

BARON
ihm näher tretend, ihn lorgnirend.

Ei, mein Herr Krabbe, mein liebenswürdiger Weihnachts- Lieferant, Sie sind's? Ha, ha, ha! In dem Kostüm konnte ich Sie freilich nicht erkennen; Sie sind ja mehr Bär als Mensch! Wie können Sie Anfang Mai reisen, als ob es eine Grönlandsfahrt gälte?

KRABBE
läßt, mit dem kläglichsten Gesicht, sein Gepäck zur Erde gleiten.

Nicht wahr, es ist ein furchtbarer Anblick? – Ja, sehen Sie, Herr Baron, ich habe in meinem Leben keine so große Reise gemacht, und da meinte meine Alte, man müßte sich in jetziger Zeit auf alle Fälle vorsehen; Er sieht sich ängstlich um. und es ist auch gar nicht geheuer in dem Babel hier – ein solcher Pelz ist immer sehr nützlich, wenn so von ungefähr eine Kanonenkugel um die Ecke käme.

BARON
lachend.

Da hat Ihre Alte ganz recht; wer es aushalten kann, dem mag Ihr Kostüm sehr zuträglich sein! Aber weshalb schleppen Sie sich denn mit Ihrem Gepäck?

KRABBE
sich umsehend.
Pst! Es ist jetzt Anarchie in Berlin, da ist nicht zu trauen!
BARON
lacht laut auf.
Na, so fürchterlich wird's wohl nicht sein!
KRABBE.

O es ist sehr fürchterlich! Meine Frau Gevatterin, die Pasewalkern, hat mir Dinge geschrieben – Oh! Ach, mein Sohn, mein verlorner Sohn!

BARON
schnell ernsthaft.
Sie suchen auch einen Verlornen?
[5]
KRABBE
kläglich.
Ach Gott ja!
BARON.
Nun, da müßten wir zusammen gehen, ich komme zur nämlichen Expedition her, ich suche ihn auch!
KRABBE
verblüfft, faltet die Hände.
Nicht möglich! Sie suchen meinen Sohn auch?
BARON
lächelnd.
Nein, den nicht, aber den mei nen!
KRABBE.
Ih – Herr Je, Sie haben auch einen Verlorenen?
BARON.

So scheint es leider! Der Hofmeister meines Einzigen schreibt mir, daß Julius, statt zu studiren, seit dem März nichts thut als exerziren, patroulliren, Klubs anführen, kurz, mit einem Wort, unter die Demokraten gegangen ist.

KRABBE.
Allgütiger! Grade als ob ich den Brief der Pasewalkern hörte; das Alles thut mein Julius auch!
BARON.
Haben Sie denn auch einen Julius?
KRABBE.

Ja, zu dienen, einen Julius Krabbe, der schon längst mit seinem Jus fertig ist, und statt nach Hause zu kommen zu Ostern, hier »Welt verbessert« und mein Geld in Massen verschleudert für Schleppsäbel, Fahnen, schwarz – roth – Gold und wie das Zeug Alles heißt, was jetzt in der Mode ist.

BARON
hat indeß aus seiner Brieftasche einen Brief genommen, worin er nachsieht.

Richtig, da haben wir's! Hören Sie einmal zu! Er liest. »Dieser Julius Krabbe ist der Verführer Ihres Herrn Sohnes, der hat ihn zu all den frevelhaften Tollheiten verleitet. Kommen Sie und retten Sie sich unsern soliden Julius, ich habe keine Macht mehr über ihn!« – Das schreibt mir der Magister Kahlmann, den ich ihm als Aufseher mit gab.

KRABBE
sucht indeß in seiner Tasche und zieht einen zerknitterten Brief hervor.

So steht die Sache? Ih, da habe ich wohl meinen Mann gefunden und kann dem Herrn Baron mit näherer Auskunft dienen! [6] Er liest. »Kommen der Herr Gevatter selbst anhero, ich kann mit dem Julius nichts mehr aufstellen, denn der ist ganz in den Stricken eines jungen lüderlichen Barons, mit dem er eine dicke Freundschaft geschlossen, mit dem er zusammen wohnt und der ihn zu allem Bösen verleitet!« – Das ist am Ende wohl Ihr Julius?

BARON
ironisch.
Sehr verbunden! – Wo wohnt denn Ihr Julius?
KRABBE.
Dönhofsplatz 120, zweiten Stock.
BARON.
Alle Wetter, da wohnt der meine auch!
KRABBE.
Ih – da hätten wir ja einen Weg?
BARON.

In doppelter Beziehung; wir suchen Beide den Verführten und wollen ihn Beide zur Vernunft bringen; ich denke, wir finden die Sache nicht so schlimm als sie uns geschildert. – Lassen Sie uns zusammen halten.

KRABBE
mit einem Kratzfuß.

Wird mir eine große Ehre sein! Ich nehme meinen Julius mit nach Hause, sei er nun Verführer oder verführt; das, was er jetzt hier noch lernen kann, kann er jedenfalls in Glognitz nicht brauchen.

3. Szene
Dritte Scene
Vorige. Pellmann.

PELLMANN.
Herr Baron, dort hält die Droschke! –
BARON
auf das Gepäck Krabbe's deutend.
Nehmen Sie das mit, der Herr fährt mit mir.
PELLMANN
höhnisch.
Ah so – das geht also doch nicht alleine! Er packt sich es auf und geht nach der Coulisse links.
BARON.
Kommen Sie, Herr Krabbe, fassen Sie Muth! Geht.
[7]
KRABBE.

Na – ich denke, ich beweise Muth genug, daß ich mich in das Sodom hinein wage! Wer hätte das gedacht, daß ich noch mit der Eisenbahn fahren müßte! Aber Vatersorge geht über Alles. Ach, Julius, mein einzigster Sohn! Dem Baron folgend links ab.


Verwandlung.
Kurzes Zimmer bei Frau Barbara, einfach bürgerlich, aber nicht ärmlich. In der ersten Coulisse rechts und in der zweiten links Thüren, in der zweiten Coulisse rechts ein kleines Fensterchen, das in die Portier-Loge führt; im Hintergrund keine Thür, sondern ein oder zwei Fenster, die nach der Straße sehen, mit Gardinen von buntem Kattun; die
gleiche Gardine vor dem kleinen Fensterchen rechts im Vorgrund, links Tisch und Stühle. Sobald es verwandelt hat, hört man heftig klingeln.
4. Szene
Vierte Scene
Emma. Fritze.

EMMA
einfach, aber sehr zierlich gekleidet, kommt aus der Seitenthür links und geht rasch nach dem Fensterchen rechts.

Ach, das ist er, gewiß, er ist's!Sie hebt das Gardinchen am Fenster auf und sieht verstehlen hinaus. Was treibt denn der Fritze, daß er nicht öffnet? Schlägt die Hände zusammen. Der Junge liest! Sie öffnet das Fensterchen und spricht hinaus. Aber, Fritze, hast Du nicht gehört? man klingelt.

[8]
FRITZE
steckt den Kopf zum Fenster herein und legt sich breit mit beiden Armen auf das Fensterbrett.
Woll; aber ich lese, da ist ein neues Plakat heraus, dieses muß erst eingenommen sind.
EMMA.
Was geht das Dich an? Sitzt man in der Portier-Loge, um zu faullenzen?
FRITZE.

I Gott Herr Je – wozu denn? Siehste, des ist ein Plakat von mein Freund Buddelmeier mit den jroßen Bart, Dagsschriftsteller für einen Iroschen. Hurrrjeh! des ist göttlich, auf Ehre! Es klingelt heftiger.

EMMA.
Es klingelt schon wieder! Wirst Du aufziehen?
FRITZE
phlegmatisch.

Habe Dir nich, des ist nicht der Herr Julius Krabbe – und die Andern kann ich Alle draußen steh'n lassen, nicht wahr? O det kennt man, Fröhlen Cousine!

EMMA
ganz desperat.
Wirst Du jetzt nicht öffnen? – Na warte, wenn meine Mutter kommt –!
FRITZE
mit den Kopf auf beiden Fäusten lehnend.

Des hat gute Wege! Tante ist uf'n March inkofen – in die Charlottenstraße is een kleener Krawall, die kann nich durchkommen, himmlisch! Es klingelt noch heftiger. Hurrjeh, der hat Eile! Er geht vom Fenster.

EMMA
allein.

Es ist erschrecklich mit dem Jungen! 'S ist doch Alles aus Rand und Band! Na, der Onkel wird gute Arbeit mit dem haben, wenn er wieder kommt! Sie schielt nach dem Fensterchen. Er ist's nicht; was mag ihn nur abhalten? Er weiß doch, daß er kommen soll, wenn Mutter fort ist; und ich habe ihm so Wichtiges – Man klopft. Ach Herr Je – man klopft! Ich kann doch nicht »Herein!« rufen, wenn die Mutter nicht da ist? Und Julius ist's nicht – der klopft nicht.

[9]
5. Szene
Fünfte Scene
Emma. Gustav.

GUSTAV
sehr elegant und doch spießbürgerlich dabei.
Bon jour, ma beau! Sie entschuldigen, ich habe geklopft, Sie werden haben bemerkt! –
EMMA
sehr verlegen, aber doch schnippisch.
O – ja – ich – ich hörte so etwas – aber »Herein!« habe ich nicht gesagt.
GUSTAV.

Sie entschuldigen, ich habe geglaubt zu hören so etwas! Aber das ist mir tout m'egal; ich wünsche zu sprechen Ihren Herrn Vater – raizende Knospe!

EMMA
sieht ihn groß an.
Was? Wie? Knospe?
GUSTAV
ihr näher tretend, küßt ihr sehr galant die Hand.
Raizende Knospe, ja, so sagte ich! Ro senknospe!
EMMA
zieht rasch die Hand fort und wischt sie verstohlen an der Schürze ab.
I Gott bewahre – was wollen Sie?
GUSTAV.
Ihren Herrn Vater wünschte ich – wie ich zu sagen beliebte –
EMMA.
Aber mein Vater ist ja seit drei Jahren todt.
GUSTAV
verblüfft.
Wirklich? Aber der Herr Portier hier – –
EMMA.

Ah – den suchen Sie? Das ist Vaters Bruder, der mußte den alten Herrn Geheimerath, dem das Haus gehört, begleiten, als er auf's Gut flüchtete; Onkels Sohn, der Fritze, ist jetzt Portier, bis er wieder kommt, und Mutter beaufsichtigt den bösen Jungen; das ist Alles, was wir damit zu thun haben!

GUSTAV.
Ist mir tout m'egal; Sie, Kleine, werden mir auch Auskunft geben können!
EMMA
für sich.
Kleine? Der ist 'mal beleidigend!
[10]
GUSTAV
für sich.

Wie sie rümpft das Näschen! Raizend, uf meiner Ehr', ich wollt', ich war mein Prinzipal, ich klopfte hier an, statt bei die Bell-Etage. Laut. Ich habe gehört, hier sei zu vermiethen der erste Stock.

EMMA.
Davon weiß ich nichts.
GUSTAV.

Sie wissen nichts? Egal! Sie wohnen hier doch so nah an der Thür, Sie kennen doch alle Personen, die hier gehen aus oder ein. Ihr näher tretend, schlau. Sagen Sie, was halten Sie von dem gewissen Baron Gleisenburg, der soll so oft machen die Visite in der Bell-Etage bei die gnädige Frau von Schönhelm? Is er jung? is er schön? is er gefährlich?

EMMA
für sich.
Ei, sieh einmal! Laut. Ich kenne ihn nicht!
GUSTAV
verblüfft.
Was? Ach, kleiner Schelm! Aber die gnädige Frau kennen Sie?
EMMA.
O ja, die kenne ich, ich komme oft hinauf!
GUSTAV
rasch.

Nun, was sagen Sie von der? – Ist's wahr, daß sie hat geerbt so viel Geld von ihrem alten Mann, der gestorben ist voriges Jahr?

EMMA.
Das weiß ich nicht, aber daß sie schön, seelengut, wohlthätig und brav ist, das weiß ich!
GUSTAV.

Wirklich? Na, was glauben Sie, sollte können ein junger feiner Mann von schönsten Manieren mit sechstausend Thaler Renten bekommen einen Korb, wenn er trägt seine Hand an?

EMMA
ihn von der Seite ansehend.
Der junge Mann sind Sie wohl nicht?
GUSTAV.
Und wenn's nun wäre mein Prinzipal?
EMMA
kurz.
So soll er sie selbst fragen, ich weiß es nicht!
[11]
GUSTAV.

Sie wollen nicht sagen die Wahrheit – und Sie wissen nicht, welcher Lohn Sie erwartet, wenn Sie gestehen, ob es ist wahr, daß sich die gnädige Frau von Schönhelm hat verliebt in den gewissen Baron Gleisenburg, was meinem Prinzipal hat gestern versichert ein guter Freund von ihm auf der Börse.

EMMA
spöttisch.
Welcher Lohn erwartet mich dann?
GUSTAV
süß.
Mein Herz, das ich mich könnte vielleicht entschließen, zu legen zu Ihren schönen Füßen –
EMMA.
Ha, ha, ha! da wäre es ganz am Platze.
GUSTAV
Und ein paar schwere gold'ne Ohrbommeln, vor zu erhöhen Ihre Raize, holde Blüthe!
Er will sie an sich ziehen.
EMMA
fährt rasch nach links hinüber.

Na, nu ist's genug! Nun gehen Sie geschwind Ihrer Wege, ehe meine Mutter zurück kommt – die möchte Ihnen nicht so sanft die Thüre weisen wie ich!

GUSTAV.

Wo so? Hab' ich Ihnen nicht gemacht die schönsten Anträge? Er tritt ihr näher. und soll jetzt fortgehen ohne einen Kuß von diesen zarten Lippen?

EMMA
hinter dem Tisch.

Nehmen Sie sich vor meinen zarten Fingern in Acht, ich verstehe keinen Spaß! Es klingelt heftig zwei Mal nach einander. Ha, das ist er!

GUSTAV
sehr verblüfft.
Wer – er? Hätte die auch schon einen »Er«? das wäre der Teufel!
EMMA
für sich.
Ach, wenn er's lieber nicht wäre, sonst giebt's gewiß Spektakel.
6. Szene
Sechste Scene
Vorige. Julius von Gleisenburg.

JULIUS
tritt rasch von rechts ein, er trägt einen schwarzen Sammetrock mit Schnüren, sehr elegant, eine rothe Mütze, einen [12] Schleppsäbel, Kanonenstiefel, ein Bändchen, schwarz-roth-gold, um den Hals, großen Bart und herabwallendes Haar.
Da bin ich endlich!
EMMA
fliegt auf ihn zu, bleibt aber auf halbem Wege stehen, schüchtern.
Gottlob, Herr Julius, daß Sie kommen!
JULIUS
sieht sie erstaunt an, sie zeigt auf Gustav, der sich nach links an den Tisch retirirte.

Ah – Sie sind nicht allein? Wer ist der Herr? – Geht mit großen Schritten auf ihn los, barsch. Mit wem habe ich die Ehre –?

GUSTAV
dem man ansieht, daß ihm nicht wohl zu Muthe ist.
Bitte recht sehr – die Ehre ist ganz meinerseits!
JULIUS
noch näher.
Ihr Name?
GUSTAV
wie oben.
Gustav Rosenberg, zu dienen!
JULIUS.
Ihr Charakter?
GUSTAV.

Ich habe keinen; bis jetzt nur noch Commis auf dem Comtoir des Herrn Banquier Löwenthal, ergebenst aufzuwarten. Und wenn's erlaubt wäre, zu fragen, mit wem habe ich das Glück?

JULIUS
humoristisch.

Julius Krabbe von Namen, Studiosus Juris von Charakter, zu dienen! – Ihr Geschäft mit meiner hübschen Base?

GUSTAV
für sich.

Base? Wer's glaubt, zahlt 'nen Silbergroschen! Laut, sich zusammen nehmend. Ich habe gefragt, ob die Bell – Etage sei zu vermiethen; – und ich denke, das ist ein Geschäft, gegen das in der Portier-Loge selbst ein Vetter wie Sie nichts kann haben einzuwenden. –

JULIUS.

Sie sind hier in der Wohnung der Frau Försterin Klammer, nicht in der Loge des Portiers,Deutet auf die Thür rechts. fragen Sie dort, Herr Rosenstrauch – Stock – Klotz – oder wie Sie sonst heißen!

[13]
GUSTAV
höhnisch.

Werde mir nehmen diese Freiheit, auch ohne Ihre gütige Erlaubniß, Herr Krabbe, »von Charakter Studiosus Juris« mich höflichst zu empfehlen! Vertraulich, sobald er an der Thür ist. Adieu, raizende Knospe, auf Wiedersehen! Er wirft ihr eine Kußhand zu und geht schnell rechts ab.

7. Szene
Siebente Scene
Emma. Julius.

JULIUS
will ihm nach.
Frecher Bursche – ich breche Dir den Hals!
EMMA
faßt seinen Arm.
O laß den Gecken, Julius, ich habe Dir so Schweres zu sagen!
JULIUS.
Was hast Du mit dem Calikot, mit dem Musterreiter?
EMMA.

Nachher sollst Du Alles wissen, aber jetzt höre! Ich erwarte Dich ja schon seit einer Stunde mit Herzensangst, und die Mutter muß jeden Augenblick zurück sein! Der Onkel hat geschrieben, ich weiß nicht was, aber die Mutter sagte, sie werde Dir eine Frage vorlegen, Sieht vor sich nieder. und wenn Du darauf nicht antworten könntest – so solltest Du keinen Fuß mehr über die Schwelle setzen!

JULIUS
sehr frappirt.

So? Nun ich kann es mir denken; die Mutter wird uns trennen wollen; sie weiß, daß ich rechtliche Absichten habe, aber ich bin noch nicht Herr meines Willens, ich bedarf der Zeit – und ihr geht Alles zu langsam! Emma, wenn die Mutter uns scheidet, wirst Du das ertragen?

EMMA
desperat.

Ich muß wohl! Was soll ich als gehorsames Kind gegen die Mutter anfangen? Aber ich lege mich hin und sterbe, Schluchzend. denn überleben werd ich's gewiß nicht!

JULIUS
bitter.

Ueberleben wirst Du's wohl! Hast Dich vielleicht schon um einen Tröster umgesehen – der fade Bursche, der so vertraulich mit Dir that –

[14]
EMMA
wischt sich rasch die Thränen ab und sieht ihn groß an.

Pfui, wie abscheulich! Sprich's nicht aus, so schlecht denkst Du nicht von mir, das machst Du Dir im Unmuth nur selbst weiß. Der Mensch hatte sichtlich Auftrag, mich über die gnädige Frau auszulocken, und wollte wissen, ob ein gewisser Baron Gleisenburg, der sie oft besucht, ihr Liebhaber ist.

JULIUS
auffahrend.
Gleisenburg? Baron Gleisenburg? Emma, Du lügst!
EMMA
ganz empört.

Aber Julius! wie kommst Du mir vor? Ich habe in meinem Leben nicht gelogen, ich verachte alle Lügner.

JULIUS
verdutzt.
Nun nun, nicht so rasch; es giebt Nothlügen, die sehr verzeihlich sind – und Du könntest –
EMMA
sehr eifrig.

Nein, man muß niemals lügen, auch nicht in der Noth, das ist immer schlecht, das hat mir Vater und Mutter oft schla gend bewiesen und meine Eltern sind rechtschaffene Leute!

JULIUS
besänftigend.

