Johann Beer
Die kurzweiligen Sommer-Täge

oder ausführliche Historia,

in welcher umständlich erzählet wird,

wie eine vertraute adelige Gesellschaft

sich in heißer Sommerszeit

zusammengetan

und

wie sie solche in Aufstoßung

mancherlei Abenteuer

und anderer merkwürdiger Zufälle

kurzweilig und ersprießlich hingebracht.

Zum allgemeinen Nutzen

und Gebrauch des teutschen Lesers

entworfen, auch mit saubern Kupfern

gezieret, an den Tag gegeben durch


Wolffgang von Willenhag


Oberösterreichischen von Adel.

Notwendiger Unterricht und allgemeiner Eingang

[419] Notwendiger Unterricht und allgemeiner Eingang zur folgenden Histori

Es war heißer Sommer, und die heftigen Sonnenstrahlen entzogen viele Menschen von ihren Geschäften. Der Wandersmann mußte sich öfters unter die schattigten Bäume setzen und den meisten Teil seiner Reise lechzend zubringen. Der Schnitter hatte keine andere Labung als das Wasser, welches, von Schweiße gesammelt, ihm über die Backen abrollete, und die man sonsten bei den Büchern studierend fand, sah man anjetzo in den Wäldern ihre Zeit müßig zubringen. In solchem Sommerwetter vergesellschafteten sich etliche von Adel, ihr Leben auf das fröhlichste zuzubringen. Und damit diejenige, von denen hier soll gehandelt werden, nach ihren Namen und angebornen Affecten nicht verborgen sein, wollen wir sie gleichsam zum Vorgeschmack hier abbilden.

So heißet demnach der erste Gottfrid, ein Junger von Adel und mit allen diesen Eigenschaften gezieret, die von einem Edelmann können gefordert werden. Er war ein einiger Erb aller Verlassenschaft seiner seligen Eltern, und ob er wohl zuweilen scheinen ließ, als wäre er verliebt, benahm er doch vielen diese Mutmaßung durch seine sonderliche Andacht, die er zu einem einsamen Leben trug. Er hat die Feder ehe als den Degen in die Hand genommen und war wohl beredet in den Sachen, die zum gemeinen Besten taugten.

Der andere, welcher Friderich heißet, ist von Geburt ein Schott, hat aber wenig Teutsche an der Redlichkeit angetroffen, die seinesgleichens gewesen. Er war die Andacht selbst und doch dabei sehr verliebt, also daß beides bei ihm in gleicher Waagschal stehet, ein solcher Mann, den billig alle Völker zu ihrem Bürger erwählen. Er ist unter die Allerandächtigsten[419] im Lande gezählet worden. Ob er auch gleich verehlichet und mitten in der Welt lebte, hat er doch allezeit diejenige Funken bei sich in dem Herzen geheget, die unter seiner geistlichen Asche ohne Unterlaß hervorgeschimmert haben.

Der dritte wird Dietrich genennet. Er ist zwar ein Armer, aber Redlicher vom Adel, der sich in der Welt ziemlich herumgetan und ein sonderlicher Liebhaber vom Reisen war. Seine Person ist niemanden verdrüßlich als denjenigen, welche die teutsche Redlichkeit hassen. Viel Schulen haben ihn zum Discipul gehabt, und die Bauern, so er unter sich hatte, sind niemalen mit einer unbilligen Steuer beleget worden.

Den vierten heißet man Philipp von Oberstein. Ein Mensch von überaus kurzweiligem Humor, welcher schwerlich weiß, was die Melancholey sei. Er hat allezeit mehr auf einen Hofals Schulmann gehalten, und seine Frau hat eine glückliche Heirat getan, weil sie beide einerlei Sinn hatten.

Der fünfte wird genannt Wilhelm von Abstorff, einer unter diesen, die den Titul der alten Teutschen auf die Nachkommen fortpflanzen und solchen in dem Werke erweisen. Ein Mann von guten Mitteln, aber doch nicht allzu freigebig dabei, doch also, daß man ihn mit keinem Recht geizig nennen kann.

Dem sechsten kommt der Name Sempronio zu. Er ist ein Liebhaber der Waffen, unter welchen er auch seiner Fortun nachstrebte. Sonsten ein Mensch, der auch den allerverdrüßlichsten Sauertöpfen nicht beschwerlich war.

Der siebente ist ein leiblicher Bruder Herren Gottfridens und heißet Christoph. Und diese beide, gleichwie sie an äußerlichen Lineamenten nicht viel unähnlich sahen, also stimmten sie auch an innerlichen Gemütsgaben wohl überein. Doch war in dem letztern eine mehrere Lust zu reisen.

Der achte war mein alter Vater Alexander, und wenn es hier vonnöten wäre, denjenigen nachzufolgen, die eine Gloria in Aufzeichnung ihres Herkommens suchen, so könnte ich dessen Ursprung von etlich hundert Jahren her leichtlich beweisen. Aber damit ich meine eigene Großachtung vor dem geneigten Leser nicht anfangs verdrüßlich mache, will ich,[420] als Autor dieser Schrift, nur bloß vermelden, daß er nunmehr ein erlebter Mann und allgemach nahe bei neunzig Jahren war.

Der neunte war ein Advocat aus der Stadt Ollingen, der das Recht niemalen besser verstund, als wenn er Unrecht tun sollte, sonst eines schmarutzerhaftigen Geistes. In Compagnien nicht gar zu höflich und trefflich disponiert, aufgezogen zu werden.

Der zehente bin ich in Person, welchem dieses Werk, ob es wohl ring und schlecht zu beschreiben, aufgetragen worden. Mein Name heißet Wolffgang von Willenhag.

Und dieses lasse sich also der geneigte Leser zu einem Vorschmack dienen, nach welchem ihm das Licht desto besser aufgehen wird. Es sind zwar hierinnen keine künstliche Revolutionen und Auflösungen zu finden, doch was geschrieben ist, ist vielmehr zu einem Angedenken unserer Nachkommen entworfen worden, auf daß sie auch solche Freundschaft unter-und gegeneinander pflegten, gleichwie wir gepflogen haben. Denn in guter Eintracht wächset das Land, und nimmt eines jeden Vermögen reichlich zu, da sich hingegen im Groll, Feindschaft, Haß und Widerwillen alles zerreißet und verlieret. Deswegen spannen wir dazumal ein Band sicherer Vertraulichkeit, und dadurch haben wir uns nicht allein ein liebliches Leben, sondern unseren Feinden eine Furcht verursachet.

Was sonsten vor Personen hin und wieder mit unterlaufen, derer Namen sind nicht vonnöten, daß sie hier zum Überfluß angezeichnet werden. Und ob der oder jener ledig oder verehlichet gewesen, wird der Text geben. Nur ist zu wissen, daß der erste Schluß dahin gezielet, damit die Gesellschaft eine Reise vornehmen möchte. Aber weil die Sonne sowohl als andere Angelegenheiten dazu verhinderlich waren, meinten etliche, man sollte in schattichten Lauberhütten die Zeit mit lieblicher Musik zubringen, aber dazu würden gar zu viel Unkosten erfordert. Wir folgten auch anfänglich diesem Schluß und kamen öfters in dem Grünen zusammen, weil unsere Schlösser nicht gar zu weit auseinander gestreuet waren; aber man fand endlich des Kopfes [421] Unvermögen, weil durch solche Schwelgereien nicht allein die Kräfte geschwächet, sondern noch dazu viel nötige Hausgeschäfte verabsaumet wurden. Unterweilen brachten wir die Zeit mit Ritterspielen zu, aber es wollte auch nicht auslangen, weil den Pferden der Curs höchst schädlich war. Letztlich wurde der Ausspruch gemacht, die zeitliche Freude auf eine Zeit aus dem Herzen zu bannen, indem sich die meisten entschlossen, in die kühle und schattige Wälder zu gehen, auch in solchen zu versuchen, wie das einsiedlerische Leben schmeckte. Zu solchem Vornehmen brachte sie der fromme Friderich, von welchem zuvor gemeldet, daß er unter die Andächtigste im ganzen Land gezählet worden. Darum machte man sich zu guter Letze bei einer stattlichen Musik und hauptsächlichen Mahlzeit auf dem Schloß Herren Philippens zu Oberstein noch einmal rechtschaffen fröhlich, und nach solcher Zusammenkunft verteilte sich diese adelige Gesellschaft allenthalben in die umliegende Wälder. Ist also dieser kurze Vorbericht die erste Pforte, durch welche ich zu dem Hauptwerk schreite.

Ich will auch hiemit, was meine Beschreibung und diesen Fleiß betrifft, der löblichen Compagnie zu Ehren gar gern und willig verrichtet, aber sie sowohl als den geneigten Leser, dem dieses Buch in die Hand kommt, freundlich gebeten haben, alles mit einem reinen Gemüt aufzunehmen. Ich hab ein Korb voll Obst beisammen, und unter solchem ist gewiß ein oder andere faule Birn. Ich will sie aber gleichwohl keinem vorlegen. Will er sichs selbst zueignen, so ist der Fehler sein. Expressam sæpe imaginem nostram in alienis personis videmus: Wir sehen oft unser eigen Lob und Schand an andern Personen. Was ich aber geschrieben habe, ist niemandem zum Schimpf geschehen, habe auch zuweilen gar mit einem gelinden Faden genähet, da ich wohl einen großen Strick hätte brauchen sollen. Was ich durchaus discurriere, gebe ich vor keine allgemeine Lebensregeln aus, sondern nur vor gewisse Meinungen, die damalen unter uns vorgelaufen sind. Man muß doch in diesen betrübten Zeiten auch ein solches Buch haben, das zugleich fröhlich machet und unschädlich ist: denn eine schädliche Lust ist allerdings verboten, und solche [422] Schriften, durch welche unschuldige Gemüter geärgert werden, gehören vielmehr ins Feuer als in die Hände der Menschen.

Es ist demnach alles mit einer gebührenden Bescheidenheit aufgezeichnet und so viel hierinnen angemerkt worden, als man von der Geschicht hat merken und behalten können. Und ob schon nach Inhalt des Texts auch zuweilen die Schüler haben concipieren müssen, habe ich doch solches Concept in meinen Stilum übergetragen, nit daß es besser wäre gewesen, sondern damit ich nicht zweierlei Essen in einer Schüssel auftrüge. Was sonsten diesem und jenem vor eine Untugend beigemessen worden, ist niemandem präjudicierlich, man weiß wohl, daß das Unkraut auch in den allerherrlichsten Gärten wachse und daß sich das Gold oft mit Kot und Unflat vermischen muß. Der Sonnenhimmel hat auch seine Finsternussen, und die allerhellsten Flüsse werden zuweilen trübe: also geht es auch unter den Menschen verwechselt her, wie dessen folgende Histori genugsames Zeugnus ist, die ich zwar mit keiner zierlichen Beredsamkeit ausgearbeitet, sondern sie also beschrieben habe, daß sie von allen kann verstanden werden.

Erstes Buch

1. Capitul. Wie und wo sie sich in den Wäldern hin verteilet haben
I. Capitul.
Wie und wo sie sich in den Wäldern hin verteilet haben, als sie Einsiedler geworden.

Bis daher ist erzählet worden, wie und auf was vor eine Art sich unsere geführte Lebensart belaufen, auch was es mit einem und dem andern unter unser Gesellschaft vor einen Anfang seines Zustandes genommen. Nunmehr aber bin ich beflissen, dasjenige zu entwerfen, was uns nach dem Abscheiden des Friderichs begegnet ist. Derselbe hat verstandenermaßen in uns allen eine sonderliche Frucht seiner heilsamen Vermahnung unterlassen, vermittelst welcher wir in uns selbst gegangen und alle das Elend zu betrachten angefangen haben, welches dem Menschen von seiner Wiegen an zu begegnen pfleget. Und weil wir aus Ursach dessen ganz andere Menschen geworden, als stelleten wir unsere Lebensart auf eine andere Weise an, welche von der vorigen um ein merkliches entschieden war. Etliche begaben sich halb rauschig, etliche voll Kopfschmerzen, andere aber noch halb voll Schlafes aus dem Schloß Oberstein, alle aber mit einem ernstlichen Vorsatz, das wilde Wesen zu quittieren und eine andere Lebensbahn einzutreten. Derowegen machte ich auch an meinem Ort gute Anstalt, dem Friderich zu folgen, und weil ich in meiner Meinung von seinen Gründen der wahren und nötigen Buße nicht entschieden war, sah ich vor gut an, demselben auch in der Lebensart nachzuähnen und ein einsiedlerisches Leben zu führen.

Es sind auch die meisten unter einem solchen Vorsatz abgeschieden, und weil unsere Weiber bei guter Vernunft, auch im Gewissen trefflich überzeugt waren, bekamen wir um so [424] viel desto bessere Gelegenheit, uns ihnen auf eine Zeitlang zu entziehen, damit wir denjenigen Gütern, welche ewig sind, nachtrachten und uns in einer wahren Andacht eines besseren Glückes möchten teilhaftig machen. Diese Resolution ward allerseits als ein löblicher Entschluß beliebet und eben in der Stunde eingegangen, als wir voneinander Abschied genommen. Philipp begab sich nächst seiner Wohnung in ein liebliches Wäldlein, darinnen ihm die Vögel mit ihrer angenehmen Stimme seine meiste Zeit versüßten. Christoph und sein Bruder Gottfrid geselleten sich zusammen in einen weit ausgebreiteten Tannenwald, in welchem sie ihre Hüttlein an einem rauschenden Bächlein, doch ziemlich entschieden, aufbaueten. Dietrich aber enthielt sich in einem absonderlichen Wald, darinnen er den zeitlichen Eitelkeiten ganz abgesaget hatte.

Mein Vater Alexander war in Betrachtung seines hohen Alters und der Kräfte Unvermögen ohnedem genugsam gekreuziget, weil er der Welt als ein erlebter Witwer nunmehr lange abgesaget und seinen heiligen Betrachtungen bis daher fleißig nachgehangen hatte. Doch vermahneten wir ihn, daß, nachdem er das Vermögen, die Welt zu lieben, verloren, er zugleich den Willen, solche ferner zu lieben, hinweglegen und von sich werfen solle. Also lebte er auf seinem einschichtigen Schlößlein unter lauter andächtigen Schriften und reizete durch sein gutes Beispiel zugleich all sein Hausgesind zur Andacht an, welches in guter Ordnung von ihm unterhalten worden.

Mich anbetreffend, war ich keineswegs willens, mich in eine große Wüstenei, in ein Gebirg oder Waldholz zu begeben, denn ich hatte nunmehr genugsam gehört, wie einsam und widerwärtig eine solche Lebensart auszustehen sei, und daß die wahre Frommkeit nicht in Verwechslung der Örter, sondern vielmehr in Veränderung des Gemütes bestünde. Derowegen erkieste ich vor diesmal, gleich meinem Vater auf dem Schloß zu bleiben und meine einsame Wohnung in einem achteckichten Türmlein aufzurichten, von daraus ich nicht allein das ganze Schlößlein, sondern noch darzu eine ziemliche Revier in der Welt herumsehen konnte.

[425] Solchergestalten bauete man meine Hütte unter den Turmknopf bei den obersten Fenstern, und meine Sophia verschloß sich in einem kleinen Stüblein auf der anderen Schloßseite, also daß wir weder miteinander reden oder aneinander sehen konnten. Und damit es desto friedsamer unter uns zuginge, wigten wir einen verbuhlten Schreiber hinweg, welcher sich kurz vorhero mit der Köchin zu weit in die Schrift gewaget hatte. Das andere Gesind war zur fleißigen Arbeit und Aufsicht angefrischet und der Beschließerin alle Notwendigkeiten anvertrauet, derer man in einem solchen Zustand nicht gänzlich kann enthoben und entübriget sein. Auf eine solche Art wurde ich gleich anfangs innen, was vor eine große Vergnügung es sei, sein eigener Herr zu sein und von allem Welttumult abgesondert leben können.

Ach, wie angenehm war mir meine Klause in dem Türmlein gegen allen diesen Gebäuen, die ich ehedessen hin und wieder in der Welt gesehen hatte! Wie nutzbar war mir die Einsamkeit gegen allen diesen Gesellschaften, derer ich zuvor bald in dieser, bald in jener Zusammenkunft gepflogen! Die Baumrinden, mit welchen ich mein Kämmerlein überdecken lassen, waren mir viel angenehmer als der herrlichste Marmor, mit welchem die Wundergebäue dieser Welt zu prangen pflegen. Mein kleines Glöcklein, durch welches ich das Zeichen zum Gebet gab, war mir in meinen Ohren viel ein angenehmerer Resonanz als die allerherrlichste Musik, welche nur mit Üppigkeit angehöret wird. Mein langer Mönchsrock, welchen ich mir zu meinem Vorhaben verfertigen lassen, war mir weit angenehmer als die allerkostbaresten Kleider, derer man sich nur mit Sorg und guter Vorsichtigkeit gebrauchen kann. Die Bücher dieneten mir weit besser als die Spielkarte, und statt der Würfel ergriff ich mein Paternoster, dadurch mir innerlicher und äußerlicher Gewinn viel mehr als durch jene zugestoßen ist. Statt der häufigen und vor gepflogenen Spaziergänge und Tänze, kniete ich auf meine Knie, und da ich zu vor viel tausend Stunden mit unnützem Geschwätze zugebracht habe, betete ich dermalen desto eiferiger und trug herzliches Leid über alle meine begangene Fehler, die ein Weltmann in der Welt [426] schwerlich entfliehen kann. Ich kann zwar keinesweges sagen, noch viel weniger von mir ausgeben, daß ich fromm und vollkommen gewesen, denn von einer so liederlichen Gleisnerei habe ich mir niemalen traumen lassen, aber gleichwohl muß ich bekennen, daß ich durch dieses Mittel weit von der vorigen Bahne abgewichen und mich selbsten in dem Gewissen in viel eine größere Ruhe gesetzet habe. Ich weiß wohl und ist mir mehr als zu bekannt, daß dem Menschen in seinem ganzen Leben ohne Unterlaß große Sündenflecken ankleben, aber gleichwohl habe ich auch erfahren, daß er durch eine fleißige Aufsicht sich weit von dem Haufen derjenigen entscheiden kann, die mit vollen Sprüngen zu der Höllen eilen. Hat also derjenige, der das Gute, ob er schon nicht kann, dennoch recht vollkommentlich verbringen will, einen sonderlichen Vorteil vor einem ruchlosen Sünder, dem Himmel angenehm zu sein, weil er dessen Willen und Begehren so eifrig zu folgen verlanget.

Und dannenhero war es auch mein höchster Fleiß, nicht sowohl mein Haus und Wohnung als das Gemüt zu verändern. Ich wurf zwar meine gewöhnliche Kleider von mir, aber noch viel mehr meine Affecten, die ich zu der gottlosen Welt getragen habe. Ich verließ verstandenermaßen meine Wohnstube, aber viel mehr die unordentlichen Begierden, so bis dahero sich in mir, gleich als in ihrem gewöhnlichen Sitzplatz, aufgehalten und eingenisteit hatten. Aber darumben ward ich doch nicht vollkommen, sondern nur in mir selbsten glückseliger und vergnügter, weil ich alle solche irdische Eitelkeiten mit einem klugen und büßenden Auge zu übersehen vermochte.

Viel Menschen suchen an einem anderen Ort zu sein, aber sie sollten vielmehr wünschen, andere Menschen zu sein, weil an der Verwechslung des Ortes nichts oder wenig, alles aber an der innerlichen Bekehrung gelegen, durch welche man zum Guten eilet.

Gleichwie man aber zu einem vorgenommenen Wege, den man in der Welt reisen will, einen erfahrnen Wegweiser haben muß, der die Straßen, die Wege und andere Angelegenheiten wohl erfahren hat, also muß man auch in einem solchen [427] vorgesetzten Ziel gewisse Mittel ergreifen, dadurch man zu seinem Zweck gelangen kann. Ich meine, daß man entweder lebendige oder tote Anweiser habe, die zu einem solchen Vornehmen tauglich sind. In Klöstern ist es der Gebrauch, daß derjenige, so den Orden eingetreten, zugleich einen Anweiser zu allen diesen Handlungen habe, dazu er muß vermittelst der Reguln gewiesen werden. Ein Pferd wird von dem vorsichtigen Reiter, ein Schiff von dem klugen Schiffer regiert, damit das vorige zu seiner Schul komme und dieses nicht ohnversehens an eine Klippe anstößet. Aus diesen Gleichnissen ist abzunehmen, daß das Leben, wo es solle gut und ohne merklichen Anstoß hinausgeführet werden, müsse zugleich haben einen solchen Führer und Regenten, durch welchen es von diesem und jenem gefährlichen Weg abgehalten wird.

Ich ließ mir demnach zu einem solchen Geleitsmanne meine Bücher als stumme Wegweiser dienen und behülflich sein, in der Hoffnung, daß, ob sie wohl stumm und gestorben, dannoch mit ihren lebendig hinterlassenen Lehren kräftig genug wären, das Gute von dem Bösen zu unterscheiden und uns zugleich einen solchen Faden an die Hand zu geben, vermittelst welchen wir aus dem Irrgarten dieser allgemeinen und zeitlichen Verdrüßlichkeiten wunderlich hinausgeleitet möchten werden.

Zu Ende dessen mußte mein Knecht Wastel (dem ich mein Mastvieh, Schafe und Schweine samt den Pferden und anderem zahmen Geflügel in seine Hut und Aufsehen übergeben hatte) etliche Körbe voll Bücher von einem nächstgelegenen Kloster in mein Schloß überbringen, welche mir von dem Abt desselben Convents auf ein Interim sind geliehen und aus der Bibliothek abgefolget worden. Über solche Bücher überreichte ich einen Schein und versprach, zeit währenden Gebrauches alle Wochen fünfzig Pfund Fleisch samt zwanzig Kannen Weins in das Kloster zu spendieren. Dannenhero bekam ich bald diesen, bald einen andern Mönch von daraus zu mir, welche die Zeit mit allerlei geistlichen Übungen zubrachten. Unterweilen ging ich auch hinüber, Messe zu hören, und ob der Weg schon etwas weit und abgelegen war, [428] hatte ich doch daselbsten alle sattsame Lust und Vergnügung, und es war den Mönchen nichts leiders, als daß ich so frühzeitig geheiratet, sonsten hätten sie mich ohne allen Zweifel zu einem Mitglied des Convents angenommen. Aber sie sagten hinwiederum, daß nicht das Kloster, sondern vielmehr ein eiferige Andacht einen perfecten Mönch mache, und daß ein Weltmann, der in der zeitlichen Verachtung begriffen ist, viel ein bessers Leben führe als ein solcher Mönch, der zwar die Welt äußerlich geflohen, nichtsdestoweniger aber diejenigen Affecten noch nicht verlassen hätte, mit welchen er derselben innerlich zugetan wäre.

Diese Lehren stimmten mit meinem vorigen Grunde trefflich überein, daß nämlich nicht der Ort oder das Kleid, sondern das Leben fromm und ehrbar mache, und daß man zu Ausrottung der Laster viel ein ander Instrument als eine rauhe Mönchskappe vonnöten habe. Wo aber das Wesen mit dem Kleide übereins kommet, da ist es um so viel höher zu schätzen, je seltener es in diesem Weltgetümmel anzutreffen ist. Die Absonderung von menschlicher Gesellschaft, die Ausziehung der niedlichen Kleider und die Kasteiung des Fleisches ist zwar zu allen Tugenden ein guter und tauglicher Vorschub, aber es ist doch nicht der rechte Grund, darauf unsere Seligkeit beruhet. Darum müssen wir unser Leben nicht sowohl von außen als von innen reinigen und in wahrer Demut nicht auf einen solchen Grund bauen, der bald umfallen kann, sondern vielmehr sehen auf ein solch Fundament, daran all unser Heil und Segen hanget, welches ist ein unabläßliches Vertrauen zu dem Himmel, und alsdann werden sich alle Tugenden vollkommen bei uns einfinden, wenn wir denselben unaufhörlich werden nachgestrebet haben.

2. Capitul. Betrachtet die Lust der Einsamkeit
II. Capitul.
Betrachtet die Lust der Einsamkeit.

Diese Lehren nahm ich teils aus dem Kloster, teils auch von mir selbsten, und wie ich zuvor gemeldet, so taten die unterschiedlichen Schriften der Geistlichen nicht ein geringes, [429] sowohl was meine einsame Zeitvertreibung als die Gemütserbauung betrifft. Ich ließ mir aber unter andern herrlichen Büchern absonderlich wohl gefallen des andächtigen Thomas a Kempis sein Büchlein von der Nachfolgung Christi, welches, ob es gleich nicht von Gold, dennoch viel kostbarer als das Gold und alle Schätze der Welt ist. Ich hielt solches Büchlein nicht allein deswegen so hoch, weil es mir von dem Abten in dem Kloster vor allen andern so sehr gelobet worden, sondern weil ich in demselben einen solchen Weg angetroffen, auf welchem man nicht irren kann. Alle Wort dieser Schrift waren mir süßer denn Honig, und ich lernete daraus von Tag zu Tag, ja von Stund zur Stund, die Eitelkeiten dieser vergänglichen Erden mehr und mehr kennen und dieselben auch vorsichtig fliehen.

Das zwanzigste Capitul des Ersten Buches ließ ich mir absonderlich zum Leitstern dienen, weil es handelt von der wahren Einsamkeit, und daß es dem Menschen sehr nötig sei, sich zuweilen selbst zu prüfen, wie und wo er lebe, daß es nicht genug sei, den Händeln der Welt und seinen äußerlichen Geschäften obliegen, sondern daß man vor allen Dingen das Herz wohl reinige und sein Gewissen zufriedenstelle. Denn es ist sehr nützlich, daß der Mensch, er sei, wer er wolle, zuweilen eine gelegene Stunde suche, allein zu sein und von allen diesen Guttaten mit sich selbsten zu discurrieren anfange, welche er die Zeit seines Lebens von Gott und guten Freunden genossen habe. Man soll billig in der Einsamkeit solche Materien und Schriften durchlesen, die vielmehr in dem Menschen eine Andacht als Verwunderung auswirken können. Wenn man nur will, so hat man Zeit genug, von den zeitlichen Eitelkeiten entäußert, solchen Gedanken vollkommen nachzugehen. Die Heiligen selbsten haben alle Gesellschaft der Menschen, wo sie gekonnt und vermocht, geflohen und haben ihre Lust alleine gesucht, GOTT den Allmächtigen im Verborgnen anzurufen. Dahero sprach jener: Sooft ich unter den Menschen gewesen, bin ich allzeit ein wenigerer Mensch zurückgegangen. Dieses erfahren wir gar oft, wenn wir nämlich unter- und miteinander bald von diesem, bald von jenem Märlein [430] schwätzen. Denn es ist viel leichter, ganz und gar schweigen, als sich in solchen Unterredungen alles Fehlers enthalten können, und es ist weit sicherer, zu Hause verborgen zu sein, als sich unter dem Volk vor Unglück wohl zu beschirmen. Wer dannenhero geistlichen Sachen obliegen will, dem ist nötig, daß er sich, so viel er kann, von allen solchen Gelegenheiten entziehe und enthalte, die ihm können an der Seelen schädlich sein. Niemand kann in dieser Welt sicherer erscheinen, als welcher gern verborgen lieget. Niemand redet sicherer als derjenige, so gerne schweiget. Und niemand führt eine bessere Zucht, als der sich der Zucht selbsten unterwürfig machet.

Es kann sich kein Mensch recht vollkommen freuen, es sei denn, daß er das Zeugnis eines guten Gewissens in sich fühle. Aber nichtsdestoweniger so ist doch die Freude der Gewissenhaften und Frommen allezeit mit Tränen und einer billigen Furcht gegen GOTT vermischet. Und es ist genugsam bekannt, daß auch die heiligen Leute jederzeit in voller Demut gestanden, ob sie gleich bei sich selbsten große Gnad von oben herab gespüret haben. Hingegen ist das Frohsein der Gottlosen eine solche Sicherheit, die vielmehr aus einer angemaßten Hoffart und Übermut entspringet, und diese Sicherheit findet sich endlich an dem Ende und Ausgang durch sich selbsten betrogen und hinter das Licht geführt. Dahero hast du Ursache, dir nimmermehr eine gewisse Sicherheit zu versprechen, ob du gleich bei dir selbst meinest, daß du ein frommer Einsiedler, Mönch oder Waldbruder seiest.

Es ist oftermals geschehen, daß diejenige, auf welche die Welt viel gehalten hat, gefallen sind wegen des großen Vertrauens, so sie auf ihre eigene Tugenden gesetzet haben. Dannenhero ist es vielen Menschen, ja den meisten unter uns viel nützlicher, daß wir mancherlei Anfechtungen und Widerwärtigkeit haben, auf daß wir nicht zu sicher und frei werden und also wie die Pfauen die Federn auseinanderbreiten. Oh, wer so klug wäre und nimmermehr einer zeitlichen Freude verlangte! wer sich auch aller Welthändel enthalten könnte! wahrhaftig, dieser würde allezeit ein unverletztes [431] Gewissen behalten. Oh, wer da alle eitle Sorgen von seinem Herzen abschneiden könnte! und nur allein himmlischen und heilsamen Gedanken obläge! dieser würde seine Hoffnung ganz in Gott setzen und großen Fried samt einer steten Ruhe genießen.

Derjenige Mensch ist nicht würdig eines himmlischen Trostes, welcher nicht in einer steten Reue über seine Sünden begriffen ist. Wenn du willst von Herzen über deine Sünden büßen, so gehe in dein Kämmerlein und schließe aus alles Weltgetümmel. Du wirst in deiner Klausen finden, was du außer derselben bald verlieren kannst. Ein solcher einsamer Ort, in welchem man stets wohnet, wird dem Gemüt sehr angenehm und süße, aber wo man ihn nicht groß achtet, so gibt er statt des Honigs nichts als bittern Verdruß und Widerwillen. Wenn du im Anfang deiner Bekehrung eine solche Wohnung mit deinem Gebet fleißig bewohnen wirst, so wird sie dir hernachmals eine angenehme Freundin und Enthalterin deines Lebens sein.

Es ist ohne Streit, daß man in stiller Ruhe die Seele mit großer Andacht ernähren kann. In einer solchen Einsamkeit kommt man viel leichter zum Verstand der göttlichen Schrift, und dorten kann man auch unverhindert beweinen alle Sünden, über welche wir so sehr betrübet werden. Und also werden wir dem Himmel viel näher zugetan, je weiter wir von der Erden entfernet leben. Wer sich derohalben von seinen Bekannten und Freunden äußert, der wird sich zu GOTT nähern und seine Engel zu Gesellschaftern kriegen; denn es ist viel besser, daß man auf sich und sein Heil Achtung gebe, als daß man mit Vergessung sein selbst große und unvergleichliche Heldentaten verrichte. Es ist einem geistlichen Menschen sehr löblich, daß er selten ausgehe, daß er fliehe, von andern gesehen zu werden, und daß er auch einen Scheu trage, die Weltmenschen zu sehen.

Was hilft dichs, du elender Mensch, daß du etwas siehest, was du doch nicht genießen kannst? Die Welt vergehet, und all ihre Lüsten verschwinden. Du hast unterweilen eine Lust, spazierenzugehen, aber wenn ein kurzes Stündlein vorüber ist, was hast du anders davon und was trägst du [432] zurück als ein schweres Herz und zerstreuetes Gemüt? Ein fröhlicher Ausgang zeucht gar oft einen traurigen Rückweg nach sich, und ein kurzweiliger Abend macht oftermalen einen mühsamen Morgen. Also gehet alle fleischliche Lust überaus lieblich ein, aber am Ausgang martert und peiniget sie als eine unleidentliche Folter. Und was kannst du anderwärts sehen, das du nicht in deiner Einsamkeit sehen kannst? Siehe über dich gegen dem Himmel, hebe das Gesicht auf die Erden und betrachte alle Elementen, da hast du alles, was du sehen kannst, denn aus diesem ist alles geschaffen.

Und was verhoffest du wohl zu sehen, das in der Welt möge beständig sein? Du bildest dir vielleicht ein, dich an solchen Sachen zu sättigen, aber du wirst nimmermehr zu einem solchen Endzweck gereichen. Wenn du gleich alle Sachen hier vor dir sähest, was wäre es denn anderst als eitles Wesen? Hebe deine Augen vielmehr auf zu Gott in die Höhe und bete zu ihm, daß er dir verzeihe deine große Sünden und Missetat. Lasse du den eitlen Menschen das Eitle, du aber betrachte mehr solche Sachen, daran dein ewiges Heil gelegen ist. Schließe deine Tür zu und rufe zu dir deinen geliebten Bräutigam Christum. Mit diesem bleibe in deiner Klausen, weil du anderwärtig keine solche Ruhe finden kannst. Wäre mancher nicht ausgegangen, sondern bei seiner Andacht zu Hause geblieben, hätte er ohne allen Zweifel nicht so manchfältigem Unglück unterliegen dörfen. Denn so sehr von der Neugierigkeit die Ohren ergetzet werden, so sehr wird öfters, ja viel heftiger, das Herz gemartert.

Alle diese Worte las ich in oberwähntem zwanzigsten Capitul des frommen Canonici Regularis Thomas a Kempis, welche ich, wie auch das ganze Werklein, zu meinem besseren Gebrauch und Zeitvertreib aus dem Lateinischen in die teutsche Sprache übersatzte, mit welchem ich fast in die acht Wochen umging. Und also täten auch die andere Gesellschafter, die doch nicht allerdings unterlassen konnten, ihren Zustand durch Schreiben zu berichten, denn wir hielten einen Ordinari-Boten, welcher, zwar nicht so oft, als vormals geschehen, jedennoch zu gewissen Zeiten, unsere Briefe hin und wider trug, in welchen wir meistenteils aufgezeichnet, [433] was wir lasen, was wir schrieben oder was wir sonsten vor Betrachtungen vorgenommen. So schickten wir auch einander ein Buch da-, das andere dorthin und hielten unser sonderlich Diarium, darinnen zu ersehen war, wie einer und der andere sein Leben vollführte. Philipp schrieb ein Buch von der Ewigkeit, ich einen Tractat von der Gemütsruhe. Christoph, als ein in der Revier wohlerfahrner Mensch, machte eine Landkarte über unsere Landschaft. Dietrich schrieb ein Buch von den alten Rittern und ihren Gebräuchen; unsere Weiber aber näheten zum Teil in der Teppichtnaht oder auch andere Tücher, zum Teil schrieben sie Kochbücher, gleich als wäre den Einsiedlern so viel an den kostbaren und wohl zugerichteten Tafelspeisen gelegen. Die Frau Philippin klöppelte Spitzen, gleich als hätte sie ihrem Herren große Überschläge davon machen müssen. Also bekamen wir, wider unsern eigenen Willen, über die Weiber und ihren vorgenommenen Zeitvertreib zu lachen, und Philipp konnte noch nicht allerdings die Schnacken und Grillen fahrenlassen, denen er von Natur zugeneigt war; so stackten ihm auch die alte Possen noch häufig in dem Kopf, und ich muß es gestehen, daß ich unter allen anderen seine Briefe sehr ungern gelesen, weil sie mich entweder noch der begangenen Stücklein erinnert oder sonsten in meiner Andacht, bald da, bald dorten, verstöret haben.

3. Capitul. Wunderlicher Streich, auf Wolffgangs Schlosse vorgegangen
III. Capitul.
Wunderlicher Streich, auf Wolffgangs Schlosse vorgegangen, als Philipp aus dem Sack sah.

Es vermahnete nichtsdestominder einer den andern zur Frommheit, dazu wir uns den Friderich zum guten Exempel dienen ließen. Dieser ging alle Monat in dem Land herum und besah jeden in dem Stand, darinnen wir dazumal lebten. Er verwunderte sich über unsere gute gefaßte Resolution und sagte viel von seinen Anfechtungen, die er in dem ruinierten Kloster – allwo er seine Wohnung hatte – von Gespensten erdulden müßte. Seine Haut war ihm am ganzen Leib zusammengeschrumpelt, weil er, seinem Vorgeben[434] nach, die ganze Zeit seiner Einsiedlerei kein Fleisch noch warmen Bissen gegessen hatte. Darum freuete er sich allezeit, auf unsere Schlösser zu kommen, weil uns, ob wir schon ein einsames Leben führten, an dem Maulfutter dennoch nichts abging. Ich bin niemalen des Willens gewesen, mich so knochenhaftig mit Fasten auszudörren, denn ich weiß wohl, daß eine stete Mäßigkeit dem Leib und Geist viel besser tut als eine solche Fasten, auf welche man sich unmenschlicher Weise überschwemmet, oder aber ein solches Hungerleiden, dadurch man sich selbst verderbt und die Natur zunichte macht.

»Nein,« sprach ich, »Bruder Friderich, ein solcher Heiliger bin ich nicht, wills auch nicht werden, ich halte vielmehr auf das Fasten, wenn nämlich das Gemüt von allen übeln Affecten fastet und ruhet, als ob ich meinen Leib wie einen Zaunstecken auströcknen solle. Abstinentia a cupidine, ab ira & odio proximi, a persecutione inimicorum nostrorum, die gefällt mir wohl, und auf diese halte ich sehr viel, ob ich schon nicht leugne, daß ein äußerliches Fasten all diese Andacht und löbliches Vornehmen merklich befördert.« – »Es ist wahr,« sprach Friderich, »und ich bin hierinnen einer gleichen Meinung, aber ich muß wohl, wenn ich gleich nicht will, weil meines Orts weder Küche noch Keller, weder Koch noch Beck, noch sonst irgendein Mensch wohnhaft ist, der mir Essen bringen oder sonsten an die Hand gehen könnte. Darum gehe ich selbst bettlen aus, und das Brot, so ich in meinem Sacke sammle, ist das beste Essen, so ich mit Wasser und unterweilen mit Milch abkoche, davon ich mich sättigen muß. Ich bin willens, meine übrige Geldmittel in ein Kloster zu vermachen, damit ich aufs wenigste von daraus wochentlich mit Essen und Trinken versehen werde, weil es mein Magen länger nicht ertragen kann.« Zu diesem Vorhaben gab ich ihm guten Anschlag, und damit wurde mir das Mittagmahl durch einen dazu bestellten Knecht auf den Turm gebracht, wobei er seinen Mantel ablegte und sich zu mir an mein Tischlein satzte.

Er lobte meine Gelegenheit und Wohnung samt meiner guten Lebensart, weil ich in dem Turm in einem hübschen Stüblein [435] saß, da er hingegen in einer grausamen und unsicheren Wüstenei sein Leben zubringen müßte. »Du hast«, sprach er zu mir, »eine treffliche hübsche Gelegenheit, sowohl auf dein Hauswirtschaft als auf dich selbsten Achtung zu geben, dein Turm, darinnen du hie ganz sicher sitzest, beschützet dich nicht allein vom Regen und Wind, sondern gibt dir auch Gelegenheit, allenthalben auf die Straßen hinauszusehen. Deine Speiskammer ist wohl gespicket, und dein Keller ist voll Wein und Bier. Du bist nicht weit von Gesellschaft der geistlichen Leute und hast Schriften genug, deine Zeit zu passieren. Aber ich muß hingegen Miserere schmelzen, auf mich regnen und schneien lassen. Der Wind wirft mir fast alle Abend mein Dach ein, und muß noch darzu auf bloßer Erde schlafen. Wenn ich essen will, so ist der Brotsack, welchen ich hier hangen habe, mein Vorratsgewölbe, daraus muß ich essen, was mir unter die Hand kommt. Will ich trinken, so heißt es: gehe, Bruder Friderich, und trage dein Maul zum Wasserkrug, und damit ist alle meine Hofhaltung beschrieben. Du hast allhier lieblich singende Vögelein hangen, so dir die Zeit verkürzen können, aber in meiner Spelunken hecken die Nachteulen und Fledermäuse, daß ich oft nicht weiß, vor welchem Ungeziefer ich mich am meisten vorsehen soll. Sommerszeit plagt mich die Hitze, winterszeit die Kälte, und habe mich genug in acht zu nehmen, daß nicht eine alte und von dem Wetter durchlöcherte Mauer auf meinen Kopf fället. Und gleichwohl schaffet diese Lebensart in mir keine gänzliche Abschaffung meiner Begierden, und man dörfte mir ein weniges geben, so änderte ich mein Leben in einen dergleichen Zustand, wie du anitzo lebest, weil ich genugsam verspüre, daß das Fasten nicht allein genug sei, zur vollkommenen Glückseligkeit zu gelangen, sondern daß unsere Frommkeit vielmehr von dem Herzen als von den Leibesgliedern erfodert wird.«

Dieses redete er mit einem freundlichen Gespräche nebenst einem guten Gläslein Vigerner Wein, welcher, weil er ihm etwas Ungewöhnliches war, ihn dergestalten einnahm, daß er folgends herausbeichtete, wie ihm eigentlich in der ganzen Sache ums Herz war. Ich hatte ein Paar gebratener Hühner [436] und einen guten Karpfen nebenst einem Hasen auftragen lassen, dabei er sich ziemlich ausfütterte, weil er, seinem eigenen Bekenntnis nach, wohl in einem halben Jahr nicht so stattlich tractieret worden. »Es war mein Absehen durchaus nicht,« sprach er, »daß ihr euch alle, wie ich aus gewissen Ursachen getan habe, in Einsiedlers und Klausners Röcke verstecken sollet, noch viel weniger, daß ihr euch wie die Mönche so sehr versperren und von der Welt absondern sollet, dieses habe ich durchaus nicht gesuchet. Und es bestehet auch in diesem Leben nicht das Wesen eines Christen allein, sondern, wie du vorhin löblich gedacht hast, vielmehr in Ausreutung der Laster, welche man aus dem innern Herzensgrund ausreißen und hinwegwerfen muß. Dieses Leben ist nur darzu tauglich, damit man, von der Welt desto weniger angefochten, seinen eigenen Gedanken desto besser abwarten kann, und was wollte endlich daraus werden, wenn wir alle wollten Einsiedler und Eremiten abgeben?

Darum ist es meine endliche Resolution und Entschluß, mein bisher geführtes Leben mit einer Verehlichung zu verwechslen und gleich wie du mich auf einen Edelhof zu setzen, daselbsten nichts als die Wohlfahrt meiner Seelen zu betrachten. Wir sind darum nicht heiliger, ob wir gleich einsamer als andere Menschen sind, und wer nicht absonderlich zu einer solchen Lebensart geboren, kann sie schwerlich, ja fast ohne große Widerwärtigkeit nicht ertragen. Ihr habt zwar alle an diesem Vornehmen nicht übelgetan, aber mein Rat wäre, daß ihr eure Eremiterey nicht allzu lange fortführet, weil man euch nicht allein dadurch allenthalben im Lande auslachen, sondern noch darzu Lückenhocker nennen würde, die erst nach dem zehenten Jahr ihrer Verehlichung hätten wollen ins Kloster gehen.«

Diese und noch mehr andere Einwürfe des Friderichs waren nicht zu verwerfen und dannenhero gar wohl anzuhören, denn in Betrachtung, daß ein fleißiger Weltmann sowohl als der einsamste Mönch die Seligkeit erlangen kann, so er seines Berufes fleißig abwartet, wäre es freilich besser gewesen, daß wir statt der grauen Einsiedlersröcke einen guten [437] Harnisch angezogen hätten und dem Feind, so dazumal unsere Provinz anfiel, mit gewaffneter Hand entgegengegangen wären. Darumben machten wir einen andern Entwurf unsers Lebens und entschlossen uns zugleich, denselben allen zu offenbaren, denen daran gelegen war.

Mit einer solchen Abrede nahm Friderich nach verrichteter Mahlzeit seinen Abschied, willens, die andern aus der Gesellschaft zu besuchen und ein Gleichmäßiges mit ihnen abzureden, zwischen welcher Zeit ich mit Verlangen auf ihre Resolution gewartet, wie ich denn mit keinem Fuß von dem Turm, noch viel weniger zu meiner Frauen gekommen bin, bis ich mich endlich entschloß, ihr den getanen Vortrag wegen des Friderichs zu eröffnen. Wir redeten eins und anders, und da wir am besten von der Sache handelten, sahen wir den Friderich, welcher indessen vierzehen Tage in dem Land herumgeterminiert war, mit seinem schweren Sacke beladen, über das Feld wieder hereingehen. »Ist nicht dieses«, sprach meine Frau, »der Friderich?« Ich sagte ja, und daß wir ihn desto genauer erkennen möchten, gebrauchten wir uns eines großen Tubi, dadurch man fast auf vier Meil Weges die Uhr hat erkennen können.

Dieses Instrument war in meinem Turm meine einzige irdische Ergetzung, weil ich dadurch bald zu diesem, bald zu jenem Fenster ausgesehen und die hin und wider reisende Menschen betrachtet habe.

Hiermit kam Friderich zum Tor eingegangen, und weil ich mich noch vor seiner Ankunft wieder in den Turm begeben, hörte ich ihn allgemach die Treppe heraufsteigen und an meinem Glöcklein läuten. Ich eröffnete meine Klausen, und nachdem er mich gegrüßet, bat er um Erlaubnis, seinen Sack, welcher ziemlich angefüllt und dannenhero trefflich schwer war, an die Wand zu hängen, welches ihm ohnedem gern vergönnet war. Allein seine Höflichkeit, die ihm von Kindesbeinen an gemein gewesen, verursachte alle solche unnötige Complimenten, die er gegen mir, als seinem aufrichtigen und wohlbekannten Freund, wohl hätte unterlassen mögen. Er erzählete mir hierauf, wo er gewesen und was der Ausschlag seiner Reise mit sich brächte. Zwischen [438] diesen Reden, aus welchen ich noch nichts Gewisses schließen können, zog er von allen guten Freunden, absonderlich aber von meinem Vater und Bruder Philippen etliche Briefe hervor, die ich, in Beisein seiner, aufbrach und mit Verlangen durchlas. Gottfrid, Christoph und Dietrich waren willig genug, den getanen Vertrag des Friderichs einzugehen, aber Philipp war mit allen Umständen nicht darzu zu bewegen. ›Ich sage dieses im Ernst,‹ schrieb er, ›wer mich außer der Einsiedlerskappe siehet, der heiße mich einen Schelmen.‹

Dieses waren seine mit eigener Hand geschriebene Wort, die ich als ein Zeichen und Gewißheit seiner absonderlichen Standhaftigkeit auslegen mußte. »Mich wundert,« sprach ich zu Friderichen, »daß Philipp in diesem Vorsatz so unbeweglich ist, alle seine Briefe, so er bis anhero geschrieben, haben viel anders als dieser ausgesehen, und ich habe billig Ursach, mich heftig zu schämen, daß er mich in diesem Stücke übertrifft.« – »Nein, nein,« sprach eine Stimme in dem Zimmer, »du darfst dich nicht schämen.« Mit diesen Worten schwieg es still, und weil mich Friderich vor vierzehen Tagen wegen allerlei Gespensten, so ihn zu plagen pflegten, recht furchtsam gemachet, glaubte ich, es wäre vielleicht eines mit ihm auf mein Schloß gekommen. Als er aber mich ganz erblassen sah, fing er ein wenig an zu schmunzeln, welches er sonst keinesweges zu tun gewohnet war. Ich fragte ihn, ob er die Stimme auch gehört hätte oder nicht? »Nein,« sprach die Stimme wieder, »er hat mich nicht gehört.« Damit wurde ich ganz bestürzet, stund auf und wollte die Tür aufmachen. Als ich aber an den Bettelsack kam, fing sich etwas an in demselben zu regen und sprach: »Bruder, bleibe da, oder ich beiße dich in die Finger!« Ich sprang vor Schrecken jähling zurücke, aber bald darauf guckte der ehrliche Bruder Philipp mit dem Kopfe hervor, und ich dachte, mich über dieses Stücklein krank zu lachen. Denn Friderich hat ihn in seinem Sacke, daran er so überaus schwer getragen, an den Nagel gehangen, und also bin ich nicht allein zum glücklichen Salve abscheulich betrogen, sondern noch wacker darzu von meiner Frauen, dem Friderich und Bruder Philippen ausgelachet worden.

4. Capitul. Sempronio schickt Wein auf das Schloß
[439] IV. Capitul.
Sempronio schickt Wein auf das Schloß. Herr Friderich resolviert sich zu einem andern Leben.

Diese Verwandlung, gleichwie sie arglistig ausgesonnen war, als ergetzten wir uns auch ziemlich darüber, und mich wunderte nicht unbillig, warum Friderich, der doch sonsten von allen dergleichen Gaukeleien einen ziemlichen Ekel getragen, sich dennoch gefallen lassen, mich auf eine solche Weis hinter das Licht zu führen. Deswegen satzten wir uns nieder, und damit mir der eingenommene Schrecken nicht übel bekommen möchte, verschaffte ich ein gutes Glas Wein nebenst einer großen Schal voll Mandelkern, dabei wir allerlei Gesundheiten herumgejaget. »Bruder,« sagte ich zu Philippen, »nach Laut deines Briefes bist du ein Schelm, denn ich und wir alle sehen dich anitzo außer deinem Einsiedlersrock.« – »Mich wundert,« sprach Philipp, »daß du vor großer Furcht dennoch so viel hast merken können, ich will auch lieber ein Schelm als noch länger so in einer rauhen und filzigen Kutten stecken, in welcher man voll Kot und Läuse wird. Ich habe zwar in derselben ein andächtig Buch aufgesetzet, aber sobald ich drei Zeilen geschrieben hatte, mußte ich mich wieder eine gute Viertelstund im Buckel krauen. Ich glaube nicht, daß so viel Totschläge in Teutschland geschehen sind, als ich diesen Sommer nur allein in meiner Mönchskutte begangen habe.« Aber Friderich wies uns seinen Vorteil, dessen er sich in Abwendung desselben Ungeziefers gebraucht hatte, indem er unter seinem rauhen Schipperstuch ein Hemd mit weißem Wachs ausgedichtet auf dem bloßen Leibe trug, und also ist er wider dieselbigen Feinde, mit welchen Herr Philipp ohne Unterlaß zu scharmitzieren gehabt, sicher und befreit gewesen.

Indem wir noch miteinander redeten und wegen unsers Vornehmen beschäftiget waren, fuhr ein großer Wagen zum Schlosse herein, dabei mir ein Bot folgendes Schreiben einlieferte, welches also hieß: ›Monsieur mon frère! Ich lebe in keinem Zweifel, daß Deine angefangene Andacht noch in guten Terminis stehe, wie ich denn nichts Liebers als ein solches Leben wünschen wollte, wenn es meine häufige Haussorgen [440] gestatten wollten. Doch hoffe ich sowohl als Du, in den Himmel zu kommen, und indem Du an dem Paternoster klaubest, bin ich mit meiner Schaufel beschäftiget. Was der Feind vor Vorteil in unseren Landen eingenommen, wird Dir zweifelsohne genugsam bekannt sein. Wenn Du fleißig betest, so will ich indessen fleißig arbeiten und sehen, wie dem Land am besten geholfen werde. Du hast genugsame Gelegen heit, den übeln Zustand des Vaterlandes zu betrachten, denn Du sitzest, wie ich höre, in einem hohen Turm, von daraus Du eine ziemliche Ecke wie Hans Guck in die Welt aussehen kannst. Ein anderer armer Teufel muß seine junge Haut daran strecken, zu Pferde sitzen und dem Feind die Spitze bieten, Du aber sitzest indessen auf dem Turm und siehest die Schlachtordnung im Kupferstich an. Damit Dir nun die Zeit indessen nicht zu schwer noch langweilig falle, will ich Dir hiermit zwei Faß von meinem besten Canari-Seck verehret haben. Erstlich: weil ich weiß, daß Du ein großer Liebhaber dieses Getränkes bist. Vors ander: weil ich wegen der weit ins Land streifenden Parteien mit meinen Victualien nicht gar zu sicher und feste sitze. Vermerke dieses im besten und trinke mit Bruder Philippen meine Gesundheit.Vale.

Dein getreuer und unveränderter Freund

Sempronio.‹


»Sehet,« sagte Philipp, »das ist noch ein Kerl von einem brüderlichen Erkenntnis. Der weiß, womit den Pfaffen am besten geholfen ist, nämlich: mit einem guten und frischen Trunk Wein. Wohlan, Bruder, lasse geschwind aufspunden, der Bot soll seinem Herren ein lebendiges Zeugnis zurücke bringen, daß wir seinen Befelch fleißig vollzogen haben.« Damit schickte ich um meinen Binder oder Böttger, und als dieser beschäftiget war, den Spund zu eröffnen, sprangen die Reife an beiden Fässern entzwei, und als wir meinten, der Wein wäre verschüttet und verloren, kamen aus denselben hervorgekrochen Monsieur Sempronio, mein Vater Alexander, Bruder Gottfrid, Christoph und der ehrliche Dietrich mit zweien Weibern. All mein Lebtag hätte mir nichts so Wunderliches begegnen können, ja, ich hätte mir nichts weniger als eine [441] solche Abenteuer eingebildet, die der Friderich auf diesen Tag mit allen diesen Leuten bei mir auf dem Schlosse angestellet hatte. »Du bist«, sagte ich zu ihm, »ein arglistiger Kopf, und unter diesem Pfaffenmantel stecken viel Schelmenstücklein verborgen.« Die andern bekräftigten solches mit vielen Umständen, und wir hatten genug zu tun, daß wir einander wegen abgefallenen Leibes noch kennen mochten. Dietrich, so ein dicke Sackpfeife er sonst war, hatte doch am Fleische ziemlich hinabgezehret, weil er nach seiner Aussage in dem Wald etliche Wochen versuchet, wie sich die Baumwurzeln saugen und etliche Waldkräuter essen ließen.

Nicht anders hatten es Gottfrid und sein Bruder Christoph an ihrem Ort versuchet, welche so spitznasicht aussahen, daß man hätte Krammetsvögel an ihren Nasen braten können. Aber viel elender war das arme Frauenzimmer zugerichtet, und weil jede das elendeste Leben wollte geführt haben, hat mans gar vielen angesehen, daß sie sich mit spanischer Kreide angestrichen hatten. Hiermit verfügten wir uns in dem Schlosse in ein größers Zimmer, allwo wir weiter miteinander verabredeten, was ich und der Friderich bis daher miteinander abgedroschen hatten.

»Wir sind,« sprach er, »werte Herren Brüder und Schwestern, um keiner andern Ursache willen allhier kommen, als unser Leben in etwas zu ändern. Wir wollen, wie ihr zum Teil wisset, zwar das geistliche Kleid, aber mitnichten das geistliche und recht christliche Herz hinweglegen, mit welchem wir bis dahero unser menschliches Elend betrachtet und beseufzet haben.

Der Mensch ist ein Tier, zur Gesellschaft geschaffen, und solches wird vielmehr uns adeligen Leuten anstehen, weil wir, als eine Fackel, dem anderen Pöbel zu leuchten vorgesetzet sind. Es ist gar gut, daß man sich den äußerlichen Weltsorgen zuweilen entziehe, damit man desto gefaßter an einem einsamen Orte seine innerliche Angelegenheiten beherzigen kann. Aber es ist darumben nicht nötig, alle äußerliche Gesellschaft auf ewig zu fliehen, sondern nur auf eine Zeit seiner Amtsgeschäfte sich so weit zu entäußern, damit man dieselbe nicht gar verlasse oder auf die faule Seite setze.

[442] Solches ist meine Meinung niemalen gewesen, als ich euch zu einem muntern Leben angefrischet habe. Ihr habt auch keine Ursach gehabt, meiner Lebensart nachzugehen, wenn ihr betrachtet, daß es eure Umstände durchaus nicht zulassen, mit mir ein gleichmäßiges Leben zu führen. Ich will anitzo geschweigen von der Gemütsneigung, die ihr vielleicht mit mir ganz ungemein habet. Ihr seid meistens verehlicht, ich bin ledig; ihr seid lustigen Humors, ich hingegen einer ganz einsamen Complexion und finde nichtsdestoweniger in mir allgemach eine andere Neigung, die ich euch bald offenbaren werde.

Ihr sehet es ohne meiner Beweisung, wie harte Lebenstage ich in der Wüsten ausstehen muß und wie schmale Bißlein es in meiner Küche setzet. Ich habe zwar vermeint und bin der Hoffnung gewesen, in einem solchen Leben zur vollkommenen Verachtung der Welt und zu einem recht himmlischen Leben zu gelangen, und in dieser Meinung habt ihr ohne allen Zweifel eure Kleider verwechselt, die Wohnungen verlassen und euch voneinander in die Wälder geschieden. Aber ich spüre genugsam aus der Erfahrung, daß nicht die Veränderung des Orts oder der Luft, sondern vielmehr die Veränderung des sündlichen und fleischlichen Willens glückselig mache. Das Kleid heißet mich wohl einen Geistlichen, ob ich aber ein solcher genennet zu werden würdig bin, das muß das Herz bekräftigen. Liegt also die Geistlichkeit in dem Herzen und nicht in dem Kleid. Dieses sage ich euch, auf daß ihr wisset, daß unter einem schmutzigen Hausrock sowohl ein guter und frommer Mann als in einer Mönchskutte kann verborgen sein. Ich verachte dadurch das Leben der heiligen Einsiedel keinesweges, wenn man aber betrachtet, warum sie und warum wir uns vor der Welt verbergen, so finden sich zwei merkliche Unterschied: sie mußten es tun wegen großer Verfolgung der heidnischen Kaiser, wir tun es darum, auf daß wir die Gelegenheit, öfter zu sündigen, meiden möchten. Es ist etwas, aber was tauget es endlich, wenn wir die Sache bei dem Licht besehen. Wir fliehen hin, wo wir wollen, so laufen wir doch nicht aus der Welt und tragen einmal wie allemal unser sündliches Fleisch mit uns, [443] und solang wir dieses nicht ablegen, solang legen wir auch unsere Unart nicht ab. Etliche geben in dem Land vor, wir hätten uns vielmehr aus Zagheit wegen des Feindes als aus einer bewegenden Andacht der Welt entzogen, damit wir, wie Herrn Sempronio sein Brief lautet, wenn andere dem Feind die Spitze bieten, hinter dem Ofen sitzen und die Schlachtordnung im Kupferstich betrachten könnten. Dieser schändliche Ruf, ob er wohl nur den schändlichen Lästermäulern gemein ist, ist er uns doch allerdings nachteilig, weil die Welt so häufig nach der Lügen schnappet. Ich bin demnach entschlossen, meine bisher geführte Einsiedlerei auf diesen Tag zu schließen, meinen vorigen Habit wieder anzuziehen, aber mitnichten das Herz hinweg zu tun, welches ich, soviel ich gekonnt, in aller Geduld wohl ausgehärtet habe. Ich will mir, gleichwie ihr getan, eine Liebste suchen und mein Leben so vollführen, wie es einem, der sich ein Mitglied einer so ansehnlichen Gesellschaft nennen darf, wohl anständig ist. Seid ihr demnach wie ich gesinnet, so tut ein Gleichmäßiges, wenn ihr nochmals von mir erinnert werdet, daß ein frommes Leben nicht sowohl in dem Kleid als in dem Herzen muß geheget werden.«

Diese kurz abgelegte Rede des Friderichs bekräftigten wir alle mit einem deutlichen Ja, und ist nicht zu sagen, wie günstig ihm unsere Weiber geworden, nicht sowohl, weil er sich zu heiraten resolviert, sondern vielmehr, weil er durch seinen Vergleich sie wieder an unsere Seite gebracht hatte, derer sie nunmehr schon lange entbehren müssen.

5. Capitul. Herr Gottfridens Gärtner macht eine Musik vorm Schlosse
V. Capitul.
Herr Gottfridens Gärtner macht eine Musik vorm Schlosse; sie discurrieren vom Stadt- und Feldleben.

Demnach unterhielten wir uns mit allerlei angenehmen Gesprächen, und weil das Frauenzimmer etwas vorwitzig war, begehrten sie gleich anfangs, daß jeder unter uns sein bis daher geführtes geistliches Leben mit wenigen Umständen auf das kürzeste, so er mochte, erzählete, damit sie erfahren könnten, wie es einem oder dem andern bis daher gegangen [444] hätte. Weil sich nun Friderich dort und dar wegen seiner gesehenen Gespensten und andern Abenteuren ziemlich angegeben, als wurde dieses Begehren nicht unbillig beliebet, weil man durch diese Erzählung gleichsam ein neues Band zu wirken suchte, durch welches die alt gepflogene Freundschaft unter uns aufs neue möchte aufgerichtet und zusammengeknüpfet werden.

Also deckte man die Tafel, bei welcher dazumal viel angenehmere Discurs als sonsten vorgelaufen sind. Man redete von nichts, als wie verdrießlich die Einsamkeit sei, und war keiner unter uns, welcher nicht seine Meinung bald vor, bald wider dieselbe beigetragen hatte. Dazumal ging ein Geiger und Sackpfeifer auf der Straße vorbei, welchen etliche volle Bauernlümmel aus der Dorfschenke nachfolgeten, uns aber kamen diese Instrumenten so seltsam und wunderlich vor, gleich als kämen wir erst aus Ostindien an, und deswegen eilete man zu den Fenstern, und hat nicht viel gefehlet, so hätten wir sie heraufgerufen und uns bei dieser Zusammenkunft das Lied ›Wie lang bin ich nicht bei dir gewest‹ vor unsere Weiber aufspielen lassen. Weil es aber Friderichen annoch zu frühe gedünkte, mußten sie uns solches Lied darunten auf der Straße zehenmal aneinander aufblasen, zu welchem Philipp auf meiner Baßgeige das Fundament aushielt. Wir legten einen Taler zusammen, dem Bauergesindlein ihre Musik zu bezahlen, aber als wir solchen in einem Papier eingewickelt hinunterwurfen, schickten sie ihn wieder samt einem großen Beutel voll Geld zurück, und zwar durch das Fenster in unser Zimmer. Es hing ein Brief an dem Beutel, und als man beides eröffnete, fanden wir in dem Säckel mehr denn sechshundert Ducaten, im Brief aber, der an Gottfrid lautete, folgende Wort:

›Pfeifer Sack Gärtner. Schreiber geigt, Bogen fiedelt ihr auch, die zwei Mägde Kopfnüß auf dem Schloß, die Feder will nicht schreiben, gut Invention Leich-Carmen, nun werdet ihr wohl wissen, wer wir sind.‹

Wir lasen den Zettul wohl zehenmal durch, ehe wir unter die rechte Auslegung geraten konnten. Endlich fand es Gottfrid aus Erkenntnis der Hand. »Es ist«, sprach er, »niemand [445] anderst als der Gärtner und mein Schreiber, welchen ich bis dahero die Aufsicht in meinem Schlosse übergeben habe. Die Schelmen haben sich verkleidet und machen uns wider Verhoffen eine angenehme Kurzweil.« Damit brachte man die Kerl herauf, und die anderen, die wir vor volle Bauernkerl angesehen hatten, waren niemand anderst als ebendiejenige Studenten, die ehedessen so lustig aufgefiedelt hatten. Diese waren gekommen, nachdem sie gehört, daß wir heutiges Tages auf hiesigem Schlosse würden eine allgemeine Zusammenkunft anstellen, uns mit ihren Instrumenten eine neue Ergetzlichkeit zu verursachen, die wir auf so viel und mannigfaltig ausgestandenes und erlittenes Ungemach höchst vonnöten hatten.

Die Schüler gaben vor, daß sie zu solcher Zusammenkunft von Herrn Philippen, welcher mit Friderichen durch ihre Stadt gereiset, wären bedinget und mit Geld bestellet worden, so war auch der Gärtner und Schreiber des Gottfrids mit ihrer Jahrrechnung angekommen und waren also willens, über alle ihre Einnahme und Ausgabe richtige Verantwortung zu tun, wie sie denn zum besseren Behuf ihrer Sachen, und daß Gottfrid desto weniger auf die Defecten bedacht sein möchte, mit obbeschriebenem Beutel voll Ducaten präambuliert hatten.

Man sah endlich beides vor gut an, weil wir aber nicht willens waren, einen großen Lärmen und Tumult, wie wir wohl ehedessen getan haben, anzufangen, sondern nur in bona caritate & cara bonitate so miteinander bei einem guten Gläslein Wein mit fröhlicher Conversation die Zeit zu passieren, als mußten die Studenten ihre Geigen mit Schnopfservetten verbinden, und die keine hatten, satzten Kämme oder Schlüssel auf den Geigensattel, und also hatten wir von der stillen Musik gedoppelte Lust. Erstlich, daß es uns die Ohren nicht voll turnierte, vors ander, daß wir bei derselben von allerlei Sachen gar verständlich und wohl vernehmlich discurrieren konnten, da man doch sonsten mit allen Kräften einander in die Ohren schreien muß, gleich als rufte man die Wache aus. Sie hatten in den Ränzen die Mäntel und ihre Kleider mitgebracht, darum entkleideten sie sich in einem Gewölbe, und [446] strich uns also die Zeit auf ihren Geigen noch so geschwinde hinweg. Solchergestalten vertrieben wir diesen Tag in höchstem Vergnügen, und ist nicht zu sagen, wie sehr wir uns in dieser unverhofften, doch durch Herrn Friderich recht klug angestellten Zusammenkunft untereinander ergetzet haben.

Man beschloß noch diesen Abend, drei Tage auf'm Schlosse zu bleiben und alsdann wiederum zurücke zu reisen. In dieser Zeit mußten die Schüler oder, wie sie lieber wollen geheißen sein, die Studenten bei uns bleiben, weil sie nicht allein mit der Geige, sondern auch mit dem Maulleder wakker umspringen konnten. Bald mußte dieser von diesem, bald jener von jenem erzählen, bald hetzten wir sie mit einer Frage aneinander, darob sie sich wie die Katzen zerzankten und zerhaderten. Einer disputierte pro, der andere contra, und was noch das Allerlächerlichste war, so behaupteten ihrer zwei das Falsum, nicht darum, weil sie es nicht besser wußten, sondern weil etliches Frauenzimmer auf ihrer Seite war. Daraus konnten wir genugsam abnehmen, was vor verliebte Donnerdieb die Schüler sein und wie schröcklich sie vom Cupidine mit der Mistgabel verletzet waren. Man disputierte unter anderm auch, welches besser wäre, in einer Stadt oder auf dem Land zu leben. Da sagte der erste, in der Stadt, denn da hätte man nicht allein gute Gelegenheit zu täglicher Conversation, sondern könnte noch darzu durch hin und wider laufende Novellen den ganzenStatum Mundi erfahren. So wäre auch in dergleichen Orten guter Respect, dahingegen die Bauren auf dem Dorfe sich lange besinnen, ob sie vor einem Edelmann den Hut abziehen wollten oder nicht. Man könnte auch allda sich nicht allein mit allerlei kostbarem Zeug bald versehen, sondern hätte auch gute Ursach, sich in Kleidern sehen zu lassen, welche auf den Dörfern oftermals im Kleiderkasten hangen und von Motten und Staube müßten verzehret und aufgefressen werden und was dergleichen Umstände unzählig waren; und diesem stimmte das Frauenzimmer bei, weil sie, von Natur zum Stolz und Hochmut geboren, gern von den Leuten gesehen und in ihrem Habit verwundert werden wollen. So halten sie auch viel auf[447] Conversation und zuweil auch mit solchen Leuten, von welchen man nichts Gutes zu hoffen hat, welches wir zwar von unsern Weibern, derer Treue uns mehr als zu viel bekannt war, keinesweges zu befürchten hatten, jedennoch, a potiori fit denominatio, und weilen es die meisten also zu machen pflegen, so müssen es hernachmals die Unschuldigen mit entgelten.

Andere behaupteten im Gegenteil, wie lustig es sei, auf dem Felde zu wohnen und daselbst seinen Geschäften nachzugehen. Viel Schwätzen verderbte, sagten sie, nur gute Sitten, und wo viel Wort wären, da wären gemeiniglich auch viel Sünden, wäre also die in Städten gelobte und gepriesene Conversation nur eine giftige Seuche, dadurch mancher eine solche Dosin einnehme, davon er hernachmals nicht [nur] den Leib, sondern auch die Seele aufopfern müßte. Wenn einer dem andern gern in die Haare wollte, so wäre dieses die angenehmste Gelegenheit, einander die Meinung zu sagen, und also sei es viel, ja weit besser, auf einem einschichtigen Dörflein alleine sitzen und statt dem steten und unabläßlichen Gezänke den Waldvögeln zuzuhören. Denn gäbe es gleich in Städten keinen Zank oder andern Widerwillen, so käme doch bald dieser, bald jener zu schwätzen von seinem ausgeliehenen Capital, der andere von seinen ungetreuen Freunden, der dritte von der schlechten Zucht der Obrigkeit, der vierte von seiner Haushaltung, der fünfte von seinem Kaufen und Verkaufen, der sechste von den Kriegszuständen. Da wären viel Wort und wenig Nutzen, und wenn mancher zwölf Stunden von dergleichen Sachen geredet hätte, so wüßte er doch die dreizehente nit, was es wäre. Und also wäre die Zeit geistlicherweise nit allein verloren und übel angewendet, sondern auch unverantwortlich verschwendet. Die Zeitungen und Novellen anbetreffend, wären solche meistenteils erlogen und erdichtet, indem sich oftermals vier Schreiber zusammensatzten, und welcher unter ihnen die beste Lüge erdichten könnte, der müßte auch die Zeitungen schreiben, und wenn ja an denselben so viel gelegen wär, so könnte man solche sowohl auf den allerabgelegensten Dörfern als in den volkreichesten Städten haben. [448] Die Kleiderpracht anbetreffend, wäre solche vor und an sich selbst eine große Sünd und Üppigkeit, weil sich da immer einer vor dem andern will heraus- und hervortun; kleideten sich dannenhero ihrer viel nicht aus Not, sondern dem andern zu Trutz, und dannenhero würde anitzo das Stück Geld, das man billiger zur Auferbauung eines Spitals oder Unterhaltung der Klöster und Kirchen anwenden sollte, in ein Lumpenkleid verstecket, welches etwan so lange als eine Spinngewebe an einem Fensterstock hielte. So müßte man über dieses in einer Stadt die Woche zehen Taler verzehren, ehe man auf dem Dorfe zwei vonnöten hätte, denn wenn einen gleich nicht hungerte, so müßte er doch propter Rationem Status alles voll und wohl an den Spieß stecken lassen. Es wäre zwar wahr, daß man in Städten zu viel und mancherlei Gastereien geladen und berufen würde, allein solche Gastgebot wären nur Ursachen, daß man wieder eine dergleichen anstellen und sich in große Unkosten stecken müßte. Man wüßte über dieses wohl, daß Fortunatus mit seinem Säckel schon lange tot sei, und also ließe sichs vernünftig schließen, daß man auf das Geld fleißig achtgeben müsse, damit solches nicht vor der Zeit verschwände. Es wäre bekannt, was aurum volatile vor ein Ding sei, dannenhero wäre es viel leichter, solches auf den Dörfern als in großen Städten zu conservieren und im Säckel zu behalten.

Andere Ursachen wollte man vor diesmal verschweigen, die einen dort und dar in großen Zusammenkünften ums Geld bringen könnten. Mancher verspielte in zwei Stunden all sein Geldlein, welches hernach sein Weib und Kinder ein halbes Jahr empfinden müssen. Dannenhero wäre es weit tauglicher und ratsamer, auf der Einsamkeit und in der Feldluft zu leben, weil man daselbst das Seine nicht allein besser zu Rat halten, sondern noch darzu das Gemüt von vielen Passionibus und Eitelkeiten entfernet und rein behalten könnte.

6. Capitul. Friderich macht endlich den Ausspruch
[449] VI. Capitul.
Friderich macht endlich den Ausspruch, welcher etliche Handlungen der eingebildeten Stadtlümmel durchziehet.

Es ist wahr, sprach endlich ein jeder, daß das Feldleben einer andern eingebildeten Herrlichkeit weit vorzuziehen ist. Die Ursachen, welchen einen oder den andern darzu bewegen können, sind unterschiedlich, also sind auch in uns die Wirkungen unterschiedlich. »Es ist ein Großes,« sprach Friderich, »wer sein eigener Herr sein kann, und diese Freiheit ziehet eine solche Vergnügung nach sich, welche tausend wünschen, aber kaum einer unter allen erhalten noch genießen kann. Man lässet jedem seine Gründe. Dieser ist lieber bei Hof, dieser lieber in einer Stadt und jener lieber auf dem Dorfe. Wenn der Pfaff am Kalenberg in unserer Gesellschaft wäre, so würde er sagen: ›Viel Köpf, viel Sinn!‹ Aber doch bleibt es wahr und gewiß, daß in der Einsamkeit viel Laster, die in großen Städten vorzulaufen pflegen, geflohen werden. Große Städte, große Sünden, und weit davon ist gut vor dem Schuß. O wieviel haben liederlicherweise ins Gras gebissen, die sich gar zu großen Gesellschaften vertrauet haben! Wie mancher mußte seine Brust den Nachtschwärmern aufopfern, der mit großem Nutz und Ruhm hätte können vor das Vaterland sterben! Wieviel sind im Trunk gestorben und ohn allen Zweifel mit Stiefel und Sporn in Nobis-Krug hineingefahren! Wie mancher Vater würde noch leben, wenn sein Kind nicht unversehens und wider Verhoffen in liederliche Gesellschaft geraten und in derselben zugleich verraten und verkauft wäre worden! Wer in der Einsamkeit sitzet, der hat nicht zu befürchten, daß ihm von seinem Nachbar die Fenster eingeworfen werden. Man hält zwar die Ehr und Lust, derer man in großen Städten oder wohl auch auf dem Hofe zu genießen hat, vor eine sonderbare Glückseligkeit. Aber ob sie gleich auf eine Zeitlang zu ergetzen pflegen, so findet man doch im endlichen Ausgang eine große Marter aller dieser Dinge, die man sich zuvor nit eingebildet hat. Dieses Übel entspringet von der Falschheit der bis in Abgrund der Höllen verderbten Welt.

[450] Man gibt anitzo, absonderlich zu Hofe, nicht mehr aneinander die Hände, daß man dadurch sein aufrichtiges und ergebenes Gemüt will zu verstehen geben, sondern nur in der Meinung, daß einer dem andern die Hand samt dem Arme gar vom Leibe herunterreißen möchte. Und warum kommen anitzo so närrische Reverenz und Passalemanges auf? Nicht, daß man dadurch eine wahre Ehrerbietung einander erweisen, sondern vielmehr einen heimlichen Pickling stechen kann. Man springet geschwinde vom Pferd, eilet in Stiefel und Sporn, was er laufen und eilen kann, gegen einem, so gegen ihm gegangen kommet, ziehet schon von ferne den Hut vom Kopf, nicht darum, daß er ihm durch dieses eine Ehre zu erweisen willens wäre, sondern nur, daß er ihm solchen zwischen die Ohren werfen dörfte. Alsdann machet er sich gar hinzu und neiget sich mit Haupt und Hand bis auf die Erde, nicht deswegen, daß er seine untertänige Schuldigkeit, wie er wohl spricht, möge zu verstehen geben, sondern nur darum, daß er viel lieber wollte und im Herzen wünschte (wohin er seine linke Hand leget), daß dieser, welchen er grüßet, eben in der Stelle möchte verscharret und begraben liegen, wohin er mit der rechten Hand deutet. Sehet,« sagte Friderich weiter, »so treibt es die heutige Schalkwelt. O bleibet in euren Nestern sitzen! Lasset Hof Hof und Städte Städte sein! Ich finde genugsam, was ich in meiner Einsiedlerei vor häufige Anfechtungen habe, was würde erst daraus werden, wenn ich in eine große Stadt kommen sollte? Nein, si qua sede sedes, das ist besser vor mich, unter Bauren geblieben, so schlagen mich die Bürger nicht tot. Ich habe genugsam erfahren, was Hofleben ist. Ein Stück Brot, das mir der Landmann backet, schmecket mir in der Einsamkeit besser als der köstlichste Hofbraten, an welchem man die Finger, ehe man sichs versiehet, verbrennt. Machen gleich die Bauren keine große Ceremonien gegen mir, so mache ich auch keine gegen ihnen. Und wo will unsereiner mehr Ehr und Respect als eben auf den Dörfern erwerben? In Städten kommt bald da, bald dort ein junger Monsieur in seinen Kleidern wie eine große Windmühl daher gespaziert, der hat das Herz, sich zu besinnen, ob er [451] vor einen Alten vom Adel den Hut rucken will oder nicht. Hingegen weiß ich auf dem Dorfe keiner solchen Gelegenheit zu begegnen, die mich bei mir selbsten in Widerwillen bringen kann.

Was heutzutage nur eine brotlose Kunst zu treiben anfänget, das will in Städten flugs ein Edelmann, ein Freiherr, ein Graf sein. Diese wollen alles, und wir Geborne von Adel sollen nichts gelten, und wenn man ihre Eltern hervorfischet, so ist ihr Vater ein Federfechter und der Großvater ein Leinweber gewesen. Damit ist des jungen Gelbschnabels sein Stammregister verfertiget. Wird ihnen ein Brief zugeschrieben, auf dessen Obschrift das Wort ›Wohledel‹ vergessen worden, da runzeln sie die Haut auf die Stirn dermaßen zusammen, daß man ihnen kaum die Nase sehen kann. Mancher hat einen zwei Klafter langen Bratspieß anhängen, und damit gehet er eine Gasse hinauf, die ander wieder hinunter; siehet etwan ein Frauenzimmer, an welcher auch nicht gar viel Übriges noch Besonders ist, zum Erker oder Fenster aus, da macht der junge Domine ein so künstliches Reverenz, daß er darüber in eine Pfütze tritt und seinen papagoischen Habit mit tausend Flecken bespritzet. Anderer Narrheiten will ich geschweigen, mit welchen die Gemüter derjenigen angeflammet werden, welche, nachdem sie ein und andere Weibsperson gegen sich kommen sehen, alsobald anfangen, eine fremde Sprache oder sonsten solche Sachen zu reden, die weder diejenige, so in ihrer Gesellschaft, noch auch der, so sie vorbringet, verstehet. Manchem geht es gar, wie ich einmals zu Cöln gehört. Daselbst kam ein französischer Offizier zu einer solchen jungen Bursche, und weil diese recht auf die französische Art gekleidet war, redete ihn der Franzos französisch an. Der junge Bachant nickte den Kopf, damit zu verstehen gebend, daß ers nicht verstünde. Auf solches gedachte der Obriste, er wäre vielleicht ein teutscher Studiosus, und redete Latein. Aber er verstund dieses so wenig als das vorige. ›Ha,‹ sprach der Obriste darauf, ›Hut Franzos, Wammes Franzos, Hosen Franzos, Strumpf Franzos, Schuh Franzos, Degen Franzos, Handschuh Franzos, Parüque Franzos, Maul- Hunds–‹ etc. Damit hatte der neue [452] Monsieur seinen richtigen Taufnamen, nämlich: er war ein Hunds- etc., der nur die französische Kleider, nicht aber solche Qualitäten an sich hatte, die ihn hätten des Kleides würdig machen können. Eine solche Löwenhaut ziehen heutzutage noch viel über ihre Eselsohren. Vestimentum habent, re carent. Wo man in derer hochgelehrten Narren ihre Declination hineinsiehet, so heißet es überall: Vocativo caret, es ist nämlich nichts hinter ihnen als Prahlerei, als Maulmachen, als Großtun, und wenn sie von einem oder anderem admiriert werden, so wollen sie flugs adelig getractieret sein. Wenn sie fünfmal auf dem Fechtboden gewesen, so sind sie schon willens, sich mit ihrer sechsen herumzuschmeißen. Wenn sie mit dem Fechtmeister so tief in die Schrift gekommen, daß sie ihn Bruder heißen dörfen, da sind sie alsdann unüberwindlich, da kann ihnen kein Mensch keinen Stoß mehr anbringen, ha, man hat sich vorzusehen, daß sie einem die Zähne nicht aus dem Maul und die Augen nicht aus dem Kopfe herausstoßen.

Und wenn ich dieses Übel nur allein betrachte, so ist es wichtig genug, daß man solche affenteuerliche Gesellschaften und Gelegenheiten meide, durch die man vielmehr geärgert als gebessert wird. Unsere Kinder lernens darnach ingleichen, da will keiner dem andern einen Schritt weichen, keiner vor dem andern den Hut um einen Augenblick ehe vom Kopfe rücken, keiner dem andern den ersten bonus dies oder bonus vesper bieten, sondern will jeder das præ vor sich alleine haben, und wenns darzu kommet, so heißen uns die Flegel, noch wohl darzu kahle Schüfte, lausige Hutzelfresser und dergleichen. Darum meide man solche Gelegenheiten, so hat man nicht Ursach, sich über solche große Unbescheidenheiten zu ereifern und das Herz im Leibe abzufressen. Die Welt ist ein saurer Apfel, wer darein beißen muß, dem werden die Zähne bald stumpf werden.

Die Einsamkeit ist noch das höchste Kleinod und vor dem Stadtleben um ein merkliches zu loben. Da sitzet man in seinem Zimmer, siehet anstatt der Gassenstutzer seine Ochsen in dem Schloßhofe herumgehen, anstatt der häufigen Gassenlümmel siehet man die Esel Säcke in die Mühle tragen. [453] Anstatt der Nachtmusiken, welche häufig in den Städten vorzugehen pflegen, höret man den Hirten auf dem Felde mit seiner Sackpfeife spielen, welches, ob es schon keinen so angenehmen Ton gibt, gibt es doch bessere Bratwürste und Schweinskeulen. Anstatt der Zeitungen, daß man uns in Städten viel von großen Potentaten und Königen dahersaget, höret man in dem Feldleben bald diese, bald eine andere Magd, die erzählet, wieviel die Schweinsmutter Junge geworfen, wieviel sie der Woche junge Kälber bekommen und welche Hühner auf einer guten Brut sitzen. Der Torwärter saget uns von den Tauben, um wieviel Paar sie sich in einer Woche vermehret haben, wieviel Krammetsvögel er in seinem Torhäuslein gefangen und was sonsten dort und dar vor Leute auf der Straße vorübergereiset sind. Bald meldet er einen Bauren an, der seine Gefäll, sein Steuer, seine Rent und Zinsen auszuzahlen willens ist. Diese Zeitungen, ihr Herren, spicken den Säckel, die andern leeren ihn nur aus. Diese machen mich reich, jene arm; von diesen habe ich zu fressen, von jenen muß ich hungern, es wäre denn, daß man Papier fressen könnte, wie Herren Philippens seine Windhunde, als ihnen sein Page in dem Fleischbraten etliche Stücke eingewickelt in Rachen steckte, davon sie hernachmals das ganze Zimmer perfumiert haben. Darum lasset uns aus solchem Schwarm auf das Feld fliehen und uns hinter einem hübschen grünen Busch und angenehmen Gesträuße hervorgucken, das tut sanfter und besser, als wenn man in den Städten stets vor dem Spiegel stehen und bald an den Haaren, bald an den Bändern aufputzen und zurechtstellen muß. Man siehet zwar in großen Städten hübsche und herrliche Einzüge auf Pferden und Wägen, aber wenn man im Gegenteil betrachtet, was vor eine angenehme Lust es ist, seine Leut und Knechte bald mit einem Wagen voll Kraut, bald mit einem Wagen voll Rüben, bald wieder mit einem Fuder Heu in das Schloß fahren sehen, das übertrifft alle Ergetzung, die man aus Betrachtung solcher Solennitäten schöpfet. So bleibt es demnach darbei, daß das Feldleben vor jenem zu erwählen sei, weil darinnen eine größere Ruh, ein steterer Fried, eine bessere Andacht, eine [454] emsigere Betrachtung seiner selbst und endlich auch den Seinen ein größerer Nutze kann geschaffet und zuwege gebracht werden.«

7. Capitul. Friderich erzählet seine Eremiterey
VII. Capitul.
Friderich erzählet seine Eremiterey, siehet vielerlei Gespenster; sein alter Mönch wird vom Bauren erschlagen.

Dieses Feldlob Herren Friderichs hatten wir allerseits große Ursach zu bekräftigen. Oh, wie mancher wäre ohne Verdrießlichkeit und könnte als ein Freiherr auf seine eigene Hand leben, wenn er den Städten oder auch dem Hofwesen nicht gar zu viel getrauet hätte. »Du hast recht,« sprachen wir zu Herrn Friderich, »die Schulfüchse mögen auch dazu sagen und argumentieren, was sie wollen. Es folget nicht, was das Frauenzimmer lobt, das müsse notwendig lobenswert sein. Denn wenn dieses anginge, so möchten sie auch einen Saupfifferling loben, an welchem so gar nichts Gutes ist, daß man auch den Teufel damit zu vergleichen pfleget. Und auf eine solche Manier hebte man den häufigen Disputat vor diesmal auf, indem man bei hereinbrechender und allzu hitziger Zeit entschlossen war, ein lüftiges Zimmer zu erwählen und in demselbigen alle die Lebensläufe anzuhören, so einem jeden insonderheit unter uns seit dem letzten Abscheiden betroffen hatten. Zu Ende dessen satzten wir die vier Studenten mit Dinten und Feder versehen an eine beigestellte Tafel, damit einer um den andern in Protocollierung der erzählenden Personen beflissen sein möchte. Den Gärtner aber und den Schreiber schickte Gottfrid mit einem guten Recompens wiederum zurück, weil sie solchen durch ihren absonderlichen angewandten Fleiß wohl verdienet und mit ihrer guten Haushaltung ihm ein merkliches ersparet und verbessert hatten.

Nachdem man sich nun wegen des Anfangs zur solchen Erzählung nicht wohl vergleichen können, wurde die Sache mit Würfeln zum Ausgang befördert, und weil Herr Friderich das wenigste geworfen, war er der erste, welcher den [455] andern die Pforte eröffnen und seine Zustände erzählen sollte. Er fing demnach, als sich die Gesellschaft sowohl als die Concipienten an ihren bestimmten Ort niedergelassen, folgends an, sehr deutlich und vernehmlich zu erzählen.

Der Eifer wider die häufigen Laster und der Widerwillen dieser zeitlichen Eitelkeiten waren genugsame Mittel, mich der Gemeinschaft der Menschen zu entziehen. Ich habe oft nach einem frommen Leben geseufzet, aber solches keinesweges unter dem allgemeinen Weltgetümmel antreffen können, so sehr ich auch darum mich bearbeitet habe. Die Angst, welche ich deswegen meistenteils zur Nachtzeit, wenn ich auf meinem Lager erwachet bin, in meinem Herzen empfunden, ist unmöglich, daß sie hier sattsam könnte entworfen werden. Ich fand in meinem Gewissen, wenn ich auf einer solchen gefährlichen Bahn fortwandeln würde, daß ich allem Ansehen nach mit vollem Lauf der Höllen zueilete. Darum quälete ich mich so lange, bis ich willens wurde, der Welt nicht allein von innen, sondern auch von außen, wie ich getan habe, zu entfliehen und ihre Netze zu zerreißen. Ihr wisset wohl, daß ich dazumal in die Einsiedelei gegangen und daselbsten einen großen Mönchsrock über meine Schultern geworfen habe, nun aber will ich euch berichten, was mir zeit solches Lebens an dem Ort sowohl als sonsten zugestoßen ist.

Den Tag, als ich mich entschlossen, die rauhe Kutte anzuziehen, hatte ich wohl tausenderlei Grillen. Ich ging morgens in den Gedanken herum, gleich einem Menschen, der keinen Verstand hat, und erstach, wie Kaiser Domitianus getan, die an der Wand hin und wieder sitzende Mücken und Fliegen. Bald gedachte ich, in Krieg zu gehen und meinen adeligen Schild mit der Feinde Blut zu färben, damit mein Ruhm in meinem Vaterland desto größer würde und der Priester in meiner Leichenpredigt eine mehrere Materiam finde, mich und meine löbliche Handlungen vor der Gemeine herauszustreichen. Aber, gedachte ich wieder, wer weiß, wo du stirbest und auf was vor eine Art du umkommst, und wie bald ist es geschehen, daß so leicht deine Feinde mit deinen Beinen als du mit den ihrigen die Birne und Äpfel von [456] den Bäumen wirfest! Also ließ ich mich von meinen eigenen Gedanken unermeßlich peinigen und quälen, bis ich endlich mein vorgenommenes Werk einging und mich in ein tiefes Tal verfügte, darinnen ich bis anhero gelebet habe.

Ich traf daselbst einen alten Priester an, welcher noch allein von allen den Mönchen überblieben war, welche ehedessen in diesem Kloster gewohnet haben. Er sagte, daß der Brand und die starke Giftseuche, so ehedessen daselbst heftigen Schaden getan, das Kloster aller seiner Inwohner beraubt hätten, und weil er meiner als ein alter Mann wohl vonnöten hatte, gab er mir in Hoffnung meines guten Beistandes allen tauglichen Rat, wie und auf was vor eine Art ich mein eremitisches Leben anfangen, fort- und ausführen sollte. Ich habe bei demselben in aller Zufriedenheit und großer Vergnügung gelebet, weil er mich nicht allein mit guter Speise, sondern mit köstlichem Getränke wohl versehen hat. So sehr ich allen eitlen Sorgen abgesagt, so stach mich doch der Vorwitz und das Verlangen, zu wissen, wovon ihm solcher Vorrat herkäme, indem ich keinen Menschen länger denn vierzehen Tage bei ihm gesehen habe. Aber ich merkte durch meine heimliche Nachsicht, daß er unter einem großen Steinhaufen mit vielem Geld rasselte, dadurch er zuwege gebracht, daß ihn ein bestallter Bauersmann alle Monat aus nächstgelegener Stadt mit allerlei Proviant reichlich versehen. Unsere Wohnung hatten wir in einem dunklen und finstern Gewölbe, darinnen nur ein kleines Fensterlein, mit einem dichten eisernen Gitter verwahret, eingehauen war.

Dannenhero mußten wir auch am Tage Licht brennen, weil sich wegen vorliegendem Gemäuer der Tag nicht genugsam hineinwerfen konnte.

Dieses Ort, gleichwie es, wie ihr wohl denken könnet, an sich selbst grausam und widerig gewesen, als hatte ich trefflich Mühe, daselbst bei dem alten Graubart zu gewohnen, welcher sich doch in allen seinen Handlungen gegen mir als ein Vater erwiesen hat. Er war zu alt, seiner Ordnung gemäß betteln zu gehen, darumben verrichtete ich das Werk anstatt seiner, auf daß ich sowohl Brot sammlen als meinen jungen Leib in etwas bewegen möchte, welches er zu tun [457] wegen seines hohen Alters nicht vermochte. Also bin ich das Land aus und ein gegangen, und ob ich gleich kein Erdmesser bin, verpflichte ich mich doch, eine so perfecte Landkarte auf das Papier zu reißen, als sich wohl jemand einbilden möchte. Diese Art kam mir, nach meinem vorigen Zustand, sehr beschwerlich, wenn ich mit meinem großen Bettelsack bald da-, bald dorthin gehen und allerlei Beschwernissen ausstehen mußte. Aber es hieß Patientia, mein lieber Bruder, und half nichts, so sehr mich auch die Brocken in dem Sacke auf die Schultern drückten.

So war mir über dieses alles nichts so zuwider, als die mannigfältige Gespensten zu sehen, die uns in dem alten und ruinierten Kloster fast alle Abend erschienen sind. Bald sahen wir eine Procession mit vielen Feuerfackeln und anderen Wachslichtern unser Gewölb vorbeigehen, bald kam eine Leiche und dergleichen, daraus leichtlich abzunehmen ist, wie uns beiden bei einem solchen Spectacul mag zumut gewesen sein. Das Gepolter und Tumultuieren unter den Steinen und des Hin- und Widerwerfens waren wir so gewohnet, daß wirs endlich gar nicht mehr achteten. Der Bauer, so uns das Essen brachte, war einsmal so sehr von einem solchen Rumorgeist erschrecket, daß er sich hinfort nicht mehr getrauet, bei uns über Nacht zu verbleiben. Es war so unsicher, daß wir abends schwerlich außer dem Gewölbe gehen dorften. Wie unzähligmal es mir das Licht ausgeblasen, ist nicht zu beschreiben, nur dieses einzige zu gedenken, daß es uns oft alle beide in dem Schlaf auf einen hohen Steinhaufen hinaufgetragen, davon wir mit Gefahr des Lebens wieder herabsteigen müssen. Zuweilen hörten wir heulen, zuweilen weinen, zuweil einen andern Tumult an dem Ort, wo ehedessen die Kirche gestanden, und es geschah nicht selten, daß wir dorten einen Priester Messe halten sahen.

Einsmals kam ich bei heißer Sonnen am hellen Mittag mit meinem gesammleten Brot nach Hause, und als ich an die Pforte kam, fand ich daselbst einen Mann von ziemlich langer Statur in einem halben Harnisch sitzen. Sein Haupt war voll Blut, und führte unter seinem Arm ein bloßes Schwert, mit gleichem Schweiß besprenget. Ich erschrak über diese [458] unverhoffte Gestalt, und weil ich ihn vor einen Soldaten hielt, der etwan in einem Scharmützel wäre verletzet worden, fragte ich ihn um seinen Zustand. ›Wie seid Ihr‹, sprach ich, ›an diesen Ort geraten und was machet Ihr hie in dieser Einöde, da außer mir sonst wenig Menschen wohnen?‹ Er schwieg still und seufzete mit einer solchen Bangigkeit, davon mir allgemach anfingen die Augen aufzugehen, denn er fing dergestalten an, in die Höhe aufzuwachsen, daß sein Haupt weit über den Kirchturm hinaus stund. Ich wich vor Schrecken zurück, und in solchem verschwand er mir unter Augen und ließ mich in unbeschreiblicher Furcht weit von der Stelle im Felde stehen. Nichtsdestoweniger eilete ich in das Kloster und verschwieg gegen dem Alten, was ich gesehen hatte, weil ich noch voll Schrecken und Zittern war. Indem ich nun beschäftiget war, das Feuer anzumachen und bei demselben unsere Abendmahlzeit zu kochen, kommt jemand vor das Gewölb und klopft an. Ich wollte in der erst nicht trauen, weil es aber öfters geschah, ging ich endlich hin und fand eine ziemlich alte Frauensperson draußen stehen, welche auf eine sehr altfränkische Art gekleidet war. Sie sagte kein Wort, sondern überreichte mir ein großes Buch, und sobald ich solches in die Hand gekriegt, verschwand die Frau, und ich hatte einen großen Totenkopf in den Armen. Aus diesem Exempel könnet ihr euch sattsam einbilden, wie ein kurzweiliges Leben ich in diesem Tal geführet habe.