Nun ja, ja, ich weiß das, ich habe allen Respekt vor Deiner Alten, die ist wahrhaftig streng genug! Fuhr sie mich an, als sie mich zum ersten Mal bei Dir unter dem Fenster erwischte, weißt Du?

EMMA.

Ob ich's weiß! es war den Tag, als der Onkel mit dem Herrn Geheimerath abreiste, ich dachte, die Mutter hätte zu viel zu thun und wagte es, Dir die Hand aus dem Fenster zu reichen – Herr Gott, wie erschrak ich, als sie plötzlich hinter mir stand, und zu Dir hinaus rief: »Wer ist der Herr, ist er ein Bürgerlicher oder ist er von Adel?«

JULIUS
etwas verlegen.

Ja, ich erschrak, auch ich will's nicht leugnen, denn Deine Mutter hat ein Paar Augen und einen Ton, decidirt wie ein General! Ich sagte: »Warum wollen Sie das wissen, Madame?« – »Weil ich Sie herein kommen lasse, wenn Sie ein Bürgerlicher, und hinaus werfe, wenn Sie ein Vornehmer sind!« rief sie, und schlug mir das Fenster vor der Nase zu.

[15]
EMMA.

Ich war halb todt vor Schreck, und dachte, Alles sei verloren – bis Du ganz plötzlich die Thür aufrissest und herein kamst. »Warum lassen Sie den Bürger herein und den Adligen nicht? sagtest Du keck zur Mutter, und dabei sahst Du so pfiffig, so lieb und herzig drein, daß ich Dir hätte gleich um den Hals fallen mögen! Da meinte die Mutter: »Weil der Bürgerliche Sie schlägt die Augen nieder. ehrliche Absichten auf mein Kind haben darf, der Vornehme aber nicht!« – Da sagtest Du: »Aber ich bin bürgerlich: heiße Julius Krabbe, und bin der ehrliche Sohn eines ehrlichen Gewürzkrämers in der Provinz.« Da lachte die Mutter, und sagte: »Das ist gut, da können Sie jeden Sonntag ein Stündchen hier einsprechen, aber die Fensterpromenaden verbitte ich mir!« Sie fällt ihm um den Hals. Ach, wie selig war ich da, Du lieber ehrlicher Julius Krabbe Du!

JULIUS
mit dem einen Arm sie umschlingend, mit dem andern sich hinter dem Ohr kratzend.

Du süßes Herz, lobe mich nur nicht gar zu sehr, wer weiß, ob ich's verdiene – sage mir lieber – was ist's mit dem Herrn Baron Gleisenburg?

EMMA.

Ei, das ist ein recht hübscher artiger junger Mann, fast gekleidet wie Du – der seit einiger Zeit viel zur gnädigen Frau hinauf kommt, Heimlich. ich glaube selbst, daß sie ihn ein Bischen lieb hat, denn sie wird immer roth, wenn er eintritt.

JULIUS
seine Wuth kaum verbergend.
Aber zum Wetter, Kind, warum sagst Du mir das jetzt erst?
EMMA
sieht ihn verdutzt an.

Ja – lieber Gott – wir sehen uns ja so selten, und dann haben wir uns so viel zu erzählen; ich dachte auch gar nicht, daß Du die Frau von Schönhelm kennst – und – Plötzlich von einem Gedanken ergriffen. Höre, in die ist alle Welt verliebt, in mich Niemand als DuHeftig. was geht Dich die gnädige Frau in der Bell- Etage an?

JULIUS.
Sie? Gar nichts; aber ihr Liebhaber
EMMA.
So! der geht Dich noch weniger an, verstehst Du mich?
[16]
JULIUS
stampft.
Aber ich will ihn sehen, den Unverschämten!
EMMA
erschrocken.
Gott bewahre, so habe ich Dich ja noch nie gesehen!
8. Szene
Achte Scene
Vorige. Fritze.

FRITZE
steckt den Kopf zum Fenster herein.

Emma, eben war die Jungfer aus der Bell-Etage da, Du sollst schnell zur gnädigen Frau hinauf kommen!Er schlägt das Fenster wieder zu.

EMMA.
Aber, mein Gott – ich will jetzt nicht – ich kann nicht – und sie ist so gut gegen mich!
JULIUS
dem man ansieht, daß er einen Einfall hat.

Geh hinauf, Kind, geh schnell, ich erwarte indeß die Mutter hier, es ist besser wenn sie mich allein findet.

EMMA
empfindlich.

So? der Herr Julius schickt mich fort? Ich bin ihm hier zu viel? Gut, ich gehe, o ich kann schon gehen. Adieu, Herr Krabbe; das Eine aber muß ich Ihnen doch noch sagen – ich bekümmere mich nicht um die Liebhaber anderer Leute, nur um meinen eigenen! verstehen Sie mich? Adieu! Sie geht mit einem Knix zornig nach rechts ab.

9. Szene
Neunte Scene
Julius allein. Gleich darauf Fritze.

JULIUS.

O Engel! Liebenswürdiges, unverdorbenes Wesen! und ich belüge sie so abscheulich; aber Gott weiß es, ich konnte ja nicht anders, wenn ich in's Haus kommen wollte, und ich habe sie so lieb, und bin ja doch ehrlich gegen sie. Ja, ehrlich bin ich, denn solch eine Frau will ich oder gar keine! – Aber wer ist der Schuft, der sich erfrecht, unter meinem Namen hier Liebschaften anzuzetteln? Unbegreiflich! Ich muß es heraus bringen, denn dem breche ich das Genick, wenn er in meine Hand fällt! – [17] Schnell den Augenblick benutzt! Oeffnet das Fensterchen in die Portier-Loge. Nun, Fritze, wie geht's?

FRITZE
steckt den Kopf herein.

Ih Gott, schlecht, Herr Krabbe! Muß hier sitzen in die Loge, und draußen machen sie Krawall, und ich bin nicht dabei!

JULIUS
lachend.
Das ist freilich sehr hart! Wie wär's, wenn ich Dir fünf Groschen auf Die Wunde legte?
FRITZE
verklärt.
Fünf Groschen? Ih, des wäre sehr schön, des gäbe vier Plakate und enen Pfannkuchen, hurrrjeh!
JULIUS
zieht die Börse.
Da kaufte ich mir doch lieber vier Pfannkuchen und ein Plakat.
FRITZE.
Ne, erst die politische Wissenschaft ausgebildet und denn der Magen, des ist mein Prinzip!
JULIUS.

Sehr lobenswerth! Du bereitest Dich bei Zeiten auf die Folgen Deiner politischen Wissenschaft, den Hunger vor. Er giebt ihm das Geld. Da, aber nun mußt Du mir auch einen Gefallen thun.

FRITZE.

Hurrrjeh! tausend; soll ich Ihnen Fensterscheiben einschmeißen, oder eine Katzenmusik arrangiren? Ich und meine Kollegen von Kranzlers Ecke machen uns eine Ehre draus.

JULIUS
lachend.

Danke schön! Du sollst mir nur sagen, wie der Herr Baron Gleisenburg aussieht, dem Du ja so oft aufmachst, kennst ihn doch?

FRITZE
sehr ernsthaft.

Na! Ob! Er hat mir schonst mit verschiedentlichen Iroschens regalirt, ist ein sehr nobler Herr. Aber wie er aussieht – des weeß ich nich.

JULIUS.
Wie?
FRITZE.

Ne, ich seh ihn stets nur bei Abend und da hab' ich mein Augenmerk bloß uf seine Hand, wenn er mir enen Iroschen [18] heraussucht. Es klingelt sehr leise. Halt da, so sachte klingelt nur er, das ist er! Er will vom Fenster.

JULIUS
faßt seinen Arm.

Fritze, sage ihm, er soll hier herein kommen, Tante habe einen Auftrag von der gnädigen Frau für ihn.

FRITZE
verblüfft.
Aber – des ist ja gelogen!
JULIUS.
Du sollst noch fünf Groschen haben, wenn Du ihn herein bringst.
FRITZE.
Noch fünf Iroschen? Na, da wirds wohl keene Sünde sind! Ab vom Fenster.
10. Szene
Zehnte Scene
Julius. Gleich darauf Julius Krabbe.

JULIUS
hin und her gehend.

Ha, wenn er's nur gewiß ist, günstiger könnte der Augenblick nicht sein; wenn er in die Falle geht, sei Gott ihm gnädig! Er faßt seinen Schleppsäbel mit beiden Händen an. Ich zerschlage ihm alle Knochen im Leibe, so wahr ich –

JULIUS KRABBE
grade so gekleidet wie Julius.

Schwarzer Rock, rothe Mütze, Schleppsäbel, aber keine Kanonenstiefel, tritt rasch ein. Ein Auftrag von ihr? Erblickt Julius. Julius!

JULIUS
schreit auf.
Julius?!
JULIUS KRABBE
sehr verblüfft.
Du hier?
JULIUS.
Du – hier?
JULIUS KRABBE.
Was machst Du da?
JULIUS.
Was machst Du da?
JULIUS KRABBE.
Man sagte mir, Frau Klammer habe einen Auftrag für mich.
[19]
JULIUS.
Für Dich? Also bist Du der Baron Gleisenburg?
JULIUS KRABBE
mit einer Armesündermiene.
Hier – ach Gott ja!
JULIUS
empört.

Das sind also Deine geheimnißvollen Gänge, bei denen ich geloben mußte, Dir nicht nachzuspüren? Das glaube ich Dir! Du – mein Stubenkamerad, mein Freund, Du mißbrauchst meinen Namen –

JULIUS KRABBE
legt die Hand auf's Herz.
Zu keinem Schelmenstück, auf Ehre, ich will sie heirathen!
JULIUS
schlägt die Hände zusammen, tragisch.
Schöne Wirthschaft! Pfui der Schande!
11. Szene
Elfte Scene
Vorige. Fritze.

FRITZE
steckt den Kopf zum Fenster herein.
Pst! Pst! Herr Krabbe!
JULIUS KRABBE
dreht rasch den Kopf herum.
Was giebt's!
FRITZE.

Ih herrjeh – ich rede ja nicht mit Sie, Herr Baron, ich meine unsern Herrn Krabbe – na, so kommen Sie doch her, Herr Julius Krabbe!

JULIUS
sehr verlegen und zornig, geht zu Fritze.
Was soll's denn geben, Leise. dummer Junge!
FRITZE.

Dummer Junge? Was? Ich wollte Sie man erinnern, daß Sie die fünf Iroschen nicht vergessen, ich habe Ihnen doch den Baron ehrlich reinspendirt.

JULIUS
die Börse ziehend, leise.
Galgenstrick!
FRITZE
immer das Auge auf die Börse gerichtet.

Ih Jotte doch – haben Sie sich man nich! Es sind schlechte Zeiten, die Jugend braucht jetzt Jeld für die Ausbildung, da muß man wohl auf seine paar Iroschens sehen! Julius giebt ihm Geld. So, danke schön! Ab.

[20]
12. Szene
Zwölfte Scene
Julius. Julius Krabbe.

JULIUS KRABBE
der wie versteinert dastand, stemmt den Arm in die Seite, gravitätisch.
Julius – Du führst hier meinen Namen?
JULIUS
mit Mühe das Lachen verbeißend, legt die Hand auf die Brust, wehmüthig.
Aber zu keinem Schelmenstück – ich will sie heirathen!
JULIUS KRABBE.

Schöne Wirthschaft! Pfui der Schande! – Das also sind die geheimen Geschäfte, wozu ich Dich nicht begleiten durfte? Die alte Försterin willst Du heirathen?

JULIUS.
Warum nicht gar! Ihre schöne junge Tochter!
JULIUS KRABBE
wirft die Mütze in die Höhe und dreht sich laut lachend auf dem Absatz herum.

Ha, ha, ha! Göttlich! Jetzt sind wir quitt, Herr Bruder! Ich borgte Deinen Namen, Du den mei nen – prächtig! ha, ha, ha! – das sind am Ende gar Deine demokratischen Umtriebe?

JULIUS
lachend.

So ziemlich! Du begreifst doch, daß ich, wenn ich den Vater weich machen will – ihm erst einen tüchtigen Schreck einjagen muß.

JULIUS KRABBE.
Aha, deshalb wird der arme Magister so geängstigt!
JULIUS.
Und hier in der Bell-Etage ist wohl der Klub, den Du zum Wohl der Arbeiter gebildet?
JULIUS KRABBE
verlegen.
Nun, wenn eben das grade nicht – aber –
JULIUS.

Aber so viel ist gewiß, daß wir Republikaner von ganz gleicher Sorte sind! Prächtig, auf Ehre! Er fällt ihm um den Hals. Ha, ha, ha! Junge, verdirb mir den Spaß nicht!

JULIUS KRABBE
eben so.
Bruderherz, mache mich nicht unglücklich – mein Waizen blüht!
[21]
JULIUS.

Der meine ist schon bald zur Erndte reif!Mit einer komischen Verbeugung. Herr Baron von Gleisenburg, ich gratulire zu Ihrem Waizen; Sie sind ein Erz-Spitzbube!

JULIUS KRABBE
eben so.
Herr Julius Krabbe, viel Glück zu Ihrer Erndte – Sie sind ein Bösewicht!
JULIUS
plötzlich ernsthaft.

Nein, ich bin ehr lich, und hoffe, Du bist es auch – wenn ich auch nicht begreife, wie Du zu meinem Namen kommst und es mir verbergen konntest.

JULIUS KRABBE.

Wie ich dazu komme, weiß ich selbst nicht recht; jedenfalls wirst Du mir zugestehen, daß in jetziger Zeit mehr Muth dazu gehört, sich in einen Baron als in einen Gewürz krämer zu verwandeln! Ich sah meine reizende Eweline in einer Gesellschaft, wo Du und ich zu sammen waren, erinnerst Du Dich? Anfang März bei dem Geheimerath Hörmann; sie schien mich vor Allen zu beachten; wir tanzten zusammen, ich drückte ihr die Hand, sie erröthete, ich seufzte, sie lächelte – kurz, wir fühlten, daß wir uns nicht gleichgültig waren. Ich machte eine ganze Woche Fensterparade, sie war jederzeit bei ihren Hyacinthen und nickte mir freundlich zu. Eines Abends, im Ballet, treffe ich in der Loge mit ihr und der alten Tante zusammen. Die Tante nennt mich einmal um's andere »Herr Baron«; mir wird angst und bange – und ich erwiedere nichts. Endlich rücke ich mit dem Wunsche näher, einen Besuch machen zu dürfen. Die Alte näselt: »O Herr Baron, der Geheimerath Hörmann hat uns schon gesagt, daß Ihr Vater, der Herr Baron von Gleisenburg, ein charmanter Cavalier vom ältesten Adel ist; solchen Besuchen ist unser Salon stets geöffnet!« – »Sehen Sie keine Bürgerliche bei sich?« fragte ich mit zugeschnürter Kehle. Näselnd. »Niemals, wie können Sie das von uns denken, kommen Sie immer, Sie haben keine schlechte Gesellschaft zu fürchten!« – Mit diesem Bescheid – und einem flehenden Blick Ewelinens verließ ich die Loge. Ich sah gleich, daß hier durch irgend einen Irrthum eine Verwechselung der Person statt fand, aber – ich liebte! Ich gehe seit vier Wochen aus und ein, und noch nie ward mir [22] Gelegenheit, der Geliebten zu entdecken, daß ich nicht Du bin. Leihe mir Deinen Namen nur noch so lange, bis ich weiß, ob meine Hoffnung gegründet ist, ob ich geliebt bin! Liebt sie mich – dann verzeiht sie auch!

JULIUS.

Mir scheint, wir sind Beide gleich strafbar und gleich glücklich. Ich kam grade so zu Deinem Namen, wie Du zu dem meinen, der Schreck jagte mir ihn auf die Lippen – und nun habe ich ihn einmal.

JULIUS KRABBE.
Aber daß wir in demselben Hause lieben und uns nicht eher sahen, ist mir unbegreiflich!
JULIUS.

Das macht, Du gingst als Baron zum Vor derhaus ein, ich, als Herr Krabbe, schmachtete allabendlich höchst bescheiden im Garten, der sich an das Hinterhaus schließt, und in's Haus selbst komme ich erst seit drei Wochen, und nur des Sonntags.

13. Szene
Dreizehnte Scene
Vorige. Eweline. Emma.

EWELINE
sehr elegant zum Ausgehen gekleidet, im Eintreten.

Nun schnell, Kind, Hut und Tuch, in zehn Minuten sind wir zurück! Die Herren erblickend, frappirt zu Julius Krabbe. Ha! Sie hier, Herr Baron?

EMMA.
Ih Herr Je, der Herr bei uns?
JULIUS KRABBE
leise zu Julius.
Das ist sie! Laut, auf sie zugehend. Meine gnädige Frau, Sie hier?
EWELINE
anmuthig und heiter.

Ich habe einen Gang, von dem die Tante nichts wissen darf, denn es gilt, eine Tapisserie für sie auszusuchen, da soll denn der allerliebste Geschmack der kleinen Emma mich unterstützen. Sie sieht, daß Emma und Julius leise zusammen sprechen, befremdet. Wer ist dieser Herr?

[23]
JULIUS KRABBE
verwirrt.
Es ist mein Freund, den ich zufällig durch das Fenster sah – und deshalb hier eintrat –
JULIUS
näher kommend.

Ich bin wohl gezwungen, mich der gnädigen Frau selbst vorzustellen, da Du es nicht übernimmst. Sich gentil verbeugend. Ich heiße Julius Krabbe und –

EWELINE
sehr freundlich.
Ihr bester Freund, Herr Baron, von dem Sie mir so viel erzählt? Ihr anderes Ich?
JULIUS KRABBE
noch verwirrter.
Ja wohl – derselbe – allerdings – man kann sagen –
JULIUS
trocken.
Daß wir gegenseitig buchstäb lich unser anderes Ich sind – das ist die reine Wahrheit!
EWELINE.

O eine solche Freundschaft ist rührend!Sich sehr verbindlich verbeugend. Herr Krabbe, ich freue mich Ihrer Bekanntschaft und hoffe, der Herr Baron werde Sie bei uns einführen!

JULIUS KRABBE
wie oben.
Oh, Sie sind zu gütig!
JULIUS
sarkastisch.
Sie kommen den Wünschen meines Freundes zuvor, nicht wahr, liebster Gleisenburg?
JULIUS KRABBE
pikirt.
Gewiß, lieber Krabbe!Leise zu Ewelinen. Eweline, ich muß Sie allein sprechen!

Diese ganze Scene muß so rasch als möglich gespielt werden.
EMMA
leise zu Julius.
Nein, höre Du, das ist mir selbst zu viel!
[24]
EWELINE
zu Julius Krabbe.
Ich wünsche das selbst, denn ich habe Ihnen Wichtiges zu sagen!
EMMA
wie oben.
Das leide ich nicht, da hinauf darfst Du nicht!
JULIUS KRABBE
zu Eweline.
Wichtiges? Sie erschrecken mich!