Des andern Morgen ging ich weit in dem Lande herum, und als ich abends wieder nach Hause kam, fand ich meinen alten Mitbruder tot in dem Hof und mit vielen Wunden verwundet unter den Steinen liegen. Ich erblickte ihn erstlich nur bei einem Bein und Zippel des Mönchrockes, als ich ihn aber hervorgezogen, ergriff mich Furcht, Schrecken und Erbarmen zugleich, welches ich ob diesem Spectacul zu fühlen höchst Ursach hatte. Was war da zu tun, oder was konnte ich mir anders einbilden, als wäre er vielleicht von einer eingefallenen Mauer niedergeschlagen worden? Aber die Wunden waren allem Ansehen nach nicht von Steinen, sondern mit Säbel oder Degen gehauen worden, darum ließ ich nach, zu zweifeln, sondern wandte mich vielmehr zu demjenigen [459] Haufen Stein, darunter ich zuvor den alten Eremiten hatte Geld zählen hören, weil ich, ob es schon meinem geistlichen Stand nicht anständig wäre, dennoch viel aufs Geld gehalten. Aber es war fort und weder Heller noch Pfennig an diesem Ort, da ich doch einen so großen Vorrat zu finden gehofft hatte. Darum konnte ich auch leichtlich argwohnen, daß dieser Einsiedler niemanden anders als gewissen Räubern unter die Hände geraten, die vielleicht um diesen verborgenen Schatz einzige Wissenschaft getragen. Andernteils gedachte ich wieder auf den Proviantbauern, und weil man demselbigen Volk ohnedem alle Schalkheit zuschreibet, bildete ich mir bald ein und sprach zu mir selber: ›Hui, daß der Teufel den Bauern geritten und ihn zu einer solchen Tat verleitet hat?‹ Und ob ich wohl dazumal nicht hinter die gewisse Begebenheit gelangen mochte, entschloß ich mich doch, so lange in diesem Ort zu enthalten, bis ich von demselben, welcher nach seiner gepflogenen Gewohnheit über drei Tage gewiß ankommen mußte, einzigen Rat erhalten, was nun mit mir am tauglichsten zu tun wäre.

Ich stackte mich also voll Furcht und Elend in einen andern abgelegenen Winkel und blieb drei Tage und Nächte voll Angst und Zittern in dem Kloster, weil ich immer in Sorgen stund, die Räuber dörften, in Meinung eines mehrern zu genießen, noch einmal anklopfen. Dannenhero verwahrte ich meinen Zugang in das neue Loch mit großen Steinen, darinnen mich auch der beste Spürhund nicht leichtlich würde gerochen haben. Als sich aber nichts anmelden wollte, ging ich den dritten Tag aufs Feld, in Meinung, unserem Bauren entgegenzukommen, aber sein Ausbleiben machte in mir endlich die Meinung zur Gewißheit, die ich wegen seines Mordes und der Plünderung bis dahero, obwohlen noch ungewiß, getragen hatte.

Dazumal fing ich erst an, die Untreue der Welt und ihren Geiz zu beweinen, und es ist nicht zu zweifeln, daß ich mich über dem erbärmlichen Tod dieses frommen Mönchs recht kümmerlich und schmerzlich betrübet habe, weil er mein einziger Freund gewesen, der mir in dieser Welt noch zum Trost gelebet hat.«

8. Capitul. Er kommt zu einem Kurzweiligen vom Adel
[460] VIII. Capitul.
Er kommt zu einem Kurzweiligen vom Adel. Der Totschläger wird wunderlich offenbar.

»Ich könnt euch leichtlich zu Gemüte führen, in was vor einem elenden Zustande meine Sachen dazumal gestanden und wie mit einer großen Furcht in dieser abscheulichen Spelunken mein mühsames Leben zubringen müssen.

Meine Nahrung war dahin, mein bester Freund erschlagen, und was ich am meisten bedauret, ist gewesen, daß ich ihn so schlecht und ohne großem Gepränge, dessen er wohl wert gewesen, habe begraben und unter einen Haufen Kalk und Ziegel scharren müssen. So entstund über dieses in mir eine ziemliche Furcht, daß, wenn man es an umliegenden Orten erführe, mich ohne allen Zweifel eine unrechtmäßige Anklage betreffen möchte, darum waren meine häufigen Sorgen solche Begleiter, die ich auf keinem Ort noch Wege von mir abweisen konnte.

Endlich gab ich mich geduldig darein und achtete es für ein geringes, ob ich gleich wie mein Mitbruder stürbe und erschlagen würde, wenn ich nur eben an dem Ort, da er lag, ruhen könnte, weil er in mir gegen sich eine solche Liebesflamme angezündet, die keiner Verlöschung unterworfen war. Und es ist gewiß, daß ich annoch ein sehnliches Verlangen nach seiner Person trage, vielleicht würde er mir in allem Vornehmen einen solchen Rat erteilen, der zu meinem Besten gereichen würde. Aber ich mußte solches mehr beseufzen als hoffen, gleichwie ich auch dazumal getan, als ich mich zwar unterweilen an ebendiesem ruinierten Ort aufgehalten, aber doch die meiste Zeit mit meinem Bettelsack hin und wider in dem Lande zugebracht habe.

Einsmals nahm ich, wie man zu sagen pfleget, meinen saccum per pakum & nakum, damit wanderte ich zum Tempel hinaus und in der Welt so lange herum, bis ich endlich über dem Gebirg zu einem Edelhof geriet, darinnen ein überaus Kurzweiliger vom Adel sich aufgehalten. Man wies mir den Weg bis vors Tor, weil er den Einwohnern des Dorfes öfters befohlen, alle Fremde, die etwan diese Straße vorbeireisen, hineinzuweisen, indem er aus fremder Leute Conversation [461] eine sonderliche Ergötzlichkeit geschöpfet. Als ich an das Tor kam, mußte ich wider meine sonst angeborne Gewohnheit heftig lachen und mich über allerlei lächerliche Sachen höchst verwundern, die er allda an dem Tor hatte annageln und an der Schloßmauer abmalen lassen. Nebenst einem Schweinskopf waren zwei große rote Strümpfe angeheftet, und auf der Seite hing ein Katzenkopf mit einer Tabakspfeife, samt noch viel andern ungereimten Dingen.

Ober dem Tor stunden nächst einem Turm etliche von Holz geschnitzte Fechter, und wenn sich nur das geringste Lüftlein erhebte, so schlugen sie mit ihren Dusacken einander auf die Köpfe, daß es klatschte. Die Gemälde, weil sie in großer Anzahl allhier anzutreffen waren, konnte ich unmöglich alle im Vorbeigehen betrachten, und mir als einem Geistlichen stund nicht wohl an, mich in Ansehung solcher Narrenpossen lange zu verweilen.

Kam also in den Schloßhof, allwo mich der Edelmann [empfing], so gleich etliche Spielleute dingte, auf künftigen Sonntage in seinem Garten bei einer Comœdia, die er wollte spielen lassen, aufzuwarten. ›Siehe da,‹ sprach er zu sich selbst, als er mich erblickte, ›wieder ein angenehmer Gast. Aber was ist dieses vor ein wunderlicher Habit? Ihr seid kein Capuziner, denn sie gehen nicht allein, so seid Ihr auch kein Jesuit, denn sie gehen schwarz, und ob Ihr gleich zwei Füße habt, so seid Ihr doch kein Barfüßer, darum sagt mir, vor was soll ich Euch halten?‹ – ›Mein Herr,‹ sagte ich, ›ich bin zwar derer keines, wie Ihr selbst zweifelt, aber ich führe ein härteres Leben als mancher unter diesen benannten Ordensbrüdern, denn ich bin ein von aller menschlichen Gesellschaft entäußerter Mensch und lebe als ein Einsiedler in einer einsamen Wüstenei, allwo ich meiner Andacht abwarte.‹

›Ha, ha,‹ sagte er, ›seid Ihr ein Einsiedler? Sehet da, das ist mir lieb, mit Euch in Bekanntschaft zu geraten, mein, wo seid Ihr her?‹ – ›Ich bin‹, sagte ich, ›über dem Gebirg herüber, allwo ich in einem tiefen Tal meine Klausen besitze und mich mit Bettelgehen behelfe.‹ – ›Wie ich sehe,‹ sprach er, ›so ists nicht anders, denn Ihr tut, was Ihr saget, aber wäre Euchs wohl lieb, wenn ich Euch einen Sack voll geräuchertes [462] Fleisch und noch zehen Taler darzu schenkte?‹ Ich sagte, daß mir dadurch kein geringer Dienst geschähe, und also versprach er mirs bei der Hand und führte mich mit sich in seine Stube, weil er gleich zu dem Abendessen gehen wollte. Er hieß mich daselbst an den Tisch sitzen und erst wacker füttern, alsdann sollte ich unbeschwert meinen Lebenslauf erzählen, und wie ich meine Zeit in der Einsiedelei zu verbringen pflegte. Darum schoppte ich meinen ausgehungerten Magen tapfer voll und aß mich einmal recht satt, weil alles auf das wohlgeschmackichste zugerichtet war.

Seine Frau und Kinder sahen mich und meinen Habit mit Verwunderung an, und wenn der Edelmann zu seinem kleinen Söhnlein sprach, daß ich der Knecht Ruprecht wäre, der ihn in den Sack stecken wollte, so fing der Knab abscheulich an zu weinen und zu heulen.

So hat sich auch der Schloßschreiber so sehr in meinen Aufzug vernarret, daß er mich ohn allen Zweifel vor ein neues Tier aus Ethiopien gehalten. Damit fing ich an zu erzählen, wie und auf was Weis ich in diesen Stand geraten, ich meldete aber nichts von meinem Adel, hintansetzend all diejenigen Geschichten, die mir ehedessen unter unser Gesellschaft begegnet sind, sondern ich tat vielmehr eine zugelassene Lüge und fand weit einen andern Umschweif, meiner Sache eine gute und taugliche Farb anzustreichen.

Als ich nun solche Erzählung fast in einer guten Stunde continuieret, fiel mir bei der große Schmerzen, welchen ich über dem unschuldigen Mord meines alten Einsiedlers trug. In diesem Vortrag seufzete ich öfters von Herzen, und der Edelmann merkte wohl, daß mich ein heftiges Übel quälete. Weil er aber, wie er hernach bekennet, geglaubet, als geschehe mein heftiges Seufzen und Wehklagen wegen eines angezogenen Bußkleides oder Filicium, hat er, um die Ursach dessen zu forschen, vor diesmal innengehalten.

Endlich kam ich damit hervor, und als ich ihm umständliche Erklärung getan, wie und auf was Weise ich meinen Mitbruder gefunden und daß ich, meiner Mutmaßung nach, entweder etliche Räuber oder den Bauren, so uns die Victualien gebracht, vor den Täter hielte, fragte er mich, ob ich [463] nicht wüßte, wo der Bauer wäre haussätzig gewesen. Ich verneinte es, weil ich in meinem Kloster so still und eingezogen war, daß ich es vor eine über die Maßen große Sünde gehalten, um solche Sachen zu fragen, an welchen mir nichts gelegen, und dannenhero konnte ich nicht wissen, wo oder in welchem Dorf der Bauer gewohnet hatte.

›Es ist wahr,‹ sprach der Edelmann, ›dieser Casus, wenn man ihn umständlich betrachtet, läßt sich nicht anders urteilen, als daß er von dem Bauren, so euch verproviantieret, begangen worden. Denn mutmaßlich hat er gewußt oder vielleicht ein- und andersmal gesehen, wo der alte Einsiedel das Geld hernimmt.

Dadurch ist er hernach bewogen worden, seinen Vorteil in Eurem Absein zu ergreifen und ihm seine Axt zwischen die Ohren zu schmeißen. Aber holla! würdet Ihr den Bauren wohl kennen, so er Euch unter Augen käme?‹ – ›Warum das nicht,‹ sagte ich, ›er hat sich oft bei uns eingefunden und ist mir mehr denn wohl von Gesicht bekannt.‹

Hiermit stund er von dem Tische auf, rufte mich hinter den Ofen und sprach heimlich in mein Ohr: ›Der Bauer, auf welchen Ihr und ich den Argwohn geworfen, ist allem Ansehen nach mein Wirt in diesem Dorf.‹ Damit klopfte er mich auf die Achsel und sprach weiter: ›Er ist neulich eben über das Gebirg herübergekommen. Weil er einen ziemlichen Schatz von allerhand alten Sorten mit sich brachte, pachtete er meine Schenke, die hier nächst bei dem Schlosse liegt. Er ist in allen Sachen so verzagt, und sooft ich ihn vor mir habe rufen lassen, ist er als ein blasses Tuch erschienen.

Ich kann kaum ein Wort mit ihm reden, so zittert er an Händ und Füßen und siehet sich allenthalben um, gleich als hätte er mehr denn zehen Feinde, die ihm nach dem Leben trachteten, zu fürchten.‹ – ›Ihr werdet‹, sprach ich hierauf zu dem Edelmann, ›ein großes Stück Eurer belobten Tugend sehen lassen, so Ihr diesen Missetäter, wenn es anders ist, mit einer vorsichtigen Klugheit in das Garn krieget.‹

Der Edelmann hieß darauf alsobald in dem Dorfe einen Tanz ausrufen, und weil ich ein wenig geigen kann, so mußte ich auch dazumal zum bessern Behuf unsers vorgenommenen [464] Werkes eine Fiedel ergreifen, weil mich der Edelmann in einen großen Mantel verdecken und also nach dem äußerlichen Ansehen vor dem Wirt verbergen wollte. Nach diesem satzten wir uns wieder an den Tisch, allwo ich voll Verlangen, den Täter zu sehen, der Edelmann aber voll Wunder wegen meiner getanen Relation so lange verharret, bis der Kerl, so zum Tanz allbereit angesagt hatte, wiederum zurücke gekommen.

Diese Gewohnheit, einen Tanz auszurufen, war, wie er mir erzählete, seine gemeineste Kurzweil, absonderlich aber, wenn er im rechten Laun war, weswegen dann die Bauren häufig zugelaufen kamen, weil da jeder nach seiner eigenen Freiheit und Gutdünken leben dorfte.

Es kam eine große Anzahl in die Hofstube, daselbst ihrer Freude einen Anfang zu machen, und ich sah mit Schrecken und Erstaunen in der Person des Wirts ebendenjenigen Bauren, so uns ehedessen in der Klausen das Essen gebracht und unsere Notdurft eingekauft hatte. ›Er ists‹, sprach ich in verstellter Kleidung zu dem Edelmann ins Ohr. Damit ließ er ihn greifen, und also zerfloß die Freude so bald, als schnell sie sich zuvor angesponnen hatte.

Dem armen Tropfen erwachte das Gewissen um so viel desto eher, weil es noch niemalen geruhet hatte, ihm seine frevle Schand- und Mordtat vorzuwerfen. Er bekannte noch vorhero, ehe man ihn gefraget hatte, und als er mich unter Augen kriegte, rufte er schon um Gnad und Barmherzigkeit. Er wollte zu seiner Erledigung das meiste Geld, welches er unter dem Steinhaufen genommen, wieder herschaffen, aber hie half kein Flehen noch Bitten, sondern er wurde an allen vieren geschlossen und dem Landgericht als ein Mörder zu dero scharfen Justiz eingehändiget und übergeben. Kurz darauf ist er mit glühenden Zangen gezwicket und von unten auf gerädert worden, welchen Lohn er mehr als wohl verdienet hat.

Das Geld, welches man noch in großer Quantität bei ihm gefunden, ist den Capitalien eines Armenhauses einverleibet worden. Und kurz darauf bin ich wieder in meine vorige Wohnung mit des Edelmanns großer und reicher Beschenkung [465] angelanget, allwo ich auch meist unter Betrachtung himmlischer Sachen meine Zeit bis dahero zugebracht habe. Wir haben daroben versprochen, unser Leben mit kurzen Umständen zu entwerfen, darumen will ich mit diesem Exempel euch allen vorgegangen, nicht aber vorgeschrieben, sondern nur das gesetzte Ziel hiermit erfüllet und also meine ganze Histori geschlossen haben.«

9. Capitul. Gottfrid erzählet seine Eremiterey
IX. Capitul.
Gottfrid erzählet seine Eremiterey, sein Bruder Christoph tut Meldung von seiner großen Langweil, macht eine Landkarte in dem Wald. Mit was Dietrich seine Zeit passiert. Sempronio stellet vor, wie es ihm indessen gegangen.

Die Ordnung, welche uns zur ferneren Erzählung verbunden, traf bald diesen, bald jenen. Aber weil keiner unter uns allen eine solche Rede wie Herr Friderich tun konnte, als hatten die übrige drei Schüler wenig zu notieren, was etwan einem oder dem andern in seiner Einsiedlerei möchte begegnet sein. Nichtsdestoweniger fing Gottfrid an und erzählte, wie wunderlich ihm seine Pfafferei angestanden. »Ich bin«, sagte er, »all mein Leben lang nit so melancholisch als in dem Wald gewesen.

Nun kann ich mir sattsam einbilden, wie es dem ehrlichen Bruder Friderich gegangen, als er in der Wildnis ganz alleine gesessen und seine Zeit ohne allen Zweifel in Sorgen und Furchten hingebracht hat. Meine größte Ergetzlichkeit war, daß ich in dem vorbeistreichenden Bächlein zuweilen mit dem Angel, zuweilen mit einem kleinen Netzlein die Forellen herausfischte, welche ich mir doch hernachmals weder sieden noch braten konnte, taugten mir also die Fische vielmehr zur Verkürzung der verdrießlichen Stunden als zur Sättigung meines hungrigen Magens. Das Essen, so mir von meinem Schloß gebracht wurde, war meistenteils kalt, also genoß ich kaum halben Teil, das übrige wurf ich in das Bächlein, worinnen sich die allerherrlichsten Fische, dasselbe zu verzehren, zusammensammleten.

Dieses war also mein erstes Mittel, die Zeit zu vertreiben, [466] das andere suchte ich in Durchlesung der alten Legenden, in welchem Buch von unterschiedlichen Heiligen und frommen Eremiten gehandelt wird, wie fleißig und emsig sie in abgelegenen Wäldern ihrer Andacht abgewartet haben. Dieses trieb ich fast täglich, und wenn ich morgens ein Capitul daraus las, so dachte ich den folgenden Tag reiflich nach, wie ich auch ein dergleichen Leben anstellen und vollbringen könnte. Aber es fehlete an meinem Willen und Vermögen um ein merkliches, darum ließ ich die Hoffnung ziemlich sinken, eine solche Vollkommenheit zu erlangen. Insonderheit wenn ich an meine alte Schelmenstücke zurück gedachte, die ich da und dorten und absonderlich in meiner Jugend begangen hatte. Nichtsdestominder habe ich doch das Buch nicht ein-, sondern etlichmal durchlesen, also daß ich von einer jeden Histori wollte Rede und Antwort geben. Ich mußte mich billig verwundern, daß ihrer etliche die Welt dergestalten gehasset, daß sie einen großen Ekel an allen zeitlichen Gütern getragen, sich in die Wildnis begeben und darinnen ihr Leben in höchster Dürftigkeit zugebracht haben. Durch das Exempel solcher Leute wurde ich in mir selbsten aufgemuntert, einzige Gewalt auszustehen, aber ich war zu allem Vornehmen zu schwach und nachlässig, weil ich einer so scharfen Disciplin ganz ungewohnet gewesen. Meinesteils halte ich vor gewiß, daß derjenige, so ein hartes und strenges Leben zu führen willens ist, zu demselben von Jugend auf durch fleißige Übung müsse tauglich gemachet werden. Denn zu einem solchen Leben gehören harte Knochen, und wer der guten Bißlein gewohnt ist, ist nicht leichtlich zu Haberstroh zu gewöhnen. So wollte mir auch das Wasser auf den Wein durchaus nicht schmecken, und in summa, ich bin in der Einsiedlerei nichts wenigers als ein Einsiedler gewesen, weil ich stets zurück in die Welt gewünschet und nach meinem vorigen Zustand unabläßlich geseufzet habe. Dieses sei also das Final von meiner Erzählung, weil euch die anderen Zustände, die einem einsamen Menschen begegnen, als erfahrnen Meistern ohnedem zur Genüge bekannt sind; überlasse also die Zeit einem andern, damit er sich derselben in seiner geschicktern Erzählung gebrauchen kann.«

[467] Nach diesem wurde wieder mit den Würfeln geworfen, durch welchen Wurf sein Bruder Christoph zur Erzählung kam, welcher, gleichwie er, mit wenigen Umständen seinen Zustand entworfen. »Ich will«, sagte er, »gar mit einem geringen Pinsel dasjenige abmalen, was mir zeit meiner Einsamkeit in dem Walde begegnet. Es ist mir mancher Tag länger denn sonsten ein Monat vorgekommen, und wäre mir ohne allen Zweifel unmöglich gewesen, nur vierzehen Tage in einem solchen Wandel auszudauren, wenn ich nicht von Jugend auf mit dem Waidwesen hätte umspringen und also die Zeit noch ziemlich in dem Forst hätte passieren können. Nebenst den Schleifen, in denen ich Hasen und Hühner zur Genüge gefangen, stallte ich auch den Wölfen und Füchsen. Den Tag brachte ich oberzähltermaßen mit dem Waidwesen, die Nacht aber mit Ausmessung dieser Provinz und Landschaft zu, welche ich auch, als ich euch hier weisen werde, nach seinem ordentlichen Zirkul ausgeteilet und auf das Papier gebracht habe. Das übrige, was ich sonsten getan, habet ihr aus dem unter uns aufgezeichneten Diario oder Tagebuch genugsam zu sehen. Wenn ich die Langweil betrachte, derer ein einsamer Mensch, der ohnedem nicht gerne Grillen fänget, unterworfen sein muß, so ist sie eine unbeschreibliche Pein, nicht allein dem Geist, sondern auch dem Leib, wie ich denn, ob ich gleich des Waldes von Natur gewohnet war, dennoch am ganzen Leib verfallen und vom Fleische gekommen bin.«

Nach dieser Erzählung wurde wieder geworfen, und traf die Ordnung den Herren Dietrich, welcher mit einem großen Seufzer seine Worte hervorfoderte. »O meine Zunge,« sagte er, »du bist zu wenig, all das Ungemach auszusprechen, darinnen du und ich bis dahero gestecket haben. Zwar meine vielfältig begangene Bosheit hatte eine solche Buß höchst vonnöten, ohne welcher ich sonsten vielleicht in eine größere Seelengefahr gekommen wäre. Ihr wisset und ist euch insgesamt bekannt, wie bitter die Wurzeln zu genießen sind, und weil ich aus großem Verlangen, den alten Eremiten gleich zu werden, mich, gleichwie sie getan, unterstund, dieselben aus der Erde zu graben, ist es fast nit zu glauben, wie schrecklichen Schmerzen ich in meinem Magen darüber [468] empfunden habe. Ich ward anfangs so betrübt in meinem Herzen, daß ich oftermals in die halbe Nacht weinete. Dazumal gedachte ich zurück an unsere gepflogene Fröhlichkeiten und verwunderte mich, wie sich der Mensch selbst so gram werden und sich so gar ausdermaßen übel halten könnte. ›O Dietrich,‹ sagte ich zu mir selbsten, ›nur fort mit dieser Lebensart, fahre fort, fahre fort.‹ Aber dieser Antrieb machte mir zugleich einen Ekel, welchen ich ob den Sachen trug, die ich mir zu tun doch gänzlich vorgesetzt hatte. Endlich fing ich an, meine Zeit mit Bücherschreiben hinzubringen. Ich nahm mir vor, die alten Rittergeschichten zu beschreiben, und weil ich in solchen trefflich belesen, konnte ichs gar wohl in das Werk richten. Zuweilen brachte ich in Erweiterung meiner Zellen zu, welche ziemlich durchlöchert war. Unterweilen geigte ich auf meiner Violin, daß es in dem Wald schallete, und konnte mich trefflich an dem Echo ergetzen, welches von einem unweit entlegenen Felsen zurückfiel. Die Lieder, so ich abends bei meinem Öllicht aufgesetzet, sang ich meistenteils des Morgens zum Fenster aus, und alsdann ging ich meinen Weg da-, den andern dorthin spazieren, wie ich denn nach Ausweisung des Tagbuches in unterschiedliche Dörfer gekommen, in welchen ich von meinen eigenen Untertanen ganz unkenntlich Brot und Eier gesammlet habe. Meinesteils achtete ichs zwar nicht gar groß, ob ich auch gleich hinfüro all mein Lebenstage in der Wildnis zubringen sollte, denn ich habe es wider Verhoffen schon in etwas gewohnet, weil ich dieses Leben am Anfang mit aller Gewalt angefangen und meinen Willen durchaus gebrochen habe. Die Gewohnheit, ob man sie wohl vor unüberwindlich schätzet, kann doch wieder mit der Gewohnheit überwältiget werden. Consuetudo consuetudine vincitur, aber es muß ein starkes Leder sein, aus welchem man der verderbten Natur einen Zaum machen will. Dieses sei also meine Relation aus der Wüsten, die ich zwar viel länger hinausführen könnte, wenn eurer nicht so viel vorhanden wären, die ich auch gerne hören wollte. Bitte demnach, was meine ungeschickte Zunge versehen, dasselbe mit einem günstigen Auge zu übersehen, weil ich keinesweges zweifle, [469] daß dieser Fehler durch die Wohlberedsamkeit meines Nachfolgers gänzlich wird erwidert und ersetzet werden.«

»Du machest ein schreckliches Compliment«, sprach Philipp, und nachdem er mit mir und Sempronio geworfen hatte, traf diesen letzten die Ordnung, welcher, als ein fein studierter und höflicher Mensch, mit wenigem darstellte, wie es ihm seit unseres letztern Abscheidens aus dem Bauerndorf, darinnen er Hochzeit gemacht hätte, gegangen wär. »Ob ich schon«, fing er an, »mit euch kein gleiches Leben geführet, so lege ich nichtsdestoweniger eine gleiche Erzählung ab. Euer Leben ist verstandenermaßen meistenteils langweilig und meines ist nicht gar lustig gewesen. Statt eurer Langweil hatte ich meine sonderliche Haussorgen und andere Widerwärtigkeiten, die sich nicht sowohl erzählen als beherzigen lassen. Ihr sehet, daß ich annoch in der Trauer gehe, darum habt ihr genugsam zu betrachten, wie heftig mich das Absterben meines ersten Söhnleins gequälet hat. Diese Betrübnis hat eure einsiedlerische Grillen weit übertroffen, und ich bin dadurch in mir und meinem Herzen vielleicht viel mehr als ihr in euren rauhen Kleidern gedemütiget worden. Die widerwärtige Streitsachen mit meinen Processen machten mir mehr Sorgen, als euch die Einsamkeit verursachen können. Es wäre mir besser gewesen, ich hätte gefastet, als daß ich, von dem und jenem Zustand übereilet, mit Zorn und Widerwillen mein Bißlein Brot genossen. Ihr könnt unmöglich solchen Kummer ausgestanden haben als ich, da mir mein Meierhof samt allem Vieh und enthaltenem Getreide im Feuer und lichter Lohe aufgegangen. Gelt, ihr Herren, ich bin ein anderer Kreuzbruder als ihr? Ob ich schon ein sammetes Röcklein und eine Taffethosen am Leib getragen, ihr hingegen mit härinen Kleidern überzogen waret, so peinigte mich doch dieses alles noch mehr in dem Gemüt, als euch die harte und zum Teil härine Stricke gepeiniget haben. Ihr dörft keinesweges glauben, daß ich dazumal froh gewesen bin, als mir das hochgewachsene Wasser all meine Heuschober auf den Wiesen davonführte. Viel weniger habe ich gelachet, als mir der große Wetterschaden achtzehn Hufen Landes in Grund und Boden [470] verderbet und niedergeschlagen hat. Ein fleißiger Hausmann, wie ihr wohl wisset, hat auch seine Pein und vielleicht eine viel größere als mancher Mönch in seinem Kloster, dem sein Essen täglich vorgesetzet wird. Wer um sein Stücklein Brot sorgen muß, hat keine geringe Lection zu studieren, darum bin ich erfreuet, daß Herr Bruder Friderich in dieser Erkenntnis so weit kommen, seine Einsamkeit dermalen zu verlassen und ein fleißiger Hauswirt zu werden. Mit diesem will ich zwar meine Rede, nicht aber die große Dienstfertigkeit schließen, mit welcher ich jedem insonderheit zugetan bin.«

Man griff nach diesem abermal zu den Würfeln, und die Ordnung betraf meinen Vater Alexander, welcher, weil sein Zustand ohnedem genugsam bekannt war, vor dieses Mal mit seiner Erzählung bis zu einem anderen Discurs verschonet blieb. Darumen mußte der Sequens, als Herr Philipp, an die Reihe, welcher sein Leben mit so lächerlichen Umständen entworfen, daß einer nach seiner Art mit Lust hätte bei ihm wohnen und ein guter Eremit sein können.

10. Capitul. Philipp erzählet seinen Zustand
X. Capitul.
Philipp erzählet seinen Zustand; fällt ins Wasser. Ein Jungfrau kommt zu seiner Klause. Wie es ihm mit dem Tabuletkrämer gegangen. Sein Schaffjung lobt unter allen die Dorothee.

»Ich habe«, sagte er, »keine große Speculationes gemacht, wie oder auf was Art ich mein Leben anfangen, fort- oder ausführen wollte. Dennoch ging es mir in dem Wald contrapunct hintereinander. Mein Häuslein stund auf einem abhängigen Felsen, unter welchem ein tiefer Bach hinrann. Diese Gelegenheit taugte mir zum guten Bau, denn ich klebte meine Bretter auf den Berg und machte das heimliche Gemach recta den Felsen auf das Wasser herunter, damit mir das unheilige Rauchwerk keine große Ungelegenheit verursachen möchte.« – »Pfui,« sagten hierauf die Frauen, »Herr Philipp fänget allgemach an, die alte Glocke zu läuten.« »Was?« sprach er, »was vor eine alte Glocke? Ja, ihr lieben [471] Kinder, ich glaube, es sei mich die Lust teuer genug angekommen, denn als ich einsmals in voller Postur auf diesem neuen Gebäude saß, kann es sein, daß es mit den Klammnägeln nicht gar zu feste ist versehen worden, fiel also samt dem ganzen Werk hinunter in den Fluß und hatte genug zu tun, daß ich nicht gar ersoffen bin, weil ich mich wegen der auf mich liegenden Bretter weder hier-noch dorthin habe wenden können. Endlich kam ich heraus und stund an dem Ufer wie ein nasser Hund, der den Prügel geholet. Was konnte ich machen? Ich stieg den Berg wieder hinan und trücknete mich daselbst, so gut ich konnte, an der Sonnen. Wegen des Ortes großer Einsamkeit scheuete ich mich nicht, meine Kutte vom bloßen Leibe abzuziehen und also ganz nackicht unter freiem Himmel zu sitzen, weil es zumalen trefflich warm und ein überaus angenehmer Tag war. Mein Gehäuse, so allgemach den Bach hinunterschwamm, kam mir von ferne nicht viel anders als eine Galliote vor, und ich mußte selbst darüber lachen, daß ich als Schiffpatron so unvorsichtig wäre von ihr heruntergeschossen worden. ›Schwimme hin,‹ sagte ich, ›du wackeres Orlochsschiff, ins große Weltmeer und grüße alle wackere Herings- und Stockfischsköpfe. Deinen Segel will ich anitzo an der Sonne trücken, und hernachmals will ich dir zu letzten Ehren unter demselben, nämlich meinem Rock, streichen lassen.‹ Damit breitete ich den Habit auf zweien Stangen auseinander und klopfte ihn mit einem kleinen Stäblein wacker aus, weil sich allgemach viel Läuse in demselben zu sammlen angefangen hatten.

Indem ich so am besten mit meiner Arbeit beschäftiget ward, ritt eine Weibsperson, so sich in dem Wald verirret hatte, den Hügel herauf, voll Seufzen und Weinen. Sie drückte ihre Augen in ein Schnupfsalvet, ich konnte mich aber nichtsdestoweniger vor ihr nicht so geschwinde verbergen, noch mich in meinen Rock verstecken, daß sie mich nicht mit Schrecken und Entsetzung erblicket hätte. Das Pferd fing an, heftig zu wiehren, ich aber kroch, soviel mir möglich, hinter meinen Habit und guckte, wie ich in dem Bettelsack Herrn Friderichs getan, nur mit dem Kopf hervor. Sie wollte [472] sich, weiß nicht, aus Scham oder Furcht, augenblicklich zurückwenden, als ich sie anredete, wo sie hergekommen und was sie in dem Wald suchte. ›Ach,‹ sagte sie endlich, nach lang wiederholtem Fragen, ›ich suche hierinnen nichts als die rechte Straße, aus dem Wald zu gelangen.‹ Auf diese Antwort hieß ich sie so lange unter dem Berg halten, bis ich mich würde angezogen haben, und als solches geschehen, ging ich mit ihr nicht allein den Wald, sondern noch ein langes Feldweges hinaus, allwo ich sie auf eine Straße geleitet, die gegen mein Schloß ging. ›Auf diesem Weg‹, sagte ich zu ihr, ›werdet Ihr auf das Schloß Oberstein kommen, welches zwei hohe Türmer hat. Die Dächer sind mit grünen Ziegeln gedeckt, und so Ihr allda anlanget, so saget, daß Ihr bei dem Einsiedel Philippus gewesen, welcher Euch dahin beschieden und zugleich dem Torwärter befohlen hätte, Euch nach dem Ort hinzuweisen, dahin Euch Euer Verlangen träget.‹

Ihr dörft nicht zweifeln, daß ich von diesem überaus schönen Fräulein alles ausgefragt habe, wie sie in den Wald gekommen und was die Ursach ihrer Einsamkeit wäre, aber sie wollte durchaus mit keiner Erklärung an den Tag, sondern gab vielmehr vor, daß einem Einsiedler an einer solchen Erzählung, wie sie tun müßte, weniger als nichts gelegen wäre, und strafte also gleichsam meinen Vorwitz, solche Sachen zu erforschen, daraus mir kein Nutzen entspringen konnte. Nichtsdestoweniger merkte ich aus allen Umständen so viel, daß sie aus einem vornehmen Haus müßte entsprossen und geboren sein, weil sie solches aus allen ihren Gebärden merklich spüren ließ. Ich habe nach diesem, und zwar erst vor acht Tagen, nach meiner Heimkunft zu Oberstein von dem Torwärter erfahren, daß sie mit vier Dienern in blauer Liverey, welche ihr auf der Straße nachgesetzet, den andern Tag nach ihrer Ankunft wäre eingeholet und wieder zurücke geführet worden. Die Ursach aber und die eigentliche Geschicht hätte er so wenig als ich erfahren können, ohne daß ihm die Jungfer einen feinen Ducaten zu seinem Trankgelde zurückgelassen.

Sonsten verbrachte ich die Zeit, über welche ihr so sehr [473] geklagt, daß sie euch so langweilig gewesen, meist mit Vogelfangen zu. Wenn ich nachtszeit den Kuckuck oder die Nachteulen jauchzen hörte, so jauchzete ich auch in meiner Zelle, daß es taugte. In summa, wie die Vögel pfiffen, so pfiff ich auch, wie sie schrien, so schrie ich hinwider und hatte noch wohl das Herz, ihnen mit meiner Flinte den Stimmstock umzuwerfen. Ihr saget viel von eurem harten Lager und Fasttägen. Aber ich weiß keine große Meldung davon zu tun, weil ich von meinem Schlosse das Beste zu fressen und trinken bekommen. So hatte ich auch mein bestes Bette in dem Wald, konnte also meine Zeit gar vergnüglich passieren und stund oft erst auf, wenn die Sonne schon halben Lauf vollendet hatte.

Also vertrieb ich die Zeit. Morgens verrichtete ich eine Viertelstunde meine Preces. Darnach ging ich in den Wald mit meinem Blasrohr oder auch wohl mit dem Pallester, den Vögeln nach. Unterweilen schoß ich auch einen Hasen, zog also wunderlich in dem Wald herum, daß billig einer über meinen Aufzug hätte lachen sollen. Denn ich war wie ein Tartar, der seinen großen Bogen auf dem Rücken hängen hat. Nebenst diesem hatte ich auf der anderen Seite in einem gestrickten Säcklein die Leimkugeln. Auf der anderen Seite hing mir meine Flinte an einem ledernen Riemen, und in der Hand trug ich das Blasrohr, und also könnet ihr euch meine damalige Gestalt genugsam aus meiner Erzählung vorbilden, wie einen wunderlichen Aufzug ich gehabt müsse haben. Zuweilen hatte ich anstatt der Pfaffenmütze meinen grünen Jägerhut auf, und also strich ich so lang herum, bis mir mein Schaffjung das Essen in einem großen Korb gebracht.

Einsmals kam ein Tabulet-Krämer in den Wald, und als er mich erblicket, eilete er dergestalten wieder zurück, daß er, weil ihm sein Kram zu schwer werden wollte, solchen von dem Halse wurf, damit er desto ungehinderter mich, als welchen er für einen Waldgeist gehalten, fliehen möchte. Ich habe ihn mit Gewalt wieder auf den Rückweg bereden müssen, und ob er gleich endlich seinen Kram wieder an den Hals gehangen, konnte er doch die Meinung nicht gar verschwinden lassen, die er wegen meiner gefaßt hatte, denn er [474] eilete, was er mochte, von mir hinweg und sah sich öfter denn zwanzigmal zurück. Letztlich schoß ich ihm, als einem verzagten Hasen, noch etliche Kugeln auf sein ledern Wammes, darüber er zu heulen angefangen wie ein alter Wolf.

Mit dieser Lust ging ich nach Haus in meine Zelle, daselbst meine gebratene Hühner, Artischocken, gesottene Hechte, Forellen und sonsten ein gut gebacken Stück Essen zu verzehren. Und ob ich euchs gleich nicht sagte, so würdet ihr mirs doch ohne allen Zweifel genugsam an dem Schnabel anmerken, wie fleißig ich mein Gläslein Wein und einen guten Suff Bier zu mir genommen habe. Nur die einzige lausige Kutte machte mir die größte Überlast, bis ich endlich resolvierte, ein gut Hemd darunter anzuziehen; aber mein Weib, welches gar zu eine eiferige Madam war, schlug mirs in allen Gnaden ab und ließ mir davor vermelden, daß ich für diejenigen Schläge, die ich ihr dort und dar aus Mutwillen und ohne Ursach gegeben, fein sauber büßen und mich zur Pönitenz von den Läusen solle kitzeln und stechen lassen.« Über dieses wurde eine gute Weile unter uns gelachet, bis er weiter in seiner Erzählung, und zwar also, fortfuhr: »Wenn ich mich nun in meiner Zelle genugsam gefüttert hatte, mußte mir der Schaffjung indessen erzählen, wie es auf dem Schlosse stünde und was das Gesind Guts machte, aber der Schelm lobte niemand mehr als die Viehmagd, wie fleißig sie ihrem of ficio bubulco abwartete und wie früh sie aufstünde, das Vieh zu füttern, daraus ich beiläufig wohl abnehmen konnte, wie verliebt der Schelm in die Dorothee sein müßte, wie ich denn bald darauf erfahren, daß sie der Mauskopf unrechtmäßigerweise beschlafen und also dem großen Lob der Viehmagd ein ziemliches Loch gemacht hatte. Wenn nun der Schaffjung mit seinem leeren Korb und Geschirr wieder zurückging, satzte ich mich, zu schreiben mein Buch, welches noch das beste Stück ist, so ich zeit meiner Einsiedlerei getan und verrichtet habe. Denn vielleicht findet sich einer darüber, der eine gute Frucht daraus ziehet. Und ob ich gleich große Streiche mit meinem Leben in dem Walde hätte tun wollen, so wars mir doch unmöglich, meinen Humor in einen andern Model zu gießen. Jedennoch [475] wurde ich um ein merkliches gebessert, und die Frucht, so ich aus meiner Einsamkeit mit mir trage, ist nicht gänzlich zu verwerfen. Ich weiß am besten, ihr Herren, wo mich der Schuch drücket. Rechtschaffen gelebet, seinem Nächsten Guts getan und sein Gewissen vor wissentlichen Sünden rein behalten, darinnen stehet die wahre Vollkommenheit. Ein Gläslein Wein mit einem guten Freund auszupoculieren, ist keine Sünde, wenn man nur der Sachen, wie wir sonsten pflegten, nicht gar zu viel tut. Ich habe einen Geist, den der Tausendste nicht hat, und wie ich gesinnet bin, das wisset ihr am besten, die ihr die meiste Zeit eures Lebens um mich gewesen seid.«

»Nun wird es Zeit sein, daß du«, sprach er zu mir, »und hernach auch das Frauenzimmer ihre Relation ablegen, alsdann wollen wir anrichten lassen und unsere Zeit mit anderen Sachen vertreiben.«

11. Capitul. Discurrieret von dem Unterscheid satirischer Schriften
XI. Capitul.
Discurrieret von dem Unterscheid satirischer Schriften.

Das Frauenzimmer wie auch ich machten es nicht gar lange, weil es nunmehr fast Zeit zu essen war. Jedennoch erzähleten wir alle, so gut wir vermochten, unsere Begebenheiten. Ich war ihr Anführer, darum brachte ich alle das auf die Bahn, dessen ich vorhin im ersten Capitul dieses Buches gedacht habe. Als solches vollendet war, kam die Frau Philippin auf die Bahn, welche es ihrem Herren in dem Fasten und Kasteiung des Leibes weit bevorgetan hatte.

Die Frau Herren Gottfridens wollte viel Irrwische und andere Geister gesehen haben. Frau Sempronin hatte etliche Bücher durchlesen, und meine Gemahlin rühmete sich ihrer fleißigen Teppichtnaht. Also erzählete eine dies, die andere das, welches ich darumen hier nicht in richtiger Ordnung beschreiben kann, weil die Studenten, als verliebte Donnerschelmen, sich an der Erzählung des löblichen Frauenzimmers dergestalten vernarret und vergaffet, daß sie in Aufzeichnung des Protocolls bald hier, bald dort einen merklichen [476] Fleck außen und zurücke gelassen haben. Ist also die Schuld der Concipienten und nit meine, weil ich die Erzählungen von ihnen hernachmals abgeschrieben, die sie aus dem Mund auf das Papier getragen haben. Denn weil mir von unserem löblichen Collegio die Beschreibung dieser Histori ist übergeben worden, habe ich dort und dar zusammengetragen und also die Geschicht nach ihrer Ordnung so viel einrichten müssen, wie ich gekonnt, und nicht, wie ich wohl billig gesollt habe. Denn bei dergleichen Zusammenkünften redet man viel, das man hernach leichtlich wieder vergisset, und so ich mir alle Abend nicht gewisse Locos communes darüber aufgesetzet hätte, zweifle ich gänzlich, ob ich wäre gewachsen gewesen, diese Arbeit, so gering und schlecht sie auch ist, hinauszuführen, indem es meine erste Schrift ist, die ich all mein Lebtag in den Druck gegeben, und also noch derjenigen Vorteil nit recht habhaft bin, derer sich sonst die Bücherschreiber insgemein zu bedienen wissen. Doch will ich in diesem Werk tun, so viel mir möglich ist, und mir angelegen sein lassen, nit weit von der Hauptmaterie abzuweichen, weil ich solche ohne großen Umschweif bis zum vollen Beschluß dieses Verlaufes auszuführen willens bin.

Wir satzten uns demnach zu Tische, und die Studenten wurden in meiner Küchenstube a parte tractiert, weil sie uns, gleichwie sie zuvor getan hatten, auf Geigen und bei der Tafel eine stille Musik machen mußten. Sooft sie ein Stücklein oder zwei aufgestrichen hatten, pflegte einer um den andern etwas von seinem Schulwesen zu erzählen, in welcher Verrichtung sie meistenteils ihre Præceptores abscheulich durch die Hechel gezogen haben. Aber Herr Friderich hielt ihnen solches Vornehmen nit für gut, weil man, wie er sagte, nach der christlichen Bescheidenheit vielmehr den Fehler seines Nächsten zu- als aufdecken solle. »Man ist schuldig,« sagte er, »allen Menschen, absonderlich aber denen, unter derer Information wir gesessen und gleichsam die Milch der Weisheit von ihnen gesogen haben, alles Gute nachzureden, weil wir, nach der Vermahnung des gelehrtenAristotelis, die Præceptores gleich den Eltern, ja etlichermaßen [477] noch höher als dieselben verehren sollen. Denn die Eltern haben uns nur das Leben gegeben, jene aber lehren und unterrichten uns, wie wir das Leben, welches wir von den Eltern empfangen, glückselig und mit gutem Ruhm zubringen sollen. Dieses«, sagte Herr Friderich, »ist die erste Schuldigkeit. Die andere bestehet in dem, daß man keinem Geistlichen, er lebe auch, wie er will, nichts Schlimmes nachrede noch nachschreibe, denn sie haben ihre Richter. Wer etwas wider eine solche Person zu klagen oder zu tadeln hat, der gehe zu seinem Obern, dieser ist gesetzet, jenen zu corrigieren. Es stehet schändlich, wenn man solchen Leuten übel nachredet, von welchen wir müssen absolvieret werden. Oftermalen scheinet etwas in unsern Augen häßlich, das doch an sich selbst löblich ist. Und ein tadelhafter Mensch findet leichtlich Gelegenheit, seinen Nächsten auch in der allerunschuldigsten Sache abscheulich durch die Hechel zu ziehen. Wie es manchem bekommet, lehret der Ausgang. Vors dritte lasse man das Rathaus und das Regiment unangetastet, denn, wo Obrigkeit ist, die ist von Gott, sündiget sie, so sündiget sie Gott und nicht uns Menschen, der wird sie auch strafen. Dieses sind drei Notwendigkeiten, die ein junger Mensch wohl lernen muß, so er nicht in Ungelegenheit und zu Schaden kommen will.

Und wer lebt unter uns allen oder welcher«, sprach er zu den Studenten, »ist unter euch vieren, der nicht solche Fauten begangen hat, um welcher willen man ihn wieder wacker durch die Hechel und alle Prædicamenta herdurchziehen könnte? Meinet ihr nicht, daß mir etliche Sachen von euch bekannt sind, derer ihr euch selbst schämen müsset? Wie wäre es, wenn ihr einen andern ein Dieb heißet, und ihr hättet den Galgen selbsten verdienet? Wie wäre es, wenn ihr andere Hurer hießet, und ihr wäret selbsten die ärgsten Ehebrecher? Ach, liebe Gesellen, greifet in euren Busen, ihr seid Krebse; wollet ihr nun, daß andere Leute nicht den Ruckweg laufen sollen, so gehet ihnen mit einem guten Exempel vor und laufet voran. I præ, gehe vor, mein lieber Censor, gehe vor!

Ihr richtet andere Leute höhnisch aus, und wenn ihr an dero [478] Stell wäret, so würdet ihr erst Fauten begehen, darüber man nicht allein eine Scarteque, sondern ganze Comödien schreiben könnte. Darum bleibt es wahr und bei den Worten des hocherleuchteten Thomas von Kempis, wenn er schreibet, daß wir Menschen die kleinen Fehler unsers Nächstens allezeit mit scharfem Gesichte anschauen, unsere große Laster aber im Gegenteil mit zugeschlossenen Augen betrachten.«

Diese Rede Herrn Friderichs nahmen die Studenten mit guter Bescheidenheit an, wenn sie bald darauf nicht allein seine Vermahnung höchlich lobten und herausstrichen, sondern noch über dieses und gleichsam zum Überfluß behaupteten, daß es zwar nicht gar recht getan sei, seinen Nächsten ohne Unterschied der Zeit, des Orts und des Standes höhnisch abzuwürzen, aber gleichwohl wäre es höchst nötig und nützlich, die Lumpenfehler, welche ohnedem keiner öffentlichen Strafe unterworfen wären, dann und wann mit einer satirischen Spitzrute abzustäupen, doch, daß es also geschehe, damit man in dieses nützliche Confect nicht zu viel Essig, das ist, nit zu viel von solchen Sachen einmischte, dadurch man denjenigen, den man zu bessern suchet, nur zorniger und böser machet. »Denn es ist dem Menschen gut,« sagten sie weiter, »daß er zuweilen, von seinen eigenen Schandflecken beschämet, zur Demut sich niederlasse und durch dieses Mittel gleichsam seine Federn, die er sonst gleich einem Pfauen auszubreiten gewohnet ist, niederzulassen ermahnet werde. Ein solcher Satyr war die helle Sonne, als sie dem hochflüchtigen Icarus seine Wachsfedern zerschmolzen und ihn, wie billig, grausamerweis in das Meer gestürzet hat, allwo er die Hitze seines Hochmuts mit häufigem Wasser abzukühlen genugsame Gelegenheit gehabt. So werden auch vors andere solche Fauten und Exorbitanzien nicht zur Strafe derjenigen, welche sie begangen, sondern vielmehr zum Abscheu derjenigen erzählet, die sich vielleicht dermaleins in ebendiese Fußstapfen würden verleiten lassen, worinnen solche Grillhansen allgemach herumspazieret sind. Solche Satiren sind nicht allein höchst zulässig, sondern bringen großen Nutzen in das gemeine Wesen, dadurch man vielen Leuten aus den Mäulern kommet. [479] Und was ist herrlicher, als wenn man noch heutzutage von Rom redet, wie klug ihre Mauren beschützet und wie mit einer vorsichtigen Geschicklichkeit ihre Bürger regiert worden? Was ist aber im Gegenspiel abenteuerlicher, als wenn man anfänget zu erzählen von einem abgeschmackten Hirschauer Possen? Solche ungesalzene Köpfe gibt es noch allenthalben, darum ist es nötig, daß man sie in etwas abpinsele und sie durch Erzählung ihrer eigenen Taten zum Erkenntnus ihrer Unvollkommenheit bringe und leite.

Man lieset mit Lust in den Historien, daß etliche Weibsbilder, sich selbst feind zu werden und dieser Welt keine Ärgernus zu verursachen, ihre eigene Gesichter und reizende Gestalten beschändelt und mit allerlei fressenden Wassern ihr Antlitz bemakelt haben. Ein solch beißendes Wasser ist eine satirische Strafschrift, wenn sie aus einer bescheidenen und unpassionierten Feder herfließet, die billig an dem Wert dem Gold weit vorzuziehen ist. Aber man muß nichtsdestominder zum großen Verdruß sehen, daß die gestrafte Laster sich dadurch nicht niederlegen, sondern gleich den stolzen Meereswellen bei einem großen Winde gegen die Wolken steigen, davon sie aber nichts als einen plötzlichen Fall gegen den Abgrund zu gewarten haben, allwo sie sich auch endlich verbergen und von ihrem Toben nachlassen müssen. Surgunt in altum, ut lapsu graviori ruant. Die Laster erheben sich zwar wohl mit den stolzen Wellen, sie sausen, sie brausen, werden wütend und tobend, aber sie können nichtsdestoweniger in der Höhe, dahin sie sich mit Gewalt schwingen, nicht bestehen, sondern müssen gleich den Wellen wieder in den Abgrund eilen und daselbsten untereinander ihre eingebildete Gewalt und Herrlichkeit ablegen.« Dieses redeten die Studenten bei der Tafel, zwischen welchem wir allerlei Gesundheiten herumgehen ließen. Insonderheit aber wünschten wir Herrn Friderichen bei vorstehendem Abschied viel Glück und Heil zu einer gesegneten Ehe, weil an dieser Glückseligkeit, nämlich sich wohl zu verehlichen, ein merkliches Stück dieser zeitlichen Vergnügung zu finden ist.

»Ich will«, sprach er, »kein langer Hosenbrüter noch Hagestolz sein, wie es dergleichen heutzutage allenthalben gibt [480] die sich lieber ein Ohr abschneiden als zu einer Heirat wollen raten lassen. Sie suchen bald da, bald dort, und wenn man sie fragt, warum sie nit heiraten, schützen sie die schlimme Zeit vor. Aber sie müssen lange leben, ehe sie die rechte Zeit erwarten, weil die Welt nicht besser, sondern immer schlimmer wird. Also nehmen auch die Zeiten ab, und ich halte es vor eine große Glückseligkeit, wer in der schlimmen Zeit einen solchen Freund haben kann, dem er seine Not und Anliegen samt andern Zuständen herzlich vertrauen darf. Denn in der guten braucht ers nicht.«

12. Capitul. Kurzweiliges Bauernduell auf dem Schloß Herrn Wilhelmens
XII. Capitul.
Kurzweiliges Bauernduell auf dem Schloß Herrn Wilhelmens von Abstorff.

Darnach verließen wir aneinander, und nahm jeder seinen Abschied an seinen Ort, das vorige Hauswesen aufs neue wieder anzutreten, von welchem wir uns schon lange zum Teil in die Wälder, zum Teil an ander einsame Örter abgesondert hatten. Es wurde allgemach sehr warm, und die Sonne brannte heftig, als mich Herr Friderich ersuchte, ihm vor diesmal auf sein Gut Gesellschaft zu leisten, damit ich ihm daselbsten in Anrichtung seines neuen Hauswesens behülflich sein und sonsten mit allerhand Ratschlägen an die Hand gehen möchte, wie ein und anderer Hausvorteil, derer er in seiner Einsiedlerei bis daher ziemlich vergessen hatte, am füglichsten möchte unterhanden genommen werden. Absonderlich aber fragte er mich wegen seiner bevorstehenden Heirat um guten und getreuen Rat, weil er sich in diesem Werke nicht wohl trauete, auf seinen Kopf alleine zu bauen. Und als er mir auf der Reise nach seinem Schlößlein seine Meinung eröffnete, hielten wir allerlei Unterredungen, sein Interesse wegen dieser Sache betreffend. Er sagte, daß er seine Inclination auf ein Fräulein einer adeligen Wittibe geworfen, welche ihm auf einem Schlosse in dieser Revier, als er daselbsten betteln gewesen, überaus wohl gefallen und ihm also das Herz in einem Augenblick genommen hätte. »Sie ist«, sagte er, »eine überaus schöne Dam, dergleichen ich [481] noch wenig, so weit und ferne ich auch in der Welt herumgereiset bin, unter Augen bekommen. Sie ist nicht stolz noch eingebildet, viel weniger eine Klatscherin, wie leider heutzutage allenthalben anzutreffen sind. Ihr Humor ist gar emsig und sittsam, und sooft ich auf das Schloß kam, welches nicht selten geschah, habe ich sie allezeit über gewissen Gebetbüchern gefunden, aus welchen sie ihre Ruhe gesuchet. Und damit mir dieser Vogel nicht vor der Zeit abgefangen, noch mir unversehens aus dem Netze getrieben werde, so ist es nötig, daß ich zeitlich zu dem Werk schreite, denn es heißet: tardi venere bubulci, und wo ich die Gelegenheit versaumte, dörfte sie einem in die Arme geraten, an welchem sein Leben lang kein gutes Haar gewesen. Er ist der bekannte Barthel auf der Heide, dessen begangene Possen und Finanzen, weil sie weltkündig sind, dir nicht können verborgen sein. Er sucht viel mehr ihr Geld als ihre Affection, weil er sonsten kein Mittel im ganzen Land übrig weiß, sich seinen großen Schulden zu entreißen. Dieser Tag wäre zu kurz,« sagte Herr Friderich weiter, »dir alle Causen zu erzählen, vermittelst welcher er sie nach seiner Pfeife locken wollen, aber es ist gewiß, daß wir noch endlich in die Haare geraten dörften, weil zwei Hunde an einem Beine, nach dem bekannten Sprüchwort, nicht einig sein können, zumalen ich auch zum Überfluß weiß, daß er der Dam nur zum Verdruß und Widerwillen aufwartet.«

Diese Erzählung des Friderichs vermehrte ich mit meiner Unterredung, und weil ich sah, daß dieser Handel ohne Widerwillen der zweien Liebhaber nit ablaufen könnte, als riet ich ihm, daß er dem Barthel auf der Heide, dessen Unbescheidenheit allzu bekannt war, keine Ursache gebe, an ihn zu kommen, wäre es aber Sache, daß der Barthel, dessen er sonsten meisterlich gewohnt war, selbst anbeißen würde, so solle er sehen, wie er am füglichsten mit ihm auf eine Wiese oder hinter einen Eichenbusch käme, daselbst ihre Fuchteln miteinander zu messen und zu sehen, wie er ihm den besten Stoß in die Seite oder sonsten wo anbrächte.

In einem solchen Gespräche kamen wir vor ein adeliges Haus, welches mitten in einem fischreichen Teiche gebauen war. [482] Es solle in demselben, wie wir auf der Straße berichtet worden, ein überaus Kurzweiliger vom Adel, und zwar ein Witwer, wohnen, der ehedessen im Felde einen Rittmeister agiert und dem Vaterland große Dienste erwiesen hatte. Ehe daß wir noch vor das Tor geritten, kamen etliche Bauren mit Windhunden gegangen, welchen er auf einem Lichtschimmel nachfolgete. Er hatte zwei Jäger bei sich und war vor diesmal auf der Hasenhatze gewesen, seine Zeit zu verkürzen und, wie er sagte, zugleich seine Küche zu spicken. Die Freundlichkeit, die uns dieser Edelmann auf der Straße erwiesen, ist nicht genugsam zu rühmen. Aber viel wunderlicher seine reale Gutwilligkeit, mit der er uns als Unbekannte in seinem Hause getractiert. Er brachte noch selbigen Abends einen Sackpfeifer, und weil er Bauernkerl in Turm sitzen hatte, die sich vergangener Tagen miteinander auf einer Hochzeit gezanket, konnte er sie mit keiner großen Execution ansehen, darum erdachte er ein Mittel, uns durch ihre Bestrafung zugleich eine Kurzweil zu verursachen.

Ließ sie demnach vor uns an den Tisch bringen, und sprach er zu ihnen: »Ihr müsset wissen, daß ihr neulich ziemlich über die Schnure gehauen und auf einer solchen Zusammenkunft Händel angefangen habet, die ihr wegen der Präsenz des Ehrwürdigen Herrn Pfaffens und seines Caplans billig hättet sollen unterwegen lassen. Nun aber sind gegenwärtige Herren Gerichtsverwalter und Schöpsen (hiemit wies er mit einem Reverenz auf uns beide) allhie versammelt, euch durch mich das Urteil, welches wegen eures Frevels auf der hohen Schul gesprochen worden, anzudeuten. So soll euch allen der Staupbesen gegeben werden, wenn nicht meine einlaufende Gnad das Beste bei der Sache getan hätte. Darum habe ich euch, als meinen Untertanen, das Urteil in etwas gelindert, und ist die ganze Sache dermalen dabei geblieben, daß ihr euch hier zu dreien Malen mit Fäusten Paar und Paar aneinander herumschmeißen und zu jedem Gange eine gute Viertelstund zubringen sollet.«

Mit diesem Anspruch waren die Bauernknechte trefflich zufrieden und fingen schon an, jeder sein rotes Wammes zu eröffnen, damit sie im Gefechte desto besser Atem schöpfen [483] und einer dem andern stärkere Knübelfinger versetzen möchte. Wir mußten über die wunderliche Anstalt des kurzweiligen Besitzers viel mehr als über der Bauren ihren Mutwillen lachen, welchen sie absonderlich darinnen verspüren ließen, indem sie wie die Katzen einander in die Haare gefallen. Wir hatten zu tun, daß sie die Becher nicht von der Tafel hinunterstießen, sooft sie aber unserer Stellage zu nahe kamen, schmiß sie der Besitzer mit seinem spanischen Rohr wacker zwischen die Ohren, davon sie viel mehr als von ihren Ohrfeigen zu bluten angefangen.

Indem dieser Bauernscharmützel continuierte, mußte der Sackpfeifer und noch ein anderer Narr, der auf der Zither kratzte, Lärmen darzu aufspielen, und diese Lust pflegte dieser Edelmann nach Aussag seiner Leute so oft, als er ein dergleichen Pack ins Gefängnis kriegte. Es ist nicht zu beschreiben, wie unterschiedliche Gaukelpossen dieser vom Adel angefangen, uns dadurch einzige Ergötzung zu verursachen. Nebenst diesem Bauernscharmützel, darinnen ihrer etliche ziemliche Pumpusbirn davongetragen, ließ er auch etliche Kettenhund und Katzen aneinander in dem Zimmer herumbeißen, und es hat wenig gefehlet, daß ihm die Katzen nicht alle Fenster in der Stube ausgestoßen haben.

Dieselbige Nacht regnete es, wie man mit Schäffern gosse, und weil er uns in eine Kammer logiert, nächst welcher ein großes Waldgebüsche stund, ruheten wir unter dem sanften Gemurmel der Regentropfen und unter dem darzu spielenden Wind recht sanfte und stackten unter der Decke nichts als ein halbes Ohr hervor, dadurch dem lieblichen Resonanz desto besser zuzuhören. Des andern Morgens stunden wir etwas spät auf, denn weilen es wegen trüb überzogenen Himmels wie auch wegen der umstehenden dichten Bäume in der Kammer etwas finster und dunkel war, konnten wir uns nicht leichtlich in den Tag finden, zumalen die Schloßuhr zweimal aneinander bald zwölf, bald wieder eine andere Ziffer geschlagen. Weil wir aber aus dem starken Hin- und Widergehen des Schloßgesindes wohl abnehmen können, daß es nunmehr hohe Zeit wäre, sich aus dem Fedrigen herauszuheben, stunden wir endlich auf und waren gleich angekleidet, [484] als der Schloßherr, mit Namen Wilhelmen von Abstorff, zu uns kam, aus Meinung, wir wären heimlich durch- und ohne Abschied davongegangen.

»Ich habe mir«, sprach er, »weit ein anders eingebildet, als ich vor Augen sehe. Es ist mir öfters widerfahren, daß meine Herren Gäste in occulta qualitate davongewischet sind, aus Furcht, sie möchten allzusehr von mir besoffen werden, aber ich habe demselbigen Gebrauch lange resigniert. Heute«, sagte er weiter, »stehet eine Fischerei in meinem Teiche vor, und so lange werde ich der Herren ihre Pferde verarrestieren, bis Sie mir solche mit Ihrer angenehmen Gesellschaft haben verrichten helfen.«

Wir bedankten uns seiner Höflichkeit, vorgebend, daß wir allgemach schon eine überflüssige Ehre und Gutwilligkeit genossen, deswegen wären wir fertig, unseren Weg, der sich noch auf ein ziemliches erstreckte, weiter zu suchen und die angenehme Gelegenheit zu erwarten, all seine ungemeine Affection mit gleichmäßigen oder andern Diensten zu erwidern. Er aber ließ uns nicht vom Hals, sondern verschwur sich hoch und teuer, vor vollzogener Fischerei keinen außer sein Gehege zu lassen. Deswegen resolvierten wir uns endlich, bis dahin zu verziehen und seiner angenehmen Freundschaft ferner zu genießen, weil wir ohnedem nichts Hauptsächliches durch eine solche Zeit zu versaumen hatten.

Hiermit ward er wohl zufrieden und führete uns gegen seinem Teich über eine große Wiese, allwo wir ein Schifflein bestiegen und den Fischern zusahen, wie sie ihre Netze hineinsenkten und wieder an sich zogen. »Hier«, sprach Herr Wilhelm von Abstorff, »genieße ich die größte Gemütsruhe unter der Sonnen. Wenn ich, so wie ich anjetzo tue, auf dem Wasser herumfahre, bin ich quitt und frei von allen Anläufen und andern Ungelegenheiten. Es kommt kein Bauer zu mir, der mich mit einer langen Klage gegen seinem Nachbar verdrießlich macht, so fraget mich nicht leichtlich einer um den Weg. Die Bettler klopfen an einem solchen Ort um kein Almosen an, und hat kein Mensch das Herz, mich allhier auf den Kampfplatz zu fordern. Die Herrschaft lässet mir hier zu keiner Kopfsteuer ansagen, so bitten mich auch meine[485] Nachbarn auf dem Teiche nicht zu Gevatter noch einer Hochzeit. Darum sitze ich oftmals einen halben Tag in den allerangenehmsten Gedanken allhier auf dem Schifflein und fahre bald zu demselbigen Gesträuße hinunter und also dann wieder zu diesem Baumlein herauf, unterweilen fange ich mit meinem Grundangel die fettesten Karpfen, und wenn es anfängt Abend zu werden, eile ich heim und lasse mir das Gefangene mit Essig hübsch blau absieden oder auch eine gute Brühe mit Pfefferkuchen darüber zubereiten, und also genieße ich dieses Teiches viel mehr als sonst ein großer Herr seines herrlichen Palasts, in welchem es wenig Freude, aber stets viel zu flicken abgibt.«

Anderes Buch

1. Capitul. Wolffgang und Friderich treffen zu Abstorff bei Herrn Wilhelm
I. Capitul.
Wolffgang und Friderich treffen zu Abstorff bei Herrn Wilhelm einen schönen Altar an. Was Barthel auf der Heide vor ein sauberer Vogel gewesen.

Diese Wasserlust genossen wir auf dem Fischteiche, unter währender Arbeit der fleißigen Fischer, mit guter Vergnügung und mußten uns zugleich über die wunderliche Lebensart Herrn Wilhelmens von Abstorff verwundern, welcher zu seiner Gemütsruhe vor allen andern diesen einsamen Teiche erkieset und auf demselben seinen Gedanken Audienz zu geben gewohnet war. Nachdem er in dieser Verrichtung etliche Stunden mit großem Nutzen hingebracht, führte er uns auf seinem Kobelwagen wieder in das Schlößlein, in welchem wir uns miteinander bei einem guten Stuck Karpfen recht lustig machten. Er schätzte unsere Freundschaft so hoch, daß er durchaus unsere Brüderschaft verlangte, dannenhero schätzten wir uns in diesem Fall recht glückselig, mit diesem wackern Cavalier in so gute Bekanntschaft zu geraten, derer wir hernach, nach Ausweisung dieses Tractats, mit sonderlichem Content, mehr denn tausendfältig genossen haben. Denn dazumal waren die Brüderschaften noch etwas Sonderliches und dahero nicht so gemein wie heutzutage. Man hat solche dazumal vor ein unauflösliches Band einer herzlichen Vereinigung geheißen, da sich die Duzbrüder nicht sowohl mit Worten als mit dem Werk zusammen verbunden und vereiniget haben. Und man hatte auch damals, meistens aber in unserer Landschaft, drei hauptsächliche Punkten, welche wahre brüderliche Freunde mit- und untereinander eingehen mußten. Als erstlich, daß sich [487] jeder seines Orts auf einen recht christlichen, ehrlich- und lobwürdigen Tugendwandel beflissen und sich in seinem Leben also erzeigen soll, damit er das Zeugnis eines frommen Christens von allen Menschen davontragen möchte. Vors andere soll und mußte er sich verbinden, seinem brüderlichen Freund, dafern er ihm in Nöten und andern Unglücksfällen rechtmäßig beistehen könnte, behülfliche Hand zu leisten. Vors dritte war jeder seines Orts verbunden, seinen Bruder von allen solchen Fehlern abzuhalten und abzumahnen, die ihm zum Übel und Nachteil ausschlagen möchten.

Diese drei Punkten, welche erheblich genug sind, eine wahre Freundschaft zu hegen und zu gründen, gingen wir auch vor diesmal untereinander einmütig ein, und wir versprachen Herrn Wilhelmen über dieses, uns bei ehester Zusammenkunft unserer Gesellschaft dahin zu bewerben, damit er als ein wohlanständiges Glied in die Compagnie möchte mit eingebracht und also unser Orden verstärket werden.

Er war dessen überaus wohl zufrieden und versprach gleich anfangs, daß er sich mit einem guten Schmaus bei uns insgesamt trefflich wollte sehen lassen. Wie er mir denn insonderheit, um dieses Vorhaben schleunigst zu befördern, eine schöne Büchse mit acht Zügen, auf dem Schaft mit künstlich geschnittenem Beine eingeleget, verehret hat. Dem Friderich aber präsentierte er eine Halsuhre, welche ehedessen ein großer Fürst im Lande solle gebraucht haben. Also wurden wir durch seine aufrichtige Gutherzigkeit und recht teutsche Treue gezwungen, diesen Tage auf dem Schlosse auszuhalten und dann erst des andern Morgens unsern Wege weiter zu suchen.

Nach verrichtetem Mittagessen gingen wir in seine Schloßkapelle, die an einem einsamen Ort nicht weit vom Wassergraben stund, daselbsten den Altar samt andern enthaltenen Sachen zu besichtigen, weil Friderich an dergleichen Altertum große Vergnügung suchte. Die Grabschriften, welche wir alldorten angetroffen, waren meistens auf diejenigen gerichtet, die ehedessen in diesem adeligen Freischloß gesessen hatten. Daraus wir wohl abnehmen konnten, daß er aus [488] einem sehr alten Geschlechte müsse entsprossen sein. Unter andern wies er uns auf einem Altare ein überaus schönes Bildnis einer Jungfrauen, und »vermeinet ihr,« sprach er, »wessen dieses Bildnis sei?« Wir sahens in der erste vor die Cecilia, hernach aber, als wir etwas genauer hinzugetreten, vor die heilige Barbara an, weil hinter ihr im Dunkeln ein Rad gemalet war, mit welchem Zeichen sie sonst insgemein pflegt abgemalen und vorgestellet zu werden. »Es ist«, sprach Friderich, »allem Ansehen nach die heilige Jungfer Barbara, von welcher man in den Legenden lieset, daß sie wegen ihres angenommenen christlichen Glaubens von ihrem eigenen Vater, der meines Bedünkens ein heidnischer Richter war, erstlich mit dem Rad ist gestoßen, nachdem aber solches in Stücke gegangen, mit dem Schwert ist hingerichtet worden.« – »Es ist dem also,« antwortete Herr Wilhelm, »aber wie gefällt den Herren Brüdern diese Gestalt und Proportion des Leibes?« – »Sie ist«, sagte ich, »überaus schön gestellet, und man muß gestehen, daß der Maler durch seine Kunst in der Vollkommenheit die Natur überstiegen habe.« – »Ja,« sagte er, »es scheinet zwar also, aber die Wahrheit zu gestehen, so ist dieses Bildnis, wie es die Herren vor Augen sehen, ein Conterfey einer adeligen Jungfrauen, welche hier in unseren Landen wohnet. Sie ist eine einzige Tochter einer reichen Witwe und hat nur noch einen Bruder, welcher dermalen auf einer Universität sich enthältet und dem Studieren oblieget.« – »Ich muß mich verwundern,« sagte Friderich, welcher zugleich im Gesichte ganz entfärbet worden, »wie diese Contrafactur an diesen Ort gekommen und aus was Ursach man einen Altar damit bezieren wollen. Der Sache ist zwar an sich selbst dadurch nichts benommen, denn ob die heilige Jungfrau Barbara auf diese oder eine andere jungfräuliche Gestalt gemalen oder geschildert werde, daran ist der Andacht desjenigen wenig benommen, welcher, sie zu verehren, anher kniet und sein Wachslichtlein vor derselben anstecket. Aber wie ist dieses Bild zu solchem Aestim gekommen, und wer hat es hereingebracht?«

»Die Gelegenheit,« sprach Wilhelm, »vermittelst welcher dieses herrliche und wohlgetroffene Stück in diese Kapelle [489] gekommen, will ich kürzlich erzählen.« Als solches Herr Wilhelm geredet, gab Friderich ganz beflissen auf seine fernere Worte Achtung, denn dieses Conterfey war kein anders als die Copie seiner so herzlich geliebten adeligen Dame, von welcher er mir wegen seiner Inclination auf der Reise so viel erzählet und gelobet hatte. Ich wußte es zwar dazumal noch nicht, und ob mir wohl die Verwechslung seiner Farbe ein mehrers Nachdenken verursachen können, ließ ichs doch an seinen Ort bewenden, weil er ein sehr schöner und subtiler Mensch war, daher seine zarte Complexion leichtlich einer solchen Veränderung ohne zufällige Dinge mochte unterworfen sein.

»Es wohnet«, erzählte Herr Wilhelm weiter fort, »ein Edelmann lediges Standes drei Meil Weges von hier in einem abgebrannten Haus, welches er von allen seinen Gütern, derer ehedessen viel zu seinem Erbe gezählet worden, noch einzig und alleine übrigbehalten. Man zweifelt, ob sich ein Dachfähnlein im großen Sturmwetter so oft herumdrehen kann, als oft er seinen Sinn und Mut verwechselt. Er weiß von nichts weniger als von seinem Glauben Rechenschaft zu geben, aber die Nachbarschaft aneinander zu hetzen und sie von einem Proceß in den andern zu führen, ist er ein abgerichteter Lauer und Tausendkünstler. Wenn ihr ihn noch nicht kennet, so habt ihr aufs wenigste vom Barthel auf der Heide reden gehört, welchem mein gegebenes Lob billig zukommet. Eben der Teiche, welchen ich heute morgens gefischet, ist seinem Vater zugestanden, und daß ich mich mit dem unruhigen Kopf nur ohne gerichtlichen Proceß enthalten kann, erzeige ich ihm wider sein Verdienen noch allen nachbarlichen Willen, weil ich sonst kein Mittel ersehe, mit ihm in behaglichem Frieden zu bleiben.

Dieser Barthel auf der Heide ist der Fundator dieses Altars, und sind etwan acht Wochen verstrichen, als er solches von ebendemjenigen Schlosse zu mir gebracht, wo diese Dame ihren Wohnsitz hat. ›Bruder,‹ sagte er zu mir, ›ich bin unglücklich in meiner Liebe. Diejenige Jungfer, so ich willens war, im Original mit mir zu bringen, muß ich leider in der Copie herumführen. Ich kam auf das Schloß, sie durch Beistand [490] etlicher Knechte ihrer Mutter zu entführen, aber sie mag Wind davon bekommen haben, denn sie war in keinem Teil des Schlosses mehr zu finden, und war also nur mein einziges Mittel, mich an diesem Conterfey zu ergetzen, welches ich billig so hoch schätze, daß es an einen solchen Ort gesetzet werde, allwo sie die Person und Bildnis einer heiligen Jungfrau präsentieren soll.‹ Diese Wort redete Herr Barthel mit bestürztem Gemüte hier auf meinem Schlößlein und beredete mich, wie er denn ein meisterlicher Zungendrescher ist, mit allerlei Umständen endlich dahin, daß ich nicht allein einen Maler dieses Rad und andere Figuren noch darzumalen, sondern auch, wie ihr sehet, gar einen Altar daraus formieren lassen. Und seitdem dieses geschehen, kommet er gemeiniglich die Woche zwei- oder dreimal auf seinem Schimmel hiehergeritten und ergetzet sich etliche Stunden durch bloßes Ansehen an dem Bilde, daß ihn alle diejenigen Leute für höchst andächtig halten müssen, die nichts um den Betrug wissen.

Wenn etwas an ihm wäre, das man loben könnte, so wäre sein Exceß, welchen er in diesem blinden Liebeseifer begangen, ihm noch in etwas zugute zu halten, demnach er aber ein Mensch von verrückter Stirn ist und all dasjenige, was er anfängt, einen schlimmen Ausgang nimmet, wird er nicht allein von der adeligen Jungfer, sondern auch von allen unsersgleichens billig geflohen und gehasset.

Er ist sonsten ein Mensch, der auf nichts, als seinen Nächsten um das Seine zu bringen, studieret. Mit Betrug leget er sich zu Bette, mit Betrug stehet er wieder auf, und er ist keinem Volk auf Erden so affectionieret und zugetan als den Advocaten, weil [er] seine ganze irdische Freude–ob er eine ewige glaubt oder nicht, das weiß ich nicht – nur in der bloßen Zanksucht suchet. Ihr werdet bei ihm viel Spielkarten finden, ja, er hat derer so viel beisammen gehabt, daß man gar gewiß weiß, wie er nur allein mit den alten zerrissenen Blättern eine warme Stube machen können. Einsmals ist ihm wegen einer geliebten Jungfer ein Zahn ausgeschlagen worden, denselben Zahn trägt er in Silber eingefasset allenthalben bei sich, und wer zu ihm auf sein Haus kommet, [491] der muß aus dem Willkomm, worein er diesen Zahn wirft, etliche Maß Bier aussaufen, oder er kommet durch die Weigerung dessen in unverhoffte Ungelegenheit, wie ihrer etliche viel Lieder davon zu singen wissen.

Er hat noch einen alten Weinberg, der trägt ihm jährlich so viel, daß er dreißig bis vierzig Eimer vors Geld ausschenken kann, und es darf einer nur den Abend drei Groschen anstehen lassen, so schickt er ihm des andern Morgens schon einen Mahnzettul ins Haus. Seine ganze Bibliothek bestehet in achtundfunfzig Calendern, die sein seliger Herr Vater, der ein stattlicher und wohlvorsichtiger Cavalier war, als ein fleißiger Haushalter die Zeit seines Hausstandes zusammengesammelt und aufeinandergenähet hat. Dieselbigen Calender leget er denen, so ihn besuchen, vor die Nase, damit sie sich in denselben umsehen können, was etwan vor diesem für Zeiten gewesen und was das Korn gegolten habe.

Einsmals schickte er sie zum Buchbinder, daß er einen neuen Überzug darzu verfertigen sollte; aber der Bauer, welchem er diese seine ganze Bibliothek in die Stadt zu tragen anvertrauet hatte, verlor einen auf der Straße. Davor mußte er ihm acht von dem Hagelwetter eingeschlagene Fenster am Schlößlein reparieren und ausflicken lassen, weil der Bauer keinen andern, der mit dem Jahr des verlornen übereintraf, in allen Buchläden zu Kauf bekommen können. Wenn ein Fremder durch sein Dorf reiset, so lässet er sie von den Jungen mit Kot und Drecke werfen. Dadurch machet er seinen eigenen Profit zunichte, weil fast kein Mensch, der um die Leichtfertigkeit Kundschaft hat, hindurchreiset.«

2. Capitul. Ein Organist bettelt auf dem Schloß
II. Capitul.
Ein Organist bettelt auf dem Schloß. Wunderlicher Einzug zu Abstorff. Sie hören in der Nacht einzigen Tumult an dem Schloßtor.

Diese und noch mehr andere Stücklein erzählete uns Herr Wilhelm von dem saubern Barthel auf der Heide, die nicht wert sind, daß man in Beschreibung ihrer Nichtigkeit die Folge der Histori dieses Werkes auf die Seiten setze. »Die [492] Welt«, sprach Friderich, »ist mit ihren Inwohnern wunderlich, man findet Leute mit vollem Zaum nach solchen Lastern eilen, daran andere von Natur einen Ekel haben. Denn gleichwie ...« Indem er, so wie er sonst pflegte, fortreden wollte, kam ein alter Mann mit einem eisgrauen Bart vor die Tür der Kapellen, und Herr Wilhelm war auf den Torwärter ungehalten, daß er einen Fremden, wie dieser war, ohne Anmeldung hatte zum Schlosse eingehen lassen. »Wer seid Ihr?« sagte er darauf zu ihm, »und was machet Ihr hier vor der Kapelle?« – »Ich bin,« antwortete der Alte, »wie Ihr aus gegenwärtigem Clavichordio wohl abnehmen könnet, ein armer und nunmehr ganz verlassener ut, re, mi, fa, sol, la, muß, dem Himmel und ehrlichen Leuten sei es geklaget, mein Bißlein Brot taliter qualiter, tam supra quam infra in dem Land herum suchen und sehen, wo etwan eine Suppe für mich gesotten oder ein Stücklein Fleisch gekochet sei. Ehedessen, da die langen Noten noch im Schwang gingen und das laufende Teufelszeug noch nicht im Gebrauch war, da galt unsereiner auch etwas, aber seitdem der Teufel die Signor Si und dergleichen Gesindlein aus dem verfluchten Welschland herausgeschlagen, die den Teutschen das Geld abstehlen und, wenn sie sich bereichert und genug eingesammlet haben, wie die Katzen vom Speck wiederum davonwischen, da gelte ich armer Knisterbart und meinesgleichens nichts mehr. Wo ich ehedessen gesungen und aufgespielet habe, da muß ich anitzo pausieren, die neuen Coloraturen und Fugen, die gelten allein, und in welchem Gesang man keine solche durcheinander findet, das muß auch nicht gut sein. Wo ich also ein Kirchlein oder Kapelle sehe, es sei gleich in der Stadt, auf einem Dorfe oder Schlosse, da gehe ich gleich zu, entweder darinnen bei gefügter Gelegenheit mit meinem Clavichordi aufzuwarten, denn ich bin ein Organist und ehedessen über dem Gebirg ein Schulmeister zu Weireck gewesen, allwo mich auch ein solcher krummfüßigter Parlate Con Noi aus dem Sattel gehoben und mir wie ein Schelm mein Stücklein Brot vor dem Maul abgeschnitten hat.

Seht, Ihr Herren, das kränket mich, habe fünf kleine Kinder [493] und kein Weib, so ist es auch in dem Land ziemlich teuer zehren, muß also so lang herum utremifasolieren, bis es besser wird. Die Bauren, die anitzo allenthalben rebellisch werden, machen auch große Uneinigkeit, und so weiß ich bei meiner Treu nicht, wo ich, als ein erlebter Mann, mit meiner Hudelei mich noch endlich hinwenden soll. Haben nun meine hoch- und wohledle Herren ein anständiges Dienstlein vor mich, bitte ich, mir solches vor einem anderen Lumpenhund zu gönnen. Was ein anderer mit der Kunst tut, das will ich mit meiner Andacht ersetzen. Ist es aber umsonst und dermalen vor mich keine vacierende Stelle vorhanden, wie ich denn allgemach schon in dem Schlosse gehöret habe, so bitte ich nichtsdestoweniger, meine hochedle und respective große Patronen wollen Ihre freigebige Hand, die noch niemalen den Dürftigen ein Almosen mitzuteilen ermüdet worden, auch gegen mir armen, alten, verlassenen Organisten auftun und zum Respect dieser hohen und weltgepriesenen Kunst mir mit einem kleinen Viatico nach Ihrem Belieben willfahren, damit ich mich weitertragen und meiner ferneren Beförderung nacheilen kann. Meines Orts werde alle Occasion an die Hand nehmen, derselben hohen Munificenz mit einem, obwohl unvermögenden, jedennoch dankbegierigen Herzen und Gemüte die Zeit meines wenigen Lebens in Untertänigkeit zu erkennen.«

Mit diesen Worten machte der Organist ein großes Reverenz und legte zugleich sein Clavichordium von den Schultern, welches er an zweien großen Riemen bis dahero am Halse gehangen hatte.

»Ihr habt Eure Lection hübsch gelernet,« sprach Herr Wilhelm, »wie dergleichen Vaganten alle können, die in dem Lande herumfahren und zum Schimpf ihrer erlernten Profession fast vor allen Türen betteln. Sobald ihr zwei oder drei Griffe auf dem Clavier könnet, so gebt ihr Narren euch für Virtuosen aus und betrüget die Leute mit eurem Geschwätz. Ich will ein Schelm sein, wenn Ihr, wie Ihr saget, zu Weireck seid Schulmeister gewesen. Ich bin daselbst sowohl als allhier bekannt und habe fast alle Kirchendiener zum öftern unter Augen gehabt, darunter ich Euch niemalen gesehen.«

[494] »Ja,« sprach der Organist, »ich war die meiste Zeit krank und laborierte am Podagra, daß es also nicht recht mit mir fort wollte.« – »Das muß sein,« sprach Wilhelm, »und ich glaube es gern, daß Ihr das Podagra habet, darum werden die Fundamenta, die Ihr in der Musik haben sollet, sehr seichte und schlecht sein.« Auf dieses fing ich an und fragte ihn, wieviel er Ton statuierte. »Ach, lieber Herr,« gab er mir zur Antwort, »das habe ich schon lange aus dem Gedächtnis gelassen, gedenket, ein Mensch wie ich, der so continuierlich krank lieget, kann von solchen Sachen wenig behalten.« – »Wie resolvieret Ihr denn«, fragte ich weiter, »die falsche Quint?« Damit schwang er sein Instrument wieder an den Hals, sah sich ein wenig um und lief, was er konnte, gegen das Schloßtor. Es war nicht anders, als stünde auf offenem Felde ein Has auf, wie schnell wir den Bachanten mit unseren Stäben verfolget. Er aber eilete dermaßen, daß er nicht allein sein Clavichordium, sondern noch darzu seinen angehefteten Bart auf der Straße verloren, dadurch wir leichtlich mutmaßen können, daß es entweder ein angestellter Poß vom Philippen oder aber ein heimlicher Spion gewesen, welcher das Land unter einer fremden Person und Gestalt durchzuwandern pfleget.

Man satzte ihm mit zweien reitenden Knechten eilfertig nach, aber der Fuchs wußte ohne allen Zweifel mehr Löcher als eines, darum war er vor dasmal unmöglich einzuholen. Wir aber bekümmerten uns endlich nicht gar viel darum, sondern nahmen unsere Abendmahlzeit mit gutem Appetit zu uns, nach welcher wir mit unserem neuen Bruder bei einer Pfeife Tobak ein fröhliches Gespräche angefangen, in welchem er uns weiter erzählet, was für ein ehrbarer Schafhund der vorbenannte Barthel auf der Heide wäre. Friderich aber, welcher mir, absonderlich wegen des Altars, allerlei ins Ohr vertrauet, war allem Ansehen nach über vorgetane Erzählung Herren Wilhelmens sehr bestürzet. Wir hielten auch endlich dafür, daß dieser Organist wohl gar der Barthel auf der Heide dörfte gewesen sein.

Indem wir so miteinander redeten und mit einem guten Glas Bier die Hitze des Tobaks temperierten, erschien in dem [495] Schloßhof ein plötzlicher Feuerglanz. Ich und Friderich erschraken nit unbillig, denn jeder unter uns hielt es für eine schädliche Flamme, die sich aus einer verdeckten Asche oder sonsten durch ein Unglück hervorgeschwungen hätte. Dieses zu argwohnen, hatten wir wegen des weggelaufenen Spionens große Ursach und wären ohne allen Zweifel noch mehr erschrocken, so uns Wilhelm mit seinem freundlichen Anlächeln nicht ein anders zu verstehen gegeben. »Es ist gottlob kein Brand noch anders schädliches Feuer,« sprach er, »und was ihr hie sehet, ist die gewöhnliche Ehre, mit welcher ich alle diejenigen zu bewillkommen pflege, die ich das erste Mal auf meinem Schlosse zu bewirten gewürdiget werde. Ich sollte zwar, wie es meine höchste Schuldigkeit erfordert, euch mit einem sonderlichen Freudenfeuer oder wohlgesetztem Feuerwerk beehren, indessen aber, weil es mein eingepflanzter Humor so erfordert, soll dieses vor diesmal nur ein Zeichen meines guten Willens sein.«

Indem er so redete, kamen mehr denn zweihundert Bauernjungen, jeder mit einer Pechfackel in der Rechten und in der Linken eine Pfeife tragend, mit welcher jeder sein eigen Liedlein pfiff. Vornen an ritt ein großer Bauernflegel mit lauter Fuchsschwänzen behangen, welcher mit seiner großen Schalmeien der gesamten Bauermusik præludierte. Er saß rückwärts auf einem Esel, und also mußte ihm, anstatt des Zaumes, der Schwanz zu einem Leitseil dienen. Die Jungen gingen Paar und Paar in der Ordnung, und nachdem sie den Hof dreimal mit großem Gelächter der Zusehenden herumgegangen, marschierten sie eben in der Ordnung wieder ab, in welcher sie gekommen sind.

Diese Kurzweil, ob sie wohl etwas lächerlich war, kostete doch nicht so viel als ein großes und unnötiges Gepränge, welches oftermalen nicht sowohl zur Ehre der Herrschaft als zum Verderb der Untertanen gereichet. Und hatten vielleicht eine mehrere Ergetzlichkeit als von einem großen und unnötigen Aufzug des großen Moguls, darob man nur die Augen zum Geldgeiz aufsperren kann. Wir aber ergetzeten durch diese Kurzweil unsere Gemüter und vergaßen dadurch der Grillen, die uns da und dorten eingenommen hatten.

[496] Es fiel auf solches ein großer Regen ein, sonst hätte er seine übrige Feuer-Raquet, die er meisterlich zu schlagen wußte, in der Luft angefeuret, dannenhero waren wir vielmehr beflissen, zur Nachtruhe zu gelangen und in der vorigen Kammer der gestrigen Ergetzlichkeit von den rauschenden Baumblättern zu genießen, welche uns unter einem sehr angenehmen Gemurmel eingeschläfert haben.

Und weil wir gegen Herrn Wilhelmen diese große Vergnügung so heftig gelobet, wollte er uns auch vor dieses Mal Gesellschaft in der Nacht leisten, weil wir durch den ganzen Tag seine stete Beiwohner gewesen. Wir legten uns demnach alle drei in eine Kammer, ein jeder in ein absonderliches Bette. Wir beide aber hätten lieber gesehen, daß Herr Wilhelm diese Freundschaft vor dasmal aufgeschoben hätte, weil wir dadurch verhindert worden, unserer eigenen Angelegenheiten wegen der Braut nachzuforschen, davon Herr Wilhelm dermalen noch nichts wußte, daß sie Herr Friderich so heftig und ohne Vergleichnis liebte. Dannenhero machten wir aus der Not eine Tugend, und indem wir mit ihm allerlei Gespräche pflegten, schliefen wir unter währendem Regen und Sturmwind ein.

Wir hatten etwan eine oder aufs meiste zwei Stunden geschlafen, als ein großes Geschrei vor unsere Kammer, allwo die Landstraße zwischen den in die Ordnung gepflanzten Bäumen durchging, entstanden, und weil wir uns alle drei, aus dem ersten Schlafe erwachend, nicht darein zu finden wußten, bildete sich jeder die Gefahr zum größten ein. Es war aber dieser Tumult nichts anders als ein heftiges Rufen eines Menschen, der an dem Schloßtor mit einem Steine an klopfte und daselbst den Torwärter, ober dessen Logament wir schliefen, um den nächsten Weg einer bekannten Stadt fragte.

3. Capitul. Friderich und Wolffgang kommen in unverhofftes Gefängnis
[497] III. Capitul.
Friderich und Wolffgang kommen in unverhofftes Gefängnis, hören ober sich einen wunderseltsamen Discurs. Endlich hilft ihnen ein Bettler aus dem Traum.

Des andern Morgens, ob es gleich wegen annoch instehenden Wind- und Regenwetters etwas widrig war, hebten wir uns doch beizeiten aus dem Lager und verstunden von dem Torwärter, daß die vorige Person ein Diener mit einer blauen Liverey gewesen, der nebenst einer anderen Person, die er wegen Entfernung und ihrer Verdeckung nicht wohl zu Gesicht bringen können, nach dem richtigen Landwege gefraget hatten.

Mit diesem Bescheid ließ Herr Wilhelm ein gutes Frühstücke zubereiten, und als wir uns nach demselben bei dem Schloßgesind mit einem Trankgeld, bei Herrn Wilhelmen aber mit unseren gewöhnlichen Complimenten abgefunden, ritten wir unter großen Wachshüten und dergleichen Mänteln im tiefen Kot zum Schlosse aus.

Wir hatten wegen lang gepflogener Unterredung in der Kammer etwas zu wenig geschlafen, und weil wir über dieses bei dem Frühstücke zu tief in den Wermutwein gebissen, bekamen wir guten Appetit, auf den Pferden einzuschlummern und all sachte die Straße, welche nach unserm Bedünken nicht irren ließ, vor uns zu reiten, mit diesem Beding, daß einer um den andern beflissen sein sollte, damit wir den rechten Pfad nicht verlieren möchten.

Also verhülleten wir uns in die große Mäntel, daß uns einer von ferne viel ehe für große Braupfannen als Edelleute sollte angesehen haben, schliefen auch in so lieblichem Geräusche der angeschossenen Bächlein sanft ein und ließen die Pferde hingehen, wohin sie der Weg trug.

In dieser angenehmen und ruhigen Bewegung ritten wir aus hernachmaliger Erfahrung einen ziemlich weiten Weg und vergaßen beide der getanen Parola, daß einer um den andern sich wolle wachend auf der Straße finden lassen.

Es ist dannenhero unmöglich zu erzählen, wer oder was uns auf diesem schlafenden Ritt aufgestoßen sei, zumalen wir mit unsern Träumen und anderen Phantasien auf solcher Reise genugsam [498] zu handeln hatten. Da wir aber erwachten, fanden wir uns beide mit Schrecken an Eisen und Fessel geschlossen.

Friderich sah mich und ich sah ihn wieder an. Wir wollten den Schlaf aus den Augen wischen, aber die weit auseinandergeschlossenen Arme verhinderten, daß wir nicht allein dieses unterlassen, sondern noch darzu alle Hoffnung auf die Seite setzen mußten, einer dem andern behülfliche Hand zu leisten. Ich stund auf dieser, er auf jener Seite des Gewölbes, welches etwan von einem solchen Fensterlein wie seine Einsiedlerei erleuchtet worden. »Ich bin«, sprach er, »die Zeit meines Lebens nicht so bestürzet gewesen als anitzo, und ob ich auch alle meine Vernunft zusammen gebiete, weiß ich doch keinesweges, durch was für einen Zustand wir in solches Übel geraten.« Es ist gewiß, daß uns beiden diese Sache viel abenteuerlicher als der wunderbareste Traum vorgekommen, weil wir uns, so viel und mannigfaltig auch unsere Mutmaßung fiel, dennoch in keine Gewißheit zu finden noch viel weniger einen Entschluß fassen konnten.