Eweline spricht leise mit ihm fort.
JULIUS
leise zu Emma.
Närrchen, siehst Du denn nicht, daß die Zwei eben so gu einig sind wie wir?
JULIUS KRABBE
erschrocken.
Verhei rathen?
EWELINE.
Die Tante besteht darauf – ich muß mich entscheiden!
JULIUS KRABBE.
Wenn das geschieht – so schieße ich mir eine Kugel durch den Kopf!
EWELINE
froh.
Aber wenn Sie so denken, so können Sie mich ja von all meinen faden Freiern retten?
EMMA
leise.
Du, die haben's nothwendig!
JULIUS
sie bei der Hand fassend.
Sieh mir in die Augen, statt da hinüber! Sie sprechen leise fort.
JULIUS KRABBE
der sie verwundert anstarrt.
Retten? Ich könnte das? Ja, wenn Sie mich liebten wie ich Sie!
EWELINE
mit niedergeschlagenen Augen.
Wissen Sie denn, daß ich Sie nicht liebe?
JULIUS KRABBE.
Ach mein Gott, wäre es möglich! Welch ein Glück – dann könnten Sie mir auch verzeihen!
EWELINE
verwundert.
Was hätte ich Ihnen zu verzeihen?
JULIUS KRABBE.
Wenn Sie wüßten – wenn ich Sie nur einmal allein sprechen könnte –
[25]
EWELINE
lächelnd.

Die Tante ist diesen Abend beim Präsidenten, Noch leiser. ich werde gegen neun Uhr eine halbe Stunde für Sie allein sein; kommen Sie durch den Garten-Corridor, ich bin im grünen Zimmer!

JULIUS KRABBE
ihre Hand an die Lippen drückend.
Oh, dies Glück wird mich wahnsinnig machen! Sie sprechen leise fort.
EMMA
zu Julius.

Du, sieh einmal, wie graciös er ihr die Hand küßt! Man merkt es doch gleich, wenn's etwas Rechtes ist; da ist Alles so fein, so nobel – der kann den Baron nicht verleugnen!

JULIUS
lächelnd.
Meinst Du? Soll ich auch so nobel werden?
EMMA.

Ih Gott bewahre! Du bist grade recht, wie sich's für mich schickt; sei Du nur ehrlich, das Noble wollen wir den Vornehmen lassen.

EWELINE
zu Emma.
Aber, Kind, komm doch, ich darf nicht so lange fortbleiben, sonst merkt es die Tante!
EMMA.

Ach, bitte um Entschuldigung! Zu Julius. Herr Krabbe ist wohl so gut, der Mutter zu sagen, wo ich geblieben! Sie läuft links ab und kommt sogleich mit Hut und Mantille wieder.

JULIUS KRABBE.
Gern!
EWELINE
lächelnd.

Entschuldigen Sie, daß ich Ihnen das hübsche Kind entführe, sie ist in Sachen des Geschmacks meine unentbehrliche Rathgeberin, und in zehn Minuten sind wir zurück. Zu Julius Krabbe. Herr Baron, auf Wiedersehen!Sehr liebenswürdig sich gegen Julius verbeugend. Vergessen Sie ja nicht, uns mit Herrn Krabbe näher bekannt zu machen! Mit Emma rechts ab, die hinter ihrem Rücken Julius freundlich zunickt. Beide ab.

JULIUS KRABBE
der sie bis zur Thür begleitete.
Nun, Julius, was sagst Du?
[26]
JULIUS.

Daß sie charmant ist und bis über die Ohren in Dich verliebt, daß mir aber meine Emma besser gefällt!

JULIUS KRABBE
lebhaft.
Das hoffe ich auch! Die Kleine ist allerliebst, aber eine Frau für mich wäre das nicht.
JULIUS
lächelnd.

Grade deshalb ist's eine für mich! Du mußt unter den Pantoffel kommen, ich unter den Pantoffel bringen – Du bedarfst der Lei tung, ich will selbst leiten! Unsere Hälften sind wie für uns geschaffen!

JULIUS KRABBE.

Das war ein heißer Augenblick! Aber ich weiß jetzt, daß ich der glücklichste Mensch auf Erden bin. Diesen Abend gestehe ich ihr Alles, denn länger darf der Betrug nicht dauern! Es klingelt.

JULIUS
rasch.

Das ist die Alte; jetzt drücke Dich, mein Junge, und genire mich nicht, denn die darf von unserer Freundschaft nichts wissen. Adieu, Herr Baron!

JULIUS KRABBE
an seinem Hals.

Adieu, liebenswürdigster Herr Krabbe! Verdammter Name, Eweline Rosa Krabbe! Er schlägt sich vor den Kopf. Ach, ich fürchte, sie wird sich nie zu dieser Dissonanz entschließen! Adieu! Im Abrennen wirft er Frau Klammer, die eben rechts eintritt, beinah um, sehr höflich. Bitte Tausendmal um Entschuldigung! Ab.

14. Szene
Vierzehnte Scene
Julius. Frau Barbara Klammer.

BARBARA
ist einfach bürgerlich, aber sehr anständig gekleidet, steht wie versteinert.

Na nu! da bitt' ich zu grüßen! – Guten Morgen, Herr Julius!Sie geht in den Vorgrund und setzt ihren Korb auf den Tisch. Was haben Sie denn da für eine verrückte Gesellschaft? Fährt der Mensch in meiner Stube herum wie ein Brummkreisel! Ist denn das nicht der luftige Baron, der in der Bell-[27] Etage die Cour macht und nie die Hausthür hinter sich einschlägt? Was wollte der hier bei mir?

JULIUS.

Wir sind Freunde, Frau Försterin, er sah mich zufällig durch's Fenster, Lächelnd. von dem haben wir Beide nichts zu fürchten.

BARBARA.

Wer sagt Ihnen denn, daß ich was fürchte? Meine Emma ist gut erzogen, weiß, daß ich keinen Spaß verstehe, daß bei mir parrirt werden muß – sonst Sie holt aus. kennt sie meine Hand schrift. In dieser ehrlichen Wohnung gehen die Barone nicht aus und ein, denn wenn einer ein mal da war, vergeht ihm das Wiederkommen.

JULIUS
pikirt.
Sie haben ein Vorurtheil, Frau Försterin, es giebt in jedem Stande ehrliche Menschen!
BARBARA.

Ih das versteht sich, das gebe ich gern zu! Aber bei hübschen Bürgermädchen pflegen für gewöhnlich die vornehmen Herren die Ehrlichkeit nicht zu praktiziren; das ist nun einmal mein Prinzip, und die Emma weiß, daß ich meine Prinzipien aufrecht zu halten verstehe. – Ja so – wo ist sie denn?

JULIUS.

Die gnädige Frau aus der Bell-Etage hat sie zu einem kleinen Gang abgeholt, und Emma hieß mich, Sie, Frau Försterin, hier erwarten!

BARBARA.

So? da wird's wohl wieder an ein Einkaufen gehen; in Gottes Namen, es ist besser, Sie hören's allein, was ich Ihnen zu sagen habe. Passen Sie auf! Da der Herr Geheimerath keine Anstalten zur Rückkehr nach Berlin macht, und folglich mein Bruder auch nicht zurück kann, so habe ich ihm – wie's meine Schuldigkeit war – die ganze Liebesgeschichte von Ihnen und der Emma berichtet, und daß Sie ehrliche Absichten haben und daß Sie nur noch nicht Herr Ihres Willens seien. Da hat mir nun der Bruder gestern geantwortet: das wäre Alles recht schön, wenn man aber eine Tochter mit tausend Thalern Mitgift und von so guter Fa milie, wie die unsere, und von so feiner Erziehung verheirathe, da dürfe man sich den Bräutigam denn auch [28] genau besehen. Nun meint er, daß Sie die Einwilligung Ihres Vaters erst schriftlich einbringen sollten, nachher könnte die Emma schon ein paar Jahre warten, bis was Rechtes aus Ihnen geworden; wenn nicht, so sollten Sie sich alle Gedanken an das Kind vergehen lassen und sie nicht in schlechten Ruf bringen. Dixi! Die Meinung ist gut und drum ist's auch die mei nige.

JULIUS
sehr betreten.

Aber, liebste Frau Barbara – eine schriftliche Einwilligung meines Vaters, dazu gehört Zeit und Ueberlegung – der alte Herr hat doch auch so seine Ansichten –

15. Szene
Funfzehnte Scene
Vorige. Emma.

EMMA
tritt unbemerkt rechts ein und bleibt lauschend im Hintergrund stehen.
BARBARA.

Was Ansichten! So ein Gewürzkrämer aus der Provinz ist doch wohl nicht solche Respekts-Person, daß man ihn erst lange demüthig bitten müßte, wenn sich's um ein unbescholtenes, braves und in Berlin gebildetes Mädchen, wie meine Emma, handelt? Uebrigens können Sie das halten, wie Sie wollen – ohne die Einwilligung kommen Sie nicht mehr in's Haus!

JULIUS
ungeduldig.

Aber, Herr Gott – da muß ich doch erst nach Hause reisen, und so lang' halte ich es nicht aus, ohne Emma zu sehen!

BARBARA
trocken.

Ist auch gar nicht von nöthen! – Sehen Sie, da stehe ich vorhin am Dönhofsplatze und handle um eine fette Ente – als eine Droschke vor das Haus Nummer 120 fährt und unter dem Gelächter aller Straßenjugend ein ellenlanger Herr in einem großen Bärenpelz herausplauzt. Alles drängt sich hinzu, ich will natürlich auch wissen, was da vorgeht, da springt ein zweiter alter Herr aus der Droschke, der ruft dem Langen zu: »Ih, Herr Krabbe, machen Sie doch, daß Sie in's Haus kommen, wir sind hier nicht zu Glognitz!« – »Ach, Herr Baron von Gleisenburg!« jammert der, »ich hab' nicht so schnelle Beine wie Sie!«[29] – Na nu, denk' ich, das ist richtig Herrn Juliussens Papa. Ich hätte ihn fast angesprochen, aber der alte Baron zog ihn so schnell in's Haus, daß ich – –

JULIUS
der mit Entsetzen, fast versteinert zuhörte.

Wie! Was! Für sich. Großer Gott, mein Vater, Krabbe's Vater, das ist viel auf einmal! Laut. Entschuldigen Sie, ich muß schnell zu ihm! Er rennt, ohne Emma zu bemerken, rechts ab.

BARBARA
ganz versteinert.
Na nu, das gestehe ich!
EMMA
zitternd, fliegt auf sie zu.
Mutter! Um Gottes willen, was bedeutet das – was hat er?
BARBARA
die sich erholte.

Vom Heirathen hat er gehört und läuft nun – so machen's alle die jungen Naschmäuler, die neumodischen Freiheitsschwindler! Große Redensarten, und wenn's zum Klappen kommt – nichts dahinter! Na warte, rother Republikaner, Du kommst mir wieder! Sie will sich zum Gehen wenden.

EMMA
fällt ihr weinend um den Hals.
BARBARA.

Ih pah, flenne nicht; das ganze männliche Geschlecht von heut zu Tage ist nicht werth, daß Du Dir die hübschen Augen verdirbst! Komm, hilf mir die Ente rupfen, da weiß man doch, woran man sich zu halten hat!


Emma folgt weinend.
Der Vorhang fällt.
[30]

2. Akt

1. Szene
Erste Scene
Baron. Krabbe. Magister.

BARON
sitzt rechts im Armstuhl und raucht.

Aber zum Teufel, Magister, wie konnten Sie den Jungen so aus der Art schlagen lassen! Nicht zu wissen, wo er zu finden ist! Seit vier Stunden sitze ich nun hier wie eine Puppe im Thiergarten und kann mein entartetes Fleisch und Blut nicht zu Gesicht kriegen!

MAGISTER
kläglich.

Ja, liebster Gott, wer soll solche junge fanatisirte Brut heut zu Tage im Zaum halten? Heute dinirt er bei Mielenz, morgen in irgend einer Keller-Spelunke, wie es ihm Mit einem grimmigen Blick auf Krabbe. oder seinem zweiten Ich, dem Herrn Krabbe, einfällt. Sie gehen stets zusammen aus, wie sie aber nach Hause kommen, weiß ich nicht, denn ich habe dem Herrn Baron meinen Schlaf nicht verkauft, wie der Mann im Mährchen – um zehn Uhr liege ich auf dem Ohr, und wenn sie vor meinem Fenster Kanonen abfeuern! Das aber habe ich in drei Monaten nicht erlebt, daß einer der jungen Herren früher nach Hause kam.

KRABBE
kläglich.
Aber du Gerechtester, was thun sie denn draußen?
MAGISTER.

O, sie haben schwere Arbeit! Herr Julius Zum Baron. versichert, daß er sehr viel zur Erhaltung der Ruhe auf den Straßen beiträgt.

BARON
trocken.

So! O ja, sieht ganz danach aus! Hatten wir doch gleich eine Versammlung von ein paar Hundert Straßenjungen um die [31] Droschke, als Herr Krabbe ausstieg, und als er mich »Herr Baron!« nannte, da brüllte die liebe Jugend aus einem Halse: »Ein Reactionär! Ein Reactionär!«

KRABBE.
Es ist ein schauderhaftes Treiben hier, Gott du Allgütiger! Und was das Alles für Geld kostet!
BARON
ausspringend.

Ja, zum Wetter, das ist ja eben das Unbegreifliche! Meinen Banquier hat er auf eine fürchterliche Weise angepumpt; ich erwarte jeden Augenblick den alten Gottlieb zurück, den ich hinschickte, um das Sündenregister zu holen! – Werde schöne Dinge zu hören bekommen. Sagen Sie mir nur, Magister, was macht er mit all dem Gelde?

MAGISTER
reibt sich die Hände.

Ei, Herr Baron, er macht die Mode mit, läßt Fenster einwerfen, Katzenmusiken besorgen, Fahnen sticken, stattet Freischärler aus, und das Alles, versichert er mir, kostet gräßliches Geld.

BARON
mit dem Fuß stampfend.
Da schlag' das Wetter drein!
KRABBE
zum Magister.

Aber wenn der Herr Julius,Zum Baron. der Ihre, meine ich, alle die schönen Siebensachen bezahlt, wie kommt denn der meine zu den heillosen Schulden, von denen mir die Pasewalkern schreibt?

MAGISTER.

Da fragen Sie mich zu viel! Ich bin nicht der Hofmeister Ihres Julius, Herr; ich habe mich gewahrt genug, als mein junger Herr Ihrem Sohn das Zimmerchen dort Auf links zeigend. anbot; dieses moderne Volk hat gar keinen Sinn für den Unterschied der Stände, das schließt Freundschaft in's Blaue hinein, auf Leben und Tod! – Wir haben hier Alles gemeinschaftlich, nur nicht unsere Ansichten! Die beiden Herren Studiosen sind wüthende Demokraten oder gar Republikaner – da können Sie sich einen Begriff machen, was ich friedlicher Mann ausstehe! – So oft ich meine Warnungsstimme erhebe, heißt es: »Schweig, alter Reactionär, still, philiströser Maulwurf!« – Freiheit und Brüderschaft und Gleichheit und Menschenrechte [32] und breiteste Grundlage – das sind so die Schlagwörter, auf die ich denn auch gar nichts zu antworten weiß!

KRABBE
faltet die Hände.
Herr Gott, das ist eine Zeit!
BARON
hin und her gehend.

Es kommt nur darauf an, wie man die Zeit nimmt, mein lieber Herr Krabbe! »Nur nicht verblüffen lassen!« heißt das elfte Gebot. Ich sage Ihnen, ich habe auch meine Schlagworte, die tüchtig klappen, wollen doch einmal sehen, wer das letzte Wort behält!

KRABBE
sich zusammennehmend, steht auf.

Na, ich werde meinem Julius auch nichts schuldig bleiben! Nach Glognitz muß er mit mir, und meine Pathe, die dicke Trude, heirathen oder ich enterbe ihn! – Will mir doch einmal seine Kajüte ansehen! Da hinein? Zum Magister.

MAGISTER
zeigt auf die Thür links.
Da hinein!
KRABBE
im Abgehen.
Gott, was bin ich für ein erbärmlicher Vater! Links ab.
BARON
ihm nachsehend.
Ja, das muß wahr sein!
2. Szene
Zweite Scene
Baron. Magister. Gottlieb Baldrian.

GOTTLIEB
ein alter Jäger, gedienter Soldat, mit grauem Haar und weißem Schnurrbart, ganz militairische Haltung, kommt aus der Mitte, marschirt auf den Baron zu, bleibt kerzengrade vor ihm stehen.
Zu Dienst, Herr Baron, da wäre ich!
BARON.
Aha, Gottlieb! Hast Du Dich zurecht gefunden?
GOTTLIEB
barsch.
Na, was werd' ich nicht!
BARON.
Na, thue nicht dicke – auf dem Bahnhof hast Du Dich doch verlaufen!
[33]
GOTTLIEB.

Das ist auch was Anderes; auf das Pfeifen und Schnurren und Dampfen, und auf die viele verrückte Menschheit, die Einem da zwischen die Beine läuft, ist ein alter Dachs, wie ich, nicht dressirt. Aber hier das Berlin kenne ich ja wie meine Tasche, noch von Anno Funfzehn her, wo wir so prächtig einzogen! – Ja, damals konnten sie schon schreien und jubeln, weil wir ihnen die Franzosen hinausgeklopft hatten! – Der alte Blücher, das war der rechte Feuerbrand für die! – Na, die Straßen hab' ich gleich wieder weggehabt, obgleich sie ein sehr finsteres Gesicht machen und langweilig dazu – aber die Menschen, oder vielmehr die Jungens – denn sonst sah ich nicht viel – in denen kann ich mich nicht mehr zurecht finden. Die sahen mich so kurios falsch von der Seite an, aber als ich den Burschen ein grimmiges Gesicht schnitt und ihnen ein »Donnerwetter!« an den Kopf warf – da liefen sie, haste nicht gesehen! Was die Courage betrifft, da ist es bei der lieben Straßenjugend noch immer beim Alten! Er wichst sich lächelnd den Schnurrbart.

BARON
lacht.
Glaub's gern, Du kannst auch Gesichter danach schneiden. – Nun was sagte denn mein Banquier?
GOTTLIEB.

Er? Gar nichts, er war nicht da; aber der Herr Sohn meinte: er werde noch diesen Abend die Ehre haben, die Rechnung für den jungen Herrn zu schicken.

BARON.

Schon gut, kann's erwarten! Nun, sprich mit der Wirthin, daß sie mir ein Zimmer zurecht macht und sei höflich! Hörst Du? – Wir sind jetzt hier in Berlin Alle gleich, Einer wie der Andere, das merke Dir!

GOTTLIEB
trocken.
Merken will ich mir's wohl, aber – begreifen kann ich's doch nicht!
BARON.
Was?
GOTTLIEB.

Daß ich und die Frau Wirthin gleich sein sollen! – Na, [34] mir kann's recht sein; das ist eine Schwerenoths-Zeit! Einer wie der Andere! Meinet wegen! Er wendet sich militairisch, ab durch die Mitte.

3. Szene
Dritte Scene
Vorige. Krabbe.

KRABBE
aus Links ganz bleich und alterirt, mit einem Pack Rechnungen in der Hand.

Na, da haben wir's! Ach, Herr Baron ich bin ein geschlagener Mann! Herr Magister! sehen Sie her, da fliegen die unbezahlten Rechnungen wie Motten umher, und Dinge hat der Bursche gekauft, Dinge – daß Einem rein der Verstand stille steht! – Na warte, komm Du mir!


Man hört hinter der Scene eine Baßstimme aus vollem Halse singen: »Schleswig-Holstein-stammverwandt.«
MAGISTER.
Aha, da kommt Einer!
BARON.
Ist's meiner? dem breche ich den Hals mit seinem »Stammverwandt!«
KRABBE
selig lächelnd.

Ne – das ist der meine! ich kenne ja seine süße Stimme, singt doch noch immer wie ein Kanarienvogel. Ach Gott, mir wird ganz flau!

BARON.

Ich lasse Sie allein zu der Expedition! Leise zum Magister. und will nebenbei suchen, den Vogel an seinen Federn zu erkennen, der meinen Jungen verführte! Er geht.

MAGISTER
zu Krabbe.
Gute Verrichtung! Folgt dem Baron. Beide rechts ab.
KRABBE.

Nimm dich zusammen, gekränkter Vater, sei ein Mann! Er richtet sich gravitätisch auf, die eine Hand auf den Tisch gestützt, die andere mit den Rechnungen auf dem Rücken.

[35]
4. Szene
Vierte Scene
Krabbe. Julius Krabbe.

JULIUS KRABBE
reißt noch immer singend die Thür auf, den Schleppsäbel unter dem Arm tragend, eine brennende Zigarre im Mund, ganz strahlend von Glück; plötzlich erblickt er seinen Vater, das Lied bleibt ihm im Halse stecken, Zigarre und Säbel entfallen ihm, er starrt ihn erschrocken an.
Herr Gott, mein Alter! O weh!
KRABBE.
O weh? O ja, das: »O weh« soll gleich kommen!
JULIUS KRABBE
faßt sich schnell und fällt ihm plötzlich um den Hals.
Mein lieber Vater! Sie hier? Verzeihen Sie, die Freude, der Schrecken, die Ueberraschung –
KRABBE.
Hätten Dir fast einen Schlagfluß zugezogen – ja – hab's gesehen!
JULIUS KRABBE
ganz heiter.

Das ist wohl ganz natürlich, lieber Vater! Wie konnt' ich auch hoffen, daß Sie selbst kommen würden, meine Schulden zu bezahlen; so viele Güte verdiene ich ja gar nicht!

KRABBE.

Das muß wahr sein! Diese Güte ist mir auch gar nicht eingefallen. Ich komme, Dich heim zu holen; für Deine Schulden kannst Du selbst sorgen.

JULIUS KRABBE
ruhig.
Mich holen, heim holen? Pah, den Gedanken lassen Sie sich vergehen!
KRABBE
aufgebracht.

Was? Morgen am Tag fährst Du mit mir nach Glognitz! Die Trude wird vor lauter Sehnsucht nach Dir immer dicker und es ist an der Zeit –

JULIUS KRABBE
wie oben.

Die Trude kann so dick werden wie Fallstaff, mich bekömmt sie doch nicht, und die Reise nach Glognitz ist jedenfalls für morgen ganz unmöglich, Sie müßten denn heute noch meine [36] Schulden bezahlen wollen! Meine Gläubiger haben eine zu große Anhänglichkeit an mich, um mich ohne Bezahlung ziehen zu lassen.

KRABBE
desperat.

Hol's der Kuckuk! – Mensch, wie kommst Du zu den Schulden? Vier Jahre warst Du der solideste Studiosus – und seit vier Monaten hast Du mehr Geld gebraucht, als – –

JULIUS KRABBE
ihn unterbrechend, pathetisch.

Vater, bis vor vier Monaten war ich eine Auster, eine Schnecke, ein Amphibium – ich duselte nur so in's Leben hinein. Jetzt erst bin ich ein Mensch geworden, jetzt erst begreife ich die Pflichten, die den Menschen zum Menschen machen! – Ich habe Geld gebraucht, Vater, aber – ich bin frei, verstehen Sie? – Die Freiheit kostet Geld, sehr viel Geld; ich bin Mitglied verschiedener Klubs, ich bin fliegender Corpsführer, ich nehme Theil an jedem Zweckessen – ich bin socialistisch-communistischer Republikaner, alle Menschen sind meine Brüder – folglich mußte ich Schulden machen.

KRABBE
seinen eigenen Kopf mit beiden Händen fassend.

Hör' auf mit dem Galimathias, oder ich werde närrisch! Also für Deine Mitbrüder hast Du die Schulden gemacht?

JULIUS KRABBE
keck.
Für wen sonst? Ich habe gar nichts von meinem Gelde gehabt!
KRABBE.

Das glaube ich Dir ohne Schwur! Unglückliches, verlornes Schaf, sage mir, was hast Du zum Beispiel Er zieht eine Rechnung hervor. damit gemacht? Liest. »Ein Körbchen von Gutta- Percha mit glasirten Apfelsinen gefüllt – sechs Thaler

JULIUS KRABBE
für sich.

Teufel, er hat meine Rechnungen! Laut. Ih, Vater, das habe ich in den Klub für Menschenrechte gestiftet, zur An feuchtung, wenn wir heiser werden, denn Sie müssen wissen, wir halten da oft sehr lange und sehr laute Reden.

KRABBE.

So? Er nimmt eine zweite Rechnung, liest. »Ein Kästchen von Schildplatt, nebst zwölf Paar Pariser Damen handschuhen – zwanzig Thaler!« Gehört das auch zum Klub?

[37]
JULIUS KRABBE
sehr ruhig.

Natürlich! Das sind die Handschuhe, die ich in den demokratischen Damen-Verein gestiftet, damit sich die zarten Geschöpfe in der Hitze des Gefechts nicht mit ihren scharfen Nägelchen Schaden zufügen können.

KRABBE.

Was? Die Narrheit wäre auch unter die Damen gefahren? Bursche, Du hältst mich zum Besten! Das hier Er zieht eine dritte Rechnung hervor. gehört wohl auch zur Klubwirth schaft? Liest. »Fünf Bouquets von frischen Kamelien, ein Kranz von lebendigen Maiblumen nebst Busen bouquet – zehn Thaler!« Was machst Du damit im Klub?

JULIUS KRABBE
wie oben.

Aber, Vater! Sie blamiren sich fürchterlich, Sie haben doch in Ihrem Krähwinkel gar keinen Begriff von den Bedürfnissen des parlamentarischen Lebens! Womit sollen wir denn unsere großen Volksredner anders bekränzen, als mit Blumen? Das alles gehört ja dazu!

KRABBE
schlägt die Hände zusammen.
Herr Gott, was man alles zu der Demokratie braucht, da wärst Du ja wohlfeiler Gewürzkrämer geworden!
JULIUS KRABBE
verächtlich.
Krämer werd ich nie, ich mache im Herbst das Staas-Examen – ich bin mit meiner Jurisprudenz fertig –
KRABBE.

Freut mich recht sehr, ich aber noch nicht mit Deinen Rechnungen! Er nimmt wieder eine, liest. »Ein grauer Papagei nebst Käsigt – sechzig Thaler!« – Was der mit der Demokratie thun hat, kann ich nicht begreifen!

JULIUS KRABBE
für sich.

Ich auch nicht! Jetzt weiß ich nichts mehr! Samiel hilf, oder es läßt mich sitzen! Man hört von ferne die Marseilleaise singen. Gott sei Dank! Laut. Da kommt Julius, der kann Ihnen sagen, daß ich den Papagei in seinem Namen kaufen mußte, es war ein Vielliebchen, das er –

KRABBE.
Aber warum bezahlt der Herr Baron nicht?
[38]
JULIUS KRABBE.

Ih, Papa, die Barone haben grade so gut Schulden wie die Gewürzkrämers-Söhne; Gott Lob, wir sind ja endlich in dem Schooß der Gleichheit angelangt!

5. Szene
Fünfte Scene
Vorige. Julius. Baron unter der Thür rechts.

JULIUS
der fortsang, bis er eintritt.
Bon soir, Julius! Ah – Du hast Gesellschaft?
KRABBE
giftig.

Ja, zu dienen, Herr Baron! Ich habe mir die Freiheit genommen, meinem Herrn Sohn auch einmal die Aufwartung zu machen!

JULIUS KRABBE
Julius zuwinkend.

Mein Vater, lieber Julius, der sich so eben wunderte, den Papagei unter meinen Rechnungen zu finden, den ich neulich für Dich gekauft habe.

JULIUS
etwas frappirt.
Für mich? – Ach ja so – in meinem Namen – verstehe! Ja, damit hat's seine Richtigkeit.
KRABBE
giebt ihm mit einem Kratzfuß die Nota.
Na, denn werden der Herr Baron auch wohl die Güte haben, die Nota zu bezahlen?
JULIUS.

Ich? O bitte recht sehr – ich – Julius Krabbe macht hinter Krabbe's Rücken eine flehende Bewegung. Ja so! Lustig. Geben Sie her, Herr Krabbe! Er sieht hinein, gedehnt. Sechzig Thaler?! Hm! Mit einem Blick auf Julius Krabbe. Ich will nicht hoffen, daß ich mehrere dergleichen Kleinigkeiten verschenkt habe!

BARON
vortretend.
Das hoff' auch ich nicht, ich müßte Dich sonst in einer Irren-Anstalt einkaufen.
JULIUS
sich sehr überrascht stellend.
Was, wie?! Mein Vater! An seinem Halse. Mein lieber einziger Vater! Willkommen in Berlin!
[39]
BARON
guthmüthig, sich losmachend.
Na, na, Junge, sei gescheidt, Du drückst mir ja den Brustkasten ein!
JULIUS
in ausgelassener Freude.

Diese Ueberraschung! Ich wollte nächste Woche zum Besuch nach Gleisenburg kommen, wollte Dir eine Menge Bitten und Wünsche an's Herz legen – und nun hab' ich Dich da! Gott, das Glück!

BARON.

Bitten? Wünsche? Ich denke, ich kenne sie im Voraus. Fange nur gleich damit an. Er stens – soll ich Deine Schulden bezahlen, nicht?

JULIUS.
Ih Gott bewahre – das versteht sich ja von selbst!
BARON.
So? Wirklich! Hast Du denn Dein Geld zum Studium verwendet, daß Du das so ohne Weiteres annimmst?
JULIUS
ernsthaft.

Allerdings! Ich habe die Freiheit und Gleichheit, die deutsche Einheit und Uneinigkeit, die Menschenrechte und – –

BARON
ungeduldig einfallend.

Alles auf breitester Grundlage – etcetera – etcetera – studirt, ja, die Schlagwörter kenne ich; erspare mir die Litanei, ich habe mir des Unsinns genug von dem Herrn an gehört – Auf Julius Krabbe deutend. und da Ihr ein Herz und eine Seele seid, so bist Du ja doch nur sein Echo. Höre mich ruhig an. Jeder Mensch hat seine Epoche der Tollheit, die er durchrasen muß, und die man ihm verzeihen kann. Du hast Deinen Paroxismus – wie ich aus Allem hier sehe – gründlich durchtobt, nun ist's aber genug. Mit Deinen Studien bist Du fertig – morgen zahle ich Deine Schulden – und übermorgen gehst Du mit mir nach Gleisenburg, wo ich Deinen Katzenjammer getreulich abwarten werde. Da hast Du mein Ultimatum!

JULIUS
sich sehr beleidigt stellend.

Du sprichst mit mir wie mit einem Knaben – ich bin ein Mann geworden; ich fordere, daß Du auch meine Absichten achtest. Ich bin frei, ich habe meinen Willen – ich bin –

[40]
BARON
gelassen.

Du bist ein Narr, der sich frei glaubt, weil er auf meinen Namen pumpen konnte, der, wenn's mit dem Pump zu Ende ist bald merken wird, daß er von so vielen Herren abhängt als ihm Thaler fehlen. Mein lieber Junge! Freiheit ohne Geld ist ein tüchtiger Hengst für einen Lah men, er kann ihn nicht reiten; was hilft er ihm? Wer Geld hat, ist frei, wer nichts hat, bleibt abhängig, und wenn Ihr die Welt drum aus ihren Angeln reißt. –

JULIUS
zieht die Achseln.

Du bist ein Reactionär, Vater, man muß es Deinem beschränkten Horizont vergeben. Ich sage Dir, ich bin frei, denn ich habe gelernt, ohne Dein Geld durch die Welt zu kommen!

BARON.

Freut mich außerordentlich, nur fürchte ich, wirst Du ohne mein Geld von Deiner Wissen schaft nicht ganz leben können wie ein Baron.

JULIUS
ruhig.

Will ich auch nicht, Papa, brau che ich gar nicht, den Baron hänge ich an den Nagel – der Adel wird ohnedem abgeschafft –

BARON
fährt zurück.
Was! Wer schafft ihn ab?
JULIUS
mit Pathos.

Ich! Wir! Das freie Volk! Der Unterschied der Stände muß abgeschafft werden; siehst Du, schon deshalb – weil es eine Ungerechtigkeit ist – wenn – zum Beispiel – man hat ja Exempel, daß – junge Leute, die sich an Bildung und Herz ganz gleich stehen, durch die ungerechten Privilegien des Standes getrennt – Er stockt abermals. na, kurz – ich habe gute Gründe dazu – der Adel genirt nur, und der Adel wird abgeschafft.Zu Julius Krabbe, der indeß eifrig mit Krabbe sprach. Nicht wahr, Julius?

JULIUS KRABBE
sich rasch umwendend.
Ja wohl, versteht sich, wir schaffen den Adel ab!
BARON.

Ich sage Dir – Sich plötzlich fassend. na, in der Luft wird Alles verrückt, streite mich am Ende noch mit dem dummen Jungen herum über Dinge, die –

[41]
JULIUS
auffahrend.

Papa, das ist Tusch; den dummen Jungen laß ich nicht auf mir sitzen! Ihm näher tretend. Wenn ich Dir auch als Sohn verzeihen könnte, als Soldat darf ich es nicht!

BARON
ganz starr.
Als Soldat? Kerl, ich breche Dir den Hals!
JULIUS
ruhig.

Papa, ich lasse mir den Hals nicht brechen, ich bin zum Wohl der Menschheit nöthig – ich habe mich zu den Freiwilligen nach Holstein gemeldet. Zu Julius Krabbe. Nicht wahr, Julius? Wir sind Beide angeworben?

JULIUS KRABBE
sieht ihn groß an, sehr verblüfft.
Ja wohl, ja, ja, Beide angeworben! –
JULIUS
wie oben.
Wir reisen mit dem nächsten Zug in fünf Tagen ab – nicht wahr, Julius?
JULIUS KRABBE
keck.
Ja – wohl – wir reisen! Alles in schönster Richtigkeit!
KRABBE
fällt rechts in den Stuhl.
O Du Allmächtiger!
BARON
fällt links in den Stuhl.
Freischärler!
6. Szene
Sechste Scene
Vorige. Gottlieb Baldrian tritt ein und bleibt im Hintergrund stehen.

GOTTLIEB.
Na, was ist denn da los?
BARON
aufspringend.
Gegen solche Verrücktheit giebt es noch Mittel, Bursche! Ich lasse Dich einsperren!
JULIUS
trocken.

Das hilft Dir nichts, Papa; mein Verein macht Krawall und dann giebt man mich auf der Stelle wieder heraus!

KRABBE
aufspringend, faßt Julius Krabbe am Arm.
Julius, Du gehst auf der Stelle mit mir nach Glognitz!
JULIUS KRABBE
ruhig.
Dann sind Sie ein verlorner Mann, Vater!
[42]
KRABBE
verblüfft.
Wo so?
JULIUS KRABBE
wie oben.

Weil ich am ersten Tag aller Welt sage, daß ich ein rother Republikaner bin, und dann kauft kein ehrlicher Reactionär in ganz Glognitz mehr ein Schwefelholz von Ihnen.

KRABBE
schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.
Der Bösewicht hat recht. – O ich unglückseliger Vater!
BARON
wüthend auf Krabbe zufahrend.

Ach, Herr, lamentiren Sie nicht wie ein altes Weib; setzen Sie lieber Ihrem nichtsnutzigen Burschen den Kopf zurecht, der allein hat meinen braven Jungen so zum Ungethüm gemacht!

KRABBE
eben so wüthend.

Was! Mein Julius? Das gehorsamste solideste Kind, der fleißigste Student, das arme Lamm, das in die Stricke dieses Beleals fiel – er sollte der Verführer sein? – Bringen Sie lieber Ihren Ausbund von Sohn zur Vernunft! Sehen Sie denn nicht, wie er in diesem schrecklichen Augenblick mit Mühe das boshafte Lachen verbeißt? Er hat meinen armen Jungen verführt!

JULIUS KRABBE.
Nein, Vater, das verbitte ich mir, ich bin selbst Manns genug, mich zu verführen!
JULIUS
mit Pathos.

Er hat mich, ich ihn nicht verführt; die Sympathie der Seelen führten uns zusammen, und wir sterben auch miteinander, wie wir lebten – nicht wahr, Julius? Ihn umschlingend, leise. Stimme mit ein, je toller, je besser! Laut. Auf den Schlachtfeldern Holsteins singen wir noch fallend, Arm in Arm – Singt. »Schleswig-Holstein- stammverwandt!«

JULIUS KRABBE
singt aus vollem Halse mit.
GOTTLIEB
für sich, ganz elektrisirt.
Sind doch ein Paar Prachtjungen das!
BARON
sie auseinander reißend.
Ich drehe Dir das Genick um, Junge!
KRABBE
von der andern Seite Julius Krabbe an sich reißend.
Bursche, willst Du mich närrisch machen?
[43]
BARON.

Julius! Verrückter Kerl! Ich wollte mir lieber gefallen lassen, daß Du zehn Mal so viel Schulden und zwanzig Liebschaften hättest, als daß ich Dich so wieder finde!

KRABBE
zu Julius Krabbe.

Julius! Ich wollt' mir lieber gefallen lassen, daß Du zwanzig Mal weniger Schulden und zehn Liebschaften hättest, als daß Du den Freischärler spielst!

JULIUS
zum Baron, lauernd.

Ja, das glaube ich Dir, Papa, zwanzig Liebschaften geständest Du mir zu – aber eine, die nicht nach Deinem Sinn wäre, dafür bedanktest Du Dich, o ich kenne das! – Als ich Dir vor drei Monaten vom Heirathen schrieb, gabst Du mir zur Antwort: »Du würdest mich unter Vormundschaft stellen lassen, in zehn Jahren sollte ich einmal wieder daran denken.« Nun siehst Du doch wohl ein, etwas muß der Mensch vergöttern, wenn er jung ist – Hymen darf mein Gott nicht sein, so hab' ich mich denn der Bellona in die Arme geworfen und dieser bleib' ich treu! – Ich lasse Dir Bedenkzeit bis morgen, Papa – das ist Alles, was ich für Dich thun kann; giebst Du dann Deine Einwilligung zu der Reise nach Holstein nicht, so gehe ich durch! – Nicht wahr, Julius?

JULIUS KRABBE
zu Krabbe.

Ja, Vater, hören Sie, bis morgen Einwilligung, oder Durchgang! Aber trösten Sie sich, wir kommen ruhmgekrönt als Leichen wieder oder gar nicht! Er horcht plötzlich auf. Julius, hörst Du nicht das Allarmhorn?

JULIUS
horchend.
Richtig, man bläst! Er will fort.
BARON
auf ihn zueilend.
So bleib' doch – höre, ich will – Er faßt seinen Arm.
JULIUS
trocken.
Entschuldige, mich ruft die Pflicht!
KRABBE
faßt Julius Krabbe's Arm.
Du sollst mir nicht von der Stelle!
JULIUS KRABBE
pathetisch.
Lassen Sie mich, wir haben den Dienst! Wieder aufhorchend. Hören Sie nicht? Nun trommelt es gar!
[44]
KRABBE
ganz entsetzt, lauscht.
Ich höre nichts!
BARON
horcht.
Ich auch nicht!
JULIUS
gleichfalls horchend.
Allerdings, man bläst, man trommelt, es ist Krawall! Rasch durch die Mitte ab.
KRABBE
läßt Julius Krabbe los und sinkt auf einen Stuhl.
Barmherziger!
JULIUS KRABBE
zieht den Säbel.