Indem wir so mit tausend Grillen und Sorgen umfangen waren, erhörten wir ober uns zwei Personen miteinander auf und ab spazieren, und weil die Decke dieses Gewölbes nur mit schlechten Brettern bedecket war, verstunden wir durch solchen Boden alle Worte, die sie miteinander redeten. »Ach,« sagte eine Weibsperson, »was ist doch dieser Schloßherr für ein wackerer Edelmann, der sich meine Angelegenheit so trefflich lässet zu Herzen gehen. O Justin! nun bin ich schon so lange von der Gefahr sicher, bis sich das Wetter ändern wird. Seid vorsichtig und klug, damit Ihr Euch in Offenbarung meines Geschlechtes noch Namens nit verplumpet, und wo Ihr sehet, daß mir etwas übel anstehet, so unterrichtet mich dessen, denn ein Weibsbild in einem Mannskleide ist nicht gewohnet, die Natur wie ein Aff den Maler nachzupinseln. Ich habe zwar Ursach und bin zu einer solchen Verkleidung, wie Ihr wohl wisset, gezwungen worden, weil ich kein anderes Mittel erfinden können, der großen Nachstellung des Bösewichts zu entgehen. Endlich gehe ich noch ins Kloster und gebe dieser Landschaft samt allen meinen Gütern Valet.«

[499] »Es ist wahr,« sagte hierauf eine andere Stimm, welche ohne allen Zweifel des Justins sein mußte, »mein allerschönstes Fräulein, daß der Besitzer dieses Schlosses ein recht höflicher und wohlqualificierter Cavalier sei. Er ist allem Ansehen nach klug genug, Euch mit einem guten Rat an die Hand zu gehen, aber dieses achte ich zum nötigsten, daß Ihr Euch vor ihm aufs wenigst so lang verborgen haltet, bis Ihr von Haus aus ein mehrers erfahret.« – »Ich soll«, sagte die vorige wieder, »diesen Menschen einmal, weiß aber nit, wo oder an welchem Ort, gesehen haben. Und es ist gut, daß wir hie in der Einsamkeit einen solchen Kopf angetroffen, dem wir uns mit unseren Angelegenheiten sicher vertrauen können, darum, wie ich zuvor gesaget, so lernet schweigen und hütet Euch, unvorsichtig meinen Namen zu offenbaren. Ich werde allezeit Fidius heißen, bis ich ein anders zu erfahren habe.« – »Ich will tun,« sagte der andere darauf, »was Ihr mir befehlet und meine Schuldigkeit heischet.«

»Ach,« sagte Friderich, »was müssen wir hören? Wir verhofften, durch die gehörte Rede aus unserem tiefen Zweifel zu gelangen, und fallen immer weiter hinein. Diese Personen, so allem Ansehen nach fremd sind und verdeckte Sachen spielen, heißen den Besitzer dieses Schlosses einen rechtschaffenen und bescheidenen Cavalier. Oh, daß wir einen solchen an diesem Ort auch Ursach zu loben hätten! Aber wir müssen uns vielmehr über eine solche Grausamkeit verwundern als betrüben, weil wir keine Ursache wissen, noch uns sonsten einer Schuld überführet befinden, die genug wäre, uns mit solchen Fesseln zu belegen.« Mit dergleichen Klagreden begegneten wir gegeneinander und waren über uns selbst zornig, daß wir durch den Schlaf in gefährliche Sicherheit und von dar in ein unverhofftes Elend gestürzet worden.

Mit dergleichen Reden brachten wir in diesem Gefängnis eine ziemliche Zeit zu, als wir ober uns nichts mehr weder gehen noch reden hörten, bis endlich jemand anfing, ein abscheuliches Gefiedel auf einer Geige anzustimmen. Bald darauf kam eine Leier, endlich gar eine Sackpfeife hinein, und spieleten lauter solche Lieder, die wir insgemein zu singen und zu musicieren pflegten. Bald lachte jemand, bald fing[500] wieder ein anderer an zu heulen, bis endlich jemand wie eine Katze zu dem ausgeschnittenen Loche herunter knauzete. Nach diesem wurfen sie gar brennende Bogen Papier herunter und schossen mit Pistolen durch das Loch, daß es rauchte. Endlich kam es gar an die Tür des Gewölbes, bald klopfte es, bald kratzte es mit den Nägeln, bald stieß es gar mit Füßen daran und eilete wieder in das obige Gemach, allwo durch das Loch bald Wasser, bald Bier, bald Wein heruntergegossen worden.

Unter diesem Tumult brachten zwei vermummte Knechte einen Bettler mit sich in ebendieses Gewölb, welcher Ach und Weh rufte. »Ach, ich armer Mann,« sagte er, sich wie ein Frosch zusammenkrümmend, »was habe ich getan? was habe ich gemacht? was habe ich angefangen? wie bin ich so voller Blindheit gestecket? wie habe ich mich so schrecklich verführen lassen?« Nachdem nun die Knechte, welche keine Antwort auf unsere Frage gaben, wieder hinweg waren, redeten wir diesem Bettler zu, warum er also lamentierte und aus was Ursachen er allhier ins Gefängnis geworfen worden; auch, wem das Schloß zustünde und wie dessen Besitzer hieße. »Ach, ach, ihr Herren,« sagte er, »ich bin ein Bettler, ein Bettler bin ich, ja ihr Herren. Ich habe meinen Calender, meinen Calender, ach, meinen Calender.« (Damit fing er an, sich bitterlich an den Fesseln zu bewegen und auf der bloßen Erde herumzuwälzen.) »Was hast du denn«, sagte Friderich, »mit deinem Calender vorgehabt?« – »Ich habe«, sprach der Bettler darauf, »den Hintern daran gewischet.« Damit fing er an zu lachen und gab sich zugleich zu erkennen, daß er der ehrliche Bruder Philipp und dieses sein Schloß wäre, auf welches wir gestern abend schlafend geritten gekommen.

Die Verwunderung und das häufige Gelächter, so wir wegen dieser schnellen Veränderung eingenommen, ist allerdings unbeschreiblich und groß gewesen. »Ihr kamet«, sprach Philipp weiter zu uns, »wie hölzerne Bilder auf euren Pferden, und unerachtet man euch bei den Haaren gezupfet und in die Seite gestoßen hat, ist doch unter beiden keiner er wachet, bis ich diesen Possen ersonnen und euch zur Strafe eures angesoffenen Rausches in diese Ketten geschlossen[501] habe. Ihr habt euch über solches Verfahren auf keine Weise zu verwundern noch zu beklagen, sondern wenn ihr betrachtet, wie eine eiferige Sittsamkeit und mäßiges Leben ihr bei neulicher Zusammenkunft versprochen und wie schlecht ihr diese in dem Werke gehalten, so werdet ihr mein Beginnen für ein solches Werk auszurechnen haben, das euch von mir, als eurem guten Freunde, nicht zum Schimpf, sondern zur Buße ist angetan worden.«

Wir sagten darauf, daß er sich mit so umschweifigen Worten nicht Ursache zu entschuldigen hätte, weil uns sein aufrichtiges Gemüt ohnedem zur Genüge bekannt wäre. Jedennoch könnten wir mit gutem Gewissen beteuren, daß keiner einen Rausch, wie er meinet, gehabt hätte, ob wir schon bekennen müßten, daß wir wider unsere Gewohnheit in einen unermeßlichen Schlaf gefallen. Auf dieses erzählten wir ihm von Herrn Wilhelmen Abstorff, welchen er zum Teil kennete und seine absonderlich Conduit trefflich herausstrich, unerachtet er ihm sonst nicht ausführlich bekannt war. Er erfreuete sich zugleich, daß wir einen so wackeren Mann in unsere Gesellschaft geworben, und dannenhero besann er sich auf gute Gelegenheit, damit wir ehestens zusammenkommen und unsere Freundschaft aufs neue mit einer guten Ordnung durch gewisse Reguln aufbringen möchten. Nach diesem fragten wir ihn auch wegen derjenigen Leute, die wir ober uns hätten gehen und reden hören.

»Ich dachte,« sprach Friderich, »in einem ganz fremden Hause zu sein, denn die Stimmen dieser Schwätzenden waren mir ganz unbekannt, und mußte mich noch vielmehr verwundern, da sie den Besitzer des Schlosses, als nämlich den Herrn Brudern, so ausdermaßen wegen seiner Bescheidenheit lobten, welche wir doch, weil uns von demselben als Besitzer ein so unverhoffter Schimpf angetan worden, billig Ursach hatten, in einen Zweifel zu ziehen. Aber wer sind diejenigen, die allhie geredet haben, und von wannen sind sie gekommen?«

»Sie sind«, sprach Philipp, »zwei Mannspersonen. Der eine ein Junger vom Adel, der andere sein Laquay. Ihre Ankunft geschah kurz vor euch, und sie baten mich, daß sie sich auf [502] eine Zeitlang in diesem Schlosse aufhalten und auscurieren möchten, weil der vom Adel große Krankheiten, derer er auf seiner Reise empfinden müssen, vorgegeben. Er spendierte gleich anfangs meiner Frauen zwei hauptsächliche Armbänder, mir aber verehrte er sein Pferd, das ich über hundert Reichstaler æstimiere. Eine solche Freigebigkeit lässet sich noch wohl mit einer schlechten Herberg vertauschen, sie mögen derohalben so lang, als es ihr Zustand erfordert, bei mir verbleiben. Mein schlechter Tisch, Zimmer und Bett stehen zu ihren Diensten, und beliebt es euch, gleich mit ihnen meiner Dienstgeflissenheit zu genießen, so wisset ihr, daß mein schlechtes Vermögen euer sei.« – »Nein,« sagte Friderich, »vor dieses Mal wird es nit sein können, denn nebenst der Notwendigkeit unserer vorgesetzten Reise hätten wir weder Armbänder noch schöne Pferde zu verehren«; dadurch er Herrn Philippen einen merklichen Stich gab, weil er auf solche Verehrungen jederzeit mehr als viel gehalten. »Du bist«, sagte Philipp darauf, »der alte Friderich und Leutescherer. Eure Affection und Liebe, die ich billig höher als ein Paar Armbänder oder auch ein Pferd vor hundert Reichstaler schätze, ist mir ein angenehmes, ja das allerangenehmste Kleinod und Edelgestein, weil man Gold und Silber häufig aus der Erden graben, aber eine wahre Aufrichtigkeit, mit der ihr mich jederzeit unterhalten, kaum in dem tausendsten Menschen finden kann. Ein Kleinod ist zwar zu loben, aber viel mehr eine ungefälschte Brust, weil ihre Kostbarkeit allen Wert des toten Erzes weit übersteiget.«

4. Capitul. Wer der verkleidete Cavalier Fidius gewesen
IV. Capitul.
Wer der verkleidete Cavalier Fidius gewesen. Wolffgang reiset nach Abstorff, Friderich und die verkleidete Dam schlafen beisammen in einer Kammer. Er erzählet seinen Zustand.

Während dieser Rede schloß man uns dreie wieder aus den Banden, und diejenigen Diener, so das Werke verrichteten, lachten und schmunzelten, weil sie ebendiejenigen gewesen, die auf Anstiftung Herrn Philipps wie die Katzen geschlichen [503] und sonsten allerhand Tänze auf ihren Leiren, Geigen und Sackpfeifen, wie wir oben verstanden, kurz vorhero verübet haben, denn zu solchen Händeln sind sie viel mehr als ihrem Dienst und Verrichtungen abgerichtet, und wo sie ihrem Herrn in Ausübung eines kurzweiligen Possens möchten bedienlich sein, viel fixer, als ihn aus einer Kotlaken herauszuheben, weil sie, wie jener getan, nichts davon in ihrer Bestallung geschrieben wissen. Nichtsdestoweniger lobten wir ihre Treue und verehrten sie mit einem gebührlichen Trankgeld, dadurch man sich dieses Gesind trefflich zutun kann; wurden also in ein hübsches Zimmer geführet, darinnen wir unsere Wachsmäntel samt Degen und Wehrgehängen wie auch Sattel und Zeuge angetroffen. »Hier könnt ihr erkennen,« sprach Philipp, »wie getreu ich es mit euch gemeinet habe. Wenn ihr einem unter euren Feinden unversehens gleichwie mir in die Hände gefallen wäret, wie meinet ihr, daß der Tanz würde abgelaufen sein? Er hätte euch, gleichwie ich getan, ausziehen, euch in einen Kerker schließen oder sich wohl gar an eurem Blut sättigen können. Darum habe ich, ein solches Übel zu verhüten, euch mit einer geziemenden Kurzweil eures besorgendlichen Unfalls abhelfen und euch zugleich erinnern wollen, wie nötig es sei, sich auf der Straße wohl vorzusehen.« Auf dieses beteuerten wir nochmals mit großer Verpflichtung, daß wir nicht wüßten, wie oder warum wir diese Schwachheit in einem so großen Rausch verüben müssen, und schätzten uns solches vor ein absonderliches Glück, daß die Pferde in ihrer großen Irre dennoch so glücklich gewesen, den Ort eines so guten Freundes zu erreichen. Damit führte er mich zu seiner Frauen, Herrn Friderichen aber mit sich in seinen Stall, weil er von ihm einen guten Paßklepper einzuhandeln willens war. Sie wußte schon um alle Begebenheit und war auch zugleich dabeigewesen, als man uns die Kleider vom Leibe gezogen, konnte auch nicht genugsam erzählen, wie unbeweglich wir beide gewesen, ja, sie machte die Beschreibung so umständlich und grausam, daß ich mich billig unsers großen und sonst ungewöhnlichen Schlafes schämen mußte. In dieser ihrer Erzählung kam zugleich der fremde Cavalier zu uns, [504] weil man nunmehr zur Tafel geläutet hatte. Ich erschrak, sobald ich diesen unter Augen bekommen, denn seine Gestalt und liebliches Gesichte kam allerdings mit demjenigen Altarbilde überein, welches uns in der vorigen Kapelle von Herrn Wilhelmen ist gewiesen und umständlich beschrieben worden. Wir hatten gegen Herrn Philippen deswegen kein Wort gedacht noch viel weniger erzählet, was die beide Fremde ober uns geredet hatten, weil ohne allen Zweifel ein Betrug dahinter steckte, der zwar kein Übel, aber doch auf einen solchen Ausgang angesehen war, dadurch wir beide Gelegenheit hätten, Herrn Philippen wieder wacker auszulachen. Also ließ ichs gut sein und wollte ehe tausend Taler verloren als die Meinung gemisset haben, daß dieser verkleideter Cavalier nicht ebendiejenige adelige Jungfer wäre, von welcher uns Herr Wilhelm erzählet hatte.

Damit kam Herr Philipp und Herr Friderich aus dem Stalle, weil sie in dem Kauf nicht allerdings eins werden können. Denn Herr Friderich war karg, und Herr Philipp schenkte auch nicht gerne viel hinweg, also schien es fast, als wollten zwei hart aufeinandergeschlagene Steine ziemlich Feuer geben, und weil sie um einen merklichen Sprung in dem Kaufe voneinander waren, auch keine Hoffnung zum Leihkauf war, ließ man den Pferdediscurs fahren, und nachdem Herr Friderich sein höfliches Compliment, wie er allezeit pflegte, gegen der Frau Philippin wie auch gegen dem Fremden abgelegt, satzten wir uns zu Tische, und ich gab genaue Achtung auf Herrn Friderichen, wie er sich in Anschauung des verkleideten Cavaliers würde traumen lassen.

Es ist nicht zu sagen, wie eine heftige Röte ihm in das Gesichte geschossen, als er diesen jungen Edelmann etwas genauer betrachtet. Daraus verstund ich wohl, daß ich in meiner Meinung wegen des gesehenen Altarbildes nicht betrogen, deswegen wartete ich mit Verlangen, bis die Mahlzeit vollendet war, zwischen welcher Herr Friderich bald dieses, bald jenes so vermischet untereinander geredet, daß sich Philipp in seine variierende Discurs mitnichten richten konnte. Ich aber merkte wohl, daß solche hin und wider wankende Reden lebendige Vorboten seiner verliebten Gedanken [505] wären, dazu er wider seine eigene Gewohnheit vor diesmal ist verleitet worden.

Nach aufgehobenem Tische gingen wir in unser Zimmer mit hinterlassener Zusage, daß sich Philipp wegen des Pferdekaufs noch in etwas besinnen und alsdann seine endliche Resolution mit einem Wort wollte zu verstehen geben. Im Werke aber geschah es nur darum, auf daß wir, von der Gesellschaft Herrn Philipps entäußert, bessere Gelegenheit hatten, von der Sache zu reden, die uns über Tische in so große Verwirrung gebracht hatte. »Hast du gesehen,« sprach er zu mir, »was mich über dem Essen so bestürzt und verwirrt gemachet?« – »Ich habe es«, war meine Antwort, »nicht allein gesehen, sondern genugsam gehöret, wie verwirrte Reden du untereinander auf die Bahn gebracht und wie ordentlich du dein Rhetorik in acht genommen hast.« – »Ja,« sprach er, »Bruder, das Gesicht des Cavaliers war ein anderer Lehrmeister.« – »Ist es nicht ebendasjenige,« fragte ich, »das wir bei Herrn Wilhelmen in der Kapelle an dem Altare gesehen?« – »Ja,« sprach er, »es ist ebendasjenige und kein anders, als welchem ich tausendmal zu Gefallen auf das Schloß ihrer Frau Mutter betteln gegangen. Sie ist durch einen Unfall zu dieser Verkleidung ohne allen Zweifel veranlasset worden. Weil sie sich auch nach Aussage des Philipps eine geraume Zeit allhier aufzuhalten willens ist, gedünkt es mich die beste Gelegenheit zu sein, allhier meine Pfeile zu schneiden und zu verschießen. Weil es aber absonderlich in einer so wichtigen Sache getreue Beistände erfodert, wäre mein freundlich und brüderliches Bitten, daß du möchtest zu Herrn Wilhelmen zurücke reiten, ihm den Betrug eröffnen und ihn zugleich mit dir allhier zu vermögen, damit in dieser Sache etwas Nützliches möchte geschlossen werden.«

Wir nahmen darauf die Landkarte, die sich ein jeder von dem Original des Christophens hatte abcopieren lassen, in der Stille hervor und besahen den Weg, wohin ich mich gegen dem Schloß des Wilhelmens zu wenden hatte, weil wir nicht gerne um den Weg fragen wollten, damit unser Vorhaben auf keinerlei Weis möchte offenbar werden. Also [506] eilete ich denselben Abend noch davon mit Vermelden, an einem benachbarten Orte gewisses Schuldgeld einzuheben und mich sodann wieder zurücke zu verfügen. Philipp war dessen wohl zufrieden und erfreuete sich, daß er des bescheidenen Friderichens angenehme Person mit so großem Content genießen konnte, dessen Annehmlichkeit er je länger, je höher zu schätzen pflegte. Er war auch einer solchen Hochachtung wohl wert, weil er nicht allein ein Mensch von einem recht frommen und christlichen Herzen, sondern noch darzu in allen Sprachen ziemlich erfahren war, also daß er unter den Edlen nicht anders als ein schöner Rubin in einem güldenen Ringe schimmerte.

Er brachte es noch selbigen Abend bei Philippen dahin, damit er bei diesem fremden Cavalier, weil ich ohnedem nicht bei ihm war, in einer Kammer alleine schlafen konnte, welches ihm Herr Philipp gerne vergönnete. Damit eileten sie beide zur Ruhe. Herr Friderich, vor Lieb und Unmut gequälet, wandte sich in seinem absonderlichen Bette hin und wider und ließ seines Gemüts Unruhe genugsam in der äußerlichen Bewegung verspüren, also daß die verkleidete Dame genugsame Ursach hätte, sich über seinem Zustand zu befragen. »Monsieur,« sprach sie, »Er ist unruhig und sein Seufzen verwunderlich, reuet Ihn vielleicht der Pferdehandel?« – »Ach, tapferer Cavalier,« sprach Herr Friderich, gleich als kennete er sie nicht, »ein Pferd ist zu wenig, mich entweder gründlich zu erfreuen noch mich, wie ich anitzo billig Ursach finde, zu betrüben.« – »Ist Euch denn«, sagte diese ferner, »irgends Unglück widerfahren?« – »Nein,« sprach Herr Friderich, »aber ich werde wohl von einem Zweifel gepeiniget, welchen ich höher als alles Unglück schätze.« – »Ihr seid«, sprach sie, »herzhaftig genug, Eurem Zweifel zu begegnen, aber saget mir im Vertrauen, in was vor einer Begebnis entspringet Euch solcher Zweifel?« – »Ich will«, sprach Herr Friderich, »Euch als einem klugen Cavalier, dessen große Affection ich über dem Tische gegen mir genugsam erfahren und mich dannenhero über eine so gut aufgestoßene Freundschaft von Herzen zu erfreuen habe, mit wenigem vertrauen, wer ich sei und was mich peiniget, [507] verhoffend, daß Ihr mir auch Eure Zustände zu entdecken keinen Scheu tragen werdet.

Ich bin von Geburt ein Schottländer und heiße sonsten Jonstinus, welchen Nam, weil er den Teutschen etwas ungemein fället, ich mit dem Namen des Friderichens ausgetauschet und verwechselt habe. Ich habe meine Zeit von Jugend auf in Schulen und in dem Kriege, auch in vielen Reisen durch die Welt zugebracht. Letztlich erkaufte ich in diesen Landen ein adeliges Gut und wohlerbautes Schloß, auf welchem ich meine Zeit als eine ledige Person so lange zugebracht, bis ich entschlossen, die Eitelkeit dieser Welt zu quittieren, eine graue Kutte über den Hals zu werfen und ein Einsiedler zu werden. Solchen Habit habe ich bis neulich getragen, und unter währender Einsiedlerei kam ich auf ein Schloß zu einer adeligen Wittib, die heißet die Frau von Ocheim, eine andächtige und fromme Matron. Diese Frau von Ocheim hat eine einzige Tochter und Sohn, die beiderseits wohl gezogen sind. Und ich hatte allerdings große Ursach, mich in die absonderlichen Eigenschaften der Tochter zu verlieben, weil ich nach meinem Bedünken kein schöner Weibsbild in der ganzen Welt gesehen habe. Ich habe resolviert, wegen ihrer mein hart und strenges Leben zu quittieren und mich um ihre holdselige Liebe zu bewerben, aber ich muß nun auf meiner Reise mit Jammer verstehen, daß sie sich an einen mit Namen Barthel auf der Heide verehlichen werde, dadurch liegt meine Hoffnung, die ich so sehr in mir brennen lassen, im tiefen Meer, und sind mir alle Funken ausgelöschet, ihrer holdseligen Anmut zu genießen. Glaubet, o tapferer Fidius, daß mich dieser Schmerz unermeßlich quälet und daß ich genugsame Ursach habe, mich mit verzweiflenden Gedanken zu martern, weil mir meine Sonne untergehet.

Doch Geduld! Diese ist der beste Arzt wider allen Unmut, und kann ich sie gleich nicht haben, so werde ich doch ihren hohen Aestim bei allen denen in unauslöschlichem Gedächtnis zu loben wissen, die etwas auf den Ruhm der wahren Tugenden halten. Und dieses ists mit wenigem, welches meine stete Unruhe befördert.«

5. Capitul. Die Dam, welche sich Fidius nannte
[508] V. Capitul.
Die Dam, welche sich Fidius nannte, erzählet Friderichen ihren Zustand. Der Diener Justin wird bestochen. Wilhelm, Wolffgang, Friderich und Philipp kommen auf dem Schloß Oberstein heimlich hinter die Wahrheit ihrer Liebe.

»Mein Herr,« sagte sie darauf, »es ziehet sich mancher Mensch etwas zu Gemüte und besorget, was er doch ganz keine Ursache zu besorgen hat. Mancher betrauert seine Freunde, und da er meinet, sie seien schon längst in dem Grabe verfaulet, so trifft er sie ohngefähr und unverhoffterweise auf der Straße an, findet auch diese im Leben, die er schon lange tot zu sein gemutmaßet. Wieviel sind derer, die in Besorgung eines großen Ungewitters auf dem Meer schiffen, und da sie von Furcht gequälet ihren Untergang fürchten, sehen sie die Sonne scheinen und liebliche Winde in ihre Segel spielen. Ich muß Euch anitzo mit demjenigen, so viel mir von dem sogenannten Barthel auf der Heide wissend ist, trösten und gewiß erzählen, daß ihm kein Mensch, wieviel weniger eine adelige Jungfer, die Ihr so hoch gelobet habt, zugetan sei. Darum habt Ihr geringe Ursach, Eure falsche Einbildung länger zu unterhalten, und könnet wohl ohne Sorgen nicht allein heute, sondern auch hinfüro einschlafen. Mich anbetreffend bin ich zwar aus dieser Revier, wie Ihr wohl an meiner Sprache und Redenart abnehmen könnet, geboren; aber nichtsdestoweniger von der Luft dieser Landschaft so sehr gepeiniget, daß ich fast nicht auf meinem Orte wohnen kann, sondern andere Luft zu schöpfen, mich bald da, bald dort in ein fremdes Haus begeben und daselbsten meiner Gesundheit pflegen muß.

Mein Name, wie Ihr heute über der Tafel gehöret habt, heißet Fidius, und bin dermalen entschlossen, mich etliche Wochen allhier aufzuhalten, weil es dieser Orten eine recht gesunde Luft hat. Alsdann will ich etwan weitergehen oder mich nach Beschaffenheit der Zeit wieder nach Hause tragen. Doch ist dieses noch einzig zu fragen: Wie heißet diejenige adelige Jungfrau, in welche sich mein Herr so sehr verliebet hat?« – »Sie heißet«, sprach Friderich, »Amalia und[509] wird insgemein die Schöne genannt. Sie ist es auch in dem Grund der Wahrheit, nicht sowohl wenn ich alleine die äußerliche Lineamenten als vielmehr die innerliche Tugenden betrachte. Sie ist fähig und geschwinde, mit ihrem Verstande auch die Klügesten zu überwinden, und hat ein solches Gemüt, welches, ob es wohl nicht steinern sein kann, dennoch alle Kostbarkeit der Diamanten weit übertrifft.« – »Ihr seid«, sprach die Dame hierauf, »sehr höflich gegen das Frauenzimmer, darumen ich Euch billig loben muß, aber man gibt zuweilen einem Menschen, absonderlich, den man liebet, mehr Eigenschaften, als er besitzet. Doch zweifele ich nicht an Euren Worten, welche Eure verliebte Zunge so höflich vorzubringen weiß. Schlafet wohl!«

Mit diesen Worten schliefen sie ein, und Herr Friderich, wie er mir hernachmals erzählte, hatte tausend Vergnügung über diese unverhoffte Antwort, weil er die Jungfrau, so mit ihm deswegen geredet, mehr als zu wohl gekennet, daß sie nicht Fidius, aber wohl diejenige Amalia sei, von welcher er Meldung getan. Darum ließ er sich auch nichts Böses träumen und erwartete mit Verlangen, was ich gutes Neues mit mir aus dem Schlosse Herren Wilhelms von Abstorff bringen würde.

Er redete folgenden Tages alle seine Heimlichkeiten mit Philippen als seinem vertrauten Freunde haarklein ab, und »wer meinest du,« sprach er zu ihm, »daß dieser Cavalier sei, der sich, seinem Vorgeben nach, bei dir will auscurieren lassen? Du meinest zwar und bildest dir ein, ein Großes getan zu haben, daß du uns Schlafende ausgezogen und an Ketten gebunden hast, wie wäre es aber, wenn dich ein schwaches Weibsbild als einen Wachenden betrogen und dir ein Fell vor deine Augen gehangen hätte?« Indem Herr Friderich also redete, kam ich samt Herrn Wilhelmen, der mir auf der Straße tausend Possen erzählet hatte, in das Zimmer, und Philipp war wegen getaner Frage des Herrn Friderichs ganz bestürzet.

»Wieso,« sagte er nach unserer Bewillkommung, »ist dieses nicht Fidius, einer vom Adel aus diesen Landen?« – »Nein,« sagte Herr Friderich, »es ist niemand anders, als welchen [510] Bruder Wilhelm in seiner Kapelle auf dem Nebenaltar gemalet hat.« – »Wie,« sagte Wilhelm, »ist die Amalia hie?« – »Ja,« sprach Herr Friderich, »und in verdeckten Mannskleidern.« – »Hilf Himmel!« sprach Philipp, »was höre ich? Ist dieses die berufene und schöne Amalia?« – »Ja,« sprach ich, »sie ist die schöne Amalia, die dich viel mehr als du uns über den Tölpel geworfen und betrogen hat!« Hiermit lachten wir ihn aus und fingen, gleichwie er uns durch seine Leute tun lassen, bald wie die Katzen, bald wie die Hunde an zu schreien.

Und nach diesem eröffnete Herr Friderich seine Meinung, von welcher ich Herren Wilhelmen auf dem Wege alle Umstände erzählet habe. Man resolvierte sich darauf mit wenigem, ihren Diener mit Gelde zu bestechen, daß er von seinem Fräulein erforschte, was und wie sie eigentlich von dem Friderichen schlüsse. Brachten ihn demnach mit guter Manier an uns, und nachdem wir ihn mit großem Widerstand endlich zur Bekanntnis, daß diese verkleidete Person kein Mannsbild noch Fidius, sondern die schöne Amalia von Ocheim wäre, gebracht, überredeten wir ihn zugleich mit etlichen Ducaten, von dieser Materie etwas genauer mit seinem Fräulein zu reden und uns, sobald es möglich, ihre Meinung zu erklären.

Der Diener ließ sich hierzu als das beste Mittel gebrauchen, und damit wir desto besser hören könnten, was er mit ihr redete, und ob er, seinem Versprechen gemäß, das Seinige fleißig verrichten würde, sperreten wir uns insgesamt in eben das vorige Gefängnis, darinnen wir beide Personen, weil sie um den Betrug keine Kundschaft hatten, all dasjenige konnten reden hören, was etwan wegen des Friderichens Interesse vorübergehen möchte.

»Ihr seid glückselig,« sagte der abgerichtete Diener zu seinem Fräulein, »daß Ihr bis daher noch jederzeit von allen auf dem Schlosse vor eine Mannsperson angesehen worden; aber saget mir, wie gefället Euch Herr Friderich?« – »Herr Friderich«, sagte sie, »ist ein wackerer Cavalier, und ich muß aus dem erkennen, daß er mich vor einen seinesgleichen hält, weil er mir alle seine Heimlichkeiten als einem getreuen[511] Freund offenbaret hat.« – »Was sind es denn«, fragte der Diener, »vor Heimlichkeiten gewesen? Sind es Sachen, die wir zu fürchten oder über die wir uns nichts zu bekümmern haben?« – »O Justin,« sagte sie, »deine getane Frage kann ich nicht so leichtlich, wie du wohl meinst, beantworten. Herr Friderich ist verliebt.« – »Ja,« sagte der Diener, »das lasse ich zu, daß er verliebt sei, aber was gehet uns dieses an?« – »Nur mehr als zuviel!« antwortete Amalia. »In wen ist er denn verliebt?« sprach der Diener. »Eben in denjenigen,« antwortete die Jungfer, »der sich den Fidius heißet.« – »Hilf Himmel!« sagte der Diener, »was höre ich? Ist Herr Friderich durch seinen Fehler so weit, und zwar zu einer heimlichen Verträulichkeit gegen Euch verleitet worden?« »Es ist nicht anders,« sagte sie, »und ich mußte noch mehr wundern, daß er aus Furcht, als wäre ich dem Barthel auf der Heide, den ich doch niemalen, wie Ihr wisset, mit einem günstigen Auge anblicken können, allgemach schon verehlichet, so unruhig und im Herzen ungeduldig war.« – »Er ist«, sprach der Diener, »einer subtilen Complexion und dahero den Gemütsregungen trefflich unterworfen. Aber saget mir, schönstes Fräulein, habt Ihr auch eine Gegenaffection zu diesem tapferen Schottländer oder nicht?« – »Ihr seid«, sprach sie darauf zu ihm, »ein vorwitziger Justin, aber ich wollte wünschen ...«, damit seufzete sie und schwieg still. »Warum«, fragte Justin, »redet Ihr nicht fort?« – »Das ist dir genugsam bekannt,« antwortete Amalia, »daß ich wünschen wollte, nicht verkleidet zu sein, vielleicht könnte sich unsere Bekanntschaft miteinander weiter ausbreiten und ich dermaleins aus einem solchen Wirbelwind geraten, in welchem mich der verfluchte Barthel auf der Heide herumtreibet.«

Diese der Amalien Worte waren uns insgesamt genugsame Zeugnis, daß sie dem Friderichen nicht unhold wäre, »und«, sagte sie weiter zu dem Diener, »es ist doch auch gut, daß ich verkleidet bin, erstlich dem leichtfertigen Verfolger meiner Ehren und dann auch vor Philippen insonderheit verborgen zu sein, denn dieser ist ebenderjenige Einsiedler gewesen, zu dem ich, wie ich Euch vor etlichen Wochen erzählet habe, in den Wald gekommen, der mich hernachmals [512] auf ebendieses Schloß gewiesen, darinnen ich bald bin ausgekundschaftet worden.« Über dieses verwunderte sich Philipp von Herzen und machte ein großes Kreuz, daß er an diesem Ort so unverhofft hinter seine eigene Geschicht kam, die er kurz vorhero auf meinem Schlößlein erzählet hatte. Also machten wir uns zu Tische, und weil ein Verliebter gemeiniglich alle Tugenden an sich hat, wurde Herr Friderich gegen dem Justin so freigebig, daß es alle Anwesende verwunderte. Man trank über der Tafel allerlei Gesundheitstrünke, und wurde auch unter anderen der schönen Amalia gedacht. Herr Wilhelm, welcher ein ausgedrehter Kopf war, brachte tausend Verblümungen vor, darüber man sich zu ergetzen hatte. Weil aber der fremde Fidius seine Unpäßlichkeit vorschützte, wurde er mit dem häufigen Getränke übergangen; aber der Diener machte hinter der Amalia Sessel so wunderliche Blicke mit den Augen, daraus wir wohl abnehmen konnten, daß ihr unsere vorgenommene Unterredung trefflich wohl gefallen müsse. Denn wir schwätzten von nichts anders als von dem Lob dieses und jenes Frauenzimmers, gaben aber allezeit der schönen Amalia das meiste, wegen derjenigen Tugenden, welche sie häufig vor einer anderen besäße. Einer hieß sie eine würdige Kaiserin, der andere schrieb ihren Meriten ein Königreich zu, der dritte verglich sie mit einem glänzenden Stern, und Fidius selbsten hieß sie, dem Friderichen zulieb, eine unglückselige Liebhaberin, welches keiner außer demjenigen, auf welchen es geredet war, verstehen sollte. Aber wir wußten alle wohl, wohin diese Pfeile zieleten, ob wir schon den Schalk merklich verborgen und uns so eingezogen hielten, gleich als wüßte keiner, daß sie ebendiejenige wäre, von der wir so ein häufiges Lobgespräche führten. »Ich weiß«, sprach Wilhelm, »unter euch allen am allerbesten, wer und was sie ist. Es hält sich einer vom Adel im Lande auf, der heißet der Barthel auf der Heide.« – »Ha, ha,« sagte Philipp, »das ist der rechte Gesell!« – »Derselbe Barthel«, sagte Wilhelm weiter, »gibt sich allenthalben vor ihren Liebsten aus, aber er wird anlaufen wie ein blinder Ochs an die Stalltür. Die Früchte, welche auf ihrem Baume wachsen, sind vor ein solches Maul [513] viel zu delicat, wenn ich noch jünger wäre oder die Gestalt des Friderichs hätte, könnte ich noch etwas hoffen, das ihr euch leichtlich einbilden werdet, aber nunmehr ists mit mir als einem erlebten Witwer zu spat, auf das Angeln auszugehen, darum überlasse ich solche Gedanken denjenigen, die etwas röter als ich um den Schnabel aussehen.« Mit solchen Gesprächen vertrieben wir etliche Mahlzeiten, bis wir untereinander Anstalt machten, daß uns Herr Wilhelm auf sein Gut laden sollte, allwo Herr Friderich und wir insgesamt entschlossen waren, den Vortrag wegen der Heirat zu tun. Indessen kamen wir auf diesem Schlosse je länger je weiter in die Kundschaft der Amalia, welche, allem Ansehen nach, Herrn Friderichen herzlich liebte, denn als er etlichmal nur so zum Schein wegreisen wollte, wurde er von ihr mit allerlei Gründen, sein Vornehmen einzustellen, öfters zurückegehalten. Und dieses gab uns, nächst Versicherung des Dieners, genugsame Ursach, das Werk ernstlicher anzugreifen und mit ihr etwas mehrers aus der Schrift zu reden.

6. Capitul. Sie kommen in die Schloßkapelle
VI. Capitul.
Sie kommen in die Schloßkapelle, finden daselbst einen andächtigen Einsiedler beten. Abschrift zweier Grabschriften über einen Hofmann und Geizhals.

Es war ziemlich warm, als wir insgesamt auf das Schloß des Herrn Wilhelmens nach Abstorff ritten, und weil die ganze Reise auf die verkleidete Amalia, die sich noch beständig den Fidius hieß, abgesehen war, kann der geneigte Leser leichtlich betrachten, wie tausendfältige Gelegenheit wir hatten, uns untereinander den langen Weg zu verkürzen. Wir kamen endlich in später Nacht nach Abstorff, allwo wir trefflich kühle Zimmer angetroffen, in welchen wir unsere erhitzte Glieder wieder in die vorige Bewegung gebracht. Die Mahlzeit, auf welche er uns eingeladen, war stattlich bereitet, und es hat nicht viel gefehlet, so hätten wir unsers guten Vorsatzes vergessen und uns so wohl, als zuvor öfters geschehen, mit unnötigem Gesäufe angefüllet. Nachdem nun bei der Tafel allerlei kurzweilige Gespräche vorgelaufen, [514] studierte unterdessen der Schloßverwalter auf die Oration, welche er heute nachts vor dem Bett der Amalia, im Namen der ganzen adeligen Gesellschaft, insonderheit aber wegen Herrn Friderichs ablegen sollte.

Amalia wußte nichts darum, daß ich und ihr geliebter Friderich ehedessen allhier auf dem Schlosse zu Abstorff hinter ihre Kundschaft geraten, darum fing ich an, wie ich von einem künstlichen Altar gehöret hätte, so hier in der Schloßkapellen sollte anzutreffen sein. »Er ist«, sprach ich gegen Herren Wilhelmen, »in dem ganzen Land weit und breit berufen, und weil ich ein großer Liebhaber solcher ungemeinen Schildereien bin, muß ich das Kunststück noch vor der Abendruhe zu sehen bekommen.« Die anderen Gesellschafter, welche wohl wußten, wo mein Begehren hinzielete, verlangten von dem Besitzer ein gleichmäßiges, und also führte er uns mit etlichen Fackeln in sein Schloßkirchlein, in welchem ein andächtiger Einsiedel, der nächst dem Schlößlein in einer Steinklippe seine Wohnung hatte und nach seiner Gewohnheit alle Abend in dieser Kapelle sein andächtiges Gebet verrichtete. »Dieser Mensch«, sprach Wilhelm, »betet mehr als wir alle miteinander. Seine Einfalt hat ihm von der Wiege an zur sonderlichen Glückseligkeit gedient, weil er dadurch zur wahren Demut angeleitet worden, von welcher die Gelehrten nunmehr ganz oder doch aufs wenigste weit entfernet sind. Er hat noch meinem seligen Vater für einen Schreiber gedient und für all seinen Lohn die einzige Bitte getan, daß er nach meines seligen Vaters Tod besagte Steinklippe zu seiner Wohnung und dieses Kirchlein zu seiner Andacht gebrauchen möchte, welches ich ihm vermög meines Vaters Testament alle Nacht offenstehen lasse. Der Segen, welchen ich durch mein Almosen, so ich ihm reichen lasse, in meiner Haushaltung spüre, ist allerdings groß und merklich. So hütet er mir auch beinebenst die umliegende Weinberge und schreibet allerhand Sachen, dadurch ich meine Andacht ermuntere. Mein Pfarrherr, welchen ich in dem Dorfe habe, ist nicht halb so andächtig als er, darum ist er ihm wegen seines frommen Lebens, und daß die Leute mehr auf den Einsiedler als auf ihn halten, sehr aufsätzig und heißet ihn [515] auf offener Kanzel einen Faulenzer, der seiner Profession nicht nachzugehen trauete, sondern sich wie ein dummes Vieh in dem Berg aufhielte. Aber dieser Auflagen geschehen ihm nur deswegen von dem Pfarrer, weil er ihn an seinem exemplarischen Leben weit übertrifft.

Er hat mich oft vermahnet, ich sollte diesen Müßiggänger abschaffen, hat mir auch deswegen vom Bischof einen Befelch gebracht, aber ich habe in meinem Gegenbericht in die bischöfliche Canzeley geschrieben, daß, wenn sie einen Pfaffen im ganzen Bistum hätten, der mich durch sein frommes Leben mehr als dieser fromme Schreiber erbauen könnte, sollten sie ihn herausschicken, alsdann wollte ich nicht allein ihn, sondern den Pfarrer darzu, der es tausendfältig mehr verdienet hätte, davon- und zum Dorfe hinausjagen.«

Als er solches von dem gegenwärtigen Menschen redete, machte sich dieser mit einem andächtigen Reverenz aus dem Kirchlein, allwo er allgemach zwei Stunden gebetet und also durch unsere Ankunft aus seiner damaligen Andacht ist verstöret worden. Da fing ich an seiner Person an, meinen ehemaligen Zustand zu betrachten. Denn er zog in einem geflickten Rock daher, gleichwie ich einen anhatte, darum gab ich ihm eine Handvoll Groschen, sich damit Bücher, Licht und dergleichen nötiges Hausgeräte zu schaffen, welches er ohnedem von Wilhelmen zur Notdurft genoß. Herr Wilhelm führte uns nach diesem allenthalben in der Kapelle herum, allwo er uns neben den vorigen Sachen noch etliche Grabschriften und dergleichen alte Steine gewiesen, auf welchen allerlei Figuren eingehauen waren. Ich und Philipp zeichneten die meisten von denselben in unsere Schreibtafeln, weil ich sonsten zu einen seichten Kopf hatte, ihren Inhalt in einer so kurzen Zeit zu fassen. Und solchergestalten führte er uns allenthalben so lange in dem Kirchlein herum, bis er uns endlich zu dem Altar brachte, welches das eigentliche Conterfey der gegenwärtig und in Mannskleider versteckten Jungfrauen Amalia war.

Sie kannte das Bildnis im Augenblick, hatte aber weder Ursach noch Herze zu fragen, wie es anher ge kommen, ob es ihr schon aus ihrem Wohnzimmer zu Ocheim von dem berufenen [516] Barthel auf der Heide ist gestohlen und entfremdet worden. Wilhelm fragte einen um den andern, wie uns das Bild gefiele, und es war keiner, der dessen Zierlichkeit nicht auf das höchste erhoben, absonderlich aber ist es von dem Friderichen gepriesen worden, und mußte die Amalia selbsten eine solche Copey loben, dessen Original sie im Wesen selbst war.

»O schönes Bildnis,« sprach Herr Friderich, »sooft ich meine Augen zu dir erhebe, fället meine Hoffnung zu Grunde. In deiner Erblickung erfreuet sich zwar mein Herz, aber es weinen doch auch zugleich meine Augen wegen einer gewissen Ursache, die nur einer unter uns auflösen kann.« Wir taten alle, als wüßten wir nicht, was Herr Friderich redete, dannenhero mußten wir uns über der plötzlichen Entfärbung der Amalia recht kurzweilig verwundern, welche den Schalk so trefflich zu bergen wußte.

Nach diesem legte man uns in abgeteilte Kammern, und wurde der Amalia samt ihrem Diener ein besonderes Zimmer eingegeben, auf daß unser Vorhaben desto füglicher möchte vollzogen werden. Herr Friderich und Wilhelm spieleten indessen in der Karte, weil sie præcise um zwölf Uhr in der Nacht mit dem Schloßverwalter zur Amalia ins Zimmer eintreten und ihre Proposition, welche in einem Heiratsvortrag bestund, wollten ablegen lassen. Ich aber und Philipp lasen diejenigen Grabschriften hindurch, die wir zuvor in der Schloßkapelle abgeschrieben hatten, damit wir unsere Exemplarien miteinander communicieren und etwan dasjenige verbessern möchten, was wir aus Unvorsichtigkeit in der Nacht nicht wohl aufgezeichnet hatten. Hiermit las ich die erste, die war eines Hofmannes und hieß also:

›Leser, stehe still! Hier liegt ein Fuchs mit einem glatten Balg und ohne Schwanz, ich sage: ein falscher Hofmann. Er ist so ein großer Abstemius von der menschlichen Einfalt gewesen, daß er sich vielmehr zu der unvernünftigen Tier Arglistigkeit vergesellschaftet hat. Darum heiße ich ihn einen Fuchs, willst du ihn aber einen Esel heißen, so stehet es dir frei, denn er trug auf beiden Seiten. Die Esel finden sich auf der Mühl ein, dieser bei Hofe, allwo die Zungen der [517] Hofbedienten ein stetes und unruhiges Geklapper machen. Er bauete sich als ein arglistiger Fuchs viel Löcher in die Erden, aber desjenigen, darein er dermaleins nach dem Leben sollte geworfen werden, vergaß er dermaßen, daß ich zweifle, ob man ihn hier unter diesem Steine antreffen würde. Indem er den Fuchsbalg angezogen, zog er zugleich die menschliche Bescheidenheit aus, und hat also sein Lob mit einer ewig währenden Schande verwechselet. Er war als ein guter Fuchs jederzeit der näheste an seines Fürsten Pelz, und sein Balg war so groß, daß man leichtlich zwölf dergleichen Röcke könnte ausgefüttert haben. Seine Wissenschaft anbelangend, so mußten auch diese noch bei ihm in die Schule gehen, die sonsten die größten Schmeichler waren.

In der nassen Facultät war er dreifacher Magister, denn es gingen wenig Tage durch das Jahr, an welchen man ihn nicht dreimal rauschig gesehen hat. Solchergestalten mästete er mit Fressen, Saufen und Schlafen den Leib, aber die Seele trocknete er wie einen Zaunstecken aus. Er hielt viel auf die Demut, aber nur anderer Leute, und lobte nichts mehrers als die Höflichkeit, aber nur diese, die ihm von andern Hofleuten erwiesen worden. Und eben also liebte er auch die Freigebigkeit derjenigen, so sich bei ihm mit Finanzen zugeschmeichelt haben. Er hat gewußt, daß der Mensch täglich etwas tun müsse, darum stiftete er auch alle Tage ein neues und sonderliches Schelmenstück. Er war niemand günstig als sich selbst, und war so ein großer Liebhaber des Friedens, daß er sich die Zeit seines Lebens mit niemanden geschlagen hat. Er war ein unkluger Baumeister, denn er bauete all sein Datum auf einen sandigen Grund, dessen der ganze Hof voll liegt. Er gab seinem Nächsten die Hand, nicht als ein Zeichen seiner Aufrichtigkeit, sondern daß er ihm solche gar aus dem Leibe samt dem Arm herausreißen möchte. Aber die Gunst, die er die Zeit seines Lebens häufig genossen, konnte ihm doch im Tode nicht so viel geben, daß er noch ein einziges Stündlein leben möchte, seine Sünden zu bereuen, also hat ihm der Tod den Fuchsbalg samt seiner Haut über die Ohren abgerissen, und er ist von dem höllischen Löwen [518] als ein arglistiger Fuchs in tausend Stücklein zerfleischet zur Höllen geführet worden. Leser, wenn du dich in gleichem Zustand befindest, ziehe die Haut aus, ehe dir auf eine gleiche Weise mitgefahren wird.‹

Die andere war auf einen Geizhals und hieß also: ›Hier liegt ein Geizhals. Frage nicht nach seinem Namen, sondern begnüge dich, daß ich das Laster beschreibe. Dieser hat mehr verdienet, von Menschen mit Steinen zu Tode geworfen als nach seinem Tode mit einem Leichenstein bedecket zu werden, weil er das mit Recht und Unrecht zusammengeraffte Geld unaufhörlich an den Probierstein strich und sich über der Armen Schweiß erfreuete. Er kann mit Recht ein Wolf wegen seiner räuberischen Begierde genennet werden. Die Geldsucht ist die Circe gewesen, so ihn in ein wildes Tier verwandelt hat. Die unbarmherzigen Raben sind noch barmherziger und fallen nur das tote Aas an, aber die Geizigen schinden auch von den Lebendigen.

Er hatte gutes Glück bei seinem Leben und wäre recht glückselig gestorben, wenn er nicht das Geld mehr als Gott geliebet hätte. Sein Wahlspruch war:plus ultra, immer mehr. Er war gleich arm, da er alles, als da er nichts hatte. Obgleich alles sein gewisses Maß hat, war doch die Begierde dieses Geizigen unmeßlich. Zu der Einnahme und Einmahnung war er allzu fertig, aber zu der Ausgabe fast unbeweglich. Die Wucherer und Geizhälse gleichen den Weibern, welche mit empfindlicher Freude empfangen, aber mit unaussprechlichen Schmerzen wieder ablegen. Fragest du, worzu ihm das Geld nütze gewesen, so antworte ich: zum Zählen! Er hat niemand, auch sich selbst nichts Gutes getan und war in der Wahrheit nichts anders als ein reicher Bettler, der nur den Besitz seiner Güter, nicht aber den Gebrauch derselben hatte. In seinem Alter verjüngte sich sein Geiz, und je weniger Weges er übrig hatte zu reisen, je mehr Reisegeld suchte er. Da aber der nicht karge Tod bald die Rechnung schloß und die Güter so leichtlich teilete, die er mit großer Mühe vermehret hatte, hat sein Sterben diejenigen am meisten erfreuet, welche am meisten sich betrüben sollten, das ist: seine Erben. So schlecht ist der Geizhälse [519] Lohn! O verdammliches Laster! reise fort, Vorüberreisender, reise fort! fleuch die verfluchte Geldbegierde, die eine stete Heuchlerin des Gemütes ist, und nimm zugleich diese Lehre mit auf den Weg: daß ein Geiziger vor seinem Tod nichts Gutes tue.‹ Diese beide Grabschriften, die ohne allen Zweifel von guten Köpfen mußten ausgearbeitet sein, verkürzeten uns eine ziemliche Zeit, bis wir auch ein Trischak mit den beiden zu spielen angefangen haben.

7. Capitul. Der Verwalter zu Abstorff tut in der Nacht den Heuratsvortrag
VII. Capitul.
Der Verwalter zu Abstorff tut in der Nacht den Heuratsvortrag. Amalia entschließet sich; eilet in der Nacht heimlich davon.

Es ist ein altes Sprüchwort, daß derjenige, so nicht verspielen will, auch nichts aufsetzen solle. Darumen verspielete ich gar zu viel, weil ich gar zu viel aufgesetzet hatte. Doch hielt ich mich in guter Bescheidenheit und erzürnete mich nicht über mich selbsten, wie etliche Narrn gewohnet sind, die sich vor allzu großem Widerwillen selbst in die Haar fallen und ganze Händ voll aus dem Kopfe reißen. Es sind vier Hauptfälle, durch welche man unter andern einen Menschen hauptsächlich ausnehmen kann. Als der erste ist die Lieb, in welcher sich gemeiniglich die allerunüberwindlichste Gemüter ziemlich bloß zu geben pflegen, wie auch dazumal unserem Friderichen geschehen ist, welcher immer an die Mauer nach der Sanduhre sah, ob es nicht bald zwölfe schlagen wollte, und dadurch etliche Flüsse und Gevierte übersah. Die andere Gelegenheit, vermittelst welcher man einem auf den Grund fischen kann, ist das Spielen, allwo man manchem hinter die Springe kommen und sein ganzes Esse auszuforschen vermag. Der dritte Casus ist die Erbschaft, da sich oft ihr zwei, ja auch die besten Brüder und nächste Verwandte um ein bißlein Hab, ja oft nur um einen Groschen so herumzanken, daß die Stubenfenster zittern. Die vierte Art, den Menschen kennenzulernen, ist der Trunk, durch welchen all dasjenige am meisten hervorquillet, zu was der Mensch insgemein inclinieret ist. Und weil ich an Herren [520] Wilhelmen merkte, daß er genaue Obsicht hatte, uns vermittelst des Trischakspieles hinter die Sprünge zu kommen, gab ich genaue Gegenachtung, damit er von einem oder dem andern unter uns dreien kein schlimmes Concept haben möchte. Indem schlägt es zwölf Uhr, und als wir den Zeiger gehöret, sprang jeder hinter dem Tische hervor, dem bevorstehenden Werke beizuwohnen. Der Schloßverwalter, welcher indessen auf seine Oration mit allem Fleiß, in der Hoffnung, dadurch ein Dutzet Taler zu gewinnen, studiert hatte, kam gleich dazumal, als wir unsere Parüquen zurechtmachten, in seinem Mantel die Treppe herauf und sagte, daß er nunmehr die ganze Proposition nach unserm gegebenen Anlaß nicht allein nach seinem wenigen Vermögen eingerichtet, sondern auch genugsam ins Gedächtnis gebracht hätte. Also begleiteten wir ihn zu der Kammer, welche Herr Wilhelm mit seinem Hauptschlüssel unversehens eröffnete.

Der Diener Justin, so um diese Abenteuer genugsame Nachricht hatte, sprang doch zum Schein seiner Unwissenheit aus dem Bette, seinen Degen, der unfern an der Wand hing, ergreifend, die Amalia aber selbsten tat nach diesem Anblick einen großen Schrei und versteckte sich hinter die Decke. »Mein Freund,« sprach der Schloßverwalter, »Ihr habt keine Ursach, Euch vor uns mit dem Eisen zu beschützen, die wir als gute Freunde angekommen sind. Haltet zurück und hänget Euer Gewehr an seinen vorigen Ort!« Damit stieg Justin wieder in sein Lager, und unsere ganze Compagnie versammlete sich an der Bettstatt der Amalia, die nunmehr in unserer Erkenntnis etwas beherzter zuhörete.

»Den Schiffenden«, sprach hierauf der Schloßverwalter, »sind viel Klippen und andere gefährliche Seewege unbekannt, daran sie oftermalen stoßen und anfahren. Also ist es auch mit uns Menschen auf diesem Weltmeere beschaffen, da wir in tausend Irrtumen herumschweben. Eine solche Irre machen sich die Menschen selbst untereinander, dadurch sie die Augen ihres Nächstens verdunkeln und sein Urteil übervorteilen mögen. Wir wollen nicht zweifeln, hochadeliger Fidius, daß Er anitzo, obwohlen mit einem rechtmäßigen und zulässigen Betrug, in der Welt herumwandle, durch seinen [521] Mannshabit die Augen der Menschen zu verdecken. Er ist, wie wir genugsame Nachricht eingeholet, ebendiejenige im Original, dero Copia wir vergangenen Abends in der Schloßkapelle auf dem Altar angetroffen. Und weil es des gegenwärtigen Friderichens Zustände nicht zulassen, seine Resolution ferner verborgen zu halten, so lässet er durch mich in seinem Namen bei dieser hochadeligen Gesellschaft um ein ehliches Verbündnis werben, im festen Vertrauen, daß, gleichwie am Tage vor ihm Ihre Person verborgen, als werde Sie in dieser finstern Nacht Ihr angenehmes Licht gegen ihm und seiner Inclination scheinen, auch ihn eine solche Antwort anhören lassen, derer ein treu Verliebter wohl wert ist. Hiermit wollen wir Sie Ihrem Entschluß nachzudenken überlassen und, wenn wir zuvor um Vergebung dieser gemachten Unruhe gebeten, uns wiederum hinwegverfügen. Sie ruhe und entschließe sich wohl.«

Mit diesen Worten nahmen wir von der mehr als bestürzten Amalia Abschied, sie ohne allen Zweifel in tausend wunderlichen Gedanken hinterlassend, in welche sie sich nach diesem Vortrag wird gestürzet haben. Wir mußten die kurze und wohlgesetzte Oration des Schloßverwalters höchst loben, weil sie nicht sowohl mit vielen Worten als mit der Sache selbsten ausgespicket und also eingerichtet war, daß sie von dem Fräulein nicht allein wohl mochte verstanden, sondern auch gar leichtlich möchte behalten werden. Dannenhero lobte jeder seine Geschicklichkeit aufs höchste, und wurde von uns allen beschenket, weil wir gute Hoffnung zu einem glücklichen Ausschlag hatten. Als wir nun voneinander eine gute Nacht genommen und den Verwalter wieder an seinen Ort gehen lassen, stunden ich und Friderich heimlich aus dem Bette auf, weil wir willens waren, uns an die Kammer der Amalien zu verfügen und zu hören, was sie deswegen mit ihrem Justin für eine Unterredung halten würde.

»Ist dieses nicht das Schloß,« sagte sie hierauf zu Justin, »allwo wir vor wenigen Tagen im großen Regen stillgestanden und um den rechten Weg in die Stadt gefraget haben?« – »Ja,« sagte Justin, »dieses ist derselbige Ort, da ich mit dem Steine an die Pforte angeschlagen habe.« – »Nun,« [522] sagte das Fräulein, »ich habe hier um den rechten Weg gefraget, hier wird er mir auch ohne allen Zweifel gewiesen werden. Ich glaube gänzlich, daß meine Person durch mein Conterfey am Altare sei verraten worden. Es ist ebendasjenige Stück, so mir der Ehrvergessene in meinem Absein aus dem Zimmer geraubet hat. Aber dieses möchte ich wohl wissen, wie es an hiesigen Ort in die Kapelle gekommen sei. Sie haben es in der Gestalt der heiligen Jungfer Barbara aufgehangen und ein großes Rad samt anderen kleinen Figuren noch dazu genialen, darum wächset mein Zweifel um so viel mehr, je weniger ich hinter diese Gewißheit kommen kann.« – »Ich habe«, sprach Justin, »fast auf dem ganzen Schloß bei allen Leuten mich deswegen erkundiget und befraget, aber nichtsdestoweniger nichts auf meine Kundschaft erhalten können, ohne, daß der Barthel auf der Heide fast täglich hieher vor demselben niederkniet und seine sonderliche Andacht verübet.« – »Mich verwundert,« sprach sie darauf, »daß der Dieb keinen Scheu getragen, sein gestohlenes Gut in eine Kirche, wie mutmaßlich allhier geschehen ist, zu verehren. Ist es aber, wie du sagest, daß er täglich gewohnet sei, allhier vor meinem Conterfey zu erscheinen, so ist es nötig, daß man ihm morgen entweder den Zutritt verneine oder mich im verborgenen halte, weil seine unsinnige Liebe in meiner Gegenwart ausbrechen und er dadurch zu großen Torheiten, derer er sich schon allbereit unterstanden hat, möchte veranlasset werden.«

»Dieses alles«, sprach der Diener, »soll von mir dem Schloßherrn fleißig hinterbracht werden. Aber was wollet Ihr Euch, gestrenges Fräulein, auf die getane Sermon wegen des Friderichens erklären? Ist es nicht nötig, daß ich mich im Namen Eurer Person auf eine Antwort gefaßt mache?« – »Zu der Antwort,« sprach sie, »die ich auf diesen Vortrag zu geben entschlossen bin, seid Ihr nicht genugsam studieret.« – »Eine gelehrte Rede«, sprach Justin darauf, »ist nicht allezeit das Mittel, seinen Zweck auszudrücken, warum soll solches nicht auch in einer einfältigen Antwort geschehen können? Ihr mögt demnach ja oder nein dazu sagen, so verspreche ich Euch doch, eine solche Rede abzulegen, welche, ob sie [523] schon mit des Verwalters seinen Worten nicht kann verglichen werden, soll sie doch auch etwas mehrers als eine bloße Post heißen können.« – »Es ist wahr,« sagte sie, »daß man seinen deutlichen Willen auch deutlich müsse zu verstehen geben, und ich traue Eurer Beredsamkeit mehrer als einem gemeinen Laquay, weil Ihr Euch dessen allgemach ein gutes Zeugnis zuwege gebracht habet.

Enthaltet Euch demnach, soviel Ihr dazu nötig erachtet, vom Schlafe und studieret, daß Ihr ihnen morgen mit wenigem sagen möget, daß ich den Friderichen in diesem Begehren keinen Irrweg wolle gehen lassen. Meinen endlichen Entschluß wolle ich bis zu der Frau Mutter Einwilligung versparen, und Herr Friderich solle indessen bedacht sein, mich von dem heimlichen Listen des Barthels auf der Heide zu entledigen, welcher mich auch vor dieses Mal durch seine heimliche Nachstellungen in dieses Kleid gebracht hat. Diese drei Punkten merket wohl, sinnet sie aus und beantwortet sie kurz, weil man durch weitläuftige Worte die Sache vielmehr verdunkelt als erleuchtet.« Dieses waren die letzten Worte, die wir vor der Kammertür gehöret haben; demnach begaben wir uns gar vergnüget zu Bette, weil wir die Antwort schon verstanden hatten, ehe sie war abgeleget worden.

Des andern Morgens kam Philipp noch vor Tage vor die Kammer, klopfte an und erzählete uns, welchergestalten die Amalia noch in der Nacht wäre hinweggeraubet und davongeführet worden. Anfangs hielten wirs vor nichts Unmögliches, als er aber zu lachen angefangen, bekam Herr Friderich wieder einen bessern Mut, welchen er schon hatte fallen lassen, denn Philipp wußte alle seine Sachen scheinheilig vorzubringen und war ein vollkommener Meister, einem einen blauen Dunst vor die Augen zu machen. Und als er uns kurz darauf versicherte, daß er dieses, uns zu erschrecken, nur im Scherz geredet hätte, offenbarten wir ihm dasjenige, was wir vor der Kammer gehöret, und er empfand es übel, daß wir ihn zugleich unserer Lust nicht mit genießen lassen, da er doch des Friderichens Wohlfahrt der seinen gleich schätzte. Wir gaben aber vor, daß wir, einen großen [524] Tumult zu verhüten, diese Freundschaft unterlassen wollen, weil wir dadurch uns leichtlich selbsten offenbaret und uns bei der Damen in einen schlimmen Credit dörften gesetzet haben. Er ließ es endlich an seinen Ort gestellet sein, und wir machten uns insgesamt auf, anzukleiden und die abgefaßte Botschaft von dem Justin anzuhören. Es war aber schon hoher Tag, als man noch niemand aus der Damen Kammer gehen gehöret noch gesehen, darum glaubten wir gänzlich, sie würden den verstörten Schlaf am Tage einbringen, und schossen indessen mit etlichen Pallestern nach den Sperlingen, die sich häufig auf den umliegenden Dächern gesammlet hatten.

Es wurde endlich Mittag, und weil wir von der Amalia noch ihrem Diener Justin annoch nichts vernehmen können, kamen uns Philipps Worte wieder in den Sinn, und ob er gleich seine Botschaft nur aus bloßem Scherz abgeleget hatte, befanden wir doch die ganze Sache also in dem Werke beschaffen, weil wir nach eröffneter Kammer weder Knecht noch Jungfrau mehr zu sehen bekommen, aber wohl ein offenes Fenster erblicket, durch welches sie ohne allen Zweifel, weil es nicht gar zu hoch von der Erden war, müßten hinausgesprungen sein. Wir wußten nicht, sollten wir über diese Geschicht lachen oder weinen, weil niemand um den eigentlichen Grund wußte. Philipp aber machte ein großes Kreuz vor sich, sagend, daß er nimmermehr hoffen wolle, daß dasjenige daran Ursach wäre, welches er vorgenommen hätte.

8. Capitul. Friderich wird heftig bestürzt
VIII. Capitul.
Friderich wird heftig bestürzt, eilet mit Wolffgang nach Oberstein zu Herrn Philippen, kommen auf dem Weg unter Mörder. Oberstein hat einzige Gefahr von den Bauern zu befahren. Die alte Frau von Ocheim, der Amalien Mutter, schreibt einen Brief dahin.

Man konnte von ihm keine fernere Erklärung erhalten, und weil er sich stracks auf sein Pferd satzte und damit zum Schlosse ausrannte, war der Unmut des Friderichs unbeschreiblich [525] groß. Ja, wenn er die Amalia nicht selbsten reden gehört, noch auf seiner Seite wußte, hätte er leichtlich in einen Zweifel geraten und seine Verzweifelung in dieser Sache vergrößern können. Endlich kam es dahin, daß wir die Schuld entweder dem Philippen oder dem Barthel auf der Heide zuschrieben, ob wir wohl nicht gewiß wußten, wer sie in so unverhoffte Flucht gebracht hätte. Darum zertrennete sich unser Zusammenkunft noch selbigen Morgens, und weil Herr Friderich unmenschlich sich in der gefaßten Liebe vertiefet, bat er mich, daß ich ihm auf der Straße möchte Gesellschaft leisten, seinem Verhängnis ferner nachzugehen. Ich konnte seiner Bitte, indem er sich gegen mir mit so hoher Freundschaft jederzeit hatte spüren und sehen lassen, dieses Begehren keinesweges abschlagen, eileten dannenhero dem Philipp auf dem Fuß nach, weil wir von dem Schloßgesinde verstanden, daß Herr Philipp vergangene Nacht zwei Pferde zum Tor ausgeritten, welches ebendiejenige gewesen, die der Amalien und ihrem Diener zugestanden.

Es fing wegen anhaltender Hitze schon an trefflich zu trückenen, deswegen galoppierten wir wie der Wind durch die Felder, ritten aber dermaßen irr und abweges, daß wir selbige Nacht in einer einschichtigen Dorfschenke bei einem großen Wald unser Nachtherberg suchen mußten, in welcher alles auf das allerschlechteste beschaffen war. Wir gaben uns dem Wirt nicht zu erkennen, und daß wir in dieser Straßenherberg desto sicherer wären, nahmen wir unsere Pistolen mit auf den Heuboden, dahin wir von dem Wirt zu schlafen angewiesen wurden. Er wollte aber solches Beginnen durchaus nicht leiden, weil er die Gefahr, so durch unvorsichtiges Losgehen der Pistolen entstehen möchte, vorschützte, in dem Werk aber selbsten geschah es nur darum, weil er uns entwaffnen und solchen Buben in die Klauen liefern wollte, mit welchen er schon manchem ehrlichen Mann hatte den Garaus gemachet.

Nichtsdestoweniger konnte er unser Vorhaben doch nicht ändern, und nachdem wir beisammen auf dem Heuboden lagen, fiel uns eines und das andere Stücklein ein, derer sich [526] dergleichen Schelmen zu Totschlagung der Leute bedieneten. Wir hörten etlichmal vor dem Hause pfeifen, und weil wir solches vor ein Diebszeichen gehalten, machten wir uns auf die Beine, verließen das Lager und ließen uns unter dem Heuboden in einen alten Stall, allwo wir unsere Pferde angebunden hatten.

Wie wir gemutmaßet, so geschah es in der Tat; denn es kamen auf dieses Pfeifen ihrer etliche zum Hause herein, die mit dem Wirt auf eine ganz fremde Sprache zu reden angefangen. Wir hatten nur einen einzigen Knecht von Herrn Wilhelm mit uns genommen, welcher sich zu einem Wegweiser gebrauchen ließ, derselbe war in dem Heue daroben geblieben, weil er entweder noch niemalen in dergleichen Begebenheiten begriffen oder aber ohne Sorge war, allhier in Lebensgefahr zu geraten. Diese Diebe, gleichwie sie bald gekommen, also fingen sie auch bald an, in dem Haus herumzuvisitieren, und der Wirt ging mit einem großen Prügel, welchen er über der Achsel trug, voran. Der Weg, welcher auf den Heuboden leitete, ging unserm Stalle vorbei, deswegen konnten wir durch die Klumsen der Bretter leichtlich sehen, wieviel es geschlagen und in welch eine saubere Gesellschaft wir geraten wären. Nachdem sie nun ganz gebücket und stille den Stall vorbeipassiert, stiegen ihrer achte auf eben den Heuboden, da wir kurz vorhero von dem Wirt waren logieret worden. Indessen löseten wir die drei Pferde ab, und nachdem wir uns des Ausgangs zu dem Hause wohl versichert, schossen wir mit einer Pistole hinter ihnen in den Boden, dadurch nicht allein der Knecht erwecket, sondern das Heu in augenblickliche Flamme geraten. Wir sahen nach aller Möglichkeit, unsern Reitknecht Conrad davonzubringen, und es glückte ihm, daß er noch zu einem Dachfenster, ob es wohl ein gefährlicher Sprung war, doch ohne Rock und Hut zu uns kam. Hierauf warfen wir die Leiter in den Hof und gaben aus den fünf übrigen Pistolen gegen diejenige Feuer, die unser Leben zu rauben angekommen waren. Nachdem wir derselben drei totgeschossen, waren zwei andere von dem Feuer schon ergriffen und von dem Rauch ersticket. Die Flamme griff im Augenblick um sich, und [527] weil der Wind gegen dem meisten Gebäude spielete, hatten wir hohe Zeit, uns davonzumachen und in Sicherheit zu stellen. Also verließen wir das Raubnest in tiefer Nacht mit großem Geheule des Schelmengesindleins, und das Feuer, so auf den Giebeln brannte, mußte unsere Fackel sein, die uns bis in den Wald hinein leuchtete.

Die Unsicherheit, von welcher dieser Wald berufen war, ließ uns nicht weit reiten, derowegen referierten wir uns auf einen hohen Holzstoß, daselbst bis zu anbrechendem Tage, ob es schon ziemlich kalt war, auszudauren. Der Knecht hatte ehedessen in Schweden vor einen Krieger gedienet, und dannenhero war er des Streites schon gewohnet, ich aber und Herr Friderich hatten solches in der Welt mehr als oft erfahren müssen. Dannenhero waren unsere Mäntel genug, uns vor diesmal zur Überdecke zu dienen, und also verbrachten wir, so gut es die Gelegenheit zuließ, unsere Zeit.

Unsere Pferde lagerten sich in zusammengescharrene Blätter, allwo sie sich dermaßen vergraben, daß man ihrer schwerlich mochte gewahr werden, und indem es taget und unsere Furcht ein wenig abnahm, schliefen wir ein und ruheten so lange, bis wir von einem unverhofften Gespräche ermuntert worden. Solches Wortwechslen geschah an einem nächstgelegenen Brunnen, dahin sich ihrer zwei gesetzet, die allem Ansehen nach sehr mußten gelaufen sein. Sie pfauseten wie alte Zeiselbären, und sagte der erste: »Bruder, wir haben Zeit gehabt. Siehe, wie meine Hosen schon zu brennen angefangen.« – »Ja,« antwortete der andere, »ich wollte, daß ein Barbierer hier wäre, der mir meine Wunde verbände, die Kugel steckt mir noch in dem Waden und brennet wie höllisches Feuer.« Mit diesen Worten zog er seinen Strumpf, welcher voll Bluts war, vom Fuße und wusch seinen Schaden an dem Brunnen, welcher mit großer Lieblichkeit aus einem hohen Felsen sprang.

»Diese Kerl«, sprach Herr Friderich, »sind allem Ansehen nach in dem Brand gewesen und durch unser Geschoß verletzet worden, lasset uns sie anfallen und das gründliche Zeugnis aus ihnen forschen, warum sie uns zu ermorden [528] angekommen sind.« Demnach eileten wir behend über den Scheiterstoß hinunter, und die Gesellen erschraken dergestalten, daß, unerachtet sie Gelegenheit genug zu entfliehen hatten, sich dennoch, als vom Gewissen überwunden, nit von der Stelle bewegen konnten.

Wir fielen sie mit einem großen Geschrei an und entblößeten sie gleich anfangs ihres Gewehres, welches zwei große Henkersschwerte und etliche in den Kleidern versteckte Puffer waren. »Ihr seid diejenigen,« sprach ich, »die in der Straßenherberg auf unschuldiges Blut gelauert, darum saget aus, wer euch dazu veranlasset, oder verlieret an diesem Ort euer verfluchtes Leben.« Sie wollten sich entschuldigen, daß sie davon keine Kundschaft hätten, nachdem wir ihnen aber mit der Fuchtel über die Köpfe waren und sie den Ernst unsers billigen Zorns sahen, beichteten sie und baten um Gnad. Sie waren alle beide unter dem Gebiet Herrn Philippens geboren und zu diesem ehrlichen Handwerk von einem Henkersknecht verleitet worden. Sie sagten, daß diese oder künftige Wochen Herrn Philipps Schloß, als nämlich Oberstein, von gewissen Raubern würde gestürmet werden, dar unter auch etliche Bauren wären, die in neulicher Rebellion aufgestanden, und diese Rebellion der Bauren war eigentlich der Feind, von welchem wir zum Anfang dieser Histori gehöret haben, daß er in dem Land so übel gehausiert habe.

Sie sagten, daß, wenn sie uns auf dem Heuboden gefunden hätten, keiner mit dem Leben davonkommen wäre, weil sie an ebendiesem Ort schon öfter solche Tänze gespielet, darüber den Tanzenden die Pfeife zugefroren sei. Diese Erzählung der leichtfertigen Buben, gleichwie sie an sich selbst grausam anzuhören war, als erweckte sie in uns einen billigen und unmäßlichen Zorn, daß wir in großem Grimm über den Unbeschädigten herwischten und ihn mit unsern Degen halb zerhieben und halb durchstachen. Also bekam er endlich noch so viel Zeit, daß er in großem Blut und Ohnmacht noch eine Stunde beten und also sein elendes Leben beschließen mochte.

Den Lahmgeschossenen, welcher, wie er sagte, im ersten Schusse getroffen worden, da ihm zugleich der Strumpf zu [529] brennen angefangen, nahmen wir mit uns nacher Oberstein, mit seinem eigenen Bekenntnis unsere gerechte Sache wegen dieses Brandes zu bekräftigen, und also ritten wir als ritterliche Sieger zu Oberstein ein, und Philipp empfing uns über seinen Erker in dem Hof und verwunderte sich zugleich über den neuen Gast, welchen wir mit uns aus dem Wald angebracht hatten. »Ich habe heut nacht«, sprach er zu uns, »ein großes Feuer gesehen, und weil ich meine Mutmaßung auf Abstorff hatte, so saget mir, ob an selbigem Ort einziges Unglück vorübergelaufen sei. Ich weiß wohl, daß bei dieser Landesunruhe allerlei Mutwillen im Volk vorübergehe und daß diejenige Bauren, denen wir ehedessen das Fell tapfer geschröpfet haben, sich bei dieser Gelegenheit auf alle Weis und Wege uns wieder eine gute Grindschmitzen anzuhängen eiferigst bemühen werden.« – »Ja,« sagte Herr Friderich, »an diesem, was du sagest, ist keinesweges zu zweifeln, wie wir denn ein lebendiges Exempel hier an diesem Gefangenen mit uns bringen. Er ist ein deiniges Landkind, und das Feuer, welches du heut nacht gesehen, ist nicht zu Abstorff, sondern auf einer Straßenherberg von mir und dem Wolffgang angezündet worden.« Hiermit eröffneten wir ihm die Geschicht, und Philipp überlieferte noch denselbigen Tag das saubere Bürschlein den Gerichten, welcher aber bald darauf in dem Gefängnis sein Leben eingebüßet, indem ihm der Brand nicht allein den Fuß, sondern fast den ganzen Leib eingenommen. Also ist er seinem schimpflichen Tod durch diesen Zustand bevorkommen, weil er sonsten, wie es dergleichen Verbrecher Strafe wohl verdienet, auf dem Rad den Vögeln vor ein Confect hätte dörfen aufgesetzt werden.

Wir berichteten neben diesem die sonderliche Gefahr, mit der er von etlicheri zusammengelaufenen Buben bedrohet wurde, derowegen sah er sich fleißig vor und ließ diejenige Schloßmauern, die nicht wohlverwahret waren, mit dichten Dornsträußen befestigen, und wir versprachen ihm, daß, wo ein Anlauf geschehen sollte, ihm behülfiiche Hand nicht allein von uns selbsten, sondern auch mit unsern Leuten zu leisten. Auf solches fragten wir ihn wegen der Amalien, und daß er uns den Zweifel auflösete, welchen er mit seiner letzten [530] Antwort zurückgelassen hätte. Aber er fing nebenst seiner Dankbarkeit weit einen andern Discurs von des Landes Zustand an und befriedigte den Friderichen dermalen mit gewisser Versicherung, daß alles zu seinem Besten ausschlagen würde.

Er ließ uns dermalen nicht von sich, denn er gab vor, daß wir allerehestens zu einer Hochzeit würden eingeladen werden, darzu wir uns keinesweges verstehen konnten, und weil er vorgab, daß Amalia an einem guten Ort sich enthielte, gab sich Herr Friderich gerne zufrieden, denn er fing bald an zu argwohnen, Philipp hätte sie voran auf dieses Schloß geschicket, uns in eine desto größere Verwirrung zu stürzen. Nach dreien Tagen bekam Philipp einen Brief, und: »Siehst du,« sagte er zu dem Friderichen, »dieses ist die Hand der alten Frauen von Ocheim.« Herr Friderich war auf diesen Brief höchst begierig, aber noch viel vergnügter, als ihm Philipp unter anderen folgende Wort herauslas: »Herr Friderich, dessen guter Name und stattliche Eigenschaften gar bekannt sind, solle die Hoffnung nicht sinken lassen, mein Schwiegersohn zu werden.« – »Siehst du,« sprach er, »ob es mit deinen Sachen zum besten beschaffen sei? Ihr habt etwas zu geschwinde mit der Sache verfahren. Es heißet, wie mich mein Conrector gelehret hat,festina lente, langsam kommt man auch weit. Es ist eine große Nützlichkeit, daß man der Eltern Jawort hat, und der Segen, der daraus entsprießet, wird unvergänglich sein.« Also wußte sich Friderich zwar ein wenig aus der Irre, aber doch nicht aus dem Zweifel zu finden, welchen er wegen dieser Sache bei sich geheget hatte.

9. Capitul. Das Schloß Oberstein wird gestürmet
IX. Capitul.
Das Schloß Oberstein wird von den rebellischen Bauren gestürmet. Der Barthel auf der Heide wird von der Amalia gefangen.

Der entdeckte Anschlag wegen der zusammengeschwornen Rotte brach endlich in dem Werke aus, indem etliche unter den Schloßleuten bald verkleidete, bald andere Personen um [531] das Schloß gehen gesehen, die die Mauren allenthalben wohl besichtiget haben. Dieses, nachdem es etliche Tage nacheinander in Obacht genommen worden, verursachte, daß wir uns mit unseren zubereiteten Pechkränzen und guten Büchsen fertig hielten, den Anfall abzutreiben und dem unruhigen Gesindlein, das schwerlich über vierzig Mann sein konnte, tapfer nachzusetzen. Wir hatten einen Studenten bei uns, der Herrn Philippens Kinder informierte. Derselbe konnte mit dem Feuerwerk umspringen und mußte dannenhero die Pechkränze bereiten, damit wir die anfallenden Lumpenhunde wacker auf die Köpfe schmeißen wollten. Außer dem Schlosse hatte es eine Ziegelhütte, und in diese stellete Philipp mehr als zwanzig junger Kerls, die er zur bessern Courage zuvor mit Brandewein vollgesoffen. Er gab jedem unter diesen aus seiner Rüstkammer einen guten Morgenstern, mit demselben dem Gesindlein heimzuleuchten, und wir satzten uns samt acht Knechten und sechs Laquayen zu Pferde, unter währendem Anlauf hinauszureiten und das Unsrige zu tun. In einer solchen Bereitschaft erwarteten wir den Sturm, und Philipp stieg auf einen hohen Turm, zu sehen, wo der Feind seinen Anmarsch nehmen wollte. Er konnte aber nichts zu Gesichte bekommen, und weil es allgemach auf der Straße dunkel wurde, schickte er gewisse Kundschafter auf das Feld, damit er in diesem Übel nichts versaumte, was etwan zu seinem Vorteil dienlich war. Denn er wußte wohl, daß man auch dem kleinen Unglück vorsichtig begegnen müsse, wofern man nicht in ein großes zu fallen verlange. Und weil wir nicht wußten, wie stark der Pöbel sein möchte, machten wir je länger je bessere Anstalt zur Gegenwehr.

Indem kamen drei ausgeschickte Kundschafter, die brachten mit, daß sich nunmehr die Schelmen gegen das Schloß näherten. Sie wären allem Ansehen nach auf die hundert Mann stark und hätten einen Trummelschläger bei sich, welcher dermalen die Trummel auf dem Rücken trüge. Ein jeder unter den Herzumarschierenden hätte ein sonderliches Zeichen auf dem Rocke, und ihrer etliche säßen zu Pferde. Dieses war die kurze Nachricht, und wie sie ferner erzähleten, [532] so marschierten sie ganz sacht und stille, also daß ihrer etliche gar die Schuh ausgezogen, sich derselben in dem Sturm desto besser zu gebrauchen. Ihr Anführer wäre allem Ansehen nach ein Schneider, denn sie hießen ihn Herr Sartor, dadurch man wohl abnehmen konnte, daß sie keine große Streiche tun würden. Nichtsdestoweniger verdoppelte Philipp seine Wachen an beiden Schloßtoren, befahl auch, sich nicht ehe mit den Pechkränzen sehen zu lassen, bis die Bauren ihre Leitern, derer sie nach Aussage der Kundschafter drei Wagen voll bei sich führten, würden angeworfen haben. Indem kommt der Schwärm an das Schloß. Die Schelmen waren so klug, daß sie sich in einem Augenblick in zwei Teile zerteilten. Einer fiel das vordere, einer das hintere Tor an, und ließen also diejenigen Örter unangefochten, wo man unsers Erachtens am leichtesten hätte hineinkommen können, und dannenhero hatten wir große Mühe, das Brenn-und Feuerzeug dahin zu schaffen, wo sie wie die Wespen und Hummeln herankletterten. Als unsere Gegenwehr versammlet war, commandierte Herr Philipp bei dem vordern, ich bei dem hintern Tor, der Friderich aber führte seine Leute aus der Ziegelhütte außer dem Schlosse an, und also gab man zu allen Seiten unsers Orts gute Salve. Etliche der Bauren waren eisenfest gefroren, und war ebensoviel, wenn man auf sie schoß, als ob man ihnen Haselnüsse auf die Köpfe würfe, dahero mußten die Pechkränze des Studentens das Beste tun, vor welchen sie so geschwind wieder über die Leitern hinuntersprangen, als sie heraufgekommen. Da sich nun die Bauren von innen und außen bekrieget sahen, eileten sie mit ziemlichen Verlust der Ihrigen wieder zurück und zerstreueten sich auf dem Feld, einer da-, der andere dorthin, daß wir dannenhero in dem Nachsetzen genug an den Büchsen, Kolben und anderen Gewehren aufzuklauben hatten.

Dieser Abtrieb, ob er schon mit großer Zufriedenheit derjenigen geschehen, welche von Philippen das Schloß zu defendieren aufgeboten worden, so fragten doch die Herren Rustici nit viel darnach, sondern sammleten sich noch selbige Nacht, und da wir uns in der größten Sicherheit zu sitzen [533] gelüsten ließen, hebte ihre Trummel aufs neue an, vor dem Schlosse zu rasseln. Wir brachten unser annoch in dem Hof versammlete Mannschaft mit großer Arbeit und Mühe wieder in die Ordnung, aber die Bauren hatten nur einen blinden Lärmen gemacht und uns vor den Toren abscheulich ausgelachet, ob wir auch gleich einen Ausfall getan, trieben sie uns doch wegen überhäufter Menge bald wieder zurück und teilten uns unverhoffte Schläge mit.

Wir stunden dieselbe ganze Nacht auf den Mauren, und Philipp ließ vor diejenigen Löcher Mist und anderen Schuttkot hinführen, wodurch sie sich ohne großen Widerstand hätten hereinverfügen können. Sie fielen aber vor dieses Mal nicht an, sondern platzte bald einer hie, der andere dort mit seinem Schmeckscheit herein, dadurch sie zwar keine Menschen totgeschossen, aber fast alle Fenster zuschanden gemacht haben, die wir auszuheben vergessen hatten.

Des andern Morgens stiegen ich und Herr Friderich auf den Turm und mußten mit Verwunderung sehen, daß sich unser Gegenpart allgemach vor dem Schlosse eingeschnitten hatte, da vermerkten wir erst, daß dieses Volk ein Pöbel des rebellischen Haufens war, welcher jüngst zuvor in dem Land großes Unglück und Jammer verursachet, und was noch das allermeiste war, so führte diesen Haufen der zuvor beschriebene Barthel auf der Heide an, und hatte nicht ein Schneider, sondern er selbsten das Commando, wie wir mit unsern Perspectiven wohl sehen konnten. Sie stelleten darauf einen neuen Sturm an, und wir eileten von dem Turme, die Gefahr anzudeuten, damit ein jeder zur frischen Gegenwehr möchte gefaßt sein.

Indem wir nun am besten mit unsern Leuten beschäftiget waren, sahen wir von ferne einen großen Pöbel Reiter über das Feld herkommen, die wir erstlich für unsere Feinde hielten. Deswegen sank dem Philippen das Herz um ein merkliches, und Herr Friderich begab sich auf den Turm, zu sehen, ob sie sich mit diesen conjungieren oder was sie sonsten für eine List vornehmen würden. Da sie aber etwas näher kamen, rufte Herr Friderich vom Turm und sprach: »Bruder Philipp, eine gute Zeitung! Gottfrid und Christoph [534] kommen mit diesem Haufen, mache dich gefaßt, sobald sie angegriffen haben, mit deinen Leuten auszufallen, es wird so viel Kappen regnen, die wir nicht alle zählen können.«

Kaum als er diese Worte ausgeredet, hörte man ein schreckliches Feldgeschrei. Es waren zwar keine Hauptarmeen, die da miteinander treffen sollten, aber nichtsdestoweniger ein so großes Geschrei und Tumultuieren, daß ein Blinder geschworen sollte haben, es wäre das ganze Königreich Spanien und Frankreich übereinander hergewischet.

Als nun Gottfrid und sein Bruder mit ihren Leuten von hinten zu angegriffen, rückten wir mit den Unsrigen in guter Ordnung von vornen zum Tor hinaus, da ging es auf beiden Seiten auf ein schreckliches Geklopfe, und wer unter den Bauren am ersten davonlaufen konnte, der suchte das Feld und verließ sich mit Hinwegschmeißung seines Gewehrs auf nichts mehrers als auf seine Füße. Also sind sie geschwinde gekommen und wieder geschwinde davongelaufen. Diejenigen, unter welchen Barthel auf der Heide sich befand, hielten sich noch am längsten, weil er sie in guter Ordnung gehalten. Er rufte ihnen mit aller Macht zu, daß sie sich tapfer wehren sollten, aber er selbst suchte vielmehr eine angenehme Gelegenheit, mit seinem Schimmel davonzuwischen, wenn er nur solche Flucht wegen eines Graben hätte vollbringen können. Also machte er andern ein Herz und hatte selbst keines. Als wir nun am meisten bemühet waren, diesem ehrbaren Gesellen aufs Leder zu klopfen und ihn gefangenzunehmen, kam ein junger Cavalier in einem hübschen Harnisch wie ein Löw unter den Haufen geritten und machte dergestalten Platz, daß wir dadurch uns gar leichtlich des Rädelführers bemächtigen konnten. Aber dieser unbekannter Soldat tat in einem Augenblick, wornach wir allgemach schon eine halbe Stunde getrachtet hatten, nämlich, er fing den Barthel unter seinem eigenen Haufen, nachdem er ihm zuvor eine Schmarre in das Gesicht versetzet und noch darzu seinen Gaul totgeschossen hatte.

Damit zertrenneten sich die gewissenlose Schelmen in einem Augenblick, und wir hieben ihnen bis in den Wald nach, allwo sich das übrige Gesindlein teils in die Hecken verkrochen, [535] teils auch auf hohe Tannen retirieret. Auf eine solche Art brachten wir den Sieg mit geringem Verlust der Unserigen zuwegen, und da nahmen wir uns erst Gelegenheit, einander zu grüßen. Philipp wußte für großen Freuden nicht, was er zum ersten reden oder vorbringen wollte. Er befand sich gegen Gottfrid, Christoph, dem Friderichen und mich hoch verpflichtet, aber noch viel mehr von dem fremden Cavalier, welcher, weil er seinen Helm noch zugeschlossen hatte, von keinem unter uns mochte erkennet werden. Gleichwohl brachte derselbe den Barthel auf der Heide als den Rädelführer dieses sauberen Handels an Eisen geschlossen, und: »Sehet Ihr,« sprach der fremde Rittersmann zu Philippen, »daß ich das Glück gehabt habe, Euren Feind zu fangen! Er hat wider Euch gesündiget und die hohe Landesobrigkeit verunruhiget, darum übergebe ich ihn Euch und der heilsamen Justiz, ihm sein gebührendes Recht anzutun, und auf daß Ihr nicht zweifelt, wer oder von wannen ich sei, so sehet, ich nehme meinen Helm vom Haupt und gebe mich euch allen freiwillig zu erkennen.«

Nach dieser Rede zog er den Helm vom Gesichte, und wir entfärbeten uns alle, als wir die schöne Amalia vor uns in einem Ritterharnisch verkleidet sahen. Es sah einer den andern an, und konnte keiner für Verwunderung das erste Wort sprechen. Sie aber fuhr fort, dem Barthel seine große Büberei vorzuhalten, mit welcher er das ganze Land kränkte. Und als sie im besten Begriff ihrer Rede war, entstund unter den Toren ein neuer Lärmen, weil man auf der Straße Kriegsvolk erblickte, welches sich gegen das Schloß bewegte. Aber wir wurden bald berichtet, daß es der ehrliche Wilhelm war, welcher, als er verstanden, daß es dem Schloß Oberstein gelten sollte, sich mit zweihundert seiner besten Leute aufgemachet, dem Philippen Beistand zu leisten. Deswegen war die Freude um so viel desto größer, weil wir uns untereinander mit so redlicher Nachbarschaft vertrugen und sich einer auf den andern brüderlich zu verlassen hatte.

»Nun«, sagte Philipp, »ist es Zeit, daß ich dir, o Bruder Friderich, den Zweifel auflöse. Kurz nachdem ihr von der Amalia Kammer zu Abstorff hinweg wäret, ging ich hinein, ihr [536] andeutend, daß Barthel nunmehr mit zwanzig Pferden im Anzug wäre, sie, als welche nunmehr allenthalben verraten wäre, anzupacken, wäre also ratsam, sich in aller Stille heimlich wieder nach Hause zu begeben, weil Barthel keine Stunde mehr würde außen sein. Nach diesen Worten ging ich hinweg, und sie ist ohne allen Zweifel aus Furcht dessen heimlich durchgegangen, aber zu deinem Besten, denn durch dieses Mittel hat auch ihre Frau Mutter wegen deines Vortrages Urkund bekommen, und ist nichts ohne ihren Vorbewußt, welches eine große Billigkeit ist, an einer so hochwichtigen Sache geschlossen und eingegangen worden.«

10. Capitul. Der Barthel auf der Heide wird wieder ledig
X. Capitul.
Der Barthel auf der Heide wird wieder ledig. Ein Wahrsager kommt auf das Schloß, wie auch die alte Frau von Ocheim. Der Wahrsager erzählet ihnen von einem neuen Wetterbild zu Grundstett; sie reisen dahin und bekommen wunderlichen Bericht.

Herr Friderich lobte in diesem Fall, soviel die Kürze der Zeit und seine herzliche Freude zuließ, die Bescheidenheit Herrn Philippens sehr hoch. »Denn es ist gewiß,« sprach er, »daß man oft nicht weiß, zu was sich dieses und zu was sich jenes schicken muß. Ein kurzweiliger Scherz muß oft zu unserem Besten dienen, und manche ernstliche Sache, die man mit unzähligen Ratschlägen bald krumm, bald gerad schmiedet, ist doch wohl endlich mit Quark versiegelt.« Damit wandte er sich zu seiner Liebsten, welche, mit vier Dienern vergesellschaftet, von uns unter lauter höflichen Complimenten in ihr Zimmer geleitet worden, darinnen sie ihre Kleider verwechselt und auf die Ankunft ihrer Frauen Mutter gewartet, nach welcher die Heirat sollte geschlossen und der Ehecontract beiderseits eingegangen werden, wie solches der Diener Justin mit mehrerem im Namen seiner alten Frauen gegen uns abgeleget hat.

Gottfrid und Christoph ließen sonderliche Merkzeichen ihrer Vergnügung verspüren, und wir wußten in diesem Tumult selbst nicht, was am ersten anzufangen oder vorzunehmen [537] sei. Herr Friderich hielt für ratsam, daß man den Barthel inzeiten der Justiz überlieferte, damit man sich durch dessen ferneren Verhaft kein Übel auf den Hals zöge. Also eilete man mit ihm in die Stadt. Weil aber auf der Straßen etliche seiner Gesellen auf den Bäumen saßen, welche auf dieses Wildbret aufpaßten, kamen sie dem Gefangenen mit gewaltsamer Hand zu Hülfe und rissen ihn aus den Ketten, dabei es aufs neue einen lustigen Scharmützel abgesetzet.

Unsere Leute, die in dem Gefechte ziemlich zerfetzet worden, kamen mit unserem großen Widerwillen zurücke. Nichtsdestoweniger fuhren wir in unserer angefangenen Lust fort, weil wir wohl wußten, daß dieser Luftsprung des Barthels nur eine kurze Galgenfrist wäre, die ihm nur zu seinem größeren Verhängnis dienen würde. »Gehe nur hin,« sprach Christoph, »du ehrbarer Vogel, hast mir durch deine Advocaten drei Hufen Landes abgedisputieret, nun will ich sie wieder bei der Cartause kriegen und die Zungendrescher wacker auslachen. Es ist kein gut Haar an ihm. Wenn er in einer Compagnie war und man trank ihms nicht am ersten zu, so ließ er einem die Fenster einwerfen. Man dorfte kaum ein Wort reden, so spitzte er schon die Ohren wie ein Esel und legte alle Meinungen zum schlimmsten aus. Nun sehen diejenige, welche ihn so sehr beschützet haben, was für ein sauber Bißlein es sei. O wie sauber will ich übers Jahr meine drei Hufen Landäcker besäen lassen!« – »Mir«, sprach Gottfrid, »ist ein Befelch von der Regierung kommen, ihm eine ganze Quanten Holzes abzutreten; aber mit allerehestem will ich ihnen den Befelch wieder zurücke schicken.« – »So gehet es,« sagte Herr Friderich, »wenn man bösen Buben den Rücken hält. Endlich greifen sie ihre eigene Obrigkeit an und zerrütten alle gute Ordnungen, und dennoch will man keiner Warnung glauben, bis man die Flamme über dem Kopf zusammenschlagen siehet.«

In diesem Gespräche fuhr die alte Frau von Ocheim als der Fräulein Amalien Mutter zum Schlosse ein, welche wir in dem Hofe mit einer sonderlichen Oration bewillkommeten. Damit tat man noch selbiges Abends zu der Sache, und wurden wegen des Friderichens allerlei Punkten abgehandelt, [538] nach welchem die Hochzeit sollte eingerichtet werden. Es ging alles nach Wunsch und Verlangen vonstatten, und nachdem zu beiden Seiten die Heiratsnotul unterschrieben und versiegelt war, vertrieb man die Zeit in allerlei Zufriedenheit.