Krawall ohne uns, das könnte schrecklich enden! Das Vaterland ruft, wir schützen Euch! – Er läuft rasch durch die Mitte ab.

7. Szene
Siebente Scene
Baron. Krabbe. Gottlieb Baldrian.

BARON
ganz wüthend.
Gottlieb, halt' Er mir den Jungen fest!
GOTTLIEB
trocken.

Werde mich hüten! Wenn so junges Blut in's Kochen kommt, muß man es überlaufen lassen, das ist gesund! Er tritt zum Fenster.

KRABBE
vom Stuhl auf die Knie fallend.
O Gott, du Allgerechter! Krawall! Der Herr erbarme sich!
BARON
zornig hin und her gehend.
Ach, Herr Krabbe, machen Sie sich nicht lächerlich, es rührt sich ja nichts!
GOTTLIEB
am Fenster.
Da gehen die jungen Herren Arm in Arm über den Platz, sie lachen aus vollem Halse, die Schelme!
KRABBE
zitternd.
Aber hören Sie nur das furchtbare Trommeln!
BARON
wie oben.
Ach, Sie sind verrückt, das sind die Droschken, die durch die Straßen rumpeln!
KRABBE
steht mit einem tiefen Athemzug auf.
So – meinen Sie? Ist also kein Krawall?
[45]
BARON.

Pah, das konnten Sie ja wohl gleich merken, daß die Spitzbuben uns nur so etwas vormachten, um fort zu kommen! Vor ihm stillstehend. Hören Sie, die Rechnungen Ihres Julius scheinen mir sehr verdächtig, das sind Alles Geschenke für Damen, der hat Liebschaften, verlassen Sie sich drauf!

KRABBE
verblüfft.
O, wo so? Liebschaften? Das unschuldige Lamm! So was soll ich erleben?
BARON.

Na, wenn wir nichts Schlimmeres erlebten, könnten wir Gott danken! Alle Tausend Wetter! So toll hab' ich es mir doch nicht gedacht! Die Bursche sind ja gradezu des Teufels!

GOTTLIEB.

Ja, unser junger Herr ist, mit Permission zu sagen, toll genug! Aber – da hat er dem Herrn Baron doch etwas aufgebunden, wenn er sagt, er habe sich der Bellona in die Arme geworfen – ne, die heißt ganz anders!

BARON
sieht ihn groß an.
Gottlieb Baldrian, schwatze Er nicht so stupid! Das ist keine Liebste, das ist die Kriegesgöttin!
GOTTLIEB.
So? Ist möglich – aber der Barbier hat mir doch eine ganz Andere genannt!
BARON
hin und her gehend, ohne auf ihn zu hören.

Mit Zwang ist in diesem Stadium gar nichts mehr zu machen! Und reisen lassen kann ich ihn doch auch nicht. Gäbe es denn kein Mittel, ihn zu halten? Er schlägt Krabbe, welcher ängstlich durch das Fenster auf die Straße sieht, kräftig auf die Schulter. Herr Krabbe!

KRABBE
zusammen zuckend.
Gott, du Gerechter! Was giebt's?
BARON
barsch.
Zum Teufel, fällt Ihnen denn gar nichts ein?
KRABBE
kläglich.

Mir? Mir fällt niemals etwas ein – aber meine Alte fällt um, wenn der Julius in die blutige Schlacht zieht. O ich unglücklicher Vater!

[46]
GOTTLIEB
zwischen Beide tretend.

Aber mir fällt was ein, Herr Baron! Mit Permission, Sie hätten den Herrn Julius nicht so schnöde abfahren lassen sollen, als er vom Heirathen schrieb. Ich sage Ihnen, er hat eine unglückliche Liebe, und die treibt ihn in den Krieg.

BARON
frappirt.
Was schwatzt Er da? Woher weiß Er das?
GOTTLIEB.

Woher? Von mir selber, mit Permission! – Glauben Sie, ich bin Anno Vierzehn aus Patriotismus wie blind in's Feuer gelaufen? – Die große Liese hat mir der Vater nicht geben wollen, weil sie rothe Haare hatte, und mir gefielen grade die rothen Haare – und ich hätte fast den blassen Tod davon gehabt. Und so geht's dem Herrn Baron Julius auch; wenn ich auch nicht behaupten will, daß seine Liebste grade rothe Haare hat, aber er hat nun mit Permission doch eine Liebste, das hat mir der Barbier anvertraut.

BARON.
Was für ein Barbier?
GOTTLIEB.

Na, der Ihnen vorhin den Bart abnahm, dem Herrn Julius sein Bartscheerer, der hat mir gesagt, daß der junge Herr eine Liebe hat auf Tod und Leben. Nun meine ich eben: das beste Mittel, ihn zur Raison zu bringen, wäre, daß Sie ihm eine Frau gäben, denn da bekäme er Subordination, und ohne die geht's einmal nicht. Sie sollen sehen, er läuft Ihnen fort, und ist er einmal unter die »Meerumschlungen« hinein gefallen, dann können Sie nur gleich Adieu von ihm nehmen: die einzi gen Söhne suchen sich die Kugeln immer zuerst.

BARON.

Der alte Bursche hat recht; eine Heirath wäre das sicherste Mittel – aber – warum sollte denn grade mein Junge heirathen? – Herr Krabbe!

KRABBE
der immer am Fenster lauschte, erschrocken.
Herr Baron!
BARON.

Mein Julius ist zu jung zum Heirathen. Wissen Sie für den Ihrigen keine Partie? Dieseinsèparables lassen ja nicht [47] von einander! – Ver heirathen Sie Ihren Julius, so denkt er nicht mehr an den Kreuzzug nach Holstein, und der meine geht nicht, weil der Verführer hier bleibt.

KRABBE
giftig.

So? – Nein, Herr Baron, ich habe keine Partie für den Jungen als die dicke Trude, und die konnte er schon als Knabe nicht ausstehen; er ist ja auch noch ein unmündiges Kind, was sollte der mit einer Frau? Aber Ihrem Leichtfuß könnt' es nicht schaden, wenn Sie ihn unter einen hübschen Pantoffel brächten, und der hat doch schon eine Liebste. Wenn aber mein Sohn erst seinen Verführer gefesselt sieht, so geht er ruhig mit mir nach Glognitz.

BARON
mit dem Fuß stampfend.
Nun, dazu gehört doch blinde Vaterliebe, um nicht zu sehen, wer da verführt und Verführer ist!
KRABBE
boshaft.
Ja, ja, so scheint mir's auch! Für sich. Ist das ein alter Maulwurf!
8. Szene
Achte Scene
Vorige. Gustav.

GUSTAV.

Sie werden entschuldigen, ich wollte haben die Ehre, zu sprechen mit dem gnädigen Herrn von Gleisenburg!

BARON
verdrießlich.
Gehorsamer Diener! Was steht zu Dienst?
GUSTAV.

Mein Name ist Gustav Rosenberg. Ich soll empfehlen meinen Prinzipal, den Herrn Banquier Löwenthal, und soll überreichen dem Herrn Baron die gewünschte Rechnung.

BARON.
Ah so, geben Sie gefälligst! Wird eine schöne Serie sein!
GUSTAV
überreicht sie ihm.
O bitte, Kleinigkeit für den gnädigen Herrn!
BARON
hineinsehend.
Alle Wetter! Dreihundert Louisd'or! Was hat er mit all dem Mammon gemacht?
[48]
KRABBE.

Gott, da fragt er auch noch! Haben Sie denn nicht gehört, Herr Baron, die Demokratie hat man nicht umsonst?

GUSTAV
höhnisch.

Besonders wenn man sie betet an in der Gestalt von einer raizenden jungen Dame, bei der man mit tausend kleinen Aufmerksamkeiten – die am Ende machen großes Geld – die nobelsten Bewerber will stechen aus.

BARON
hoch aufhorchend.
Wie ist das? Sie wollen damit sagen – –
GUSTAV.

Daß ich nicht kann glauben, wie Ihr Herr Sohn sollte solche Summen für politische Zwecke haben verwenden können. Ich kann Ihnen sagen, daß ich bin ein Republikaner vom reinsten Wasser und daß mich das nicht kostet einen Pfennig – im Gegentheil! Wenn wäre die Demokratie so theuer, wie sollte sie haben so viele arme Anbeter?

BARON.

Hat der Bursche eine Liebschaft? Alle tausend Wetter, Herr, machen Sie nicht so viel Gequengle, rücken Sie heraus mit der Farbe!

GUSTAV
für sich.

Der ärgert sich; ich werd' nehmen Revange für meinen Prinzipal! Laut. Ich habe zwar nicht das Glück zu kennen persönlich den jungen Herrn Baron – allein ich weiß doch sehr gewiß, daß er macht die Cour auf Tod und Leben an eine junge schöne Wittwe, die –

BARON
finster.
Hat sie einen guten Ruf?
GUSTAV
gedehnt.

Nun – ja – man kann ihr nicht nachsagen Schlechtes. Es ist eine respektable junge Frau, nur ein wenig sehr kokett und außerordentlich freisinnig, hat übrigens die solidesten Bewerber. Sie soll aber sein sehr portirt vor die Herren Studenten, und also hätte wohl Ihr Herr Sohn die besten Hoffnungen.

BARON
sieht ihn scharf an.
So hat sie eine Liebschaft mit ihm?
[49]
GUSTAV.

Das habe ich nicht gesagt; ich habe nur gehört, daß er soll werden ausgezeichnet von der schönen Frau von Schönhelm und daß er dort ist sehr viel in Gesellschaft.

BARON.
Und wo wohnt die Dame?
GUSTAV.
Friedrichstraße 320, Bel-Etage im ersten Stock, zu dienen!
BARON.
Hm, hm! Danke, Herr Rosenberg! Er zieht die Börse und macht Anstalt, ihm etwas zu geben.
GUSTAV
höchst beleidigt.

Verzeihen Sie, Herr Baron, ich will nicht hoffen, daß Sie mich ansehen vor einen Bedienten? Wenn ich Ihnen habe erwiesen einen Dienst, so geschah es aus Achtung vor Ihr graues Haar. Für sich. Und weil ich hab' können einbrocken dem Nebenbuhler von meinem Prinzipal eine gute Lection. Laut, mit einer affektirten Verbeugung. Mich zu allen fernern Dienstleistungen bestens empfehlend, aber wohl zu merken, gratis, Herr Baron! Stolz. Ich werde haben die Ehre zu führen den Beweis, daß ein Handlungs- Commis kann sein nobler als mancher Baron! Ab durch die Mitte.

9. Szene
Neunte Scene
Baron. Gottlieb Baldrian. Krabbe.

GOTTLIEB.

Herr Baron, mit Permission, darf ich den unverschämten Windbeutel nicht mit einem sanften Stoß die Treppe rascher hinunterbefördern? –

BARON
lacht.
Laß gut sein, Gottlieb – nun wissen wir doch wenigstens, wie die Bellona heißt!
GOTTLIEB.
Sehen der Herr Baron, der Barbier hatte doch recht! Ich hatte nur den Namen vergessen.
[50]
KRABBE
sehr vergnügt.

Nun, da haben der Herr Baron ja das Mittel; nun können Sie gleich hingehen und werben für den Herrn Sohn; eine schöne Frau »von«, in der Bel-Etage, die Liebschaft macht dem jungen Herrn alle Ehre. Für sich. Gottlob, daß es nicht mein Julius ist!

BARON.

Eine schöne kokette Wittwe, freisinnig, mit einer Masse Courmacher? Das will denn doch noch untersucht und viermal überlegt sein; und wer weiß, ob so eine Frau dran denkt, einen Studenten zu heirathen. Das können Sie mir glauben, Ihr Julius hat seine Apfelsinen und Handschuhe nicht an eine Alte verschenkt. Ihm näher tretend, sehr freundlich. Sie sollten sich doch ein wenig auf's Spekuliren legen, alter Herr! Ihrem Julius wäre mein Mittel höchst nöthig! – Komm Er mit, Gottlieb, ich will darüber nachdenken! – Herr Krabbe, thun Sie desgleichen! Rechts ab mit Gottlieb.

KRABBE
allein, ihm nachsehend.

Ei, sieh einmal an, der Herr Baron sind ja gewaltig schlau und meinen es sehr gut! Ich soll meinem Jungen das Mittel eingeben, damit der seine kurirt werde von der Verrücktheit? Danke gehorsamst! Nein, sein Julius soll heirathen, das wäre allerdings das Beste! Aber wie das anstellen? Pause. Wenn ich das Herz in beide Hände nähme, wenn ich das Feld einmal selbst sondirte und der Frau von Schönhelm meine Aufwartung machte? Friedrichstraße 320 – den Muth hätte ich dazu – aber die Gardero be? – Wenn mir meine Alte nur den schönen grünen Frack eingepackt hat, dann wäre mir gleich geholfen. Hm – muß doch einmal nachsehen! Im Begriff abzugehen. Einen Vorwand zu dem Besuch wird mir ja der liebe Himmel wohl eingeben!Es klopft an der Mittelthür, er fährt zusammen. Herr Gott, da klopft's! Ich bin so schreckhaft geworden in dieser Wolfsschlucht, daß ich vor meinem eigenen Schatten zittere! Es klopft wieder. Na, was soll's denn geben?

[51]
10. Szene
Zehnte Scene
Krabbe. Fritze.

FRITZE
steckt den Kopf zur Thür herein.
Wenn nur der ole Magister nicht hier ist – Erblickt Krabbe. Hurrrjeh – da ist ein Anderer!
KRABBE
sehr sanft.
Was willst Du, mein Junge?
FRITZE
näher kommend, für sich.

Ne, des ist ene einzige Figur! Jott, wenn wir den im Klub hätten, der brauchte sich auf keenen Eckstein zu stellen, daß man ihn sähe.

KRABBE
immer ängstlicher, sieht ihn von der Seite an, für sich.
Was sieht mich der Bursche so verdächtig an? Laut. Liebstes Kind, was willst Du denn?
FRITZE.

Kind? Na, ich dächte, das hätt' ich überstanden! Junge heeßt man mir, Mitglied vom Lindenklub, wenn ich bitten darf.

KRABBE
für sich.

Lindenklub? Himmlischer Vater, richtig wieder solch ein Krawaller! Laut. Wenn Du hier nichts zu suchen hast, so geh' Deiner Wege!

FRITZE.
Na nu – man nich gleich so patzig! Ich suche den Herrn Julius Krabbe.
KRABBE.
So? Der ist nicht zu Hause und kommt erst morgen früh wieder.
FRITZE.

Erst morgen? Na, gut'n Morgen! Die Emma weint sich die Augen aus dem Koppe, wenn er ihr Billet nicht heute noch kriegt.

KRABBE
sehr rasch.
Die Emma? – Welche Emma?
FRITZE
sieht ihn groß an.
Na – unsre Emma – Tantens Tochter – meine Cousine.
KRABBE.
Wer ist denn Deine Tante?
[52]
FRITZE
wie oben.
Ih Herr Je, des wissen Sie nich? Das ist ja die Frau Försterin Klammer, Vaterns Schwester!
KRABBE.
So? Aber wer ist denn Dein Vater?
FRITZE
wie oben.
Ih nun – das ist der Herr Portier in Geheimeraths Hause, Friedrichstraße Nummer 320.
KRABBE
für sich.

Ih der Kuckuk – schon wieder Friedrichstraße 320. Laut. Das ist wohl ein schönes Haus, mein Söhnchen?

FRITZE
wichtig.

Hurrrjeh! Zehn Fenster Front, drei Stockwerke, Hoff und Hinterhaus nebst sehr schönem Jartenvergnügen.

KRABBE
eben so wichtig.
So, auch Gartenvergnügen?
FRITZE.

Woll! Da ist ja die Geschichte eben angegangen mit dem Julius und die Emma; sie hat ihr Zimmerchen nach'm Jarten; da ist er immer gekommen ganz heimlich in die Nacht – die Tante schläft nach die Straße und hat nischt nich gemerkt – und da haben sie geflüstert und haben phantasirt von dem silbernen Mond und die joldenen Sterne und die wohlzuschlafende Nacht! Und ich hab' mich denn immer auf den Hoff gestellt und gelauert.

KRABBE.
Ei, das war nicht hübsch von Dir, daß Du sie belauscht!
FRITZE
ernsthaft.

Das geschah von wegen die Geistesbildung! Bedenken Sie man, ich werde von Ostern übers Jahr ingesegnet, da muß ich mir doch bekannt machen mit meinen Menschenpflichten! – Ach, Sie haben gar keinen Begriff nicht, wie schön der Herr Julius gesprochen hat: von die Tugend, von die Herzensreinig keit und von die reellen Absichten – und die Emma hat die hellen Thränen geweint und dazu ihm die Hand hinausgereicht – und was hat er sie geküßt die Hand, daß es nur so schnallte! Hurrrjeh, des mach' ich man Alles och so!

[53]
KRABBE
für sich.

Nu, das wäre ja eine schöne Neuigkeit! Laut. Aber was soll's nun mit dem Auftrag für den Herrn Julius? Ich bleibe hier, bis er kommt, kann ich das nicht besorgen?

FRITZE
sieht ihn lauernd an.
Wer sind Sie denn?
KRABBE.

Ich – ich bin ein alter Freund seines Hauses; Du kannst mir das Billet vertrauen, er soll es gewiß heute noch haben!

FRITZE
sich hinter den Ohren kratzend.

Na, hören Sie, wenn ich das wüßte! Vertraulich und geheimnißvoll. Sehen Sie, wenn er's nich kriegt, so kommt er heute Nacht unter das Fenster, und sieht die Emma heraus – so giebt's Keile, denn die ole Tante – na, die kann's! Und geht die Emma nicht, so weiß der Herr Julius nich, was los ist.

KRABBE
ungeduldig.
So gieb mir nur das Briefchen!
FRITZE
unschlüssig, von einem Bein auf's andere tretend.
Ja, ich möchte woll, wenn ich – Entschlossen. Können Sie mich nich sagen, was die Glocke ist?
KRABBE
zieht die Uhr.
Acht Uhr vorbei!
FRITZE
erschrocken.

Achte? Es ist die Möglichkeit! Da ist die Bürgerwehr schon vom Exerziren zurück – und nachher ist Klub angesagt an Kranzler's Ecke, und ich bin noch nicht dabei? – Hurrrjeh – wie habe ich mir versäumt! Er reicht Krabbe das Billet hin. Da, nehmen Sie, mir ruft das Vaterland! Grüßen Sie Herrn Julius Krabben und sagen Sie ihm, das Botenlohn kann er mich morgen per Stadtpost schicken, weil er doch nicht mehr in's Haus darf! Im Ablaufen. Aberscht frankirt, wenn ich bitten darf! Ab durch die Mitte.

11. Szene
Elfte Scene
KRABBE
allein.

Das ist eine Jugend, Gott bewahre! davon hatte ich doch keine Idee, als ich noch Straßenjunge war. Er sieht das Billet [54] an. So, also der Herr Sohn hat doch eine Liebesgeschichte? Das hätte ich nicht hinter ihm gesucht. Er liest. »Herr Julius Krabbe, Wohlgeboren« – richtig ist's. Hm, die Handschrift ist schön; weiß Gott! – solch einen Commis kann ich in Glognitz für funfzig Thaler jährlich nicht auftreiben! Sollte das wirklich nur ein Frauenzimmer sein? Er erbricht den Brief. Mit Erlaubniß, Mamsellchen, ich bin auch ein Krabbe, muß doch sehen, weß Geisteskind sie sind! Mag ein gutes Früchtchen sein, wenn sie ihrem Herrn Cousin gleicht. Sieht nach der Unterschrift. »Deine bis in den Tod getreue Emma Klammer.« Hm, per Du? Na, laß hören, wie der Vogel pfeift! Liest Anfangs ganz gleichgültig, wird nach und nach immer mehr gerührt, bis er am Ende vor Schluchzen fast nicht mehr auslesen kann. »Einzig geliebter Julius! Dein schnelles Fortgehen heute morgen hat die Mutter veranlaßt, Dich für einen Menschen zu halten, der Schlechtes gegen mich im Sinne und niemals redliche Absichten hatte. Ich kann nicht so böse von Dir denken, die Redlichkeit thront auf Deiner edlen Stirn« – ja, das ist wahr, die offene Stirn hat er von mir – »und die Treue glänzt in Deinem klaren Auge« – merkwürdig, aber es ist wahr, der Junge hat meine Augen – »aber Du kennst die Mutter, sie ist brav, aber streng; sie hat mir befohlen, nicht mehr an Dich zu denken! Ohne die Einwilligung Deines Vaters werd' ich Dich nie wieder sehen, noch sprechen. Er muß ein braver Mann sein, da er einen so braven Sohn hat!« – Gott, wie sie mich unbekannter Weise kennt! – »Giebt er Dir seinen Segen nicht, so sind wir geschieden für das ganze Leben! Komm nicht mehr zu meinem Fenster, denn ich darf Dir nicht mehr erscheinen, aber bei dem keuschen Mond, der so oft unsre Thränen sah, bei den ewigen Sternen, die Deine Schwüre hörten, ich werde Dich lieben, so lange ich lebe! Wenn ich Dich nicht wieder sehe, so werde ich sterben, das weiß ich, aber ich weiß auch, Du kommst dann an mein kühles Grab und legst ein kleines Vergißmeinnicht auf den stillen Hügel Deiner bis in den Tod getreuen Emma Klammer!« – Er fällt schluchzend in einen Stuhl. O du arme Emma! du Zierde des Geschlechts!

[55]
12. Szene
Zwölfte Scene
Krabbe. Baron.

BARON
trat schon früher während des Lesens ein und hörte aufmerksam zu, vortretend.

Sehen Sie, Herr Krabbe, nun hat Ihr Julius doch eine Liebschaft; und mit solch prächtigem Mädchen, die so herzbrechende Briefe schreibt! Nun werden Sie wohl nicht länger anstehen, ihn zu verheirathen?

KRABBE
der zornig und beschämt auffuhr.

Ih – das ist wahr, sie schreibt sehr schön und beweglich, aber – Plötzlich ganz verdrießlich. wer weiß, ob das Alles wahr ist. So in's Blaue hinein kann man seinen einzigen Sohn nicht verheirathen!

BARON.
Das sagte ich Ihnen ja – Sie müssen sich eben auf's Kundschaften legen!
KRABBE
entschlossen und patzig.

Ja, das will ich, aber nicht für mich! Ich gebe meinen Sohn keiner Portiers-Consine, noch dazu in demsel ben Hause, wo Ihr Herr Sohn in der Bel- Etage die Cour macht!

BARON
auflachend.
Was? Diese bis in den Tod getreue Emma Klammer wohnt Friedrichstraße –?
KRABBE
unterbricht ihn.

Nummer 320! Ja, im nämlichen Hause, wo Ihres Herrn Sohnes Wittwe florirt! Ganz wüthend. Ih, das hätte ich mir ja gleich denken können, der hat ihn wieder dazu verführt – er muß ja Alles thun, was der Herr Baron thut! Na, nu kriegt er sie nicht, nun grade recht nicht! Er rennt ab links hinein.

BARON.

Nun grade nicht? Nun erst recht! Reibt sich vergnügt die Hände. Warte, alte Pfeffer-Tüte, mir bist du noch lange nicht zu klug! Nun erst soll dein Julius heirathen, das ist so gewiß, als die Wachslichte, die du mir verkaufst, von Stea rin sind! Ab durch die Mitte.


Der Vorhang fällt.
[56]

3. Akt

1. Szene
Erste Scene
Emma allein. Gleich darauf Barbara.

EMMA
sitzt an dem Tische zur Linken und näht, ein Licht auf dem Tische, zuweilen schielt sie nach dem Fenster im Hintergrunde, das auf die Straße sieht.

Gott, wie ist mir das Herz so schwer! Wenn er nun wirklich so schlecht wäre, wie die Mutter sagt. Ich kann's und kann's nicht glauben, er hatte mich doch so lieb. Wenn ihn nur der Fritze angetroffen, wenn er nur meinen Brief bekommen hat!

BARBARA
öffnet das Portierfensterchen und ruft herein.

Emma, sieh doch einmal zu, ob der Fritze nicht vielleicht vor der Thüre steht und schwatzt! Ich werde wohl ewig hier sitzen und Portier spielen? Das paßt sich gar nicht für eine Frau meines Standes! Na warte, dem Jungen will ich einen Denkzettel geben, wenn er heim kommt, daß ihm das Fortlaufen vergehen soll!

EMMA
ist gleich zu Anfang der Rede zum Fenster gelaufen, hat einen Flügel geöffnet und auf die Straße hinausgesehen, sich weit hinauslegend.
Weit und breit nichts zu sehen und zu hören von dem Jungen. Da hält eine Droschke.
BARBARA.

Das geht gewiß wieder hinauf zu Präsidentens; ist heute wie ein Taubenschlag das Haus, als ob es mir zum Possen geschähe! Es klingelt. Na ja, da haben wir's! Sie schlägt das Fensterchen zu.

[57]
2. Szene
Zweite Scene
Emma. Gleich darauf Julius

EMMA.

O Gott, daß der Junge nicht nach Hause kommt! Wenn der Brief in unrechte Hände fiele!Sie tritt wieder zum Fenster. Ach, Himmel, wenn doch jetzt Julius vorüber gehen wollte, ich bin so hübsch allein, ich könnte ihm doch sagen – Sie ist wieder zum Fenster getreten und fährt mit einem lauten Schrei zurück. Ach!

JULIUS
wird von außen sichtbar, hereinsprechend.
St! Du bist allein, das Zimmer ist leer – zwei Worte, süßes Herz!
EMMA
zitternd.

Ach Gott, ach Gott, wenn es die Mutter sähe, sie schlägt mich todt! – Hast Du meinen Brief erhalten, Julius?

JULIUS
erstaunt.
Einen Brief? Du hast mir geschrieben?
EMMA
faltet entsetzt die Hände.
Du weißt das nicht? Ach schrecklich! Was hat Fritze mit dem Brief gemacht?
JULIUS.

Ich war nicht zu Hause, Kind! Jetzt, höre mich, es hat Eile! Ich bin ehrlich, glaube mir, ich bin's, Du mußt die Meine werden oder sonst Keine auf der Welt! Ich habe einen Schritt gewagt, der meinen Vater bestimmen soll, einzuwilligen. – Mißglückt das, so entfliehe ich der väterlichen Tyrannei – und Du mußt mit!

EMMA
weinend.
Ach, Gott, beschütze mich! Niemals, lieber sterben!
JULIUS
von außen heraufkletternd, springt rasch zum Fenster hinein, eilt auf sie zu und umschlingt sie.
Sag' mir das noch einmal, sag' mir's Aug' in Auge, daß Du mich lassen kannst!
EMMA
ist entsetzt bis in den Vordergrund vor ihm geflohen.
Was thust Du? Auf das Fensterchen zeigend. Dort in der Loge ist die Mutter!
[58]
JULIUS
sie umschlingend.

Das ist mir gleich, wenn jetzt die ganze Welt käme, ehe Du nicht »Ja!« gesagt, bringt mich nichts von der Stelle! Es klingelt sehr heftig.

EMMA
fährt zusammen.
Hörst Du, es klingelt? Man kommt – o geh, geh!
JULIUS.

Zu Dir kommt Niemand! Desperat. Emma, wenn Du wüßtest, was ich für Dich zu opfern im Begriff stehe, Du könntest nicht so fühllos sein! Gut, bleibe hier zurück – wenn mein Plan nicht glückt, so ziehe ich morgen nach Holstein und lasse mich auf dem Fleck todtschießen!

EMMA
fällt ihm um den Hals.
Ach Gott, das muß ja nicht gleich sein, warte doch noch ein wenig!
BARON
hinter der Scene.
Na, so führen Sie mich da hinein, ich muß mit Ihnen sprechen!
JULIUS
fährt zusammen.
Herr Gott, die Stimme kenne ich! das wäre zu früh!
EMMA
entsetzt.
Man kommt hierher!
BARBARA
hinter der Scene.
Nur voran, wenn's beliebt! Sie öffnet die Thür rechts, der Baron tritt ein.
JULIUS
wendet sich, so daß er von seinem Vater nicht erkannt werden kann, fliegt rasch zum Fenster, ist mit einem Satz auf dem Stuhl und springt hinaus.
3. Szene
Dritte Scene
Barbara. Baron von Gleisenburg. Emma.

BARBARA
ganz versteinert.
Nun, da bitt' ich zu grüßen!
BARON
der Julius nur vom Rücken sah.
Was war das? Für sich. War das nicht Julius?
EMMA
an allen Gliedern zitternd, fällt, wie Julius zum Fenster hinausspringt, auf beide Knie und bedeckt das Gesicht mit den Händen.
Mutter, ich bin unschuldig!
[59]
BARBARA
die sich von ihrem Schreck nach und nach erholte, kerzengerade auf sie losgehend.
Das will ich hoffen, sonst drehe ich Dir das Genick um!
BARON
dazwischen tretend.
Na nu, gute Frau – Sie sind ein wenig streng.
BARBARA.

Streng? Eine Mutter, die mit einer hübschen Tochter gestraft ist, kann heut zu Tage nicht streng genug sein, daß sie brav bleibt. Zu Emma hintretend indem sie sie aufhebt. Spiel mir keine Komödie vor, Du weißt, die Faxen rühren mich nicht! Der Verstand wird bei Dir auch noch kommen, und ich bin gewiß, daß mir meine Emma dereinst für jede wohlthätige Ohrfeige, die ich ihr applicirte, einen Kranz auf's Grab legen wird. Nun sag', wie kam er herein? ich habe ihm nicht aufgemacht.

EMMA
hastig.

Ach, Mutter, ich auch nicht; ich kann gewiß nichts dafür! Er kam durch's Fenster und war so desperat, und sprach von seinem tyrannischen Vater, und daß er mich entführen wollte. Und da sagte ich: »Nein, ich gehe nicht mit, lieber sterben als unehrlich handeln« – und da wurde er ganz toll und war mit einem Satz zum Fenster herein und sagte, er wollte wenigstens Abschied von mir nehmen, und er sähe, daß ich ihn nicht liebe – und nun gehe er morgen nach Holstein,Schluchzend. und lasse sich auf dem Fleck todtschießen.

BARON
ausbrechend.
Das ist mein Sohn! Der nichtsnutzige Bursche!
EMMA
erschrocken.
Ihr Sohn?
BARBARA
trecken.

Ih, laß Dir nichts weiß machen; ich kenne dem seinen Vater. Zum Baron. Wer wollen wir denn eigentlich sein, wie heißen wir denn, wenn ich fragen darf?

BARON
ärgerlich.

Baron von Gleisenburg heißen wir, Erbherr auf Randan und Schloß Gleisenburg wollen wir sein. Ich hoffe nicht, daß Madame das in Zweifel ziehen!

BARBARA
ruhig.

Ih bewahre, vor mir können der Herr Baron heißen wie Sie wollen und Erbherr sein, wo es Ihnen gefällt. Was aber Ihren [60] Herrn Sohn betrifft – der eben nicht von der schwersten Sorte sein soll – so können Sie glauben, daß Sie den hier nicht finden, da müssen Sie sich schon eine Treppe höher bemühen in die Bel-Etage zur Frau von Schönhelm, dort betet der an, wo so ein vornehmer Herr hingehört.

BARON.

Ja, so sagte man mir allerdings! Allein wie mir scheint, hat er es hier auf das ganze Haus abgesehen, denn er sprang ja so eben vor meinen Augen aus dem Fenster.

EMMA.
Ah – das war Julius!
BARON.
Das ist's ja eben, freilich war es Julius!
BARBARA.

Ach was, dummes Zeug – sag's heraus – Julius heißen viele Leute. Es ist ein Bürger licher, da brauchst Du Dich als Bürgermädchen nicht zu schämen. Es war der Julius Krabbe, und dem seinen Vater kenne ich, den sieht man nur einmal und dann merkt man sich das Gesicht für allemal!

BARON
in dessen Gesicht es hell wird.
Julius Krabbe? Also doch – wirklich. Ja richtig Für sich. die Bursche kleiden sich ja sogar gleich.
BARBARA.

Ja, Julius Krabbe, der seit einem halben Jahr meinem Mädchen nachläuft und ehrliche Absichten vorgab – daß ich ihm das Haus heute früh verboten, das hat seine eigne Ursachen; aber wenn Sie uns für Leute halten, die sich von einem Baron etwas weiß machen lassen, da sind Sie sehr links, guter Herr! Ich hab' allen Respekt vor Ihrem Stand, aber ein Baron kann meine Tochter nicht heirathen, verstehen Sie mich! Wir kleinen Leute haben auch unsere Ehre – das ist die Unbescholtenheit, und darauf halten wir eben so viel, und sind eben so stolz drauf wie Sie auf Ihre viele todten Herren Ahnen, das können Sie mir glauben!

BARON
der ihr lächelnd zuhörte.

Und dazu haben Sie alles Recht, wackere Frau! Sie haben Charakter, Sie gefallen mir; und das Kind hier Emma näher tretend, will sie in die Wange kneifen. gefällt mir auch.

[61]
BARBARA
zwischen Beide tretend.

O ja, das glaube ich Ihnen – die gefällt Ihnen wohl noch besser wie ich? Bleiben Sie hübsch fort mit dem Backenknipen, ich verbitte mir das!

BARON
empfindlich.
Nun Frau, Sie werden doch nicht denken, daß ein alter Mann wie ich –
BARBARA
trocken.

Ih, gehn Sie mir, die alten Barone sind noch schlimmer als die jungen, das kenn' ich aus meiner Jugend her! Besser bewahrt als beklagt, das ist einmal mein Prinzip, und so ist die Emma ein braves Mädchen geworden, die dereinst ihrem Manne Ehre machen wird. Der alte eklige Gewürzkrämer aus der Provinz brauchte gar nicht so patzig zu thun mit seiner Einwilligung, in ganz Glognitz kann der kein Mädchen für seinen Sohn auftreiben, das besser für ihn paßt wie meine Emma.

EMMA
sanft.

Sprich nicht so hart, liebe Mutter, der alte Herr kennt uns ja nicht und wer weiß, was man ihm gegen uns gesagt hat.

BARON
der Emma mit Wohlgefallen betrachtete und sie nicht aus den Augen ließ.

Da müßte der alte Krabbe ja ein Erz-Dummkopf sein, wenn er eine solche Schwiegertochter verschmähte. Aber er denkt gar nicht daran, ich kenne den Alten, ich bin im Gegentheil gekommen, um Sie zu fragen, Frau Klammer, ob Sie Ihr Mädchen dem Herrn Julius Krabbe auf der Stelle zur Frau geben würden, wenn der Alte einwilligte?

BARBARA
sehr verdutzt.
Was? Auf der Stelle? Ih warum nicht gar!
BARON.

Wenn's aber nun kein anderes Mittel gäbe, um ihn von der Tollheit, nach Holstein zu gehen, abzuhalten?

EMMA
flehend.
O Mutter, er will sich ja todtschießen lassen!
BARBARA.
Ja – hat er denn zu leben?
BARON
lachend.
O ja, Frau, der alte Gewürzkrämer ist reich, davon werden Sie die Beweise bekommen.
[62]
BARBARA.
Wirklich? Na, ich will mir's überlegen.
BARON
sehr heiter.

Bravo, Frauchen! Lassen Sie mich gewähren, Sie sollen sich mit dem alten Baron schon aussöhnen. Er reibt sich die Hände. Die erste Commission in dem Hause wäre also glücklich abgemacht, Für sich. nun gilt's noch die zweite in der Bel-Etage. Er kratzt sich hinter den Ohren. Ein saurer Apfel! Muß aber die Teufelei doch einmal untersuchen. Laut. Nun Adieu, Kind! sein Sie froh und heiter, für Krabbe's Einwilligung verbürge ich mich.

EMMA
faßt plötzlich in großer Freude seine Hand.

Was? Wie? Wäre das möglich! Ach sehen Sie nur, da kommen mir vor lauter Freude die Thränen! Wenn Sie das zu Stande bringen, dann – dann falle ich Ihnen um den Hals und küsse Sie, und wenn mir die Mutter auch nachher den Hals umdrehte. Ach, wird er denn Ja sagen?

BARON
ganz elektrisirt.

Wenn er Sie sieht und spricht wie ich jetzt, so müßte er fühlloser sein wie sein Gummi-Elastikum und zäher wie seine Pfefferkuchen, wenn er Sie nicht am Kopf nähme wie ich jetzt – Er giebt ihr einen tüchtigen Kuß. und sagte: »Komm, sei meine Tochter!« Lassen Sie mich nur machen, sein Sie guten Muthes – Sie sollen erfahren, daß ich ein ehrlicher Baron bin.Ab rechts.

BARBARA.

Ein ehrlicher Baron! Na, das will ich glauben, sobald ich's sehe! Ich stehe da wie versteinert. Läßt sich das Mädchen abküssen und schreit nicht einmal.

EMMA
ganz selig.

Ach Mutterchen, hast Du denn nicht gehört, der gute alte Herr wird ja Alles machen und ich und mein guter Julius, wir werden glücklich sein. Die Wonne prickelt mir bis in die Fußspitzen; Mutter, sei gut, Du mußt mit mir singen, tanzen und springen, sonst werde ich närrisch und die Freude drückt mir das Herz ab! Sie fällt ihr um den Hals.

BARBARA.

Ist mir grade so! Zum Herd wollen wir tanzen, ich habe [63] Hunger und am Herzen drückt's mich seit zwanzig Jahren nicht mehr. Im Abgehen. Es geht bei Dir auch vorbei.

EMMA
neben ihr herhüpfend.
Bei mir nicht, Mütterchen, niemals, niemals! Beide ab nach Links.

Verwandlung.
Sehr elegantes Zimmer bei Ewelinen, eine Mittel-und zwei Seitenthüren. Rechts ein Divan und ein Armstuhl. Links Tisch mit einem Armleuchter mit fünf brennenden Lichtern, und mehrere Stühle.
4. Szene
Vierte Scene
EWELINE
in elegantem Gesellschaftskleide kommt aus der Seitenthür rechts.

Mein Gott, wo bleibt er? Sie geht zur Seitenthür links und horcht. Ich höre nichts; es ist längst neun Uhr vorüber, länger als eine halbe Stunde darf ich die Tante nicht allein lassen beim Präsidenten, sie wäre im Stande, herunter zu kommen und mich zu suchen. Sie geht unruhig hin und her. Nein, ich nehme keinen ihrer Protegé's – ich liebe diesen Julius! Gott weiß, wie mir das geschehen konnte, aber er hat mein Herz gestohlen, ehe ich mich dessen versah! – Wenn ich nur über seine Absichten Licht hätte! Ich glaube, wahrhaftig, ich wäre thöricht genug, ihn zu heirathen. Aber es ist etwas so Schwankendes, so Eigenthümliches in seinem Betragen; und – was soll ich ihm denn zu verzeihen haben? Hätte vielleicht sein Vater schon anderweitig über ihn verfügt? Erschrocken. Oder ist er am Ende schon gar verlobt? Das wäre abscheulich!