Indem kommt ein eisgrauer Mann vor das Tor, welcher sich vor einen Wahrsager ausgab. Zur Prob seiner Kunst wiesen wir ihm die Hand, denn er wußte uns nicht allein unser Alter an der Stirne auszusprechen, sondern sagte fast jedem, wo und wann er geboren wäre. Was zukünftig geschehen würde, damit wollte er nit heraus, aber das Vergangene erzählete er uns haarklein und gab vor, daß er solche Kunst von einem weisen Manne noch vor funfzig Jahren im Niederland erlernet hätte. Es trafen alle seine Reden auf eine Nadelspitze ein, und dannenhero machte er uns trefflich vorwitzig, weil er das Vergangene so perfect wußte, zu wissen, wie es uns ins Künftige, absonderlich aber dem Friderichen gehen möchte, welcher, ob er wohl sonst ein christliches Leben führte und nichts auf die Zigeuner hielt, jedennoch diesen Worten des Alten ein merkliches einraumte. »Ihr Herren,« sprach der Wahrsager, »es ist ein Bild im Land, das heißet man das Wetterbild, dasselbige steht in einem Dorfe am Gebirg in einer alten Kirche auf einem Altar gemalen. Wer von seinem Heimat aus dahin reiset und sich auf dem Weg nicht umsiehet, dem tut es die Gnad, daß es ihm auf alle seine Fragen richtige Antwort gibt. Den andern aber, die sich umgesehen haben, gibt es wohl auch Antwort, aber gar undeutlich und dunkel, daß man es nicht wohl auslegen kann. Es stehet noch nicht vier Wochen, und hat ihr Heimlichkeit ein Pfaff offenbaret, nach dessen Tod es zu reden angefangen hat.«

Er namte uns hierauf das Dorf, so Grundstett hieß, weil es gar tief in einem Tal lag. Und weil er durch diese Erzählung in uns allen eine merkliche Lust angesponnen hatte, dieses Wetterbild zu beschauen, versprachen wir in seiner Gegenwart, miteinander dahin zu reisen und zu sehen, was es einem oder dem anderen antworten würde, weil wir keinen Articul des Glaubens, sondern nur eine Prob gleichwie mit [539] seiner Wahrsagung anstellen wollten, was an der Sache sein möchte. Hiermit gaben wir ihm etliche Taler Trankgeld, und er ging an seinem Stab gegen die Stadt, wohin er, seinem Vorgeben auch, von etlichen Vornehmen, zum Teil auch geistlichen Personen, ihnen wahrzusagen wäre bestellet worden. Wir aber resolvierten noch selbige Stunde, unsere Reise dahin anzuordnen. Die alte Frau von Ocheim, welche nicht viel auf unser Vornehmen hielt, benannte den Tag zur bevorstehenden Hochzeit, die auf ihrem Schlosse sollte vollendzogen werden, damit schied sie mit einer guten Convoi durch das annoch unruhige und zum Teil unsichere Land nacher Haus, und der verliebte Friderich gab seiner Braut bis dahin das Geleite, versprechend, daß er allerehestens wieder bei uns sein und alsdann die Reise nach dem Wetterbild wolle vollendziehen helfen.

Er kam nach dreien Tagen wieder zurück und brachte wegen der nunmehr gestillten Bauren gute Zeitung, welche teils geschlagen, teils wieder auf ihre Güter wären getrieben worden. Sein Hut, sein Rock und zum Teil sein Pferd prangten mit allerlei Galanteriebändern, so ihm von seiner Liebsten seien zum Angedenken verehret worden, und er war von derselben so eingenommen, daß man ihm seine große Verwirrungen in allen Reden leichtlich anmerken konnte. Denn sie war schön, höflich und wohl qualificiert, also daß er große Ursach hätte, seinem stattlichen Glücke ohne Unterlaß nachzudenken. Wir machten uns demnach insgesamt auf, das Wetterbild zu besuchen und zu sehen, was es einem oder dem anderen Gutes prophezeien wollte. Damit aber die Regul, welche der alte Mann vorgeschrieben hatte, fleißig in acht genommen würde, ermahnten wir uns untereinander daß sich keiner gelüsten ließe, auf dem Weg umzusehen, Also ritten wir fort, und unerachtet bald da einem die Sporn, dem andern sein Felleisen, dem dritten seine Carabatschke auf die Erde und also in dem Reiten zurückfiel, ließen wir doch alle solche und dergleichen Sachen wegen bewußter Ursache hinter uns liegen und eileten nichtsdestominder gegen Grundstett in das Gebirg, daselbst das so sehr belobte Wetterbild zu besehen.

[540] Als wir nun etwan noch einen Steinwurf in das Dorf hatten, geschah hinter uns ein heller Büchsenschuß, darüber wir alle wider unsern vorgesatzten Zweck uns umgesehen haben. Wir wußten nicht, wars ein Scharf- oder Blindschuß gewesen, und konnten nichts als den Dampf aus einer Wasserinsel in einem Busch erblicken, aus welchem ohne allen Zweifel dieser Schuß geschehen ist. Als wir uns nun unsers Fehlers erinnerten, waren etliche so zornig, daß sie überschwimmen und den Täter aufsuchen wollten, aber der schnelle Strom und das gefährliche Ufer verboten unser Vornehmen, und weil wir nunmehr diese Reise zum Ende gebracht hatten, wollten wir doch aufs wenigste das Bild sehen, ob wir gleich von demselben keine richtige Antwort erhalten konnten.

Hierauf sprengten wir in das Dorf, dessen Inwohner uns gleichwie der Alte berichtet und viel abenteuerliche Sachen von diesem Wetterbild vorgeschwätzet haben. Wir gingen alsobald zur Kirchen, welche uns ein kleines Männlein um ein schlechtes Trankgeld eröffnete und zugleich an den Altar führte, woran dieses Wetterbild gemalen war. Die Gestalt anbelangend war solches über und über kohlschwarz, daß man also nicht wohl kennen könnte, wärs eine Manns- oder Weibsfigur. Zu den Füßen war eine große Schlange und zum Haupt der Mondenschein gezeichnet, und in jeder Hand hatte es ein großes Buch. Die Augen gingen ihm in dem Kopf hin und wider, und reckte auch etlichmal die Zunge heraus. Es hatte keiner unter uns allen das Herz, ein lautes Wort zu reden, dahero fragten wir den Kirchner alles heimlich, welcher, weil er gehörlos war, uns nicht auf das geringste antworten können. Darum redeten wir endlich laut, was man tun müßte, wenn man dieses Bild um seine Zustände fragen wollte. »Ihr müsset«, antwortete er, »den Rücken hinwenden und in dieses Rohr all dasjenige hineinreden, was ihr gerne wissen wollet. Was ihr aber heimlich fraget, wird es euch laut und öffentlich beantworten.«

Damit machte Herr Philipp den Anfang, und als er zwei oder drei Wort hineingeredet, sprach das Bild: »Du hast dich umgesehen, Wunder und die Zahl derjenigen auf dem Gebirg Eisen zerbrechen, wenn es kommt.« Diese Antwort des [541] Bildes konnte keiner unter uns, viel weniger Herr Philipp selbsten verstehen, denn er sagte, daß er gefraget, wie alt er wäre und wieviel Jahr er noch würde im Ehestand zubringen. Nach diesem ging Gottfrid an das Rohr und fragte, wann es regnen würde. »Du hast dich«, sprach das Bild, »auf dem Wege umgesehen. Viermal hat das Tier im großen Garten die Jährlichkeit das Wesen ist eines jeden Menschen ohne Tod.« Aus dieser Antwort konnten wir so wenig als aus der vorigen verstehen und wurden je länger je bestürzter. Der dritte an der Fragenden Ordnung war Christoph, dem gab es eine solche Antwort: »Du hast dich auf dem Wege umgesehen. Jägerhorn und funfzehen Tage Frist, auf daß die Stadt nicht zu weit über das Ziel falle, die du, wenn es sich ergeußt, in den letzten Tagen zu meinem Licht in der Welt bist.« Diese verwirrte Antwort mußten wir billig verwundern, hatte doch keiner das Herz zu lachen, denn der Kirchner gab vor, daß, wenn man es etwas Ungeziemliches fragte, daß es alsdann Feuer auszuspeien und abscheulich zu heulen pflegte.

Hiermit fragte Wilhelm, welcher ein noch viel verwirrtere Antwort herausbekam. Endlich ich und alsdann auch Herr Friderich, aber er konnte mir und ich konnte ihm die erhaltene Antwort nicht auslegen, unerachtet ich wegen meiner Hausfrauen und er wegen seiner Liebsten gefragt hatte, und also mußten wir mit großem Widerwillen den Ort vor diesmal verlassen und entschlossen uns, noch vor unserm Austritt aus der Kirche, mit ehestem wieder anher zu kommen und uns besser, als geschehen war, vorzusehen, damit wir eine klärere Antwort erhalten und mit einem fröhlichern Gemüte wieder nach Haus abreisen könnten. Auf solches erzähleten uns die Leute von diesem Bild noch allerlei Sachen, und daß der Hundertste keine richtige Antwort davongetragen, weil sie sich fast alle umgesehen hatten.

11. Capitul. Sie werden bei dem Wetterbild abscheulich betrogen
[542] XI. Capitul.
Sie werden bei dem Wetterbild abscheulich betrogen.

Dazumal fiel eine große Hitze ein, und weil es bald darauf Ernt war, hatte man allenthalben im Land gutes Wetter zu hoffen. Beschleunigten demnach unsere Heimreise in einem schnellen Galopp, willens, auf dem Schloß Oberstein so lang auszudauern, bis der dritte Tag des nächst einlaufenden Monats erschienen, weil sich an solchem das Wetterbild absonderlich hören sollte lassen. Der Student, welcher in dem Bauernsturm mit den Pechkränzen beschäftiget war, bekam gleich uns eine Lust, sein Heil zu versuchen und zu sehen, ob er noch lange sein Brot mit der langweiligen und kalmeuserischen Information suchen oder aber sich auf eine andere Weise applicieren müßte, wo er wollte zum Doctor oder Licentiaten werden. Derowegen bestellte er sich ein Bauernpferd, uns dahin Gesellschaft zu leisten, und konnte die Zeit unserer Abreise vor großer Begierde kaum erwarten, weil ihm von des Bildes sonderbarer Beschaffenheit nit allein von uns, sondern auch von andern unterschiedliche Historien erzählet worden.

Unterdessen wurde die Zeit auf dem Schlosse mit allerlei Discursen und andern Unterredungen passieret, weil die Hitze und das warme Sommerwetter keine andere Kurzweil auf dem Land oder Felde zulassen wollte. Als mußte demnach ein Gläslein Wein bei einem hübschen roten Schinken samt einem Glas Bier das Beste tun, und unsere Leibesbewegung bestund entweder in Probierung der Pallester, oder daß man sich mit wohlgemachten Kegeln in dem Hofe die Zeit verkürzet.

In solcher Vergnügung kam der bestimmte Tag allgemach heran, an welchem man entschlossen war, das oftbenannte Wetterbild aufs neue zu besuchen, und alsdann wollte jeder seinen Weg wieder zu den Seinigen gehen, wie noch vor der Abreise abgeredet worden. Ich und der Herr Friderich aber waren willens, auf sein Gut nacher Ichtelhausen abzureisen, daselbst, wie unser ehemaliger Vorsatz gewesen, seine Sachen aufs beste anzurichten und seine Haushaltung in eine[543] gute Ordnung zu bringen, auf daß er daselbst nach vollzogener Hochzeit wohl vergnügt mit seiner Amalien einziehen und wohnen möchte.

Hiermit machte man die Pferde fertig, und Philipp hatte schon in der geheim bestellet, daß man seinem Præceptori das allerunbändigste Pferd gäbe, welches dermaßen mit ihm in dem Feld hin und wider gelaufen, daß ihm nicht allein der Zaum öfters abgerissen, sondern er noch darzu bald da, bald dort in einen tiefen Graben hineingeworfen worden. Itzt verlor er sei nen Degen, wiederum die Handschuhe, bald seine Paruque, und also war das Gelächter über die Maßen groß, so wir wegen seiner wunderlichen Posturen verübten. Damit auch keiner mit dem Umsehen sein Vornehmen verderbte, mußte der Student vor uns allen hinreiten und dannenhero so viel öfter vom Pferd fallen, je weniger er ehdessen auf den Reitschulen gewesen ist.

Des folgenden Tages führte uns der vorbeschriebene Kirchner in dem Dorf zu Grundstett vor das Wetterbild, und unerachtet gleichwie zuvor zwei Pistolschüsse hintereinander auf der Straße gehöret worden, sah sich doch niemand um, und hofften dannenhero eine klärere Antwort als vorhin zu erhalten. »Ihr müsset«, sprach das kleine Männlein zu uns, »wohl Achtung geben, daß keiner zu dem andern, es sei in was Sprache es wolle, ein einziges Wörtlein rede. Was Ihr zu tun oder sonsten untereinander zu verrichten habet, das könnet Ihr zwar mit den Händen und Winken bedeuten, aber beileib kein Wort sagen, bis Ihr wieder aus der Kirche seid. Dieser Tag, wie auch alle dritte in allen Monaten durch das ganze Jahr, sind ansonderlich glückselig, darum ist es der Gebrauch und sehr ratsam, daß Ihr vor Eurer Frage eine gute halbe Stund mit dem Angesicht auf der Erde ausgestrecket liegen bleibet und keiner den andern bis nach verlaufener halben Stunde ansehe. Alsdann, so dies geschehen, so stehet auf, und verrichte jeder dasjenige, um wessen Ursache er zu diesem Wunderbild hergereiset ist. Ich will Euch über dieses und zur Verhütung eines großen Tumults die Kirche zuschließen, damit das vorwitzige Volk Euch in Eurem Vornehmen nicht verhindere noch sonsten verstöre.«

[544] Als er dieses gesagt, neigte er sich mit einem lateinischen Reverenz, ging hinweg und versperrete uns, wie er gesagt hatte. Es hatte keiner das Herz, den Worten des Kirchners zuwiderhandeln, und war unter allen der Student der erste, welcher sich auf die Erde niedergeleget. Diesem folgete ein jeder unter uns, und ich kann nicht sagen, wie hart mich dieses Lager angekommen, weil ich es nicht allein sehr ungewohnet war, sondern noch darzu die Ziegelsteine dermaßen stanken, daß nichts darüber. Der geneigte Leser kann sichs viel mehr einbilden, als ich beschreibe, in was für einer lächerlichen und närrischen Positur er uns dazumal würde angetroffen haben.

Nach etwan einer Viertelstunde rufte eine Stimme zum Kirchenfenster hinein und sprach: »Sie sind schon fort!« Diese Stimme hielt jeder bei sich selbst für eine Versuchung, daß wir uns umsehen sollten, dannenhero verrückte sich keiner von demjenigen Plätzlein, wohin er sich geleget hatte. Nach diesem rufte es noch einmal: »Hört ihrs nicht? Sie sind schon fort!« Nichtsdestoweniger blieb man in der vorigen Positur, und jeder gedachte seinen Teil vor sich. Zum drittenmal fing es laut an zu lachen und sprach: »O ihr Narren! O ihr Narren!« Damit höreten wir nichts mehr und verlangten, die Uhr zu hören, welche nunmehr bald würde herumgelaufen sein. Je länger man aber wartete, je weniger wollte sich solche hören lassen, und weil jeder bei sich selbsten wohl abnehmen konnte, daß er länger als eine Stunde auf der Nase gelegen, hebte sich einer nach dem andern empor und deuteten also ohne Eröffnung des Mundes, welcher der erste zu der Frage sein sollte. Es wurde aber hierzu der Student gleichsam genötiget, weil sich jeder, die Wahrheit zu gestehen, der erste zu sein geforchten hat. Nichtsdestoweniger wollte der Student durchaus nicht dran und machte mit seinem Deuten so wunderliche Mienen, daß wir bei einem Haar zu lachen angefangen hätten. Endlich zogen wir ihn mit Gewalt zu dem Rohr, allwo er mit einem großen Seufzer die Lefzen angesetzet, ohne allen Zweifel mit Ausgießung einer innerlichen Andacht, dieses heilige Oraculum um seine Zustände zu begrüßen. Nachdem er nun eine ziemliche [545] Zeit gefraget und ohne allen Zweifel eine hochwichtige Sache vorgebracht hatte, sah er sich zurück nach dem Bilde, von demselben mit einem gleichmäßigen Seufzer [Antwort] zu vernehmen. Aber das Bild schwieg still, dadurch nicht allein der Student, sondern wir alle bestürzet worden.

Er fragte das zweite Mal, aber es antwortete ihm so wenig als zuvor, und er war so scheu, daß er sich lieber ins Wasser stürzen als das dritte Mal fragen wollte, weil er ehedessen in vielen alten Rittergeschichten gelesen und also genugsam erfahren hatte, wie denjenigen mitgefahren worden, die das Abenteuer das dritte Mal anzufallen sich frevelhaftig belieben lassen. Solche Grillen staken dem guten Præceptor annoch häufig in der Memori, dannenhero ging er ganz erblasset zurück, und uns war allen nicht gar wohl, und wußte keiner, aus was Ursachen das Bild, wider seine gewöhnliche Art, dem Studenten die Antwort versaget.

Das allerübelste war, daß sich keiner getrauete, der nächste zu sein. Dannenhero kam es auf das Würfelspiel, und als einer nach dem andern seinem Los gefolget, bekam doch einer so wenig als der andere eine Antwort, und mußten ebenso unbescheiden als der Student vor dem Wetterbilde stehen bleiben. Weil nun keine Hoffnung übrig war, zu unserem Zweck zu gelangen, noch eine Antwort von dem Bilde zu erhalten, ruften wir dem Kirchner, daß er uns die Tür eröffnete. Aber er antwortete so wenig als das Bild. Es fing einem nach dem anderen merklich an zu schwanen, daß wir vielleicht in diesem Handel blind angelaufen und ziemlich wären betrogen worden. Zu solchem Argwohn half die gehörte Stimme, und konnte nichtsdestoweniger keiner etwas Gewisses davon schließen.

Wir rissen endlich die Tür mit Gewalt auf, und dorten sahen wir, daß nicht allein die Uhr war aufgezogen, sondern all unsere Pferde waren davongeritten worden.

Wie sehr einer den andern dazumal ausgelachet, ist unmöglich zu beschreiben. Einer hatte diesen, der andere einen andern Argwohn, und der Student fing fast an zu weinen, weil er nicht allein so vergeblichen Schrecken in der Kirchen eingenommen, sondern noch darzu sein entlehntes Bauerpferd [546] so unversehens eingebüßet und verloren. »Ihr Herren,« sprach Philipp, »schweiget still und sehet, wie wir mit Manier von dem donnerischen Hagelwettersbild kommen. ›Sie sind schon fort‹, sagte die Stimm. Ja, ich glaube es, sie sind fort, nämlich unsere Pferde, und wer will uns die Sättel heimbringen? O wie recht hat uns der Bärnhäuter, wers auch gewesen ist, Narren geheißen! Sind wir nicht Narren? Glauben einem alten Hosen-Purgierer, einem landfahrenden Wahrsager, gehen einen so weiten Weg und lassen uns hie die Pferde stehlen! Wo ist nun der Kirchner hin? Hui, daß uns der abgerichtete Fuchs so hübsch mit dem Niederlegen beschwätzet und noch darzu die Uhr aufgezogen hat! Es ist nichts anders. Aber lasset uns vor diesmal unsern Widerwillen bergen, ich habe schon einen Anschlag, hinter die Sprünge zu gelangen, es mag auch anstehen, solang es will. Sehet, hier sind die Pferde hingeritten worden, aber dieses ist wider uns, daß wir hier kein Pferd im Dorfe antreffen, der Spure nachzureiten, und wer weiß, ob derjenige, so uns den Possen getan, nicht schon lange über die See gefahren ist? Hei, das heißt gefoppet und zu dem Wetterbild auf Grundstett gereiset! Hätte ich meine Pistolen, wie wollte ich dem angemalten Wettervieh ins Gesicht hineinpuffen. Aber wohlan! was heute nicht geschieht, kann morgen geschehen. Ihr Herren, ein jeder folge mir, lasset den Kummer fahren, nehm ein jeder seinen Sattel und marschiert.«

Damit ergriff jeder seinen Sattel, welche der Pferddieb, auf daß er mit seinem Raub sicherer durchkommen konnte, dagelassen hatte, und es ist nicht zu sagen, wie schrecklich einer den andern auf der Straße durch die Hechel gezogen. Absonderlich aber mußte der Student herhalten, welcher als ein studierter Theologus die Sache billig besser sollte verstanden haben. Darum gab ihm bald dieser, bald jener einen Filz, und er wurde endlich so zornig, daß man ihm wenig gute Wort dörfte gegeben haben, seinen Sattel hinwegzuwerfen und auf offener Straße davonzulaufen. Denn er war einer unter diesen, die ganz keinen Scherz vertragen noch verstehen können, sondern alle Vexierwort wie Gift in sich verschlucken, dadurch sie nicht allein eine unnötige Galle [547] erregen, sondern noch darzu für großem Zorn in tausend Torheiten verleitet werden. Wir aber, als welche untereinander von Philipp auf unterschiedliche Meinungen wegen dieser Begebenheit geführet worden, ließen es dahingestellet sein, bis sich ein und andere Gelegenheit ereignen würde, unsere Scharte wieder auszuwetzen.

12. Capitul. Friderich findet sein Gut zu Ichtelhausen
XII. Capitul.
Friderich findet sein Gut zu Ichtelhausen in schlechtem Zustand. Exempel der Verleumdung.

In einem solchen Zustand kamen sie dermalen auf Oberstein, allwo die Frau Philippin an einem Fenster stund und für großem Gelächter die Hände über dem Kopf zusammenschlug. Es wußte keiner unter ihnen, was dieses bedeuten sollte, noch viel weniger konnte man sich einbilden, daß sie um den Handel einzige Wissenschaft hätte, weil es unmöglich schien, daß sie eine solche Zeitung noch vor der Ankunft auf das Schloß mochte erhalten haben. Nichtsdestoweniger fuhr sie in ihrem heftigen Gelächter ohne Unterlaß fort und war doch auf keine Weise zu bereden, daß sie die Ursach dessen eröffnet hätte, daraus man wohl abnehmen konnte, daß etwas mehrers hinter ihrer so heftigen Bewegung müsse verborgen sein. Im Fall aber sie noch nichts wegen dieser Beschimpfung wüßte und aus einer anderen Kurzweil zu einem solchen Gelächter verursachet würde, als schwuren sie heimlich untereinander zusammen, diese spöttliche Abweisung aus Grundstett keinem Menschen zu offenbaren, darzu man den Studenten nicht groß nötigen dörfen, weil er dadurch gute Hoffnung hatte, seiner bisher gelittenen Aushöhnung abzukommen und also gleich mit den andern unter verborgener Decke zu liegen. Jedennoch machte die Frau Philippin allerlei Argwohn, denn ob sie wohl nicht unter die Weiber zu zählen war, die nichts verschweigen, sondern vielmehr, was sie gesehen oder gehöret haben, wieder auszuplaudern pflegen, so machte sie nichtsdestoweniger solche wundersame und eigentliche Mienen, aus welchen man nichts anders schließen konnte, als daß sie um die Andacht [548] und Abfertigung bei dem Wetterbild gute Wissenschaft hätte. Denn sie fragte nicht einmal, wo die Pferde geblieben, lachte auch nicht darum, daß sie die Sättel am Halse heimgetragen, darum wußte sich keiner deswegen aus dem Traum zu helfen.

Dessen aber unerachtet wurden allerlei Gelegenheiten ersonnen, diese Reise zu beschönen, und weil man sich nicht besser zu entschuldigen wußte, mußte man sagen, als wäre man unter die annoch in Wäldern verborgene Bauren geraten, welche sie bis auf die Sättel beraubet hätten. Also blieb es vor dieses Mal so dabei, und ich machte mich mit dem Friderichen gen Ichtelhausen auf sein Gut, daselbst die bishero unterlassene Bewohnung aufs neue anzurichten. Nahmen derowegen zu Oberstein Urlaub und wendeten uns nach unserer Straße. Wilhelm aber samt Gottfrid und seinem Bruder ging wieder zurück nach Abstorff, wovon die beiden Brüder heimzureisen entschlossen und daselbst bis zu des Friderichs bevorstehende Hochzeit, welche bei der alten Frauen zu Ocheim sollte gehalten werden, verziehen wollten.

Also wandte sich eine Partei zum vordern, die andere zum hintern Tor hinaus, und nahmen beiderseits etliche Schloßknechte mit, welche Herren Philippen seine Pferde, die er uns geliehen hatte, wieder zurückreiten sollten. Ich muß bekennen, daß es dazumal sehr widrig und wegen der heftigen Hitze sehr übel zu reisen war, und also wurde zwischen den Reisenden wegen staubigen Wetters wenig geredet noch erzählet, sondern mußten vielmehr die warmen Mäntel und große Reisekappen eröffnen, aus welchen man sich auswickelte und gleichsam ganz nackicht entblößte.

Was aber auf offenem Feld verabsäumet worden, das brachte man in den Dorfschenken abends wieder ein. Dahero kamen wir bald zur Auslegung des Gelächters, welches die Frau Philippin so abscheulich getrieben hatte. »Es ist«, sprach ein Knecht, »von Oberstein ein alter Mann, und zwar ebenderjenige, welcher ehedessen auf dem Schlosse gewesen und sich für einen Wahrsager ausgegeben, mit etlichen Pferden an das Tor kommen und hat geschwinde mit der Frauen zu [549] sprechen verlanget. Sie ließ ihn zu ihr ins obere Zimmer kommen, und nachdem er etwan eine Viertelstunde darinnen gewesen, eilete er, was er konnte, mit großem Gelächter die Treppe herunter und ritt mit seinen Pferden dergestalten davon, daß der Staub hinter ihm aufgegangen. Und diese Pferde waren ebendiejenigen, so Ihr kurz vorhero aus dem Schlosse geritten habet. Von demselben Augenblick an hatte die Frau ein großes Verlangen, Euch zu sehen, weswegen sie ohne Unterlaß an dem Fenster gestanden und auf Euer Zurückkunft gesehen hat.«

Diese Rede des Knechts, ob sie gleich nicht dunkel war, so war sie doch auch nicht allerdings so klar, daß man etwas Gründliches hätte daraus schließen können. »Wisset Ihr mehr von dieser Sache,« sprach der Friderich, »so offenbaret es uns im Vertrauen.« – »Nein,« sprach der Knecht, »dieses und weiter nichts ist mir von der Frauen bekannt, denn ich weiß nicht, geht mich auch nichts an, was sie in ihrem Zimmer mit dem Graubart mag gesprochen haben. Aber gewiß ists, daß ich sie all mein Lebtag, ob sie gleich sonsten nicht traurig ist, dennoch noch niemalen so fröhlich gesehen habe.«

Herr Friderich redete hierauf ein und anders mit mir, aber wir fehleten weit von dem Zweck, als sich hernachmals im Ausgang gewiesen hat. Darum ließen wirs gut sein, weil endlich der Spott und Verlust so groß nicht war; nur die einzige Begierde, hinter diese Invention zu gelangen, ließ uns keinen Fried, und konnten vor großem Verlangen, die Sache auszukundschaften, kaum einen fröhlichen Bissen essen, noch ein gutes Glas Wein, wie sichs gebühret, mit einem angenehmen Gusto zu uns nehmen. Der dritte Tag nach unserer Ausreise brachte uns nach Ichtelhausen in das Schloß des Friderichs, welcher sich in dem Einritt allenthalben nach seinen Gebäuen umsah. Er fund alles in gar gutem Esse, außer daß sich wenig Hühnergeflügel, Tauben und ander dergleichen zahmes Federvieh allda befand, welche allem Ansehen nach der Verwalter mit seiner Familia müßte aufgezehrt haben. »Wenn es nur in meiner Gesundheit genossen,« sprach Friderich, »so mag es noch passieren!« Also stiegen wir ab und wurden von dem Verwalter, welchen [550] man wegen seines gesoffenen Tobak und Brandeweins weiter riechen als sehen können, mitten in dem Schloßhofe bei einem großen Taubenhaus empfangen. »Das Taubenhaus ist ganz,« sprach Friderich, »und man siehet an demselben nichts zerrissen, wo sind aber die Tauben hingeflogen?« Auf diese Rede sah uns der Verwalter etwas genauer an, als er gewahr wurde, daß mein Gesell seine Herrschaft sei. Er machte darauf ein großes Kreuz vor sich; weil aber dem Friderich nicht gelegen war, seinen berauschten Worten Audienz zu geben, eilete er mit mir in die Hofstube, welche so sehr nach Tobak stank, daß einem der Rauch daumensdick in die Nase fuhr. Die Leute, so darinnen saßen, sahen aus wie die, welche unter den Köpfen sitzen, und es mangelte nur an einem Bader, so hätten wir uns alle können schröpfen lassen.

Des Verwalters seine Kinder, derer er ein Stück oder achte beisammen hatte, saßen hinter dem Ofen, Birn und Äpfel bratend, und weil diese aus Unvorsichtigkeit zu weit an die Kachel gerücket, stank es nicht viel anders, als hätte man eine Katze auf glühenden Kohlen gebraten. »Warum«, sprach Friderich zu einem Tisch voll Bauren, »seid ihr allhier zusammengekommen und was ist euers Tuns?« – »Herr,« sagten sie, »der Herr Verwalter hat uns die vorige Woche zu einer Steuer ansagen lassen, und weil wir ihm solche so bald eingegeben, lud er uns heute auf eine Mahlzeit.« – »So«, sprach der Friderich, sich gegen mir wendend, und klagte seinen Zustand. »Siehest du,« waren seine Wort, »wie es zuzugehen pfleget, wo kein Herr im Hause ist? Nun merke ich, wo mein so häufiges Geflügel hingekommen. Er hat es, diesem Zeugnis nach, mit den Bauren verfressen.« Hiermit gingen wir auf die Getreidböden und fanden daselbst drei Parteien, welche mit Schaufeln einsackten. »Was machet ihr da?« sprach der Friderich, »und wem soll diese Arbeit?« – »Sie soll«, antworteten die Knechte, »dem Herren Hausverwalter. Wir schütten die Säcke ein und führen sie hernachmals in die Mühl. Von der Mühl müssen wirs auf sein Gut nach Rodingen bringen.« – »Geschicht das oft im Jahr?« sprach Friderich. »Dreimal,« antwortete der Knecht, »und wenn wir [551] mit dem Getreid Feierabend haben, so geht es über das Obst, als Äpfel, Birn, Zwetschgen, Nüsse und dergleichen.« Indem kommt der Verwalter über die Treppe heraufgegangen, weil er uns mit einem Trunk Wein zu bewillkommen willens war. Und obschon Herr Friderich große Ursach und billigen Zorn gehabt hätte, ihn wieder über die Treppe hinunterzustoßen, gab er ihm doch noch zum Überfluß ein freundlich Gesicht und lobte ihn, daß er die Knechte nicht feiern, sondern immer eine Arbeit nach der andern angreifen ließe. »Ihr habt uns Wein gebracht,« sprach Friderich, »nun bringt uns auch Brot!« Damit sprang der Verwalter wieder über die Treppe hinunter, und die Knechte erzähleten uns weiter von seiner Haushaltung und erwähneten unter andern, daß er oftermalen zwei Malter Korn den Bettlern geschenkt und einsmals an einem Feiertage zwei Schweine ins Spital nacher Ollingen verehret hätte.

Hierauf gingen wir in Stall, und da ehedessen zwölf wohlgemästete Ochsen und dreißig Kühe gestanden, fanden wir derer kaum sechse, und alles so schlecht und schläferig bestellet, daß es recht verdrießlich anzusehen war. Kein Brunn lief mehr, kein Mist war im Hofe, in summa, man fand im ganzen Schloß etwan zwei Mägde, und dieses war die ganze Haushaltung des Verwalters, welcher doch dabei, gleich als hätte er alles gar wohl und löblich verrichtet, sich gedünken ließ. »Ihr sollet«, sprach Friderich zu ihm, als er uns das Brot brachte, »heute nach dem Mittagsessen mit Eurem Inventario vor uns beiden in der Gerichtsstube erscheinen, damit wir Abrechnung und eines oder das andere miteinander reden mögen, wie liederlich bis dahero allem Ansehen nach ist hausgehalten worden.« – »Euer Gestreng,« sprach der Verwalter, »es soll nach Ihrem Belieben von mir fleißig geschehen, von Punkt zu Punkt will ich antworten und von Ziffer zu Ziffer meine Rechnung ablegen.« – »Schweigt still,« sagte Herr Friderich, »Ihr seid voll!«

Damit gingen wir in unser zubereitetes Zimmer, allwo sich ein Schreiber, der allgemach gehöret, was der Friderich mit dem Verwalter geredet hatte, bei uns einfand, der den Verwalter folgends gar zur Bank hieb. »Es ist ein Gesell,« sprach [552] er, »den ich Euer Gestreng und Herrlichkeit nicht genugsam beschreiben kann. Alles lässet er in Grund verderben, und was er mit großem Nutzen bessern könnte, das lässet er nachlässig eingehen. Man kann gedenken, wie ein so großes Hauswesen mit so wenigen Leuten, als er hältet, versehen kann werden! Ich bin noch ein junger Kerl, aber gleichwohl, so mir ein so pertinentes Stück Gut zur Verwaltung anvertrauet wäre worden, wollte ich doppelten Profit geben, da der Verwalter nicht einen geben kann. Er säufet sich stets voll Tobak und Brandwein, und wenn jemand Fremdes an das Tor kommet, so gibt er die schlimmsten Wort, als man von einem Menschen hören mag. Mit den Bauren macht er sich so gemein und vertraulich, daß in ihrer viel Herr Bruder heißen, und wo er nur die geringste Gelegenheit weiß, mit ihnen zu schmausen, so geht es auf den alten Kaiser los, und lässet sich von mir, so sehr ich ihn auch vermahne, dennoch zu keinem besseren Weg leiten. Was noch über dieses ist, so ist seinen Kindern die Äpfelkammer so gemein, daß sie fast täglich darinnen nach ihrem Gefallen herumhausieren. Er heizet ein, gleich als wollte er das Schloß anzünden, und gleichwie er mit dem Holz, also gehet er auch mit anderen Mobilien um, die er billig sollte in reservo halten. Darum, haben Euer Wohledel Gestreng und Herrlichkeiten etwan eines besseren und getreueren Hauswirts vonnöten, bitte ich, meine Person vor einem anderen hierzu zu befördern. Meines Orts verspreche nicht allein allen gehorsamen und schuldigen Respect, sondern eine erwünschte und nützliche Hauswirtschaft nach Vermögen anzurichten, meine Tagerechnungen nach Verlangen wöchentlich oder jährlich richtig abzulegen und mich in allem so zu demonstrieren, wie es die billige Observanz und meine Schuldigkeit erfordern wird!«

Drittes Buch

1. Capitul. Der Verwalter zu Ichtelhausen defendiert sich trefflich wohl
I. Capitul.
Der Verwalter zu Ichtelhausen defendiert sich trefflich wohl. Der Schreiber kommt ins Turmloch.

Dieses Buch soll ferner eröffnen, wie und auf was vor eine Art unsere folgende Begebenheiten abgelaufen. Ich will auch solches mit einer leidlichen Lindigkeit beschreiben und mit keinen spitzigen Zähnen um mich beißen, weil man durch gar zu viel Stichreden den Getroffenen nur erzörnet und dem Leser an seiner gesuchten Zufriedenheit verhinderlich ist. Darum soll meine Schrift eine Zeitvertreibung, nicht aber ein solches Buch sein, daraus man Gift saugen oder böse Sitten angewöhnen soll. Ich selbst habe all mein Lebtag mehr gute Tage gewünschet als genossen, und so vergnügt ich auch nach dem Inhalt dieser Schrift mit meiner Sophia gelebet, hatte ich doch, gleichwie alle Menschen, unterweilen meine sonderliche Grillen, die mich um so viel desto mehr peinigten, je weniger ich derselben gewohnet war. Es ist keine oder selten eine Lust, die nicht etlichermaßen auch eine Last ist, und der Leser darf sich all diese Zustände, so er in dieser Schrift gefunden und noch finden wird, nur vernünftig vor Augen stellen, so wird sein kluger Ausspruch der Richter sein, welcher nicht allein alle meine Gesellen, sondern auch mich insonderheit ebensowohl als sich selbsten den Glückeswinden unterworfen urteilen wird.

Ich bin aber in Beschreibung dieser Sommergeschicht nunmehr bis in das Schloß Herrn Friderichs, nämlich nach Ichtelhausen, gekommen, allwo wir verstandenermaßen einen ungetreuen und liederlichen Haushalter angetroffen, welcher uns von einem Schreiber auf das allerliederlichste ist [554] beschrieben worden. Und nachdem dieser Lobredner sein Compliment gegen uns abgeleget, auch mit einem großen Reverenz seine Rede beschlossen, rufte ein Knab, so des Verwalters ältester Sohn war, zum Essen, bei welchem wir diesen Schreiber gerne sehen wollten, nit darum, daß wir ihm eine sonderlich hohe Ehre, denn dieser war er nit wert, sondern nur unter dem Schein einer Höflichkeit Gelegenheit geben wollten, seinen Discurs wegen des Verwalters weiter fortzusetzen, damit wir also unverhofft hinter des saubern Vogels seine Sprünge kommen konnten. Denn weil der Verwalter nach vollendetem Essen zur Inquisition bescheidiget war, raumte er indessen seine Rechnungen hervor, und also hatten wir in seiner Abwesenheit gute Gelegenheit, unserem Vornehmen abzuwarten. Wenn nun ein grober Punkt kam, welchen sich der Schreiber wegen des aufwartenden Knabens nicht teutsch zu sagen trauete, so erzählete er denselben lateinisch, welches, ob ers wohl abscheulich untereinander hervorbrachte, dennoch von dem Friderich wohl verstanden wurde. Also mußte sich der Verwalter jämmerlich lassen durch die Hechel ziehen, und der Schreiber brachte alle Sachen so scheinheilig vor, erzeigte sich auch über Tische so höflich und sittsam, daß wir an seinen Ceremonien höchstes Vergnügen trugen.

Nach einer halben Stunde schickten wir den Knaben zu seinem Vater, der das Confect, etliche Schüssel Äpfel, Birn, Nüsse und dergleichen herbringen sollte. »Kann dein Vater so brav mausen,« sprach Friderich, »so lasse ihn auch brav aufwarten!« Damit ging der Jüngling davon und schlug die Tür zu, daß der Staub von der Wand fiel. »Wie der Rab ist,« sagte der Schreiber, »so sind auch die Eier: Mali corvi, malum ovum«, und also erzählete er weiter, was für einen wunderlichen Contrapunct der Verwalter in dem Schlosse zu Ichtelhausen spielete.

Indem er noch davon schwatzte, kam der Verwalter mit einem großen verdeckten Korb an. Er trug ziemlich schwer und satzte solchen auf einen Nebentisch, allwo unser Tischtrunk gestanden. »Mein Herr,« sprach er hierauf zu dem Friderich, ihm zugleich ein großes Buch überliefernd, »hier [555] ist meine Rechnung, und da«, auf den Korb weisend, »ist mein bisher gesammeltes Confect. Es sind keine Äpfel, keine Nüsse, keine Zwetschgen noch Birne, wie dieser verleumderische Schreiber billig verdienet hätte, aber was es ist, das werdet Ihr sehen!« Damit zog er das Tuch über dem Korb hinweg, da sahen wir vier Schalen darinnen stehen, zwei voll Ducaten, zwei voll Reichstaler, und das übrige Teil des Korbs war voll halbe Taler und alter Groschen. »Sehet«, sagte er weiter, »und urteilet aus dieser merklichen Summa Geldes, ob den verleumderischen Reden dieses Schreibers zu glauben sei. Ihr habt zwar wenig Hühnergeflügel, wenig Rinder, wenig Korn und dergleichen angetroffen; aber zu was nützen die Tauben, als daß sie die Gerste hinwegfressen und hernach von den Bauerjungen abgefangen und heimlich gefressen werden? Ich habe zwar das Korn einsacken, auf die Mühle schicken und von dar auf mein Gut bringen lassen, aber nicht darum, daß ich solches heimlicherweise stehlen möchte, sondern weil ich von dar aus bessere Gelegenheit hatte, das Mehl mit größerem Profit unter die Ausländer zu verkaufen. Es ist zwar an dem, daß ich viel Ochsen, Rinder und Kühe in Empfang genommen, aber ich habe es besser gemachet. Die Wiesen, da ich das Grummat und Heu davon nehmen müssen, dasselbe zu füttern, die verpachtete ich. Es mochte nun gleich guter oder Mißwachs sein, hatte ich meinen richtigen Zins, da mancher hingegen vor sein Vieh nebenst seinen Wiesen noch Futter darzu kaufen und schaffen muß. Ich habe aber doch gleichwohl keinesweges die Rinder verkaufet, sondern dieselben geschlachtet und in den Rauch gehangen, will Euch auch vier Gewölb und etliche Kammern voll dergleichen Vorrat weisen, und das eingenommene Zinsgeld habe ich zu dieser Summa geschlagen, die sich auf ein merkliches belaufet.

Ich wußte nicht anders, ja, alle Bauren im Dorfe hätten sich ehe die Köpfe abreißen als aus denselben die Meinung fahrenlassen, indem sie geglaubet, Euer Gestreng und Herrlichkeiten würden Ihr eremitisches Leben in der Einsiedlerei zubringen. Dannenhero waren mir nicht viel Pferde noch Gesind nütze, habe also auf das genaueste hausgehalten und [556] das unnötige Volk abgeschaffet, dadurch ich viel an dem Jahrlohn ersparet habe. Daß ich meine Kinder in die Äpfelkammer und in derselben nach ihrem Belieben hausieren lasse, das ist wahr. Aber ist es nicht besser, daß ich sie mit einem paar Äpfel sättige und sie mit diesem Obst hinter den warmen Ofen setze, als wenn sie bald dort, bald da herumschlecken und den Leuten unter den Füßen umgehen? Daß ich so sehr einheize, geschicht nicht aus Verschwendung, sondern damit die Bauren desto ehe einen Dummel in Kopf kriegen, dadurch schreibe ich ihnen quid pro quo an, und sie müssen mir das Einheizen doppelt in den Beutel bringen. Daß ich so viel Korn und einsmals zwei junge Schwein in das Spital nacher Ollingen spendiert und hinweggeschenkt, ist aus einem Almosen geschehen. Das Korn war wurmicht, hätte ichs länger auf dem Boden liegen lassen, so wärs mir nicht allein gar verdorben, sondern hätte mir noch darzu das gute angestecket. So waren auch die Schweine pfinnig, dannenhero gab ichs den Aussätzigen, welchen damit trefflich gedienet war, denn weil sie die Krankheit einmal auf dem Leibe haben, kann ihnen dadurch wenig Schade zustoßen, quia malum, quod habemus, timere non possumus.

Dieses sei also von meiner Freigebigkeit geredet, die ich Euer Gestreng und Herrlichkeiten zu keinem Schaden, sondern vielmehr zum großen Aufnehmen des Gutes angewendet, denn wer weiß nicht, daß alles an dem Segen gelegen sei? Durch was hat man aber einen mehrern Segen als durch das Almosen zu hoffen? Wer meine Freigebigkeit eine Verschwendung heißen kann, der trete hervor und sage mir, wo ich die pfinnige Säue und mit was für einem Gewissen ich sie hätte verkaufen sollen! Es sage mir einer, was ich mit dem faulen Korn sollte angefangen haben! Die Leute, denen ich es gegeben, mußten mir die Bäume putzen, den Mist auf dem Felde ausbreiten, und also dörft Ihr Euch nicht verwundern, daß so wenig im Hofe lieget, weil über die hundert Fuder auf den Feldern liegen; dort nützet er mehr als in der Miststatt, ists nicht wahr, Herr Schreiber?«

Über dieser Rede lachten wir, aber der Schreiber fand sich hoch beleidiget und fiel dem Verwalter in die Haar, dieser [557] wehrte sich stattlich, und als sie bis an den Korb kamen, tat der Schreiber einen Griff in die Ducaten und wollte sie also unvermerkt in seinen Schubsack promovieren; aber des Verwalters Sohn, welcher der Sache gewahr wurde, klopfte ihm auf die Finger, und wir kriegten unsere spanische Röhre, die dem guten und verleumderischen Schreiber trefflich über den Buckel gemessen wurden. Solchergestalten prügelten wir ihn nicht allein zu dem Zimmer, sondern über zwei Treppen durch den Schloßhof zum Tor hinaus und begaben uns sodann wieder in das vorige Gemach, die Füchse zu zählen und die eingesammelten Batzen auseinanderzumustern.

Indem fängt der abgewiesene Schreiber schrecklich an, auf uns vor dem Tor zu fluchen. Er hieß uns Wetterhahnen, die den Schmeichlern das meiste glaubten, und der Verwalter mußte gar ein Dieb und Mörder sein. »Wer weiß,« sagte er gegen dem Torwärter, »wo der Schelm die Ducaten gemauset hat? Ich will nit dafür schwören, daß er solche durchreisenden Kaufleuten auf der Straße abgenommen. Es ist armer Leute Schweiß. Habe ihm ein Jahr lang gedienet, und hat mir kaum satt zu fressen geschweige was anders für meine so harte Mühe gegeben. Was fragen die Edelleute darnach, er mag es herhaben, wo er will, wenns nur da ist. Oh, ich kenne dergleichen Gesellen mehr; sie sagen: Sive raptum, sive captum, modo sit aptum. Nun schützt der Dieb seine Haushaltung vor. Kriege ich ihn einmal auf der Gassen, ich will ihm weisen, wie lang meine Fuchtel sei, und dem Edelmann will ich einmal mit einem Raquett zeigen, wie weit seine Strohstädel voneinander stehen.«

Diese Worte, als welche er höchst frevelhaftig aus seiner verleumderischen Zungenscheide herausgestoßen, brachten ihn in unverhofftes Elend. Denn, indem er noch mit dem Torwärter redete und sich nichts Übels versah, erhaschten wir ihn aufs neue und wurfen ihn in ein altes Turmloch, allwo er auf seinem Bund Stroh sitzen und schwitzen mußte.

Die schöne Barschaft, welche der Verwalter in so geringer Zeit mit so behutsamer Bescheidenheit gesammlet hatte, machte uns in Aussortierung und Abwägung der Münze eine ziemliche, doch angenehme Mühe. »Ich trinke gerne [558] Tobak,« sprach der Verwalter, »das muß ich bekennen, tue auch einem ein gut Glas Brandwein Bescheid, aber was gehet dadurch Euer Gestreng ab? Mancher unterlässet solches, mit Vorgeben, es wäre eine liederliche Gewohnheit, aber indessen füttert er sich mit einem guten Stück Braten und greift mit allen Fingern in den Buttertopf, dadurch viel mehr als mit einer Pfeife Tobak in den Rauch aufgehet. Und wer sollte von seiner Mühe nicht auch eine Ergetzung haben? Schneidet doch der Schneider keine Paar Strümpf, der Schuster keine Paar Schuh ohne seinem Vorteil zu; warum sollte ich als ein Bärnhäuter nicht auch desjenigen genießen, so ich mit großer Sorgfältigkeit erwerbe? Ha, das muß man Euch Edelleuten nicht weismachen, wers besser kann als ich, der stelle seine Ordnungen selbst an. Ihr habt zwar gemeinet, des Schreibers seine Wort sind lauter Gold und Silber, aber sehet hie diese Haufen an! Gelt, Ihr Herren, es glänzet besser als Tauben-Pfifferling? Um einer kahlen Tauben willen hättet Ihr mich aus dem Schlosse gejaget, und dadurch wären Euch acht Ochsen versaumet worden. Darum geschicht es auch, daß Ihr in Verwechslungen der Bedienten nicht selten betrogen und über den Stein gestoßen werdet.«

2. Capitul. Friderich bekommt Briefe von seiner Liebsten
II. Capitul.
Friderich bekommt Briefe von seiner Liebsten. Der Schreiber wird mit einer sonderlichen Strafe angesehen. Sie reisen endlich wieder ab und nach Ocheim zur Hochzeit.

Also mußten wir uns von diesem einen Filz und gute Vermahnung geben lassen, welchen wir doch kurz zuvor wacker auszufilzen uns vorgenommen hatten. »Wisset Ihr, Ihr Herren,« sprach der Verwalter, »wie Ihr den Schreiber wegen seiner Verleumdung und ausgestoßener Schmachrede abstrafen könnet?« Herr Friderich sagte, daß er ihn etliche Tage in dem Loche wolle stecken lassen. »Nein,« sagte der Verwalter, »ich schreibe zwar Euer Gestreng nichts vor, aber besser wärs, wenn Ihr ihm zur gebührenden Züchtigung erstlich ein altes Buch neu abzuschreiben vorlegtet, denn der Schelm schreibt eine gute Hand; und weil wegen instehender [559] Hitze das Mühlwasser klein geworden, wäre uns und ihm viel mehr gedienet, wenn er sich mit tiefer Grabung der Quell eine feinemotionem corporis machen könnte. Denn, was hilft es Euer Gestreng, wenn der arme Teufel wie eine Kletzen zusammenbacket?« – »Es ist wahr,« sagte der Friderich, »Eurem Rat will ich folgen, lasset ihn aus und stellet ihn erstlich über den Mühlbach und alsdann, so er allda seine Arbeit getan, auch über das alte Buch.« Durch diesen Vorschlag kam der Schreiber aus dem Gefängnis und Friderich zu einer Arbeit, die er mit vielem Geld nicht hätte kaufen können. »Sehet, Herr,« sprach der Verwalter, »so habe ichs gemacht, wenig sind von mir ins Loche, aber alle zur Arbeit gewiesen worden, dadurch Euch ein merkliches zum Besten gekommen.«

Indem fängt den Friderich die Liebe aufs neue an zu quälen, und wenn ich nicht gewußt hätte, daß er in solchen Gedanken gerne alleine wäre, würde ich ihm samt dem Verwalter viel Verdrüßlichkeit verursachet haben. Wir ließen ihn demnach in dem Zimmer, allen diesen Grillen abzuwarten, die viel Seufzer aus seinem Herzen herauspreßten. Denn er war im höchsten Grad der Liebe zugetan und ließ in allen seinen Handlungen zwar keine närrische, aber wohl eine merkliche Flamme spüren, die er gegen der Amalien trug.

Die Knechte, so von dem Philipp mit uns geschicket worden, waren mit einem guten Trankgeld schon lange wieder zurück, und diesen hatte er einen Brief an ihren Herrn und in demselben zugleich einen Einschluß an die Amalia mitgegeben, von welcher er gleich dazumal, als er von einer so unverhofften Andacht überfallen worden, eine Antwort empfing. Solche brachte ihr eigener Laquay Justin, von welchem daroben ein mehrers gemeldet worden; und weil ich den Friderich in Durchlesung dieses angenehmen Liebesbriefs nicht verhindern wollte, mußte mir der Diener indessen eins und das andere in einem Garten erzählen, was seit unserer letzten Abreise aus dem Schlosse Oberstein guts Neues passieret. Ich konnte ihn aber nicht lange bei mir behalten, weil Friderich ebendasjenige zu erfahren verlangte, was ich von ihm zu wissen begehrte.

[560] Er war länger als eine gute Stund bei ihm, und daselbst satzte es das allerangenehmste Gespräch, da immer einer fragte und der andere das Allerbeste antwortete, denn Justin wußte wohl, wie man den Verliebten lausen mußte, wenn man sie auf die rechte Sprünge bringen wollte. Darum ward er auch von dem Friderich trefflich beschenket und noch selbiges Abends mit einem langen Brief an die Amalia wieder abgefertiget. Justin bekam zum Überfluß den häufigen und herrlichen Gold- und Silberschatz zu sehen, dadurch ihm das Maul trefflich wässerig gemacht worden. Aber Friderich sagte, daß er nach diesem allen nichts fragte, wenn er nicht zugleich die Hoffnung hätte, die allerschönste Creatur, nämlich die Amalien, zu besitzen, und daß er ihr bloßes Angedenken allem Wert der alleredlesten Kleinodien weit vorzöge. Dadurch bekam Justin gute Gelegenheit, seine Beredsamkeit zu spicken und der Amalien tausend angenehme Worte zu überbringen, auf welche sie, nach seiner Aussage, mit unvergleichlichem Verlangen wartete.

Ich hatte noch so viel Glück, den Brief an die Amalien, ehe er noch versiegelt war, in diesem Inhalt zu lesen:

›Allerschönste Seele! Man weiß keine Ziffer, durch welches die unzählbare Anzahl der Sterne kann bedeutet werden; viel weniger weiß ich ein Wort oder eine Zeile zu finden, die genugsam wären, meine große Begierde, Dieselbe bald wiederum zu sehen, auszusprechen. Ich zähle zwar die Stunden, aber vielmehr zu meinem widrigen Verdruß, weil mir jeder Glockenschlag zugleich mein Herz berühret, da ich noch so viel Stunden von meiner Verehlichung übrig sehe. Ich finde diese Passion allgemach mit einer großen Heftigkeit, die ich doch sonsten viel weniger als ein schwaches Federlein geurteilet. Zu dieser meiner Pein ist Sie, o allerschönstes Bild, alleine Ursach, weil ich Ihre angenehme Gestalt unablässig vor Augen habe. Wolffgang ist dermalen bei mir auf meinem Gut; der weiß nicht allein um meine Reise, sondern auch um alle heftige Seufzer, die ich um Ihretwillen in die bloße Luft geschicket. Diese Krankheit, ob sie mich gleich unmäßlich quälet, ist nichtsdestominder meine angenehmste Wollust, weil sie von niemand anders als von Ihr den süßen Ursprung [561] führet. O meine Schöne! was Sie an mich begehret, ist ohne dem eine solche Pflicht, ohne der ich zu leben sterben müßte. Sie tue desgleichen, und mehr will ich diesem schwachen Papier nicht vertrauen, weil es solche Flammen, als ich hege, unmöglich ohne Versehrung ertragen kann. Lebet wohl!‹

Dieses war der Inhalt des [Schreibens des] verliebten Friderich, welcher noch ein junger Schüler in dieser Kunst war. Demnach gab er mir auch ihr Concept, welches sie mit eigener Hand folgendermaßen an ihn geschrieben hatte:

›Werter Schatz! Das Verlangen, Euch bald wiederzusehen, machet mich seufzen und hoffen! Ich bin nit mehr meine, weil meine Gedanken stets um Euere angenehme Person schweben. Der Schlaf, ob er wohl dem Tod ähnlich ist, gibt meinen Gedanken doch das allerangenehmste Leben, wenn er mir Eure Holdseligkeit ohne Unterlaß im Traum vorstellt. Dieses Blatt ist glückseliger als ich, weil es von Euren Lippen kann berühret und geküsset werden. Aber Geduld! diese bringt mit tausendfältigen Früchten, was sie mit großer Widerwärtigkeit gesäet. Der Entschluß wegen der Heirat ist von der ganzen Freundschaft beliebet worden, und steht der 16. dieses zur Ausrichtung dermalen noch gewiß. Sonst kann ich nichts Neues berichten, weil ich für großer Lieb keinen fremden Zuständen nachdenken kann. Lebet wohl, mein Leben! und liebet beständig! Wollet Ihr aber, daß ich sterbe, so hört auf, mich zu lieben. Dennoch werde ich vergnügt sterben, weil ich die Ehre gehabt, mich eines vollkommenen Menschen verliebte Dienerin zu nennen, die ich auch bis in das Grab verharren werde, etc.‹

Als ich solches gelesen und trefflich gegen dem Friderich gelobt hatte, fuhren wir in dem Discurs weiter miteinander fort, und weil er unter allen seinen Affecten keinen merklicher spüren ließ, als daß er sich überaus gern loben hörte, konnte ich ihm die Geige trefflich nach seinen Ohren stimmen und fing dannenhero an, alle seine Handlungen, die er sowohl ehedessen als anitzo mit Schreiben, Reden und Discurrieren unter uns vorgenommen, herauszustreichen. Aber daraus waren weder ich noch er nichts desto glückseliger[562] noch vollkommener, sondern vielmehr ich ein Ohrenbläser und er ein heimlicher Prahler zu heißen, der in seiner heftigen Einsiedelei nicht gelernet hatte, daß die Hoffart und absonderlich diese, die man heimlich in dem Herzen verbirget, eine erschreckliche Sünde sei und den Menschen nicht allein geistlicher-, sondern auch leiblicherweis sehr zu verstellen pfleget. Wir hatten noch beiderseits in unserer Eremiterey nicht gelernet, daß man durch das gesuchte Eigenlob vielmehr in der Menschen Abgunst als Liebe zu geraten pflegte. Wir hatten nicht beobachtet, daß die Demut allein das Mittel sei, auf den wahren Ehrengipfel zu gelangen, und daß man durch den heimlichen Stolz allen Aestim, den man zuvor unter den Leuten gehabt, auslösche und umstoße. Diese Erkanntnis mangelte dem ehrlichen Friderich um ein merkliches, weil er nur nach den äußerlichen Gebärden heilig, innerlich aber noch voll Unrats und Totenbeiner war und ein Aussehen hatte wie das Jüdische Grab, so außen voller Zierde und innen mit Gestank angefüllt gewesen.

Deswegen hörte er sich trefflich gerne loben, und wenn man seine Sachen herausstrich, so schmunzelte er bei sich selbst, ob er gleich anfangs den Verwalter sowohl als ich vor einen liederlichen Mauskopf und wohlexercierten Tobaksbruder gehalten. Wenn man sagte, daß in der Redekunst keiner seinesgleichens im ganzen Lande wäre, so tat er zwar, als hörte ers nicht gern, aber in dem Herzen war ihm dieses Gespräche über Zucker und Honig; und wenn man von solchem Gespräche abweichen wollte, so gab er noch immer Gelegenheit, des vorigen zu erwähnen, weil er einen solchen Magen hatte, der mit nichts als mit seinem eigenen Lob konnte gesättiget werden. Sonsten war er ein Ausbund eines stillen Gemütes und ein rechter Spiegel eines adeligen Wandels, indem er lauter löblichen Sachen nachgestrebet. Und dahero kam es, daß er alle diejenige heimlich haßte, die sich nur mit einem Wort wider ihn, nach seinem Gedünken, verstoßen hatten. Nichtsdestoweniger brachte ich ihn oft auf eine bessere Bahn, und er ergab sich auch letztens so weit gefangen, daß er seinen Fehler wegen des Eigenlobes nicht [563] allein gutwillig bekannte, sondern sich auch von demselben merklich entäußerte.

Es waren noch vierzehen Tage zur bevorstehenden Heirat, welche Zeit, weil es die letzte war, ihm höchst verdrießlich und beschwerlich fiel. »Die Langweil,« sagte er, »die ich ehedessen in dem einsamen Kloster als ein Eremit ausstehen müssen, ist mir nicht so unerträglich als diese wenige Zeit gewesen.« – »Du mußt«, sagte ich, »dich mit Bücherlesen oder Spielleuten ergetzen.« – »Nein,« sagte er, »laß uns diese vierzehen Tage auf eine Comœdia dichten, daß wir solche auf meiner Hochzeit spielen können.« Hiermit gab uns der Verwalter Feder, Dinte und Papier, und weil Herr Friderich der Hochzeitbriefe gedachte, wußte der Verwalter niemand besser als den Schreiber vorzuschlagen, welcher allgemach auf dem Mühlbächlein empfand, daß die Haue schwerer war als die Schreibfeder. Er hieb drein, wie er tausend Centner auf einmal herausheben wollte. »Arbeitest du geschwinde,« sagte der Torwärter zu ihm, »so kommst du bald davon!« Damit machte er den Schreiber mächtig munter. Als er aber seine vorgesetzte Arbeit vollendet, mußte er erstlich über die Hochzeitbriefe, hernach über ein alt geschriebenes Buch her, daran er den ganzen Sommer genug zu tun hatte. Indessen hatten wir unsere Comœdia innerhalb acht Tagen zu Ende gebracht, in welcher Zeit wir zwar nit immer über der Invention gesessen, sondern unterweilen bei einem guten Gläslein Wein ein Stück geräucherten Lachs verzehreten. So sehr aber der Friderich nach seiner Hochzeit seufzete, so sehr verlangte mich wieder nach Haus zu meiner Sophia, weil mich allerlei Gedanken ankamen, derer ich zuvor nicht gewohnet war. Bald gedachte ich so, bald so und meinte immer, es dörfte mir was geschehen, welches ich doch wegen ihrer bekannten Treue nicht zu fürchten hatte. Demnach ließ ich nach, mich selbst mit leeren Mutmaßungen zu martern. Jedennoch weiß man nicht, wie das Glück zu spielen pfleget, und ist wohl öfter einem ein Geschwär auf dem Kopfe aufgefahren, da er sichs am allerwenigsten versehen hat.

Die übrigen vier Tage brachten wir in allerlei Anstalt zu, [564] wie denn etliche Tischer und Zimmerleute, eins und das andere in gute Ordnung zu bringen, schon lange gearbeitet hatten. Sonst putzte man alle Zimmer aufs fleißigste aus, und versah sich der Verwalter mit vielem Mastvieh und anderem Geflügel, auf daß die Braut nicht allein brav Geld im Kasten, sondern auch alle Ställe voll fetter Brocken fände. Nach diesem nagelte man große und rare Vögelhäute, item Bärn- und andere Köpfe an das Tor, und mußte ein Bildschnitzer das adelige Wappen hübsch groß über das Torweg schnitzen. Alle Leute wurden in grünes Tuch gekleidet, und wurde befohlen, daß sich alles auf den Einzugstag, welcher sein würde der Dreißigste dieses Monats, fix und fertig zur Aufwartung hielten. Der Köchin befahl Herr Friderich, daß sie sich mit dem trefflichsten Essen wohl gefaßt machte, und nach aller dieser und anderer Ordnung verschloß er seinen Schatz in einen wohlverwahrten eisernen Schrank und ritt mit mir nacher Oberstein, von daraus den ehrlichen Philipp samt seiner Frauen mit sich zu nehmen, welcher uns diese Zeit über allerlei Brief nacher Ichtelhausen geschrieben hatte.

3. Capitul. Was Gutes auf der Hochzeit zu Ocheim passiert
III. Capitul.
Was Gutes auf der Hochzeit zu Ocheim passiert. Dietrich bringt ein silbern Schlittengeschirre zum Hochzeitpräsent. Der Wahrsager wegen des Wetterbildes zu Grundstett wird offenbar. Duell auf der Straß.

Man vergaß dazumal wegen großer Freude des bevorstehenden Werkes, nach dem Possen, welcher uns in Grundstett widerfahren, zu fragen, obschon allem Ansehen nach die Frau Philippin gute und genaue Wissenschaft davon hatte. Wir gingen auf der Reise nacher Ocheim über Abstorff, Herren Wilhelm in unsere Compagnie zu nehmen, welcher aber, nach dem Bericht des Schloßgesindes, allgemach vorausgegangen und zu Gottfrid abgereiset, ihn und seinen Bruder auf die Hochzeit zu bringen. Dannenhero verhofften wir eine fröhliche Zusammenkunft und hatten auch Herren Dietrichen, ob er gleich weit von uns entfernet war, eingeladen, [565] dessen Person wir uns auf das allergewisseste versicherten. So sehr wir uns aber auf ihn verlassen, so wenig war er zu Ocheim anzutreffen, ohne Zweifel, weil sein Weg sich etwas weit erstreckte und er für großer Hitze nit reisen konnte. Nichtsdestoweniger verhofften wir eine Post oder Schreiben von ihm, konnten aber gleichwohl nichts erhalten, daraus abermal nichts Gewisses konnte geschlossen werden.

Aber es ist selten eine Freude vollkommen, und weil sich keiner unter uns darein zu finden wußte, machte uns endlich der ehrliche Philipp das Herz mit seiner angebornen Fröhlichkeit etwas ringer, denn er gab vor, daß, wenn Dietrich nicht auf die Hochzeit kommen würde, wollten wir ihn insgesamt über drei Tage heimsuchen und ihn zugleich, es möchte ihm gleich lieb oder leid sein, auf seinem Gut überfallen. Der Entschluß wurde beliebt und also zur Copulation geschritten.

Ich will mich, wie einem Ehmann gebühret, in Beschreibung dieser Hochzeit nicht viel aufhalten und unnötige Sachen beschreiben, die nur Verdruß machen. Als ich könnte zum Exempel erstlich die Oration anführen und zugleich den Geistlichen durchziehen, wie wunderlich er sich gestellet oder was für eine Aussprache er gehabt habe. Aber was nützen solche Durchhechlungen? Die deswegen lachen, geben mir keinen Recompens, und die dadurch getroffen werden, stellen mir auf andere Weis eine Falle. Was ist es nütz, wenn ich bald diesen oder jenen beschriebe oder auch erzählete, wie sich die Spielleute mit ihren Geigen verhalten hätten? Solche Leute nähren sich ohnedem mit großem Kummer und Elend. Und wie wär es, wenn ich, gleichwie sie auch, auf die Welt als ein Spielmann geboren worden und mit dieser Profession mein Brot hätte suchen müssen? Würde ich alsdann gerne gehabt haben, daß mich ein anderer durch die Hechel zöge? Mitnichten! Ergo, quod tibi non vis fieri, alteri ne feceris! Ein bißchen will ich wohl davon schreiben, aber durchaus keine Personalia berühren, davon sich einer oder der andere, so sie anders noch im Leben sind, möcht beschimpfet finden, ja, ich will es so gelinde machen, daß auch [566] diejenige am meisten darüber lachen werden, die ich am meisten angreife.

Die Copulation war gehörtermaßen zum Ende gelaufen und nunmehr alles beschäftiget, zu der Hochzeitstafel zu gehen, als man unversehens etliche Schellenkränze vor dem Schlosse hörte. Es war schon Nacht. Deswegen schickten wir etliche Diener hinaus, zu sehen, wer in diesem Sommerwetter sich der Schlittenfahrt bedienete; aber sie konnten niemanden erblicken noch ausspüren. Man hatte sich schon gesetzet, als die Schellenkränze zum andernmal schalleten, und als die Diener abermal vor das Tor traten, fielen zwei große Schellen- und Schlittengeschirr über einen hohen Baum herunter, der nächst an der Schloßmauer stund. Die Diener für Furcht und Schrecken eileten wieder zurück und sagten uns die wunderliche Mär. Letztlich brachte einer die Geschirre mit sich, welche nicht allein von purem Silber, sondern sonsten durchaus wohl und künstlich gearbeitet waren. »Diese Geschirr«, sprach die alte Frau von Ocheim, welche etwas geizig war, »sind hier gefunden worden, dannenhero gehören sie auch meine!« Es konnte keiner so unhöflich sein, noch ihr diesen köstlichen Fund absprechen. Indem kommt der alte Wahrsager zur Stube herein, der uns kurz vorhero zu dem Wetterbild verleitet hatte. »Ha, ha!« sprach Herr Friderich, »du alter Mausekopf, kommen wir hier zusammen?« Hiermit befahl er, die Tür wohl zu verwahren, weil er entschlossen war, ihm wegen getaner Persuasion eine gute Tracht Schläge geben zu lassen. »Wie steht es,« sagte Wilhelm, »hättest du noch gern mehr Narren?« – »Wenn Ihr ein Pferd zuviel habet,« sprach der Alte, »so könnt Ihr all sachte zu dem Wetterbild auf Grundstett reiten!« Damit fing die Frau Philippin abscheulich an zu lachen, und der Alte, so nur einen angemachten Bart und eine graue Parüque auftrug, nahm solchen Ornat ab, und da sah die ganze Compagnie den ehrlichen Dietrich vor ihnen stehen.

Der Student, welcher auch mit auf der Hochzeit war, riß seine Augen angelweit auf. Und diesen redete Herr Dietrich, weil er ihm am nächsten war, am ersten an und machte ihn wegen seiner Leichtgläubigkeit abscheulich aus. »Sollt Ihr [567] Euch nicht schämen,« sprach er zu ihm und meinte uns alle, »daß Ihr nach dem Wetterbild reiset und allda um Euer Glück forschet? Pfui in die Kutte hinein! Seid ihr Einsiedler gewesen und wisset nit besser, quid juris die Sache sei? Eure Pferde lasset ihr euch stehlen, von dem kleinen Männchen, dem Kirchner, mit der Nase auf die Erde legen, und also werdet ihr in und außer der Kirche abscheulich betrogen. Wo ist nun euer Pferd? Die Sättel habt ihr am Halse heimtragen müssen; pfui, schämt euch ins Herz hinein!« – »Was,« sagte der Student, »bin ichs denn alleine gewesen?« Damit fingen alle an zu lachen, und es ist nicht möglich zu sagen, wie wir uns über diesem Streiche zugleich verwundert und ergetzet haben. Er sagte, daß seine Muhme Magdalena in einer halben Stunde nachkommen würde, und die zwei silbernen Geschirr wollte er dem Herren Bräutigam zum Hochzeitgeschenk präsentiert haben. Dadurch kam die alte Frau von Ocheim um ihren köstlichen Fund und hatte keine fernere Ursach, sich um denselben zu zanken. »Ich habe auf dem Baum schon gehöret,« sprach er, »was deswegen passiert ist. Nun trinke mir einer geschwinde ein gut Glas Wein zu, denn auf dem Weg ists ziemlich eingeheizet wie hier in der Hochzeitstuben, und der Staub stäubet einem wunderlich um die Naslöcher herum.« Mit diesen Worten kleidete er sich aus und satzte sich mit unserer großen Vergnügung an die Tafel, daselbsten alle seine Kurzweil auf die Bahn zu bringen, auf die er unterwegens studiert hatte.

»Hier ist es viel besser«, sagte er, »als draußen in dem nächsten Wald, wo man die Wölfe heulen höret und einem die Tannzapfen von den Bäumen wie die Fuchsschwänze auf die Achsel fallen. Dennoch ist mir nichts so beschwerlich gewesen als auf den Baum hinaufzuklettern; dorten zog ich die Schellengeschirr an einem Strick hinnach und mußte mich verwundern, wie eine schlechte Courage eure Knechte hatten. Wenn mir die Geschirre nicht unversehens entfallen, wollte ich euch noch eine Weile, bis meine Muhme nachgekommen, gefoppet haben. Aber Herr Præceptor, wie war Euch, da Ihr zu Grundstett wie ein Kreuz ausgestrecket auf der Erde laget? Gelt, es roch wunderlich unter den Ziegeln?«

[568] »Freilich«, sprach der Student. Darüber wurde noch ärger als zuvor gelachet, und da fing ich bei mir selbst erst an zu gedenken auf die Wort, welche zu dem Fenster sind hineingesprochen worden, nämlich: »Sie sind schon fort!« An diese Worte gedachten wir damals alle zugleich und sprachen: »Freilich waren sie fort, nämlich die Pferde!« – »Du hast uns billig Narren geheißen,« sprach Herr Philipp, »weil ein Christ, der solchen Gaukeleien nachgehet und darauf glaubet, eine große Torheit begehet.« – »Sehet,« sagte Herr Dietrich, »ihr seid so fromme Einsiedel gewesen und habt euch doch alle von mir so schrecklich verleiten lassen. Habt ihr dieses noch nicht gelernet, daß man keinem Wahrsagergeist glauben soll, wie wollet ihr etwas Höheres begreifen können? Der Teufel schleicht sich sachte ein. Erstlich habt ihr vermeint, ihr wollet es nur versuchen, hernach habt ihr alle große Berge darauf gebauet.« – »Es ist wahr,« sprach Philipp, »als du mir in Gestalt des alten Mannes so einen Haufen Sachen wegen meiner vergangenen Begebenheit vorgeschwätzet, stach mich der Kitzel mächtig in die Seite. Drum ist es ratsam, daß man dergleichen Leute gar nicht höre, sondern sie eben den Weg wieder dahin weise, woher sie gekommen sind.« Indem Philipp also redete, raunte der Student dem Herren Dietrich etliche heimliche Wort in ein Ohr und begehrte an denselben, daß er ihm sein Pferd wieder wollte zukommen lassen. »Denn«, sprach er, »ich habs von einem Bauer geborget, bin ein armer Teufel und kanns unmöglich bezahlen.« Diese Wort, ob sie wohl ziemlich still geredet wurden, hörten es doch die Anbeisitzenden, und wurde also der Student aufs neue ausgelachet. In diesem Gelächter kam Jungfer Magdalena, als Herren Dietrichs Muhme, an, welche auf dem Weg fast halb gebraten war. Sie kühlte sich derowegen und legte die häufige Kleider hinweg, fing auch endlich an zu erzählen, wie sie auf der Straße einen Ort vorbeigeritten und ihrer dreie jämmerlich mit dem Degen aneinander hätte zerhauen und zerfetzen sehen. »Es waren«, sprach sie, »zwei wider einen, welcher sich aber tapfer gewehret hat. Wer sie gewesen, kann ich nicht wissen, denn es war Nacht, habe mich auch wegen des Wetters nit lang aufhalten [569] können.« Diese Zeitung machte uns in etwas bestürzet, ließen es doch an seinen Ort gestellet sein. Aber der Knecht, so die Frau hergeführet, sagte, daß der eine, welcher wider die zwei gefochten, in seinem Vorbeireiten gesagt habe: »Helft mir! helft mir!«

Man ließ es endlich bei seiner eigenen Bewandtnis, und wurden allerlei Gesundheittrünke angefangen, derer man, nach eingerissenem Gebrauch, nicht missen konnte. Also ging es kurzum die Reihe herum, aber dem Studenten wurde allezeit um zwei Finger höher eingeschenket, davon er endlich anfing, mit seiner Disputation herauszubrechen. Weil wir aber seine philosophische Grillen schon kannten, als beantworteten wir ihn ebenso närrisch, als er uns gefraget hatte. Er sagte zum Friderich: »Herr Bräutigam, quod ego sum, hoc tu non es!« – »Ja«, sagte der Bräutigam. »Ego«, redete der Student weiter, »sum homo, ergo tu non es homo.« Auf dieses sprach der Bräutigam: »Quod ego non sum, hoc tu es; ego non sum asinus, ergo tu es asinus!« Aus diesem entstund ein neues Gelächter, und der Student gäbe viel drum, daß er geschwiegen hätte. Es ist auch ratsam, daß man sich in solchen Zusammenkünften des Disputierens enthalte, sondern fein friedsam und einig mit einem Glas Wein ein gutes Stück von einem Hasen verzehre. Man kann wohl reden von einer und der anderen auferbaulichen Sache; aber aus einer Hochzeitstafel flugs einen Catheder zu machen, das ist wider Handwerksmanier. Auf solches brachte ihm der Bräutigam ein sauber geschnitten Glas zu, und als es der Student in die Hände bekam, besah er den so sehr gelobten Schnitt. Es war aber eine Tafel voll guter Freunde darauf gezeichnet, über welche diese Wort stunden: ›Ein Schelm, der unter uns heute ein Wörtlein disputiert.‹ Damit hatte der Student seinen Bescheid und fing demnach an, all diese Runda und Lieder auf die Bahn zu bringen, derer man sich zu seiner Zeit auf Universitäten bedienet hätte, als nämlich:


Sollte denn das Schäfer-Leben
Nicht das beste Leben sein,
Die da mit den Schäfer-Stäben
[570]
Treiben aus und wieder ein?
Jener steht und fiedelt,
Dieser pfeift und liedelt,
Der mit seinem Dudelsack,
Der dudelt auf den ganzen Tag.

Dieses Gesang war uns viel angenehmer als seine vorige Subtilitäten, die viel Nachdenkens und wenig Brot machen. Etliche unter dem beistehenden Haufen sagten, der Student könnte nicht viel. Aber wenn sie sich bei der Nase zupften, so haben die Narren alle zusamm nicht so viel als er allein gekonnt.

4. Capitul. Der Advocat kommt zur Hochzeit
IV. Capitul.
Der Advocat kommt zur Hochzeit, und was da vorübergegangen.

Den letzten Punkt des vorhergehenden Capituls schreibe ich denjenigen zu Ehren, die bald von dem, bald von jenem verachtet und gering gehalten werden. Wer einen andern gering hält, ist gemeiniglich selbst nicht groß, und was du nicht zu verbessern weißt, das lasse ungetadelt. »Wie gefällt dir dieses Bild?« sprach der künstliche Apelles zu dem Schuster, »sind die Schuhe an demselben recht gemachet?« – »Ja,« sagte der Schuster, »Herr Apelles, Ihr habt solche wohl gezeichnet, die Sohlen sind recht, das Übergeschirr ist recht, und die Absätze sind auch recht; aber mich gedünket, die Kniescheibe sei ein wenig zu groß!« Da sprach Apelles: »Ne sutor ultra crepidam«, das ist: höre, mein lieber Schusterkneip, du sollst vom Schuh und sonst von nichts judicieren; bleibe du bei deinem Leist und lasse mich mit meiner Kniescheibe zufrieden. Was dich nicht brennt, das sollst du nicht blasen! Ne sutor ultra crepidam! Dieses sollten dazumal diejenige auch gewußt haben, die den Studenten wegen seiner Erudition im Verdacht hielten. Oft lacht der Peter den Stoffel aus, daß er nicht pfeifen kann, und wenn man dem Peter ins Maul siehet, so hat er selbst keinen Zahn in der Goschen.

Zwischen dieser Lust kam ein lediges Pferd in den Hof, so voll mit Blut besprenget war. Die Schloßknechte, welchen [571] dieser Handel wunderlich vorkam, zeigten es dem Bräutigam und dieser mir an, damit es keinen Aufstand gäbe. Ich ging demnach mit Vorschützung einer anderen Ursach, die sich bei häufigem Trinken leichtlich erfinden lässet, hinunter und besah den Schimmel, welchen die Knechte schon in den Stall gebracht hatten. Das Pferd war mir in etwas bekannt, und unerachtet ich mich hin und her besann, konnte ich doch nicht wissen, wem es eigentlich zustünde. Derjenige, so es geritten, mußte soviel nit geblutet haben. Derohalben schickte ich geschwinde zwei Laquayen mit großen Fackeln der Spur nach. Es brauchte aber keiner großen Ungelegenheit, als ihnen gleich vor der Schloßbrücke der Advocat von Ollingen, der sonst ein Erzschmauser war, entgegenkam. Diesem Advocaten gehörte der mit Blut besprengte Schimmel, dessen ich mich im ersten Anblick augenblicklich entsinnen konnte. Er verwunderte sich über mich und ich mich über ihn, als einer den andern in dem Schloßhofe antraf. »Ist Monsieur nicht Wolffgang?« sagte er. »Ja,« sprach ich, »mein Herr, ich bins. Ist Monsieur«, fragte ich ihn darauf, »nicht der Advocat Adrian Bleifuß?« – »Ja,« sagte er, »ich bins und weiß nicht, durch was für ein wunderliches Geschicke ich in dieses Schloß komme. Ich reisete meinen Weg nach Ollingen, daselbsten eine gewisse Gerichtssache abzuhandeln, und ist heute der zweite Tag, da ich von dem Edelmann, dessen Sach ich wider einen seiner Nachbarn führe, abgereiset. Es heißet billig: Accidit in puncto, quod non speratur in anno; denn etwan vor zweien Stunden überfielen mich auf offener Straße zwei Kerl mit bloßem Gewehr und nötigten mich mit Gewalt zur Gegenwehr. Ich sprang demnach von meinem Gaul und focht so gut, als ich konnte. Ich habe zwar hier auf die linke Achsel einen kleinen Hieb und in die Hand einen Stoß bekommen, der auch nit gar gefährlich ist, aber es kam zu allem Glück jemand geritten, und als ich gegen solchen um Hülfe gerufen, verließen mich die Schelmen auf offenem Felde, nachdem ich dem letzten, der aber eisenfest gewesen, zu guter Nacht über sein verdammtes Capitolium einen solchen Streich gegeben, daß ihm die Zähne im Munde gewackelt haben.«

[572] Über diese Relation des Advocatens mußte ich billig lachen und fragte ihn dannenhero, wo er sein Pferd gelassen. »Mein Pferd«, sagte er, »ist allem Ansehen nach und so viel ich im Dunkeln vermerken können, in dieses Schloß gelaufen.« Hiermit hebte er das Haupt empor, denn die Spielleute fingen an, eine verlumpte Allamande zu geigen. »Was ist das?« sagte er. »Mein Herr Advocat,« sprach ich, »Er lasse sichs nicht fremd vorkommen. Er ist an diesem Ort unter ebendieser Gesellschaft, und zwar noch unter einer größeren, als Er dazumal bei dem Herren Gottfrid gewesen. Herr Friderich, welcher ehedessen, aus absonderlicher Andacht getrieben, die Welt verlassen und ein einsames Leben als ein Eremit geführet, hat heute in diesem adeligen Hause Hochzeit, und Er sieht sattsam an meinen Kleidern, daß ich bei dieser einen unwürdigen Gast abgebe. Beliebt demselben, unsere Gesellschaft mit seiner angenehmen Person zu beglückseligen, so sei Er von mir als seinem guten Freund hiermit eingeladen. Sein Schimmel, welcher Ihn an ein so freundliches Ort begleitet, ist zu seinem Lohn schon versorget, und der Herr siehet selbst, daß gegenwärtig zwei Diener mit ihren Fackeln beordert waren, Ihn zu suchen und zu uns zu bringen, weil ich an dem Pferd zugleich den Reiter gekannt habe.«

Der Advocat weigerte sich zwar anfangs, aber weil er einen subtilen Rock anhatte, wollte er solchen nicht gerne zerreißen lassen, ging also mit mir hinauf und wurde von allen auf das freundlichste empfangen. Herr Wilhelm verstund sich auf die Chirurgie, derowegen verband er ihm seine Hand und die gehauene Wunde auf der linken Achsel, so leide von keiner sonderlichen Importanz waren.

Man satzte ihn an die Tafel, und dorten fing er an, die Geschicht aufs neue zu erzählen, daraus wir wohl abnehmen konnten, daß es ebendieser gewesen, von welchem die Frau Dietrichin erzählet, daß er »Helft mir! Helft mir!« gerufen hat. Damit fing der lustige Philipp an und schrie unter wählender Erzählung des Advocatens: »Helft mir! Helft mir!« Der Advocat wußte nicht, was dieses bedeutete, meinte auch nicht, daß es ihm gelten sollte, und fuhr fort, wie er [573] angefangen hatte. Darnach schrie bald darauf Herr Friderich: »Helft mir! Helft mir!« Der Advocat wollte es doch noch nicht merken, bis auch endlich Gottfrid und sein Bruder zugleich wie die vorigen ruften. Damit ward der Advocat ziemlich rot um den Schnabel und merkte, daß wir um seine Begebenheit die meiste Umstände wüßten. Man sah wohl, daß er sich allerlei Gedanken machte, absonderlich, weil sein Pferd in unserem Stall war. Daß er sich aber hierüber nicht allzusehr im Gemüt martern möchte, eröffneten wir ihm die Gelegenheit, vermittelst welcher wir verstanden, daß er auf der Straße »Helft mir! Helft mir!« gerufen. Er mußte gleichwie wir von Herzen darüber lachen, und der Student war froh, daß er unserer Scherhosen auf eine kleine Viertelstund war losgeworden.

Weil nun dem Advocaten die zwei Strauchdiebe, wie er sie hieß, nicht bekannt waren, als bekümmerten wir uns nicht viel um seine Geschicht, sondern machten uns selbigen Abends insgesamt trefflich lustig. Es war noch eine andere Tafel voll von Adel in einer anderen Stube, und ober uns speisete das adelige Frauenzimmer, welchem die vorigen vier Studenten, die auf meinem Schloß so oft aufgewartet und erst neulich das Protocoll geführt hatten, mit ihren Geigen trefflich auffiedelten. Denn heute mußte es ein wenig ehrbar zugehen, aber morgen hatte man einen anderen Vorschlag, und zwar wie folgen wird.

Man machte eine bunte Reihe, und kam Großes und Kleines untereinander. Weil wir auch in einem großen Gemach speiseten, wurden die vier Studenten, so dem Frauenzimmer gestern aufgefiedelt, ehrenhalber mit an die Tafel gesetzet. Denn wir waren wohl so erkenntlich gegen diejenigen, welche freien Künsten oblagen, daß man sie nicht wie gemeine oder geringe Lumpenhund, sondern als Kerl von Fortun tractieren müsse, weil man nicht weiß, was aus einem oder dem andern noch für ein rechtschaffen Kerl werden kann. Das Frauenzimmer, welches schon verstanden hatte, welchergestalten auf dem Schlosse zu Ichtelhausen wäre eine Comœdia verfertiget worden, war trefflich begierig, die Action zu sehen, und ob wir gleich das Theatrum in einem absonderlichen [574] Zimmer ganz in der geheim haben aufschlagen lassen, wurde der Handel doch bald von etlichen Schwammendrückern verkundschaftet, daraus die Gäste leichtlich schließen konnten, daß es was Lustiges setzen würde. Und war die Begierde zu solchem Spiel unter den Hochzeitgästen um so viel desto größer, je weniger sie auf dem einsamen Lande solche Raritäten zu sehen hatten, besonders weil sie wußten, daß die, welche agieren würden, ausgedrechselte Schelmen all ihr Lebtag gewesen.

Solche Actores dieses vorgenommenen Lustspiels waren die vier Studenten, die man auch meistenteils aus dieser Ursache mit an die Tafel gesetzet, denn diese Ehre schätzten sie höher als ein Dutzet Ducaten, welche ihnen doch zur Fortsetzung und Auswendiglernung ihrer grammaticalischen Reguln viel nützlicher gewesen wären. Und so es ihnen beliebt hätte, konnten sie anstatt der Bücher guten schwarzen Musquetierer-Tobak dafür eingehandelt haben, welchen sie zum Teil soffen, zum Teil fraßen. Denn sie gaben vor, daß der Tobak, den man in dem Mund kauete, eine vortreffliche gute Memori machte, indem er die überflüssige Feuchtigkeiten durch seine in wohnende Hitze verzehrte und abführte, da die Bachanten doch, ihrem eigenen Bekenntnis nach, innerhalb einem Vierteljahr keine Lection mehr auswendig gelernet, sondern einer dem andern das Buch an den Mantel geheftet hatte, wenn sie dem Jesuiten oder Pfaffen, wie sie es hießen, in der Schul haben aufsagen und ihre Lection herunterrecitieren müssen.

Sie machten sich demnach heimlich von der Tafel, damit man mit der Auskleidung auf dem Theatro nicht gehindert wurde. Also tranken wir noch lustig untereinander herum, und erzählete einer dem andern, wie er seine Zeit zubrächte und in dieser wunderlichen Welt sein Leben vollführte. Das Frauenzimmer anbelangend, führte indessen allerlei Liebes-Discurs. Etliches schwätzte von ihrer bisher verfertigten Arbeit, andere ließen sich belieben, die Leute und absonderlich die jungen Gesellen durchzuziehen, eine andere Partei wurfen sich mit Zucker, und also trieben sie so vielerlei Wesen, bis es endlich aufs Küssen kam. Da vergaßen wir der [575] frommen Einsiedlerei, und wenn einer den andern ansah, geschah es gemeiniglich mit einem Seufzer, weil wir dadurch wollten zu verstehen geben, wie in eine große Eitelkeit man sich stürzet, wenn man in die Welt eintritt, und daß das geistliche Kleid zwar keine Vollkommenheit mache, aber doch dem Gemüt einen solchen Zaum ins Maul lege, dadurch es sich dessen jederzeit erinnern und keine andere Action spielen solle, als welche mit dem Kleid übereinstimmet.

Aber da war kein Kraut für unsere neue Üppigkeit gewachsen, und mich fing es heimlich an zu reuen, daß ich auf bloßes Einreden des Friderichs meinen einsamen und hübsch eingerichteten Turm so geschwinde verlassen und mich, gleich dem ganzen Haufen, wiederum einer so blinden Freiheit ergeben hatte. Dennoch tröstete ich mich hinwieder, wenn ich betrachtete, daß ich bei diesen Sachen keinen bösen Gedanken hatte, sondern es mitmachte, wie es der gemeine Stylus Curiæ erforderte, und daß ein Mensch den Zufällen nicht gänzlich entgehen kann, zu welchen er sich von Natur neiget. In solchen Gedanken überfielen mich tausend Grillen, aber ich jagte sie mit einem guten Glas Wein und freundlichen Gespräch gegen meinem Nachbar wieder hinweg.

5. Capitul. Zu Ocheim wird eine kurzweilige Comödie gespielet
V. Capitul.
Zu Ocheim wird eine kurzweilige Comödie gespielet.

Bald darauf schickten die Studenten eine Post an mich, daß sie mit ihrer Zubereitung nunmehr in Positur stünden. Derohalben wurde vor diesmal schleuniger Aufbruch gemachet, darüber sich absonderlich diejenigen freueten, die sonsten an Comœdien ihre meiste Vergnügung zu suchen pflegen. Der Saal, darinnen das Theatrum gebauet war, ließ nicht viel Volk zu. Dannenhero mußte man eine Wache vor die Tür stellen, welche nur diejenigen hineinließ, die sie nicht kannte. Also kamen alle Fremde ungehindert in Saal, und die Einheimischen, denen, wegen ihrer Bauern-Profession, [576] an dergleichen Materien nichts gelegen ist, als daß sie vor dem Theatro das Maul aufsperren und lachen, wenn andere lachen, wurden, wie billig, von dem Orte abgetrieben.

Nachdem sich alles in seiner Ordnung gesetzet, erhebte sich hinter dem Theatro eine Musik, unter welcher die Vorhänge schnell aufgezogen worden. Man sah mitten auf demselben einen großen Baum stehen, unter dessen Schatten ein junger Cavalier in süßer Ruhe lag; dieser hieß Julio. Zu ihm kam ein reisender Schneidergesell namens Poko, welcher seinen Curs ins Reich zu nehmen willens war. Also fingen sie an den


Actus Primus

Scena Prima
Julio und Poko

Julio. Die Liebe, so mein Herz im Brand versehret, ist meine allerheftigste Pein, und wenn sie mich verlässet, so muß ich nichtsdestoweniger sterben.

Poko. Ich weiß wahrhaftig nicht, welches der rechte Weg nach Straubing ist. Herr, wie Ihr heißet, wo gehe ich recht auf Pfada?

Julio. Darum betrübet sich mein Herz, weil ich meiner verliebten Hoffnung kein gewissen Ziel ihrer Begierde setzen kann.

Poko. Ja, es ist mir auch also, ich kann den rechten Weg nicht finden. Saget mir, gehe ich da hinaus, oder hupfe ich da über die Stiegel?

Julio. Ich bitte euch, ihr meine Gedanken, peiniget mich nicht! Ist es euch denn so ein großer Sieg, eure eigene Herberg zu stürmen?

Poko. Herr, ich bin mein Leben lang nie Sturm gelaufen, bin auch kein Soldat, sondern ein Schneider. Wo geht man recht auf Straubing?

Julio. Es ist zwar wahr, daß sie mich liebet, aber viel leicht liebet sie mich auch nicht. Drum weiß ich nicht, gehe ich irr oder nicht?

Poko. Ich weiß auch nicht, ob ich auf dem rechten Weg bin oder nicht. Wollte, daß der Teufel die Leut holte, die mich [577] über die Wiesen herein gewiesen haben! Saget mir, wo gehe ich am nächsten?

Julio. Meine Geduld tröstet mich noch. Will sie dich verstoßen, wohlan! Wer kann wider die Unbarmherzigkeit einer Schönen? Aber weißt du, o Julio, wo du dich hinwenden sollest?

Poko. Nein, das weiß ich bei meiner Treu nicht, und wenn ichs wüßte, wollte ich Euch nicht fragen!

Julio. Ja, ja, es ist resolviert! Trauer soll meine Speise sein und der Tränenregen meine Burg!

Poko. Ja, Herr, Ihr sagt recht: von Straubing will ich auf Regensburg.

Julio. Was achte ich endlich ihren Haß? Die Großmütigkeit ist ein Fels, daran sich die allerrauhesten Schiffe zerstoßen, dennoch wird mir meine Last ziemlich schwer.

Poko. Mir ist der Wanderbündel auch nicht leicht zu tragen. Herr, saget mir, wo 'naus?

Julio. Du unbarmherzige Clio! ich seufze, du hörest mich nicht, ich rufe, du stopfest dein Ohr zu.

Poko. Ja, das meine ich auch: komme ich nicht bald vor die Stadt, so sperren sie das Tor zu.

Julio. Deine Stimm, ob sie mich gleich gelocket, hat doch ihren vorigen Ton verloren. Das Gesang der Sirenen ist gefährlich; nun verwandelst du dich in einen Raubvogel da ich vermeinte, du wärest ein weißer Schwan.

Poko. Herr, Ihr habt es erraten! Im ›Weißen Schwan‹ will ich einkehren, da ist die Schneider-Herberg.

Julio. Ach, wie betrüglich sind die Gedanken der Menschen Tausend Taler hätte ich auf ihre Beständigkeit gewaget, nun gebe ich nicht vier Groschen dafür.

Poko. Ja, Herr, es wäre mir auch zuviel! Vier Groschen für eine Mahlzeit, das trägt mein Beutel nit.

Julio. O Clio! ich sehe dich vor mir, wo willst du hin?

Poko. Auf Straubing!

Julio. Bleibe, o Schöne, und lasse dich hier in dem Schatten nieder!

Poko. Mein Herr, beileib nicht! Ich muß fortreisen.

Julio. Aber, wie ich sehe, so laufst du fort.

[578] Poko. Ich wollte gern, wenn ich nur den Weg wüßte!

Julio. Nun ists verloren! Da ich vermeinte, meine Sachen würden sich auf die rechte Seite lenken, so wenden sie sich zur linken.

Poko. Herr, ich sage Euch großen Dank! Ich will mich auf die linke Seite wenden.


(Gehet ab.)


Actus Primus

Scena Secunda
Scabio und Poko

Scabio. Ich bin ein Weberbürschlein und reise in die Pfalz, weiß aber nicht, ob ich hie recht gehe oder nicht. Es soll der richtige Weg auf Straubing sein, aber hie geht eine Straß da, die andere dort hinaus, welche ist nun die rechte? Ha, ha! dort sehe ich ein Wandersbürschlein gehen, es ist ein Schneiderlein, und haben heute nacht auf einer Herberg beisammen geschlafen. Du, Poko, wo gehest du hin?


(Poko kommt zurück.)


Poko. Wo gehest du hin?
Scabio. Das will ich dir sagen, sage du mir zuvor, wo du hinwanderst!
Poko. Ich sage dirs nicht ehe, bis du mirs gesagt hast.
Scabio. Hörst du's denn nicht? Wenn du mirs sagest, will ich dirs auch sagen!
Poko. Sag du mirs zuvor!
Scabio. Das tu ich nicht!
Poko. Ich auch nicht!
Scabio. Wieviel ists an der Uhr?
Poko. Das weiß ich wohl.
Scabio. Ich auch.
Poko. Wieviel denn?
Scabio. Sage du mirs!
Poko. Sag du es zuvor!
Scabio. Das lasse ich wohl bleiben.
Poko. Ich auch.
Scabio. Willst du nicht auf Straubing?
Poko. Willst du nicht auf Straubing?
[579] Scabio. Sage du mirs zuvor!
Poko. Sage du mirs zuerst!
Scabio. Nun sag es!
Poko. Nun sag du es!
Scabio. Wenn du mirs sagest, so sage ichs auch!
Poko. Sage du es zuvor!
Scabio. Laß mich mit dir gehen!
Poko. Laß du mich mit dir gehen!
Scabio. Wenndu mich mit dir gehen lässest, so lasse ich dich mit mir gehen.
Poko. Nein, wenn du mich mit dir gehen lassest, so kannst du auch mit mir gehen.
Scabio. Ich will nicht.
Poko. Ich will auch nicht.
Scabio. Wo geht der Weg hinaus?
Poko. Wo geht der Weg hinaus?
Scabio. Sag du mirs!
Poko. Sag du mirs!
Scabio. Ich sage dirs darnach, sage du mirs zuvor!
Poko. Sag du mirs zuvor, ich sage dirs darnach!
Scabio. Wo kehrest du zu Straubing ein?
Poko. Wo kehrest du zu Straubing ein?
Scabio. Sage du mirs!
Poko. Sage du mirs!
Scabio. Ich sags nicht zuvor.
Poko. Ich sage es auch nicht zuvor.
Scabio. Warum willst du mirs nit sagen?
Poko. Warum willst du mirs nit sagen?
Scabio. Sag du es zuvor!
Poko. Sag du es zuvor!
Scabio. Wer bist du?
Poko. Wer bist du?
Scabio. Ich bin, was ich bin.
Poko. Ich bin auch, was ich bin!
Scabio. Du bist ein Hunds- etc.
Poko. Du bist auch ein Hunds- etc.

(Damit kriegten sie sich bei die Köpfe und zerzauseten wacker einander.)


[580] Inzwischen hatte sich der erste Student als der verliebte Junggesell in einen Weiberhabit verkleidet, zu diesem kam der vierte auch in einem Jungferkleid heraus und machten folgendes:


Actus Primus

Scena Tertia
Urschel und Zipusia

Zipusia. Ursel, warum bist du so traurig?

Urschel. Mein Kind, ich darfs nit sagen.

Zipusia. Du darfst es mir ja sagen.

Urschel. Ich darfs keinem Menschen sagen.

Zipusia. Sage mir nur ein Wort davon!

Urschel. O mein Schatz! ich darfs Maul nicht auftun.

Zipusia. Ist denn ein so großes Unglück geschehen?

Urschel. Freilich, aber ich darfs nit sagen.

Zipusia. Hui! daß deine Frau einen fremden Galan bei sich gehabt hat?

Urschel. Ja, aber ich darfs nicht sagen.

Zipusia. Du hast sie gewiß erwischt?

Urschel. Freilich, aber ich darf kein Wörtlein davon sagen.

Zipusia. Es ist gewiß der Schlossergesell gewesen?

Urschel. Ja, aber ich darf niemand nichts sagen.

Zipusia. Wo? im hintern Stüblein?

Urschel. Freilich, aber ich sage dirs nicht.

Zipusia. Ist nicht diese Woche auch der Maler bei ihr gewesen?

Urschel. Er ist dagewesen, aber ich darf es nicht sagen.

Zipusia. Deine Frau stiehlt ihrem Mann das Geld aus dem Sack?

Urschel. Ja, aber ich darf es nicht sagen.

Zipusia. Hat sie nicht auch den Beckenknecht lieb?

Urschel. Sie hat ihn von Herzen lieb, aber ich sage dirs nicht.

Zipusia. Sie sind oft beisamm?

Urschel. Gar oft, aber ich sage es nicht.

Zipusia. Was müßte man dir denn geben, wenn du einem alle heimlichen Händel deiner Frauen offenbaren wolltest?

[581] Urschel. Wenn du mir vier Groschen gäbest, so wollt ich dir sagen, daß sie auch bei unserm Schreiber schlafe. Aber wenn du mir nichts gibst, so sage ich dir auch nicht, daß sie zu Nachtszeit in Mannskleidern ausgehet.

Zipusia. Höre, ich will dir einen Taler geben.

Urschel. Nun, wenn du mir den Taler gibst, so will ich dir darnach offenbaren, daß sie den Bräuknecht hinter der Mauer liebhat.

Zipusia. Urschel, du bist auch nicht gar richtig um den Schnabel, gelt, du hast einen großen Leib?

Urschel. Wenn du mir etwas schenkest, so will ich dirs gestehen, aber sonst nicht.

Zipusia. Ich gebe dir nichts.

Urschel. Nun, so sage ich dirs auch nicht, daß es des Schulmeisters sein Jung getan hat.


Gleich als sie fortreden wollten, fielen die Wände ein, mußten also die Action für diesmal beschließen, und die Zuseher gingen mit großem Gelächter unter währender Musik davon.

6. Capitul. Philipp glossiert über die Action
VI. Capitul.
Philipp glossiert über die Action. Zwei Strauchdiebe bekommen auf dem Schloß zu Ocheim eine gesalzene Suppe.

Es machte sich ein jeder über diese drei Scenen, so kurz sie waren, dennoch seine eigene Auslegung. »Ihr Schelmen«, sprach Philipp zu uns, »habt die Sach klug genug ausgesonnen, nun höret, was ich von dieser Action halte.

Erstlich habt ihr durch die erste Scen zu verstehen geben, daß ein Verliebter zuweilen nicht recht bei Sinnen noch sein eigen sei, dahero er sogar auch denjenigen nicht bescheiden kann, der ihn um den rechten Weg fraget. Die andere Scen hat mich gelehret, daß man den Præcedenzstreit und die Hartnäckigkeit im Kopfe meiden soll, da man am Schneider und Weber genugsam spüren können, daß jeder Narr seine eigene Mücken hartnäckicht defendieret. Aus der dritten[582] Scen lernet man, daß den einfältigen Mägden nichts Heimliches zu vertrauen, weil sie solches, indem sie es am besten zu verschweigen meinen, am allermeisten eröffnen und ihre eigene Schande nicht decken können. Diese drei Hauptstück habe ich aus eurer Comœdie. Obs andere auch gefasset oder gemerket haben, wo ihr ausgewollet, gehet mich nicht an. Ihr habt die Wände mit Fleiß eingeworfen. Sonsten helfe nichts davor, die Kerl müßten nolentes volentes mit dem übrigen auch heraus. Aber vor diesmal genug, ein andersmal werdet ihrs länger machen.«

Andere hatten hiervon andere Gedanken, nachdem einer oder der andere von dergleichen Sachen zu judicieren gewohnet und geschickt war. Etliche meinten gar, sie wären dadurch geschimpft und aufgezogen, wie es gemeiniglich unter einer Zusammenkunft herzugehen pfleget, da immer einer will klüger als der andere sein. Aber allem Grund nach so hat der ehrliche Philipp das Beste daraus geklaubet, weil diese drei Scenen nicht zum Schimpf oder einem Affront der Zuschauer, denn darzu hatten wir keine Ursach, sondern zur Lehre aufgesetzet worden, die man durch eine kleine Kurzweil den Zuhörern beizubringen gesucht hat. Sonsten hätten wir leichtlich Materia finden wollen, auf dem Schlosse zu Ichtelhausen eine große Opera auszuarbeiten, weil es uns am Vornehmsten, nämlich an der Zeit, keinesweges gemangelt hat. Ja, es wäre um ein geringes zu tun gewesen, so hätten wir den ehrlichen Adrian Bleifuß mit seinem »Helft mir! Helft mir!« in die Action gebracht, welches er sich auf keinerlei Weis, so gelehrt er auch sein wollte, zu einer Injuria konnte ausgerechnet oder zugezogen haben.

In einer solchen Gestalt verlief sich das Beilager zu Ocheim, und Herr Dietrich erzählte uns, wie mit allernächstem etliches Frauenzimmer, über dem Gebirg wohnend, sich durch ihn in ebendieser Gestalt, wie er zu uns gekommen, überreden und durch seine Wahrsagung dahin persuadieren lassen, allerehestens, und zwar auf den Dritten des folgenden Monats, nacher Grundstett zu dem Wetterbilde zu reisen und daselbst ihre Fragen abzulegen. Durch dieses bekamen wir neue Gelegenheit, ihn wegen der Pferde zu fragen, welche [583] er allerehestens nacher Oberstein zu schicken versprach. »Für Haber und Heu«, sagte er, »begehre ich nichts, jedoch will ich, wie ihr nicht verargen könnet, für meine Mühe, euch klug zu machen, einen absonderlichen Recompens verhoffen. Aber dieses bitte ich, saget niemandem von der bewußten Sache wegen des Frauenzimmers. Es sind etliche darunter, welche, allem Ansehen nach, um ihre Liebste fragen werden. Darum so lasset es gut sein. Was sie mich fragen, das will ich merken. Denn das Rohr, so in die Mauer gemachet ist, geht durch einen Kanal bis hinter den Altar, und da höre ich alle Wort so deutlich, als ihr mich hier reden höret. Alsdann setzet euch aufs neue darüber, machet eine Comödie, gleichwie ihr heute getan. Ich will sie auf meinem Schlosse gastieren. Da werdet ihr sehen, was für einen Spaß wir genießen wollen.« Damit klopfte er mich und den Friderich, zu welchen er diese Worte geredet, auf die Achsel. Er sagte beinebens, daß er die Frau Philippin, welche auch darum wüßte, zu sich hinter das Bild wollte stehen lassen, damit sie daselbst gleich ihm alle Fragen verstehen und sehen könnte, daß alle Sachen aufs beste und lächerlichste zugehen.

Wir fragten ihn weiter, wer der kleine Kirchner sei und warum es unter den Ziegeln, auf welchen wir mit der Nase gelegen, so abscheulich gestunken; auch durch was für ein Werk das Bild die Augen so sehr hin und wider gedrehet und die Zunge ausgeschossen habe. »Ihr Herren,« sprach er, »ich stund dahinter. Die Augen sind meine Augen, und die Zunge ist meine Zunge gewesen. Unter die Ziegel legten wir ungearbeitete Bockhäute, und der kleine Mann ist mein Page gewesen, welchen ich zu diesem Werk ausgekleidet habe. Da ihr auf der Erde laget, drehete ich mich durch eine Abseitspforte aus der Kapell, zog die Uhr auf und eilete samt dem Page davon. Auf der Reise kam ich zur Frau Philippin, und dieser erzählete ich die ganze Geschicht, wie es zu Grundstett zugegangen, sonst hättet ihr mich gar für einen Dieb halten können, der euch, unter dem Schein eines Possens, die Pferde mausen wollen. So aber habe ich euch, unter dem Schein des Diebstahls, eine heilsame Lehre beigebracht, [584] daß man durch die Leichtgläubigkeit nicht allein in geistliches, sondern auch in weltliches Unglück falle. Damit nehmet fürlieb!«

Diese und dergleichen Reden trieben wir gar vergnüglich durch das ganze Abendessen. Mir aber war bei allen diesen angestellten Eitelkeiten, ob es wohl eine lächerliche Invention wäre, das Frauenzimmer bei dem Wetterbild wacker auszunehmen, dennoch nicht gar wohl, sondern wünschte mich vielmehr bei mir selbsten samt meiner Sophia, die dazumal große Zahnschmerzen fühlete, wieder heim in mein Schlößlein, daselbsten meinen neuen Einsiedler-Orden wieder anzufangen. Dannenhero fügte ich mich zu dem Pfarrer dieses Dorfes, der zwar nicht gar gelehrt, aber doch ein frommer und geistreicher Mann war, mit ihm bald von diesem, bald von jenem redend, und wie gar eine große Blindheit es sei, seine Tage in stetem Wohlleben zuzubringen, weil schwerlich zwei Himmelreich aufeinanderfolgen könnten.

Indem ich wegen des gestrigen Schwärmens noch aller schlaftrunken war, legte ich mich samt Philippen, ehe noch die Abendmahlzeit vollendet war, zu Bette, weil er gleichwie ich gestern zu weit in die gläserne Schriften gesehen hatte. Unsere Weiber aber schliefen in einer absonderlichen Kammer beisammen, weil seine Frau an dem Tanz ein Bein übersprungen und meine Sophia verstandenermaßen die Zahnschmerzen, welche unter allen Krankheiten fast die übelste ist, heftig fühlete.

Herr Friderich machte es nach unserem Abschied auch nicht lange, welches die Alte von Ocheim als seine Schwiegermutter gar gerne sah. Denn dadurch konnte sie ein ziemliches als an Brot, Wein, Bier und Lichter ersparen. So wurden auch durch unsern frühzeitigen Feierabend viel Gläser und Krüge ganz behalten, welche sonsten, wie bei dergleichen Gelegenheiten zu geschehen pfleget, trefflich hätten herhalten müssen. Der Advocat und etliche andere blieben etwas länger beisammen, teils im Brett, teils in der Karte spielend, unter welcher Action die Studenten allerlei Sonaten strichen, die uns trefflich eingeschläfert haben.

[585] Endlich erwachte ich plötzlich aus dem Schlaf und wußte nicht warum. Kurz darauf wurf jemand mit einem Stein wider das Kammerfenster, und allem Ansehen nach bin ich eben zuvor durch einen dergleichen Wurf ermuntert worden. Ich stund auf, zu sehen, was es bedeutete, und als ich das Fenster eröffnet, rufte ein Kerl: »Monsieur, wohnt nicht hier Herr Barthel auf der Heide?« Durch diese Frage dachte ich was Absonderliches zu erfischen, wurde dahero begierig zu hören, was es bedeuten sollte, und sprach: »Ja, er wohnt hier und liegt in dieser Kammer.« – »Ach, Monsieur!« sagte er wieder, »Er lasse mich ein, ich und mein Kamerad wissen sonst nicht, wo aus. Alsdann wollen wir mit mehrerem berichten, wie und wo wir den Advocaten angepacket und ihn weidlich gezauset haben.«

Diese Rede des Kerls war mir höchst angenehm, denn, wie ich leichtlich schließen konnte, so waren ebendieses diejenigen Strauchdiebe, welche den Advocaten Bleifuß, so sich dermalen hier zu Ocheim aufhielt, auf der Straßen angegriffen, dadurch er bewogen worden »Helft mir! Helft mir!« zu rufen. Oh, gedachte ich, ihr Narren! Ihr seid weit irrgegangen und kommt eben an den rechten Ort. Damit machte ich die Sache in aller geheim geschwind auf dem Schloß kundig, und wurden die zwei Bursche in der Finster zum Tor hereingelassen und in ein Zimmer geführet, aus welchem sie nicht leichtlich entspringen können. Es ist nicht zu beschreiben, wie der Advocat gepfnauset und für Zorn geschaumet, als er erfahren, was es mit diesen Leuten für eine Beschaffenheit hatte. Er suchte sich aus einem Holzstoß schon die allergrößten Prügel hervor, diese Schelmen abzuklopfen, wie sie es denn mehr als wohl verdienet hatten. Damit kleideten sich diejenigen an, welchen es eine sonderliche Herzensfreude war, wenn sie einen andern abklopfen und ihm das Wammes über den Buckel messen konnten.

Wilhelm, welchem damit ziemlich gedienet war und der auch dem Barthel auf der Heide trefflich nachreden konnte, machte sich im Dunkelen ins Zimmer und sprach zu ihnen: »Seid ihr diejenigen, so den Advocaten abgeprügelt haben?« – »Ja, Herr,« sprach der erste, »wir sinds und haben getan, [586] was Ihr uns geheißen.« Indem eröffnete er die Tür und sprach: »Gebt doch ein Licht herein!« Aber er tat es nur darum, auf daß unter diesem Rufen wir alle in Strümpfen heimlich hineinschleichen konnten. Darauf redete er weiter und sprach: »Wie hat sich der Schelm angestellet, als ihr ihn attrappieret, und wo habt ihr ihn angegriffen?« – »In ebendiesem Wald«, sagte einer unter ihnen, »haben wir ihm aufgepaßt, dahin uns Euer Gestreng beschieden haben; er kam auch endlich, und weil er zu Pferd war, hätten wir ihm, wo es die Nacht nicht verhindert hätte, das Ausreißen nicht verwehren können. Derohalben griffen wir ihn an, rissen ihn vom Pferd und hieben ihm eine Flenke da, die andere dort über den Buckel.« (Der Advocat, so auch mit in der Stube, wollte immer für Zorn zerspringen.) »Ist er denn«, fragte Wilhelm weiter, »so verzagt gewesen, daß er sich nicht gewehret hat?« – »Ha!« sagte der andere, »was wollte sich der Flegel gewehret haben, er bat uns immer um des Himmels willen, ihm das Leben zu schenken.«

Der Advocat konnte sich auf dieses Wort des Referentens nit länger enthalten, sondern rufte: »Es ist erlogen, ihr Hundsnasen! harret, ich will euch ...!« Mit diesem fiel ich ihm mit der Hand übers Maul, aber den fremden Burschen fing anders an zu träumen, weil ihnen die Sprach des Advocatens gar zu bekannt war. »Herr Barthel,« sprachen sie, »wer hat geredet?« – »Das werdet ihr bald sehen!« antwortete Herr Wilhelm und ließ darauf zwei große Lichter bringen und etliche Laquayen aufstehen, welche sich mit guten prügeln und Peitschen versehen sollten.

Diese Anordnung und Zubereitung verstörete die beiden Gesellen ganz aus ihrem Concept, und als sie ihres Irrtums gewahr worden, stelleten sie sich mit Gewalt auf den Sprung. Sie waren so verzweifelt keck, daß sie ihre Klingen, sich zur Wehre stellend, entblößten. Aber Philipp und andere, absonderlich aber der Advocat, schmissen ihnen solche nicht allein mit langen Prügeln bald aus den Fäusten, sondern sie noch darzu zur Erden. »Still!« sprach Herr Wilhelm, »lege keiner Hand an! – Ihr Kerl, wer hat euch gedinget, diesen Advocaten zu prügeln?« Sie antworteten nichts. Er sprach [587] weiter: »Ich frage euch noch einmal: Wer hat euch darzu bestellet?« Sie schwiegen aber einmal. »Ha, ha!« sagte er, »wollet ihr nichts sagen, so wollen wir prügeln!« Damit fiel einer mit den Händen, der andere mit einem Stecken, der dritte mit Pantoffeln zu und zerzauseten die beiden Kerl dergestalten, daß sie voll Schweiß und Blut in der Stube herumgaukelten und sich für großer Dummheit des Hauptes nicht in die Höhe heben konnten. Das Frauenzimmer, welches durch den Tumult erwecket, grausam erschrocken mutmaßend, als wären unsere Leute einander in die Haar geraten, kam halb nackicht und bloß zugelaufen. Herr Friderich selbst samt seiner Amalia erschien mit bloßem Raufdegen, als er aber der Sache Beschaffenheit verstanden, lachte er darzu und ging wieder zurück. Das mitleidige Weibsvolk aber brachte Balsam und Schlagwasser, den Geprügelten zu Hülfe zu kommen, und es war mir bei dieser Sache nicht gar wohl, weil es nicht viel anders aussah, als hätte der Advocat dem einen den Hirnschädel eingeschlagen.

7. Capitul. Dietrich wird mit etlichem Frauenzimmer
VII. Capitul.
Dietrich wird mit etlichem Frauenzimmer, welches er zu Grundstett bei dem Wetterbild betrügen wollen, selbst abscheulich ausgezahlt.

So pflegt es zu gehen, wenn man im Zorn seines Feindes mächtig wird. Man schloß sie darauf an zwei große Ketten, und das Frauenzimmer bemühete sich, uns durch ihre Tränen dahin zu vermögen, daß wir unsere Prügel hinweglegten. Der Advocat aber wollte noch immer mit einem Etcetera hinten dreinschlagen, welchen wir endlich bis zu fernerem Proceß befriedigten. Sie wurden beide in einen vermauerten Stall geworfen; und wir begaben uns insgesamt wieder zur Ruhe, damit dem löblichen Frauenzimmer keine fernere Ungelegenheit verursachet würde, und die Diebe ließen wir mit drei Bauren verwachen.

Des folgenden Morgens brachte mans heraus, daß sie zwei fahrende Handwerksbursche waren, die ungefähr auf der Straße an den Barthel auf der Heide getroffen. Dieser hatte [588] sie auf den Advocat zu passen befelchet, ihnen auch seine Person trefflich beschrieben und sie hernachmals um einen Recompens zu sich auf sein Schloß kommen heißen. Aber sie hatten sich so verwirrt, bis sie durch sonderliches Unglück allher geleitet worden. Der Advocat konnte sich nicht besinnen, in welch einem Casu er wider ihn gesündiget hätte, daß er aber wider seine Partei bei dem Gericht zu Ollingen bedienet wäre, wüßte er gar zu wohl, und aus allem Ansehen müßte es aus dieser Ursache geschehen sein. Weil aber Barthel auf der Heide für diesmal landflüchtig und gleichsam vogelfrei war, wollte er seine Güter durch Gerichtsverordnung zerstreuen und für seinen Schimpf einen absonderlichen Particul davon prætendieren. Zu Ende dessen nahm er die zwei Gesellen mit sich, und also schied er von dannen.

Kurz darauf zertrennte sich unsere Gesellschaft, und einer unter den vier Studenten lud uns zu seiner lateinischen Valediction in die Stadt, weil er willens war, mit ehestem auf eine Universität zu ziehen. Im Werk aber selbsten geschah es nur darum, daß er dadurch zugleich Gelegenheit hätte, ein Viaticum einzubetteln. Er traf es auch nicht übel, weil er fast in die dreißig Reichstaler, ohne dem Geld, welches er vor seine Hochzeitmusik eingenommen, zusammengebracht, welches einem so armen Teufel eine große Zubuße war. »Ja,« sagte Herren Philipps Præceptor, »ich weiß, wie einem armen Schelmen zumut ist, wenn er mit einem kleinen Beutel auf eine große Universität soll ziehen. Ich kann einem ein Lied davon singen und ein ganzes Buch von meinem eigenen Exempel aufschreiben, wie lazarinisch ich mich habe durchfressen müssen.« – »Es ist gut,« sagte Philipp, »der Sommer ist warm und die Zeit sehr hitzig; machet Euch, Herr Lorenz,« – so hieß der Student, – »unterwegens gefaßt. Übermorgen sind wir zu Oberstein, da gibt es Zeit und Weil genug, Eure Erzählung anzuhören.«

Also verließen wir alle zugleich das Schloß, und Amalia nahm mit vielen Tränen von ihrer Frau Mutter Abschied und bedankte sich zugleich mit einer beweglichen Dankrede für alle ihre mütterliche Wohltaten, derer sie von Kindesbeinen an von ihr genossen hatte. Hiermit fingen Mutter [589] und Tochter an zu weinen. »Ha!« sagte Wilhelm, »da muß auch eine Instrumental-Musik dabei sein!« Ergriff also von einem Spielmann eine Geige und fiedelte den Tanz: ›So muß ich mich nun scheiden, von dir, o Coridon!‹

Der Advocat wurde beschieden, den Ersten des folgenden Monats gewiß zu Oberstein zu erscheinen, von daraus wir nach dem ehrlichen Dietrich gehen und eine neue Comœdia ansehen wollten, welches er versprach und damit auf seinem Schimmel seinen lateinischen Galopp forthauderte. Wir ruften ihm alle, so lang wir ihn sahen, nach; und der geneigte Leser kann sich leicht einbilden, was es für Worte gewesen, nämlich: »Helft mir! Helft mir! Helft mir!« Die beiden Marodibrüder aber führte der Landknecht hinter ihm nach Ollingen.

Meine Frau hatte ich schon zwei Stunden voraus wieder heimgeschickt, weil ihre Zahnschmerzen je länger je mehr zugenommen; ich aber wendete mich mit Herren Philippen und dem Friderichen nacher Oberstein, und zerteilte sich also die ganze Compagnie in einem Augenblick. Unterwegens kehreten wir bald bei diesem, bald bei jenem vom Adel ein, welche zwar hierinnen mit Namen nicht genennet, aber doch unsere vortreffliche Freunde waren. Denn es reiseten nebenst uns dreien noch über zwanzig Personen in der Suite, welche, weil sie nur Hochzeitsgäste und sonsten wenig in unserer Gesellschaft waren, auch keine Haupthandlung dieser Histori ausgewirket, ist keiner deswegen genennet worden, weil man den Leser mit Aufzeichnung vieler Namen nicht hat gerne beschweren noch irrmachen wollen.

In dieser Heimreise liefen die langen Täge trefflich geschwinde, also daß die Zeit des Einzuges zu Ichtelhausen; nicht mehr ferne war. Dieser, ob er gleich von keiner sonderlichen Kostbarkeit gewesen, so brauchte er doch auch nicht viel Unkosten, und dorften deswegen die Untertanen nicht beschweret werden. Schoß man uns gleich keine Stücke los, so dorften wir doch auch kein Pulver kaufen. Drum hieß es billig: schlecht und recht, und Herr Friderich war in diesem Fall ganz meiner Meinung, weil er wenig oder gar nichts auf hohe Pracht, aber viel mehr auf eine stille und einsame [590] Ergetzlichkeit hielt, welcher wir öfter, nach seinem Versprechen, auf seinem Schlößlein genießen wollten. Denn es lag nicht allein hübsch abweges, sondern noch darzu bei einem frischen Fluß, welcher sich um viel und schöne Insuln schwenkte, auf welchen Friderich zum Teil sein Vieh, zum Teil schöne Lust- und Gartenhäuser gebauet hatte, auf welchen man sich in bevorstehender Gelegenheit hauptsächlich erlustieren konnte.

Also kamen wir in guter Vergnüglichkeit nach Oberstein, und waren nur noch zwei Tag zu dem Einzug zu Ichtelhausen vor der Tür. Deswegen unterredeten wir uns in der geheim ganz kurz, wie mans mit dem Dietrich und seinem Wetterbild wollte gehalten haben, damit er wacker ausgezahlet würde. Die Pferde hatte er seit unsers Ausseins schon wieder nacher Oberstein geschicket, und also war nichts übrig, als ihm eben einen solchen Possen zu reißen, wie er uns einen gerissen hat.

»Wir müssen«, sprach Philipp, »uns einen Tag eher als der Dietrich in das Dorf nach Grundstett verfügen. Ober seinem Stand wollen wir ein Loch durch das Kirchengewölbe machen, und da er beschäftiget ist samt meinem Weib, das vorwitzige Frauenzimmer zu betrügen, wollen wir ihnen ein Faß voll Wasser mit vermengten Handgranaten auf den Kopf gießen.« Dieser Ratschluß war überaus gut. Also verließen wir den ehrlichen Philipp zu Oberstein und reiseten miteinander nach Ichtelhausen, allwo ich Herrn Friderich seinen Untertanen aufs neue einstalliert und mich noch einen Tag bei ihm aufgehalten habe, nach welchem wir samt Philippen gar glücklich und geschwinde zu Grundstett angelanget.

Daselbsten schickten wir unsere Pferde wieder zurück in das nächste Dorf und machten uns ganz in der Stille, ohne jemands Vermerkung, mit einem großen Faß voll Wasser auf den Oberboden, welcher, weil er nur von Brettern war, gar leichtlich zu unserm Vorhaben taugte. Die Frau Philippin, welcher wir hinterlassen, daß wir uns in der Kirche hin und wider verstecken wollten, wußte nichts um unser Vornehmen, und weil sie uns zuvor so sehr ausgelachet und doch[591] nichtsdestoweniger kein Wort von dem Betrug eröffnet, mußte sie zur Strafe samt dem ehrlichen Bruder Dietrich wieder herhalten, so wenig sie sichs auch einbilden können.

Wir stunden schon daroben, mit aller Zurüstung bereitet, als Herr Dietrich mit der Frau Philippin ganz geheim hinter den Altar geschlichen kam. Auf solches kleidete sich sein arglistiger Page an und trat vor die Tür, das Frauenzimmer zu erwarten, welches, nachdem die zwei vorige Pistolschüsse gehöret worden, ankam. Damit ich aber hier, weil es daroben vergessen worden, etwas von der Bedeutung dieser Schüsse melde, so ist zu wissen, daß in einer Insul ein Laquay gelegen, welcher, wenn er einen Schuß getan und sich die Zureisende umgesehen haben, die andere Pistol nicht gelöset hat. Sahen sie sich aber nicht um, so schoß er auch die andere los, und durch dieses Zeichen konnte der Dietrich hinter dem Wetterbild schon wissen, ob sie sich umgesehen hätten oder nicht.

Der Küsterer, welcher indessen sein Bestes vor der Kirche getan, führte sie endlich herein, und gleichwie er uns, also unterrichtete er auch sie, welches ihnen trefflich zu Herzen gegangen. Damit ging er hinaus, und das Frauenzimmer breitete einen großen Teppicht auf, damit auf der roten Ziegelerde ihre Kleider nicht verderbet würden. Nichtsdestoweniger stank es doch abscheulich unter demselben, und ich möchte nichts liebers wissen, was sie sich doch müßten eingebildet haben. Es waren wohl ihrer funfzehen und lagen alle so still und unbeweglich in einer Reihe, daß es recht lächerlich zu sehen war.

Es ging diesen guten Schwestern nicht anders, als es uns Brüdern gegangen. Denn der Page rufte zu ebendem Fenster, wo ehedessen Dietrich hineingerufen, und sprach: »Sie sind fort! Sie sind fort!« Kurz darauf sprach er weiter: »O ihr Närrinnen! o ihr Närrinnen!« Damit war die halbe Stund aus, und fragte eine nach der andern durch das Rohr. Was sie nun fragten, das schrieb Dietrich in eine Schreibtafel, und die Frau Philippin sah indessen durch das Bild und steckte die Zunge so weit hinaus, als sie immer konnte. Als nun die erste gefragt hatte, rufte Dietrich hinter dem Altar: [592] »Es frage die andere auch, hernach die dritte und so fort, und gleichwie ihr fraget, also will ich euch in der Ordnung antworten, denn ihr habt euch auf dem Wege nicht umgesehen.« Also kam eine nach der andern, bis die Reihe aus war. »Nun«, sprach Dietrich, »will ich euch antworten.« Indem er nun das Maul in alle Höhe aufriß, gossen wir ihm und der Frau Philippin das Wasser auf die Köpfe und löseten zugleich zwei Pistolen hintereinander; davon keines gewußt hat, wo der nächste Weg zur Kirchen aus wäre. Die adeligen Jungfrauen eileten ingleichem, was sie konnten, zu der Tür und ruften allerseits um Hülfe und Beistand.

Die Frau Philippin sank für geschwindem Schrecken fast in eine Ohnmacht, und weil der erschrockene Dietrich sich nicht geschwind resolvieren konnte, sollte er hinten oder vornen hinauslaufen, gossen wir noch immer wacker nach, und weil in dem Wasser etliche Ziegeltrümmer waren, schlugen sie ihm viel Löcher in den Kopf. Der Page, welcher vor der Kirche mit den Pferden des Frauenzimmers noch immer auf seinen Herren gewartet, wußte nicht, wie es geschoren war, und wurde also der Betrug des Dietrichs auf ein mal offenbar und zuschanden. »Gelt, Bruder,« rufte Herr Philipp zu einem Dachfenster hinunter, »wir haben dich bezahlt?« – »Ihr Schelmen!« sagte er, »bin ich doch all mein Leben lang nicht so erschrocken!« Damit kamen wir herab und lachten zugleich das Frauenzimmer aus, daß sie sich so liederlich hätten verleiten lassen. Wenn sie aber gewußt hätten, wie es uns gegangen, dörften sie sich nicht so sehr geschämet haben, als sie dazumal getan. So dorfte auch niemand einen Diener mit sich bringen, und dannenhero hatte Dietrich gute Gelegenheit, die Pferde hinwegreiten zu lassen. Ich glaube auch, wenn diese Gelegenheit außer ihm einem liederlichen Vaganten oder Landbetrüger wäre bekannt gewesen, daß er manchen ehrlichen Mann unvermerkt um das Seinige würde gebracht haben. Denn was das Allerschlimmste war, so dorfte man zu seinem eigenen Schaden nichts sagen, sondern mußte ihn, so sehr es auch geschmerzet, wider seinen Willen im Herzen verbeißen, wollte man anders seine eigene Abgötterei nicht an Tag geben oder unter die Leute bringen.

8. Capitul. Wolffgang siehet auf dem Schloß ein Gespenst
[593] VIII. Capitul.
Wolffgang siehet auf dem Schloß ein Gespenst. Der Barthel auf der Heide bekommt vom Advocaten seinen Rest. Wolffgangs Vater und sein einziges Kind sterben auf einen Tag.

Es schlich sich immer eine nach der andern aus dem Freithof, bis sie endlich wieder zu Pferde saßen und ganz schamrot nicht die geringste Antwort zurücke ließen. Und obgleich aus ihren getanen Fragen eine hauptsächliche Action hätte können ausgearbeitet werden, konnten wir doch keine bewegen, daß sie uns auf Herren Dietrichs Schloß zuzusprechen versprochen und zugesaget hätte, weil sie leichtlich merken können, daß sie wegen dieses frevelhaften Beginnens abscheulich würden durch die Hechel gezogen werden. Doch gaben sie so viel gegen der Frau Philippin zu verstehen, daß sie an unserer Bescheidenheit keinesweges zweifelten, und dannenhero würden wir in dieser Sache nichts vornehmen, was zu ihrem Nachteil gereichen könnte. Deswegen habe ich auch diese Gesellschaft und keine aus derselben mit Namen oder ihrem Geschlechte genennet, weil ich vor mich selbst wohl so bescheiden bin, daß man zwar mit einem Frauenzimmer wohl scherzen, aber keine solche Streiche an den Tag bringen soll, welche ihnen an ihrem guten Namen schaden können.

Weil mich dazumal meine absonderliche Gedanken ergriffen, als nahm ich, nachdem unsere Pferde aus dem Dorfe hiehergebracht worden, meinen Weg auch unter die Füße und ritt mit meinem Laquay recta auf mein Schlößlein zu, als ich zuvor versprochen, allerehestens mich bei Herren Dietrich einzufinden. Also galoppierten wir durch den Staub, daß uns die Augen vergingen, und erlangten unser Heimat noch selbigen Abends, gleich als es Nacht wollte werden.

Ich fand meine Liebste wieder gesund, aber hingegen mein Kind ganz krank und matt, darüber ich mich recht von Herzen betrübte, also daß ich fast die ganze Nacht schlaflos zubrachte. Um Mitternacht fängt etwas an, nächst meinem Fenster zu rauschen, gleich als käme ein Mann in einem großen Pelz gegangen. Gleichwie nun die Nacht an sich [594] selbst Grauen verursachet, als schrecken dergleichen Zustände den Menschen viel mehr, als sonsten zu geschehen pfleget. Ich richtete mich, weilen ich allein lag, in dem Bett auf, konnte aber niemand in dem Zimmer sehen, so hell und klar auch meine Nachtlampe brannte. Legte mich demnach auf die andere Seite und dachte, es wären nur bloße Phantasien, welche einen betrübten Menschen leichtlich auf eine falsche Meinung verleiten könnten. Kurz darauf klopfte es an der Stubentür so ausführlich an, daß nichts Deutlichers hätte können gehöret werden. Ich dachte, es wäre vielleicht der Laquay oder eine Magd, die mich wegen großer Krankheit des Kindes aufweckten, und fragte: »Wer da?« Aber es wollte sich nichts melden, viel weniger eine Antwort geben. Darauf schmiß es, gleichwie man mit einer Spießrute schläget, dreimal auf das Gemäl meines Vaters, welches ich in diesem Zimmer auf der Türrahme stehen hatte, so deutlich und ausführlich, daß ich den Staub davongehen sah.

Dieses Spectacul, wie leichtlich zu erachten, jagte mir eine große Furcht ein. Ich sprang aus dem Bette, eilete in meinen Nachtpelz und hatte doch das Herz nicht, zu der Tür hinauszugehen, wo es zuvor angeklopfet hatte. Eröffnete demnach ein Fenster, und als ich mich an demselben meiner Angst entledigen wollte, kam mir auf einem Baum, welcher ziemlich nahe stund, ein helles Licht zu Gesichte, und unter dem Baum stund ein Weibsbild, ganz weiß eingeschleiert, welches sich von unten bis oben so hoch und lang vergrößerte, bis sie das Licht auf dem Gipfel des Baumes ausgeblasen und mir zugleich vor Augen verschwunden.

Ich schlug das Fenster wieder zu und läutete durch ein Glöcklein meinem Diener, der ganz erblaßt zu mir kam, weil er gleichwie ich eine weiße Frau in dem innersten Hofe gesehen, die sich über das Dach herein gelassen hätte. Aus dieser Relation des Dieners wie auch aus dem, was ich gesehen hatte, konnte ich mir keinen guten Morgen verkündigen, sondern fing schon an, an dem Aufkommen meines kleinen Kindes, welches ich so sehr liebhatte, zu zweifeln, wie es denn auch mit meiner unbeschreiblichen Herzensangst gestorben ist.

[595] »Es ist«, sagte ich zu dem Diener, »in diesem Schlosse etwas Ungewöhnliches und also kein gutes Omen; bringe dein Bett herein und schlafe die übrige Zeit, bis es Tag wird, bei mir.« Hiermit ging ich hinunter und sah das Kind, welches in großer Hitze darnieder lag, noch zu guter Letze mit nassen Augen an, und war mir leid, daß ich es nur eine so kurze Zeit solle gesehen haben. Aus großem Schmerzen ging ich wieder zurücke und brachte dieselbe Nacht in steter Kümmernis hin. Da fing ich aufs neue an zu betrachten, was die Ewigkeit wäre und wie schrecklich sie demjenigen sein müsse, der sich in derselben keines Trostes zu erfreuen, sondern immer mehr und mehr Betrübnis zu fürchten hätte.

Der anbrechende Morgen war mir angenehmer als viel Schätze der Welt, und als ich mich kaum angekleidet, entstund vor meinem Schlosse ein großes Geschrei. Ich sah hinunter, und es war der Advocat und Barthel auf der Heide in Person mit ihren Degen übereinander und fochten so blutbegierig zusammen, daß ich einen schlechten Ausgang urteilen konnte. Die Gebühr und mein Hausrecht ließ nicht anders zu, die Duellanten von meinem Platz abzuschaffen. Darum eilete ich mit meinem Hirschfänger hinunter, entweder Friede zu machen oder sie von dem Platze abzutreiben. Ich war aber noch nicht über dem Hofe, als der Advocat den mehr als unglückseligen Barthel mit seinem Degen bis aufs Gesäße durch und durch gestoßen. Ich mußte also den Entleibten in seinem eigenen Blute ersticken sehen und noch viel Lästerwort reden hören, unter welchen er seinen unruhigen Geist aufgegeben. »Ach, Freund,« sprach ich zu dem Advocaten, »was hat Er getan?« – »Ich habe«, antwortete er, »getan, was er mir hat tun wollen. Er ist sich selbst einen weiten Weg zum Grabe gegangen, indem er mich auf vier Meil Weges verfolget und mein Pferd unter mir auf offener Straßen totgeschossen. Nun liegt der ehrliche Vogel hier ausgestrecket; wie er gewollt hat, so ist ihm geschehen. Ich bin ihm weiter als zwei gute Feldweges immer ausgewichen, glaubend, er würde sein schreckliches Fluchen und Rasen bleiben lassen. Nichtsdestoweniger verfolgte er mich bis hieher, [596] allwo ich für Müd- und Mattigkeit nicht mehr anders gekonnt, als mich auf das äußerste zu wehren.«

Hierauf nahm ich ihn als Zeuge seiner Handlung zu mir in meinen Schutz, und wir waren kaum in das Schloß hinein, als schon etliche Gesellen des Barthels mit bloßen Dolchen gelaufen kamen und, als sie ihren Rädelführer tot sahen, etliche Puffer in die Fenster schossen. Ich aber antwortete ihnen mit meinen gut gezogenen Röhren dergestalten, daß ihrer zwei auf dem Platze liegenblieben und ihrem Haupte sowohl im Tod als Leben Gesellschaft leisten mußten. Die übrigen drei verfolgte ich mit zweien Pferden und kriegte noch einen unter diesen, welcher dergestalten zerhauen und zerfetzet worden, daß ihm schwerlich ein Zahn mehr wird wehe tun. Also legte ich das Gespenst viel mehr auf diese Begebenheit als auf mein totes Kind aus und war zugleich froh, daß der berufene Barthel auf der Heide, von welchem wir alle so große Überlast in dem Lande gehabt, nunmehr seinen Rest bekommen, ob ich schon gewünschet, daß er vor seinem Tod noch zur Erkenntnis seiner Missetat gelangen und noch wahre Buße hätte tun können. Denn es war abscheulich, wie in großem Zorn und vollem Grimm er dahingefahren, da er ohne Zweifel aus einem kalten in ein warmes Bad geplumpset, daraus er sich mit seinen tausendfältigen Practiquen nicht mehr wird los und ledig machen können.

War demnach voller trauriger und betrübter Gedanken, die bei einem solchen Zustand nicht ausbleiben können. O Wolffgang, gedachte ich, du stürzest dich von einem Unglück in das andere, dein guter Geist hat dirs neulich eingegeben, dein voriges Leben in dem Turm wieder anzufangen; und es hat dir geschwant, was für eine Verantwortung du über deinen Hals ziehen wirst. Vielleicht sind diese Bösewichte in ihrer Unbußfertigkeit gestorben! Hättest du sie nicht anders als mit der äußersten Schärfe bezwingen können? Aber nein! Es hat so sein müssen. Wie man in den Wald rufet, so lautet das Echo. Wer trüb einschenket, muß trüb austrinken; man muß eine Schärfe gebrauchen, wer könnte sonst dem Landfrieden trauen? Ich liege auf der Einöde und würde durch meine Gelindigkeit nicht sowohl das Übel von mir [597] abtreiben als mir solches vielmehr zuziehen. Dieses billigte der Advocat durch viele Articul der Rechten, und also machte er mir und meiner Sophia das Herz wieder in etwas leichter, weil sie trefflich gewissenhaft war und sich über der allergeringsten Sache einen schweren Zweifel machte.

Ich schickte einen Knecht mit dem Bericht, welchen der Advocat umständlich concipierte, in die Stadt nach Ollingen, daß er solchen daselbst dem Gericht überlieferte und auf Antwort wartete, was mit den toten Körpern sollte vorgenommen werden. Indessen blieb der Advocat mit gutem Mut bei dem Mittagmahl in meinem Hause und ließ sich wegen der vorübergegangenen Schlägerei im geringsten nichts anfechten.

Als wir nun über Tische saßen und noch immerzu von diesen Sachen redeten, kam ein Knecht von meinem Vater Alexander, welcher in seiner frommen Lebensart bis daher seine Tage zugebracht und sich heute morgens, als er in seine Kapelle gehen wollen, über eine steinerne Treppen so sehr verletzet, daß er, allem Ansehen nach, bald sterben würde. Es schien dazumal, als hätte das Unglück zusammen geschworen, mich auf einmal zu betrüben. Derohalben machte ich mich fertig, geschwinde dahin zu eilen, und befahl indessen dem Advocaten, zu allen diesen Sachen im Namen meiner gute Anstalt zu machen, derer er vom Gericht würde Befelch erhalten. Also ritt ich, so geschwind es sein konnte, in großem Wind und Wetter gegen das Schlößlein meines Vaters, fand ihn aber schon tot; wie er sich denn auch gleich tot gefallen, der Bot mir aber, meinen Schrecken zu hinterhalten, eine andere Post gebracht hatte. Dieser Zustand schlug mir um so viel mehr zu Herzen, weil ich, noch ingedenk der vorigen Begebenheit, mich je länger je mehr peinigte und nunmehr die Art ganz vergessen hatte, durch welche ich mich sonsten nicht leichtlich etwas habe anfechten lassen. Ich ordnete hierauf, weil es ja nicht anders sein konnte, fleißig an und nahm von dem Verwalter einen Eid an, daß er sich, wie seinem Amt zuständig wäre, in allem treu, gehorsam und aufsichtig solle erzeigen und als ein aufrichtiger Diener finden lassen.

[598] Alle Kästen und Gewölber wie auch Keller und Speiskammern versiegelte ich. Damit aber das Gesind sich keiner Filzigkeit zu beklagen hatte, mußte der Verwalter indessen auslegen, bis ich mit ehestem wieder würde zurückgekommen sein. Also ritt ich mit vielen Tränen wiederum davon und mußte erfahren, wie wehe es tue, wenn man seine Eltern und Kinder in einem Tage zugleich verloren hat.

Der abgeschickte Knecht brachte von Ollingen Befelch, daß man die Totenkörper so lange liegen ließe, bis sie von dem Henker würden aufgehoben und an den gewöhnlichen Ort begraben werden. So blieb die Sache dermalen anstehen, und der Advocat wurde vor das Gericht citiert, daselbst mündliche Relation seines Duells abzustatten, dazu er gar willig und bereit war. Er nahm noch selbigen Abends Abschied, sich morgen vor der Gerichtsstube zu stellen. Ich aber sah die Auslegung meines gesehenen Gespenstes mehr als klar vor Augen. Die Streiche, welche an meines seligen Vaters Bildnis geschehen, gingen mir, sooft ich daran gedachte, noch durchs Herz; aber mein Weib tröstete mich in meinem höchsten Betrübnis, ob sie schon, gleichwie ich, nicht ohne Kummer und Schmerzen war. Ich gab mich endlich zufrieden und erquickte meinen Geist durch Lesung lustiger Schriften, weil es sich ja nicht anders machen, viel weniger das Geschehene wieder zurückbringen ließ. »Wohl an!« sagte ich, »wer in der Welt lebt, muß die weltliche Zustände ertragen; man kann nicht immer lachen, man kann auch nicht immer weinen. Wolffgang, werde wieder ein Eremit, so wird sich das andere alles finden.«

9. Capitul. Der Schreiber von Ichtelhausen kommt unrecht an
IX. Capitul.
Der Schreiber von Ichtelhausen kommt unrecht an, verirrt sich das zweite Mal. Alexander wird begraben. Der betrübte Wolffgang wird von Philippen und Dietrich wunderlich getröstet.

Folgenden Tages eilete ich mit meinem Knecht Wastel wieder auf das Gut meines seligen Vaters, allwo wir die Leiche bestellet und den Begräbnistag angesetzet haben. Indem ich [599] also beschäftiget war, kam ein junger Kerl vor das Haus und foderte eine Wegzehrung. Sein Gesicht sollt mir bekannt sein, weil ich aber schwarz ging, kannte er mich nicht. »Seid Ihr nicht der Schreiber,« sagte ich zu ihm, »der zu Ichtelhausen gedienet?« – »Ja,« sagte er und wurde zugleich blutrot, »ich bins, wie kennen mich Euer Gestreng?« – »Ich kenne Euch wohl,« sagte ich, »habt Ihr Euer Buch schon abgeschrieben?« Als ich dieses geredet, nahm er seinen Kopf zwischen die Ohren und lief, was er konnt und mochte. Aus diesem sah ich wohl, daß er heimlich davongelaufen und das Schloß Ichtelhausen stehen hat lassen, wo es gestanden ist; und weil ich für großer Trauer nicht viel um seine Zustände besorget war, ging ich diesen Geschäften nach, um welcher willen ich allher gekommen.

Da nun alles verrichtet war, ritt ich wieder heim, und Wastel hatte seiner alten Weise noch nicht vergessen, weil er wohl wußte, daß mich seine närrische Reden und Erzählungen öfters ergetzet haben. Aber ich mußte lachen, daß er für großem Wind und häufigem Staub kaum das Maul auftun können; und dannenhero vernahm ich das zehente Wort nicht, was er sagte, weil ihm ein Kotklumpen um den andern ins Maul fuhr.

Nach meiner Heimkunft in das Schloß traf ich ebendenjenigen Schreiber in der Hofstube an, der kurz zuvor auf dem andern Hause bei mir um eine Wegzehrung gebettelt hat. Er erschrak für mir hier so sehr, ja noch mehr als dorten, und wo ich nicht vor der Tür gestanden, hätte er ohne allen Zweifel seine Fechtsprünge wieder zum Hofe hinaus gemachet. Mein Weib hatte ihn indessen hiehergehen heißen und, weil er Schreiberdienste gesuchet, bis auf meine Ankunft vertröstet. »Ihr dörft Euch nicht fürchten,« sagte ich, »ob ich gleich weiß, wer Ihr seid oder von wannen Ihr kommet. Die Straf ist vor Euch zu Ichtelhausen etwas zu stark gewesen; wo Euch Euer Fehler leid ist und Ihr fleißig schreiben wollet, so könnt Ihr wohl bei mir bleiben und diesen Sommer Euer Stücklein Brot essen.«

»Es wäre mir überaus lieb, gestrenger Herr,« sprach der Schreiber, »wenn ich einen so guten Herren haben könnte.

[600] Ich weiß es am besten, wie es mir bis daher zu Ichtelhausen gegangen hat. Ich habe schreiben müssen, daß mir die Nägel hätten erschwarzen mögen, und habe doch kaum genug dafür zu essen bekommen. So für haushältig man den Verwalter hält, so weiß ichs doch nicht allein, sondern auch das ganze Schloßgesind, daß er nichts oder wenig erwirbet, sondern alles ergeizet und an den Leuten abhungert. Ich habe an dem Auseisen fast meine Haut von den Händen gearbeitet, bin wie ein Stockfisch geprügelt worden, mußte Tag und Nacht in dem Loche stecken und sollte noch einen Folianten von einem Riß Papier abschreiben! Herr, man lasse meinen Frevel vor Gericht ausfechten, ob sie mir eine so harte und langweilige Strafe auflegen können! So hab ich mich demnach eines anderen besonnen und sagte, ich wollte Dinten sieden. Der Verwalter trauete mir nicht, sondern ging mit mir in die Küche, von dar wollte er mich, wie er sagte, wieder zurückführen und in meiner Kammer versperren. Weil nun niemand Sonderlichs zugegen war, sott ich meine Dinte, und als sie ziemlich heiß war, goß ichs dem Narren mit allen Kräften in die Fressen hinein, bin also davon- und zum Schlosse hinausgelaufen.«

Dieser Abschied, gleichwie er kurz und wohl resolvieret worden, also war er sehr kurzweilig und lächerlich anzuhören. »Ich muß gestehen,« sagte ich zu ihm, »daß Euch der Verwalter mit seinem getanen Vorschlag zu viel Arbeit auf den Hals geladen. Aber Ihr sehet genugsam, wie es geht. Wer sich jetziger Zeit nicht rechtschaffen herumtun kann, der muß sich allenthalben treten lassen. Ihr habt ihms auch grob gemachet, und wenn Ihr die Häßlichkeit der Verleumdung und heimlichen Nachrede erblicken sollet, so würdet Ihr gestehen müssen, daß alle diese Euch auferlegte Strafen viel zuwenig und gering gewesen. Hiermit kommet mit mir und schreibet etliche Briefe. Die Sache, so Ihr zu Ichtelhausen begangen, will ich schon wieder auf einen guten Weg bringen.« Solchergestalten führte ich ihn in meine Stube und dictierte ihm das Concept, nach welchem alle Totenschreiben mußten eingerichtet werden.

Er arbeitete so fleißig, daß er noch selbigen Abends bis auf [601] zwei fertig wurde. Folgenden Morgens verfertigte er auch diese; und also wurde ein Bot da-, der andere dorthin geschickt, meine gute Befreundte und Bekannten zum Begräbnis einzuladen. Inzwischen kleidete ich alle Diener in die Trauer, dabei sich der Schneider ohne allen Zweifel einen a parte- Trauermantel zugeschnitten hat. Und was soll ich mich lang in Beschreibung desjenigen aufhalten, welches ein der größten Verdruß ist? Ich renoviere durch Erwähnung der vergangenen Begebenheiten nur meine gehabte Schmerzen und bin gleich einem Kind, welches den Finger ins Feuer hält und sich selbst dadurch verletzet. Ich habe in diesem ganzen Buch nicht so viel Tropfen Dinte verschrieben, als viel Tränen ich dazumal um meinen lieben Vater vergossen habe, so wenig mir auch meine Freunde und absonderlich Bruder Philipp glauben wollen, daß es mir von Herzen gehe. Solches zu sehen, will ich allein zwei Briefe, als nämlich vom Philipp und dem Dietrich, anher setzen, welche sie mir auf meinen schmerzlichen Advis-Brief zurückgeschicket und geantwortet haben.


›Geehrter Herr Bruder etc.


Es muß Dir schrecklich im Herzen gepufft haben, als Du verstanden, welchergestalten Dein alter Vater die Treppe hinuntergepoltert ist. Und allem Ansehen nach werden Dir die Augen ziemlich rot aussehen, weil Dir ein solches Stäublein darein gefallen. Du wirst bei der Leichprocession lassen singen das Sterblied, Herzlich tut mich verlangen', und im Herzen wirst Du gedenken: 'das Geldlein zu empfangen.' O Du bist ein Tausendschelm! Wer Dich nicht kennete, der kaufte Dich für eine Pomeranze. Daß es dem Advocaten so wunderlich geglücket, wird er ohne allen Zweifel in seinen Calender schreiben, denn er notiert wohl schlechtere Sachen, auch sogar, wenn er die Schuh flicken lässet. Wie ich aus Deinem Brief sehe, so hast Du einen scharfen Scharmützel gehabt, Du hast billig und wohl getan. Wenn es Dir ja wider Verhoffen leid wäre, daß Dein lieber Vater tot ist, so condoliere ich hiermit, wie bräuchlich ist. Bei der Procession werde am bestimmten Tag zu gewöhnlicher Stunde inzeiten [602] erscheinen; kaufe indessen eine saubere Rolle Tobak. Ich will recht schöne und perfecte Pfeifen mit mir bringen. Vale!


Dieses Concept, wie es von Wort zu Wort hier anzutreffen ist, war Philipps von Oberstein, welcher das Glück hatte, sich in die allerbetrübtesten Sachen überaus wohl zu begreifen. Das folgende ist von Dietrich. Es hieß aber also:


›Edler etc. vielgeehrter und trauriger Freund etc.


Ob du so sehr erschrocken seiest, wie Dir die Post wegen Deines toten Vaters gebracht worden, als ich, da Du mir ein Faß voll Wasser hinter dem Wetterbild auf den Leib gegossen, daran zweifle ich. Dein Herz wird nach seinem Geld und vollen Kästen geseufzet haben, gleichwie ich dazumal nach einer wohl eingeheizten Stube. Wenn Dirs ja leid ist, so denke, daß Du es bei dem Wetterbild zu Grundstett wohl verdienet hast. Lasse Dir bei der Frau Philippin Dein Trauerhemd nähen, sie wird Dir Pferde- und Kamelhaar hineinflicken, daß du wacker, gleichwie ihr Mann im Walde, gekitzelt wirst. Meines Orts trage ich mit Dir gleiches Leid, und ich bin viel mehr als Du betrübt, weil mir kein so reicher Vater wie Dir gestorben ist. Was den Advocaten Bleifuß anbelanget, hat er von Glück zu sagen. Ich weiß, was sonsten Barthel für ein Fechter gewesen. Du hast Dich wegen Deiner getanen Gegenwehr nichts als alles Guten zu versehen. Bei dem Conduct wirst Du schon mit hübschen Austern und einem stattlichen Trunk Wein in Bereitschaft stehen. Wem ein solcher Brocken in die Küchen fället, kann schon einen fetten Braten an den Spieß stecken. Um bestimmte Zeit will ich mich gewiß einfinden und eine Trapelierkarte mit mir bringen. Lebe wohl und grüße mir Deine Hausfrau!‹


Diese zwei hatten bei erwähntem Zustand die allerweltlichsten Gedanken, die andern aber antworteten, wie es der gemeine Land-Stylus oder auch dieser und jener gedruckte Autor mit sich brachte. Darum ist es unnötig, viel davon aufzusetzen, sondern viel besser, daß man hierinnen jedem seinen eigenen Willen vor sich selbst lasse, weil nicht einem jeden gegeben ist, einen Brief oder sonderliches Concept [603] aufzusetzen. Darum wäre es auch eine Torheit, in diesem Stücke große Argutien darüber anzuführen und diejenigen auszufilzen, die es nicht können; denn: kann doch kein Mensch alles. So gern ichs nun habe, daß mich einer auslachet, weil ich nicht Spanisch kann, so gern sieht es ein anderer, wenn man ihn auslachet, daß er kein Concept aufsetzen kann. Und diejenigen, so andere am allermeisten durchziehen, sind gemeiniglich selbsten die Allerlasterhaftigsten. Warum lachest du über deinen Nächsten, daß er nichts kann? Sei du froh, daß du es kannst. Ein Soldat, der eine Beute raubt und diesen auslachet, der keine hat, wird oft von demselben angegriffen und um das gebracht, was er geraubet hat. Doch ist dieses das allerschlimmste Übel, daß der, so nichts kann, ausgelachet, und der, so mehr als wir kann, geneidet wird.

Ich will, weil in einem Trauerhaus wenig Kurzweil gefunden wird, meine Feder bald auf eine fröhlichere Materia führen, wenn ich allhier nur mit wenigem beschrieben und den geneigten Leser mit drei Worten berichtet habe, daß die Leichceremonie nach allem Wunsch und Verlangen glücklich vonstatten gangen. Nach solchem ritten wir in mein Schlößlein, allwo die Zimmer mit schwarzem Tuche überzogen und an demselben etliche Emblemata aufgehangen waren, an welchen sich diejenigen ergetzten, die etwas mehrers in der Schul als die gemeine Auswürfling getan hatten. Solche Emblemata machte mir der ehrliche Lorenz, Herren Philipps Præceptor zu Oberstein, welcher sonst ein guter Criticus war, nur daß er alle Vexier- und Scherzreden für die allergrößte Injurien und Calumnien zu halten pflegte.

Solche, weil ich sie nicht allein in mein Tagebuch einzeichnen, sondern noch darzu illuminieren lassen, will ich hier, auf daß der begierige Leser davon einen kleinen Nachricht haben möge, gar mit kurzen und eingezogenen Umständen entwerfen. Auf dem ersten Blatt war gemalet ein großer Haufen übereinanderliegenden Totenbein. Vor ihnen stund eine starke Vestung auf einem hohen Berg. Unter den Beinen die Wort: Nil possumus, das ist: Wir können nichts tun, unsere Kräften sind wie ein Stäublein. Dadurch wollte er zu [604] verstehen geben die Nichtigkeit des Menschen, welcher sich hohe Türm zu übersteigen einbildete und endlich bei diesen Totenknochen erst das Nil possumus lernen müßte.

In dem andern war ein Schnitter mit einer großen Sense gemalen, welcher Korn abschnitt, mit dieser Obschrift: Nec una remanebit: Es wird auch nicht ein einziges Hälmlein überbleiben. Aus welchem der Verstand von sich selbst leichtlich floß, daß es uns allen dermaleins gelten würde.

In dem dritten lagen drei Totenköpfe nebeneinander, darunter stund: Monstra Regem? Welcher ist unter diesen der König gewesen?

In dem vierten stunden zwölf Lichter, immer eines kürzer als das andere. Der Tod aber blies sie von oben bis unten zugleich aus, mit der Obschrift: Deleo cuncta: Ich lösche alles aus. Andere waren noch anders ersonnen; weil aber Herr Lorenz etliche, nach seinem eigenen Bekenntnis, aus unterschiedlichen Büchern gestohlen, bin ich nicht willens, solche Sachen hier für neu auszugeben, an welchen allgemach hundert Federn stumpf sind geschrieben worden.

10. Capitul. Der alte Krachwedel kommt vors Schloß
X. Capitul.
Der alte Krachwedel kommt vors Schloß, erzählet seinen Zustand und wie lausig es im ersten Scharmützel abgelaufen.

Im menschlichen Leben, wie der gelehrte und sinnreiche de la Serre saget, ist nichts verdrüßlicher als das Leben selbst. Wie wahr dieser Sentenz sei, probieren alle unsere Zustände und die häufige Eitelkeiten, derer wir in diesem mühsamen Leben schwerlich entbehren können. Mich anbelangend habe ich dazumal tausendmal gewünschet, bei meinem Vater und lieben Kinde im Grabe zu liegen, als dieses unglückliche Rund noch länger mit so großer Leibes- und Seelengefahr zu betreten. Dahero war das Seufzen mein einiger Trost, außer welchem mich sonst nichts erquicken konnte. Denn was heißt es anders, ein Mensch sein, als alles Unglück zum steten Begleiter haben? Was ist der Mensch anders als ein geringer Ball, welcher von jedem spielenden Wind bald [605] da-, bald dorthin geworfen und verworfen wird. Heute überfället uns eine traurige Post, morgen Gefahr, übermorgen Krankheit, und also bringet ein jeder Tag, nach den heiligen Worten, seine eigene Plage mit sich. Wir lassen uns in der Welt stets quälen und werden von dem Verlangen, reich und groß zu werden, stündlich gemartert und gepeiniget. Aber um die wahre und ewige Ruhe sehen wir uns nicht einen Augenblick um, gleich als wären wir dummes Vieh, das nach diesem kein anders Leben zu hoffen hat.

Alle diese Gedanken machten mich, unerachtet eine große und kurzweilige Gesellschaft beisammen war, trefflich melancholisch, also daß ich unter währendem Leichenschmaus meistens mit den Geistlichen conversieret, welche aus einem Kloster, die Exequien zu vollziehen, berufen worden. Nichtsdestoweniger hatten Philipp, Dietrich, Wilhelm und die andere ihren sonderlichen Spaß vor sich, indem sie bald da, bald dorten ein Gelächter angerichtet und auf die Gegenwart der beiden Religiosen wenige Acht gegeben haben.

Auf daß meine Grillen nun nicht zu tief einwurzelten, zündete man nach vollendetem Essen eine Pfeife Tobak an, bei welchem ein ziemlicher Teil meiner verdrüßlichen Gedanken mit dem Tobaksrauch in die Luft aufgeflogen. Unter solchem Zeitvertreib wurde eine kurzweilige Histori nach der andern auf die Bahn gebracht und absonderlich von des Barthels auf der Heide seinem Leben erzählet, wie arglistig er in allen seinen Handlungen gewesen. Der Advocat war vor diesmal mit unter der Gesellschaft, und weil er wider ihn vor Gerichte gedienet, wußte er die Haupt-Causen viel mehr als keiner unter uns. »Er hat sich«, sprach der Advocat, »oft als ein Bettler, oft als ein Schüler und oft als ein verdorbener Organist angekleidet, ist mit Brotsäcken, Büchern und Instrumenten bald in diesen, bald in jenen Edelhof geschlichen, daselbsten alle Gelegenheiten auszuspeculieren, wie er mit seiner Gesellschaft einbrechen, stehlen oder sonst einen Unrat anrichten könnte. Was sie auf den Dörfern oder Schlössern gemauset, haben sie auf einen hohen Kirchturm getragen, auf welchem sie den hin und wider Reisenden aufgepasset und großen Schaden getan haben. Sie waren so [606] listig, daß gemeiniglich ihrer drei sich in lange Capuzinerröcke verkleideten. Wenn nun jemand auf der Straßen geritten oder gegangen kam, eileten sie vor die Kirche, baten um ein Almosen und gaben vor, daß in dieser Kapelle ein Miraculbild anzutreffen wäre, dergleichen noch nie an keinem Ort des Teutschlandes gesehen worden. Durch dieses lockten sie die Reisende an sich, und wenn solche in der Kirche hin und wider umguckten oder die Orgel betrachteten, so verstimmten die Vögel ihre Pfeifen, liefen zusammen und verschlossen die Türen. Also schnitten sie manchem ehrlichen Kerl den Kragen ab und wurfen ihn hernach in eine alte Gruft, wo weder Sonn noch Mond hinscheinen konnte.«

Ich erinnerte mich aus der Rede des Advocatens, daß uns bei Herren Wilhelmen, als wir seine Kapellen und den Altar mit der Amalien Bildnis betrachteten, eben ein dergleichen Vagant mit seinem Clavichordio aufgestoßen, welcher sich vor einen alten und vertriebenen Organisten oder Schulmeister von Weireck ausgegeben, hernach aber, als wir ihm genau auf die Kolbe gelauset und ihn wegen der Musik examinieren wollten, in der Flucht seinen grauen und angemachten Bart verloren, darum gaben wir auf die Erzählung des Advocats genauere Achtung, weil er alle Sachen mit sonderlicher Bescheidenheit vorzubringen wußte.

»Wer ihn«, sprach der Advocat weiter, »die Zeit seines Lebens einmal communicieren gesehen oder wer aufs wenigste nur weiß, daß er daran gedacht habe, dem will ich tausend Taler schuldig sein und von dato an verinteressieren. Auf den Almosenkasten in Kirchen hatte er unverwandte Augen, nicht, daß er etwas hineinlegen, sondern daß er durch sein mit Vogelleim geschmiertes Fischbein aus demselben die Pfennige herausfischen möchte. Ehe da wir noch Feinde zusammen waren, ritt ich einsmals mit ihm übers Gebirg. Vor der Kapelle, die an der hohen Spitze stehet, und da eine große Wallfahrt hin geschiehet, saß ein armer Mann, welcher mit seinem Hut gegen unsere Pferde gegangen kam, ein christliches Almosen zu fodern. Der Barthel sah schon, wieviel es geschlagen, und daß der Bettler über einen halben Taler [607] Pfennige und Kreuzer im Hut hatte, nahm ihm also solchen geschwind aus der Hand; und ich hatte genug zu tun, daß ich ihm mit dem Pferd den Wald hinein folgen konnte, weil uns viel Leute samt etlichen Bettlern an der Krucken nachgelaufen sind. Ich habe mich über ein Jahr, aus Furcht, angepacket zu werden, daselbst nicht dörfen blicken lassen, und weil ihn der Bettler, dem er das Geld gestohlen, einen Spitzbuben hieß, nagelte er den leeren Hut, als wir abends vor ein Hochgericht ritten, noch darzu an den Galgen.«

Dieses redete der Advocat von dem liederlichen Leben des nunmehr mehr als unglückseligen Barthels. Andere erzählten ein anders, aber lauter solche Stücklein, daraus man wohl abnehmen können, daß sein Leib mit einer ziemlichen Schelmenhaut überzogen gewesen. Und also verlief sich dazumal unsere Zusammenkunft, weil man aus einem solchen Convent keine große Fechtsprüng tun darf. Mir aber war nach Hinwegscheidung meiner guten Freunde nichts Angenehmers als die Einsamkeit, und wo ich nur einen Bettler oder sonsten einen landstreichenden Vaganten auf der Straße oder vor meinem Schlößlein sah, der mußte mir um ein gutes Trankgeld seinen Lebenslauf erzählen, dadurch ich mir, nebenst Anmerkung der besten Sachen, zugleich meine traurige Zeit trefflich vertrieben habe.

Einsmals, als ich ganz alleine saß und in dem Leben der alten Heiligen las, wie elend und mühselig sie auf dieser Erden ihr Leben zugebracht, auch in was großer Verfolgung und Betrübnis sie unter den Menschen herumgewandert, kam mir zugleich eine große Lust an, ihnen nachzuahmen, und ob ich mir gleich, ein großer Heiliger zu werden, nicht getrauete, noch viel weniger verlangte, daß mein Name dermaleins sollte in den Calender gesetzet werden, wollte ich nichtsdestoweniger so viel möglich mich aller Einfalt und Andacht befleißen, daß ich zum wenigsten ein sichers Gewissen davontragen und meine Seligkeit desto besser befördern könnte. Denn wenn ein frommes und gottseliges Leben keinen andern Lohn zu gewarten hätte, so wäre doch dieses überflüssig, ja mehr als genug, daß es gemeiniglich einen seligen Tod nach sich ziehet. Qualis vita, mors ita, sagten die Alten;[608] das ist: Wie das Leben, so ist gemeiniglich auch der Tod. Wie der Körper, so ist sein Schatten, wie der Anfang, so das End. Diese Gedanken unterhielten mich in großem Vergnügen, und ich las mit Lust und Wunder, wie in einer grausamen Wüsten der heilige St. Meinrad gelebet, welcher ehedessen am Bodensee und zu Zürch ein Mönch und sehr wegen seines heiligen Lebens bekannt gewesen.

Indem kommt ein alter Mann vor das Tor, der verlangte von dem Torwärter ein Almosen und gab sich zugleich aus vor einen alten Soldaten, der ehedessen unter den Kaiserlichen und anderen gedienet hätte. Dieses machte mich, wie mein Gebrauch war, begierig, seiner Erzählung absonderliche Audienz zu geben, rufte ihn derohalben zu mir und fragte ihn, woher er wäre und warum er sich anitzo so miserabel durchbringen müßte. »Ihr seid,« sagte ich, »wie ich höre, ehedessen unter dem berufenen Wallensteiner ein Soldat gewesen?« – »Ja,« sagte er, »Herr, ich bins gewesen, und warum es mir so übel gehet, ist teils mein Alter, allermeistens aber mein großes Unvermögen und Armut daran schuldig, und Euer Gestreng wissen wohl, wie es abgedankten und alten Soldaten zu gehen pfleget. Turpe senex miles, ein alter Soldat taugt weder zu sieden noch zu braten, und geht ihm wie dem Hund im Aesopo, welcher, nachdem er auf der Jagd seinen meisten Fleiß und Mühe angewendet, auch sich sonsten seinem Herren in allem treu erwiesen, endlich im hohen und unvermögenden Alter zum Puffer geschicket worden, allwo man ihm seine getreue Haut für seine geleistete Dienste über die Ohren abgezogen hat.«

Als ich hörte, daß diesem Alten das Maulleder noch so hurtig und geschliffen war, wies ich ihm einen Stuhl, daß er sich darauf setzte und mir mit seiner ferneren Erzählung die Zeit vertriebe, doch daß es ohne seine Ungelegenheit geschehe. »Es ist mir«, sagte er darauf, »ganz keine Ungelegenheit, sondern eine hohe Ehre und stattliches Wohlgefallen, daß ich nicht allein in Gesellschaft Euer Gestreng hier sitzen, sondern noch darzu von meiner heutigen Reise ein wenig ausruhen kann.

Der Baum, welcher keine Früchte tragen will, der gibt auch keine Blüte. Also macht ichs in meiner Jugend, indem ich [609] meinen Vater, welcher ein reicher Bauer in einem nächst gelegenen Dorfe gewesen, im sauren Schweiße auf dem Felde arbeiten lassen, da ich indessen in der Dorfschenke eines nach dem andern ausgestochen und meine Pfeife Tobak dazu geschmauchet habe. Ich dachte, mit Feiren würde man fett; aber ich sollte billig dabei gewußt haben, daß man auch dadurch ins Verderben gerate. Also gewohnte ich das Junkern-Handwerk beizeiten, und wenn meine Mutter dort und dar etwas einsammlete und einen guten Markttag mit ihren Käsen, Butter und Eiern gehabt, so konnte ichs in einer halben Stunde durch die Gurgel jagen, was sie kaum in vier Tagen mit großem Fleiß und Mühe gemolken und ausgebuttert hatte. Ich hängte mich an die allerliederlichsten Schlingel in dem ganzen Dorf und verzehrte mit denselben nicht allein viel Geld, sondern mußte oft darzu bald auf diesem, bald auf jenem Kirchmeßtag meinen Hut und Rock zum Unterpfand in dem Stiche lassen. Mit der Karte wußte ich besser umzuspringen als mit den abc-Blättern, und kannte den Pamphilius viel besser als unsern Altar in der Kirchen, weil ich auf diese Stunde nicht weiß, was oder welche Figur darauf gemalen war.

Aus diesem Luder geriet ich immer in ein größers, also daß ich zur Bauerarbeit nunmehr ganz keine Lust hatte. Ich lernete demnach das Schmiedehandwerk; und als die Lehrzeit herum war, freuete sich mein Meister viel mehr als ich, weil er meiner los konnte werden, indem ich ihm zeit meiner Lehr so viel und mannigfaltige Possen gerissen, daß ich unmöglich an alle gedenken kann. Nach diesen Lehrjahren wanderte ich nach Dresden und arbeitete daselbst vor dem Pirnischen Tore zwei Jahr, als gleich der Krieg im westfälischen Kreise anging. Von da aus war ich willens, mit noch einem meinesgleichens ins Reich hinauszuwandern und die Reichsstädte zu besehen, alsdann, wenn wir solches getan hätten, wollten wir gar in Österreich, Ungarn und Siebenbürgen hineinreisen, daß wir nicht unter den Burschen wie Maulaffen sitzen dörften, die von nichts als solchen Geschichten zu reden wissen, die sich hinter dem Ofen in der Bratröhre zugetragen haben.

[610] Demnach reiseten wir gen Erfurt im Thüringerland. Als wir aber nach Weimar kamen, gingen daselbst große Werbungen vor, und war fast kein Dorf, darinnen man nicht das Kalbfell rühren hörte. Man hat etliche Handwerksbursche mit Gewalt auf offener Straße angepacket und sie Dienste anzunehmen wider ihren Willen gezwungen. Ingleichem nahm man auch die Fronknechte und Salzkärrner hinweg, daß wir also nirgends wohl einkehren oder uns sonsten haben dörfen sehen lassen. Dennoch wollte es mit uns nicht hotten, sondern wurden von einem Corporal in einem Wald ertappet, welcher in der erst gar mit gelinden Worten an uns kam. Ich merkte wohl, auf was für eine Ziffer er seinen Zeiger stellen würde; darum ergaben wir uns im guten, und bekam der Mann drei Reichstaler nebenst der Mundierung auf die Hand. Also ward ich ein weimarischer Musquetierer und bekam täglich drei Groschen, solange ich in derselben Gegend im Quartier lag.

Dazumal war der Wallensteiner an der Weser sehr beschäftiget, darum kam der Fürst von Weimar dem Braunschweiger zu Hülf und schickte zwei schöne und wohlmundierte Regimenter an die Saale nach Bernburg. Von da aus gingen wir an der Seite gegen dem Harze und so fort bis an ein Städtlein, welches schon braunschweigisch war und Dernburg heißet. Unsere Obristen hatten von dem Fürsten von Braunschweig an die Stadt eigenen Befelch und geschriebene Briefe, daß sie uns einlassen sollten. Nichtsdestoweniger wiesen uns die Bürger spöttlich ab und gaben weder auf unsere Obristen noch auf den geschriebenen fürstlichen Befelch etwas, schossen auch endlich mit gezogenen Röhren von der Mauer und machten unser mehr als funfzehen Kerl zuschanden.

Dieser Frevel tat den Unsrigen, wie leichtlich zu erachten, sehr wehe. Die Obristen zogen sich wieder zurück und schickten allenthalben auf die Dörfer um Speck, welcher in dem Lande häufig und wohlfeil zu bekommen war. Als man dessen einen großen Korb voll angebracht, mußte solcher in gewisse Schnittlein, etwan einer Hand lang und breit, geschnitten und alsdann dicht aneinander an das Stadttor [611] genagelt werden, welches sehr stark mit eisernen Bänden und Schlössern versehen war. Nach solchem zündete man das Tor mit Schwefel und Pech an, und der angenagelte Speck schlug dergestalten in die Flamme, daß, unerachtet in dem darauf gebauten schönen Torhaus mit Bier und Wein von den Bürgern heruntergegossen worden, solche nichtsdestoweniger nicht hat können gedämpfet noch ausgelöschet werden. Durch dieses Speckfeuer wurden die Band mürb und zerrissen. Innenher war noch ein Tor, aber nicht halb so fest als dieses, jedennoch hatten die Bürger den Raum zwischen diesen beiden mit Wägen, Mist und Leitern ziemlich verbauet und befestiget, welches aber alles zugleich in die Flamm geraten ist. Durch dieses Mittel bemächtigten wir uns der Stadt mit Gewalt, und war unter der Bürgerschaft große Confusion, weil fast an allen Glocken Sturm ist geschlagen worden.

Es haben sich ihrer nicht wenig in die Kirche retiriert, und dieselbe hatten wir Befelch, allerdings zu verschonen und bei Verlust Leibs und Lebens nicht anzugreifen. Aber sonsten war alles in die Rapuse gegeben, und wer am meisten zugreifen konnte, der bekam auch das meiste. Die Kirche aber wurde mit einer Salvaquarda versehen, worinnen sich die Vornehmsten der Stadt aufgehalten haben. Ich war damals noch ein junger Gelbschnabel, der nicht gar übrig viel in der Welt gesehen hatte, darum riß ich Maul und Augen auf, wie rips und raps alles untereinander ging. Wie es andere Kameraden machten, so machte ichs auch und ließ die Waldvögelein für die Verantwortung sorgen. Da wurde keines Menschens verschonet, und wer nicht wollte niedergebüchset werden, der hatte zu tun, daß er sein Leben auf den Knien erbettelte.

Wo es uns in einem Hause nicht anstund, liefen wir in das andere, und geselleten sich immer sechs und sechse zusammen, welche sich in den Raub oder, daß ich als ein Soldat rede, in die Beute teileten. Als wir nun unsern Beutel aufs beste gespicket, sagte ein alter Tarnister, welcher vielleicht öfter als einmal dabeigewesen: ›Nun laufet hin, wo Weinkränze heraushängen, und saufet euch wacker voll!‹ Das [612] taten ich und mein Kamerad. Als wir aber vom Wein ganz eingenommen und uns weder auf gestern noch morgen besinnen konnten, verkaufte der alte Schelm das gestohlene Gut und sagte hernachmals, es wär ihm, als er gleichwie wir in einem Keller gesessen, gestohlen und gemauset worden. So liederlich kamen wir junge Bursche um die Beute und mußten uns von andern noch auslachen lassen darzu. Des andern Morgens steckten wir das Städtlein in Brand und zogen wieder ab, nachdem die Bürger und Inwohner sozusagen gleichsam im Hemde sitzend zurückgelassen worden. Das hatten sie davon, daß sie auf uns ohne Ursach Feuer gaben und den Befelch ihres Fürstens so geringschätzten.

Bald darnach stießen wir zu den Braunschweigischen, und wurde die ganze Armee auf offenem Feld vom Fürsten selbst gemustert, allwo Compagnie vor Compagnie durchgehen mußte. Es war ein herrlich schön Volk, mit welchem allem Ansehn nach ein großer Sieg hätte können erhalten werden. Aber wenn das Unglück im Spiel ist, so mischt man die Karte zu seinem eigenen Verderb, wie uns denn bald drauf geschehen ist, als wir dem General Tilly an die Weser entgegengegangen, der sich mit dem Wallensteiner conjungieren sollte. Er war lang nicht so stark wie wir, und weil ein unsriger Obrister, wie man sagte, unter dem Hütlein spielte, auch mit dem Feind in guter Bekanntschaft stund, wurden am hellen Tage, innerhalb zwei kurzen Stunden, unser siebentausend bei Iserlohn in Westfalen geschlagen und die andern in die Flucht getrieben.

In diesem ersten Haupttreffen hatte ich auch ein Hauptunglück, und traf mich ein recht jämmerlicher Zustand, indem ich nicht allein mit einer Kugel in den linken Fuß, mit einer anderen in den Rückgrat geschossen, sondern mir noch darzu von einem Croaten die Hirnschale fast entzweigespalten worden. Diesen Hieb, welchen ich meines Zeichens hier habe,« – hiermit zeigte er mitten auf den Wirbel – »schmerzet mich bis in mein hohes Alter und muß dadurch, gleichsam als einen Calender, die Abwechselung des Monden und anderen Wetters erfahren.« Als er bis daher geredet, trank [613] ich ihm einen Becher Wein auf Gesundheit aller rechtschaffenen Soldaten zu, damit er hernach desto frischer in seiner Erzählung fortfahren konnte.

11. Capitul. Krachwedel wird verbunden
XI. Capitul.
Krachwedel wird verbunden, kommt unter die Buschklepper. Wie es ihm unter denselben gegangen.

»Weiter,« sprach der Alte, als er einen recht pommerischen Zug getan hatte, »so wurde ich auch in ebendiesem Treffen mit einem Huf eines Pferdes in die Seite getreten, daß ich alle Augenblick vermeinte, es würde mir der Atem außen bleiben. Mußte also unter vielen Toten schon halb begraben liegen und schätzte jene viel glückseliger als mich, weil sie nunmehr schon waren, was ich so vieltausendmal gewünschet habe, nämlich: tot und gestorben zu sein. Ehe da man noch anfing, die Erlegten zu berauben, kam ein Trommelschläger auf die Walstatt, der rufte aus, daß, wenn noch welcher unter den Geschlagenen vorhanden, der zwar blessiert, aber dennoch noch getrauete, heil und gesund zu werden, der solle sich aufmachen und ihm nachfolgen, weil er für dieselbe gutes und sichers Quartier zu verschaffen von der Generalität beordert wäre. Also erhebten sich unser anderthalbhundert hier und da in die Höhe. Etliche aber, die zwar am Leben noch frisch und gesund, aber doch wegen abgeschossenen Flechsen nicht auf die Beine stehen, viel weniger sich von der Walstatt begeben konnten, mußten, so sehr sie auch um Barmherzigkeit und Hülfe ruften, dennoch verlassen zurückbleiben und elendiglich verderben. Mancher Bursche verschmachtete da mit gesundem Magen, und wurden ihnen noch darzu die guten Kleider vom Leibe gerissen. So geht es in dem Krieg her. Wer des andern Meister ist, der schiebt ihn in den Sack.

Folgende Nacht wurde in dem Tillyschen Lager trefflich geturniert und gefrohlocket. Man hörte Trompeten, Pauken, Trommeln und Schalmeien pfeifen, welches sie zu tun gute Ursach hatten, weil sie uns neben der herrlichen Victori auch zugleich zwei schwere Wägen voll Geld abgenommen. [614] Da ging alles in Floribus her, und wurde durch die ganze Nacht Victori geblasen. Wir Gefangene aber stunden nächst dabei in einem besondern Busch, kriegten aber weder zu fressen noch zu saufen, weder zu nagen noch zu beißen und hatten dazu keinen Barbier, der uns die Schäden besichtiget oder verbunden hätte. Darum gemahnte es mich mit meinem und unserm Zustand natürlich an den reichen Mann im höllischen Feuer, welcher nach seinen guten und fröhlichen Tagen, in höchster Dürftigkeit und Armut, mit großer Angst seines Herzens, die Freude des himmlischen Lebens gesehen und darüber geseufzet hat.

Ich hielt mich an eine halbe Pike, welche ich unversehens auf der Walstatt aufgeraspelt hab. An solcher schwang ich mich der Armee nach, welche gegen Münster aufgebrochen, dahin sechs starke Meilen waren. Was unter uns gequetschten Leuten nicht folgen konnte, das mußte auf der Straßen unterwegens umfallen und zurücke bleiben. Ich aber kam mit großer Mühe und höchstem Schmerzen vor Münster ins Lager, und bedauerte nichts mehrers als etliche Ducaten, die ich kurz vorhero zu Dernburg in der Plünderung geraubet, aber nunmehr in der Schlacht wieder verloren hatte, welche mir ohne allen Zweifel eben auf eine solche Art wieder herausgefischet worden, als ich sie eingestecket hab.

Besagte Beute bekam ich in Dernburg von einem Weinschenken, welchen ich und mein Kamerad (von dem ich nicht wußte, auch noch nicht weiß, ob er dazumal niedergehauen worden oder mit den Geschlagenen die Flucht genommen habe) in einer Feuermauer, dahin er sich retirieret hatte, stecken fanden, als wir mit einer langen Pike alle Löcher durchsuchten. Dieser Weinschenk war sonsten ein Eisenfresser, der, wie man gesagt hat, alle Soldaten aufreiben wollte. Aber wie sehr er für uns erschrocken und wie heftig er um sein Leben gebeten, ist nicht möglich zu beschreiben. ›O Ihr Herren,‹ sagte er, ›wer Ihr auch seid, verschonet meines armen Lebens!‹ Damit banden wir ihm die Hände, weil wir ihn viel mehr als er uns gefürchtet haben, ja, wir waren so verzagt, daß, wenn er sich nur ein wenig zur Wehr würde gestellet haben, wir ohne allen Zweifel [615] wieder aus dem Haus gelaufen wären, unerachtet sich alles für uns wie die Mäuse in die Löcher verkrochen hatte und die Soldaten den Meister spieleten.

Einen solchen Raub verlor ich ungern, zumal in einer so großen Not, wie ich dazumal recht über die Ohren darin stackte; aber wie gewonnen, so zerronnen. Wie konnte ich mich über meinen Verlust groß beklagen, da ichs doch zuvor selbsten von einem andern gestohlen? Mußte also bei mir selbst erfahren, wie wohl es demjenigen getan, dem ichs entfremdet habe. Also binden wir uns durch eigenen Frevel oftmals eine Rute mit Gelächter und müssen hernachmals mit vielen Tränen mit ebenderselbigen gestrafet und geschmissen werden. Dessen ich ein lebendiges Exempel war.

Wir wurden demnach vor dieser Stadt in freiem Feld schlecht genug verbunden. Diejenige, welche der Barbier innerhalb sechs Wochen auf das längste zu heilen getrauete, wurden auf eine Seite, die andern aber, mit welchen es etwas gefährlicher aussah, auf die andere Seite gestellet. Die vorigen wurden hernachmals in die Stadt geführet und nach ihrer Genesung untergestoßen. Die andere aber, unter welchen ich leider auch war, mit einer Paßporte von dem Trupp entlassen. Unsere Anzahl belief sich auf vierzig Personen, die allenthalben sehr lästerlich zugerichtet waren und ein erbärmliches Aussehen hatten. Ich will zweifeln, ob all sein Leben lang ein so elender lazarinischer Haufen wie dazumal beisammen gewesen. Dennoch mußten wir auf unsern Stelzen, Krücken und halben Piken fortmarschieren und uns durch das Land betteln.

Eines Abends, als wir nicht fern mehr von Osnabrück waren, kamen wir in einem Buschwald unter einen Trupp Buschklepper, welches ein Art Gesindlein ist, das nicht ärger noch schlimmer sein könnte. Diese Buschklepper sind gemeiniglich solche Leute, die weder Freund noch Feind, weder Ausländische noch Einheimische verschonen, sondern alles, was ihnen unter die Hand kommet, ohne Unterscheid totschlagen und niedermachen. Nun ist leichtlich zu gedenken, wie es uns armen Schelmen dazumal gegangen, als wir von funfzig dergleichen Gesellen zu beiden Seiten des Waldes überfallen [616] und angegriffen worden. Ich hatte einen Compan, mit welchem ich auf der Straßen deswegen Kameradschaft gemachet, weil keiner unter dem ganzen Haufen mir an dem langsamen Gang solche Gesellschaft wie er geleistet, denn er konnte sowenig als ich nachfolgen. Also blieben wir beisammen und mußten auch dazumal, indem sich unsere Gesellen teils da-, teils dorthin in den Wald salvieret und also hinkend entlaufen sind, alleine auf der Straße bleiben und herhalten.

Man schlug uns beide wie die Ochsen darnieder, und wo mein guter Hut nicht das Beste getan hätte, wollte ich um mein Leben keinen Pfenning gegeben haben. Es waren ihrer zwei, welche sich über uns hergemachet, und der eine wollte immer weiter in die Schrift, weil er, indem sie uns auskleideten, vermerket, daß wir uns noch in etwas gerühret haben. ›Ei, Bruder,‹ sagte der andere, ›wat wollen dese trewe Tüfel maken? Se sind krum end lahm, wer wollen in der Pusch dat andere Gesind utstüben, diese gute Fründe werden nicht davonlüfen.‹ Damit eileten sie gleich ihren Gesellen in den Busch hinein; da ging es an ein Schreien und Klopfen, daß es erbärmlich war. Einer rufte: ›Hieher!‹, der andere: ›Daher!‹, der dritte heulte, der vierte bat um Quartier, und wer wollte die Arten alle erzählen, dadurch ein und anderer sein Leben zu retten gesuchet? Doch war alles vergebens, und wurde niedergeschlagen, was man erhaschen konnte.

Unter diesem währenden Tumult redete ich mit meinem Kameraden, was zu tun wäre, und ob er mir nicht von der Stelle helfen könnte. Aber er war hierzu so unvermögend als ich, weil wir uns beide sehr verblutet hatten. Dennoch bekamen wir endlich so viel Kräfte, uns nicht fern von der Stelle, da wir gelegen, in eine Grube zu verscharren, welche von oben bis unten mit abgefallenem Laub angefüllet war. Dergleichen Gruben waren in selbigem Holze unzählig viel, und ist ohne allen Zweifel das häufige Laub schon von vielen Jahren darinnen gelegen. So gut wir in der Eil konnten, so gut scharreten wir uns daselbsten ein und deckten uns mit dem Laub nach Kräften und Vermögen, damit unser daselbst niemand möchte gewahr werden, weil die beide [617] Gesellen miteinander verlassen haben, bald wieder zurückzukommen und uns unsern übrigen Rest zu geben. Sie kamen auch endlich an, und sprach einer zum andern: ›Wo sind de Kerls? de Kerls hat der Tüfel geholt!‹ Aber wir waren nicht so töricht, daß wir ihnen gepfiffen noch uns in der Gruben gemeldet hätten. Es war auch dazumal viel ratsamer schweigen als reden, und wie uns beiden zumut gewesen, ist leichtlich zu erachten.

Sie wendeten sich demnach wieder hinweg; und wir machten uns in tiefer Nacht bei hellem Mondenschein durch das Holz so viel möglich von der Straßen und suchten vielmehr entlegene Abwege, uns gegen Morgen zuwendend, weil wir willens waren, uns nach Osnabrück zuzuwenden. Die Furcht und der Hunger trieben uns gewaltig fort, und unsere Speis war anders nichts als Brombeer, welche wir in den Hecken häufig gefunden und abgeklaubet haben. Unter Tages blieben wir zuweilen an der heißen Sonne ein Stund oder drei liegen, und verband einer dem andern seine Wunden, so gut es die Gelegenheit und unser Verstand mit sich gebracht.

In einem solchen Zustand führte uns endlich das Glück aus den Wäldern nahe an Osnabrück hinan, welche Stadt wir von ferne mit großen Freuden erblicket haben. Wir kamen gleich um Mittag an das Tor, vor welchem eine große Wache von Bürgern gestanden, die uns ziemlich scharf examinierten. Als sie aber verstanden, daß wir aus ihrem Volk und vor Iserlohn geschlagen worden, erforschten sie aus uns die Umstände, von welchen zwar in dem Land gesagt, aber doch noch kein gewisser Bericht eingelaufen war. Denn in dergleichen Fällen und nach geschehenem Treffen redet einer dies, der andere das, und nachdem der Narrant einem Teil mehr als dem andern affectioniert ist, nachdem leget er auch diesem mehr bei als dem andern. Wir aber sagten, was die klare Wahrheit an sich selbst war, und wurden bald darauf vor einen ehrbaren Rat auf das Rathaus gefodert, daselbsten auszusagen, wie es eigentlich mit unserer Brigade vor Iserlohn abgelaufen. Dahero erzählten wir unser großes Unglück und den Schaden, welchen wir innerhalb zwei Stunden empfunden, ganz umständlich, darüber sie sich sehr [618] betrübet haben. Man logierte uns darauf zu dem besten Barbier in der Stadt, welcher uns nicht allein trefflich curierte, sondern auch sonsten überaus wohl hielt. Hier schickt uns einer Kleider, der andere Essen, dorten wieder eine Frau Geld und so fort, daß wir nicht allein einen gesunden Leib, sondern auch eine gute Mundierung bekamen. Ich habe mein Leben lang nicht so wohl als bei demselben Barbier gelebet, weil man uns allenthalben aus der Stadt das Beste zu essen und zu trinken zugeschicket hat.

Solchergestalten genossen wir die Barmherzigkeit der Bürger eine ziemliche Zeit, und weil uns diese Aufwartung trefflich wohl tat, machte sich jeder kränker, als er war, damit wir dieser guten Tage noch länger genießen möchten. Oh, wie schluckten wir da die besten Hühner in uns! Da war Gesottens und Gebratens genug, und schmeckte uns ein so stattliches Maulfutter um so viel besser, weil wir ziemlich ausgehungert waren und eine geraume Zeit mit Schmalhansen haben vor gut nehmen müssen. Nach dieser stattlichen Cur verehrte man uns von dem Rathause eine Wegzehrung, weil wir vorgaben, wiederum zum Regiment zu gehen. Aber unterwegens wandte sich jeder gegen seinem Heimat, mein Kamerad gegen Holstein und ich wieder hieher, kam auch nach etlichen Wochen glücklich an und ließ mich kurz darauf aufs neue unter die Kaiserlichen unterhalten, welche Armee dazumal wider den König in Dänemark ging.«

Er erzählte mir hierauf so viel und mancherlei Sachen, daß ich davon ein Buch von vierzig Bogen leichtlich zu schreiben getraut. Aber ich konnte wegen meinen beifallenden Grillen nicht alles merken, was er vorbrachte. Und dannenhero will ich auch mit dieser militarischen Erzählung vor diesmal innenhalten, weil genugsam bekannt ist, wie blind und töricht die Jugend sei, die sich so liederlich in Gefahr setzet und dem Kalbfell nachterminieret. Durch den Degen, wo er klug geführet worden, ist mancher arme Teufel hoch gestiegen und hat sich also samt den Seinen aus dem gemeinen Staub geschwungen, aber wie rar und seltsam ein solches Glück, ja, wie sorgfältig und mühsam es zu erwerben [619] sei, braucht keiner Auslegung. Ein Musquetier und gemeiner Knecht, der immer auf einer Saite fiedelt, das ist, der immer bei seiner Musquete dienen muß und keine Beförderung zu hoffen hat, ist elender und verachteter als mancher Hund, dessen, absonderlich heutzutage, von etlichem Frauenzimmer auf das allerbeste gepfleget und gewartet wird. Er muß Tag und Nacht in Gefahr des Lebens stehen, hat niemalen eine sichere Ruhe, muß, wenn er campiert und für Kälte nicht erfrieren will, sich gleich dem wilden Vieh in die Erde vergraben. Seine Kleider faulen ihm vor der Zeit vom Leibe, gerät stets in die allerliederlichste Gesellschaften, muß in und zwischen Fluchern und Sacramentierern, Spielern, Hurern und Ehebrechern seine Zeit zubringen. Sein Sold ist gering und ungewiß, sein Zeitvertreib ist entweder Geld verspielen oder Hunger leiden. Findet endlich und am Ausgang sein Grab hinter einem alten Zaun und ist glücklich, wenn er unter so viel scharfen Kriegsreguln dem Galgen entlaufen kann.