5. Szene
Fünfte Scene
Eweline. Klara.

KLARA
aus der Mitte rasch.

Gnädige Frau, da ist ein kurioser alter Herr, der sich durchaus nicht abweisen lassen will. Er sagt, er müßte Sie sprechen.

[64]
EWELINE
verwundert.
Nannte er seinen Namen?
KLARA.
Es ist ein Herr Krabbe aus Glognitz, der –
EWELINE.
Das ist ja der Vater des jungen Krabbe – was will der?
KLARA.

Er meinte, er habe Ihnen höchst wichtige Dinge von dem Herrn Baron Gleisenburg dem Vater zu bestellen.

EWELINE
rasch.
Von dem alten Baron? O schnell, schnell – laß ihn herein!
KLARA
geht ab.
EWELINE.

Mein Gott, das ist mir mitten durch's Herz gefahren, Wenn er sich seinem Vater entdeckt hätte, wenn dieser – Sehr heiter. gewiß, gewiß, so ist's!

6. Szene
Sechste Scene
Krabbe. Eweline.

KRABBE
in einem grünen Frack mit langen Schößen und großen Messingknöpfen, hellen Beinkleidern, mit Kappenstiefeln, schiebt sich in großer Verlegenheit zur Thür herein und bleibt, den Hut in der Hand drehend, im Hintergrund stehen.

Bitte ganz gehorsamst um Entschuldigung – daß ich – obschon ich die Ehre habe von Ihnen nicht gekannt zu sein – und zu so später Abendstunde – jedoch – obschon – Mit einem tiefen Athemzug. ja!

EWELINE
ein Lächeln unterdrückend, verbindlich.

Sie sind entschuldigt durch die Wichtigkeit des Auftrags, den Sie, wie Sie versichern, von dem Herrn Baron von Gleisenburg – Sie stockt.

KRABBE
näher kommend, sichtlich erfreut, einen Faden zu finden.

Ja, ja, ganz recht, von dem, oder – wenn es erlaubt wäre zu bemerken, nicht eigentlich von – sondern wegen

EWELINE
sieht ihn groß an.
Ich verstehe Sie nicht!
[65]
KRABBE
schmunzelnd.

Wird sich schon machen; bitte nur um eine ganz kleine Geduld – denn sehen Sie, ich bin zwar ein Mann, der vielfach mit dem schönen Geschlecht in Berührung kommt, denn ich bin der erste Droguist zu Glognitz, habe auch zu Weihnachten Pfefferkuchen und Lichte, wonach Sie sich wohl vorstellen können, daß ich fleißig mit dem andern Geschlechte verkehre – sintemalen dieses jedoch in überwiegender Mehrzahl von Köchinnen, Kindern und alten Weibern repräsentirt wird, so ist man denn doch ein Weniges genirt, mit einer so schönen Dame wie Sie, die Einem gleichsam beim ersten Anblick vor lauter Glanz die Augen verblendet! Für sich. Na, das war doch wohl schön gesagt!

EWELINE
lächelt, geschmeichelt.
Ei, ich sehe, daß man in der Provinz so galant sein kann wie in Berlin!
KRABBE
rasch.

O, noch viel galanter, denn hier sagen's die Leute bloß, dort aber meinen sie's – und ich kann Sie versichern, Sie schmachtend anblinzelnd. daß Sie eine Staats-Frauensperson sind und über die Maßen hübsch anzusehen.

EWELINE
deutet auf's Sopha.

Bitte, wollen Sie nicht Platz nehmen? Für sich. Drolliger alter Kauz, aber gar nicht unangenehm! Setzt sich auf's Sopha und deutet auf einen Stuhl neben sich.

KRABBE
sich sehr geziert nähernd.

Danke gehorsamst! Werde so frei sein! Für sich, indem er sich auf eine Kante des Stuhls setzt, den Hut auf den Boden zwischen die Beine stellend. Herr Gott, hat die ein Paar Augen im Kopfe, die könnte meiner Alten gefährlich werden!

EWELINE
verlegen werdend.
Aber Herr Krabbe – darf ich jetzt nicht um Ihr Anliegen bitten?
KRABBE
tief seufzend.
Ja, das Anliegen! Ich will kurz sein; – sehen Sie, ich habe einen Sohn –
EWELINE.
Ich weiß!
KRABBE.
Sie wissen? Ah so, gewiß von dem Baron von Gleisenburg –
[66]
EWELINE.
Richtig; die jungen Leute sind Freunde!
KRABBE
wie oben.
Ja, leider Gott!
EWELINE.
Leider? Wenn Ihr Sohn so brav ist wie sein Freund, so sind Sie zu beneiden.
KRABBE
verblüfft.

Wie der? Wie der junge Baron? O ja, so brav ist er freilich; aber Gott bewahre jeden ordentlichen Vater vor solchen tollen Burschen, die machen ja Streiche – »Freiheit«, »Gleichgültigkeit«, »Holstein-stammverwandt!«

EWELINE
lachend.

Ach ja so, so meinen Sie das? Das ist ja aber ganz allerliebst, junge Leute müs sen für etwas schwärmen!

KRABBE.

Einverstanden, aber die Zwei schwärmen nicht für etwas, die schwärmen für gar Man ches! So hat mein Sohn hier im Hause eine Schwärmerei –

EWELINE
ihn unterbrechend.

Ach ja, davon habe ich heute gehört! Er liebt die kleine Emma hier unten, und daran thut er sehr wohl, das Mädchen ist grundbrav. Sie könnten den jungen Tollkopf nicht leichter zur Vernunft bringen, als wenn Sie ihm ernste Pflichten auferlegten.

KRABBE.

Hm, so? Das meint der alte Herr Baron auch; er wollte meinen Julius geschwind unter den Pantoffel bringen, damit seinem Sohn die Lust, nach Holstein zu laufen, vergehe, denn die Zwei lassen nicht von einander; wenn der Eine heirathet, geht der Andere nicht allein, folglich – –

EWELINE
rasch, sehr beunruhigt.
Der junge Baron will nach Holstein?
KRABBE.

Freilich, ich meinte aber, Ihr näher tretend. derselbe Zweck würde ja erreicht, wenn der Baron heirathete.

EWELINE
lauernd.
Das wird er gewiß nicht wollen?
[67]
KRABBE
pfiffig.
Das kommt wohl nur auf Sie an!
EWELINE.
Auf mich?
KRABBE
wie oben.
I freilich! der Baron Julius ist ja bis über die Ohren in Sie verliebt!
7. Szene
Siebente Scene
Vorige. Julius Krabbe.

JULIUS KRABBE
im Reisekleid, tritt rasch aus der Seitenthür links ein, so daß er seinen Vater von rückwärts sieht, steht wie versteinert still, für sich.
Herr Gott, mein Vater?
EWELINE
ihn bemerkend, ruft erschrocken.
Ah!Winkt ihm rasch mit der Hand, sich zu entfernen.
KRABBE
sieht sie verdutzt an.

Na, darum brauchen Sie doch nicht so zu erschrecken, das ist ja nichts Böses! Er bemerkt plötzlich, daß hinter ihm etwas vorgeht. Ja, was giebt's denn? Er wendet sich nach Julius Krabbe um.

JULIUS KRABBE
hält schnell das Tuch vor's Gesicht und entflieht durch die nämliche Thür, wo er kam.
KRABBE
mit großen Augen.
Ih Herr Ich! da war ja Einer? –
EWELINE.
Es war – mein Gärtner! Sie ruft. Klara!
8. Szene
Achte Scene
Vorige. Klara.

KLARA
tritt ein.
Zu Befehl!
EWELINE.

Der Gärtner wollte wahrscheinlich meine Befehle betreffs der Blumen für morgen holen. Sage ihm nur, Sie winkt ihr [68] bedeutungsvoll zu. in einer halben Stunde möge er wieder kommen!

KLARA.
Verstehe! Werde es bestens besorgen! In die Seitenthür links ab.
EWELINE
bemüht, ihre Verlegenheit zu verbergen.
Nun, Herr Krabbe – Sie meinten, der Baron sei in mich verliebt? Hat er Ihnen das gesagt?
KRABBE
schlau.

Ne, das nicht, allein ich weiß es! Er kommt zu Ihnen, er muß in Sie verliebt sein; denn wenn ich denke, wie mir zu Muthe ist,Kokettirend. da muß ja solch ein junger Kerl Feuer speien.

EWELINE.
Ha, ha, ha! das ist prächtig!
KRABBE.
Nicht wahr? Nun, Sie können uns unglücklichen Vätern helfen!
EWELINE.
Ich? wie sollte ich?
KRABBE.
Sie sind doch auch ein Bischen verliebt in ihn, nicht wahr?
EWELINE
beleidigt.
Mein Herr, mit welchem Rechte –
KRABBE.
Na nu, machen Sie mir nichts vor! Er geht hier aus und ein –
EWELINE.
Richtig; daraus folgt aber doch nicht, daß ich ihn – liebe?
KRABBE
desperat.
Nun, wenn Sie ihn auch nur heirathen, dann sind wir schon zufrieden!
EWELINE
aufmerksam.
Wie? Wer sind diese »Wir?«
KRABBE.
Nun – Stockt. der alte Baron und ich!
EWELINE
sehr lebhaft.
So kommen Sie also im Auftrage des Herrn Baron?
[69]
KRABBE
sehr verlegen.

Ja – das heißt – ich sollte – na nu – ich sollte einmal zusehen, ob Sie geneigt wären, sich zu der Heirath schleunigst zu entschließen – denn es ist periculum in mora! Ach wenn Sie wüßten –

EWELINE.
Aber mein Herr, ich –
KRABBE
fällt plötzlich vor ihr auf die Knie.

Ach Gott, du Gerechter, erbarmen Sie sich über unsere Noth! Nehmen Sie ihn – thun Sie's aus Menschenliebe! Sehen Sie, das Heirathen ist für junge Leute eine bittere Medizin, die heilt!

9. Szene
Neunte Scene
Vorige. Baron tritt durch die Mitte ein und bleibt ganz erstaunt im Hintergrund stehen.

EWELINE
ohne ihn zu bemerken.
Aber Sie sind wohl toll, mein Herr! so stehen Sie doch nur auf!
KRABBE
ihre Hände fassend.
Richt eher, bis Sie mir versprechen –
EWELINE.
Daß ich die bittere Medizin spielen will? Sehr gütig!
KRABBE
grob werdend.
Was machen Sie aber auch für Umstände! der Baron Julius ist vom besten Adel.
EWELINE
kurz.
Mir ganz gleichgültig!
KRABBE
verblüfft.
Wie? Aber er ist reich!
EWELINE
wie oben.
Das bin ich selbst! Auf derlei lege ich keinen Werth!
KRABBE
desperat aufspringend.
Nun, dann hol's der Kuckuk, dann weiß ich nichts mehr!
BARON
rasch vortretend.

Entschuldigen Sie, wenn ich mich hier eindränge; das Vorzimmer war leer, ich fand Niemand, mich zu melden.

[70]
EWELINE
erschrocken.
Mein Gott!
BARON
mit mühsam verhehlter Wuth.

Herr Krabbe, was spielen Sie hier für Komödie, und rutschen auf den Knieen herum wie ein Ballettänzer – was soll das heißen?

KRABBE
zitternd vor Schreck und Verlegenheit.

Ach, bester Herr Baron, Alles zu Ihrem Nutz und Frommen von wegen der Liebe, welche Ihr Herr Sohn für diese schöne Dame gefaßt, und –

EWELINE
froh, überrascht.
Ah – der Herr Baron von Gleisenburg?
BARON
sich verbeugend, halb verdrießlich, halb sich zur Höflichkeit zwingend.
Zu dienen, meine gnädige Frau!
10. Szene
Zehnte Scene
Vorige. Klara.

KLARA
die zurückkommt, erstaunt.
Ein Fremder?
EWELINE
sie näher winkend.
Hast Du besorgt?
KLARA
leise.
Er war nirgends mehr zu finden.
EWELINE
leise.
So suche ihn im Garten; gewiß ist er dort, und sage ihm – sein Vater sei hier bei mir.
KLARA
geht wieder links ab.
BARON
ihr näher tretend.

Gnädige Frau, Sie wissen nicht, was Sie von mir denken sollen. Ich kam, offen gesagt, um von Ihnen selbst zu erfahren, ob mein Sohn Julius wirklich –

KRABBE
ängstlich einschaltend.
Ob Sie geneigt wären –
BARON
grimmig.
Herr Krabbe!
KRABBE
ohne sich stören zu lassen.
Wie ich schon die Ehre hatte, Ihnen zu sagen –
[71]
BARON.
Ich bitte mir aus, Herr Krabbe –
KRABBE
wie oben.
Durch Ihre werthe Person den jungen Mann zur Vernunft –
BARON
ganz perplex.
Herr Krabbe – diese Unverschämtheit –
EWELINE
anmuthig.

Ich habe sie ihm bereits vergeben, um der guten Meinung willen, die ihr zu Grunde liegt. Ich weiß durch Herrn Krabbe, daß Sie eine Verbindung Ihres Sohnes mit mir wünschen, jedoch – –

BARON
sie schnell unterbrechend.
Haben Sie wohl keine Lust, Ihr Schicksal einem solchen Freiheitsnarren anzuvertrauen?
EWELINE
ernst.

Herr Baron, Ihr Sohn ist ein Mann von Kopf und Herz. Er liebt sein Vaterland und empfindet für das Volk. Ich achte ihn hoch, denn seine Ansichten sind auch die meinen.

BARON.
So! Da sind Sie wohl so etwas wie eine Emanzipirte?
EWELINE
lachend.
In gewisser Beziehung, ja! das heißt, ich bin mein eigner Herr und wähle mein Schicksal selbst.
11. Szene
Elfte Scene
Vorige. Emma.

EMMA
aus der Mitte, schüchtern im Hintergrund.
Gnädige Frau, wenn ich bitten dürfte –
EWELINE.
Ah, meine kleine Emma, was giebt's, Kind, nur näher!
EMMA
vorkommend.
O nur ein paar Worte bitt' ich, aber – Sie sieht verlegen auf die Herren. allein sollte ich –
BARON
zum Fenster tretend.
Nur zu, Kleine, ich störe nicht!
[72]
EWELINE
zieht Emma in den Vorgrund.
Nun, Kind, was bedeutet –?
EMMA
rasch und leise.

Der junge Herr Baron ist unten, dies Billet schrieb er bei uns; ich sollte es Ihnen selbst in die Hand geben, er sagte: Tod und Leben hinge an Ihrer Antwort. Ach, Gott, er ist so bleich und so desperat, daß uns angst und bange wurde.

EWELINE
erschrocken, leise.

Tod und Leben? Mein Gott, was kann das sein! Komm mit mir in's Kabinet! Laut. Entschuldigen Sie, meine Herren, ein dringendes Geschäft – ich bin sogleich wieder zu Ihren Diensten! Ab mit Emma in die Seitenthür links.

12. Szene
Zwölfte Scene
Baron. Krabbe.

KRABBE
der kaum erwarten konnte, bis die Damen ab sind.
O, Herr Baron! Ihr Sohn ist gerettet, was für eine Perle von Frau für ihn!
BARON
mit unterdrückter Stimme, voll Wuth.

Schweigen Sie, Herr, und danken Sie Gott, daß wir in einem fremden Hause sind – ich bräche Ihnen den Hals, wenn ich Sie jetzt allein hätte!

KRABBE
fährt drei Schritte zurück.
Ih Gott bewahre!
BARON.
Wer erlaubt Ihnen, sich in meine Angelegenheiten zu mischen? Wie konnten Sie sich unterstehen –
KRABBE.

Aus Menschenliebe, Herr Baron, um zu sondiren, ob es Hoffnung für Ihren Herrn Sohn gäbe! Gefällt sie Ihnen denn nicht?

BARON.

Als Person – o ja, aber als Frau meines Sohnes – Gott bewahre! Haben's ja gehört, ist auch so eine Freiheitschwindlerin, macht sich nichts aus dem Adel und nichts aus Geld; so Eine brauchte der verrückte Kerl noch! Die Zwei machten mit einander Republick und würfen mich aus meinem eigenen Hause. [73] Da ist Ihr Julius klüger gewesen, der hat sich eine Liebste ausgesucht, für die Sie Gott nicht genug danken können.

KRABBE.
Wie – sie kennen diese Emma Klammer?
BARON
sich etwas zu Gute thuend.

Ich habe mir die Mühe genommen, Mutter und Tochter auszuforschen – Er reibt sich vergnügt die Hände. und habe sie glücklich für Ihre Pläne gewonnen, Herr Krabbe!

KRABBE
ganz starr vor Zorn.

Für meine Pläne? Herr, wer sagt Ihnen, daß ich Pläne habe? Wie kommen Sie dazu, sich in meine Angelegenheiten zu mischen?

BARON
höhnisch.

Aus Menschenliebe, bester Herr Krabbe, grade wie Sie's für mich thaten! Und ich sage Ihnen, wenn Sie das Mädchen nicht als Schwiegertochter acceptiren, so sind Sie rein ver nagelt, denn solch ein Kleinod findet Ihr Julius nicht wieder. Wollte Gott, der meine hätte so gewählt; und daß Sie's nur wissen, das allerliebste Kind von vorhin – das ist sie.

KRABBE.
Die hier herein kam?
BARON.
Dieselbe.
KRABBE.
Ei!
13. Szene
Dreizehnte Scene
Vorige. Eweline. Emma.

EWELINE
etwas bleich, aufgeregt, aber heiter.

Verzeihen Sie, meine Herren, mein Geschäft war nicht zu verschieben! – Herr Baron, ich habe auf Ihren ehrenvollen Antrag von vorhin nichts mehr zu antworten, als daß zwischen dem Herrn Baron Julius von Gleisenburg und mir keine Art von Verbindung mehr besteht, und daß ich Sie bitten muß, auf eine andere Medizin für Ihren Sohn zu denken!

BARON
betreten.
Wie ist das?
[74]
KRABBE
kläglich.
O Gott, du Einziger!
EWELINE
Krabbe sehr freundlich zunickend.

Uebrigens hoffe ich, meine Herren, daß wir gute Freunde bleiben sollen. Ich habe noch einige Kleinigkeiten zu besorgen, wenn Sie mir das Vergnügen machen wollen, den Thee bei mir zu nehmen, so bin ich in zehn Minuten zu Ihrer Disposition! Sie verbeugt sich leicht und sagt im Abgehen zu Emma. Nun, Kind, besorge Dein Geschäft!Links ab.

14. Szene
Vierzehnte Scene
Baron. Krabbe. Emma.

BARON
zu Emma.
Einen Augenblick, liebes Kind! Was ist da vorgefallen, daß die Frau so schnell ihren Sinn geändert?
EMMA.
Ich weiß es nicht, ich bin selbst ganz erschrocken! Ich brachte ihr doch vorhin ein Billet von –
BARON
faßt ihre Hand, herzlich.
Na, nur heraus damit, Kind, mir können Sie Alles sagen!
EMMA.

Ach Gott, ich will es auch, ich habe Sie ja so lieb wie meinen Vater! Nun sehen Sie, der Brief war von Ihrem Herrn Julius, und als ihn die gnädige Frau da drinnen gelesen, wurde sie ganz bleich – ich dachte schon, sie fiele um – aber dann besann sie sich ein Weilchen und dann schrieb sie diese Antwort, die ich ihm hinunter bringen soll, das ist Alles, was ich weiß!