»Sehet,« sagte ich zu ihm, »so geht es endlich mit euch Musquetierern: alte Soldaten, alte Bettler. Man schießet euch krumm und lahm, aber man heilet euch nicht wieder. Der Herr, für welchen ihr das Leben hingegeben, der reichet euch endlich kein Stück Brot mehr; drum ist es besser, sich nicht liederlich dem Krieg vertrauen. Ihr habt von großem Glück zu sagen, daß Ihr dem Unwesen, obschon mit ziemlich geflickter Haut, entkommen seid. Wer weiß, wieviel hundert unter Euren Gesellen in den Nobiskrug gefahren sind? Ihr sollt Euch billig darüber setzen und Euer Leben nach der Ordnung in gewisse Capitul zu Papier bringen, weil sich darinnen mancher junger Phantast und ungeratener Schlingel spiegeln und sich zugleich vor einem solchen Leben hüten könnte, dadurch er in so schreckliche Gefahr Leibes und der Seelen geraten kann.«

»Ich wills tun,« sprach er, »sobald ich ein wenig Gelegenheit dazu finde.« Aber ich schlug ihm zu seinem Vorhaben mein Schlößlein vor, daß er zeit seiner Beschreibung sich bei mir aufhalten und mit meinem Gesindtisch in der Hofstube vorliebnehmen sollte, dazu er sich gar willig und gerne verstanden [620] hat. Also satzte ich ihn in mein Stüblein auf den Turm, gab ihm Feder, Dinte und Papier, mit solchem all dasjenige umständlich zu entwerfen, was ihm hier und dar zeit seines Lebens begegnet ist. Mit solchen Grillen vertrieb ich meine damalige traurige Zeit. Sobald [er] vier oder fünf Bogen fertig hatte, las ichs hindurch, und also continuierte er seine Arbeit sehr weitschichtig und umschweifig, weil er ein gutes Maulfutter hatte und ich ihm an keiner Sache etwas abgehen ließ.

Unterweilen ging ich verkleidet auf die Dörfer herum und hörte bald diesen, bald jenen Hochzeitbitter seine närrische Hochzeits- oder Leichensermon ablegen. Wenn ich von solchem Vagieren ermüdet war, machte ich mich wieder zu meinem Historico auf den Turm und exercierte mich daselbst auf allerlei Instrumenten, weil ich treffliche Lust zu der Musik hatte, die in meiner Trauer meine allermeiste Ergötzung war.

Wenn aber ein Unglück kommt, so bleibt gemeiniglich das andere nicht lange außen. Ich hatte kaum den Trauermantel umgenommen und die Vergänglichkeit der Erden rechtschaffen zu betrachten angefangen, als mir zugleich Zeitung kam, daß dasjenige Gut, welches ich von meinem Vater als ein rechtmäßiges Erb an mich geerbet, in lichter Flamme in die Asche geleget worden. Solches geschah in einer dunklen Nacht, in welcher ich zwar das Feuer auf meinem Turm wohl sehen, aber mir doch nicht einbilden können, daß es mir gelten sollte. Nichtsdestoweniger war die Sache allzu wahr. Aber ich achtete endlich den Verlust nicht gar groß, weil ich ohnedem einen ziemlichen Ekel an den weltlichen Lumpereien getragen. »Ach,« sagte ich, »wenn ich auch könnte, mit diesem verbrannten Hause meine üble Affecten in die Asche legen! Wenn ich auch vermöchte, meine böse Begierden bis auf den Grund zu verbrennen und auszurotten! Ich habe das Feuer wohl gesehen, aber der Abscheu, welchen ich über meine Laster trage, ist viel größer, als welchen ich über diesen Brand empfunden.«

12. Capitul. Krachwedel erzählet etliche Historien
[621] XII. Capitul.
Krachwedel erzählet etliche Historien, die ihm begegnet sind.

Ich wußte nicht, was mit dem abgebrannten Schloß anzufangen oder wegen dessen am tunlichsten war, zumalen über dreihundert Hämmel, Schafe und Lämmer, zwanzig stattliche Pferde und mehr als vierzig schöne Stück Rinder in der Flamme verzehret worden. Es ist auch allen Bedienten, welche teils in den Hemden entsprungen, ihr Sächlein daraufgegangen und von allem nichts als ein großer Schrank samt achtzehen Bettgewanden wie auch etliches Zinn- und Kupfergeschirr gerettet worden. So hat auch der Haushalter in angehender Glut alle meine Bücher – auf die ich sehr viel gehalten – in den Schloßgraben geworfen, allwo sie zwar ziemlich verderbet, aber doch in dem Wasser, welches für großer Hitze gesotten hat, erhalten worden. Weil auch durch ebendiesen Graben ein kleiner Bach floß, sind etliche von denselben weit aufs Land hinausgeschwummen und, wie zu geschehen pfleget, zerrissen und verloren worden. Ich ließ mir demnach zur Verringerung meines Leides von dem alten Krachwedel, dem ich, weiß nicht, aus was für einem Antrieb, absonderlich zugetan war, allerlei Historien erzählen; und als er mir erzählte, was für ein abscheuliches Spectacul abgegeben, wenn die Soldaten bald dieses, bald jenes Schloß abgebrannt und in die Asche geleget, und daß in solchen nicht allein Pferd, Ochsen, Kühe und Schafe, sondern noch dazu oftermalen die allerherrlichsten Gebäude und andere Kostbarkeiten wie auch zum Teil viel und vornehme Menschen darinnen umkommen, schätzte ich mein zugestoßenes Unglück gegen solchen noch leidlich genug; denn indem wir von einem fremden Unglücke hören, so lernen wir das eigene desto besser und geduldiger ertragen.

So tief ich auch dazumal in der Trauer stackte, verschrieb ich doch den alten Organisten von Ollingen, welcher auch unter diejenige gehört, die nicht viel zu vergessen haben. Deswegen hatte ich gemeiniglich allezeit am allermeisten zu lachen, wenn ers aufs künstlichste machen wollte. Auf solches verglich ich ihn mit den allervortrefflichsten Künstlern, [622] die jemalen in der Musik wären berühmt gewesen. Das gefiel ihm so wohl, daß er sich fast allezeit, sooft ich ihn zu mir gerufen, den Bart scheren ließ. Unterweilen mußte er mir auch erzählen, auf wen er das meiste hielte und welcher Musicus nach seinem Gedünken der beste auf der Welt gewesen wäre. Da fing er an, von etlichen Stadtpfeifern zu reden, daraus ich wohl abnehmen konnte, daß der gute Salpeter weder Kunst noch Judicium in der Sache gehabt. Denn derjenigen Composition, die er für die beste hielt, war voll Roßquinten und Hundsoctaven. Jedennoch hörte ich seinem närrischen Geschwätze voller Grillen oft eine ganze Stund zu, und wenn ich ihm dann zuweilen einen Salus zutrank, so war der Handel richtig. Alsdann lobte er nicht allein die Allerliederlichste, mit welchen er ehedessen auf einer Bierbank Brüderschaft gemacht hatte, sondern verachtete noch diese dazu, auf die er das allermeiste hätte halten sollen.

Wenn nun dieser wieder heimhauderte, so mußte der alte Krachwedel hervor, der mir dazumal mit seinen Erzählungen die allerangenehmste Kurzweil verursachte. Unter andern erwähnte er einer Geschicht, die ihm einsmal, als er bei einem Schlosse auf Garnison geleget worden, begegnet. »Man hat mich einsmals«, sprach er, »nicht weit von dem Rheinstrom commandiert, bei einem Schlosse Salvaguarde zu halten, weil sich die Witwe in demselben wegen der dazumal im Lande hin und wider gehenden Parteien sehr geforchten. Das Schloß lag in einer See, auf zwei gute Büchsenschuß, und außer demselben stunden etwan neun oder zehen zerstreute Häuser, darinnen ich dazumal mit einem Feldweibel, so von der andern Partei commandiert war, mein Quartier hatte. Besagter Feldweibel ist ehedessen ein Student gewesen und hat sich, weil er mit seinen Eltern nicht wohl gestanden, unter die Fahne begeben. Wir kamen auch dazumal in gute Freundschaft, und vertrauete einer dem andern gleichsam sein Herz. Wir kriegten aus dem Schloß täglich sechs Essen samt dem besten Wein, und ich hab in vier Feldzügen nicht so herrlich als etwan diese vier Monat allhier auf der Salvaguarde gelebet.

In dem Schloß war nebenst der Witwe nur ein Hofschreiber, [623] der das Hausgesind regierte. Sie hatte vier Töchter, eine schöner als die andere, darunter die mittleste Babel hieß. In diese Babel verliebte sich mein Kamerad, und sie sich hinwider in ihn. Weil aber keine Gelegenheit war, daß sie einander ohne sonderlichen Argwohn der Mutter haben sprechen können, gebrauchten sie sich einer ganz unerhörten Gelegenheit. Sie zündete in ihrem Zimmer alle Nacht ein gewisses Licht an, und mein Kamerad schwamm demselben Licht auf der See nach, allwo sie am Gestad seiner gewartet oder ihn auch auf einer Steigleiter zu sich ins Zimmer hinaufgebracht hat. Dieser Weg, gleichwie er gefährlich war, als bekam er dem elenden Liebhaber überaus unglücklich. Denn einsmals, als der Wind und Regen heftig stürmete, war er auf dem See oder vielmehr großen Teiche in gleicher Arbeit begriffen, seiner Liebsten zuzuschwimmen, aber der Wind löschte das Licht im Fenster aus, also daß er in der Finster sich aus dem Wasserwirbel nicht zu finden wußte. Ist also mitten auf demselben jämmerlich um kommen und hat überaus heftig um Rettung geschrien, die man ihm unmöglich hat tun können. Man hat ihn des andern Morgens ohne Kopf und ohne den rechten Arm auf dem Gestad liegen funden, und ist ohne allen Zweifel von dem Wind so stark wider die Steine geschlagen worden, die daselbst in großer Menge lagen. Dieselbige Babel ist hernachmals einem Lieutenant unter meiner Compagnie vermählet und nicht lang nach ihrer Hochzeit unvorsichtig und aus Vexation von ihrem eigenen Manne mit einer Pistole totgeschossen worden.

Darnach, als ich wieder abzog, wurde ich in ein Städtlein an dem Rhein geleget. Darinnen war ein Trommelschläger unter der Compagnie, desgleichen Spaßvogel unter dem ganzen Regiment nicht gewesen. Es konnte fast kein Mensch vor der Hauptwache vorbeigehen, dem er nicht ein Klämperlein anhängte. Einsmals bekommt er eine Katze, dieser band er ein Lauf-Feuer an den Schwanz, willens, dadurch in der Stadt großes Gelächter anzurichten, aber die Katze sprang mit brennendem Schwanz unversehens in einen Strohstall, ist also das Städtlein, ehe wir uns versehen, mit Feuer [624] angangen, und sind mehr als vierzig Häuser in die Asche geleget, ihm aber ist der Kopf abgehackt worden. Das hatte der Narr für seine Schelmerei.

Einesmals wurden unser zehen auf Partei commandiert, und weil ich das Land in guter Erfahrung hatte, fassete ich mit meinen Leuten – denn ich war ihr Führer – in einem alten, ruinierten Schlößlein auf einem hohen Berg Posto. Weil nun der Feind mit der ganzen Armee sehr nahe stund, blieb ich dieselbe Nacht daroben liegen, und sahen fast die ganze Nacht gegen die Wachtfeuer, die wir in das flache Feld hinunter gar wohl sehen konnten. Damit wir aber nicht ausgekundschaftet würden, ließ ich nicht allein kein Licht oder Feuer anbrennen, sondern stellete noch dazu einen Schildwächter vor den Eingang, da immer einer den andern ablösete. Mitten in der Nacht geschah ein großer Knall in dem Hof, gleich als lösete einer eine Musquete. Da wir nun alle gelaufen kamen, zu sehen, was es bedeutete, eröffnete sich ein Gewölb, aus welchem mehr als zwanzig Paar Männer in langen Trauermänteln bekleidet heraus- und alle in einen Turm hineingingen. Einer unter ihnen hatte ein weißes Kreuz auf dem Mantel, und dieser blieb allein heraußen stehen, welcher uns aber so angst als die andern alle gemacht. Denn er fing lichterlohe an zu brennen, mit nicht geringer Entsetzung unserer aller, die wir da versammlet waren. Endlich und nach einer guten halben Stund verschwund er allmählich samt dem Feuer, und des andern Tages berichtete uns ein Bauer auf dem Rückweg, daß ehedessen und vor langen Jahren ein Edelmann auf diesem Schlosse gewohnet, der ein Ritter gewesen, der hätte im Land mit seinem Mordbrennen viel hundert arme Leute gemachet, und also ging die gemeine Mär im Lande, daß er deswegen bis an den Jüngsten Tag brennen solle. Es hätten auch ihrer viel auf den Berg bauen und das eingefallene Nest ausbessern wollen, was man aber des Tages hinangesetzet, das wäre abends wieder eingeschossen, und also alle Mühe der Arbeiter umsonst und vergebens gewesen.

Nicht lange darnach wurde ich mit sechs Musquetierern geschicket, einen Mörder und Straßenräuber einzuholen, der [625] sich in einem Freithof auf hielt und daselbst den Vorüberreisenden auf den Dienst lauerte. Wir wußten wohl, daß die recht abgerichteten Mäuser gemeiniglich nachtszeit ausgingen, denn der Landmann reiset, wenns unsicher ist, niemals lieber als in der Nacht. Und weil das Sprichwort saget: Surgunt de nocte latrones, als kamen wir bei heller Sonne, durch einen Wagner, welchen er kurz zuvor ausgeraubet hatte, begleitet, an den Freithof, weil wir den Vogel im Nest finden und die Federn rupfen wollten. Die Mauer war allenthalben so niedrig und niedergefallen, daß man ohne sonderliche Mühe gar leicht darüberspringen konnte. Eileten demnach alle zugleich mit aufgepaßtem Lunten gegen dem Beinhäuslein, weil er sich unsers Erachtens sonst nirgends aufhalten konnte. Indem wir aber hineinfallen und mit gleichem Feldgeschrei ihn anzugreifen vermeinten, war er doch nirgends weniger als da zu finden. Er verriet sich aber selbst, denn der Wagner sah ihn mit dem Kopfe aus einem Grab hervorgucken, allwo er eigentlich sein Logament hatte. Er konnte den Grabstein so künstlich wieder über sich wenden, daß wir große Mühe brauchten, ihm aufs Lebendige zu kommen. Nichtsdestoweniger wehrte er sich tapfer heraus und schoß einen Musquetier mit zweien Kugeln in die Schulter, davon ihm sein Gewehr und aller Mut entfallen. Er kriegte, als er sich mit Gutem nicht geben wollte, vier Schüsse. Aber er war einer mit harten Haaren, darum wendeten wir die Musqueten um, und weil er nicht würdig war, in einem so ehrlichen Grab umzukommen, schleppten wir ihn mit uns; und unerachtet er auf die Folter kam, zu sagen, wo er seinen geraubten Schatz verborgen hätte, sagte er doch keinen Grund noch Wahrheit, sondern nur bloß, daß er all sein Geld, Kleinodien, Gold und Geschmeide in Vögelnester auf hohe Bäume eingetragen; wo es aber geschehen, damit wollte er nicht heraus und ließ sich also von unten bis oben aus rädern, welches vielleicht nicht geschehen wäre, wenn er die Wahrheit mit Gutem bekennet. Dannenhero geschah es, daß die, so am besten steigen konnten, von den Obristen bald da-, bald dorthin in die Wälder, wo man meinte, daß er sich aufgehalten, ausgeschickt wurden, den Schatz aufzusuchen. Aber [626] etliche gingen unter dieser erwünschten Gelegenheit heimlich durch und rissen aus, die andern brachten nichts zurück als etwan ein zerrissenes Paar Hosen oder wohl gar einen abgebrochenen Arm. Dieser Mörder hat zwar wenig Leute ums Leben gebracht, denn er hat ihnen nur die Zungen und beide Hände abgeschnitten. Warum er aber solches getan, gab er zur Antwort, damit sie ihn weder mündlich noch schriftlich verraten konnten. Zum Teil gab er sich auch vor einen Oculisten aus, und wenn sich die Einfältigen von ihm betrügen ließen, stach er ihnen die Augen aus dem Kopf. Das hieße, die Blinden sehend machen.

Es geschah nicht lang darnach, daß ein Malergesell bei demselben Freithof vorbeiwanderte und aus dem Brunnen, der nächst an dem Berg herausquillet, sich mit seinem Geleitsmann erfrischte. Da siehet er ungefähr in diesem Beinhäuslein einen recht saubern Totenkopf; und damit er solchen abconterfeyen möchte, nahm er solchen heraus, fand aber, daß er ziemlich schwer war. Als er ihn umwandte, fielen etliche Ducaten heraus, darob er ganz erstaunte. Eilete nichtsdestoweniger in die nächste Stadt und zeigets der Obrigkeit an. Das Gericht suchte darauf in dem Beinhäuslein nach, und weil man fast alle Köpfe voll Gold und Geschmeid fand, wurde der mit Gold angefüllte Totenkopf dem Malerbürschlein gelassen, damit ihm besser geholfen war als mit dem neu herausgegangenen Illuminierbüchlein.«

Diese und dergleichen Historien erzählte mir der alte Krachwedel (so hieß sein Name) etliche nacheinander, die nicht unangenehm zu hören waren. Daraus kann der Leser leichtlich urteilen, wie ich nicht übelgetan, daß ich ihn in seinem hohen Alter zu meiner eigenen Belustigung aufgenommen und ihm die Beschreibung seiner Geschichte aufgetragen habe. Denn solche war mit unzähligen solchen Erzählungen umschweifig ausgeführet und mit solcher Lust angefüllet, davon ich alle Zufriedenheit genießen konnte. Erhält doch wohl mancher vom Adel oder sonsten ein großer Herr einen liederlichen und nichtswürdigen Diener, der ihm nicht allein das Brot vergebens wegfrißt, sondern ihn noch dazu verrätet und verkauft. Was soll ich denn deswegen zu strafen sein, [627] daß ich diesen alten und verlassenen Soldaten so gar sollte verstoßen und verjagt haben, zumalen ich in seiner Erhaltung viel mehr ein Almosen als unnötige Kosten angewendet habe. Ja, wie der Leser hernach verstehen wird, hat vielleicht solches aus einem sonderlichen Geschicke sein müssen, dessen Ursach auch der Allerklügste nicht auflösen kann. Darum, so brauchte ich diesen guten Wer-da? zu meiner Zeitverkürzung, davon er weiter nichts als mein Bißlein Brot genossen und zuweilen einen alten Lappen davongetragen. Und wenn ich noch einen, gleichwie er gewesen, im Land gewußt, so hätte ich solchen gleich ihm zu mir genommen; denn dergleichen Leute taugten trefflich nach meinem Humor und waren mit einer Pfeife Tobak weiter zu bringen als ein anderer Grillhans mit einer Handvoll halben Taler. Dennoch kam das Geschrei von mir aus, als hielte ich überflüssige Leute und verzehrte mein Gütlein in Saus und Braus. Wie fröhlich ich aber dazumal gewesen, ist niemand besser als mir selbst bewußt. Doch bin ich nicht schuldig, jemand davon Rechenschaft zu geben; denn das Gut war mein und nicht einem andern, drum lebte ich, wie mirs, und nicht, wie es einem andern wohl anstünde. Und je mehr ich hörte, daß man von meinem Tractieren redete, je besser ließ ich auftragen, lud auch wohl diese noch dazu zu Gast, die das allergrößte Geschrei davon gemacht hatten.

Viertes Buch

1. Capitul. Philipp weiß nicht, soll er nach Hof oder in Stadtdiensten gehen
I. Capitul.
Philipp weiß nicht, soll er nach Hof oder in Stadtdiensten gehen.

Es ist allbereit viel von meinem Leidwesen mit untergelaufen, und gleichwie sich das Glück mit mir verwechselt hat, also habe ich auch diese Geschicht untereinander vermischet, weil unser Leben wie das Wetter allerlei Abwechslungen unterworfen ist. Mancher tanzet heut auf einer lustigen Hochzeit hüpfende Gavotten, und morgen sitzet er traurig hinter dem Ofen, hält den Kopf in die Hand und kalmeusert mit sich selbst, daß er gestern so viel Geld ad patres gejaget hat. Mancher sitzet heute bei einem Korb voll Nüsse, er beißet solche in großer Anzahl mit spitzigen Zähnen auf, und morgen klaget er, wie hart es ihm sei, an einem Bissen Brot zu nagen. Heute siehet man manchen Soldaten ganze Städte umreißen, Dörfer verschlingen und Vestungen verschlucken, morgen sitzet er mit vielen Wunden bei dem Barbier und saget: ›Nulla salus bello‹, im Krieg gibts nichts zu saufen. Heute rüstet sich mancher zu einer fernen Reise, aber morgen ist ihm das Wetter zu windig, leget also seinen saccum per paccum & nakum wieder von dem Buckel und brätet dafür Äpfel und Birn hinter dem Ofen, damit seine alte Mutter bei ihrem Spinnrad eine angenehme Unterredung genieße. Also findet man auch Reiter, die am Morgen satteln und erst am Abend ausreiten. Mancher schicket sein kostbares Zeug zu dem Schneider, daß er ihm daraus verfertige ein schönes a la mode Paar Hosen, mit vielen Bändern und breiten Nesteln beheftet. Da man aber zum Fenster aussiehet und fraget, ob der Meister Nickel noch nicht fertig sei, siehe, da bringt anstatt des Schneiders der Tischer einen [629] großen Schreck die Gasse daher, das ist nichts anders als ein Totensarg. Da hänget das ganze Kleid beisammen, und gehet einem der Rock über die Nase zusamm. Heute weiß mancher nicht, was er aus großer Freude vor Sprünge tun wolle, morgen räufet er sich die Haar aus dem Bart oder aus seiner Parüquen und gibt keinem Menschen ein gut Wort. Oh, wie geschwinde ziehet mancher die Pfeife ein! Heute stimmt mancher seine Geige in Discant hinauf, morgen lassen die Saiten nach, daß also der ganze Resonanz im Baß darunten lieget. Ich kann es mit meinem eigenen Exempel bezeugen, daß ich manchen Stutzer in Städten gesehen, die sich mit Dienern versehen und sonsten in allem sehr prächtig gehalten haben. Es währete nicht lang, daß ich sie hernachmals dort und dar in dem Lande halb nackicht daherhaudern gesehen. Manches stolzes Mägdlein bildet sich hohe Berge ein, sie will keinen andern als einen Doctor heiraten. Sie saget zu sich selbst: ›Diesen oder sonst keinen will ich haben!‹, und indem sie heute mit lauter Doctorn und Secretarien zu tun hat, so bekommt sie morgen einen kahlen Pedanten und Dinten-Jubilierer.

Und gleichwie sich die äußerlichen Zustände bald verwechseln, also hat es auch mit unsern innerlichen Übungen keinen langen Bestand. Heute singen wir: »Herzlich tut mich verlangen« und morgen: »Das Geldlein zu empfangen.« Heute heißet es: »Adieu, o Welt!« und morgen: »Ach, hätt ich Geld!« Heute spricht man: »O Christ, es muß gestorben sein!« und morgen: »Runda, runda, ein Gläslein Wein!« Heute will man ein Mönch werden, und morgen hat man anstatt des Breviarii Romani ein Weib am Hals, damit muß man psallieren, choralieren, figuralieren und solmisieren, bis daß der Tod die Finalcadenz tactiert. Mancher hört zur Kirche läuten, er gehet auch aus, der Predigt zuzuhören, da aber indessen in seinem Hause was Wichtiges vorfället und sein Jung ihn suchen muß, kann er ihn nirgends als in dem Weinkeller finden. Und weil man dort den Prediger nicht hören kann, so heget man doch geistliche Gedanken und trinket seine Gesundheit. Also verlischet die eifrige Andacht, wo man zu viel Wein in die Kehle flößet.

[630] Also ist in der Welt ein stete Unordnung und verwirrter Zustand. Einer steigt, der andere fällt. Bald steiget der Gefallene, und der Gestiegene fällt eben in den Mist, darinnen der vorige gestecket hat. Man lieset von zweien hohen Ministris an dem königlichen Hofe in Frankreich, daß einer den andern von seiner Charge gebracht, wie denn nichts Gemeiners ist, daß, wenn einer steigt, der andere fallen muß. Als sie nun an einer hohen Treppe aneinander begegnet, sprach einer zum andern: »Monsieur, wie stehets bei Hof?« Der Gefragte antwortete: »Mein Herr, wie Er siehet, Er steiget hinauf und ich hinunter!« Ist also dieser Zustand sehr klug zweien Wassereimern verglichen worden. Denn indem der volle aus dem Brunnen gezogen wird, fället der leere hinunter. Heißet also billig: Sursum, deorsum, bald über, bald unter sich, wie die Wellen auf dem Meer mit den Schiffen spielen. Drum ist derjenige glückselig, der sich im Wohlstand nicht zu sehr erhebt und sich selbst ein üppiges Gloria in excelsis anstimmet und der auch in Widerwärtigkeit nicht flugs den grausamen Vers aus dem Virgilio:Flectere si nequeam superos, Acheronta movebo ergreifet, sondern fein piano und caute (einer sagte cauda) zu handeln und umzuspringen weiß.

Diese allgemeine Verwechslung empfand ich dazumal nicht allein, sondern die meisten in unserer Gesellschaft, absonderlich aber Herr Philipp, welcher von einem Fürsten Vocation hatte, auf seinen Hof zu kommen und daselbsten einen vornehmen Dienst zu versehen. Ich gab ihm zu solchem Vorhaben meinen getreuen Rat, und ob ich gleich niemalen zu Hofe gewesen, stellete ich ihm doch alle solche Sachen reiflich vor Augen, um welcher willen man sonsten das Hofleben zu fliehen pfleget. Er kam in meiner höchsten Trauer selber zu mir, und ich sagte ihm mit Fleiß, daß er sich wohl vorsehen und bei Hof nicht gar zu viel trauen sollte. »Du bist«, sagte ich, »bis anhero unter frommen Schafen gewesen, anitzo gehest du unter Füchse und Wölfe, die dir, wo du nicht wohl Achtung gibst, die Haut über die Ohren abziehen werden. Wer sein eigen sein kann und keinem Herrn aufwarten darf, den schätze ich viel glückseliger als den[631] Fürsten selbst, welchen du zu bedienen nun unterfängest. Du hast mir zwar zugleich erzählet, daß dir gleicherweise in einer großen Stadt eine vornehme Ehrenstelle angetragen worden. Schlägst du alles beides aus, so machst du dich beiderseits verdächtig, und man würde sagen, daß du nicht sowohl der Freiheit als einer angemaßten Faulheit nachgingest. Gehest du in die Stadt zu deinem Ehrenamt, so stößest du den Fürsten vor den Kopf, gehest du nach Hofe, so wird es in der Stadt etliche Hirnrunzel abgeben, welche sich deinetwegen aufziehen werden.

Weil demnach auf beiden Wegen dein und der Deinen sonderliches Interesse dahinter stecket, so gehe lieber nach Hof. Du bist einer vom Adel, und also dienest du billiger einem Potentaten als gemeinen Bürgern, welche zwar von mir nicht verachtet, sondern in diesem Fall nur geringer als der Fürst geschätzet werden. Du weißt wohl, wie hart es sei, sich in viel Köpfe schicken können; und pfeifest du in der Stadt nicht einem jeden, wie er darnach tanzen kann, so werden sie dir die Geige bald über dem Kopf zusammenschlagen. In der erste werden die Bürger mit dir umgehen wie mit einer jungen Braut; einer wird dir dieses, der andere jenes versprechen. Da wird es heißen: viel Geschrei, wenig Woll. Du wirst dort und dar zu Gast geladen werden, und wenn du nicht einem jeden einen sonderlichen Ehrenpsalm davon machest, so werden sie alsdann sagen, daß du der allerundankbareste Gast auf der ganzen Welt seiest. Wenn du nun solches, wie billig, nicht leiden willst und dich defendierest, so werden sie gar sagen und keinen Scheu haben dich zu heißen einen unverschämten Gesellen, der kein Beneficium erkennen kann.

Ach, lieber Bruder Philipp, ich weiß nur gar zu wohl, wie unhöfliche Socios es anitzo in manchen Städten gibt. Du kannst keinen Tritt über die Gasse tun, so werden schon an einer Ecke ein paar Gesellen ohne G beisammenstehen und dich durch alle Prædicamenta durchziehen. Einer wird sagen, man hätte deine Stelle wohl mit einem Bürgerskind aus der Stadt versehen und besetzen können. Der andere wird sagen, du seiest nur das fünfte Rad am Wagen und man brauchte [632] dich so wenig als den Schellensechser im Piquet-Spiel. Dort wird eine lausige Zofe (wie diese durch den Buchstabwechsel heißet, das weißt du schon) zu einem Fenster ausgucken und über deine Parüque lachen, die doch, wenn man ihr auf den Grindkopf greifet, gemeiniglich eine Handvoll Läuse los wird. Ein anderer wird deinen Adel verspotten, nur darum, weil sein Vater ein Meister Schuster oder ein Barthel-flickt-mir-die-Hosen ist. Wäre er aber wie du vom Adel, so hielte ers mit dir, und also macht ihn der Neid zum höhnischen Narren, bis ihn sein leeres Gelächter, so er wegen deines Herkommens führet, selbst verdrießet. Andere werden sich unterstehen, deine Gelehrsamkeit zu tadeln, und wenn man sie in ebendemselbigen Augenblick fragen und examinieren würde, so würden die Esel dastehen wie der Schulmeister auf der Kanzel, der nicht weiter gekonnt und die Bauren Flegel geheißen hat, daß sie ihn hinaufgenötiget.

Siehest du, lieber Bruder, so wird dirs in der Stadt gehen, und dieses ist noch das Allerwenigste gegen dem, was sonsten unter deinesgleichens vorlaufen möchte. Es wird selten ein gemeiner Mann ein Convivium oder Gastmahl celebrieren, da du nicht über die Pritsche springen mußt. Alle deine Handlungen werden durch die Hechel müssen. Der Schneider wird sagen, du und dein Leib schickten sich durchaus in kein Kleid. Der Schuster wird sagen, du trätest alle deine Schuh schrecklich krumm. Der Huter wird vorgeben, dein Hut sehe aus wie der Babylonische Turm und hinge seine Flügel wie eine alte und verlahmte Wettergans. Der Krämer wird sagen, du seiest ein alter Salpeter, der noch in der alten Welt bei dem Prisciano Pfeffer gestoßen hätte, hieltest dannenhero nichts auf die neue und recht galante Mode. Der Zuckerbäcker wird dich einer alten Ziege vergleichen, die gerne Salz, aber keinen Zucker frißt. Der Bierbrauer wird dich einen Weinschlauch heißen, weil du ihm so wenig Geld zuträgst. Der Spielmann wird sagen, du seiest ein abgeschmackter Podagricus, der sich das ganze Jahr keinen Tanz aufgeigen lasse. Der Glaser wird über deine Fenster lachen, daß du keine durchsichtige und hübsche große Scheiben einsetzen lässest. Die Comödianten werden dich einen sauersichtigen [633] Krummschnabel nennen, weil du nit viel auf die Pickelheringspossen haltest. Das Frauenzimmer selbst wird ihre Lobrede, deine Person und Qualitäten betreffend, nit sparen, und wenn du dich gegen demselben nicht zu allen Zeiten und an allen Orten aufwartsam mit Verehrungen und dergleichen Schosen einfindest, so mußt du bald ein karger Stiegelfritz und Pechfarzer sein, der nicht weiß, was der Welt Sitten und Statuten mit sich bringen. Die Klingen- und Degenschmiede werden dich weidlich auslachen, daß du deines seligen Großvaters alten Degen trägest. Und wenn du dem Cantor am neuen Jahr nicht eine hauptsächliche Verehrung gibst, so wird man bald hören, du wärest ein schlimmer Christ und durchaus kein Liebhaber der edelen Kunst Musica.

Spendierest du aber wacker, da wird kein Mensch mehr Qualitäten als eben du an sich haben. ›Ha!‹ werden die Leute sagen, ›ist das nicht ein wackerer Monsieur, ist das nicht ein Statist? ist das nicht ein excellenter Kopf?‹ Seinesgleichens ist niemals in der Stadt gewesen und wird auch nicht mehr hereinkommen. Die Schneider werden dir das Maß allezeit mit rotem Taffetband nehmen. Der Barbier wird, sooft du dich putzen lässest, sein bestes und mit Silber beschlagenes Schermesser hervorziehen. Der Schuhmacher wird, wenn er dir das Maß nimmt, auf die Knie niederfallen und deinen Fuß mit gerunzelter Stirn betrachten, wie derjenige getan, so des Apelles Bild ausjudicieren müssen. Die Kaufleute und Apotheker werden alle ihre Mahn- und Arzeneizettul auf übergüldetes Papier schreiben. Der Buchbinder wird dir alle Bücher mit güldenem Schnitt liefern. Der Director auf dem Chor wird dir alle Texte, die er des Sonn- oder Feiertages musiciert, abgeschrieben in deinen Kirchstuhl schicken. Alle Studenten und andere, welchen daran gelegen ist, werden dir, vor einem andern, ihre Stammregister präsentieren und um eine gnädige Inscription supplicieren. Da kannst du dich alsdann auf eine geschwinde Antwort gefaßt machen, denn die Kerl reden so abscheulich geschwind lateinisch, daß mans kaum, weil mans nicht verstehet, beantworten kann. Du mußt aber sonst nichts mit ihnen reden, denn sie können [634] nichts mehr als ihren Vortrag, darnach eilen sie dem Wirtshause zu und nehmen auf den großen Schröcken ein Glas Wein ein.«

2. Capitul. Verfluchet das Hof- und Stadtleben
II. Capitul.
Verfluchet das Hof- und Stadtleben. Auf dem Turm erhebt sich ein Scharmützel.

»Siehe, mein herzlieber Bruder, so wird es dir gehen, wenn du in der Stadt dein Amt, dazu du berufen bist, betreten wirst. Es wird dir gehen wie einem Pelz: solange du Haar hast, wirst du gelobet und mit Händen gestrichen; fallen sie dir aus, so heißet und hält man dich für einen abgeschabenen Fuchsschwanz, der nirgend zu nutzet, als daß man die Fliegen damit davonjaget und totschläget, mit welchem die Kinder auf der Gassen zu spielen und ihn in allen Kotlaken herumzuschleppen pflegen. Darum so gehe lieber nach Hofe. Dort setzet es immer gute Tage und heißet: Ecce quam bonum & quam jucundum! Zudem, so bist du kein Essigkrug, der etwan keinen Scherz, welcher bei Hofe tausendfältig vorzulaufen pfleget, verstehen könnte, du bist gedrechslet genug, die Stichreden einzunehmen und wieder gute Kopfnüsse auszugeben. So taugest du auch, wie ich sehe, viel besser nach Hof als in eine Stadt, wo man nur immer gegen die Erde sehen und die Pflastersteine zählen muß, wenn man nicht will für leichtfertig und ausgelassen angesehen sein. Du wirst auch, wie man wohl siehet, kein großer Heiliger irgend in einem Kloster werden, sonst hätte ich dir schon einen Namen erdacht, und man müßte dich heißen Sanct Echo, und dein Kupferstich müßte in ebendieser Figur gezeichnet werden, wie du in deiner Einsiedlerei in den Bach hinuntergefallen und hernach ganz nackicht, als die Amalia durch den Wald geritten, an der Sonne gestanden bist.

Zwar es hat ein jeder seinen Kopf vor sich, wie der Pfaff am Kalenberg gesagt hat. Dir aber stehet meines Erachtens der Hof und dessen Gebräuche etwas besser an, weil du nicht gar eingezogen leben kannst. Man dörfte dir in der Stadt wegen einer schlechten Ursach das Allerübelste auf dem [635] Rücken nachreden, denn du siehest und hörest genugsam, daß man daselbst manchem sechse Schuld gibt, und sind zwölfe wahr. Man sagt sonst in dem Sprichwort: Es wird nichts jemal so klein gesponnen, es kommt doch an die Sonnen; aber in Städten heißet es anitzo: es wird nichts getan die ganze Wochen, es wird dem Rat doch aufgestochen. Der dir die allergeschmiertesten Wort gibt, der wird dich am ersten in die Pfann hauen, und wo du das Hälmlein nicht einem jeden durch das Maul streichest oder deine Pfeife nach ihrem Schnabel spitzest, so trummelt man dich wieder hinaus, worein man dich zuvor mit so vielen Liebkosungen gelocket hat. Aber zu Hofe hast du keine solche Hudeleien zu beförchten, und ob man daselbst gleich so wenig als in den großen Städten reines Garn zu spinnen pfleget, hat man sich doch um keine schuster- noch schneiderhaftige Ungunsten zu beförchten, und da der Bürgermeister in der Stadt vor dir den Hut auf seinem Schädel sitzen lässet, muß er solchen zu Hofe vor dir unter die Arme nehmen und zu einem jeden Paragrapho, den er mit dir redet, ein spanisches Compliment machen.

Diese Ehre, ob sie schon kein großes Interesse auf ihrem Capital stehen hat, schätze ich doch höher als tausend Specie-Kronen, absonderlich an einem solchen Menschen, wie du bist, der ohnedem genugsame Mittel hat, sein Corpumpus in der Welt durchzubringen. Es ist besser, daß man dich mit vier Pferden nacher Hof begleitet und dich in einer schönen Kutsche dahin führet, als wenn [du] in der Stadt [von einem] Schreiber, dem der Mantel wie eine Abwaschhadern (oder wie die Hochteutsche reden, ein Waschlappen) an dem Rücken hänget, auf das Rathaus zu gehen beordret wirst. Es ist viel köstlicher, wenn du zu Hofe bei einer wohlgedeckten Tafel in einer währenden schönen und lieblichen Musik dich enthaltest, als wenn du in der Stadt bald von einem Kürschner, bald von einem Weißgerber zu seiner Hochzeit geladen wirst, wo man statt der Fasanen gebratene Spatzen oder Ämmerlinge aufsetzet und statt des Confects rot und gelb gemalten Kinderzucker daherbringet, und statt der köstlichen Musik werden dir die Spielleute die Ohren so [636] vollkratzen, daß, wenn du nicht bald darauf schröpfen lässest, dir eine gefährliche Krankheit oder der Verlust des Gehörs darüber zu beförchten ist.«

Solche und dergleichen Reden führte ich mit Philippen, welcher, ob er sonsten schon ein fähiges Ingenium hatte, sich dennoch in dieser Sache nicht geschwinde entschließen konnte. Endlich ließ er sich meinen Vortrag und gute Meinung gefallen, dankte mir als seinem wertesten Bruder und getreuesten Bonamico, schied also davon und ging nach Hof, nachdem ich ihm zuvor heimlich ins Ohr geblasen, daß er den Sentenz fleißig lernen solle, welcher in der Hof-Grammatica der allernötigste zu wissen sei, nämlich:Patienter ferre ignominias & magnas agere gratias, das heißet, wenn man einem bei Hof den Rock stiehlt, so solle man nicht darüber eifern, sondern auch den Mantel darzu hingeben.

»Du gehest in einen Ofen,« sagte ich, »je besser dein Gemüt ist, je ärger wird es geschmolzen werden.« – »Siehest du,« sprach er, »du willst nicht, daß ich in die Stadt gehe, und verleidest mir den Hof!« – »Ja,« antwortete ich, »lieber Bruder, der Prügel liegt überall bei dem Hunde; greif zu, wo du willst, es ist Gefahr dabei.« – »Ergo«, sagte er, »inter duo mala melius eligendum, ich will nach Hof!« Damit sprengte er mit seinem Pferde lustig über das Feld hinüber und schoß seine Pistolen los, welchen ich mit den meinigen durch das Fenster geantwortet habe.

Nach seinem Hinscheiden stieg ich wieder zu meinem Historicus auf den Turm hinauf, welcher, weil er schon ziemlich alt und von Kräften war, trefflich langsam schrieb. Aber mein Schreiber meinte, er hätte den Vorteil doch nicht vergessen, welchen er samt seinem Kameraden zu Osnabrück gelernet, da sie bei dem Barbier so gute Tage celebrieret, nachdem sie zuvor vor Iserlohn in Westfalen geschlagen worden. Und es kann wohl sein, daß ihm mein Brot ziemlich wohl geschmecket, weil er vom Hunger und Alter so abgemergelt war, daß ein Maler, wenn er den Tod hätte malen wollen, kein bessers Original in der ganzen Welt als diesen Stradioten hätte bekommen können.

Demnach kam ihm das Maulfutter trefflich zupaß. Denn ich [637] war kein karger Stiegelhupfer, der etwan seinen Leuten das Brot einsperrte, sondern ich tractierte meine Dienstboten ehrlich und gebührlich, auf daß sie hernach desto hurtiger und fleißiger zur Arbeit waren, wie man denn diesen alten Scribenten allgemach wieder zunehmen sehen und ein ungewöhnliches rotes Färblein auf seinen Backen vermerkt hat, die sonsten so verrumpft und eingefallen waren wie eine Sackpfeife, aus welcher der Wind entgangen ist.

»Ich sehe wohl,« sagte ich zu ihm, »daß Euch das Schreiben ziemlich hart ankommet. Wo Ihr die Musquete nicht besser als die Feder gebrauchen können, so werdet Ihr nicht viel niedergeschossen haben. Ihr schreibet auch ziemlich undeutlich und machet große Solecismos, wie auch zum Teil so viel Säue auf das Papier, daß man damit den größten Schweinmarkt leichtlich besetzen könnte. Euere Constructiones kommen nicht wohl aufeinander, und ob ich zwar aus Eurer Schrift keine Zierlichkeit der Rede, sondern nur die Erzählung Eurer Geschichten und also lauter Materie verlange, so soll doch, um besserer Ordnung willen, gegenwärtiger Monsieur Ichtelhauser, als mein Schreiber, Euer Erzählung in gewisse Capitul bringen, auf daß das Werk desto schleuniger und correcter vonstatten gehe.«

Er ließ sich solches gar wohl gefallen, und ich sah in der erste als zur Probe zu, wie sie sich miteinander vergleichen würden. Gleichwie er aber zuvor langsam im Schreiben war, also war er anitzo desto langsamer im Erzählen, ritten also beiderseits auf einer Schildkrotte. Damit ging ich wieder davon und ließ den Referenten samt seinem Concipienten beieinander auf dem Turm in der warmen Stuben sitzen und solche Sachen entwerfen, an welchen ich ein großes Vergnügen suchte. Es gingen aber kaum zwei Stunden hin, als ich auf dem Turm ein großes Getümmel hörte. Der Schreiber, welchen ich gar ausführlich vernehmen konnte, schalt, daß sich die Turmspitze hätte biegen mögen, und der Soldat murrte seinen Teil auch mit unter wie ein alter Kater, der rammeln will, damit ging es wieder an ein Poltern und Werfen, daß es schallte. Unter solchem Tumult eilete ich hinauf und wußte nicht, an was ich mich am ersten verwundern[638] sollte. Der Alte sah in dem Gesicht kohlschwarz, und dem Schreiber hing sein Überschlag an dem Halse wie ein Flügel an einer Windmühle. Der Tisch und alles, was darauf gestanden, lag in der Stube, und es fehlete nicht viel, so hätten sie mir beide Fenster eingedrücket, so feste hat der Schreiber den Landsknecht bei der Drossel gefasset. »Was habt ihr vor,« sagte ich, »ihr lose Lecker, und was treibet euch zu einem solchen Frevel? Wisset ihr nicht, was der Hausfrieden mit sich bringet, und daß ich Ursach hätte, euch beide Bachanten in den Kotter zu stecken?« Damit schlug ich einen sowohl als den andern mit meinem Wintermuff auf den Kopf, weil ich kein bequemes Instrument vor dieses Mal bei Handen hatte, ihnen das Capitolium zu lausen.

»Was?« sagte der Schreiber, »soll ich mir von dem keinnützen Landfahrer und verdorbnen Marodibruder solche Sachen weismachen lassen? Soll ich hören, daß ich ein Hurenkind sei? Hei, nimmermehr will ich solche Schmachreden leiden, die mir im Herzen wehe tun!« Damit wollte er wieder über den Alten her, aber ich stieß ihn auf die Treppe hinaus und fragte den Alten um ausführlichen Bescheid und um die Ursach, welche sie beide in einen so unverhofften Scharmützel gebracht hätte. »Gestrenger Herr,« antwortete der Stradiot schnaufend, weil er in dem Geräufe ganz atemlos geworden, »hie lesen Sie die Schrift, die ist daran Ursach, sonst weiß ich nicht, was ich ihm zuwider getan, denn ich habe ihn all mein Leben lang meines Wissens nicht gesehen. Sehet nur, wie mich der Schelm mit der Dinte begossen hat! Ich kann kaum ein Aug recht auftun, so sehr beißet sie mich. Wenn Euer Gestreng nit gekommen wäre, der Schelm hätte mich hier im Ecke erwürget.«

Hierauf nahm ich dasjenige, was der Schreiber geschrieben, und las durch etliche Paragraphos folgende Wort: ›Da ich nun besagtermaßen ganz nackicht ausgezogen worden, nahm ich im bloßen Hemde meinen Weg über ein Kornfeld unter einem schweren und großen Donnerwetter; wie froh und lustig, ist leichtlich zu gedenken. Im nächstgelegenen Dorfe sah mich der Mesner, welcher auf dem Turm zum Wetter läutete. Der nahm mich zu sich hinauf, allwo ich [639] ihm die Stricke ziehen und also sein officium publicum & pastorale (diese phrasin hat mein Schreiber propter majorem elegantiam dazugesetzet) habe müssen administrieren helfen. Er interrogierte mich, wer ich oder cuius conditionis ich sei. Da narrierte ich ihm allerhand Circumstantien, meine Fortun betreffend. Dieser Mesner verhonorierte mir nach abgewichenem schweren Wetter ein hübsches vestimentum rusticanum, und in diesem kam ich auf einen Edelhof zu Dern, nicht weit vom Linebühel gelegen, allwo ich eine Magd schwanger hinterließ und meine Fugam nach Antissenhofen in das Bayerland zu nahm, willens, mich von da auf Hackelet, ein adeliges Schlößlein, zu begeben, allwo ich einen guten Freund hatte, der mich vielleicht demselbigen vom Adel hätte recommendieren oder sonsten mir mit einem guten Consilio succurrieren können.

Aber ich wurde bald von dem von Willenhag aufgefischet, mußte also das Hurenkind aufziehen, der Magd einen billigen Abtrag tun, und also saß ich in der Pfanne bis über die Ohren. Ich ließ das Knäblein Andreas nennen, und weil ich meine Zeit im Kriege durchzubringen suchte, hieß ich es nicht nach meinem Namen. Denn ich dachte, wo ich dermaleins ein großer Officier würde, dörfte es mir an meiner Reputation eine Hindernis bringen. Gab ihm also den Namen des Großvaters auf mütterlicher Seite, welcher Jacob-mit-uns hieß und ein reicher Bauer zu Pocking war. Dasselbe Kind ist hernach zu einem Kaufmann kommen und hat auch bei den Jesuiten zu Passau studiert, ist aber heimlich davongelaufen und hat sich in einem Nonnenkloster hin und wieder zum Ausschicken gebrauchen lassen. Von dannen weiß ich nicht, wohin der Knab gekommen, weil ich bald darauf, nachdem ich etwan etliche Jahre mich in der Guardi zu Schärding und auch zu Braunau aufgehalten, endlich nach Landshut und von dar gar nacher Ingolstadt geleget worden.‹

Bis hieher ging die Schrift des Schreibers, welcher Andreas-mit-uns hieß und welchem auch alle dasjenige begegnet ist, was der Alte erzählet hat. Dannenhero entstund zwischen ihnen dieser plötzliche Tumult, und allem Ansehen nach, [640] so war dieser Alte des Schreibers natürlicher Vater, dem er auch an den Lineamenten ziemlich ähnlich gesehen. Hätte also der Narr besser getan, daß er einen andern Namen aufgezeichnet und die Sache bei sich selbsten verschwiegen hätte, als daß es durch einen großen Tumult nicht allein mir, sondern auch allen denen, welche dieses Buch zu ihrer Kurzweil lesen, hat müssen auf die Nase gebunden werden. »Ihr seid ein Eselskopf«, sagte ich zu dem Schreiber. »Müsset Ihr Euer eigene Schand mit Eurer Defension aufdecken? Eine geschehene Sache, so übel sie auch aussiehet, muß man zum besten deuten und absonderlich eine solche, daran unsere Ehre hanget. Ihr hätt', so Ihr gewollet, Eure Schande leichtlich verbergen und die Sache so verdrehen können, als wäret nicht Ihr, sondern ein anderer, der etwan auch also hieße, dadurch gemeinet. Aber nun habt Ihr Euch selbst in das Nest hofiert. Darinnen müsset Ihr liegen und die Wunde verbluten, gleich als wäre sie Euch von einem Hunde gebissen worden. Wer nicht schweigen kann, wenn er soll, der muß sich auslachen lassen, wenn er nicht will.«

3. Capitul. Was der Jäckel vor ein sauberer Jung gewesen
III. Capitul.
Was der Jäckel vor ein sauberer Jung gewesen.

Nichtsdestoweniger ereiferte er sich doch über seinen Vater ausdermaßen und gab beständig vor, daß er zwar also hieße und auch zu Passau studiert, item all dieses getan hätte, wessen sich der Stradiot (er hieß ihn einen verlumpten und lausigen Marodebruder) verlauten lassen. Allein, so wäre sein Vater bekannt genug und ein ehrlicher Zimmermann zu Forstenau; wäre dannenhero dieser Frevel von einem solchen Calumnianten nicht zu dulden, sondern solle mit ihm nach der peinlichen Halsgerichtsordnung billig verfahren und procediert werden.

Aber es wurde nichts draus, so sehr sich auch der ploder-hosichte Schreiber aufbaumte. Als ich aber den Grund untersuchte, so kam ich dahinter, daß mein Page, welches ein Schelm von einem arglistigen Jungen war, den alten Soldaten bestochen hatte, daß er dem Schreiber diese Histori dictierte, [641] weil er wohl wußte, wie groß sich derselbe zu machen und wie schrecklich er auf seine Geburt zu prahlen wußte. Also ging die Sache über den Jungen aus, welcher aber, da ich an ihm die Execurion vollentziehen wollen, schon über alle Berge ausgelaufen war. Denn er dachte: weit davon, ist gut vor den Schuß. Aber ich entriet ihn sehr ungern, weil er mir mit seinen Erfindungen auf dem Schloß manche Kurzweil angerichtet. Schickte ihm dannenhero meinen Wastel mit einem Pferd nach, welcher ihn endlich wieder zurückbrachte.

Der gute Wastel wäre seiner nimmermehr habhaft worden, so er sich nicht gutwillig mit ihm auf den Weg gemacht hätte. Er traf ihn über einem Bach an und sprach: »Gehe herüber!« Da sagte der Knab: »Gehe du herüber!« Also ritt Wastel durch den Bach hinüber, und der Jung lief an einem andern Ort herüber. Der Wastel wendete sein Pferd und ritt wieder herüber. Der Jüngling besann sich auch nicht lang und sprang wieder hinüber. Trieb also ein Narr den andern bald hinüber, bald herüber. Mußte mich dannenhero über des Wastel seine Relation rechtschaffen zerlachen, der Schreiber aber hielt mit seinem Supplicieren inständig an, den Jungen zu strafen und mit ihm criminaliter zu verfahren. Aber ich wußte wohl, daß solche Lumpenpossen keines weitschichtigen Proceß nötig waren, ließ ihn dannenhero zu mir allein ins Zimmer kommen und schlug mit meinem Stock auf mein Bett. Unter diesen Schlägen sprang der Knab in der Stube herum und schrie gleich einer Spansau. Der Schreiber aber, welcher vor der Tür heimlich zuhorchte, kitzelte sich im Herzen und lachte, daß er etliche Bockssprünge darüber zu tun un möglich unterlassen konnte. Und also war der Narr zweimal betrogen, da er doch wohl mit einem hätte können zufrieden sein.

Ich muß von diesem Jungen noch etliche Stücklein erzählen, welche, ob sie gleich nicht von großen Sachen handeln, dennoch kurzweilig zu hören sind, weil bekannt genug ist, wie arglistig die Jugend und was für keinnütze Schelmen man unter den jungen Leuten findet, die noch nicht wissen oder nicht wissen wollen, was die delicta juventutis für Vögel sind.

[642] Er konnte etliche Wort Latein, und wenn er unter den Bauern saß, so machte er sich damit so groß, daß ihn alle vor ein Miracul eines jungen Menschens hielten. Er schwätzte ihnen von der Türkei, von Frankreich und Spanien, von dieses und jenes Landes Sitten und Gebärden, welches er meistens aus meinen Büchern gestohlen. Hiedurch beschwätzte er die einfältigen Bauernflegel, daß er die Schwarze Kunst verstünde und noch täglich mit dem Edelmann, als mit mir, darinnen studiere. Damit machte und schrieb er ihnen Zettel. »Diese,« sagte er, »wo ihr sie an euren bloßen Leib hängt, daß sie warm werden, so seid ihr nicht allein stahleisenfest, sondern habt noch darzu neun Manns Stärke. Aber ihr müsset euch wohl vorsehen, daß ihr nicht ausschlaget oder den ersten Angriff tut, sonsten verliert der Zettul seine Kraft und Wirkung und kann kein essential operation propter robusti contrapuncti & omnia in seculum verrichten.«

Diese Praktik meines Jungens wurde mir einsmals durch den Pfarrer des Dorfes kundgetan, welchem ein Bauerknecht auf seinem Totbett offenbaret, daß er allgemach seit Pfingsten einen festmachenden Passauer Zettul bei sich getragen, welchen ihm der kleine Jäckel, so hieß der Jung, geschrieben und um zwölf Groschen verkauft hätte. Diesen Zettul brachte der Pfarrer zu mir in das Schloß, und wo wir über die Schalkheit des Jäckels, wie wohl zu erachten, nicht Ursach gehabt hätten, uns zu ereifern, so hätten wir ohn allen Zweifel über den Inhalt des Zettuls lachen müssen, welcher in diesen zweien Reimen bestund:


›Den Brief ich dir zur Lehre schreib,
Ein Esel trägt ihn auf dem Leib.‹

Diese Reimen waren mit lateinischen Buchstaben geschrieben, damit es die Bauren desto weniger zu lesen wußten. Wir foderten ihn vor, und er verantwortete sich kurz und gut, daß er durch dieses Mittel die Bauernknecht von ihrer gewöhnlichen Schlägerei und Hinausforderung abzuhalten gesuchet. Denn wenn ein jeder auf des andern Angriff und Ausschlag wartete und keiner der erste sein wollte, so würde allem Ansehen nach gar nichts draus, und müßten also [643] beide Parteien, aus Furcht, die Schlacht zu verlieren, ungeschlagen wieder nach Hause gehen. Über diese Entschuldigung mußten wir wider unsern Willen zum Fenster auslachen, aber der Pfarrer gab ihm nebenst einem guten Filz etliche Kopfrupfer und sagte ihm zugleich, daß er den Teufel nicht an die Wand malen, noch gute Sachen mit übeln Mitteln suchen sollte. »Solche Sachen,« sprach er, »ob sie gleich nicht schlimm von dem gemeinet sind, der sie ausgibt, werden sie doch von dem, der sie annimmt, als Teufels-Mittel gebraucht. Ist also die Sache bloßerdings eine große Sünde, und wo du dich mehr wirst gelüsten lassen, ein solches Armistitium anzurichten, so wird man dir die Hosen runterziehen.« – »Meinetwegen,« sagte der Jung, »so warte ich meinem Herrn im Hemde auf.«

Wenn ich in der Karwoche in eine Kirche ging, allwo anstatt der Glocken die Rätschen geklopfet wurden, nagelte er unter solchem Pumpern den Mägden die Röcke auf die Bänke, und wenn er wußte, daß ich diesem oder jenem in der Stadt nicht gut war, so ging er ungeheißen hin und wurf ihm nachtszeit die Fenster ein. Hatte er aber kein eigen Haus und wohnete etwan nur zur Miete innen, so schrieb er allerlei Pasquill und heftete solche an die Haustür. Sein Vater war ein Maler, und dahero verstund sich der Jäckel ziemlich auf das Reißen (absonderlich wenns über die Kleider ging). Einsmals dienete ein Advocat wider mich, der hieß Stiefel. Dieser Stiefel hatte das Lob, daß er mit einer Wirtin in guter Kundschaft stund. Da malte der Jäckel das Wirtshaus ab, und vor demselben stund die nackichte Wirtin mit einem langen Stiefel am Fuß, solcher reichte ihr, so weit er reichen konnte. Ober dieser Figur stunden diese Wort geschrieben: ›Bis hieher geht mir der Stiefel.‹ Über dieses Gemälde wurde von vielen gelachet; diejenige aber, welche nicht allzeit aufgeraumt sind, machten ihre absonderliche Auslegung daraus. Wie denn bei dergleichen Zuständen geschiehet, nachdem einer oder der andere demjenigen oder derjenigen, welche dadurch getroffen wird, affectioniert ist. Sonst war die Invention ganz gut an sich selbst, und war nur schad, daß es der Schelm nicht auf eine bessere Weis angebracht [644] hat. Daraus man siehet, daß der Mensch niemalen beflissener und inventiöser ist, als wenn es zur Beschimpfung seines Nächsten gehet.

In ebenderselben Stadt locierte man mich einesmals bei einer Trauer seinem Bedünken nach unter viel Personen, denen man mich billig als ein Edelmann sollte vorgezogen haben. Gleich selbige Nacht malte er eine Procession an die Gottsackertür, nit zwar von Menschen, sondern von lauter Eseln mit Trauermänteln, hinter diesen ging der Müller mit der Abschrift: ›In gestriger Procession ging es auch so zu.‹ Ein andersmal erwählete der Rat einen untüchtigen Men schen zum Organisten, da malte er einen Esel auf das Chor, mit einer großen Baßgeige, mit der Beischrift: ›Ihr habts wohl getroffen!‹ Und solche Händel stiftete er tausend an, dadurch er sich nicht allein viel Streiche auf der Schule zugezogen, sondern es endlich dahin gebracht, daß man ihn mit einem Schelm davonjagen wollen. Da hat er gesagt, wenns dazu kommen sollte, so möchte man ihm nur beide Stadtbüttel mitgeben, so ginge er mit zweien davon.

Nicht weit von derselben Stadt liegt ein Schloß, an dessen Pforten stunden folgende lateinische Buchstaben geschrieben, als nämlich: E.N.I.D.Z.N.S.D. Einsmal kam er mit seinem lateinischen Schulmeister, welchen er spottweise artium Inspectorem nennete, dahin. Da fragte er, was diese lateinische Buchstaben bedeuteten. »Ich weiß es nicht,« sagte der Schulmeister, »doch wie ich meine, so ist es so viel als: Emanuel Natus Isdorferus Dominus Zu Nusdorf, Speierek, Dondersbeim, zu teutsch: Emanuel, geborner Ißdorfer, Herr zu Nußdorf, Speiereck und Dondersheim.« – »Nein,« sagte der Jäckel, »Herr, Ihr habt gefehlet!« – »Wie heißt es denn?« fragte der Schulmeister. »Es heißet,« sagte der Jung, »Ein Narr Ist Drinnen, Zwei Narren Sind Draußen. – das sind ich und Ihr.«

Mit dergleichen Salben beschmierte er alle Leute, die sich zu weit mit ihm einließen, und er verschonete sogar, wie schon gehöret, seine eigene Præceptores nicht. Wenn ich beschreiben sollte, wie oft mich der junge Lecker ausgezahlet, würde ich mich dem Leser zum Gelächter selbst darstellen. Damit [645] mich aber niemand schelte, daß ich ihm solche Sachen zugelassen und ihn nicht vielmehr mit einem guten Ochsenzehn herumgebalsamiert habe, so ist zu wissen, daß solches öfters geschehen und unterweilen des Tages drei-bis viermal; als morgens sang ich ihm die Metten, abends die Vesper, es wollte aber alles nicht helfen, und dorfte fast kein Mensch bei mir einkehren, welchem er nicht nach seiner Art ein Klämperlein anzuhängen wußte.

Absonderlich aber gebrauchte er sich zur Verübung seiner Schelmenstück eines solchen Orts, da der fremde Gast notwendig hinkommen mußte. Als erstlich die Stubentür, darinnen sie logiert waren, und vors andere das heimliche Gemach. In demselben schrieb oder zeichnete er mit der Kreide an, was ihm an ihnen mißfiel. Als zum Exempel: einsmals kam ein meiniger Freund zu mir, der hieß ihn bei der Tafel einen Maulaffen, weil er ihm ein wenig Wein auf den Wammesärmel gegossen hatte. Auf solches lachte er ihn wegen seiner närrischen Vision aus und sprach: »Jung, du hascht ein Geschicht wie ein Äffle!« Diese Rede verdroß meinen Jäckel, malte alsobald eine Figur inwendig ans heimliche Gemach mit bloßem Fetzer, die sah ihm so ähnlich, als etwas sehen konnte. Ober derselben stunden die Wort: ›Wenn mein Gesicht siehet wie eines Affens, wie siehet denn das?‹ Über diese Invention wurde mein Vetter so zornig, daß sich der Jäckel heimlich aus dem Schloß retirieren mußte. Aber des folgenden Tages, als der Fremde wieder Abschied genommen, meldete er sich wieder an, weil er indessen nur in dem Meierhof sich in einem alten Strohstadel verstecket hatte. Nichtsdestoweniger klopfte ich ihm das Wammes wacker aus; aber es half doch so viel als nichts, denn wenn ich einen Schelm herausschlug, so schlug ich gewiß dargegen zehen hinein.

4. Capitul. Der Jäckel wird davongejagt
[646] IV. Capitul.
Der Jäckel wird davongejagt. Dessen Stelle wird von einem Studenten ersetzet.

Ich mußte ihn endlich, obschon halb gezwungen, wider meinen Willen abschaffen, denn ich brauchte seiner öfters zu meiner Kurzweil, die er nicht allein mit allerlei guten Schnacken beförderte, sondern mir in diesem Stücke sehr dienlich war, weil er ein wenig singen konnte. Wenn ich dort und da etwan eine Aria oder sonsten etwas, so gut michs der Organist von Ollingen gelernet hatte, gecomponiert und auf das Cartell gesetzet, so mußte er mirs herabsingen, welches er gemeiniglich mit einem langen Triller hinauscolorierte und mit seiner verklobenen Discantstimme manches Lied heruntersang. Er hatte durchaus keine Manier oder Singart, und wenn er nur ein wenig zu viel gefressen oder gesoffen hatte, so quiekte er nit viel anders als ein junger Waldesel, jedennoch machte der Galgenvogel so artige Gestus und andere Mienen zu den Melodeyen, daß sich einer hätte scheckicht lachen mögen.

Die Ursach, warum ich ihn hinwegjagte, war, indem er den Schreiber beredete, er wäre krank und sähe aus wie der Tod. Der Schreiber ließ sich überreden, legte sich zu Bette, und hatte [es] mit dem betrogenen Narren recht große Gefahr, weil ihn die bloße Einbildung, als hätte er die Gelbsucht, dermaßen zurichtete, daß der Medicus endlich an seinem Aufkommen zu zweiflen anfing. Solche Insolentien waren billig nicht zu gestatten, noch länger durch ein Fingersehen gutzuheißen, wollte ihn demnach zu einem andern Herrn bringen, weil seine Person allenthalben sehr geliebt und unter den Adeligen absonderlich bekannt war. Er aber sagte, daß er seiner Kunst nachfolgen und dieselbe zur Perfection bringen wolle, damit er noch manchen Narren in der Welt abmalen und ihn mit dem Pinsel nach allen seinen Lineamenten entwerfen könnte.

In diesem Vorhaben reisete er fort und schickte mir nicht lange hernach etliche Emblemata oder Sinnbilder, die er selbsten inventiert und zugleich überaus sauber gemalen hatte. Unter andern hat er zwei große Haufen von lauter Herzen [647] und auf dieselbe zwei Lautenschläger gezeichnet. Der eine war mit einem altfränkischen Kleide, grauen Haare und Bart, der andere aber auf die allerneueste französische Mode herausgeputzet. Unter ihnen stunden die Worte: O corda moderna, quantum distatis a chordis antiquis? Aus diesem Sentenz kann der verständige Leser genugsam abnehmen, daß dieser Jüngling eines fähigen Ingenii gewesen, denn er wollte durch dieses Gemälde nichts anders andeuten als die große Distanz der heutigen Harmonie mit der alten und vor diesem im Schwang gegangenen Einigkeit, weil heutigestages die Leute viel einen andern Ton als dazumal aufspielen. Er wollte sagen, daß vor diesem und zu unserer Väter Zeiten die menschliche Herzen in einer löblichen Eintracht beieinander gelebet, dahingegen anitzo ein Mensch den andern in Sack schieben und aufreiben will. Was sind diese Zeiten anders als ein kalter und frostiger Winter, da ein Wolf den andern mit reißenden Zähnen anfällt und auffrisset. Einen solchen unglückseligen Riß in die alte teutsche Laute haben getan so viel und mancherlei Spaltungen der Religion und des Glaubens. Da sind die Chordæ, ich sage vielmehr die Corda, voneinander getrennet und ihr gutes Verständnis zerrissen worden. Wo ist itzo eine Einigkeit im Lande? Wer liebt das Armut? Und wo lässet man, wie vor diesem, ein Spital oder Krankenhaus bauen? Da man vor diesem drei, sechs, ja wohl weiter als hundert Meil Weges mit großer Beschwerlichkeit des Leibes Wallfahrten gegangen, da tanzet man davor mit einer zerrupften Madam ein paar Galliarden und schert sich wenig um den Schulmeister, der die Fahne vorträgt.

Da mancher alter Teutscher sich in Waffen geübet, gegen seinem ausländischen Feind den Meister zu spielen und sich durch seine ritterliche Kriegs-Exerci tia in eine beharrliche Freiheit zu setzen, da lässet man anitzo fünfe gerad sein, setzet sich davor zu einer guten Zeche und zerbricht anstatt der Lanzen, Piken und Degen hübsche geschnittene Gläser, Kannen und Becher. Wie nun solcher Krieg ist, so ist auch die Victori, nämlich gläsern. Vor diesem hatten die Bettler ein bessers Handwerk, weil sie selten von einem Hause mit [648] leerer Hand hinweggehen dorften. Aber heutzutage wachsen »Helf dir Gott!«, wo ehedessen große Stück Gebraten, Fleisch und Kuchen gestanden haben. Woher kommts? Aus dem allzu starken und häufigen Schwelgen der Leute. Da muß alles vollauf sein, und die Aufwärter müssen mit schmutzigem Maule vor dem Tische stehen, daß man sich in ihrer Goschen wie in einem Spiegel begucken kann.

Ehedessen hat man das Vaterunser auf Knien gebetet, die Hände zusammengeschlagen, gen Himmel aufgehoben, man ist still in der Kirche und unter dem Gottesdienst aufmerksam gewesen. Heute zu dieser Zeit bleibt man sitzen, wo man sitzet. Si qua sede sedes, heißt es. Man lässet den Pfaffen predigen, was er will, wir hingegen halten in einem Winkel die Schnauze zusammen, erzählen einander, wie es in Hispanien, in Portugal, in Asien, in Arabien, in Schweden und sonsten hin und wieder zugehet. Anstatt man ehedessen Gebetbücher aus dem Schubsacke gezogen, so ziehet man anjetzo gedruckte und geschriebene Zeitungen, ja oft, daß ichs mit Erlaubnis sage, die Karte hervor. Was haben wir denn dadurch vor eine Wohlfahrt zu gewarten? Mancher klaget – ja man hört fast nichts, als alle Menschen über der übeln Zeit, über den übeln Zustand und über eignes Unglücke klagen. Aber sie dörfen sich dessen nicht verwundern, wie ihre Andacht ist, so ist auch ihr Glücke beschaffen. Si non oras libenter, cibis carebit venter: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Dieses wußte mein lieber Jäckel, so jung er war, dennoch wohl durch die Hechel zu ziehen, und er tat auch wohl daran. Du hast es wohl getroffen, gedachte ich bei mir selbsten, und dein Gemälde ist nicht unbesonnen inventieret, ich will es auch in diese Historia mit einführen, wie ich denn hier augenscheinlich verrichtet habe.

Vors andere, so war unter andern Sinnbildern auch ein lahmes Pferd mit drei Beinen gemalen, mit der Unterschrift: Nil interest quacunque ratione perdiderit, semper enim claudicat. Mit diesem Gleichnis, wie er mir in seinem mitgeschickten Brief geschrieben, hätte er die Scholasticos angezapft, die so schröcklich viel auf ihre Quæstiones und Terminos hielten.

Denn etliche fragen unter ihnen, ob die Hurerei darum Sünd [649] sei, weil sie Gott verboten oder weil sie an sich selbst eine eigene Malitiam habe. Caramuel saget: Scortationis malitia provenit a prohibitione, andere sagen anders. Aber was ist daran gelegen? Die Hurerei sei auf eine Weise schlimm, wie sie will, sive per se, sive per accidens, sie ist doch eine schwere Sünd und verdammt ihre Adhærenten. Es liegt wenig daran, ob ich mit meinem Subtilisieren und Disputieren erhalte, daß das Pferd seinen Fuß im Wasser, im Wind oder durch eine Antipatia verloren, es hinkt einmal wie das andere und kanns weder zum rechten noch zum linken gebrauchen. Solch Disputieren verdirbt die Zeit, belästiget den Kopf, richtet Schulgezänke an, und wird keinem Menschen nichts damit geholfen. Mit einem Wort, das Pferd hinkt, und darauf soll man diese Scholasticos setzen und auf Constantinopel reiten lassen, damit sie daselbst den Türken aus dem Land disputierten. Damit wäre dem armen Teutschland besser geholfen als mit ihren Fragen: Utrum in divinis possint esse plures productiones ejusdem rationis ut plures generationes etc. Solche und dergleichen Fragen lachte der ehrliche Jäckel durch sein lahmes Pferd billig aus, und ich bekam dadurch Gelegenheit, mein Sächlein gleicherweis hinzutragen und damit meine einsame Zeit zu verkürzen. Machte mir demnach gute Hoffnung, daß aus ihm noch ein rechtschaffener Kerl werden möchte, weil eine fröhliche Jugend, wie die knickhansischen Schulmeister meinen, nicht allezeit, ja gar niemalen, eine Anzeigung der zukünftigen Schalkheit ist.

Unter währender Betrachtung dieser Bilder kommt ein Kerl an das Schloßtor und gab dem Torwärter einen großen Brief. Als ich diesen zu Händen bekommen, sah ich, daß es ein lateinisches Testimonium von einem Schul-Rector war, bei welchem er in dem Gymnasio acht Jahr studiert hatte und nunmehr willens wäre, auf eine Universität zu ziehen. Seine schlechte Condition und die zerlumpte Kleider zeigten genugsam an, daß er nicht viel mit Wechselbriefen umzugehen wüßte, ließ ihn demnach zu mir kommen, und: »Wo wollet Ihr hin?« sprach ich zu ihm, »in diesem widerwärtigen Wetter?« – »Ha,« sagte er, »und wenn es Spieß und Hagel untereinander regnete, so wollte ich doch fortreisen, daß ich nur [650] des verfluchten Lebens und der Schulfüchserei los werde. Der Teufel hat mich aufs Gymnasium geschlagen, vor diesem hatte ich eine gute Discantstimme. Dannenhero versprach man mir, so ich mich auf der Schul aufhalten und in der Kirche wollte auf dem Chor gebrauchen lassen, so hätte ich dermaleins ein großmächtiges Stipendium von dem Rat zu hoffen, aber nun meine Stimm dahingeflogen und ich keine Hoffnung zu einer anderen habe, richtete mich der Cantor wie einen Hundsjungen aus. Er hieß mich einen schnofflenden Wasserhund und sagte, ich wäre des Salzes nicht wert, das er mir müßte zu fressen geben. Dahero getröstete ich mich bei solchem Zustand des getanen Versprechens und bat um ein Stipendium Academicum. Aber ich glaube, sie haben mir eines gegeben, nämlich hinten hinaus, wie die Bauern die Spieße tragen. Es hatte große Not, daß mir der Rector dieses fünfzeilichte Testimonium mitgegeben, aber wenn ich ein paar Taler zu spendieren gehabt hätte, da wäre ich ein wackerer Dominatio vestra gewesen.

Auf der Schul war mir kein Præceptor noch Magister gut, ich mußte ein Erzschelm, ein Galgenvogel, ein fauler Schlingel, ein Idiot und Luder sein, und nun stehet in dem Testimonio, daß keiner niemals wider mich eine Klag gehabt hätte. Sehe also am Ausgang, daß sie rechtschaffen gelogen haben, denn ich weiß es am besten, wie arg sie mir mitgefahren haben. Wie ich nun gesehen habe, daß es mit dem Stipendio etwas lausig werden wollte, hielt ich um ein Viaticum an, in Hoffnung, weil ich so lange auf dem Chor einUtremifasola gewesen, aufs wenigst hundert Reichstaler davonzutragen. Aber sie wiesen mich an die Almosencassa, daraus bekam ich zehen Kreuzer Salzburger Münz. Ich schmiß vor Zorn die zehen Kreuzer in der Almosenstube in die Fenster, daß die Scheiben auf die Gasse hinunterfielen, und hielt dorten ein alter Geizhals, weil er meinete, es würde einen güldenen Regen absetzen, seine Mütze in die Höhe, aber zu allem Unglück hofierte ihm ein Spatze, die unter dem Dach ihr Nest hatte, hinein. Ich aber hatte Zeit, mich aus dem Staub zu machen, lief also in großem Widerwillen zum Tor hinaus und schlug die Schildwache in die [651] Fresse. Weil er nun nit von der Wache hinweglaufen dürfte, mußte er seine Fledermaus behalten, und ich eilete in vollem Gelächter mit meinem Mantel über das Feld hinüber, wie [wenn] ich toll und unsinnig wäre. Wie gefällt Euer Gestreng diese Resolution?«

»Eure Resolution«, sagte ich, »ist sehr flüchtig gewesen, denn wie ich höre, so seid Ihr davongelaufen. Ihr hättet besser getan, wenn Ihr ehe, und zwar noch dazumal solches getan, da Ihr Eure Discantstimme noch gehabt. Wer etwas kann, den hält man wert. Ich kenne etliche Cantores und weiß gar wohl, was sie vor wunderliche Quinten im Kopfe sitzen haben. Nun sollt Ihr mit leerer Hand auf die hohe Schul ziehen. Morgen ist der Sonntag Misericordiæ; es wäre Euch besser, daß Ihr am Sonntag Lætare hinweggereiset, denn allem Ansehen nach wird es schmachte Bißlein absetzen. Ich bin ein halber Wahrsager, weiset mir Eure Hand, daß ich sehe, ob es Euch wohl oder übel gehen werde!« Er gab mir sein Hand, und ich sagte folgends also zu ihm: »Erstlich sehe ich gar eigentlich, daß Ihr großes Glück im Eisenerz haben werdet, denn Ihr sollt mit Eurem Messer nicht viel Fasanen, Hasen oder Kalbsköpf tranchieren. Vors ander wird Euch kein Mensch einen Pfenning abgewinnen können, denn Ihr habt nichts zu verspielen. So werdet Ihr auch, wie ich an der Tischlinia sehe, vor Getreid nichts ausgeben dörfen, denn das Wasser kostet nicht viel. Die Leute werden Euch viel mehr als den allervornehmsten Stutzer betrachten, weil man wegen Eurer zerrissenen Kleider hinten und vornen auf die Haut sehen kann. Ihr dörfet auch ingleichen um kein Holz sorgen, absonderlich wenn Euch die Bursche mit ihren Stökken prügeln werden. Um getreue Gesellen und Kameraden dörft Ihr Euch ganz nit bekümmern, denn Ihr werdet Läuse genug bekommen; und wenn Ihr wieder heim kommt, so werdet Ihr der allererste zur Exspectanz und der letzte zu einem Amt sein. Vor dem hitzigen Wein werdet Ihr Euch trefflich hüten. Sehet Euch wohl vor, daß Ihr nicht raufet, denn es könnte geschehen, daß Euch einer die Hosen vom Leib risse, alsdann müßtet Ihr den Mantel um die Beine schlagen und in solcher närrischen Postur die Collegia visitieren.«

5. Capitul. Der Student wird auf dem Schlosse installiert
[652] V. Capitul.
Der Student wird auf dem Schlosse installiert, und wie er da sein Letz angefangen.

Ich behielt den artigen Vaganten denselben Abend bei mir und lud gleichfalls den Historicum auf dem Turm zum Abendessen, welchen der Student vor meinen Vater ansah. Dannenhero hieß er ihn gleichwie mich über Tische »Euer Gestreng« und machte fast zu jedem Wort, das er redete, ein absonderliches Schulreverenz, daraus man wohl abnehmen würde, daß er noch wenig unter Leuten gewesen und außer seiner Grammatik noch nit weit in die Welt geguckt hätte. Dahero konnte es der Schreiber nicht lassen, ihn dort und dar anzustechen, welchem er aber wieder wacker einschankte. Er hieß ihn »Herr Scribent«, also lautete es artig genug, denn wenn der Schreiber sagte: »Proficiat, Herr Student!«, so antwortete er: »Conducat, Scribent!« Endlich fragte ihn der Schreiber, wo er seinen Wechsel hätte. »Hört Ihr,« sagte der Student, »wo lasset Ihr Euch Euere Haarkräuseln?« Damit lachten wir wieder eins herunter, und ich muß gestehen, daß ich diese Abendmahlzeit mit trefflichem Gusto zugebracht. »Der Herr gebe fleißig acht,« sprach der Schreiber, »daß Ihm der Wammesärmel nicht abgehauen werde!« – »Ja,« sagte der Student, »das will ich tun, sehet Ihr aber zu, daß Euch die Ohren nicht abgeschnitten werden, sonst könnt Ihr die Feder nicht mehr unter die Haare stecken!« – »Es gibt«, sprach der Schreiber, »viel Lumpenhund auf Universitäten!« – »Es gibt«, antwortete der Student, »auch viel Narren auf Schlössern!« Damit kam es immer weiter in die Schrift, und würzte bald der diesen und dieser jenen wieder ab. Der alte Krachwedel stimmte auch zuweilen mit ein, weil ihm seine alte Soldatenstücklein noch im Magen lagen; doch war er mehr wider den Schreiber als den Studenten, weil er solches wegen vorübergegangenen Scharmützels gute Ursach hatte.

Ich schlug darauf dem Fremden vor, daß, wenn er bei mir bleiben und die lateinische Sprach, deren ich wegen wenigen Exercitii ziemlich unkündig wäre, mit mir aufs neue durchgehen und die Reguln des Syntaxes repetieren wollte, ich [653] ihm, bis es Sommer und besser zu reisen wäre, sein gutes Auskommen allhier auf dem Schlosse zu verschaffen willig und erbötig wäre. Das war dem guten Schlucker eine treffliche neue Zeitung, er leckte das Maul wie eine Ziege nach einem Stück Salz und fing mit einem lateinischen Deo gratias eine weitschichtige Rede an, daß er solche hohe und ungemeine Affection weit mehr zu schätzen und viel größere Ursach haben würde, sich davor dankbar zu erweisen, als gegen die zehen Kreuzer Salzburger Münz. Auf solches wurde der Contract zwischen mir und ihm bald geschlossen, daß ich ihm nämlich zu seinem Einstand ein sauber Kleid machen und etliche Hemder zuschneiden lassen wollte. Was das Essen anbelanget, solle er wegen der nötigen Conversation mit mir speisen, und von Geldmitteln wollte ich ihm dann und wann so viel aus meinem eigenen Säckel spendieren, daß er zuweilen über Feldweges terminieren und dort und da mit einem Bonamico einen Trunk Wein tun könnte.

Diesen Studenten war ich willens, statt des Jäckels zu meiner Zeitvertreibung zu gebrauchen, weil er eines vortrefflichen lustigen Humors war. Denn er gab gleich anfangs dem Schreiber einen guten Rat wegen seines Zunamens, daß er sich hinfüro nicht mehr Andreas-mit-uns, sondern Andreas Nobiscum heißen sollte, vor welche Invention ihm der Schreiber in sein Stammenbuch einen saubern Kranz riß und den Namen mit Goldtinte hineinschrieb.

Hiermit nahm ich den Studenten vor mich und sagte: »Wenn Ihr gesonnen seid, dieses Glück lange zu genießen, so hütet Euch vor dreien Dingen, die ich all mein Leben lang gehasset habe: Erstlich, schwätzet mir nichts zu. Es mag in dem Schloß vorübergehen, was da will, so sollt Ihr mir doch nichts davon in das Ohr blasen, noch Euren Nächsten durch ein lästerliches Achseltragen bei mir oder auch bei meinem Weib verkleinern, hineinhauen oder ihm ein Klämplein anhängen. Vors andere, so hütet Euch, daß Ihr von keinem Bauren oder meinigen Untertan einzige Schmieralien, seine Sache anders vorzutragen, als es an sich selbst ist, einnehmet. Vors dritte, daß Ihr Euch mit Buhlschaft nit verplempert und ohne meinem Vorbewußt, solange Ihr hie seid, mit [654] solchen Sachen, nichts im Winkel vornehmet oder sonsten einen gefährlichen Contract schließet. Tut Ihr das, so ist die Bestallung schon richtig und vollzogen.«

»Herr,« sagte der Student, »Ihr habt ganz einen andern Kopf, als sie in der Stadt haben. Dort hat man nichts liebers als die Leisegeher, Federklauber und Aufstecher. Wer sich am meisten mit Fuchsschwänzen zu behelfen weiß, der ist dorten ein recht glückseliger Mann, er ist ein beatus vir und bekommt viel Silbergeschirr. Solche Leisegeher heißen auf lateinisch in silentio & spe, denn sie gehen in der Still herum und hoffen immer auf einen guten Fischzug. Von Schmieralien mag ich gar nichts sagen, wie es damit zugehet. Euer Gestreng wissens ohnedem wohl, daß, wer wohl schmiert, auch wohl fährt, herentgegen, der nicht zu spendieren hat, dem will der Wagen nicht von der Stelle, obschon die beste War darauf gepacket ist. Die Buhlschaft anbelangend, ist solches nichts Neues, daß sich in den Städten die jungen Bursch, da ihnen der Hinter noch ausgekehrt wird, stracks verschamorieren und ein eheliches Geliebt im Ofenwinkel eingehen. Damit reisen sie ein paar Jährlein mit einem seichten Verstand auf eine hohe Schul und kommen oft viel ehe wieder heim als die Gans, welche über Meer fleugt. Da sitzt nun der Herr Magister, was ißt er? Rüben und Kraut, o elende Braut! Aber wie ich sehe, so wissen Euer Gestreng eine weit bessere Mode, Ihr Hauswesen in gutem Esse zu conservieren.« – »Ja,« sagte ich, »das habe ich von meinem seligen Vater gelernet. Wir wollen vor solche Narrenpossen davor eines musicieren und mit zwei Violinen (denn der Student strich sehr wohl und perfect) etliche Sonaten geigen, dazu uns der Stadtorganist von Ollingen accompagnieren soll.« Also verschrieb ich denselben Künstler (scil.), der hackte bald Quarten, bald Quinten ineinander, daß wir oft eine Sonata mehr als dreißigmal von vornen anfangen mußten. Darum hieß ihn der Student nur den Ab initio, denn der Organist sprach immer, wenns nicht klingen wollte: »Ab initio, ab initio.«

Mit diesem Ab initio hatten wir manchen Spaß, absonderlich, wenn ihm der Wein in Kopf stieg. Da fing er an, sich hören zu lassen und seinen musikalischen Kunstsack auszuschütten. [655] Wenn er nun am besten schlug, hängte ihm der Student einen Katzenschwanz auf den Buckel, und weil er sich in dem Figurieren mit dem ganzen Leib heimlich bewegte, zottelte ihm der Schwanz wie ein Glöcklein hin und wider, darüber ich mich oft krank hätte lachen mögen. Nichtsdestoweniger unterstund sich dieser Organist, mich die Composition zu lernen, die er doch selbst nicht recht konnte, und daher habe ich auch nicht viel von ihm gelernet, wie leichtlich und ohne hohe Scholastik kann geschlossen werden. Der Student verstund solche weit besser denn er; dannenhero klaubte er oft aus einer einzigen sein[igen] Aria, welche er mir gemeiniglich an hohen Festtägen in der Stadt zu Ehren drucken lassen, achtzig bis hundert Fehler heraus. Vor solche Arien gab ich ihm allezeit so viel Groschen, als Noten darinnen waren, welches, als ers merkte, machte er mir eine Motetten mit vier Stimmen, aber ich ließ es bei einem ducato solo bewenden. Also vertrieben wir die Zeit ziemlich lustig. Der Student borgte aus dem oberwähnten Kloster unterschiedliche Bücher, darinnen seine Studien fortzusetzen, übersatzte auch alles dasjenige, was der Soldat, welchen er vor meinen Vater angesehen und hernach wacker davor ist ausgelacht worden, erzählet und dem Schreiber gedictieret, ins Lateinische, mit welchem er sowohl die Zeit vertrieb, als sich in dem Stilo exercierte. Aber der Soldat spendierte uns nicht allein seine Erzählung, sondern auch etliche Müllerflöhe, die in dem Schlosse ziemlich gemein werden wollten. Darum ließ ich ihm ein neues Caput-Röcklein samt einem Paar Hirschhosen machen und reinigte ihn also von den lebendigen Pulverkörnern.

6. Capitul. Der Organist verliebt sich in die Margaret
VI. Capitul.
Der Organist verliebt sich in die Margaret. Sie sehen auf dem Turm eine Finsternis. Der Schreiber entführt die Beschließerin.

Das Allerkurzweiligste war mit diesem Ab initio, daß er sich auf meinem Schlößlein in die Beschließerin, so eine geborne Schwäbin, verliebte. Er hatte allgemach etliche Jahr in dem [656] Witwerstande zugebracht und konnte nicht länger zurückhalten, mir seine Meinung zu eröffnen. »Ich bin zwar anitzo getrunken,« sagte er, »aber voller Mund redet Herzensgrund. Darum muß ich gestehen, daß ich in die Jungfrau Margaret verliebt sei, aber in allen Ehren. Ich bin zwanzig Jahr ein Ehemann gewesen, habe mein Weib allzeit ehrlich und wohl gehalten, meinen Dienst fleißig versehen und, ohne Ruhm zu melden, mich in meinem Wesen so erwiesen, wie es meine Schuldigkeit und mein Dienst mit sich gebracht hat. Wenn es sich denn nun so schicken und sein wollte, daß ich sie haben könnte und müßte, so wäre mein erste Bitt an Euer Gestreng, Vest und Herrlichkeit, Ihr Bestes bei der Sache zu tun, damit ich keinen Korb bekäme.«

»Ihr alter Vater,« sagte ich zu ihm, »Euch stünde besser an, daß Ihr einen großen Paternoster mit fäustgroßen Knöpf in die Hände nähmet, als ein so junges Mägdlein zu heiraten verlanget. Ein alter Mann heiratet mit großer Gefahr, absonderlich ein Organist, wie Ihr seid, der da viel Discipul hat. Die sehen gemeiniglich viel mehr auf die Wangen der Frauen als auf das Clavier. Sie betrachten die Brüste viel mehr als die Blasbälge am Regal, da setzet es darnach falsche Quinten, die man aus dem C-Dur geiget; und wenn es Euch an einem Paar Krummhörnern mangelt, die man an etlichen Orten zur Musik gebrauchet, so könnt Ihrs durch eine solche Gelegenheit leichtlich bekommen. Doch wenn es Euer Ernst ist, wie ich daran keinen Zweifel trage, so will ich Euch als meinem Lehrmeister zu Gefallen und dankbarer Schuldigkeit die Beschließerin vor mich nehmen, ihr Eure getane Proposition vorhalten und Euch alsdann ihren Entschluß wieder notificieren. Seid Ihr damit zufrieden?« – »Trefflich wohl!« sprach der Ab initio, »und wenns noch heute sein könnte, wäre mirs desto lieber.« – »Nein,« sagte ich, »heute wird nichts draus, denn sie geht zur Beicht. So ist es auch morgen nichts, aber übermorgen als künftigen Montags kommet gegen Abend auf eine Musik und Abend-Collation zu mir, nehmet mit meiner Ordinari-Speis vorlieb, alsdann will ich Euch all dasjenige berichten, wessen sie sich in diesem Punkt gegen mir verlauten lassen. Mich anbetreffend, [657] werde in diesem Stück als ein Freiwerber auf Eurer Seite sein und Euer Lob, dessen Ihr wohl wert seid, gegen ihr in meinem Vortrag genugsam herausstreichen.«

Mit diesem Entschluß schied er dazumal höchst vergnügt und tausend Grillen fangend in die Stadt, ich aber wartete mit meinem Vortrag bis künftigen Montag, an welchem ich vormittags die Beschließerin zu mir beruf und sie also anredete: »Liebe Margaret, was willst du mir spendieren, wenn ich dir einen Bräutigam zubringe?« – »Hier,« sagte sie auf schwäbisch, »es ischt des Hieren sin Schierz!« – »Nein,« sagte ich, »meine liebe Margaret, es ischt nicht mein Schierz, es ischt mein Ernst, und damit ich euch in dieser wichtigen Sache mit dir nicht viel foppe, so wisse, daß der Organist von Ollingen, welcher dir, weil er fast wöchentlich hier ein und aus gehet, nicht unbekannt sein kann, um dich bei mir inständig angehalten hat, ob du dich durch mich dahin wolltest bewegen lassen, ihm deine Affection zuzuwenden. Nun bin ich in diesem Fall nicht gesonnen, dich zu einem oder zum andern Entschluß zu bereden, denn die Ehe ist ein schwerer und gefährlicher Kauf. Er ist zwar ein ehrlicher und frommer Mann, der, ob er gleich kein großer Künstler noch Quintilierer ist, so hat er doch sein vermögliches Auskommen, hat ein hübsches Haus in der Stadt und mit seinem Bierschenk ein solches Gewerb, damit er sich bis dato hübsch hingebracht hat. Ich weiß nicht anders, als daß er seine vorige Frau gar höflich und ehrlich gehalten. Er hat vier Kinder, sind aber alle schon erwachsen und geschickt genug, ihr Stück Brot zu gewinnen. Seinen Dienst versiehet er gar fleißig, also daß die Ratsherren in der Stadt, ob es gleich die wenigsten verstehen, gar wohl mit ihm zufrieden sein. Darum sage mir deine Meinung, was hältest du von ihm, oder wie gefällt dir mein Vortrag?«

»Oier Vortrag,« antwortete die Margaret, »edler und gestrenger Hier, ischt guet und fein, aber der Orgalischt ischt ein alter Hosen-Purgierer und hat kain Zahn im Maul!« – »Ja,« sprach ich, »das ist gut vor dich, daß er keinen Zahn im Maul hat, so beißt er dich nicht.« – »Hier,« sagte sie weiter, »ich wollte lieber ein hübsches junges Bürschle haben.« – [658] »Ja,« sagte ich, »du Närrin, so ist einer andern auch. Ihr wollt hübsche junge Bürschle haben, was ist euch aber mit ihnen gedienet? Ihr habt bei ihnen zwar kurzweiligere Nächte als bei einem Alten, aber desto schlimmere Täge. Suppen und Kraut frißt sich nicht gar wohl, absonderlich, wenns täglich kommt. Bei einem Alten gibt es bessers Maulfutter, und da kommst du in ein aufgeraumtes Hauswesen. Es ist hart, sich einzurichten, und absonderlich vor ein Mensch, das fremd im Land ist wie du. Darum besinne dich diesen Vormittag, gehe mit meiner Frauen zu Rat, es hängt gleich wohl deine zeitliche Wohlfahrt dran. Triffst du die Scheibe wohl, so ist der Schuß dein. Ich kann weiter bei der Sache nichts tun, als daß ich dir den Organisten nicht schänden kann, wie er denn ein ehrlich, christlich und frommer Mann ist, der mit keinen falschen Griffen noch Betrug umzugehen weiß. Gehe hin und besinne dich wohl und gedenke dabei, daß, wenn du den Organisten heiratest, dir die Brautmesse umsonst gespielet wird.«

Aber die gute Margaret, so sehr ihr auch von meiner Frauen dazu geraten worden, wollte doch nicht anbeißen, noch sich viel weniger zu einer Gewißheit resolvieren, sondern bat bis morgen auf den Abend um Bedenkzeit. Ich ließ ihr solche, wie billig, gar gerne zu und vertröstete indessen den Organisten, welcher um ein paar Stund ehe gekommen war, als ich ihn beschieden, auf einen guten Ausschlag, trank ihm auch indessen bei der Collation ein christliches Räuschlein zu und schickte ihn in der Nacht auf meinem Kobelwagen wieder in die Stadt. Dort gab der Herr Ab initio dem Gutscher ein gutes Trankgeld und schickte zugleich der Beschließerin ein Brieflein folgendes Inhalts mit:

›Herzallerliebstes Clavier meiner verliebten Gedanken. Ich weiß am besten, wie mir um das Ventil meines Herzens ist. Die Hoffnung, welche ich zu Ihrem guten Entschluß trage, lässet mich an dem angenehmen Echo Ihrer süßen Regal-Pfeif keineswegs zweifeln, noch viel weniger, daß ich auf dem Positiv meines Vorhabens irrgreifen werde, verzweiflen. Wir sind zwar bis dahero ein Sexta major voneinander gestanden, wollte wünschen, daß wir, je eh, je besser, und gleichsam in [659] einem Tripeltact könnten in ein Unisonum zusammen resolviert und gesetzet werden. Die weiße Noten Ihrer Tugenden sind meine größte Freude, und weil Sie Beschließerin ist, ergetzet mich nichts mehr als Ihre Claves, welche ich als ein erfahrner Organist gern examinieren wollte, ob sie zu vier Fuß-Ton recht einstimmen oder nicht. Sie lebe indessen wohl! Weil sich der Kutscher wegen Zusperrung der Stadttor nicht lange aufhalten können, muß ich, obwohl wider meinen Willen, zur Cadenz und dem Final schreiten. Adieu, in fine videbitur, cuius toni.

Diesen Brief kriegt ich zuhand, machte ihn heimlich auf und stellete ihn aufs neu zugesiegelt der Beschließerin selbst zu, welchen sie nicht gar groß ästimierte. Dieselbe Nacht war, nach Ausweisung meines Calenders, eine Mondenfinsternis zu hoffen. Deswegen blieb ich auf, bis etwan Zeit sein würde, der Speculation abzuwarten, weil vor Mitternacht schwerlich etwas daraus werden würde. Meine Sophia ging damals vors andere Mal hochschwanger, darum lagen wir diese Zeit über allein. Ich hatte dannenhero den Studenten bei mir in meinem a parte-Bettlein liegen, der mir auch dazumal in Betrachtung der Eclipsin Gesellschaft leisten sollte.

Nachdem die Schloßglocke zwölf Uhr geschlagen, stiegen wir die Turmtreppe miteinander hinan, ich einen großen Tubum oder Sternglas, er aber eine Laterne tragend. Wir gingen, damit niemand aus dem Schlaf möchte verstöret werden, in den bloßen Strümpfen und verrichteten in dem obern Zimmer unsere vorgenommene Speculation einer um den andern gar vergnüglich. Der Student wies mir gar fein, wie sich die interpositio terræ inter Solem & Lunam verhielt, und daß solches keine sonderliche Zustände bedeutete, wie die Gassensänger in ihren Zeitungen zu prophezeien, soll sagen, zu lügen pflegten, sondern daß die Sonn- und Mondenfinsternissen natürliche Sachen wären, die nichts Sonderliches, ja, so wenig zu bedeuten hätten, als wenn wir die Sonne untergehen sehen.

Der Stradiot, welcher indessen in seinem Bette, so ich ihm in diesem Zimmer aufrichten lassen, sanft geschlafen, wurde [660] endlich von unserm Conversieren ermuntert und fragte gleichsam aus alten und im Kriege angewöhnten Gebrauch: »Wer da?«, entsann sich aber bald eines andern und bat um Verzeihung, vorgebend, daß ihm die alten Grillen nicht alle aus dem Kopfe wären. Er stund endlich auf und gab seine Meinung zu allen Sachen, die wir wegen dieser Finsternis hatten. Indem überzog sich der Himmel mit häufigen Wolken und wurf starke Schloßen, daß alles witterte und stürmete. »Ihr Herren,« sagte der Soldat, »in solchem Wetter habe ich müssen Schildwach stehen, auf die Partei und Execution laufen, es mochte gleich donnern, blitzen oder hageln, so half doch nichts, ich mußte mit meinem Schmeckscheit hinaus und mich in meinem Mantel so gut verstecken, als ich konnte. Da war es übel vor die Bursche, die keine Mäntel oder einen guten Caput-Rock hatten, absonderlich auf der verlornen Schildwach. Da donnerte und blitzte es zuweilen, daß uns das Pulver auf der Zündpfanne hätte anbrennen mögen, und kam oft unter zehen kaum einer wieder heim, denn es war Wetter und Feind wider uns, die uns da und dort hinwegfischten und von dem Platz angelten.«

Nachdem wir ein und anders, die Mühseligkeit der Musquetierer betreffend, geredet hatten, wünschten wir dem alten Vater eine gute Nacht, willens, uns schlafen zu legen. Auf der Turmtreppe stieß mich der Student in die Seite, und als ich mich umsah, warum er solches getan, so zeigte er mir durch ein Fensterlein auf dem Gange, so rings um den Schloßhof ging, den Schreiber Nobiscum vor der Margareta ihrem Kammerfenster, der mit ihr, weiß nicht von der Fractur oder der Canzeleyschrift, discurrierte. Da ich aber etwas genauer zugehöret, war es von der Current, denn er war allem Ansehen nach willens, mit ihr heimlich auf und davon zu laufen. »Ich weiß es schon,« sagte er zu ihr, »daß Euch der Herr und die Frau den alten Hosenvergulder zu heiraten gänzlich persuadieren werden und durchaus haben wollen, daß Ihr Euer Jawort dazu gebet. Aber gedenket Ihr nicht, wie es Euch dermaleins reuen werde, einen so abgeschmackten Kirschmus-Bart geheiratet zu haben? Er geht auf der Gasse daher, wie [wenn] ihm die Bein in den Hintern gekleistert [661] wären, und wird von allen Leuten ausgelacht. Der Herr hält selbst nicht viel auf ihn; Ihr wißt wohl, wie er ist. Wer ihm die Zeit mit Narrenpossen vertreiben kann wie der neue Student, der ehrbare Vogel – ›Herr,‹ sagte der Student zu mir, ›das bin ich‹ –, derselbe ist bei ihm mehr æstimiert als ich und meinesgleichen, die nur mit ernstlichen und reputierlichen Sachen zu tun haben. Der alte Knisterbart hat viel Kinder, darum besinnet Euch wohl und denket daran, was Ihr mir und ich Euch so oft bei Teufelholen und tausend Schwüren zugesagt. Vernehmet Ihr mich, was ich meine?« – »Ja, mein Schatz,« sagte die Margaret, »ich vernehme Euch gar wohl. Ich wollte, daß der Herr etwas anders vor seinen Vortrag getan hätte; ich dachte, es soll Euch gelte, aber so galt es den Orgalischte. Es blibt dabei, was geredet ischt, das ischt geredet.« – »Wohlan!« sprach der Schreiber, »so blibt es demnach bei der Resolution, leb wohl, mein Schatz, und halte dich fertig! Gute Nacht!«

Aus dieser Rede vermerkte ich wohl, daß wir etwas zu spat zu ihrer Conferenz gekommen. Nichtsdestoweniger hatte ich dadurch Argwohn genug, daß nichts mit dem Organisten seiner Buhlerei zu tun wäre, weil ihm dieser Gelbschnabel über das Rück-Positiv herwischen wollte. Nun gedachte ich, der Organist mag sich immer auf ein Lamento gefaßt machen, doch solle der Schreiber auch nicht so bald Sturm laufen, als er sichs einbildet. »Das ist ein Schelm,« sagte ich zu dem Studenten, »wer sah es dem Duckmäuser an, daß er solche Octaven setzen könnte? Warte, du Mauskopf, ich will dir einen Knoten in das Band knüpfen, den du so bald nit auflösen sollest!« Also legten wir uns schlafen und ließen uns von der Sache nichts Böses träumen.

Morgens ließ ich den Schreiber rufen, meine gewöhnliche Correspondenz-Brief an meine gute Freunde mit der Ordinar abzufertigen; aber da war weder Schreiber noch etwas anders zu finden. Ich machte mir stracks Grillen, ging selbst in die Canzeley, aber da waren seine Kleider, sein Feiertagsmantel samt noch einem Rohr hinweg, welches ich zur Vorsorge im selben Zimmer hangen hatte, weil allerlei Wildenten auf dem unweit entlegenen Teiche sich immerzu[662] sehen ließen. Gleichwie ich aber den Schreiber suchte, so suchte meine Frau die Beschließerin. »Margaret! Margaret!« ging das Geschrei, »wo bist du? bist du noch nicht aufgestanden? was machest du so lang in der Kammer?« Ja wohl Kammer! Sie war nur gar zu früh aufgestanden, und der Torwärter berichtete, daß sie in der Nacht etwan um Glock drei Uhr hinausbegehret, vorgebend, sie würden von der gestrengen Herrschaft nach Ollingen verschicket. Ich ließ bald mit zweien Pferden nachjagen, weil meiner Liebsten ein großer silberner Becher samt dreien güldenen Halsketten, so die Beschließerin in ihrer Verwahrung hatte, samt andern Sachen, mir aber nebenst der Büchse ein saubers Kleid hinweggekommen, welches sich nicht leichtlich verschmerzen ließ, absonderlich, da es von einem so leichtfertigen Hausgesind, dem man alles Gutes erwiesen, angepacket worden. Aber da war weder Schreiber noch Beschließerin zu erfragen noch auszukundschaften, mußte also samt dem Organisten Patientia tragen, welchen es überaus geheiete, daß er den Braten verloren, ehe er ihn noch an den Spieß gestecket hätte. Er schmälte auf den Schreiber, daß es schrecklich war; ich aber sagte, daß man zu geschehenen Sachen das Beste reden, noch sich unmäßig hierüber quälen solle. »Haben sie mir doch auch«, sagte ich, »über die hundert Taler Wert gestohlen, sie laufen hin, wo sie wollen, sie werden sich nicht ewig verbergen können. Die Ruten grünen alle Jahr, mit welchen sie noch werden gestrichen werden.«

7. Capitul. Etliche Mörder kommen in das Schloß
VII. Capitul.
Etliche Mörder kommen in das Schloß. Werden gefangen und hingerichtet.

Den Studenten verdroß nichts mehrers, als daß ihn der Schreiber einen ehrbaren Vogel geheißen, da er ihm doch zuvor den Namen Nobiscum so treuherzig communiciert hätte. »Nun heißt er«, sagte der Student, »nicht Nobiscum, sondern Secum; aber die Margaret«, sprach er zum Organisten, »heißet nicht Tecum. Gelt, Herr Organist, Ihr hättet Euch solches ab initio nicht eingebildet, wie es leider anitzo [663] erfolget ist?« Der ehrliche Ab initio schüpfte die Achsel und war in seinem Gemüt bestürzet, daß er denselben Tag keinen rechten und saubern Tremulanten machen konnte. Darum versprach ich, ihm eine andere Gelegenheit zuzuweisen und ihn mit einem bessern Clavichordio zu versehen, dessen er endlich zufrieden war. Denn weilen er mit ihr in keiner sonderlichen Kundschaft gelebet, sondern sie nur plötzlich, gleichsam als auf einen Raub, liebgewonnen hatte, als ließ er auch diese Liebe nach dem Sprüchwort: quod cito fit, cito perit geschwinde wieder fahren und umfing statt der Margaret eine gute Kanne Wein, herzte sie auch dergestalten, daß nach dreien Zügen wenig Tropfen mehr dar innen übrig waren.

Es wohnten zwei Frauen in der Gegend, welche kluge Weiber genennt wurden, das sind solche Leute, die den Dieb und das Gestohlene beschreiben und wiederbringen können. Solche Kunst aber halt ich vor keine Klugheit, sondern vor eine rechte und namhafte Zauberei, die ohne große Gottslästerung nicht kann verübet werden. Darum hielt ich nichts auf das Einraten derjenigen, so mich zu derer Hülfe bereden und verleiten wollen. Denn ich wollte noch lieber darzu tausend Ducaten verlieren und missen, als durch einen solchen schändlichen Frevel meine arme Seel in so große Gefahr setzen. Und warum sollte ich solch Teufelsgesindlein gefragt haben? Ich wußte ja, daß es der Schreiber und die Beschließerin waren, welche mir meine Sachen geraubet hatten. So wußte ich auch, was der Raub gewesen und wie hoch sich derselbe bei einem gleichen beliefe. War also diese Anfechtung umsonst und vergebens. Der Dieb war fort und durchgegangen, weil sie beide nicht gar corpulent und dannenhero sehr fix und fertig werden marschiert sein. Darum schlug ich vor diesmal solche Gedanken aus dem Capitolio, und als der Organist einen halben Tummel hatte, mußte er mir dem davongelaufenen Paar noch ein Valet-Lied aufspielen, welches er mit so geschwinden Fingern verrichtete, daß ich genug daran samt dem Studenten zu lachen hatte.

Drei Tage hernach kam ein feines Mensch vor das Schloß, welches um Dienst anhielt. »Es ist,« sprach sie zum Torwärter, »wie ich höre, hie eine Beschließerin davongelaufen.

[664] Wenn ich könnte bei der adeligen Frauen statt derselben angenommen werden, wollte ich mich besser und ehrlicher verhalten.« Der Torwärter gab sie bei mir an, und als ich sie examinierte, gab sie in allen Sachen gar richtigen Bescheid, hatte auch etliche geschriebene Zeugnisse bei sich, daß sie sich allenthalben gar wohl und redlich gehalten.

Ich nahm sie an, und mein Weib gab ihr eine ernstliche Vermahnung, daß sie der vorigen nicht nachfolgen, viel weniger ihr gutes Lob verdunkeln sollte. »O nein,« sagte sie, »o meine hochadelige und gestrenge Frau, dazu bin ich viel zu ehrlich und redlich. Diebstahl ist eine große Sünd und bleibt nicht ungestraft, viel weniger tut die Hurerei gut! O nein, meine gestrenge Frau, nein, nein, ich weiß es viel besser!« – »Nun«, sagte ich, »so tue auch fein darnach, nicht wer eine Sache weiß, sondern wer das Gute tut, ist lobenswert!« – »Ach ja,« sagte sie, »der hochedle und gestrenge Herr sagt gar wahr, es ist die Wahrheit, ja, ja, ich will mich wohl in Obacht nehmen, daß kein Mensch im ganzen Schloß über mich wird zu klagen haben.« Damit ging sie an ihr Tun, und ich stieg denselben Abend mit dem Studenten wieder auf den Turm, weil der Himmel heller als gestern war, nicht zwar einer neuen Finsternis, sondern vielmehr dem Gestirne nachzuspeculieren, welches der Student trefflich im Kopf hatte.

Als wir solcher Arbeit am besten abwarteten, kamen ihrer drei große Kerl an die Schloßmauer herzugeschlichen, die wir gleich anfangs vor Schelm und Diebe hielten. Sie sahen bald hin, bald her, bald vor sich, bald zurück, darum eilte ich samt dem Studenten hinunter auf den Schloßgang, weil von daraus etliche Fenster hinausgingen, die Bursche besser zu besehen. Mein neugeboren Kind war etwas unpaß, wie es denn bald gleich dem ersten gestorben ist. Darum ward dessen Geschrei disterlich zu hören, ob mir schon dadurch ein großes Unglück verhütet worden. »Benedict! Benedict!« ruften die Kerl und pfiffen etlichmal mit einem subtilen und silbern Pfeiflein. »Diese sind Diebe!« sagte der Student, »Euer Gestreng rufe dem Soldaten und Torwärter samt dem Laquay und Knechten, es hat große Gefahr!«« Hieraus sah ich, daß der Student von keiner guten Courage [665] war, und weil ich nit wußte, wem sie ruften, zumalen im ganzen Schlosse kein Mensch Benedict hieß, als dachte ich, es hätte sich vielleicht jemand in dem Schlosse heimlich verstecket, mit welchem sie in Kundschaft stünden. Diese Sorg war meine größte, folgte also dem Studenten und weckte die Knecht ganz in der Still.

Sie hielten mit ihrem Rufen, Pfeifen und Herumlaufen lang an, bis ich endlich zu meinem Guckfenster hinaus sagte: »Was wollt ihr?« – »Ist es«, sprach einer, »noch nicht Zeit?« – »Ja,« antwortete ich, »ganz still, es ist hohe Zeit!« – »Wir hören ja«, sagte er weiter, »noch ein kleines Kind schreien, die Leute sind gewiß noch nicht zu Bette.« – »Ach ja,« sagte ich, »sie sind schon lang schlafen.« – »Nun,« sprach er, »so wirf die Strickleiter heraus!« Zu allem Glück hatte ich auf dem Schloßturm zwei alte Strickleitern. Dahero hieß ich sie ein wenig verziehen, eilete über den Turm hinauf und wurf sie hernachmals hinunter, als ich zuvor den Haken wohl eingehangen.

»Sobald der erste herauf ist,« sagte ich zu meinen Knechten, »so machet Lärmen!« – »Nein!« sprach der Soldat, »ich bin öfter bei Fischerei gewesen, machet beileib kein Geschrei. Verstecket euch hier in diesem Winkel. Wenn er zum Fenster hereinsteiget, so werft ihm geschwind einen Pelz um den Kopf, daß er nicht schreien und also seine Kameraden nicht warnen kann. Alsdann eilet geschwinde mit ihm in ein Zimmer, bindet ihm Händ und Füße, so könnt ihr das ganze Nest ausheben!« Der Soldat hat hierinnen nicht übel geraten, und der Ausgang bewies, daß er sowohl zu stehlen als die Diebe zu fangen meisterlich abgerichtet gewesen.

Sobald die Leiter hinunter, kam der erste angestochen. Als er mit dem Kopf unter dem Fenster stackte, verfuhren wir mit ihm nach der Lehre des Stradiotens, der sich vor Freuden im Herzen kitzelte, denn ich versprach ihm, wo die Sache nach Wunsch ablaufen würde, einen neuen Mantel machen zu lassen. Und also brachten wir die drei Gesellen, darunter sich der letzte ziemlich gewehret hat, gebunden und gefesselt in ein Zimmer zusammen, allwo wir die Vögel von unten bis oben betrachteten.

[666] Ich examinierte sie augenblicklich, wer sie wären und wer der Benedict sei, dem sie gerufen hätten. Da bekannten sie, daß es diejenige Beschließerin wäre, welche von der Schloßfrau in Dienste angenommen worden. Solche wäre keine Frauen-, sondern eine Mannsperson, die in Weiberkleidern sich hereingepracticieret und ihnen alle Gelegenheit, das Schloß zu berauben, hätte an die Hand geben wollen. »Geschwinde!« sagte ich, »daß man die Beschließerin hasche und sie zur fernern Inquisition vorbehalte.« Aber sie war ebensowenig als die vorige zu finden, und ob sie gleich meiner Frauen bei dem kranken Kind aufwarten müssen, wußte doch mein Weib selbst nicht, wo sie so geschwinde hingekommen, weil sie solche über zwei Minuten lang nicht gemisset hat.

Ich bildete mir stracks ein, sie wäre durch den Tumult erschrecket und, als sie sich verraten gesehen, davongelaufen, aber doch gleichwohl konnte sie nirgends zum Schlosse, welches allenthalben wohl verwahret war, viel weniger zu einem Fenster ohne Leibs- und Lebensgefahr ausgesprungen sein. Dannenhero ließ ich gute Wache in und außer dem Schlosse, wo ich etwan meinete, daß der beste Schlupfwinkel sein möchte, aussetzen, denn sie konnte mir unmöglich aus dem Garne gehen. Bei dieser Histori kann der geneigte Leser betrachten wie mir dazumal müsse zumut gewesen sein und wie geschwinde ich mich in diesem gefährlichen Zustand habe resolvieren müssen, dabei der alte Soldat als ein alter Practicus in dieser Sache nicht ein Geringes beigetragen, welcher, weil er ein Fischer war, die Karpfen desto besser zu fangen wußte.

Ich ließ die Gefangene wohl und sicher verwahren, ging auch nach diesem ganz sorgsam schlafen. Meine Bettdecke glänzte gleich einem Harnisch, so voll hatte ich sie mit bloßen Degen, Pallaschen und Säbeln geleget. Neben mir hatte ich eine stattliche Partisan, und dem Studenten gab ich einen alten, aber sehr scharf schneidenden Hirschfänger, welchen er ober seinem Haupt hinter das Kissen steckte, und also begaben wir uns zu Ruhe, nachdem der Laquay noch ein Licht anzündete und vor unserem Zimmer samt dem Wastel Schildwache hielt.

[667] Morgens erhebte sich in dem Ofen ein plötzlicher und unerhörter Tumult, denn es fielen nicht allein etliche Kächel und also in einem Augenblick der halbe Ofen ein, sondern sprang auch aus demselben die verkleidete Beschließerin mit meinem und des Studentens Entsetzen unversehens heraus, welche sich ohne allen Zweifel diese Nacht in demselben verborgen gehalten. Dieser verkleidete Mörder hatte ein großes Messer in der Faust, und weil das Bett des Studentens unfern von dem Ofen stund, eilete er in der Furi auf diesen zu und tat etliche Stöße, welche, wo sie der erschrockene Student nicht mit dem Deckbette, unter welches er sich verstecket, ausgepariert hätte, ihm ohne allen Zweifel würden das Licht ausgeblasen haben. Ich secundierte ihn aber augenblicklich mit meiner Partisan, rufte um Hülfe, und als meine Knechte ins Zimmer kamen, hatte ich diesem Benedicten allgemach eine solche Schramme in den Hirnschädel gehauen, davon das Blut häufig über seine Kleider abfloß. Hiermit machte sich der erblaßte Student auch wieder hervor, und als er das Bette von sich geworfen, sprang er in seinen Schlafhosen heraus, dem Mörder einen Fang mit dem Hirschfänger zu geben, verfehlte aber des Streichs und schmiß mir einen hauptsächlichen schönen Spiegel samt meiner Violin in etliche Stucken voneinander.

Inzwischen wurde dieser Schelm gleich seinen Gesellen und Mitbrüdern feste gebunden und geschwinde ein Bot mit kurzem Bericht an die Gerichten nacher Ollingen abgefertiget, damit sie möchten der Justiz überliefert werden. Sie boten gleich anfangs zur Rantionierung ihres Leibes jeder zu fünfhundert Reichstalern; aber da mußte Recht vor Gnade ergehen, weil alle das Geld, so sie bei sich trugen, ohnedem in meinen und der Gerichten Händen stund, welches sie meistens in großen und langen ledernen Würsten um den Leib bei sich getragen. Solche Münze bestund in den allerschönsten Reichstalern und Ducaten, dadurch ich wieder in etwas ersetzet habe, was ich zuvor durch den Schreiber verloren. Was mir also die erste Beschließerin stohl, das mußte mir die andere wiederbringen.

»Ihr Lumpengesind,« sprach ich zu ihnen, »ich will euch lassen [668] martern und foltern. Dieses Bubenstück ist nicht das erste, dessen ihr euch so frevelhaftig unterwunden habt. Auf dieser Kirchweihe seid ihr öfters gewesen, und wer weiß, wieviel Blut ihr auf eurer Seelen sitzen habet!« Als sie nun merkten, daß keine Bitte noch Versprechen etwas bei mir fruchten wollte, ließen sie ihre Verstockung merklich spüren, absonderlich da sie sahen, wie ich kein eigene Jurisdiction hätte, mit ihnen das Hochgerichte zu hegen. »Ihr drohet uns gewaltig«, sprach einer unter ihnen, »und seid doch nur ein kahler Landschuft, der über nichts als seine Hühner und Tauben zu commandieren hat. Ihr werdet uns nicht mehr antun, als was die Gerechtigkeit will. Ihr habt mit Gebundenen gute Sicherheit zu prahlen, sonsten wollte ich Euch bald lernen, wieviel es geschlagen hätte.« – »Du Gesell,« sprach ich zu ihm, »lasse dir die Weil nicht lange werden, und daß du sehest, daß ich auch über dich und nicht nur über Hühner und Tauben zu befehlen habe, so will ich dir hier eine Probe davon weisen!« Damit prügelte ich ihn braun und blau, und als es auf einer Seite genug war, wandte ihn der Student auf die andere, und also zerschlugen wir alle nach der Reihe; darüber sie wie die Wölfe geheulet.

Ich konnte es doch nicht aus ihnen bringen, wer oder von wannen sie waren, lag mir zwar auch nicht viel daran, weil ich gute Hoffnung hatte, solches allernächstens aus Ollingen von dem Gerichtsschreiber zu erhalten. Also schafft ich sie auf einem Wagen kreuzweise geschlossen alle vier in die Stadt, allwo man mit ihnen, wie billig, nach der äußersten Schärf verfahren hat. Nach acht Tagen bekam ich das Protocoll, darinnen ich mit Schrecken ersehen, daß sie nicht allein allbereit unterschiedliche Mord- und Totschläge begangen, sondern auch in der ehrbaren Gesellschaft des Barthels auf der Heide sich aufgehalten hätten, als das Schloß Oberstein ist gestürmet und von den rebellischen Bauren angelaufen worden. Darum eilete man bald zum Ende, und wurden zwei Urteil eingeholet, deren jedes das Rad mit sich brachte. Die Beschließerin, als der Rädelsführer unter der Compagnie, der zwar noch der Jüngste unter ihnen war, solle noch darzu mit dreien Zangen-Zwicken gestrafet werden, von [669] welcher Strafe ihn meine schwangere Frau losbat. Wurde also diese ehrbare Gesellschaft den 8. Februari am hellen Tage innerhalb einer Stunde hingerichtet, von unten auf gerädert und ihre Leiber in vier absonderliche Räder geflochten, allwo sie bei dem Hochgericht den Menschen zum Abscheu und Exempel, den Raben aber und anderen Raubvögeln vor eine Speise dienen mußten.

Einen solchen Ausgang nehmen solche Comödien, die man mit großer Leibs- und Seelengefahr zu spielen pfleget. Ich will hier ihre Namen, weil sie es nicht wert sind, nicht gedenken, denn an solchem Gesind ist wenig Merkwürdiges, und dannenhero erinnert man sich solcher Geschichten und Hinrichtungen nur mit Entsetzen. Absonderlich aber wird solcher Gesellen billig nit gedacht, noch diejenige mit Namen genennet zu werden würdig, die, wie diese getan, sich nicht bekehren, noch viel weniger ein Gebet bei ihrem Tode verrichten wollen. Sie stießen den Pfaffen von einer Seite zur andern und trieben auf der Straße zum Galgen die aller-ärgerlichste Schandpossen. Als man mit ihnen an den Galgen kam, an welchem kurz zuvor einer gehenkt worden, so sprachen sie zu ihm: »Gesell, wenn wir miteinander spielen werden, so hast du es besser als wir, denn du bist höher daroben, kannst uns also wacker in die Karte sehen!« Was hilft es aber solchen Narren? Man soll sich über ihre Herzhaftigkeit verwundern, welche man doch vielmehr zu beseufzen Ursach hat, weil es eine pure Desperation ist. Man siehet daraus, daß sie der böse Feind ganz eingenommen, weil sie keinen guten Zusprechungen mehr wollen Gehöre geben. Sie lachen vor ihrem Ende und werden also rechte Teufelsmärtyrer, weil sie ihren Hals einem Strohhalm gleich schätzen und wenig darnach fragen, ob sie in der Luft oder in der Erden verfaulen. Theodori nihil interest, humine an sublime putrescat, saget die Regul im Syntax. Der Theodorus – welcher ein Erzschelm an Diocletiani Hofe war – fraget wenig darnach, ob er in der Luft oder in der Erde verfaule, es gilt ihm ein Ort wie der andere. Und gleich wie solche Gesellen verzweifelt zum Tod gehen, also sterben sie auch verzweiflend und stürzen sich also in die ewige Flamme, [670] gegen welcher die zeitliche Tortur ein angenehmes Labsal ist. Was sie demnach zuvor nit glauben wollen, das müssen sie hernach mit Schrecken und Zittern nicht auf eine Zeit, sondern in alle Ewigkeit erfahren.

8. Capitul. Redet von der Kinderzucht
VIII. Capitul.
Redet von der Kinderzucht.

Nach dieser Execution, in welcher sie abscheulich zerstoßen worden, ritt ich wieder heim und fand mein Weib bitterlich weinen, welche mit einem Perspectiv auf das Feld gesehen und unterschiedlich vorübergehende Leute wegen dieser Geschicht ausgefraget, wie etwan einer oder der andere gestorben wäre. Man wußte ihr aber nichts als von ihrer großen Halsstarrigkeit zu sagen, ob man schon dabei heimlich gemurmelt, daß einer unter den Hingerichteten solle eines vornehmen und stattlichen Herkommens sein. Ich lasse es dahin bewenden, ob dem also gewesen oder nicht; dennoch ist es wahr, daß nicht lange darnach ein ehrbarer und allem Ansehen nach sehr reicher Mann mit dreien, so ihn begleitet, voll Tränen und Seufzen vor den Galgen geritten. Seine Sprache schien ausländisch, und rufte zu etlichen Malen: »O mein Sohn, mein Sohn!« Ich habe es eben von der Bauersfrauen, bei welcher er über Nacht in einem Dorfe samt seinen Gesellschaftern gelegen, welche nach der Aussage dieser Frauen genug an ihm, sie wußte aber nicht weswegen, zu trösten hatten. Aus diesem Exempel ist zu sehen, wie in ein großes Elend gottlose und ehrvergessene Kinder ihre Eltern oft zu stürzen pflegen. Solches sind gemeiniglich Kinder, welche entweder gar zu wenig gezüchtiget oder gar zu übel gehalten werden. Manche Mutter laufet dem Vater, wenn er zuschlagen will und soll, unter die Streiche, lässet sich lieber acht Schläge als dem Kind einen geben. Auf solche Hülfe verlässet sich das liebe Söhnlein. Kommt der Vater mit der Rute, da lauft man geschwinde hinter der Mutter Schürztuch und schreiet, daß es die Nachbarn ins sechste Haus hören. Also wächset das liebe Pflänzlein auf, fänget auch endlich gar an, den Vater bei den Haaren zu zupfen, heißet [671] das Gesind und die Dienstboten mit allerlei garstigen Namen. Will man strafen, so sagen die Mütter: »Es ist noch zu klein, das Kind versteht nicht, was es redet.«

»Mir ist es eben auch also geschehen«, sprach der Student. »Als ich noch in der Stadt war und, mich desto besser durchzubringen, kalmeusern oder, lateinisch zu sagen, informieren mußte, kam mir ein solch saubers Weiblein unter die Hand, welches sich, sooft ich ihn züchtigen wollen, allezeit belieben lassen, mich bei den Haaren zu raufen. Wenn ich sagte ›Schelm, lerne! siehe auf dein Buch!‹, so sagte er: ›Du bist selbst ein Schelm!‹ Also lebte der Jung in allerhand Frevel und die Eltern im continuierlichen Streit. Wenn ihn der Vater, so ein rechtschaffen wackerer und kluger Mann war, strafte und ihn mit der Rute auf die Finger klopfte, so stieß die Mutter ihren Mann mit der Faust in den Rücken, daß es puffte, und also gab es wegen des Knaben einen unaufhörlichen Ehestreit, und kam von den Worten zum Zanken, vom Zanken zum Raufen und Schlagen, von dar zur Klage, von der Klage zur Strafe, verlor also der gute Mann – es möchte die Straf gleich über ihn oder seine Frau gehen – ein merkliches Stück Geld, weil selten eine Woche vorübergegangen, da sie sich nicht dreimal wegen des Jungen gerauft haben.«

»Nein,« sagte ich, »so wird es mit meinen Kindern nicht heißen. Eier in die Pfanne, so werden keine Jungen draus, saget man im Sprüchwort; wo man den Baum nicht in seiner zarten Jugend vorbeuget, so wird ein übels und krummes Gewächse daraus. Wer den Kindern gar zu frühzeitig aufpfeifet, dem tanzen sie hernach solche Sarabanden. Man muß aber auch nicht in sie hineinfahren noch zuschlagen wie mit einer Schlägel-Hacken auf einen eichern Stock. Allzu scharf macht hässig, allzu lind macht lässig, drum soll mans in allen Sachen nit zu scharf noch zu linde machen. Wenn man den Bogen zu hoch spannet, so springet er entzwei, und wenn man den Esel nicht wacker klopfet, so trägt er sein Leben lang keinen Sack in die Mühl. Ne quid nimis, heißet die lateinische Regul, zu wenig und zu viel, ist des Teufels Spiel. Mancher hudelt seine Kinder, schlägt und stößet [672] in sie wie ein unsinniger Ochs. Was richtet er damit aus, als daß er sie inzeiten zaghaft, scheu und so erschrocken machet, daß sie fast mit keinem Menschen ein Wort ohne Augenblinzeln reden können. Sie laufen wohl gar davon, gehen in Krieg, lassen sich aus Desperation unterhalten, werden Soldaten, und ist also nur um zwei falsche Schritte zu tun, so kommen sie dem Henker unter die Hand: das hat man von den Kindern herausgeschlagen. Die allzu große Gelindigkeit der Mutter bauet dem Kind die Stufen, und die allzu scharfe Härte des Vaters schläget den Nagel in Galgen. Da hängt der Sohn. Was vor ein großes Herzeleid hernachmals solche Eltern überfalle und wie eine große Reue sie ergreife, ist leichtlich zu gedenken.

Gewohnet man aber gar zu große Lindigkeit, so will man keinen sauren Wind über die Nase gehen lassen. Soll man in die Welt hinaus seinem Handwerk oder Profession nachziehen, da fängt man an zu weinen und heulen, daß es erschröcklich ist. Es ist zwar natürlich, daß aller Abschied, es sei gleich von Eltern oder sonsten von guten Freunden, sehr wehe tue, absonderlich in den jungen Jahren. Wieviel mehr wird es aber einem solchen Kind zu Herzen gehen, das stets sozusagen an den Mutterbrüsten gelegen und seine größte Arbeit mit Äpfelbraten hinter dem Ofen zugebracht hat. Kommt man anderwärts und wird nur scheel angesehen, so heißt es: ›Ach, wäre ich wieder bei meiner Mutter! O liebe Mutter, wäre ich bei dir! Oh, wie habe ich so gute Tage verloren!‹ Da fängt man an zu weinen, setzet sich in einen heimlichen Winkel und denkt an nichts als an das liebe Heimat, und wie manchen guten Kuchen man daselbst gefressen habe.

Man schreibet von den Heringen, daß selbige Fische, sobald sie aus der See kommen, plötzlich abstehen und sterben sollen. Solches, weil ichs nicht anders gelesen, muß und will ich gar gerne glauben, aber auch alle solche Muttersöhnlein auch Heringsköpfe heißen, die da, sobald sie außer des Vaterlands sind, abstehen und verschmachten wollen. Es schmeckt ihnen kein Fleisch, kein Brot, kein Bier. ›Oh,‹ sagen sie, ›in meiner Heimat ist gut Fleisch, in meiner Heimat [673] ist gut Bier, gut Gebackens, gutes Brot, gute Fische‹ und so fort. Da sind nirgends keine so schöne Gebäude als in ihrem Heimat, kein Ort ist schöner situiert, als wo sie sich herschreiben. Nescio, qua dulcedine cuncti etc., saget der Poet, ich weiß nicht, durch was vor eine annehmliche Süßigkeit wir getrieben und beweget werden, unser Vaterland zu wünschen. Es wird aber mit den Muttersöhnlein keine solche Liebe, die da dem Vaterland ersprießlich ist, verstanden. Als zum Exempel: wer sein Vaterland also liebt, daß er Gut und Blut davor in die Schanze schlägt, dergleichen Exempel zu diesen Zeiten sowohl als vor alters florieren, der ist ein rechter Liebhaber seines Heimats zu nennen. Aber solche Kinderfratzen und pockänzichte Heimsehnungen, da man auf dem Weg immer zurück nach den Turmspitzen und nach dem Kaminrauch gucket, ist ein kindisches Vornehmen, welches zwar mit dem herbeinahenden Alter verschwindet, aber nichtsdestominder solche Leute in großes Unglück stellet.

Denn indem die Mutterpfennige schwinden, suchet man allerlei Gelegenheit, sich zu bereichern, man machet mit, so gut man kann, und wenn sie nicht mehr wissen, was nun zu tun oder anzufangen sei, so sagen sie den Sentenz, welchen sie aus all ihrem Studiern alleine übrigbehalten, nämlich: an nescis longas etc. Damit greifen sie zu, wo sie wissen, da der beste Brocken sitzet, fangen also mit dem Kleinen an, bis sie am Großen aufhören und eben an denjenigen Ort geraten, nach welchem sie so oft und mannigfältig gegriffen haben, nämlich an den Galgen. Dieses sind die Früchte der Hatschelei, anderer Ungelegenheiten zu geschweigen, die dadurch zu entspringen pflegen. Da darf mancher Schuhmacher seinen Lehrjungen nicht sauer ansehen, so läuft er wieder heim, wo er hergekommen. Der Kaufmann darf seinem Jungen nur die Elle ein paarmal über den Rücken messen, so geht man zu dem Barbierer, nimmt eine Purgier und eine rote Salbe ein, das zerronnene Geblüt wieder zu curieren. Da heulet die Mutter wie ein Wolf, das liebe Söhnlein wie eine junge Katz, und die Schwester pfeift hintendrein und quäkt wie ein Frosch, da ist die edle Musik beisammen.

[674] Wenn man aber den Schaden recht beschauet, so hat der Kaufmann durch seine Streiche nichts als ein paar große Gewandläuse auf des Jungen seinem Rücken totgeschlagen, und da ist der Totschlag als in einem corpore delicti augenblicklich zu sehen. Ja, die Eltern sind zuweilen wohl gar so närrisch, verklagen den Herrn bei der Obrigkeit, dem sie doch vielmehr zu danken große Ursach hätten. Eine gute Züchtigung schadet dem Magen so wenig als eine hübsche fette Fleischsuppe. Wer nichts ausstehen, sondern sich zu jedem Wort wie ein Schneck, der die Ohren einziehet, anstellen will, aus dem wird auch nichts. Ich weiß nur gar zu wohl, was mein Jäckel vor ein schlimmer Gesell war, jedennoch ließ er sich tapfer abklopfen und besserte sich fein darnach. Solche Streiche werden wohl angewandt und sind dem Getreide zu vergleichen, welches, wo es in eine fruchtbare Erde geworfen wird, zehenfältige Frucht bringet. Dieses lasset euch gesagt sein, ihr Eltern, und folget in diesem Stück dem Exempel meines alten Soldaten auf dem Schloßturm, der erzählete, wenn ein Kind, deren er fünfe gehabt, mit einer Klage zu ihm gekommen, daß es nämlich von dem Meister zu hart geschlagen würde, so habe ers allezeit mit noch mehrern Streichen zurückgejaget, als sie angekommen sind.«

9. Capitul. Wunderliches Taubenschießen
IX. Capitul.
Wunderliches Taubenschießen. Sie discurrieren von den alten Einsiedlern und ihrer Pönitenz.

Verstandenermaßen so war ich zu Ollingen bei der scharfen Execution dieser vier Straßenräuber gewesen, welche elend genug hingerichtet worden, habe auch in selbiger Stadt eine ziemliche Zeit mit guten Freunden zugebracht, daß ich über Nacht, ehe die Execution vorbeigegangen, darinnen geblieben und also fast in die vierundzwanzig Stunden mich außer meinem Schlößlein aufgehalten habe. Den vorigen Discurs führte ich mit meinem Studenten, da wir wieder heimwärts ritten, weil man sich nach solchen Zufällen mit dergleichen Unterredungen gemeiniglich zu unterhalten pfleget. Und [675] also kamen wir am Mittage wieder nacher Haus, allwo uns das Essen trefflich wohl schmeckte. Nach solchem war ich willens, eine andere Geige samt einem neuen Instrument aus der Stadt holen zu lassen. Der Student aber solle zu seiner Buße, daß er solche zerschlagen, anstatt des davongelaufenen Schreibers das Concept von dem Stradioten entwerfen, welches er gar willig auf sich nahm. Ich wußte den Nachmittag nicht besser als mit Taubenschießen zu passieren, welche Lust ich mir öfters zu Verkürzung des langweiligen Wetters belieben lassen. Ich wußte aber gleich anfangs nicht, warum die Tauben so überaus scheu waren, weil keine in den Kobel oder in das Taubenhaus sich retirieren wollte, welches sonst ihr beste Retirada war. In diesem Zweifel erblickte ich einen Marder, welcher recht gegen mir über in einem Loche saß und allem Ansehen nach daselbst auf eine gute Beute paßte. Aber ich schlich geschwind um eine gute Büchse, spannte solche und schlug an. Da ich aber am besten zielete, guckt Bruder Sempronio zu dem Loche heraus und sprach: »Bruder, schieß nicht!« Dieses Gesicht, ob es mir gleich ziemlich bekannt war, hielt ich in der erste vor ein blendendes und betrügliches Gespenst, senkte demnach vor Schrecken meine Flinte vom Backen, und indem ich solches tat, stieg Sempronio, Dietrich und Wilhelm aus dem Kobel, und lachten alle drei, daß es in dem Hof schallete.

»Wie seid ihr«, sprach ich zu ihnen, »ewiglich hereingekommen, und wann ist euer Ankunft geschehen?« Damit eröffneten sie mir den Betrug, daß sie gestern abends, und zwar in tiefer Nacht, an das Schloß gekommen. »Wir beredeten den Torwärter,« sprach Wilhelm, »weil du nicht zu Hause, sondern bei der Execution zu Ollingen warest, daß er uns unangemeldet im Finstern in das Taubenhaus einließe, und unsere Resolution war, dich heute in der Nacht heimlich zu überfallen und dir gegenwärtigen Gevatter-Brief zu überliefern, darob du dich ohne Zweifel sehr verwundern wirst. Und wenn du nur nicht zu schießen wärest willens gewesen, so wär der Possen angegangen.« Da fing ich erst an, mich selbst auszulachen, denn ich hatte den Muff, welcher dem Dietrich zustund und ein Marderfell war, vor einen lebendigen[676] Marder gehalten, darüber sie sich selbst verraten haben.

Ich führte sie mit höchster Verwunderung meiner Frauen ins Zimmer, eröffnete den Brief und fand, daß es, wie sie vorgegeben hatten, eine Gevatterschaft, und zwar bei Herren Gottfrid, bedeutete, der nunmehr seinen ersten Sohn wollte taufen lassen. Machte mich derohalben zu diesem christlichen Werk fertig, darüber ich sehr erfreuet war und mich nicht viel im Kopf kratzte, wie mancher tut, sondern, als ich diese gute Freunde nach Vermögen getractiert, ritt ich mit ihnen auf Gottfridens Schloß, daselbst meiner Gebühr abzuwarten. Auf dem Hinweg erzählte ich ihnen die ausführliche Geschicht wegen des vorübergegangenen Zustands auf meinem Hause, und wie artig mir der alte Soldat geraten hätte. »Dergleichen Gesellen«, sprach Wilhelm, »wissen am besten, wie man kommen soll. Ich hab auch einen gekannt, der steckte in alle Löcher, da er einsteigen oder durchbrechen wollte, auch zu den Fenstern, allezeit einen ausgestopften Mann hinein, auf daß er dadurch probieren möchte, ob jemand an dem Ort aufpaßte oder nicht.« Diese Invention verwunderten wir sehr, daß die Menschen so arglistig zum Bösen und so faul und einfältig zu dem Guten wären. Das abc-Büchlein geht hart ein, aber die Karten zu kennen oder den Unterscheid zwischen dem Schellnkönig und grünen Daus kann fast ein jeder Knab auf der Gassen besser als alte Leute. Da heißt es denn: Vater, seid kein Narr, spielt Rot aus!

Über dieses erzählte ich ihnen auch von meinem Historico auf dem Turm gar viel Abenteuren und Historien, die er mir bis dahero zu einer Ergötzung geschrieben hatte, und sie mußten sich wundern, daß ich meine Trauerzeit durchzubringen so lustig und löblich disponiert hätte, absonderlich, da ich ihnen von dem Nobiscum und der Beschließerin, wie auch von dem Ab initio und seiner Orgelkunst erzählte. Wünschten mir also alle eine künftige bessere Vergnügung und verwunderten, daß ich den Brand an meines seligen Vaters Schlößlein so leicht vergessen und in den Wind schlagen können, welches dem tausendsten Menschen in einem so [677] hauptsächlichen Verlust nicht gegeben wäre, mit so beständigem Gemüt zu verbeißen. Aber was kann man bei solchen Zuständen anders tun als geduldig sein? Warum soll man seine Seel, die ewig leben wird, wegen einer zeitlichen und vergänglichen Sache zu Tod kränken? Es währet doch alles nur ein Weil, und viel Seufzen bringt dasjenige nicht wieder, was einmal verloren ist. So hatte ich über dieses Mittel genug, mich und die Meinigen nach aller Notdurft hindurchzubringen, warum solle ich mir denn wegen dieses, obzwar schmerzlichen Verlustes, den Hals abgerissen oder mich aufgehangen haben? Ein solcher verzagter Weichling bin ich niemals gewesen, will es auch noch nicht werden, weil ich wohl weiß, daß es dem Menschen zu seinem Besten gereiche, wenn er wacker getribuliert und gestiegelfritzet wird. Denn da lernet man sein Elend desto besser betrachten, die Eitelkeit mehr verachten, das Zeitliche hassen und suchet einen andern Weg, nämlich zu dem Himmel, sein Heil zu suchen, und dort ist solches auch beständig zu finden.

»Du hast recht,« sprach Wilhelm, »es ist mir auch nicht viel anders, man muß sich in der verfluchten Welt herumschleppen, und wenns zum Stich kommt, so haben wir doch nichts getan, und bleibt alles unvollkommen. Ich setze mich zu Hause in mein kleines Stüblein, esse einen guten Schinken und trinke ein paar Gläslein Aquavit darauf, damit genieße ich meine Ergötzlichkeit. Man hat doch auf der Welt keinen andern Genuß als ein bißlein Kleider, damit man den Madensack zudecket, und ein wohlschmeckendes Magenfutter, das ander ist nit der Mühe wert, daß man sich darum viel bekümmere. Zuweilen rufe ich den Einsiedler aus seiner Steinhöhle hervor, mit ihm mein Gebet und Andacht zu verrichten. Will ich wissen, wie es in der Welt oder sonsten zugeht, so lasse ich aus der Stadt den schwätzhaftigen Hans in allen Gassen holen. Der erzählet mir so viel in einer Stund, daß ich genug habe, vierzehen Tage daran auszuklauben und nachzuspintisiern. Vergangenen Winter bin ich meistenteils mit meinen Schloßleuten auf dem gefrornen Fischteiche auf Beinschlitten gefahren, und dort hat einer den andern über den Schlitten abgestoßen, wie ihr euch wohl einbilden könnt.«

[678] In diesem untereinander gepflogenen Gespräche stieß uns ein Mann auf der Straße auf, welcher mit einem Pferde einen großen Kasten auf seinem Karren führte. »Ihr Herren,« sprach er, »verzeihet meiner Unhöflichkeit, daß ich frage, wo der rechte Weg nach dem Kloster Sanct Martini hingehe. Fahr ich zur Rechten oder fahre ich zur Linken?« – »Ihr seid schon auf dem rechten Weg,« sprach ich zu dem Fragenden, »aber was führt Ihr auf Eurem Karren?« – »Beliebt den Herren, meine War zu sehen,« sprach er, »so will ichs alsobald zeigen.« Damit eröffnete er seinen Kasten und wies uns Wundergezeug untereinander, daß wirs nicht leichtlich unterscheiden könnten, wäre es genähet oder gewirket. »Ihr seid«, sprach Sempronio zu mir und Dietrich, »Eremiten, Einsiedler und so heilige Leute gewesen und kennt diese Röcke nicht? Es sind von Roßhaaren gestrickte Bußkleider, die man auf lateinisch Cilicia nennet.« Darüber mußten wir uns billig schämen, daß wir wollten ein so scharfes Leben geführet haben und kannte doch keiner unter uns ein Cilicium; fragten demnach den Krämer, wohin er damit zu fahren gesonnen wäre. »Wie ich zuvor gesagt habe,« antwortete er, »so will ich damit in das Kloster zu S. Martin, ob etwan die Mönche in selbem Convent etwas von meiner War vonnöten hätten. Es ist wohl gemacht und fleißig gestricket, aber ich kann nirgends nichts loswerden, unerachtet ich fast in allen umliegenden Klöstern gewesen. Da droben auf der Höhe wohnt ein Pfaff ganz alleine, der fragte mich, wie teuer ich eins verhandelte. Ich sprach: ›Vor anderthalbe Taler.‹ Da machte er ein großes Kreuz und sprach, wo ich ihm vor zwei einen halben Gülden geben wollte, sollte ich sie alle beide mit mir nehmen, weil sie noch ganz neu und kaum zweimal von ihm wären gebraucht worden.«

»Ja,« sagten wir, »mein lieber Krämer und Kleiderstricker, diese War hat keinen großen Abgang. In Ägypten hättet Ihr ehedessen unter den Einsiedlern einen guten Handel gehabt, aber die heutigen Mönche tragen lieber ein schönes und warmes Camisol unter der Kutten als eine härine Juppe.« – »Es ist mir mein Weib gestorben,« sagte er, »wollen sie mirs im Kloster nicht abkaufen, so will ich ihnens verehren, [679] daß sie aufs wenigst Seelmessen vor sie lesen.« Damit geißelte er mit seinem ›wie de hot‹ davon. »Dieser Mensch«, sprach Wilhelm, »hat sein Handwerk etwas zu spat gelernet. Ehedessen, als die alte Andacht noch im Christentum florierte, galten solche Hemden mehr als Sinewaff oder Schleier. Aber anitzo werden sie nur von denjenigen getragen, die eine juckende Haut haben, und solchergestalt dienet ihnen das Kleid vielmehr zur Wollust, weil sie sich darinnen wie ein Schwein an einem Stock zu reiben wissen, und nicht zur Kasteiung des Fleisches noch zu Hemmung der unordentlichen Affecten, auf welches diese Kleider ursprünglich und hauptsächlich angesehen sind.

Solche härine Kleider haben die Altväter in der Wüsten mit großer Patienz und Devotion getragen, da wir hingegen kaum leiden noch dulden können, wenn uns ein Floh in die Seite sticht. Ich lese oft mit Lust und Wunder in den Legenden, wie strenge Bußkleider die Heilige getragen, zu geschweigen, wie ein hartes Leben der und jener zur Verachtung der zeitlichen und irdischen Wollüste geführet. Solche Andacht ist mit der alten Welt verschwunden, und die neue fänget allgemach an zu zweifeln, ob so fromme Leute auf der Welt gewesen wären oder nicht, und unsere Köpfe sind nur allein klug, weil wir uns unterstehen dörfen, ihr Leben vor große Torheiten auszuschreien. Wer kann sagen: dieses ist darum geschehen, jenes darum? Diese Urteil des Höchsten sind weit von uns abgesondert und verborgen. Wie manchem wär es besser, er lebte als ein frommer Einsiedel in der äußersten Insul oder Wildnis, als daß er in öffentlichen Versammlungen sich nicht viel anders als ein wildes Vieh verhält. O wie gut wäre es manchem, daß er zur Vermeidung gemeiner Ärgernis in einem Wald säße und seinem Heil nachsinnete! Und dannenhero habe ichs niemalen mit denjenigen gehalten, die das Klosterleben so gar vernichtet und die Einsamkeit so sehr verachtet haben.

Alle Sachen, wo sie zur Ungebühr gebrauchet werden, sind strafbar, und wegen des Mißbrauchs ist nicht stracks die Hauptsache aufzuheben. Man findet alle Stände mit Lastern beschmitzt. Man hat Exempel, daß Eheleute einander [680] mordet, Soldaten aneinander totgeschlagen, Geistliche mit- und widereinander geketzert haben. Nichtsdestoweniger ist der Stand nicht an sich selbst, sondern nur die Glieder desselben durch ihre eigene Laster verächtlich gemacht worden. Also argumentierte ich auch vom Kloster- und Einsiedlerleben. Die Apostel sind allezeit klare Lichter der Welt gewesen, ob sich schon der verzweifelte Judas statt des Himmels einen Weidenbaum mit dreißig Silberlingen eingekaufet hat. Wenn ein Bürger in einer Stadt zum Schelmen wird, so geht doch dieses Bubenstück seinen Nachbarn nicht an, weil er mit falschen Practiquen nichts zu tun, noch mit diesem Verbrecher eine Gemeinschaft im Laster gehabt, ob er gleich mit ihm, als ein Bürger, vergesellschaftet gewesen. Denn sobald dieser zum Schelmen geworden, hat er durch seinen begangenen Frevel das Bürgerrecht aufgehoben und sich also von den andern Mitbürgern separiert. Man kann der Sonne deswegen keine Dunkelheit beimessen, weil sie zuweilen mit düsteren Wolken vergesellschaftet wird, und nur ein unkluger Kopf wird sagen: ›In dieser Stadt gehet es lasterhaft zu!‹, wenn er dorten alle Wochen fast ihrer sechsen den Staupbesen geben siehet. Denn indem dieses geschicht, hat er vielmehr Ursach, zu betrachten die gerechte Obrigkeit und ihr wachendes Aug, welches über den Lastern nimmermehr einschlummern kann.

Wo ist derjenige Land- und Bauersmann anzutreffen, der sagen kann: ›In diesem Getreid ist kein Unkraut‹? Welcher Winzer in dem Weingarten darf vorgeben, daß in seiner Weinlese keine faule Weintraube gewesen? Welcher Beck hat die Zeit seines Lebens lauter reines Korn gemahlen? In welchem Garten ist kein wurmiger Apfel gewachsen? Welchem Fischer sind keine Fische abgestanden? Wer ist derjenige unter uns, der niemalen auf dem Eis geschlüpfet hat? Welches Pferd hat nie gestolpert? Welche Orgel hat sich niemals verstimmet? Hat doch das Firmament selbst Finsternissen, die Erde Mißwachs, die Flüsse Ergießung, das Meer seine Ungestüm. Also haben auch die Menschen, sie mögen nun in Klöstern, in der Welt, auf Dörfern oder in Städten oder auch in den abgelegnesten Wüsteneien bei den [681] Antipedibus daraußen wohnen, ihre sonderlichen Fehler und leider mehr als zuviel. Unsere Augen sind an Vortrefflichkeit allen äußerlichen Leibsgliedern weit vorzuziehen; aber diesen Hauptfehler führen sie mit sich, daß sie das Laster ihres Nächstens gemeiniglich viel ehe und viel größer als das unsrige erblicken und urteilen.«

Eine solche Lobrede führte Herr Wilhelm zu Ehren der Geistlichkeit, die er sehr hoch hielt. Darum hatte es auch sein Einsiedler nicht schlimm, welcher fast alle Tage mit ihm in dem Schlößlein über Tische speisen mußte. Er wäre auch selbsten schon lange ein Mönch geworden, wenn ihn erstlich seine zwei junge Vettern, die immer auf sein Erb hofften, und dann seine zufällige Grillen nicht davon abgehalten hätten. Denn wenn es ihn unterweilen ankam, so wurde er unversehens so fröhlich und lustig, daß er oft vor großer Freude nicht wußte, wie närrisch er sich gebärden sollte.

10. Capitul. Gefährlicher Duell
X. Capitul.
Gefährlicher Duell. Der Schreiber Andreas Nobiscum wird wunderlich gefangen.

Wir redeten beinebens viel von dem neuen Hofleben unsers Philipps, und wie es ihm daselbst gedeihen würde, hielten es auch vor sein großes Glück, weil ihm der Fürst mit Gnaden sehr zugetan war. »Wer diese bei Hof hat,« sprach Dietrich, »der kann nicht verderben, und wer dem Fürsten im Schoß ruhet, diesen kann das Wachen seiner hinterlistigen Feinde nicht aufwecken. Philipp weiß wohl, wo der Fuchs zu beißen ist, er wird seiner nicht vergessen; aber wenn ich an seiner Stelle gewesen, wäre ich mein eigen geblieben. Die Freiheit ist doch allem Reichtum so weit als die Sonne den Sternen vorzuziehen. ›O aurea libertas, cuius januæ non sunt clausæ!‹ sagte jener Philosophus, als er einen eingesperrten Vogel, der nicht singen wollte, betrachtete. Denn in einem solchen Gefängnis, ich will sagen: zu Hof, gehet Lust, Freud und Mut hinweg und gleichsam in die Fessel. Ich habe keinen Magen, aufgewärmte Suppen zu fressen, noch Gesundheit [682] genug, mich einem andern zu Gefallen vollzusaufen. Das heißet: ad nutum principis stare, alles geschwinde tun und verrichten, was ein anderer haben will. Doch wollen wir ihn künftig besuchen und sehen, was er vor ein Lied zu Hofe singen gelernet hat.«

Auf solches erzählete uns Sempronio seinen Zustand, daß er wäre begehrt worden, eine Compagnie anzunehmen und Hauptmann zu werden, eröffnete beinebens, wie es ihm im vergangenen Bauernkrieg gegangen und wie Wunderliches ihm auf unterschiedlichen Parteien geglücket hätte. Solchergestalten merkten wir wohl, daß unsere gepflogene Gesellschaft bald dörfte getrennet werden, weil einer da-, der andere dorthin in Dienste berufen und zu ansehnlichen Verrichtungen gefodert worden. Denn Philipp war bei Hof ein vornehmer Minister, Christoph, als Gottfrids Bruder, wollte in Welschland reisen. Herr Dietrich wollte sich außer Landes auf ein bessers Gut setzen oder mit Christoph in Italien passieren, und Sempronio war willens, verstandenermaßen unter die Fahne zu gehen; mein Vater Alexander war nunmehr gestorben, und also stund die alte Bündnis und Nachbarschaft nur noch zwischen mir und meinem zukünftigen Gevatter, dem redlichen Gottfriden, daß es also schien, gleichwie wir die ersten in dieser Gesellschaft gewesen, also würden wir auch wieder die letzten sein. Nichtsdestoweniger mußte jeder seinem Fato, aber nicht wie die Stoici eines defendierten, nachfolgen, so ungern wir auch durch dasselbe unsere gute Gesellschaft zerstöreten.

Nach allen diesen Gesprächen und noch mehr mit untergelaufenen Discursen, die ich wegen Ungelegenheit des Gewitters und zum Teil wegen häufiger Verwechslung nicht wohl merken noch dieselbe allhier beitragen können, bekamen wir endlich außer einen Walde Herrn Gottfridens Schloß zu Gesichte, allwo ich noch selbigen Abend in Beisein vieler vom Adel und anderer vornehmen Stadt- und Landleute zu Gevatter gestanden und bei der Taufe einen Zeugen dieser christlichen Handlung abgegeben, dabei es hernachmals trefflich lustig und herrlich zugegangen. Wir trafen allda an den Herrn Carander, als Sempronii Schirr-Gevattern samt [683] dem Advocaten, von welchem schon öfters ist Meldung getan worden, weil er einen perfecten Schmarutzer abgab und sich nach seiner Art meisterlich zutun konnte. Er erzählte noch immer von seiner Victori wegen des Barthels auf der Heide, und wenn er einen oder den andern Punkt absolviert, so rufte er mich allezeit zum Bestätiger seiner Relation an. Gottfrid bedauerte nichts mehrers, als daß er den ehrlichen Philipp nicht bei dieser Fröhlichkeit haben konnte, weil er, wie sein Brief lautete, unmöglich von Hof abkommen konnte. Er wollte aber seine Schuldigkeit auf ein andersmal in acht nehmen und die alte brüderliche Freundschaft nach allem Vermögen beobachten. Indessen wünschte er ihm Glück zu seinem jungen Prinzen. »Siehest du,« sagte Gottfrid, »Philipp kann seine Höflichkeit nicht lassen und wird es zu Hof erst recht lernen, welcher eine Schul ist, darinnen einer den andern anzuspornen pfleget. Es scheidet alles von uns, und das Glück will nicht mehr leiden, daß wir, wie bis anher geschehen, mit so großer Vergnügung einander lieben sollen. Dennoch, wenn man betrachtet, daß die Entferntheit des Orts die Affection nicht mächtig genug sei aufzuheben, so bin ich sicher, daß dennoch einer gegen dem andern in unauslöschlichem Angedenken wird verbunden bleiben. Mein Bruder gehet mit nächstem in Italien. Ich aber und du bleiben im Lande, und gleichwie wir die ersten Freunde gewesen, also wollen wir auch die letzten sein.« Ein dergleiches Gespräche führten wir dazumal mit großer Annehmlichkeit, weil man sich bei einem Glas Wein, absonderlich in einer solchen Gelegenheit, ziemlich vertreulich herauszulassen gewohnet ist.

Nichts wunderte und ergetzte mich mehr, als daß ich den ehrlichen Jäckel allhier zu Unterbinningen, so hieß das Schloß, angetroffen, welcher, wie er sagte, von Gottfriden verschrieben worden, ihm bei dieser Festivität die Zimmer auszumalen und noch andere neue Inventiones hinzuzutun. Weil demnach sein Meister, bei dem er unweit von hier in einem Schlosse arbeitete, wegen großer Unpäßlichkeit nicht ausgehen, viel weniger einen solchen Weg hätte unter die Füße nehmen können, sei er hiehergeschickt worden, nach seinem [684] Vermögen dasjenige zu verrichten, was etwan am nötigsten wäre.

Hiemit erzählte er mir, wie es ihm seit seines Abscheidens aus meinem Schlößlein gegangen und daß sich sein Lehrmeister gedoppelt mehr auf den Dienst warten ließe, als ich sonsten wäre gewohnt gewesen. »Jedennoch muß ich«, sprach er, »bis dahin in Geduld stehen, denn ich bin nicht bei ihm, die Hoffart, sondern die Kunst zu lernen, deren er gewachsen genug ist. Vor diesem ist er auch sehr geliebet worden, nachdem ihm aber der Stolzteufel zu reiten angefangen, heißen ihn etliche aus Verachtung Meister Reibstein.« – »Ja,« sprach ich, »mein lieber Jäckel, das ist nichts Neues in der Welt, man findet dergleichen Leute einen ganzen Haufen. Aber ihre Einbildung ist eben das Mittel, vermittelst welchem sie ihren Aestim, welchen sie sonst wohl verdienten, bei ihrem Nächsten ganz auslöschen. Solche Gesellen sind gleich den Gassenärzten, die da auf ihrem Theatro mit hundert Briefen prangen. ›Sehet, ihr Herren,‹ sprechen sie, ›dieses Testimonium ist von Augsburg, dieses von Orasel, diese Attestation ist von Venedig!‹ Da wollen sie in allen Teilen der Welt berühmt und bekannt, geehret und gelobet sein. Solche werden billig Prahler genennet, weil sie ihren Ruhm nur so lang verhalten können, bis sie sehen, daß man nichts Lobwürdiges von ihnen redet. Alsdann fangen sie selbst an, sich herauszubrüsten und entweder mit Worten oder mit närrischen Mienen alle dasjenige augenscheinlich zu entdecken, was sie von sich selbst in ihrem Herzen halten.«

In diesem Gespräche führte uns Gottfrid in sein neues Zimmer, allwo der Jäckel mit gutem Fleiß ringsumher etliche feine Sinnenbilder gezeichnet und gemalen hatte. Eines unter diesen war, wie er sagte, auf die Geburt des Vincenzens – so hieß das getaufte Knäblein – gerichtet, in welchem nächst einer Kirche etliche Obstbäume voll Früchte stunden. Ober der Kirche waren folgende Buchstaben geschrieben, als:V, V, V, V, V, V, V, das waren sieben V. Keiner unter uns getraute sich dieses auszulegen. Darum eröffnete der Jäckel den Verstand dieser sieben Buchstaben und sprach, daß es hieße: [685] Viel Vincenz von Vnterbinningen, viel Vater vnser. Daraus die Anwesende, absonderlich aber diejenige, welche ihn noch nicht recht kannten, seinen Verstand und klugen Invention zu verwundern anfingen.

Ich wußte wohl, daß er nicht allein seinem Pinsel, sondern auch anderen Sachen genugsam gewachsen wäre. Darum fragte ich ihn, wie etwan, absonderlich aber mit den Fremden, eine hauptsächliche Lust vor diesmal anzufangen wäre, daraus man etwas zu lachen hätte. Da war er behend zu der Antwort und hieß uns Christophens Pagen, so ein überaus schöner und weibischer Knab war, in einen Frauenzimmerhabit verkleiden. Solchen, als man ihn in der Stille herausgeputzet, satzten wir unter uns an die Tafel, und Christoph gab ihn vor seiner Frauen jüngste Schwester aus. Da ist unmöglich zu sagen, wie sich absonderlich etliche Junge von Adel, die ihr ganzes Herkommen mit einem Pergamentbrief aufweisen konnten, aber in natura nur aus der löblichen Handwerkszunft entsprungen waren, in dieses Ding verliebet haben. Es drang sich gleich in der erste ein jeder mit seinen Dienstleistungen in ihre Freundschaft, und war fast keiner, welcher sich nicht heimlich ihre Liebe wünschte. Daher ist leicht zu gedenken, wie uns, als die um den Betrug wußten, bei dieser Sache zumut gewesen, absonderlich, als sich ihrer zwei um der Eifersucht willen auf die Fuchtel gefodert und also künftigen Morgen hinter einem Busch bei dem nächst gelegenen Wald auf Leib und Leben schlagen wollten.

Dieser Poß, ob er wohl lustig und an sich selbst kurzweilig war, brachte doch keine geringe Gefahr der Veruneinigten mit sich, weil keiner unter beiden konnte befriedigt, viel weniger von dem bevorstehenden Duell abgehalten werden. Sie eileten demnach des andern Morgens, sobald es ein wenig tagete, samt einem zierlichen Comitat hinaus auf eine weitschichtige Heide, welche mit einem kleinen Bächlein entschieden zu Sommerszeiten dem Vieh sehr bequem war. In dieser Weide hatte es ein angenehmes Wäldlein, hinter welchem sie sich, weil es ohnedem gelindes Wetter war, bis auf das Hemd ausgezogen und also wie zwei wilde Katzen, [686] erstlich mit Fäusten, hernachmals aber mit der Fuchtel, aneinander angefallen haben. Der eine, so einen herrlichen Degen focht, jagte seinen Gegenteil ziemlich in dem Kreis herum, und weil bald da, bald dort noch ein Kühpflaster lag, geschah es, daß sie alle beide unversehens in den Bach fielen, aus welchem man sie mit großer Gefahre, doch nicht ohne stillem Gelächter der Zusehenden hat herausreißen müssen.

Sie fuhren nichtsdestominder in ihrem Hauptstreit fort, und fingen erst alle beide an, ihre Lectiones, welche sie von dem Fechtboden weggetragen, zu weisen. Der eine zwar etwas besser als der andere, weil er durch etliche wohl angebrachte Stöße genugsam gezeiget, wie fix und fertig er mit der Frankenat umzuspringen wußte. Durch diesen Vorteil beschädigte er seinen Gegenteil in die rechte Seite, welcher, voll Wut und Zorn, wie ein Verzweifelter von sich stieß und seinen Verletzer eben mit der Münze bezahlte, wie er von ihm empfangen hat. Man sah augenscheinlich, daß in dieser Furi ein großes Feuer entstehen dörfte, wo nicht beizeiten so gefährliche Flammen ausgelöschet würden. Und weil sattsame Exempel am Tage waren, daß mancher ehrlicher Kauz aus angestellter Kurzweil sein Leben machte ich mir samt den andern, die an dieser Invention Ursach waren, kein geringes Gewissen. Eilete also mit bloßer Fuchtel hinzu und sprach zu ihnen: »Was nützet Euer so heftige Verbitterung wider- und gegeneinander? Schätzet Ihr Euer Heil und Seligkeit so gering, daß Ihr keinen Scheu traget, solche um ein kahles Frauenzimmer in die ewige Flamme zu stürzen? Und wer weiß, wer diejenige ist, um welche Ihr Euch so übermäßig bemühet? Ihr habt beide Ehre genug eingeleget und genugsam gewiesen, daß einer dem andern wohl gewachsen sei. Nun biete ich im Namen der gesamten hier Versammelten vom Adel Friede und Stillstand. Stecket Eure Klingen, mit welchen Ihr bis dahero tapfer und unerschrocken gefochten, wieder zur Scheide, gebt einander die Hände und lasset ferner weit Euren Zorn nicht spüren, sondern verwechselt solchen vielmehr mit einer angenehmen Freundschaft und brüderlicher Einigkeit.«

[687] Unter solchen Worten, ob sie wohl wenig und kurz waren, geschahen doch noch viel und gefährliche Stöße, also daß der eine, in die Brust verletzet, gleich einem toten Menschen dahin und in die höchste Ohnmacht sank. Dazumal war das Lachen zu verbeißen. Eilete demnach alles zu, damit dem Beschädigten in diesem Zustand möchte behülfliche Hand geleistet werden. Der Täter raffte gleichsam in einem Augenblick seine Kleider zusammen, und so geschwind er konnte, so geschwind eilete er von dem Fechtplatz hinweg, weil er den Blessierten schon vor tot hielt. Also spielte er das Reißaus und trat erst nach erhaltener Victori die Flucht an, war auch allem Ansehen [nach] viel erschrockener, da er seinen Feind überwunden, als da er ihn zu bestreiten angefangen. So erschrecket das muntere Gewissen. Wenn sie uns unsere Missetaten vor Augen stellen, da kleistern sich die Augen erst auf, wie man an diesem Fechter genugsam sehen konnte, denn er eilete über die Heide, daß es zottelte, und sah sich mehr als tausendmal zurücke, da er doch keinen einzigen Verfolger hatte. Wir konnten ihm auch nicht nacheilen, sondern mußten vielmehr auf die Cur des Verletzten Achtung geben, welchen wir mit Balsam und kostbaren Stärkwassern bestrichen, dadurch sich seine Geister erholet haben. »Ach wie heiß! wie heiß! wie heiß!« rufte er, ganz schwach lallend. Er griff endlich selbst um eine Handvoll Wasser, mit solchem seine Wunde zu kühlen, und weil seine Brust voll Blutschweiß war, eilete ich hin zu einem Haufen abgefallenen Waldlaub, mit solchem das Unreine abzutröcknen.

Indem ich so unter dem Baum herumscharre und mit den Händen das Laub zusammenraffe, kam mir eine Handvoll Haare in die Fäuste, und da ich etwas besser an mich zog, raufte ich den ehrlichen Vogel, nämlich meinen gewesenen Schreiber Andreas-mit-uns oder Nobiscum, hinter dem Baum hervor, welcher am Leib und an seinen Kleidern überaus schlecht bestellet war. Ich hielt ihn in der erste vor ein angekleidetes Männlein, mit welchem man auf dem Feld die Hirschen und anderes Vieh erschrecket, dachte also, es wäre solches Strohmännlein vielleicht dahin verzettelt oder sonsten [688] von den Hirtenjungen, die in dieser Gegend die Kühe zu hüten gewohnt wären, dahin getragen und zu ihrem Spiel gebraucht worden. Aber ich sah, daß er die Augen auftat und sich so wunderlich anstellete, gleich als hätte er, wie die Ratzen zu tun pflegen, den ganzen Winter geschlafen.

11. Capitul. Jäckel patrociniert dem Schreiber in der Kammer
XI. Capitul.
Jäckel patrociniert dem Schreiber in der Kammer und bringt dadurch Wolffgang auf eine andere Resolution.

»Du ehrlicher Vogel,« sagte ich, »bist du's oder bist du's nicht?« Als er mich nun recht ansah, fuhr er ineinander, daß man ihm alle Knochen – denn er war so mager und zaundürr, daß man ihm gar leichtlich Feuer von den Fingern konnte geschlagen haben – klappern hörte. »Ach, Herr,« sagte er, »freilich bin ichs, ich elender und verlassener Mensch. Ach, was habe ich getan, daß ich von Euch hinweggelaufen bin! Es gehet mir leider, daß es zu erbarmen ist. Wie kommt der Herr hieher, wie lebet Er sonsten?« – »Du hast«, sprach ich, »um solche Sachen keine große Nachfrage zu halten; sage du mir, du Domine Nobiscum, wie kommst du hier unter diesen Baum?« – »Ich habe«, antwortete er, »heute nacht allhier geschlafen und mich, wie Euer Gestreng sehen, in diesem Lauberhaufen eingescharret.« – »Es ist kein Wunder,« sagte ich, »daß du schläfest wie ein Schwein, du lebest vielleicht auch nicht besser. Nun werde ich mit dir nicht viel conferieren, noch ein sonderliches Dicentes anstellen. Wir kommen weiter zusammen. Mache dich auf! hie siehst du mein Terzerol, gehest du einen Schritt auf die Seite, bis daß ich dich in Verhaft bringen lasse, so wirst du hie das letzte Mal geschlafen haben!« Mit diesen Worten schmiß ich ihn mit meinem Stecken über den Buckel, und als er aufstund, mußt ich ihn wieder in das Laub liegen heißen, weil er allenthalben so lumpicht und nackicht ging, daß es eine Schand vorm ehrbaren Frauenzimmer war.

Indessen hatte man den Patienten wieder auf die Beine gebracht und auf seinem Pferd mit zweien Laquayen ins Schloß [689] geschaffet, allwo er verbunden und sonsten in allem wohl gewartet worden, denn Gottfridens Schlößlein war mit aller Zugehör und hübschen Zimmern wohl versehen. Dannenhero hatte der Kranke gute Hoffnung zu seiner ehesten Genesung, weil ein wohlgelegener Ort halbe Medicin ist und viel mehr wirket als der beste Barbier. Damit nun der Schreiber Andreas nicht zurückbliebe, hing ich ihm einen blauen Livereymantel um den Leib, und also brachte ich ihn wie ein verdecktes Essen in das Schloß, allwo der Jäckel wohl tausend Kreuz über seiner Gegenwart machte. Er zog ihm den Mantel von dem Rumpf und war geschwind mit seinem Reißblei hervor, ihn abzuzeichnen. Wenn ein kleines Windlein ging, so rauschten seine Lumpen an dem Leib, gleich als stünd man unter einer großen Linden.

»Du Vogel«, sagte der Jäckel zu ihm, »bist Ursach, daß ich von Herren Wolffgang hinwegmigrieren müssen, nun kommst du wie ein Bettler dahergezottelt. Ich will dich abmalen und dein Bildnis auf dem Markt aufstellen.« Indem der Jäckel so mit ihm kauderwelschte, krochen dem Andreas etliche Läuse über den Kragen herunter. »Hast du viel solche Dinger?« fragte der Jäckel. »Freilich,« sprach der Schreiber, »mehr Läuse als Pfenninge!« Damit packte ihn der Schloßbüttel oder Schergant, wie dergleichen ehrbar Gesindlein betitult wird, behende an und ließ an diesem Subjecto seine stattliche Handgriff vor der gesamten adeligen Gesellschaft prächtig sehen, wie fertig und wohlgeschickt er [sei], seine Anpackungsfinten zu formieren und seine Finger an einem solchen Clavier zu applicieren. Doch will ich ihn hierinnen mit keinem Organisten, viel weniger den Schreiber Nobiscum mit einer Orgel vergleichen, ob man ihm schon den halben Blasbalg zum Hosen aushängen sah.

Ich fragte den Advocaten um Urteil und Recht, auch daß ich in diesem Stücke nicht entschlossen wäre, meine sonst gewöhnliche Vexation zu treiben, sondern, weil er ein Manifestum furtum auf meinem Hause begangen, ihm deswegen bei dem Gericht zu Ollingen zu belangen. »Nun,« sagte der Advocat, »so wird ihm der Galgen gewiß zuerkannt, lässet der Herr aber zu Unterhausen sprechen, so wird ihm der [690] Staupbesen zuteil. Denn daselbst ist das Gericht nicht so scharf wie zu Ollingen, weil daselbsten wenig mit ganzer Häut davonlaufen.« – »Es mag ihm zuerkannt werden, was da will,« sagte ich, »so muß er zu Ollingen justificiert werden. Ein solcher Frevel ist höchst strafwürdig, und muß einem andern zum Exempel ein Supplicium statuiert werden, damit unsereiner hinfüro desto sicherer sei. Wer weiß, wo der Schelm in dem Land herumlaufet und den Bauren das Ihrige stiehlet. Oh, an den Galgen mit einem solchen Schelmen, sobald ich nach Haus komme, wird sich das Facit finden.«

So ernstlich ich mich wegen dieses Kerlatens vor dem Advocaten stellete, so ließ er doch nichtsdestoweniger fleißige Nachfrage halten, ob der Schreiber bei gutem Vermögen wäre oder nicht. Denn, im Fall er ein wenig bei Mitteln gewesen, hätt er sich gar wohl getrauet, ihn vor Gericht stattlich zu defendieren und also zu verhüten, daß der Schreiber weder gehangen noch mit dem Staupbesen abgestrafet würde. Aber all dieses Vorhaben des Advocatens war vergebens und umsonst, weil aus des Schreibers seinen schlechten Federn genugsam abzunehmen war, was er vor ein elender Vogel sei, der wie eine Fledermaus in dem Land herumflatterte. Derentwegen unterließ er sein Vorhaben, und anstatt er den Bartholum und andere gute Ausleger aufgeschlagen, stach er davor etliche gute Kannen Rheinwein aus und ließ den Schreiber so gut in dem Loche sitzen, als ihn der wohlqualificierte Schergant hineingeschlossen hatte.

Der Jäckel, so schnauzig er vorhin den Gefangenen angefahren, so beflissen war er hernach, vor diesen seinen gewesenen Kameraden zu bitten. »Was haben Euer Gestreng«, sagte er zu mir, »vor eine Ergötzlichkeit, wenn dem armen Schelmen die Gurgel gebrochen wird? Ich habe schon gehöret, wie der Advocat einen übeln Ausspruch gemacht, und dadurch ist dem armen Teufel eine schlimme Wahrsagung widerfahren. Euer Gestreng meinen zwar, daß dadurch die Gerechtigkeit befördert und die Laster gestrafet werden, weil es heißet: fiat justitia et pereat mundus. Nun ist zwar an diesem närrischen Nobiscum ein schlechtes Subjectum verloren, [691] und liegt wenig daran, ob man ihn henke, köpfe, radbreche oder gar in hundert Krautstücken zerhaue. Jedennoch ist er gleichwohl ein Mensch und hat so wohl eine vernünftige Seel als ein Edelmann, obgleich sein Vater ein Schwefelhölzelkrämer gewesen und Fingerhüte samt Nadeln und kleinen Spiegeln verkaufet hat. Euer Gestreng werfen ein, daß er gleichwohl ein Großes verbrochen, indem er sich unterstehen dörfen, nicht allein Ihr Schloß zu bestehlen, sondern noch darzu die Beschließerin mit sich hinwegzuführen. So ist es an dem, daß dieser Frevel höchst strafwürdig sei; aber vielleicht ist solches Ver brechen vielmehr aus einer blinden Liebsbegierde als aus einer vorgenommenen Schelmerei entstanden. Man weiß und ist genugsam bekannt, wie liederlich die Jugend und wie bald sie verführet ist. Er ist ein junges Blut, und ob das Laster an sich selbst wohl groß ist, wird es doch in Ansehung seines Unverstandes verringert, und kann dannenhero keine ordentliche Strafe bei ihm stattfinden.

Zudem, wenn man betrachtet, in was vor einem elenden Zustand er in dem Land herumterminieret, hat man vielmehr Ursach, seinen Ratio Status zu beklagen als ihn bei der Obrigkeit zu belangen. Er hat sich allem Ansehen nach eben dazumal seines Glückes beraubet, da er Euer Gestreng das kostbare Kleid samt der Büchse gestohlen, hat sich also selbst mehr Schaden als Euer Gestreng getan. Was wird es diesem oder jenem nützen, ob man ihn gleich an den höchsten Galgen henket? Er ist ring und leicht, voll Lumpen und Flecken, der Wind wird ihn eben in der Stund wieder vom Hochgericht hinwegführen, in welcher er hinangeknüpfet worden. ›Sehet,‹ werden die Leute sagen, ›da hängt der Schreiber von Ichtelhausen, Herr Andreas Nobiscum!‹ Wenn nun die Schulschreiber und andere liederliche Dintenschlucker (bonos semper exceptos volo) vorübergehen, so werden sie sagen: ›Hier ist Fleisch von unserm Fleisch und Bein von unserm Bein!‹ Und Euer Gestreng seien versichert, daß viele Menschen, welche ihn hangen sehen, viel mehr auf die Grausamkeit Euer Gestreng als über des Andreas Verbrechen schmälen werden. Darum wäre es meine unmaßgebliche [692] Meinung, Euer Gestreng ließen den Gesellen aus angeborner adeligen Resolution gutwillig los, und damit er nicht gar, wie die Griechen sagen, asymbolos hinwegginge, könnte man ihn unvorschreiblich zuvor mit einer guten Pastanda und einer folgenden wohlgeschmalznen Prügelsuppen abzwiffeln, hernach zum Schloß ausjagen und hinlaufen lassen, wo der Weg am weitesten wär.

Solche Exempel sind viel am Tage, aus welchen kann bewiesen werden, daß große Gemüter viel behender zum Verzeihen als zum Strafen gewesen. Sie haben sich viel ehe geneigt zur Gnade als zum Zorn, und ist hierinnen das unvernünftige Pferd unser stattlicher Lehrmeister, wenn es das Gebell eines schlechten Hundes nicht achtet, sondern generos forttrabet und sich durchaus an seinem wichtigen Gange nicht irren lässet. Ja, die unlebbaren Schiffe auf der See zeigen mit einer annehmlichen Lehre, daß sie nicht achten das Sausen und Brausen der wasserreichen Wellen, sondern dringen glückselig durch die Fluten und desto glückseliger in den Port. Wem ist in diesen Landen nicht bekannt, was vor eine elende Creatur der Andreas Nobiscum sei? Er hat alle Punkten eines elenden Kopfes an sich, und dannenhero kann er keinem Übeltäter ähnlich sein, weil er viel zu wenig Hirn im Kopfe hat, aus eigener Phantasie ein rechtschaffenes Schelmenstück zu practicieren. Sein Alter erstrecket sich kaum über zwanzig Jahr, und vielleicht wird er durch seine Besserung zehenfältig wieder einbringen, was er hierinnen liederlicherweise versehen hat.

Solches, ob es wohl noch nicht erwäglich ist, ihm seine Strafe aufzuheben, so bin ich doch Euer Gestreng und Herrlichkeiten großer Clemenz genugsam versichert, welche einem solchen armen Teufel zur größten Glückseligkeit dienet. Man soll ohnedem, wie man im Sprüchwort saget, viel lieber hundert ehrlich als nur einen zum Schelmen machen helfen. Darum zweifelt mir nicht, Euer Gestreng werden nach der hohen Vernunft das Elend des verlassenen Menschens selbsten genugsam zu ermessen und zu begnädigen wissen. Was ist Ihnen mit einer Handvoll Menschenblut gedienet? Diese Gelegenheit, eine Barmherzigkeit zu erweisen [693] einem solchen Menschen, der, wie gehört, so schmählich sterben soll, stehet nicht allen offen. Euer Gestreng kennen mich wohl, daß ich außer allem Falsch rede, und ob ich wohl den Schreiber zuvor übel angefahren, geschah es doch aus keiner verdammlichen Passion, sondern aus einem zulässigen Eifer, den man billig wider einen solchen Lumpenhund semper & ubique anwenden soll. Sonsten bin ich ihm gar gewogen und wollte, daß ich mein altes Kleid hier hätte, dem armen Schelmen sein bloßes Fell zu bemänteln, welcher dem Lazarus nicht viel unähnlich siehet, und ist zwischen diesen beiden nur der Unterschied, daß jener an dem Leib, dieser aber an den Kleidern unzählig viel Wunden hat.«

Solches redete der Jäckel zu mir, als ich abends in einer Kammer allein war, und ich muß bekennen, daß er mir dadurch mein Vorhaben ziemlich verrucket, denn obgleich seine abgelegte Rede nicht ordentlich, noch viel weniger mit hübsch gezierten Worten ausgepoliert war, so hatte sie nichtsdestoweniger Nachdrucks genug, mir ein ferners Nachdenken zu verursachen, und dieses um so viel desto mehr, weil ich den Jäckel überaus liebhatte und mir seine öfters gegebene Vermahnungen jederzeit zum Besten ausgeschlagen. Darum sagte ich mir bald dieses, bald ein anders vor, mit dem Schreiber zu unterfangen. Ich wollte ihn, wie der Verwalter des Herrn Friderichs getan, zur Strafe meine alte Archiven abschreiben lassen, bald sollte er mir wie der Kaiser Mauritius dem Tamerlan aufwarten, wiederum wollte ich ihn zum Possen zum Galgen führen und anstatt des Schwerts mit einem Fuchsschwanz um den Hals schmeißen lassen. Zu solchen Vorhaben gab der Jäckel sein kurzweiliges Ridez und brachte mich dadurch auf einen solchen Laun, daß ich dem Gefangenen um seinetwillen gar eine geringe Kreuzschul aufrichtete. »Die Rede,« sprach ich, »welche du wegen des Schreibers gehalten, will ich heute nacht in etwas überlegen und bedenken. Ich weiß wohl, daß man geschwinder zur Vergebung als zur Rache sein soll. Schlafe wohl und verlasse mich anitzo. Wie mich gedünkt, so höre ich die Schloßglocke.« – »Ja,« sprach der Jäckel, »es ist halb zwölf Uhr und hohe Zeit zu schlafen.« Damit machte er seine Reverenz samt [694] noch einer artigen Positur, und als ich darüber zu lachen anfing, eilete er mit einem kurzweiligen Gaukelsprung zur Kammer hinaus.

12. Capitul. Wolffgang hört ein Gespenst
XII. Capitul.
Wolffgang hört auf dem Schloß zu Unterbinningen ein Gespenst.

Dieselbe Nacht hatte ich fast nichts zu gedenken, als wie ich dem Schreiber, seinen Proceß betreffend, mitfahren wollte, ja, diese Phantasie verließ mich sogar in dem Schlafe nicht, und hatte dannenhero in dem Traum unterschiedliche Vorstellungen von Rad und Galgen, erwachte also zu unterschiedlichen Malen und hörte endlich in der nächstgelegenen Kammer einen großen Tumult und ungewöhnliches Gepolter von Werfen und Stoßen, welches mir in der düstern Finsternis recht förchterlich anzuhören war. Ich wußte wohl, daß es in dem Schloß nicht allzu richtig war und daß es ehedessen zu gewissen Zeiten allhier sehr irr gegangen; darum schlug ich das Kreuz vor mich und verstackt' mich unter das Deckbett, damit mirs nicht so grausam vorkam, wenn es etwan an meine Kammertür anklopfete. Nichtsdestoweniger erhebte sich ein abscheuliches Geheule, dergleichen ich die Zeit meines Lebens noch wenig, ja gar keines gehört hatte. Solches Heulen war nichts anderst als die Klage, welche gemeiniglich sich zu melden pfleget, wenn junge Kinder verscheiden sollen. Ich machte mir in dieser Furcht tausend Gedanken. Der Schweiß lag mir auf dem ganzen Leib, und wurde durch bloßes Anhören dermaßen müd und kraftlos, gleich als hätte ich den ganzen Tag am Pflug gearbeitet. Endlich kam es gar in die Kammer und lief in dem Dunkeln über alle Fenster wie die Katzen hinan, daraus der geneigte Leser schließen kann, wie mir dazumal hinter dem Deckbette müsse zumut gewesen sein. Ich hatte das Herz nicht, mit einem Auge hervorzugucken noch mich aus meinem Vorteil zu begeben, und mußte also länger als eine gute Stund zu unglaubiger Angst hinbringen, bis ich durch den angenehmen Hahnengeschrei getröstet und wegen [695] des herbeinahenden Tages wieder in etwas erquicket war.

In dieser Qual stellte ich mir vor Augen die ewige Höllenpein und diejenige Finsternis, auf welche keine Sonn mehr zu hoffen wäre. Da schauerte mir die Haut, wenn ich betrachtete, daß man daselbst in einem ewigen Gefängnis geschlossen allezeit mit den allerschröcklichsten Höllengespensten würde vergesellschaftet und umgeben sein. ›Man liegt dort‹, sagte ich bei mir selber, ›in keinem Bette noch in einer wohlaufgeraumten Kammer, sondern im schwefelichten Feuer, welches unbegreiflich alle Verächter Gottes peinigen wird. Diese Qual hat kein Ende, und ist alldort kein Mittel mehr übrig, sich zu erfrischen. O Wolffgang,‹ sagte ich ferner zu mir, ›gedenke hinter dich und betrachte dein übles Leben, bessere deinen Wandel und gedenke, daß du nicht ewig leben werdest. Wer weiß, was dieses Gespenst bedeutet, und vielleicht ist es eine Anzeigung deiner bis anhero saumseligen Buße und daß du dich inzeiten bessern sollest. Ja, es ist dem also, und du findest bei dir selbst wohl, wie forchtsam du zum Sterben bist, denn wie kann der fröhlich und wohlgemutet sterben, der kein gutes Gewissen hat? Um wieviel wäre dirs besser, daß du wärest in deiner Einsiedelei sitzen geblieben, daselbst dem bloßen Gebet eiferig abzuwarten, als daß du die zeitliche Lust suchend dich den Wirbelwinden der ehrsüchtigen Welt übergeben, welche dich endlich noch zu Boden stürzen werden. Du bist in dem Wald gewesen voll Unschuld und Andacht, voll Lieb und Lust zum Guten und Gebet, bist aber, nachdem du wieder unter deine Bekannte geraten, bald irrig und verführt worden. Anstatt deines Paternoster hast du in dem Geld und unter deinen Schätzen herumgeklaubet, gleich als wäre darinnen die größte Glückseligkeit verborgen, da du doch nichts als eitlen Betrug herausklauben können. Es ist schwer, daß ein Reicher ins Himmelreich komme; was schwer ist, das geschiehet selten. Was nützet mir, meinem Weib eine große Summa Geldes, wenn ich samt sie davor im ewigen Pfuhl brennen und braten soll? Was ist meiner armen Seel dadurch geholfen, wenn man spricht, ich sei ein [696] Großer vom Adel, eines fähigen Kopfes und herrlichen Lebens, wenn ich hingegen eine lasterhafte Seele mit mir aus der Welt führe, welche muß verworfen werden?

Ach, um wieviel wäre mir besser, daß ich diese Welt niemalen mit Augen angesehen hätte, als daß ich solche zu meinem Verdammnis gebrauchen soll. Ich bin zwar kein Totschläger oder sonst ein großer Böswicht, aber nichtsdestoweniger bin ich auch kein Heiliger, sondern fühle genugsam, wie schwer mein Gewissen ist, wenn ich an alle Stunden und Augenblicke gedenke, die ich so vergeblich zugebracht habe. Alle meine Reden, so mir jemals von der Zunge gegangen, klagen mich an, daß sie so unnütze gewesen, aber nichtsdestoweniger will ich nicht verzweifeln. Doch gleichwohl muß ich mich verwundern, wie es möglich ist, daß ich in Betrachtung so großen Elendes jemals recht habe können fröhlich werden. O einsame Nacht, dich will ich nimmermehr aus meinen Gedanken lassen, weil mir in deiner Finsternis das wahre Licht meiner bis anhero verschlossenen Erkenntnis zur wahren Buße aufgegangen. Ich will dich stets beherzigen und meinen Wandel also anstellen, daß ich dem Tod jederzeit mit fröhlicher Stirn möge entgegengehen.‹

In diesen Gedanken, welche mir bei obbeschriebener Furcht eingefallen, entschloß ich zugleich, den Schreiber auf freien Fuß zu stellen und ihn mit einer guten Vermahnung seinem Gefängnis zu entlassen. Kleidete mich demnach, sobald es ein wenig hell wurde, an, und weil sich Christoph über meinem frühen Aufsein verwunderte, erzählte ich ihm alle Umstände, die mich heute nacht auf eine ganz andere Resolution gebracht hatten. Es waren ihrer mehr in dem Schlosse, welche, gleichwie ich, das Wehklagen des Gespenstes gehört hatten, und Christoph war leid, daß er dem Übel nicht abkommen konnte, weil schon öfters über dergleichen Unheimlichkeit von seinen Gästen geklaget worden.

Nach solchem schickte ich in das Dorf, den Schreiber vor mich zu bringen, unter welchem ich auf eine Rede studierte, ihm seinen Leviten, welchen er wohl verdienet, auszulegen. Sie brachten ihn auch endlich hinter mir in mein Zimmer. Da ich mich aber niedersatzte, ihm meine Meinung zu eröffnen, [697] da erschrak ich, daß ich zusammenfuhr; denn ich sah nicht den Schreiber, sondern den ehrlichen Bruder Philippen vor mir, welcher in tiefer Nacht vor das Schloß gekommen, und weil er uns nicht verstören noch an der Ruhe verhinderlich sein wollen, hat er sich indessen in der Dorfschenke einlogiert, allwo er unter die Geschieht wegen des Schreibers geraten. Hat also den Schreiber, welchen er ehedessen wohl gekannt, aus den Banden losgemacht, ihm sein sauber Kleid geschenkt, davor hat er sich mit dessen Lumpen bedecket, und ist nicht zu beschreiben, wie eine große Verwunderung dieses Beginnen unter uns verursachet hat.

Er erzählte hierauf seinen Zustand, und daß er des Hoflebens schon satt und überdrüssig sei. Nichtsdestoweniger wollte er noch ein paar Jährlein versuchen, wie die Hofsuppen schmeckten, alsdann wäre er entschlossen, in ein Kloster zu gehen und ein Ordensbruder zu werden. Sein Weib und Kind wolle er uns im Testament zur lebenslangen Versorgung vermachen, und was dergleichen Tänze mehr waren. »Vor diesmal«, sagte er, »kann ich nicht lange bei euch bleiben. Meine gnädigste Fürstin hat einen jungen Prinzen, und ich reite aus, das Gevatterschreiben zu überbringen. Sobald ich solches verrichtet, kehre ich wieder zu euch, und wenn ihr noch so lange beisammen verharret, wollen wir die alte Karte aufs neue miteinander mischen und die brüderliche Liebe renovieren.« Damit lieh ihm Christoph ein stattliches Staatskleid, mit welchem er, seine Post zu verrichten, hinwegschied. Er war auch zu solchem Werk sehr fähig und geschickt, weil er nicht allein ein guter Ceremonienmeister, sondern noch darzu ein überaus guter Redner war, der von einer jeden Materie ohne sonderliche Vorbereitung etliche Stunden reden konnte, darzu er weder Zungenschabens noch sonsten einer gedächtnisstärkenden Hauptpillul gebrauchte. Also nahm er von uns unter dem Tor Abschied, und wir warteten seiner Zurückkunft mit großem Verlangen auf dem Schlosse.