BARON.
Hinunterbringen? Wo ist er denn?
EMMA.

Ei, bei uns, er sitzt bei der Mutter und wartet. – Die Hände faltend. Ach, und wenn er erst erfährt, daß die gnädige Frau nichts mehr von ihm wissen will! – Aber ich vergesse meinen Auftrag, der arme junge Herr – Sie läuft schnell durch die Mitte ab.

BARON
ihr nach.
So hören Sie doch, Kind! Sie ist fort!
[75]
KRABBE.
Alles ist verloren!
BARON.
Nichts ist verloren – Ihr Sohn muß heirathen, die nimmt ihn, dafür stehe ich!
KRABBE
desperat.
Ich gebe meine Einwilligung nicht zu dieser Heirath, niemals!
BARON.

Herr, Sie sind von Gummi-Elastik! Bei Gott, es geschieht Ihnen ganz recht, wenn sie ihn in Holstein zu Frikassee zusammen hauen, Sie sind ein Rabenvater!

KRABBE
verzweifelt.
Ein Frikassee aus meinem Julius? Ich ein Rabenvater! Gerechtester, sieht so ein Rabenvater aus?
15. Szene
Funfzehnte Scene
Vorige. Fritze.

FRITZE
aus der Mitte, zurücksprechend.

Haben Sie sich man nich so, Fröhlen Klara – ick muß selbst mit dem Herrn Baron sprechen, des hat mich Tante befohlen!

BARON
auf ihn zu.
Mit mir?
FRITZE.
Wenn Sie der Herr Baron Gleisenburg sein, denn wird es wohl richtig sind.
BARON.
Der bin ich!
FRITZE.
Na, Tante läßt Ihnen sagen –
BARON
ungeduldig.
Wer ist die Tante?
FRITZE.
Na nu – des ist ja die Frau Klammer, von's Parterre – Sie wissen ja!
BARON.
Ah so, richtig! Was giebt's?
[76]
FRITZE.

Ja, des weeß ich nich, was es geben wird – aber Tante sagte, ick sollte es Ihnen ganz in's Geheim stechen, daß da so eben der Herr Julius Krabbe gekommen ist, daß er in eine Droschke allens seine Bagage bei sich hat – und daß er Ihrem Sohn, den Herrn Baron, sagte, es wäre besser, sie gingen gleich durch – und die Alten hätten kein Herz im Leibe und mit die wäre nischt nich zu machen – und morgen früh um sieben Uhr ginge ein Extrazug für die Freischärler, und da hätte er rasch Alles zusammengepackt – und seine Freunde kämen bald, sie abzuholen, und nun müsse der Herr Baron gleich zur Stelle mit! Und der sagte: »Bonk, ick bin dabei!«

KRABBE
aufspringend.
Was – mein Sohn? Er will abgehen. Ich halte ihn bei den Haaren fest!
FRITZE
der früher mit dem Rücken gegen ihn stand, schreit auf.

Hurrrjeh! des is der Telegraph von heut Abend! Er läuft ihm nach, faßt ihn mit beiden Händen am Arm und zieht ihn kräftig in den Vorgrund. Na warten Sie 'mal een Bisken, mit Sie hab' ick een Wort zu reden! Er stellt sich patzig mit unterschlagenen Armen vor ihn hin. Sie haben mir betrogen, Sie haben mein Vertrauen schändlich getäuscht, wissen Sie deß? Sie denken woll, mit dem Volke kann man nur so umspringen? da sind Sie sehr schief gewickelt, Liebster, damit ist es alle geworden! Was haben Sie mit meinem Brief angestellt, den Herr Julius nicht gekriegt hat? Die Emma hat geweint, die Tante hat mich drei Backpfeifen gegeben, daß mich des Gesichte noch feuert – dafür will ich Rechenschaft oder Entschä digung, verstehen Sie mir?

BARON
hebt den Stock auf und tritt rasch hinter ihn hin.
Die Entschädigung sollst Du gleich haben, wenn Du Dich nicht augenblicklich drückst!
FRITZE
sieht erschrocken zu dem Stock auf, bückt sich plötzlich sehr höflich, sich mit vielen Kratzfüßen zurückziehend.

Bitte recht sehr, ich thu's ohne Entschädigung, Sie wissen ja, mit Güte und für fünf Iroschen ist Allens von mich zu haben[77] – mich schönstens zu empfehlen! Er hat sich indeß bis zur Thür zurückgezogen, öffnet sie, tritt hinaus und schreit dann plötzlich grob. Sie, Musje Telegraph – um 'ne Katzenmusik brauchen Sie sich nicht zu sorgen, det is so ville, als hätten's Sie's schon genossen! Er schlägt die Thür zu.

KRABBE
zitternd.

Himmlischer Vater! Wenn die jungen Republikaner so aussehen, wie müssen erst die alten schmecken! Ach, Herr Baron, die Katzenmusik!

BARON.

Sie sind ein Hans Hasenfuß! Das ist Spaß, aber mit den Jungen wird's ernsthaft! Wir kommen nicht ohne Heirath los. Krabbe, Ihr Julius muß dran, lassen Sie uns sehen, was anzufangen ist! Er will gehen.

16. Szene
Sechszehnte Scene
Vorige. Julius. Julius Krabbe. Beide letztern in Reisekleidern.

BARON
fährt auf seinen Sohn los.
Da hat ihn der Kuckuk!
KRABBE
stürzt auf Julius Krabbe los und faßt seinen Arm.
Da ist er, Gottlob! Beide Julius sprechen jeder zu seinem Vater.
JULIUS
sehr ernst und wehmüthig.
Ich hörte so eben, daß der Zufall uns in diesem Hause zusammen führt – –
JULIUS KRABBE
eben so, aber entschlossener und wilder.
Und da hielten wir es für Pflicht –
JULIUS.
Ihnen ein Lebewohl zu bringen.
[78]
JULIUS KRABBE.

Wir hatten zwar zuerst beschlossen, Sie ohne Abschied zu verlassen, Sehr gerührt. allein das Gefühl der Kindesliebe –

JULIUS.
Und die Ritterlichkeit unserer Charaktere ließen uns eine solche Flucht als feig erscheinen.
BARON
der vergebens suchte zu Wort zu kommen.

Und als unklug, nicht wahr, Herr Sohn? Ohne Geld macht man solche Narrenspossen nicht ganz bequem, es mußte noch ein Sturm auf meine Kasse versucht werden.

JULIUS
mit großartiger Indignation.

Vater – ich vergebe Dir scheidend diese Beleidigung. Er zieht eine volle Börse, mit der er ihm vor den Ohren klimpert. Diese zweihundert Friedrichsd'or entheben mich der Kränkung eines solchen Verdachts.

BARON
erstaunt.
Bursche, woher hast Du das Geld?
JULIUS
ruhig.
Ich habe es gesammelt.
KRABBE.
Julius, hast Du auch solche Sammlungen gemacht?
JULIUS KRABBE
wehmüthig.

Ach nein, Vater, bloß meine Rechnungen haben sich aufgesammelt, die Ihnen als mein Vermächtniß gewiß heilig sein werden! Geld hat Julius – folglich brauche ich keines.

BARON.
Aber wo hast Du denn gesammelt?
JULIUS
weich.
Es sind die Schulden, die ich machte, um für alle Fälle meine Flucht zu sichern.
BARON
auffahrend.
Folglich ist's mein Geld!
JULIUS
trocken, er steckt die Börse ein.

Richt mehr – ich habe es und der Besitz ist das Recht. Es giebt kein Eigenthum mehr. Doch – Du kannst Dich in die neue Zeit nicht finden, darum scheiden wir. Lebe wohl, und verzeihe, was Du nicht begreifen kannst.

[79]
JULIUS KRABBE
fällt Krabbe um den Hals.
Leben Sie wohl, Vater, und suchen Sie zu begreifen, was Sie verzeihen müssen!
KRABBE
weinend.

Mein Julius, mein Einziger – ich lasse Dich nicht! Desperat. Giebt's denn kein Mittel, Dich zur Vernunft zu bringen?

JULIUS KRABBE
rasch.
O ja, es gäbe eines – aber Sie werden es nicht anwenden wollen.
BARON
entschlossen.

Bursche, ich könnte Dich mit Gewalt halten, aber das will ich nicht. Giebt es denn kein Band, das Dich in Güte fesseln könnte?

JULIUS.
Es giebt ein solches, aber Du wirst es nie knüpfen!
KRABBE
schnell zu Julius.
Man muß an nichts verzweifeln, der Herr Baron wird Alles thun, um Sie zu halten.
JULIUS
belebt.

Ja, wenn ich das hoffen dürfte – nach Krieg steht mein Sinn – entweder Frei schärler oder Ehemann! Laß mich heirathen, Vater, dann bleibe ich hier und Du sollst mit mir zufrieden sein.

KRABBE
froh.
Jetzt ist uns Allen geholfen! Der Herr Papa sagt: ja!
JULIUS KRABBE.
Dann sagen Sie auch Ja, Vater; auch ich liebe!
KRABBE
sehr verlegen.
Warum nicht gar!
JULIUS KRABBE.

Ehe oder Schlachtentod, das ist unser Wahlspruch! Was Julius wählt ist auch mein Loos, wir reisen oder heirathen zusammen, das haben wir geschworen.

JULIUS
an seinem Halse.
Und das halten wir!
BARON
stampft.
Nun zum Teufel – so heira thet, Ihr Narren, damit Ihr klug werdet!
[80]
KRABBE.
Lieber Hochzeit als Begräbniß; thue was Du willst.
JULIUS KRABBE.
Bester Vater!
JULIUS
ganz selig.
Vater, ist's wahr? Willst Du mir das schriftlich geben?
BARON.
Schriftlich? Warum?
JULIUS.

Weil man den Augenblick am Schopf fassen muß; Du könntest nachher mit meiner Wahl nicht zufrieden sein, und ich will nur sie, die ich liebe, oder den Tod!

JULIUS KRABBE
trocken.

Vater, Sie unterschreiben meinen Ehe-Contrakt, ich muß für jeden Fall gesichert sein, und wenn Ihnen dann mein Lieb nicht gefiele, so –

KRABBE
pfiffig lachend, reibt sich die Hände.
Gut, komm nur zum Notar, ich unterschreibe.
BARON
schlau lächelnd.
In Gottes Namen, komm mit nach Hause, Du sollst es schriftlich haben.
JULIUS
zieht rasch ein Papier hervor und hält es ihm hin.
Das kann gleich geschehen – hier ist's!
JULIUS KRABBE
hält Krabbe eben so das Papier unter die Nase.
Keine Zeit verloren, da ist der Contrakt.
KRABBE
lachend.
Ih, Du Teufelsbraten! Na gieb her!
JULIUS
auf den Tisch deutend.
Hier, Papa, ist Feder und Tinte.
BARON
der indeß gelesen.

Ein Ehe-Contrakt in bester Form; nichts fehlt als der Name der Braut und der meine. Er geht zum Tisch.

KRABBE
lesend.

Da ist's grade auch so! Pfiffig schmunzelnd. Herr Baron, was meinen Sie? Ich denke, wir können's immer unterschreiben. Er geht zum Tisch.

[81]
BARON
lacht verschmitzt.

Ich denke auch, obgleich ich weniger Ursache zum Vergnügen habe als Sie, Herr Krabbe! Er setzt sich; neckend zu den jungen Leuten. Ihr haltet Euch wohl für sehr weise, nicht wahr? Er unterschreibt.

KRABBE
zu Julius Krabbe eben so.

Hi, hi, hi! Ja, Ihr seid wahre Salomone – aber wir sind auch nicht von gestern, verstanden? Er nimmt dem Baron die Feder aus der Hand und unterschreibt, leise. Aber was machen wir nun?


Beide Julius fallen sich um den Hals und flüstern zusammen, während die Alten sprechen.
BARON
leise zu Krabbe.

Die Bräute müssen zur Stelle! Die hübsche Emma schaffe ich Ihnen herauf, allein die gnädige Frau hier oben, die –

KRABBE
sich die Hände reibend, vergnügt, leise.
Schaffen Sie nur meine Schwiegertochter her, für die Ihrige stehe ich ein!
BARON
wie oben.
Abgemacht! Laut. So, mein Herr Spitzbube, hier! Er giebt Julius den Contrakt.
KRABBE
Julius Krabbe den Contrakt reichend.
Da hast Du's, Schlaufuchs, ha, ha, ha!
BEIDE JULIUS
fallen ihren Vätern um den Hals und rufen.
O liebster Vater!
BARON
schiebt Julius fort.
Schon gut! Ihr bleibt hier und wartet; ich hole Ihr Bräutchen, Herr Julius Krabbe!
KRABBE.
Und ich das Ihrige, Herr Baron Julius!
[82]
JULIUS KRABBE UND JULIUS
zugleich.
Was, Sie wissen –?
BARON
stolz.
Wir wissen Alles!
KRABBE
eben so stolz.

Ja Alles, und werden's sogleich beweisen, daß man uns nicht zum Besten hält! Ab in die Thür rechts, wo Frau von Schönhelm abging.

JULIUS KRABBE.
Ach, Julius, welch ein Glück!
JULIUS.
Das ging herrlich! Wenn nur der Fritze jetzt seine Schuldigkeit thut.
JULIUS KRABBE.
Für den stehe ich!

Der Baron ist indeß nach der Mittelthür gegangen.
17. Szene
Siebzehnte Scene
Vorige. Frau Barbara. Emma.

BARBARA
durch die Mitte.

Ach laß mich, dummes Ding! Was da: Schicklichkeit – wenn sie mir das Haus anzünden, hört alle Schicklichkeit auf. Hören Sie, Herr Baron, da unten ist eine Gesellschaft langbärtiger Herren angekommen, sie sagen: sie wären Freiwillige und wollen Ihren Herrn Sohn und Herrn Krabbe abholen. Gott weiß, wer ihnen in den Kopf setzte, sie würden hier mit Ge walt zurückgehalten – aber sie sehen sehr bedrohlich aus!

BARON
Barbara an der Hand nehmend.

Frau Klammer, Emma, kommen Sie – ich habe ein paar wichtige Worte mit Ihnen zu sprechen! Er zieht sie in den Vordergrund rechts und spricht leise und angelegentlich mit ihnen.

JULIUS KRABBE
leise zu Julius.
Siehst Du, sie sind da; der Fritze ist doch ein kapitaler Junge!
JULIUS.
Dafür soll der Schelm auch einen Thaler haben!
[83]
18. Szene
Letzte Scene
Vorige. Krabbe. Eweline.

KRABBE
sehr gravitätisch Eweline führend, tritt von links ein.

Hier finden Sie den Zitternden, der Ihrer Einwilligung harrt; und Gott wird es Ihnen vergelten, daß Sie einen glücklichen Vater machen!

EWELINE
mit niedergeschlagenen Augen.
Gott gebe, daß ich ihn wirklich glücklich mache!
BARON
führt Emma in die Mitte der Bühne.

Herr Krabbe, eine Freundschaft ist der andern werth. Diese Perle will Ihrem Julius mehr Glückseligkeit bereiten als er verdient; bei Gott, er ist zu beneiden!

EMMA
ohne die Augen aufzuschlagen, zitternd.
Ja, ist's denn wahr, darf ich?
JULIUS
auf Emma zufliegend und sie umschlingend.
Du darfst, Geliebte, denn Du bist jetzt vor Gott und Welt mit Vaters Einwilligung meine Braut!
JULIUS KRABBE
eben so, fliegt zu Eweline und sinkt vor ihr nieder.
Sie haben vergeben, Eweline?
EWELINE
hebt ihn auf, zärtlich.
Ich habe – denn ich liebe Sie, und bin die Ihre!
JULIUS KRABBE
umschlingt sie, kleine Pause.
BARON
der wie versteinert zurückfuhr und nach der Stuhllehne griff.
Was – was ist das? Julius – Emma – was soll das heißen?
[84]
KRABBE
ganz perplex.

Ih Herrjeh, die verhäddern sich ja! Herr Baron, lassen Sie meines Julius Emma los, Sie können mit Ihrem Theil ganz zufrieden sein!

BARBARA
ganz entsetzt.
Was! Sie sind ein Baron, Herr Julius? Ih, da haben Sie uns ja betrogen?
JULIUS.

Nur mit dem Namen, Frau Mutter, nicht mit dem Herzen – ich mußte ja, damit Sie sich überzeugen, daß auch ein Baron ehrlich sein kann. Emma ist mein und bleibt es!

BARON
der in seinem Entsetzen links in den Stuhl gefallen war, springt auf.
Du hast mich betro gen, Bursche, ich nehme meine Einwilligung zurück!
JULIUS
ernst.
Das wirst Du nicht, Vater, und das kannst Du nicht!
EWELINE
lächelnd.

Und es hilft Ihnen auch nicht, Herr Baron, ich kann die bittere Medizin nun einmal nicht sein, die zur Heilung Ihres Herrn Sohnes nöthig ist – ich bin Republikanerin, wie Sie wissen, und halte an meinem Prinzip so fest wie an meinem Besitzthum. Sie reicht Julius Krabbe die Hand.

KRABBE
spöttisch.

Ih, Herr Baron, Sie haben mir ja gesagt, das Kind sei eine Perle, und man müßte vernagelt sein, sie nicht zur Tochter zu wollen; Sie wünschten ja, Ihr Herr Sohn hätte sie gewählt, statt, wie Sie meinten, Auf Eweline. diese Freiheitsschwindlerin – na nun hat er sie ja gewählt, die Perle wird in Ihre Krone verpflanzt, und ich Mit einem tiefen Kratzfuß Ewelinen galant die Hand küssend. danke Gott, der dieses Kleinod meinem unwürdigen Sohn aufgespart.

JULIUS.
Vater, wenn Dir Dein Wappen mehr gilt als mein Glück – so nimm Dein Wort zurück und laß mich ziehen!
BARON
kämpfend.

Nein, nein – lieber eine Bür gerliche in meinem alten Stammbaum als eine Republikanerin. Behalte sie, das Kind [85] gefällt mir – seid glücklich! Wirft Emma in seine Arme, sie fallen ihm um den Hals.

1FRITZE kommt rasch durch die Mitte und schreit. Tante, die Herren Freiwilligen wollen mit Ge walt herauf –

BARBARA.
St! Schrei nicht so! Geheimnißvoll. Weißt Du schon? die Emma wird eine Frau Baronin!
FRITZE.

Hurrrjeh – da soll sie man nur schnell machen, daß sie des Andeken Baronin noch wegkriegt – der Adel wird abgeschafft.

BARBARA
erbost.
Abgeschafft, wenn meine Tochter Baronin ist? Das leide ich nicht!
BARON
der indeß mit Julius und Emma fortgesprochen.

Deinen unruhigen Freunden da unten kannst Du sagen, ich statte funfzig Freiwillige aus, denn ich habe Respekt vor jeder Meinung, wenn sie ehrlich ist, nur in meinem Hause will ich Ruhe haben vor den Tollheiten dieser Zeit. Im Uebrigen mögen alle gute Menschen leben!

JULIUS
an seinem Halse.
Und glücklich sein wie wir!
ALLE.
Ja, glücklich wie wir!

Der Vorhang fällt.
[86]
Fußnoten

1 Für die Regie. Kann, wenn es den Schluß dehnt, wegbleiben.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2011). Birch-Pfeiffer, Charlotte. Dramen. Vatersorgen. Vatersorgen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-3513-0