Unterdessen verkürzte uns der Jäckel die Zeit mit allerlei kurzweiligen Historien, welche er teils von sich erfunden und zum Teil aus den Büchern ausgestohlen hatte. Er sagte [698] unter anderen, daß er vor drei Wochen einen Kaufmann abconterfeyen müssen, welcher ihm vor seine Arbeit dreißig Taler versprochen. Nachdem das Conterfey fertig gewesen, hätte es den Kaufmann wieder gereuet. Dannenhero sprach er: »Das Bild sieht mir nimmermehr ähnlich!« – »Ich aber,« sprach der Jäckel, »nachdem ich gesehen, daß ein anders Que dahinter steckte, satzte dem Bild eine Narrenkappen auf, stellte solches hernachmals auf offenem Markt [aus], da sprachen alle Leute: ›Dieses ist der und der!‹ Ja, er selbsten kam und mußte bekennen, daß er mehr als zu kenntlich getroffen war.«

Dergleichen Stücklein erzählte der Jäckel über tausend, bis endlich Philipp mit einem stattlichen Recompens wieder zurückkam und sich mit uns durch vier ganzer Tag rechtschaffen lustig machte. Er lud uns nach diesem alle nach Hofe, uns daselbst rechtschaffen und aulicos zu tractieren. Damit nahm er seinen abermaligen Abschied, und wenn mans sonst nicht gewußt hätte, daß er bei Hof in Diensten wär, so hätte mans doch aus diesem leichtlich abnehmen können, weil er die Mode, kein Trankgeld auszugeben, schon perfect gelernet hatte, welches sonsten die anderen vom Landadel jederzeit zu tun gewohnt waren und dannenhero von dem gemeinen Schloßgesind viel mehr als die Hofleute bedienet wurden.

Hiemit nahmen auch wir insgesamt von Christoph, welchem bald darnach sein Kind samt der Frauen gestorben, unsern Abschied, jeder seinen Marsch seinem Heimat zu nehmend. Ich aber ritt mit meinem Wastel auf etliche Dörfer herum, daselbsten Wolle zu bestellen. Nach diesem eileten wir heim zu unserm Historico und dem Studenten, welche beide ein ziemlich großes Buch zusammen aufgeschrieben hatten. Nebenst Durchlesung dieser Blätter ergetzte ich mich sonderlich in der Musik, weil der Student artige Stücke gesetzet, die trefflich nach meinem Humor eingerichtet waren. Nichtsdestoweniger wuchs in mir der gefaßte Eifer, ein heiligers Leben zu führen, welches ich mir in dem Schloß zu Unterbinningen so steif vorgesetzet hatte. Sonsten war alles unter meinen Leuten sehr kleinlaut, und endlich erfuhr ich von [699] meinem Weib, daß zeit meines Ausseins allenthalben im ganzen Hause ein großer Tumult von einem Gespenst gehört worden, absonderlich aber hätte sich das Bildnis meines seligen Vaters bei hellem Tage etlichmal von der Stelle heruntergeworfen. Diese Erzählung machte mir wunderliche Gedanken, und wie sie sagte, so war es auch in dem Werk, denn es wurde je länger je unsicherer und endlich so gemein, daß ich entschloß, auszuziehen und mich auf das andere Gut, so schlecht es auch dazumal gebauet war, niederzulassen.

Solches Vorhaben satzte ich kurz darauf ins Werk, machte mich mit Sack und Pack hinweg und ließ nur einen einzigen Menschen zurück, welchen ich als Hausmeister und Dorfrichter bestallte. Aber er konnte so wenig als ich darinnen ausdauren, weil es mit Schüsseln und Tellern je länger je heftiger um sich warf und weder Menschen noch Vieh ruhen ließ. Also blieb das Haus eine ziemliche Zeit wüst und unbewohnt, konnte mir auch kein Mensch einziges Mittel vorschreiben, dadurch mir wäre zu helfen gewesen. Auf dem neuen Schlößlein ließ ich alles hübsch bauen, allwo ich, gleichwie zuvor geschehen, meine meiste Zeit entweder mit Lesung allerlei Schriften oder aber mit der Musik zubrachte. Ich bestellte auch endlich von einem Hofe einen eigenen Musicum, der mich sollte auf der Violdigam streichen und ein wenig mehr componieren lernen, als ich bis anhero von dem Herrn Ab initio gelernet hatte. Also vertrieb ich die Zeit in meiner neuen Behausung gar vergnüglich und fraß selten ein gutes Bißlein allein, davon ich nicht dem Soldaten und Studenten mitgeteilet oder das größte Stück gegeben hätte, welches ihnen so wohl bekommen, daß die Bauren den Studenten vor einen Magister und den Musquetier vor einen Quartiermeister angesehen haben.

Fünftes Buch

1. Capitul. Krachwedel resolviert sich
I. Capitul.
Krachwedel resolviert sich, dem Gespenst auf dem alten Schloß zu wachen.

Aus dem Inhalt der vorigen vier Bücher fließet nunmehr auch der fünfte, in welchem weiter zu sehen ist, was zwischen uns vorübergegangen. Ich werde aber solches, gleichwie bis anhero geschehen, ohne jemands Beschimpfung aufzeichnen, denn ich weiß wohl, daß die joci mordaces solche Wunden verursachen, die viel weniger als die Hundebisse können geheilet werden. So ist demnach meine Historia bis zu Ende des ganzen Verlaufes also eingeordnet, damit alle Lesende bei guter Lust erhalten und keiner an einzigem Stücke wider Gebühr angegriffen werde.

Mein neues Schlößlein anbetreffend, bauete ich solches auf ganz altväterische Art, einen Winkel dahin, den andern dorthin. Zuhöchst auf dem Turm machte ich ein absonderliche Stuben, damit ich auf solchem, gleichwie in dem alten Schloß, auf der Landstraß hin und wider sehen und also manche Zeit mit Speculieren durchbringen konnte. Die Situation anbelangend, war solche viel angenehmer als auf dem alten Schloß, und weil es wieder anfing, mit Gewalt Sommer zu werden, gaben mir die umliegende Berge und Wälder einen schönen Prospect, zwischen welchen mein Schlößlein ringsherum gleichsam eingeschlossen und verwahret war.

Der Student und Stradiot waren meine tägliche Begleiter, wenn ich da und dort ausspazierte; da mußte mir dieser von dem und jener von jenem erzählen, und wenn wir also einen ziemlichen Weg herumterminiert, kehrten wir wieder zurück und erfrischten uns bei einer guten Maibutter und einer [701] großen Schüssel von Milch, ließen auch wohl indessen die geschossene Wildenten oder ein gutes Häslein am Spieße braten, nachdem uns auf den Teichen oder in dem Forst etwas aufgestoßen ist.

Unterweilen ließ ich mir auch währender Abendmahlzeit den Meister Hämmerlein von meinem Schloßschneider spielen, mit welchem Spiel er sich ehedessen in dem Land ernährt und den vorwitzigen Müßiggängern manchen Groschen mit aufgesperrtem Maule aus dem Beutel herausgemeisterhämmerlt hat. Bisweilen kam der alte Ab initio zu mir, welches zwar nicht mehr so oft wie vorher geschehen können, weil er um zwei starke Meil Wegs weiter zu reisen hatte, jedennoch unterließ er nicht, mich öfters zu besuchen, absonderlich aber, wenn es gegen die heilige Zeit ging. Denn auf solche brachte er mir ein und an ders musicalisches Stück, welches ich dann und wann nach Gelegenheit meiner Leute in der Dorfkirche musicieren ließ. Aber ich mag mich in Beschreibung meiner Musicanten nicht lange aufhalten. Derjenige, so es verstehet, wird ohnedem wohl wissen, daß sich auf einem solchen schlechten Lumpenort keine große Virtuosi aufgehalten haben. Und wenn ich den Weber im Dorfe wie auch des Pfarrers seinen Schreiber dazu rechne, so konnte ich gleich ein Stück mit vieren machen. So war auch die Composition nicht viel nutz und recht nach der Qualität dieser Künstler eingerichtet; glaube auch noch zur Zeit nicht, daß die Autores in den Kapellen viel werden bekannt sein, zumalen man wenig wissen wird, was der Organist von Ollingen, item Thomas Knauper, Stadtpfeifergesell daselbst, vor Sachen gesetzt haben. Ich habe zwar, wie ich zuvor erzählet, selbst nicht viel gekonnt, jedennoch wollte ichs weit besser als diese Erzfretter gemacht haben, welches ich mir zwar nicht zum Lob nachschreiben, sondern nur deswegen erzählen will, damit sich der Leser meine Festmusik desto besser einbilden könne.

So glückselig es mir nun samt allen denen, so sich bei mir aufhielten, ging, so betrübt ward ich hingegen, wenn ich an das alte Schloß gedachte, weil darinnen der Poltergeist, so viel wir auch Mittel ergriffen, dennoch nicht abweichen [702] wollte. Endlich gab uns der Soldat, welcher mir bis daher seinen ganzen Lebenslauf durch das Concept des Studentens eingeliefert, zu verstehen, daß er entschlossen war, dem Gespenst ein oder etliche Nächte zu wachen und zu erforschen, obs was Gutes oder Böses wäre. Sein Vorhaben, ob es wohl ungemein und gefährlich, war mirs doch und meinem Weibe insonderheit angenehm, weil sie absonderlich Lust hatte, wieder dahin zu ziehen und ihr Vieh – denn sie war eine große Liebhaberin der Viehzucht – daselbsten in den wässerigen und wohlgelegenen Auen zu weiden. »Ich bin ein alter Corporal,« sagte er, »habe auch manch Stücklein erfahren, davon ein anderer nichts weiß. Es ist um eine schlimme Nacht zu tun, so wird sichs verhoffentlich anders fügen. Hilft es, so ists gut, hilft es nicht, so solls mir doch auch nicht schaden.« – »Ja,« sagte ich, »mein lieber Vater, Ihr seid aber alt, kraftlos und matt, bei solchen Zuständen ist der Schrecken groß, und wenn Ihr Euch nicht wohl getrauet, die Gefahr auf Euch zu nehmen, so lasset den Geist Geist sein und zieht Euch keine unnötige Gefahr auf den Hals.« Nichtsdestoweniger ließ er sich durch alle meine Abmahnungen nicht zurücke treiben, und weil meine Sophia gern hinter den Grund gelangen wollte, ließ ich ihn endlich mit meinem Reitknecht hinziehen, welcher ihn auf einem Pferd dahin begleiten und unterdessen seiner in dem Dorfe warten sollte.

2. Capitul. Was sich daselbst mit dem Stradioten zugetragen
II. Capitul.
Was sich daselbst mit dem Stradioten zugetragen.

Ich habe nach ihrem Abscheiden keine andere Gedanken als von diesem Geist und wie es doch dem alten Krachwedel im Schlosse gehen würde, gehabt. Ja, ich konnte vor Verlangen, den Ausgang zu vernehmen, kaum essen noch trinken; und der Student war schon beflissen, ein Carmen darüber zu entwerfen, wenn er nur gewußt hätte, ob er den Soldaten loben oder auslachen sollte. Mein Weib hoffte noch das Beste, und wir machten auf dem Schlosse wie diejenige, welche zwischen der Belagerung einer Stadt oder Vestung wetten, ob sie würde erobert werden oder ob der Feind wieder [703] abziehen müßte. Also parierte ich mit meinem Weib auf hundert Taler, daß der Soldat nicht würde hinter die Wahrheit geraten. Der Student aber wettete mit dem Schneider also, daß, wenn er, der Student, gewönne, solle ihm der Schneider seine Strümpf doppeln und die alte Hose flicken. Gewönne aber der Schneider, so solle der Student schuldig sein, ihm zwanzig lateinische Wörter zu lernen.

Gleichwie nun das Geschrei und der allgemeine Ruf wegen des Poltergeistes auf meinem alten Schlosse fast das ganze Land ausgelaufen, als verwunderten sich alle, die davon Nachricht hatten, daß sich der alte Schmeckscheitierer dennoch noch so weit gewaget und seinen alten Kragen in eine so große Gefahr gestecket hatte. Denn es ist gewiß, daß so viel Abenteuren dazumal von diesem Gespenst erzählet worden, als jemals in einer alten Rittergeschicht geschehen ist, die vor diesem mit sonderlicher Verwunderung derjenigen gelesen worden, die sich gerne betrügen lassen. Es schmiß nicht allein die ganze Nacht hindurch im Schlosse, daß es schallete, sondern man hörte auch des Tages starke und große Schläge, davon zum Teil die Fensterscheiben auf die Gasse und endlich gar die Ziegelsteine aus den Mauren gefallen. Der Leser kann sich einbilden, in was vor eine Gefahr sich der ehrliche Stradiot dazumal begeben, und ich lebte immer zwischen schwebender Furcht und Hoffnung, mutmaßend, daß er ohne allen Zweifel eine gute Lecken davontragen würde, denn es hat schon vorher etliche dergleichen Wächter abscheulich abgefertiget, und sind ihrer viel darüber erkranket und gestorben. Andere aber sind glückselig gewesen, wenn sie ohne blutigen Kopf davongekommen. Absonderlich aber hat es einen Kürschnergesellen, der sich dazumal mit der Klopffechterei nährete, erbärmlich zugerichtet, indem ihn das Gespenst nicht allein zwischen zwei Türen erschröcklich gedrücket, sondern ihm noch darzu ein großes Mal auf den Arm gedrucket, welchen er hernachmals schwerlich mehr gebrauchen können.

Also lebten wir alle in großem Verlangen. Bald guckte ich da, bald dort zum Fenster auf die Straße, da sie wieder zurückkommen sollten, konnte aber weder Reitknecht noch [704] den Soldaten erblicken, unerachtet sie allgemach vier Tage außen waren. Als ich aber folgenden Tages bei der Mittagsmahlzeit saß, brachte mir der Schneider die Post, daß man den alten Musquetierer auf einem Landkarren gefahren brächte, welcher ganz krank, matt und blaß aussah. Ich stund geschwind auf und erfuhr durch den Reitknecht, noch ehe als der Stradiot ankam, daß es ihm auf dem alten Schloß sehr übel gegangen und daß es mit seiner Gesundheit große Gefahr hätte. »Warum habt Ihr«, sagte ich zu dem Stradioten, als er voll Seufzen und Wehklagen zum Tor hereinfuhr, »meinem Rat nicht gefolget?« – »Ach,« gab er zur Antwort, »ach, ich armer Mann, wie hat mich das Gespenst gequälet!« Damit schwieg er still, und ich ließ ihn geschwinde in den Turm hinauftragen, damit er in dem obigen Zimmer frische Luft schöpfen und sich durch meine beigeschaffte Medicamenten wiederum in etwas erholen konnte.

3. Capitul. Krachwedel kommt übel an
III. Capitul.
Krachwedel kommt übel an.

Es ist gewiß, daß ich mir nichts Angelegners sein lassen, als die Geschicht sowohl von dem Reitknecht als aus dem alten Hühnerfanger auszukundschaften, und weilen der letztere die meiste Wissenschaft davon haben mußte, ließ ich ihn geschwinde auf ein feines Bettlein legen, allwo er mir die ganze Geschicht von oben bis unten aus also erzählete:

»Ich kam«, sagte er, »vier Stunden nach meiner Abreise samt dem Reitknecht alldorten an und soff mir in der Dorfschenke einen starken Rausch im Brandwein, damit ich desto kecker die Abenteuer erkundigen möchte. Nach diesem ging ich mit bloßem Degen in das Schloß, und der Reitknecht folgete mir bis über die Schlagbrücke, allwo es stracks mit etlichen Ziegeltrümmern nach uns geworfen hat. Ich wollte den Reitknecht fragen, ob er den Mann stehen sähe, der von einem Fenster gegen uns herabsah, aber er war schon wieder zurücke gelaufen und hat mich also alleine in dem Stiche gelassen. Hiermit war mir nicht anders, als tauchte mich jemand ins kalte Wasser, so schrecklich fuhr mirs über [705] den Rücken. Nichtsdestoweniger ging ich beherzt fort und räusperte mich nach meinem Gebrauch trefflich über den Hof hinüber, nahm mir auch vor, stracks hinauf und in das Zimmer zu gehen, wo der Mann herausgeschauet hatte. Es war noch nicht Abend, und die Sonne schien sehr helle. Deswegen verhoffte ich, noch vor nachts wieder zurücke zu kommen, sprang also wider mein eigenes Vernehmen, mehr als ich sonst gewohnet bin, die lange Wendeltreppe bei der Gesindstuben vorbei. Aber als ich auf den Saal kam, schüttete es vor mir viel Geld aus. Was es aber gewesen oder was es bedeuten sollen, weiß ich nicht, denn ich habe es nur gehöret, aber nichts gesehen, so abscheulich es auch vor mir gerasselt hat. Weil ich schon so weit war, so wollte ich nicht gerne ablassen, sonst wäre ich wahrhaftig wieder zurücke gelaufen. ›He,‹ sagte ich, ›bist du was Gutes, so sage es, bist du was Böses, so schere dich aus diesem Hause und verunruhige christliche Herzen nicht!‹ Kaum als ich dieses ausgeredet, zog mich etwas bei dem Nacken, und als ich mich umsah, wars der vorige alte Mann, der dem Conterfey Eures seligen Vaters so gleich sah wie ein Ei dem andern. Damit sank ich in eine Ohnmacht, und das Ungetüm muß mich ohn allen Zweifel schrecklich in dem Schloß herumgeschleppet haben, denn ich kam endlich, als es schon ziemlich dunkel war, zu mir selber und konnte vor Schmerzen kaum auf die Beine kommen. Mein Kopf, wie Ihr noch sehet, war voller Löcher, mein Rock war mit Blut so besudelt, daß ich anfangs glaubte, es hätte mir einer anstatt des grauen einen roten Caput angezogen. Mit einem Wort, ich bebete auf Hand und Füßen und konnte noch dazu den Ausgang zum Schlosse nicht finden. Über diesem Umschweifen und daß mich das Gespenste so verfolgte, sank mir das Herz trefflich, darum wollte ich um Hülfe schreien, konnte aber kein lautes Wort aus dem Munde bringen, und wo ich hinging, folgte mir der Alte hintennach und wurf mit solchen Steinen nach mir, daß, wenn ich von einem wäre getroffen worden, ich ohne allen Zweifel hätte umkommen müssen. Nebenst diesem Manne habe ich nichts gesehen, ob sie mir schon in dem Dorfe viel Märlein von einer schönen Jungfrauen erzählet [706] haben, die sich in dem Schlosse solle sehen lassen. Aber je später es war, je grauslicher war der Tumult, und es kam mir unterweilen nicht anders vor, als fielen ganze Sparren und andere große Gewölber ineinander. Sehet, mein Herr, diese Pein mußte ich vier Tage aneinander ausstehen, bis mich endlich der Reitknecht mit etlichen Bauren gesuchet und mit großem Grauen, wie Ihr wohl von ihm verstehen werdet, zum Schlosse ausgetragen.«

4. Capitul. Sie baden in dem Wald in einem angenehmen Bächlein
IV. Capitul.
Sie baden in dem Wald in einem angenehmen Bächlein.

Die Erzählung des Alten kam [mir] recht seltsam vor, absonderlich da er von meinem Vater Erwähnung getan. Ich war unter währender Relation noch schlüssig, dem Übel mit Gewalt abzuhelfen und das Schloß mit Feuer anzustecken. Aber die Gefahr, welche dadurch dem ganzen Dorfe und insonderheit der Kirche zustehen möchte, legten mein Vorhaben wieder zurück, welches ich mir doch gänzlich wider alle Einrede vorgenommen hatte. Ließ es also gut sein und an seiner Gewohnheit bewenden, willens, noch etliche Monat zuzusehen, alsdann wollte ich in Person dahin reisen und die Wahrheit dessen erkundigen, von welchem bis dahero weit und breit so viel Zeitungen geredet und gesungen worden.

Das Allerübelste war, daß mir dieses Gespenst auf das allerärgste ausgedeutet wurde. »Sehet,« sagten etliche Dorfpriester, »so gehet es dem reichen Wolffgang. Er lebet wie ein Atheist in aller Lust und Freude, gehet spazieren, wohin ihn seine Lust und Begierde trägt, er isset das Beste, er trinket das Beste, er genießet sonsten allerlei Üppigkeit, hat Guts genug, hat Geld genug, darnach so kommt es so. Sehet, Euer Lieb und Andacht, endlich kommt die Rache.« Ja, dieses Geschmäl der unstudierten Gelehrten währete so viel und oft, daß ich mich endlich zu Ollingen darüber beklagen und man von daraus eine heimliche Inhibition tun müssen, damit man meiner ab inductione exemplorum mit Namen verschonete. [707] Sie unterließens zwar, aber ob sie mich hinfüro gleich nicht nenneten, so nenneten sie hingegen das Gespenste desto öfter und machtens so klar, daß man mich mit allen fünf Fingern greifen konnte. Nichtsdestoweniger so war es doch nicht wahr. Das wußte ich in meinem Herzen zum besten, ob ich ein Atheist oder glaubiger Christ wäre, und davon bin ich auch nicht schuldig, hier viel Rechenschaft zu geben. Ich war und bin noch ein armer sündiger Mensch, und mangelt mir noch ein großes Stück zur rechten Vollkommenheit und Frommkeit. Ich halte, es wird allen den Pfaffen auch daran gemangelt haben, die mich so schröcklich auf der Kanzel ausgeschrien. Mein, verklaget heutzutag einer unter uns seinen Rücken, daß ihn die Andacht zu sehr reite? Doch folget nicht stracks, daß man ein Atheist sei. Ich habe oft getanzet und zugleich in meinem Herzen gebetet, aber weil mir der Pfaff nicht hineinsehen konnte, so mußte mirs trefflich alle grogehen. Ein anders ists, sich der Welt gleichstellen, ein anders, der Welt gleich sein. Ich wußte am besten, wie mir ums Herz war, und daß ich täglich spazierenging, geschah nicht zur Üppigkeit, desgleichen musicierte ich nicht wegen Wollust, sondern zur Erfrischung meines Gemütes, welches unterweilen gar zu maulhenkolisch werden wollte. So weiß ich auch am besten, wie mir mein Spazierengehen bekommen ist. Wie oft ich mich in die Füße gestochen, die Kleider zerrissen, wie manchmal ich das Bein ausgesprungen und sonst im Wald allerlei Ungelegenheit ausgestanden, davon haben sie still geschwiegen, vielleicht, weil sie nichts darum gewußt haben. All diese Wort will ich durchaus gegen die Geistlichkeit nicht aufgesetzet noch geschrieben, sondern nur deswegen hiehergebracht haben, daß man sehe die üble Deutungen der Menschen, und daß die Welt alles anderst auszulegen pfleget. Es meinet freilich ein Mensch, die Trauben, so in seines Nachbars Weinberge wachsen, wären die süßesten, aber nachdem sie davon versuchet, speien sie es oftmals wider die Erde. Drum soll ein Kluger von einer Sache weder gut noch Böses reden, ehe er den wahren Grund, warum er nämlich gut oder böse davon reden sollte, innen hat.

[708] Demnach ging ich dennoch wie vorhin spazieren, zuweilen badeten wir uns in einem frischen Bächlein, welches den großen Wald sehr angenehm und mit lieblichem Geräusche durchloff, und weil ich hier des Bades erwähne, muß ich beiläuftig erzählen, was mir kurz darauf begegnet ist. Der Student, welcher nunmehr bei mir ganz gewohnet hatte, machte sich gute Hoffnung, daß ich ihn dermaleins zu einem guten Dienst befördern würde, machte sich derowegen das ganze Schloßgesind sehr zugetan, und ich war ihm nicht viel weniger als meinem leiblichen Bruder gewogen. Derohalben hatte er gute Licenz, seinem eigenen Zaum nachzugehen, wie er denn oftermalen ohne meinem Wissen mit den Hunden ausgegangen und dort und dar eine Wildtaube heimgebracht hat.

Einsmals lag ich des Nachts auf meinen Matratzen und konnte vor allzu großer Hitze kein Auge zubringen. Ich hatte tausend Grillen, allermeistens aber plagten mich die Gedanken wegen des alten Schlosses, welche [ich] lang nicht aus dem Kopf bringen konnte. Indem hörte ich zu unterschiedlichen Malen mit dem Munde pfeifen, und weil es unter meinem Fenster war, stund ich endlich auf, zu sehen, wer es wäre. Ich eröffnete das Fenster ganz sachte, weil man in einem solchen Fall nicht gleich zuplatzen muß, denn es ist wohl ehe geschehen, daß einem also auf den Dienst gelauret worden, darüber man unversehens sein Leben eingebüßet hat. Als ich nun genug Raum hatte, hinunterzusehen, stunden auf dem Schloßberg drei nackende Menschen, darüber ich mich anfänglich nicht besinnen konnte, was es bedeuten sollte. Es hatte mich noch keiner von den dreien gesehen, darum fuhren sie in ihrem Pfeifen fort, redeten auch so viel untereinander, daraus ich wohl verstehen konnte, daß es der Student, der alte Soldat und mein Page war, welchen ich etliche Tage zuvor aufgenommen hatte.

Dieser Anblick entäußerte mich meiner vorigen Grillen, war auch flugs willens, mit ihnen ein Hauptpossen anzustellen, dergleichen auf diesem Schlosse noch nie geschehen war. Ich hatte ein groß von hölzernen Stecken gegittertes Haus, darinnen ehedessen ein Strauß gegangen. Dasselbe schaffte ich [709] mit Hülf zweier Knechte an das Tor hinan, dadurch sie hereingehen mußten. Und dieses geschah darum, auf daß ich sie alle drei zugleich nackicht in demselben fahen und bis künftigen Morgen aufheben möchte. Sagte derohalben, daß sie sich ans Tor machten und erzählten, wie sie zu diesem Unglücke gekommen. Der Student gab vor, sie wären in dem Bächlein baden gewesen, und dort wären ihnen von einem verborgenen Strauchdiebe all ihre Kleider gestohlen worden. Diese Sach, ob sie mir gleich nicht wohl gefiel, mußte ich doch trefflich darüber lachen, damit aber mein Weib nicht erwachte, verrichtete ich alles barfuß. Nachdem ich nun diese große Hühnersteige an die Brücke gesetzet, darüber sie laufen mußten, sperrte ich das Tor auf und hieß sie geschwinde eilen. Aber ehe sie es gewahr wurden, saßen sie alle drei in dem Vogelhaus, und ich schloß das Gitter wieder zu und verbot allenthalben, ihnen kein Messer zuzulassen, damit sie sich nicht losschneiden möchten. Sie wegten zwar ziemlich an den Sprossen, aber konnten doch nichtsdestoweniger sich keine freie Luft noch Ausflucht zuwege bringen, und in solcher Arbeit bemüheten sie sich so lange vergebens, bis es heller Tag ward.

5. Capitul. Gottfrid entdecket nebenst dem Betrug eine Zeitung
V. Capitul.
Gottfrid entdecket nebenst dem Betrug eine Zeitung, dadurch Wolffgang ganz verunruhiget wird.

Die Mägde, welche am ersten aufgestanden waren, das Vieh zu füttern, eileten wieder zurück in ihre Schlafkammer, weil sie sich, weiß nicht über was, entsetzet haben. Aber meiner Frauen Kammermagd sah durch eine Glasscheibe hinunter und erquickte sich über diesen Anblick mehr als über der allerschönsten Comödia. Etliche lachten, daß es in dem Hof schallete, und dadurch erwachte endlich meine Sophia, welche, als sie aus dem Fenster gesehen, den Kopf so plötzlich zurückzog, daß sie mir beinahe ein blaues Auge gestoßen. Sie wußte nicht, was dieses vor drei Vögel waren. »Was bedeutet das,« sagte sie, »und wer richtet ein solches Spiel an?« Als ich ihr aber den Verlauf erzählte, daß die ehrbaren Gesellen[710] wären baden gewesen und daß ihnen in dem Wald von einem Strauchdiebe all ihre Kleider gestohlen worden, konnte sie des Lachens fast nicht satt werden. Nichtsdestominder bat sie mich, ein allgemeines Ärgernis zu verhüten, diese wiederum herauszulassen. »Ihr wisset wohl,« sagte sie, »wie sauber man von uns ohnedas zu reden weiß, wir sind fast allen Leuten ein Splitter in den Augen, und Euer angeerbte Lust muß allenthalben vor eine Narrheit ausgerufen sein.« – »Mein liebes Weib,« sagte ich, »laß die Leute reden, was sie wollen, mache du mir mittags einen hübschen Kalbsbraten und einen guten Antiff-Salat darzu, bringe mir auch aus dem tiefen Keller ein gut Gläslein Rheinwein, damit wollen wir aller derer gute Gesundheit essen und trinken, die uns nichts Gutes nachreden. Ich werde um fremder Leute willen meinen Geist in keinen andern Model gießen. Wie ich gewesen bin, so bin ich noch, und also werde ich auch allzeit sein. Ein kurzweiliges Stündlein, quid tandem nocebit.« Damit drehete ich sie etlichmal in der Kammer herum und war froh, daß ich so vergnüget leben konnte.

Hiermit ließ ich sie wieder heraus und fand im Nachrechnen, daß mich ihre neue Bekleidung aufs wenigste an die achtzig Taler kommen dörfte; hatten mir also die Mausköpfe durch ihre Unachtsamkeit einen ziemlichen Griff in den Beutel getan, und wenn ich den Studenten nicht so gar von Herzen liebgehabt hätte, so würde mir niemand verdenken, wenn ich jeden unter ihnen mit meinem spanischen Rohr, absonderlich aber den Page, abgetrocknet hätte. Dennoch ließ ich mir vor diesmal an dieser Lust genügen, und war ihnen Strafe genug, daß sie sich fast vor allen Schloßbedienten nackicht mußten sehen und wacker auslachen lassen.

Indem ich nun beschäftiget war, ihnen aus meinem Kleiderkasten etliche zuzuwerfen, reitet Gottfrid zum Schlosse herein, und sein Reitknecht hatte alle die Kleider auf seinem Pferde liegen, die meine Leute des vorigen Abends in dem Wald verloren hatten. »Wie gehts,« sprach er zu mir herauf, »lebest du noch frisch und gesund? Was machen deine Badgäste, hast du ihnen geschröpfet oder zur Ader gelassen?« Damit stieg er von dem Pferd, und nachdem wir ihn bewillkommend [711] in mein Zimmer geführet, erzählet er mir, daß er selbsten derjenige wäre, der ihnen die Kleider durch seinen Diener hätte am Ufer wegnehmen lassen. Er konnte sich trefflich zerlachen, daß ich sie so artig gefangen, und war beinebens auf sich böse, daß er nicht eher angekommen, und auf mich, daß ich sie so bald wieder hätte losgelassen. Er sagte mir beinebens mit wenigen Worten, was sein itziger Ritt bedeutete, und daß er einem seiner Vetter, welcher ihm aber sehr weitschichtig befreundet war, auf einem Schlosse, so etwan vier Meilen von dar abgelegen war, um eine Braut werben sollte. Sie wäre ein wohlgewachsen, schön und höfliche Dam, hätte gute Mittel und ein absonderlich vortreffliches Gemüt. Dieselbe wollte er sehen, wie er sie bei dem Kopf kriegte, weil ihm von seinem Vetter eine Hufe Landes vor die Werbung wäre versprochen worden.

»Du bist ein alter Schacherer«, sagte ich zu ihm, »und hast die Art der Kratzhansen trefflich an dir. Ich kenne alle Töchter des ehrlichen Mannes; er hat ihrer, wie mich gedünket, fünfe; aber welche ists, die du anhäkeln sollest?« – »Es ist«, widerredete er, »die Jungfer Liesel.« Über dieser Antwort schwieg ich still und wußte nicht, was ich reden sollte, denn ich hatte sie heimlich lieb und dorfte michs doch nicht merken lassen. Ich war zwar meinem Weib auch nicht feinde, jedennoch sticht einen der Narr, wie der Leser wohl wissen wird, oft wider seinen Willen, und ich war unwillig, daß die türkischen Gesetze in unsern Landen nichts galten, sonst hätte ich die liebe Liesel wohl zu der meinen heiraten und zum Weibe nehmen können.

6. Capitul. Die Gassensänger singen ein artig Lied
VI. Capitul.
Die Gassensänger singen ein artig Lied vom Gespenst zu Steinbruch.

Aber es war dazumal ganz vergebens, solche Gesetze wünschen, die dem christlichen Wandel widerstreben. Meine Sophia lag mir zwar abends in den Armen, aber diese den ganzen Tag in dem Kopfe, und wie ich eigentlich hinter ihre Erkenntnis und von dar zu ihrer Liebe geraten, braucht [712] keine weitschichtige Chronik. Der Leser weiß selbst wohl, wie einen der Narr oft sticht, und wer will diese Wege alle beschreiben, auf welchen man pfleget verliebt zu werden? Und es ist um einen kurzen Augenblick zu tun, so ist mancher all sein Leben lang gebunden und gefangen. Zwar, wenn ich sagen will, wie es an sich selbst ist, so liebte ich diese Liesel in allen Ehren und auf eine ganz zulässige Weis, denn sie kam mir in allem ihrem Tun so freundlich und holdselig vor, als mir immer ein Weibsbild vorkommen konnte. Dannenhero besuchte ich ihren Vater fast wochentlich einmal und suchte oft eine Ursach vom Zaun herunter, dadurch ich wäre veranlasset worden, ihm zuzusprechen. Aber im Werke selbsten geschah es nur darum, daß ich die schöne Liesel desto öfter sehen und mit ihr nach meinem Gebrauch tapfer scherzen konnte. Ja, ich stellete noch zum Überfluß auf meinem Schlößlein dann und wann eine Gasterei an, dabei sie insgemein die vornehmsten Gäste waren, und also kostete mich das Hin- und Widerreiten wie auch die öftern Gastereien ein merkliches Geld, ob ich schon vor meine Unkosten und andere Ungelegenheit mit einem bloßen Kuß mich mußte bezahlen und vergnügen lassen.

Das beste war, daß meine Frau durchaus der Eifersucht nicht ergeben gewesen, denn sie saß lieber über einem Gebetbuch als den ›Hercules‹ und verwunderte sich oft, daß ich mit dem Frauenzimmer so närrisch tun konnte. Widerigenfalls, wo sie ein scheeles Aug auf mich gemacht hätte, dörfte es gar leicht einen Scharmützel abgesetzet haben; wie leider oft zu geschehen pfleget, daß der Teufel zubläset und man um bloßes Argwohnes willen ein Spiel in dem Hause anfänget, darüber alles zu Trümmern und Scheitern gehet. Aber wiederum auf die schönste Liesel zu kommen, so satzte mir Gottfrid durch seine Post einen ziemlichen Floh in die Ohren, ob er schon nicht gewußt noch gemerkt hat, daß ich dieselbe so sehr liebte und ihr heimlich mit Affection zugetan war. Dennoch ließ ichs vorüberrauschen und gönnete ihr von Herzen, daß sie bei seinem Vetter, welchen ich etlichermaßen kennete und vor diesem mit ihm in die Schul gegangen war, wohl versorget würde. Ich behielt ihn zu Mittag [713] bei meinem Salat und Kalbsbraten zu Tische, allwo er mir erzählet, wie es Sempronio, Philippen, Dieterichen und den andern Herren Gesellschaftern ginge und wie die meisten entschlossen wären, in fremde Länder zu reisen. Er aber wollte mit mir zu Hause bleiben, weil wir nunmehr auch die Jüngsten nicht waren und uns selbst gern etwas zugut tun wollten.

Weiter redete er wegen des Gespenstes auf dem alten Schlosse mit mir und sagte, daß er zu Ollingen, als er durchgeritten, von einem Marktsinger abscheuliche Lügen hätte absingen hören, welche ihm die Leute reißend abgekaufet hätten. Brachte mir auch zu besserem Glauben einen solchen Zettul mit, auf welchem folgendes Lied gedrucket stund. Und zwar erstlich, so hieß der Titul also: ›Erschreckliche Zeitung von einem Gespenst auf dem alten Schlosse zu Steinbruch, wie es sich sehen und hören lässet, jedermänniglich zum Grauen und Schrecken vorgebildet, in dem Ton: »Einsmals ging ich spazieren in einen grünen Wald« oder: »Es singen die Waldvögelein« etc.


Hört, lieben Christenleute,
Was ich euch Traurigs sing.
Es geschieht von hier nicht weite
Ein wunderseltsams Ding.
Ein Geist tut grob rumoren
Zu Steinbruch in den Toren
Auf einem alten Schloß.
Ein Edelmann daselbst saße,
Herr Wolffgang ist sein Nam,
Gern etwas Guts er aße;
Und wenn ein Wildbret kam
Aus einem Wald gegangen,
So hat ers bald gefangen,
Zu Tisch ers bringen ließ.
So hat er stets gelebet
In großer Herrlichkeit,
[714]
Der Musik nachgestrebet
In aller Lust und Freud.
Endlich ists ihm vergangen;
Ein Geist hat angefangen,
Zu poltern früh und spat.
Nun tut fleißig achtgeben,
Was ich euch jetzo sag:
Der Geist verführt ein Leben,
Daß mans kaum sagen mag.
Herr Wolffgang mußt entweichen,
Sein Frau, die tät erbleichen,
Sie forchte sich gar sehr.
Man siehet Feu'r und Flammen
Bei Tag und auch bei Nacht.
Die schlagen stets zusammen
Am Schloß; wer es betracht,
Derselb bekommt den Grausen.
Es tut gar schröcklich hausen
Auf diesem alten Schloß.
Man sieht auch einen Reiter
Wohl sprengen hin und her;
Wenn man hingehet weiter,
So droht er mit dem Speer.
Er will die Leut erstechen,
Die Laute will er brechen.
Ach, bleibet weit hinweg!
Solch Straf, die pflegt zu kommen,
O du, mein frommer Christ,
Wenns Herze angeklommen
Von lauter Freuden ist.
Herr Wolffgang wird es wissen,
Wie es steh im Gewissen.
Ach, denke stets daran!‹

[715] Mich wunderte, daß der Verfasser in diesem engen Raum dennoch so weitschichtige Landlügen eingebracht hatte. »Es sind gleich sieben Strophen,« sagte ich zu Gottfriden, »und also sind sie auch gleich alle erlogen. Der Mauskopf, der das Ding gemacht hat, weiß gewiß, daß ich gern Wildbret fresse. Ja, ja, du Narr, du wirst wenig Hasen von mir bekommen. Wenn ich eine Refutation tun sollte, so müßte das Gesang dem Marktsinger solchergestalten zurückgeschickt werden:


Hört, liebe Christenleute,
Was ich euch jetzo sing.
Es wär gleich rechte Zeite,
Daß man den Kerle fing,
Der also pflegt zu lügen
Und euch so zu betrügen,
Er lose Lumpending.
Von einem Geist im Lande,
Wie ich gehöret hab,
Lügt er, ist Sünd und Schande,
Man soll ihn prügeln ab.
Er führt ein großes Messer,
Glaubts nicht, ich weiß es besser
Als dieser Gassenknab.

So solle man die Refutation anstimmen. Aber die Narren mögen von mir und meinem Schlosse singen und sagen, was sie wollen. Mich wundert, daß das gemeine Volk so gerne will betrogen und belogen sein.« Hiermit reisete Herr Gottfrid seine Straße, und ich wünschte ihm samt meiner Frauen eine glückliche Verrichtung in seinen Ehehaften.

7. Capitul. Artige Begebenheit wegen dieses Liedes
VII. Capitul.
Artige Begebenheit wegen dieses Liedes.

Den dritten Tag nach seinem Abschied ritt ich mit meinem Wastel in die Stadt, weil gleich Wochenmarkt war und der [716] vorige Marktsinger ohne allen Zweifel wieder auftreten würde. Ich hatte mein Quartier bei dem Organisten, dem alten Ab initio, und von daraus gab es gar gute Gelegenheit, auf den Markt zu sehen, allwo dergleichen Narren und Landbetrüger ihre Brief und Salbadereien hatten. Ich horchte lang zu, ehe das Lied vom Gespenst zu Steinbruch angestochen kam, sobald er aber »Hört, lieben Christenleute« zu singen anfing, satzte ich meinen Kugelpallester an und schoß ihn auf den Grind hinauf, daß die Trümmer von der Leimkugel unter das Volk sprangen. Er fuhr nichtsdestoweniger in seiner Melodey fort, bis ich ihn endlich auf die Nase traf und die Kugel einem nächst dabeisitzenden Wald- und Kräutermann in seine blecherne Salbe-Büchsen hineinsprang. Der schalt den Singer, der Singer ihn hinwider, und also kam es von Worten zum Zank, vom Zank zum Streit, und fielen beide dergestalten aneinander in die Haar, daß alles Volk genug auszuweichen hatte. Der Marktsinger war stärker als der Waldmann; darum geschah es, daß er ihn in seine eigene Salbe zurück niederdrückte. Weil sich aber der Waldmann in jenes Haar eingeflochten, zogen sie beide aneinander bei dem Schädel in der grünen Salbe herum, daß sich niemand des Lachens enthalten konnte, der da zusah. Ich indessen schoß noch immer brav auf den Singer los, und weil sich mein Schießzweck verdoppelt hatte, konnte ich desto weniger fehlen. Unter währendem solchen Scharmützel rafften die Jungen den Korb mit den gedruckten Liedern hinweg, und dem Waldmann stahl man alle seine hölzerne und blecherne Büchslein, darob sich der gegenüber wohnende Apotheker, als welche dergleichen Leuten ohnedem nicht gut sind, in seinem grünen Schürztuch fast bucklicht gelacht hat. Auch war der Organist wegen des Sängers in höchsten Freuden, denn er sagte, daß er ihm in der Kirchen die allerbesten Manieren abgestohlen und solche hernachmals auf öffentlichem Platz zu Schimpf der edlen Musik gebrauchet und seine Lumpenlieder dadurch heruntergequintiliert hätte.

Dessen aber unverachtet, hatte ich vor mich alleine Ursach genug, mich an dem Paschkaller zu rächen, wie ich ihn dann [717] endlich zu mir ins Hause kommen ließ, zu fragen, woher er das Lied bekommen und wer es gecomponiert hätte. Da kam es endlich heraus, daß der ehrliche Andreas Nobiscum, der saubere Vogel, Autor dazu war, welcher nunmehr als ein offentlicher Landstörzer in der Welt herumzog und den Marktsingern allerlei dergleichen Lügen inventieret, dadurch sie den Leuten das Geld abgestohlen haben. Ich hatte fast Lust, ihn noch zu guter Letze wacker prügeln zu lassen, weil ihn aber der Quacksalber ohnedas wie eine Katze hinterm Gesichte zerkratzet hatte, wollte ich ihn diesmal mit keiner doppelten Rute strafen. Aber dem Andreas schwor ich, eine schärfere Laugen anzumachen, bald er mir in die Hände geraten würde. Dergleichen Gesellen tun selten gut, und je gnädiger man ihnen ist, je mehr mißbrauchen sie der Güte. Drum ist es besser, daß man dergleichen Vögel jung aufhänget, so stiften sie im Alter desto wenigere Ungelegenheit. Und war zu wundern, daß mir der Schelm so schlimme Sachen nachgeschrieben, zumalen ich ihm all mein Lebtag nichts Böses, sondern alles Gutes erwiesen, wie der geneigte Leser genugsam hierinnen wird verstanden haben. Jedennoch sinnete der Mauskopf immer auf neue Ränk, mir eine Kopfnuß anzuhängen, und da er nicht näher konnte, schrieb er dies teutsche Lied von dem Gespenst und dem Schloß, auf welchem ihm alles Gutes widerfahren ist.

8. Capitul. Der Wastel erzählet
VIII. Capitul.
Der Wastel erzählet, wie's ihm bei Herrn Bernharden gegangen.

Nach diesem ritt ich mit meinem Wastel wieder aus der Stadt, allwo er mir auf dem Weg seinen Lebenslauf erzählen müssen, denn ich wußte wohl, daß er ehedessen hin und wieder und zum Teil bei wunderlichen Leuten in Diensten gewesen wäre. Absonderlich aber hatte er bei einem Herrn gedienet, welcher ein Ausbund aller wunderlichen Köpfe gewesen. Dieser hat sich in der Weltweisheit so sehr vertiefet, daß man ihn selten bei einer Compagnie, aber allezeit unter seinen Büchern antreffen konnte. »Wie ist dirs«, sagte [718] ich zu Wastel, »bei Herrn Bernhard am Wald gegangen und wie lang bist du bei ihm in Diensten gewest?« – »Herr,« antwortete Wastel, »habt Ihrs denn nicht aus meinem Dastimoni gesehen? Drei Jahr und acht Wochen hab ich ihm gedienet, aber in all dieser Zeit niemalen satt zu fressen bekommen; denn er sagte, ein Mensch, der sich überäße, machte sich zu allen Betrachtungen ganz untauglich. Einsmals ritten wir miteinander aus, da sah ich in einem Garten hübsche Birn und Äpfel stehen. Drum sagte ich zu ihm: ›Herr Bernhard, sehet da, was sind das vor schöne Birn und Äpfel!‹ – ›Was?‹ sagt er, ›du Narr, das sind Nüsse!‹ – ›Herr,‹ sagte ich, ›ich werde auch sehen, was Nüsse oder Birn sein, es sind Birne und keine Nüsse!‹ – ›Ei,‹ sagte er, ›halte dein Maul, es sind Nüsse!‹ Als ich aber weiterreden wollte, zuckte er sein Pistol und sagt, ich sollte schweigen, oder er wollte mir das Maul so zusperren, daß ich einem weisen Manne all mein Lebtag keinen Einwurf mehr tun sollte. Er hieß alle Sachen anders. Essen hieß er: zehren; trinken: saugen. Als, wenn er sagen sollte: ›Gebt mir zu essen und trinken!‹, so sagte er: ›Gebt mir zu zehren und zu saugen!‹ Und was man mit ihm redete, das mußte man ihm dreimal sagen, sonst, gab er vor, wär die Sache nicht gewiß. Als zum Exempel, wenn ein fremder Herr zu uns kam und sich durch einen Diener anmelden ließ, so mußten wir sagen: ›Herr, Herr, Herr, es ist, es ist, es ist ein Diener, ein Diener, ein Diener draußen, draußen, draußen, der wollte gern, der wollte gern, der wollte gern ein paar Wort, ein paar Wort, ein paar Wort mit dem Herrn, mit dem Herrn, mit dem Herrn sprechen, sprechen, sprechen!‹

Als mir nun das Leben bei diesem Dummshirn ziemlich langweilig und verdrießlich war, machte ich mich einsmals mit einer List los. Wir ritten wieder miteinander aus und kamen zu einem großen Bach, da die Landstraßen mitten durchging. Er wußte nicht, war es tief oder seicht; derohalb schickte er mich voran. Aber der Bach war so tief, daß ich durchschwimmen mußte. Er getrauete sich nicht wohl zu folgen, weil er sein Pferd ziemlich schonete. Aber ich sagte, daß er sich auf meinen Schimmel setzen und auf demselben, [719] weil ers schon gewohnt war, voranreiten solle. Ich wollte auf seinem Pferd nachsetzen, damit es desto bessere Courage kriegte. Er trauete mir, zu seinem Schaden, denn als er fast darüber war, schwamm ich auf seinem Pferd, so überaus wohl gewandt war, hinnach. Aber mitten in dem Fluß schwamm ich immer abwärts, und zwar mit so kläglichem Geschrei und jämmerlichen Gebärden, daß er an dem Ufer zu zittern und beben anfing. ›O mein Wastel! O mein Wastel!‹ rufte er mir zu, ›hab Reu und Leid über deine Sünd, o Wastel, o Wastel, zu tausendmal gute Nacht!‹ Denn ich stellete mich an, als wollte ich alle Augenblick ersaufen. Und also kam ich den Strom weit hinunter, und ob er gleich an dem Ufer nachgeritten, so konnte er doch endlich wegen des häufigen Gesträußes, so dort herum in ziemlicher Anzahl stund, nicht ferner folgen. Ich aber nahm die Gelegenheit wohl in acht; und als er mich so wenig als ich ihn mehr sehen konnte, satzte ich ans Ufer auf dieser Seite und ritt so schnell davon, als das Pferd laufen konnte.

Von derselben Zeit an hat weder er mich noch ich ihn mehr gesehen; aber ich hab hernach erfahren, daß er mich durch acht Bauren im Bache hat suchen lassen, welche mich schwerlich werden gefunden haben. Das Pferd verkaufte ich einem vom Adel, dem ich auch erzählte, wie ich dazu gekommen, darum gab er mir nur halben Wert, stutzte ihm den Schwanz, schnitt ihm die Ohren ab und färbte es auf einer Seite kohlschwarz.

Darnach machte ichs wieder einem andern Herrn nicht viel anders, der mich gar zu scharf hielt. Ich kriegte zwar besser Fressen bei ihm als bei Herrn Bernharden, aber auch viel bessere Stöße. Er hat mich oft geprügelt, daß mir die Rippen geknackt haben. Aber da wir einsmals ausritten und durchs Wasser mußten, sagte er: ›Reite voran und führe mein Pferd an dem Zaum nach dir, denn es ist scheu!‹ Als ich ihn nun mitten in den Strom gebracht, ließ ich den Zaum los; da kann ich nicht sagen, wie er um gut Wetter geschrien hat. ›Herr,‹ sagte ich, ›wenn Ihr mir zusagen wollet, mich nimmer zu prügeln, so will ich Euch helfen.‹ – ›Ach ja, mein lieber Wastel,‹ sagte er, ›ein Schelm, der dich mehr mit einem [720] Finger anrühret.‹ Darauf schwamm ich ihm nach, und als wir fast, doch mit großer Mühe, am Ufer waren, sagte er: ›Ha, du Erzschelm, ist es um die Zeit, wart, ich will dich mit keinem Finger, aber mit der Karabatsche will ich dich anrühren!‹ Es war gut, daß er solches drohete, da wir noch im Wasser waren, darum stieß ich ihn wieder in die Tiefe und brachte ihn viel in größers Leid als zuvor. Er gab dennoch wieder gute Wort; aber der war ein Narr, der getraut hätte. Derohalben ritt ich mit dem Pferd wieder davon und ließ ihn in dem Wasser verzappeln, bis er genug hatte.«

»Du Schelm,« sagte ich zu ihm, »das sind keine schlechte Stücke; wenn man die Sache recht examiniern wollte, so könntest du ins Teufels Küchen kommen.« – »Herr,« sagte er, »es ist schon lang und wohl fünfzehen Jahr.« – »Ja,« sagte ich, »alte Dieb sind auch des Galgens wert; aber halte dich anitzo nur desto besser. Hast du nie gebuhlt oder sonsten so ein hübsches Schätzchen gehabt?«

»Herr,« sagte er, »ich habs wohl gehabt, aber mit stetem Zanken und Unfried. Es waren unser zween Knecht im Dorf und hatten eine Magd lieb, die hieß Urschel. Dieselbe Urschel war gar ein drollete Höppin, drum wollt ein jeder das meiste bei ihr gelten. Fand ich ihn bei ihr, so rauft ich mit ihm, fand er mich dabei, so raufte er mit mir; also rauften wir uns die Woche öfter als die Fleischerhund in der Fleischbank. Das kam denn stracks vor den Edelmann, der straft uns, daß uns die Häxen hätten krumm werden mögen. Letztlich bekams doch keiner unter uns beiden, sondern es heiratete sie der Dorfküsterer. Demselben paßten wir oft heimlich in der Nacht hinter einem Zaun auf, und wenn er sternvoll von der Dorf schenke nach Haus ging, so zerschlugen wir ihm die Fressen, daß er am Sonntag kaum die Lichter beim Altar hat anzünden können, und das taten wir nur darum, weil er die Urschel zum Weib hatte. Endlich kams aus, und weil sich jeder unter uns die größte Straf einbildete, liefen wir alle beide noch vor Tages aus dem Dorf. Sehet, Herr, so ist meine Lieb abgelaufen.« – »Du bist ein braver Gourtisan,« sagte ich zu ihm, »ihr Bauren macht es nicht viel anders wie die beißende Hunde, wenn ihr sonst [721] nicht könnet, lasset ihr euer Amour mit Schlagen und Raufen aus.« – »Herr,« sagte der Wastel, »Ihr macht es auch nicht viel anders. Wenns Euch ein wenig zu nahe kommt, so fodert Ihr um eines Frauenzimmers willen auf die Fuchtel hinaus, stoßt einander tot und fahret also mit Leib und Seel zum Teufel.« Ich gedachte: ›Mein Wastel, es ist wohl wahr!‹, dorfte doch nichts sagen, sondern befahl ihm, daß er sein Pferd brav anspornte, und also ritten wir galoppweise zum Schlößlein ein.

9. Capitul. Wolffgang wird wegen der schönen Liesel sehr betrübt
IX. Capitul.
Wolffgang wird wegen der schönen Liesel sehr betrübt.

Sobald ich mich ausgekleidet, suchte ich die Stücklein hervor, welche mir Herr Ab initio mitgegeben hatte, erzählte beinebens meinem Weibe die Geschieht, so sich durch mich mit dem verlogenen Marktsänger und dem Waldsalber zugetragen. Aber weil sie gar zu andächtig und gewissenhaft war, meinet sie, daß ich hiedurch ein überaus großes Übel begangen hätte. »Er hat Euch durch die gedrückte Lüge«, sagte sie, »an Euren Ehren nit angegriffen, und was habt Ihr vor Ehre, Euch an einem solchen Lumpenkerl zu vergreifen. Habens doch die Pfaffen auf der Kanzel getan, warum habt Ihrs diesem vor übel? Sonst achtet Ihr das Geschrei der Leute nicht, aber da will Euch die Leber zerspringen. Es ist ein großes Gemüt, welches eine Schmachrede und falsche Auflage vergessen kann, noch mehr und größer ist dieses, welches sie gar vor keine Schmach aufnimmet!« Wie ich sah, daß sie ferners reden wollte, suchte ich meinen Mantel, ihr solchen umzuhängen. Als sie aber sah, daß ich ihre Vermahnungen mit meinem gewöhnlichen Gelächter vermischte und sie noch dazu höhnen wollte, eilete sie in die Küche, und sie tat auch wohl daran, zumalen mir mit einem guten Stück Essen vor diesmal mehr gedienet war als mit der allerkünstlichsten Predigt.

Unterdessen geigte ich mit dem Studenten die Stücke hindurch; aber sie klangen so elend und barmherzig, daß mir [722] mit einem Haar der Appetit zum Essen vergangen wäre. Darum ließ ich sie mit grüner Farbe überstreichen und mit dem Palier die Vogelbauer bekleiben, darinnen ich die Nachtigallen sitzen hatte. Ich erzählte beinebenst dem Studenten von dem wunderlichen Philosopho, dem Herrn Bernharden am Wald, bei welchem mein Wastel ehedessen gedienet hätte, und daß er ausgegeben, kein Mensch könnte etwas gewiß sagen, es wäre denn Sache, daß ers dreimal wiederholte. »So sollte man«, sagte der Student, »ihn einen Bärnhäuter und Galgenvogel nennen; alsdann, wenn er einen verklagte, könnte man sagen, es wäre nicht recht gewiß, weil mans nur einmal und nicht dreimal nacheinander gesagt hätte. Dieser Einfall des Studentens gefiel mir gar wohl, wie er mich denn stetigs mit dergleichen Grillen unterhielt und perfect nach meinem Humor seine Grillen anzubringen wußte.«

Diesen Abend kam der ehrliche Gottfrid wieder zurücke, und mir schauerte ob seinem bloßen Ansehen schon die Haut, weil ich mit sonderlicher Empfindlichkeit aus seinem Gesicht abnahm, daß er auf dem Schlosse, dahin er wegen seines Vetters geschickt worden, gute Verrichtung gehabt hätte. »Es ist alles auf gutem Weg,« sagte er endlich, »und die Cour ist so weit eingehandelt, sofern der Vetter drei Punkten eingehen und dieselbe zu Versicherung des Ehecontracts unterschreiben will.« Damit kriegte ich ihn auf eine Seite, und weil das Abendmahl noch eine gute Viertelstund innen stehen würde, spazierten wir indessen in dem Schloßhof an dem Wassergraben rings um mein Schlößlein, und ich fragte ihn, an was denn eigentlich die Sache hinge und mit was Condition er auf dem Schlosse mit der Liesel gehandelt hätte. »Es ist die ganze Sache zwischen uns«, sagte er, »dahin gekommen, daß die Heirat auf drei Punkten geschlossen ist: Erstlich will die Braut eine Verschreibung aller Güter des Vetters, er sterbe vor ihr, wenn er wolle, mit oder ohne Kinder. Vors andere soll er seinen Adel bis zu dem zehenten Ahnen beweisen und gültig vorstellen; vors dritte, ihr im Hause den Schlüssel zum Gelde und die Macht, die Dienstboten an- und abzuschaffen, alleine [723] überlassen.« – »Hat der Bräutigam sie gesehen?« fragte ich Gottfriden. »Nein,« antwortete er, »sie ihn auch nicht; drum hielt die Sach in der erste sehr hart. Aber endlich brachte ichs durch gute Recommendation seiner Person so weit, daß es endlich noch knacken dörfte.«

Auf diese Rede des Gottfrides wurde ich ganz traurig, denn ich gedachte nunmehr schon an den Verlust der allerschönsten Seelen, die mir zum großen Verdruß aus der Nachbarschaft würde entrissen werden. Meine Sophia war alt und kraftlos, sie verdocterte die Woche mehr, als sie aß, darum hatte ich mir bis dahero noch immer Speranz gemachet, diese Liesel beim Kopfe zu kriegen. Aber allem Ansehen nach so war dem Fuchsen das Loch verrennet und hatte genug zu tun, deswegen vor dem Gottfrid meinen großen Kummer zu bergen. Denn ich hab ehedessen wohl tausendmal in der geheim mit ihr geredet, und sie war auf keiner widerigen Meinung, mich zum Manne zu kriegen, nur dieses stund ihr im Wege, daß mein Weib so lang nicht sterben wollte und sie erst so spät einen Mann bekommen sollte. Sie war zwar über zwanzig Jahr nicht viel alt, und dannenhero spitzte sie sich trefflich auf mich; aber nunmehr schien meine Sonne ins Meer zu fallen, welche mich bis dahero so hell und fröhlich beschienen hatte. Ich gab mich endlich zufrieden und tröstete mich, so gut ich mochte. Ich sagte im Herzen: ›Fahr hin, du falsche Lust! Der Himmel, der heute glänzet, kann morgen donnern. Heute hast du gutes Wetter, morgen Sturm. Ach, Wolffgang, lasse solche Gedanken fahren. Du fischest in einem trüben Wasser; anstatt der Aale kannst du eine Schlange haschen, die dich in die Hand sticht.‹ Bald wollte ich wieder ein Eremit, bald ein Soldat, bald wieder was anders werden, so schrecklich trieb mich das süße Angedenken der schönen Liesel in dem Kreis herum; und dadurch habe ich gar oft überhöret, was mit mir sowohl in diesem Spaziergang als hernach bei dem Abendessen ist geredet worden.

Es war mir, wie der Leser selbst schließen kann, bei diesem Gespräch des Gottfrids angst und bang; denn ob ich mich schon stellete, als hört ichs gern, wars mir doch nicht so [724] ums Herz; und so mein guter Freund er war, durfte ich ihm doch meine Meinung nicht offenbaren, sondern machte mir vielmehr wunderliche Gedanken, da er mir die Schlaguhr wies, welche ihm wegen seiner Werbung von dero Vatern wäre verehret worden. Die Liesel selbst hatte ihn mit einem Ring beschenket, darüber ich von Herzen erschrak, denn es war eben der Ring, welchen ich einsmals ihrer Kammermagd geschenket, als sie mich ganz im Dunkeln zu ihr ins Zimmer gewiesen. Darum, daß ich nicht desto verwirreter wurde, eilete ich zum Nachtmahl und satzte mir vor, morgen zu der schönen Liesel zu reisen und zu sehen, wie es eigentlich stünde.

10. Capitul. Er reitet zu ihr, findet sie aber nicht zu Hause
X. Capitul.
Er reitet zu ihr, findet sie aber nicht zu Hause.

Wer einmal recht verliebt gewesen, der wirds am besten wissen, wie mir da möge zumut gewesen sein. Sagen dorft ichs nicht, denn ich hatte eine Frau. Klagen dorft ichs nicht, sonst wäre die Strafe über mich hinausgelaufen, derer ich in einem solchen Fall wohl würdig war. Darum mußte ich solche Gedanken, wie ein Bettler die Läuse, bei mir verbutten und vermodern lassen; jedennoch seufzete ich öfters vor innerlicher Bewegung. Aber ich schützte zu Behuf dessen das Gespenste in dem alten Schlosse vor und log also so wohl Bei der Tafel, als der Marktsänger zu Ollingen auf öffentlichem Platz gelogen hatte.

Gottfrid sah mich über Tische zum öftern an, und dadurch konnte ich nichts anders mutmaßen, als daß er mir meine Affection abmerkte. Derohalben machte ich mich wider meinen Willen lustig, und der Student spielte indessen eins auf dem Instrument, da uns der alte Stradiot inzwischen allerlei Soldatenpossen erzählet, darob wir uns fast krank gelacht haben. In solcher Lust verzehrten wir einen ziemlichen Teil der Nacht, zwischen welcher Zeit Herr Gottfrid ziemlich verdächtig redete. Darum resolvierte ich nochmalen, morgen den Studenten mit mir zu nehmen und mit ihm zu der schönen Liesel zu reiten. Hiermit wurde[725] Gottfrid in das bestimmte Zimmer geführet, allwo er die übrige Nacht ausruhen sollte. Seinen Reitknecht aber, als welcher meinen Leuten die Kleider am Bache gestohlen hatte, deckte der Student zum großen Dank dergestalt mit Weine zu, daß er das Handfaß vor einen Reitsattel ansah. In solchem Tummel führte ihn der Student in Stall und legte ihn alldort zu der Pferde Füßen, welche, als sie untereinander einen Streit angefangen, den Reitknecht dergestalten in die Seite geschlagen haben, daß er des andern Morgens kaum zu Pferd sitzen konnte. Und also hat sich der arglistige Student wegen des Possens, so er ihm zuvor an dem Bach erwiesen, wiederum gerächet.

Aber mir waren doch durch alle diese Händel meine Grillen nicht zu benehmen. Die Liesel, die Liesel stackte mir in dem Kopfe. Darum hieß ich drei Pferde satteln, mich samt dem Studenten und einem Reitknecht nach Abschied Herrn Gottfrides auf das Schloß, der lieben Liesel zu begeben und zu sehen, wie die Sache gehauen oder gestochen wäre. Gottfrid nahm endlich seinen Abschied mit Versprechen, daß wir allerehestens auf seinem Gut zusammen würden geladen werden; und ehe er noch hinwegritt, vermahnte er mich ins dritte Mal, daß ich heut nicht erschrecken sollte, und so sehr ich ihn um die Ursach fragte, wollte er doch damit nicht heraus, sondern spornte sein Pferd an und ritt seinen Weg.

Ich lösete ihm zu Ehren noch ein paar Pistolen zum Fenster aus, welchen er mit den seinen auf dem Feld antwortete. Darnach stiefelte ich mich ingleichen und ritt mit oberwähnten Leuten nach Buchberg – so hieß der Ort –, daselbsten der Braut zuzusprechen. Und ob ich wohl willens war, den Wastel auf dem Wege erzählen zu lassen, wie es ihm in anderen Diensten oder sonsten in seinem Leben gegangen, trieb mich doch die Begierde so schnell fort, daß wir fast den ganzen Weg galoppierten und also ganz keine Gelegenheit hatten, uns untereinander von dem und jenem zu unterreden. Also kamen wir voll Staub und Rust an das Schloß, verstund aber gleich von dem Verwalter, daß seine Herrschaft heute morgen hinweg und auf eine Hochzeit verreiset wäre.

[726] Über dieser Post war ich ganz verwirret, noch mehr, als er sagte, daß zugleich der Frauen auch ihre drei älteste Töchter mitgereiset wären. ›Sieh da,‹ sagte ich zu mir selber, ›die Hochzeit ist richtig. Hui, daß sie hingereiset sein, die Copulation zu vollendziehen?‹ In diesen Gedanken hatt' ich kaum so viel Zeit, von dem Verwalter Urlaub zu nehmen, und vergaß also, wider das Gesetz der angebornen Höflichkeit, den übrigen und zurückgebliebenen zweien Töchtern zuzusprechen, dessen ich erst auf dem Felde gewahr wurde. Nichtsdestoweniger ritt ich doch meine Wege fort und fing erst an zu betrachten die Wort, welche mir Gottfrid vor seiner Abreise zu verstehen geben, daß ich nicht erschrecken solle. So schnell ich nun hergeritten, so schnell ritt ich auch wieder zurück, obgleich der Student abscheulich über seinen Sattel klagte und nicht viel anderst zu Pferd saß wie ein schlimm angebundnes Felleisen. Da mußt ihm der Wastel in Stegreif helfen: dort mußt er ihm den Hut aufheben, bald fiel ihm sein Degen aus dem Gehänge, bald verzettelte er einen Handschuh, und dieses ist die Ursach, daß, so gern ich ihn sonst um mich hatte, ihn dennoch selten oder gar nie mit mir über Land genommen habe, es sei denn, daß wir in einer Kutsch oder Kalesche gefahren, dazu er sich besser schicken können.

11. Capitul. Der Wastel erzählet weiter
XI. Capitul.
Der Wastel erzählet weiter, wie es ihm mit dem Herrn gegangen, der nur ein Bein gehabt. Item wie es ihm bei dem Kloster-Becken gangen.

Der Torwärter hat mit dem Zuschließen allgemach drei Stunden auf mich gewartet; und als wir zum Schloß einritten, berichtete er mich zugleich meiner Frauen große Unpäßlichkeit, in welche sie zeit meines Ausseins gefallen wäre. Ich fand sie auch in einem recht übeln Zustand, weil sie den Ohnmachten ziemlich ergeben war und großes Reißen im Leibe hatte. Sie winselte die ganze Nacht vor Schmerzen, und ich quälete mich voll von Gedanken wegen der Liesel. Endlich nahm ich mir vor, so ja etwas an der Hochzeit wäre, [727] indessen aus dem Lande zu reisen und meine Grillen an einem ausländischen Ort zu verpausieren. Die Krankheit meiner Sophia hielt eine ziemliche Zeit an, und der Doctor von Ollingen tröstete mich wegen ihres Aufkommens keinesweges, weil er meinte, daß die Lung und Leber nebenst dem andern Zustand in ihr ganz verzehret wären. Zwischen solcher Zeit bekam ich von Gottfrid einen Hochzeitbrief, welchen er im Namen seines Schwagers an mich geschicket, welcher auf seinem Gut ehestens würde verehelichet werden. Es stund drinnen: mit einer Jungfer von Buchberg, und als mir dieses unter Augen kam, zerriß ich das Schreiben zu tausend Stücken und hatte nun wegen meines Weibs Krankheit gute Ursach, traurig und melancholisch zu sein. Aber ob ich gleich wegen dieser nicht gar zu froh war, so machte mich doch meistenteils der Widerwillen, welchen ich wider die Liesel geschöpfet, ganz stutzig.

Ich entschloß mich endlich, zwar nicht auf die Hochzeit, sondern ebendenselben Tag vor dem Gut vorbeizureiten und zu sehen, was unter beiden vor eine Affection oder Liebe vorlaufen würde. Gab demnach bei meiner Frauen, welche darum nichts wußte, vor, wie ich dem Medico von Ollingen und seinen Arzneien nicht viel trauete, wollte demnach nach St. Andre reiten, daselbsten den berufenen Arzt um einziges Mittel zu fragen, dadurch ihr am besten möchte geraten und geholfen werden. Diese Stadt, dahin ich meinem Vorgeben nach zu dem Arzt reisen wollte, lag ebenden Weg, da ich auf der Landstraß Gottfridens Gut vorbei mußte. Derohalben nahm ich nebenst dem Studenten, Page und Soldaten noch vier Knechte mit mir, und damit es ein desto größers Ansehen hatte, mußten mir meine Knechte ihre neue Liverey anziehen, und den andern satzte ich große Federdollen auf die Köpfe, dadurch ich verhoffte, mich rechtschaffen sehen zu lassen. Weil ich auch, ohne Ruhm zu melden, in demselben Landesviertel die Post zu verwalten hatte, mußte mein Wastel, der brav auf dem Hömlein blasen konnte, voranreiten, und also zog ich ganz still aus dem Schloß und verbot, meiner Frauen nichts von dem Auszug oder von dem Vorhaben zu vermelden, bis ich würde ein paar Stunden hinweg sein. [728] Unterwegens mußte der Wastel mit seiner Lebenshistoria wieder hervor, und er erzählete, daß er einsmals einem Herrn gedienet, welcher nur ein Bein gehabt. »Das andere«, sagte er, »war von hartem Holze gedrechselt und so künstlich zugerichtet, daß er Strumpf und Schuh darüberziehen können. Also knappte er nur ein wenig, und hätte der Tausendste nicht gedenken sollen, daß es ein hölzern Bein war. Es wußte es auch außer ir, als der mich ihn alle Nacht ausziehen mußte, der Zehente auf dem Schlosse nicht, und er hat mir in meinem Bestallungsbrief unter anderen Punkten auch diesen mit eingedungen, daß ich hiervon stillschweigen und niemanden nichts sagen sollte. Einsmals forderte ihn einer heraus, und weil sie sich zu Pferde schlügen, führt ich ihm seine Pistolen hinter einen Wald nach, allwo sie zusammenkommen wollten. Sie schossen sich wacker in der Wiese herum, und lösete jeder seine zwei Pistolen, ohne daß einer von ihnen wäre verletzet oder beschädiget worden. Abends aber, als ich ihn auszog, fiel eine Kugel aus dem Strumpf, da wurde ich samt ihm gewahr, daß er wäre ins höl zerne Bein getroffen worden, darüber er sowohl als ich von Herzen lachen müssen. Sonst war er ein guter Haushalter, aber nichtsdestominder bestahl ihn das Schloßgesind abscheulich. Einsmals fischten wir ihm den Teich ganz heimlich in der Nacht und hatten unser dreie wohl mehr als einen guten Centner Karpfen in ein großes Faß zusammengeschlagen, welches wir folgenden Tages in die nächste Stadt führen und heimlich verkaufen wollten. Dieser Fischfang geschah abends, als er auf einer Kindstaufe über Land war, und weil wir keinen tauglichen Fuhrmann so geschwinde haben konnten, legten wir das Faß indessen in ein Gesträuße nächst an dem Teiche, und wurde uns bei der Sache fast angst und bang. ›Wastel,‹ sagte er zu mir, ›wecke mich morgen auf, ich will in Meierhof visitieren gehen!‹ – ›Hui!‹ gedacht ich, ›das ist der rechte Weg‹, da findet er das Faß so richtig als etwas von der Welt«; denn es war ein schlauer Kopf der alles ausspürete wie ein Dachshund.

Aber was war zu tun? Abends, als ich ihn ausgezogen und den hölzern Fuß heruntergedrehet hatte, nahm ich solchen [729] heimlich mit mir, sägte ihn mit unserer Holzsäge entzwei und grub beide Stücke in die Erde, denn ins Wasser dorft ichs nicht werfen, weil es oben geschwummen und also der Betrug leichtlich am Tag gekommen wäre. Des andern Morgens, als er aufstund und ich das Handwasser hinaufgetragen, fragte er mich: ›Wastel, wo ist mein Bein?‹ –›Herr,‹ sagte ich, ›ich habs an den Sessel gehangen!‹ – ›Ei was, Sessel,‹ antwortete er, ›wo ist das Bein hinkommen?‹ – ›Herr,‹ sagte ich, ›das weiß ich nicht.‹ Er hielt sich immer mit den beiden Armen an die Bettstatt, bald hüpfte er wie ein Sperling, bald wie ein Storch. Ich stellete mich hierüber so bekümmert als er; und weil es sich nicht anderst argwohnen ließ, als sollte ich ihm das hölzerne Bein schaffen, ich möcht es auch nehmen, wo ich wollte. Unter solchem Gezänke hatten meine zwei Kameraden Zeit genug, das Faß mit den Karpfen wegzuschaffen. Als mich aber mein Herr bei dem Kopf erhaschen wollte, sprang ich zurück und hieß ihn einen Schmierhansen über den andern, denn ich wußte wohl, daß er nicht so geschwind hupfen konnte als ich laufen. Also nahm ich ihm, weil er mir allgemach zwei Jahr lang keinen Sold gegeben, zwei Halsuhren und einen silbern Degen von der Wand hinweg und eilete damit meinen beiden Gesellen nach, die in der Stadt die Fische allgemach verkauft hatten.

»Wir dreie waren fast alle seine Bediente, und wenn man nur seine Schwester und den Schreiber noch dazu nahm, so war fast unsere ganze Familia beisamm. Darum überredeten mich meine Kameraden gar leicht, wieder zurück[zu]kehren und ihrem Anschlag zu folgen. ›Sehet,‹ sprach der Reitknecht, der auch Torwärter und Mühlknecht zugleich war, ›der Edelmann kann nicht gehen, viel weniger uns verfolgen. Seine Schwester ist zu ohnmächtig und zu alte. Der Schreiber wird uns auch alleine nicht fressen. Die Viehmägde haben auch kein großes Vermögen, lasset uns zurückeilen und sehen, wie wir was Hauptsächliches bei der Kappe kriegen. Um so eines Pfifferlings willen wäre es eine Schand, aus dem Lande zu laufen. Zudem ist er uns viel schuldig, und kann von dem Schindhund kein Mensch seinen [730] verdienten Lohn kriegen.‹ Damit liefen wir wieder zurücke und sperreten den Edelmann samt seiner Schwester in eine Kammer, wo das gedörrte Obst innen lag. Und wie der Schreiber gesehen, daß es nicht anders werden wollte, griff er ärger zu als einer unter uns, und als wir uns alle aufs beste ausgestopfet hatten, wischte einer da, der ander dort zum Lande aus.«

»Wastel,« sagte ich zu ihm, »was bist du von Geburt?« – »Herr,« gab er zur Antwort, »ein Krainer.« – »Nun,« sagte ich, »so ists sichs nicht zu wundern, denn die Krainer, Ungarn und Böhem sind in keinem guten Concept. Aber wie ist dirs weiter gegangen, wo kamst du darnach hin, wie du da so aufgepacket hast?«

»Ja, Herr,« sagte er, »nicht lange darnach kam ich in eine Stadt, in welcher einer des folgenden Morgens sollte gehangen werden. Als nun auf dem Platz nächst auf dem Rathause unzählig viel Volkes zusammenlief, stackte ich mich auch unter den Pöbel und sah endlich unsern Torwärter, der da mit uns die Fische und das Schloß bestohlen hatte, zwischen zweien Bütteln daherführen, welches mir nicht viel anders als ein spitziger Schuhkanifft durchs Herz gefahren ist. Man las ihm vom Rathaus kurz und gut sein Lebensurteil, dadurch er zum Galgen verdammt worden. Niemand wäre damals lieber als ich aus der Stadt gewesen, denn wie ich mich alldorten nur ein wenig umsah, so stund mein Name an dem Diebsbrett angeschlagen, und war meine ganze Person von oben bis unten aus recht natürlich beschrieben, wie ich aussah und aufzog. Zu meinem Unglück waren alle Tore zu, weil man sich in dergleichen Begebenheit in derselben Stadt schon aus alter Gewohnheit wegen Auflaufes vorzusehen pflegte. Oh, wie kluxte mir dazumal mein Herz. Andere drängten sich mit Gewalt und nach allen Kräften hinvor, und diese müssen allem Ansehen nach ein viel bessers Gewissen als ich gehabt haben, denn ich stund ganz von ferne und verbarg mich, so viel möglich war, damit mich der Torwärter nicht zu sehen kriegte. Und also wurde der arme Teufel hinausgeführet und an den lichten Galgen gehangen. Er starb, soviel ich aus dem Gespräche der Zurückkommenden[731] hören können, sehr wohlgemut; aber ich passierte immer den Berg hinaus und ging wohl eine gute Stund, ehe ich den gehenkten Torwärter aus dem Gesichte verloren, so hoch stund der Galgen.«

»Wie ich höre,« sagte ich zu Wastel, »so ist der Torwärter unter euch dreien noch der Unglückseligste gewesen, aber vielleicht darum, weil er, wie du zuvor gesagt hast, auch zugleich ein Müller war. Aber wo kamst du dann nach diesem hin?« – »Nach diesem«, antwortete Wastel, »kam ich in ein Kloster, da brauchten mich die Pfaffen bei der Bäckerei. Sie verkauften ihr Brot an die umliegende Dörfer hin und wider, denn in demselben Land ist nicht so viel Brot als dahier, und solches Brot mußte ich auf dem Buckel so lang herumtragen, bis ichs verkauft hatte. Einsmals merkte ich, daß der Beck, welcher ein Pfaff, aber nicht studiert war, gemeiniglich das schönste Geld, so ich heimbrachte, vor sich behielt und dem Kloster mit der Rechnung ziemlich zu kurz täte. Das ließ ich eine gute Weil passieren, bis ich meinen Vorteil ersah und ihm seinen Kasten bestahl, auch mehr als in die vierzig Reichstaler aus seiner Lade herausraumte. Nun wußte ich nicht, wo ich mit dem Geld hinsollte, denn bei mir dorft ichs nicht tragen, und keine Lade hatte ich auch nicht, darein ichs hätte versperren können. In einen Winkel zu werfen oder unter das Dach zu tragen, war nicht ratsam. Endlich steckte ich Stück vor Stück in das Brot tief hinein, und also verpartierte ich die stattlichen Batzen alle miteinander und trug also, jedermänniglich unvermerkt, das Geld im Brotkorb samt dem Brot auf und davon. Draußen, etwan auf eine halb Meil vom Kloster, satzte ich mich in ein abgebranntes Häuslein und tranchierte die Pfennige wieder heraus, das Brot aber ließ ich stehen, und weiß nicht, wer es aufgezehret hat.«

Aus dieser Erzählung des Wastels war genug abzunehmen, daß er den Galgen viel besser als der Torwärter verdienet hätte, nur daß einem Dieb das Glück zuweilen günstiger ist als dem andern. Derohalben vermahnte ich ihn, daß er nicht wieder in sein Heimat zurückreisete, weil er dadurch in großes Unglück geraten dörfte; er solle auch all dieser Erzählungen [732] sich in großen Zusammenkünften enthalten und nicht viel davon melden, weil es ihm nicht allein an seinem guten Namen, sondern sogar an dem Leben dörfte schädlich sein. Dergleichen Dinge wären kitzlich zu hören, und er konnte sich leicht durch sein eigenes Maul an den Galgen bringen. Und indem ich solches redete, kamen wir allgemach an Herrn Gottfrides Gut, auf welchem die Hochzeit vorübergehen sollt.

12. Capitul. Wolffgang kommt aus dem Traum
XII. Capitul.
Wolffgang kommt wegen der schönen Liesel aus dem Traum.

Mein Herz klopfte mir schon von ferne, je näher wir aber kamen, je weniger hörten wir, welches sonsten bei solchen Zusammenkünften nicht gebräuchlich ist. Ich stund still, entweder eine Geige oder Pfeifen zu hören, aber da war alles mausestill. Es schien, als ob gar kein Mensch zu Hause wär. Darum schoß ich los, daß etwan jemand heraussehen möchte. Aber wie gesagt, man sah darnach so wenig als zuvor. »Wie ists, alter Vater,« sagte ich zu einem Bauern im Dorfe, »ist Euer Herrschaft nicht zu Haus?« – »Er ist wohl zu Haus,« sagte der Bauer, »aber wenn Ihr zu ihm wollet, müsset Ihr noch eine halbe Stund da hinunter übers Kornfeld reiten, da halten sie heut eine Hochzeit!« Damit mußte er uns den Weg weisen; und als wir den Berg hinunter waren, hörte ich schon etliche Trompeten, die allem Ansehen nach um dieselbe Revier herum geblasen wurden.

Nicht lange darnach kamen wir an dem Platz an, allwo die ganze hochzeitliche Compagnie in großen Freuden versammlet war, und weil dieser Ort etwas tief lag, konnte ich mich mit so vielen Leuten desto weniger verbergen. »Ha, ha!« ruften sie, »Herr Wolffgang, Herr Wolffgang! O du Tausendbruder! Willkommen; wie so spat? Wie so spat?« Ich tat, als hört ichs nicht, und wollte an dem Berg vorbeireiten. Aber sie paßten mir an dem Gattern auf, und dort konnte ich nicht so unhöflich sein, daß ich wider die Bitte aller anwesenden Gesellschafter sollte weitergeritten sein. [733] Ich stund endlich vom Pferd, und sie ließen mir nicht so viel Weil, daß ich mich ausgestiefelt hätte, sondern mußte geschwinde mit an die Tafel, allwo ein sonderlicher Ort vor mich aufbehalten worden. Ich dachte mich bis auf den Tod zu verwundern, als ich sah, daß ich in meiner bisher gehabten Meinung ganz betrogen war, denn die Braut war weder die schöne Liesel noch eine unter ihren Schwestern, sondern ihre von weiter Gesippschaft verwandte Muhme, welche sich schon eine ziemliche Zeit, und zwar etliche Jahre her, bei ihnen auf dem Schloß zu Buchberg aufgehalten hatte. »O Schelm,« sagte ich zu Gottfriden, »wie hast du mir neulich vorgelogen!« – »Schweig!« antwortete er, »wir wollen mehr von der Sache reden, wenns Zeit ist.« Hiemit bewillkommte ich alle nach der Reihe und bat um Vergebung, daß ich sie verunruhigte, erzählete auch beinebens, daß ich meine Frau in höchster Krankheit hinterlassen und dieselbe schwerlich mehr bei Leben antreffen würde. Ich schickte darauf meiner Diener einen gar hinein nach St. Andre, alle diese Medicamenten mit sich herauszubringen, die in dem mitgegebenen Zettul würden enthalten sein. Diese Post, ob sie schon in der Wahrheit ihrer vielen nicht traurig vorkam, zumalen meines Weibs continuierliche Krankheit ohnedem landkündig war, so stelleten sie sich doch, als wär es ihnen leid. Aber die schöne Liesel ließ sich deswegen den Schluchzen nicht ankommen, denn sie wußte am besten, wie wir miteinander stünden, und mich wunderte nichts, als wie Herr Gottfrid hinter meine Heimlichkeiten geraten wäre, weil er allem Ansehen nach von meiner fremden Liebe gute Nachricht haben mußte.

Meinen Pferden wurde allda in dem Grünen frisches Futter gegeben, und meinen Leuten wurde dergestalt stark zugetrunken, daß, als ich mich um sie umgesehen, fast schon ein jeder zu torkeln anfing. Denn bei solchen Begebenheiten muß man die Diener und Knechte fast besser bedienen als die Herrschaft selbsten, weil sie allenthalben in dem Land auskommen und hernach so spöttlich von der Filzigkeit reden können, daß einem die Ohren davon gellen möchten. Aber der Student war ein abgerichteter Gesell, welcher sich [734] ehe voll stellte, ehe ers war, denn er forchte, der Reitknecht dörfte ihn wieder, gleich wie er ihm getan, hinter die Pferde legen. Als er aber von der adeligen Gesellschaft erkannt worden, wurde er zu uns samt dem alten Schmeckscheitierer an die Tafel gerufen, allwo sie auch so sternblind voll angesoffen worden, daß sie kaum aus den Augen sehen konnten. Der Student redete von der Schul und der Soldat vom Krieg, und unerachtet jeder seine sonderliche Materie vor sich hatte und also keiner wider den andern war, zerzankten sie sich doch weidlich miteinander; und der ihnen zuhörte, wußte doch nicht, was einer oder der andere wollte. »Ha!« sagte der Soldat, »der Wallensteiner war ein braver Soldat!« – »Was,« sagte der Student, »der Ariaga zu Prag, was mangelte diesem? Das war ein gelehrter Mann!« Also redete einer von Knoblauch und der andere von Zwiebeln. Endlich wollten sie gar aneinander bei die Köpfe kriegen, und weil keiner wußte, wo er war, gaben wir jedem eine Wurst in die Hand, und damit mußten sie uns zusammengehen. Da stieß einer den andern damit in die Fresse, daß ihnen der Speck an der Nase klebte.

13. Capitul. Wolffgangens heimliche Lieb wird offenbar
XIII. Capitul.
Wolffgangens heimliche Lieb wird offenbar. Seine Frau stirbt, nachdem der Wastel staubaus gemacht.

Diese Wurstritter verursachten der Compagnie kein geringes Gelächter; ich aber hatte indessen gute Gelegenheit, sowohl mit der schönen Liesel ihren Eltern als ihr selbsten zu reden, welche über meiner Frauen Unpäßlichkeit, ob sie es schon nicht merken ließ, dennoch sehr froh war. Und also wurde ich durch diese Gelegenheit vollend gar zugestutzt, wie ich hätte sein sollen; und ich glaube, wenn mir einer alle Berge der Welt zu Gold hätte machen wollen, ich hätte doch von dieser Schönheit nicht ablassen können. Sie versprach mir in aller geheim, daß, sobald sichs mit meinem Weib zum Ende schicken würde, sollte ich ihrs wissen und mich zugleich von der Zusage nicht abwendig machen lassen, die ich ihr ehedessen zu Ofienhausen getan hätte. Dieses [735] war gut Wasser auf meine Mühl, und ich war hernach unter der Compagnie so fröhlich, daß ihrer viel nicht unbillig gezweifelt haben, ob ich eine kranke Frau zu Hause hinterlassen hätte oder nicht. Ihr Vater war sonsten sehr aufsichtig auf dergleichen Gespräche; doch weil ich ein Ehemann und sein altbekannter Freund war, dorfte ich mich unter dieser Freiheit schon weiter, als einem jungen Gesellen angestanden wäre, herauslassen, und mich muß ich noch über die unablässigen Seufzer höchlich verwundern, welche die Liesel dazumal unvermerkt der andern gegen mich hat abgehen lassen, ohne Zweifel nichts mehr als den schleunigen Tod meiner alten Frauen wünschend, dadurch sie mich abscheulich angehäkelt hat.

Aber wenn eine Sache einmal ins Gehen kommt, so geht es entweder schnell fort oder bleibt gar stecken. Mir hat es aufs wenigst allzeit so gegangen. Darum weiß ich wenig Täge zu erzählen, daß es mir so wohl als diesen Tag geglücket hat. Man legte mich auf dem Gut Herrn Gottfrids in ein stattlich Zimmer, und die anderen vom Adel wurden da und dort aufs beste accommodiert. Nichts war mir lieber, als da ich der Liesel ihren Herrn Vater so sehr berauschet sah, denn dadurch hatte ich desto besser Gelegenheit, mit ihr zu sprechen, wie ich sie dann auf dem Schlosse in einem Zimmer allein angetroffen, dahin ich von Gottfriden bin gewiesen worden. Daselbst machten wir unser ehemaliges Versprechen nochmals gewiß, und was wir zu Offenhausen zusammen geschworen hatten, das versicherten wir nochmals mit tausend Küssen, welches, als es fast kein Ende nehmen wollte, schlich Herr Gottfrid hinter einer Tapete, damit dieses Zimmer behangen war, hervor, und ich erschrak nebenst ihr über alle Maßen ob seiner so unverhofften Gegenwart.

»Sehet,« sagte er, »so gehts, wenn man auf unrechter Wiese graset. Aber lasset euch nicht schrecken. Ich weiß wohl,« sagte er zu mir, »daß du ein altes Weib und an ihr weder zu nagen noch zu beißen hast, und was meinest du wohl, wer mir den Ring gegeben hat, welchen ich dir neulich gewiesen? Du, lieber Bruder, bist es selbst gewesen, denn zu [736] Offenhausen habe ich schon gemerkt, was ihr vor eine Meinung zusamm traget, darum verkleidete ich mich in Weibshabit, gab mich auch in den Finstern vor der Jungfer Kammermensch aus, und also bist du betrogen worden. Ich wünsch euch zu eurem Vornehmen viel Glück, geht es an, so haben wir bald eine frische Hochzeit, und der heutige Platz stehet zu euren Diensten!« Hiemit umfing ich ihn, und die Liesel bat herzinniglich, diese Heimlichkeit fleißig zu verschweigen, sie wollte mein eigen und seine ewige Dienerin heißen, auch alle seine Treu, wenn uns das Glück zusammenfügen sollte, mit einem würdigen Angedenken vergelten. Nach solchen unter uns vorgelaufenen Reden begab ich mich wieder in mein bestimmtes Logament, daselbsten die überige Nacht in tausend Freuden verbringend, und achtete wenig, ob meine Frau zu Haus ächzete oder weinte. Des andern Morgen brachte der Diener, weichen ich in die Stadt geschicket, die Medicin nebenst einem Bericht mit sich zurücke. Aber ich hätte lieber einen Buhlbrief von der Liesel als diesen Doctorzettul gesehen. In summa, ich war von der Lieb dermaßen überwunden und eingenommen, daß ich mein eigenes Unglück nicht sehen noch ermessen konnte, in welches ich spornstreichs gelaufen bin.

Der Diener hatte mir kaum die Sachen eingehändiget, als mir gleich darauf von Hause ein anders Schreiben überliefert worden, in welchem mir die große Lebensgefahr meiner Frauen berichtet worden. Ich befahl demnach meinen Leuten, geschwinde aufzusitzen, und nahm allenthalben auf dem Schlosse Urlaub. Aber potz Velten! Der gute Wastel hatte diese Nacht nicht allein etliche Mäntel, Pistolen und andere Sachen heimlich zusammgepacket, sondern war mit denselben noch dazu auf und darvon geritten. Er hat mir über dieses eins von meinen besten Pferden mitgenommen, und da gingen mir erst die Augen auf, reuete mich auch wohl tausendmal, daß ich dem Erzdieb so viel getrauet habe. Aber es geschah mir gar recht, denn warum hielt ich ihn in meinen Diensten auf, da ich doch aus seiner eigenen Bekenntnus genugsam verstanden, was vor ein ehrbares Bürschlein er gewesen und wie listig er seine ehemalige Herren betrogen [737] und hinter das Licht geführt hatte! »Es geschieht Euer Gestreng recht,« sagte der Student, »denn wer leicht glaubt, wird leicht betrogen!« Hiemit schmälete er abscheulich auf den Wastel, und zwar nicht ohne Ursach, denn er hatte ihm fast das Allermeiste mitgenommen und unter andern sogar seinen Kamm aus der Ficke gestohlen.

Dieser schändliche Bub, ob ich gleich dazumal noch voll Liebesgedanken stackte, machte mich dennoch bei mir selbsten recht widersinnig, weil er mich fast auf die zweihundert Taler Werts beraubt hatte; dennoch satzten ihm etliche von Herrn Gottfridens Leuten auf etlichen Straßen nach, und ich begab mich eilends nach Hause, verursachte auch allen denen, die mir auf dem Wege begegneten, keinen geringen Spaß und Gelächter, weil der Student aus Manglung seines Pferdes sich zu einem andern setzen mußte, und also kamen wir noch selbigen Abends, obzwar etwas spat, in das Schloß.

Das Weinen und Weheklagen des Schloßgesindes waren mir genugsame Zeugen, daß es mit der kranken Sophia ein schlimmes Ansehen haben mußte. Ich war aber kaum so bald abgestiegen, als ich schon erfahren, daß es nunmehr mit ihr zum Ende ginge, eilete demnach über die Treppe hinauf und kam noch zu ihren letzten Seufzern, welche sie in wahrer Andacht gegen dem Himmel und kurz darauf ihre Seel ohn allen Zweifel eben an denselben Ort schickte, allwo sie auch in Ewigkeit mit allen Frommen leben wird.

Aber anstatt ich mich über ihrem Abschied betrüben sollen, ließ ich mir im Gegenteil vielmehr angelegen sein, ihr Hinscheiden der Liesel zu notificieren, welcher dadurch der allergrößte Dienst von der Welt geschah. In dieser Verwirrung wußte ich selbst nicht, was am ersten zu tun oder anzugreifen wäre. Weil aber der alte Stradiot mehr und öfter bei dergleichen Fällen sich hatte gebrauchen lassen, machte er ein und andere Anordnung, die Leiche allerehestens unter die Erde zu bringen, und enthebte mich also durch seinen hierin erwiesenen guten Fleiß einer großen Arbeit, vor welche ich billig als ein gewesener Ehemann sollte gesorget haben. Doch waren mir die Lebendige mehr im Sinn als die [738] Toten, satzte mich also geschwind zu meinem Schreibtisch und schrieb an alle meine gut bekannte Freunde folgenden Brief:


›Daß der Mensch seine unaufhörliche Plage habe, lehren uns nicht allein die alten Weisen mit ihren Exempeln, sondern wir selbst beweisen solches leider mehr als zuviel mit der täglichen Erfahrung. Die Sonne scheinet wohl zuweilen lieblich, indem wir aber meinen, uns aufs beste in ihren Strahlen zu ergötzen, überfället uns von ebendiesem Himmel ein plötzlicher Regen. Eine solche unverhoffte Flut überschwemmet auch heutzutage mein Herz, wenn ich dem Herrn Bruder schmerzend berichten muß, daß meine Hausfrau heute abends zwischen sieben und acht Uhren, nachdem sie auf dieser eitlen Erde ihr kümmerliches Leben zweiundsiebenzig Jahr, vier Monat und eilf Tage zugebracht, sanft und selig entschlafen ist. Gleichwie mir nun an des Herrn Bruder Person viel gelegen und mir sattsam bekannt ist, wie angelegen sich derselbe meine Zustände sein lasset, als kann ich nicht vorbei, solches wohlmeinend anzudeuten, bittend, derselbe wolle sich von seinen nötigen Geschäften so viel abmüßigen und zu der Zeit, die ich durch einen Expressen bestimmen werde, meiner Liebsten die letzte Ehr zu ihrem Ruhkämmerlein erweisen. Ich, gleichwie mir solches zu großem Trost, der Verstorbenen aber zu einer sonderlichen Glorie geschiehet, verbinde und verpflichte mich davor zu ewigen Gegendiensten und wünsche, daß demselben in einer fröhlichem Occasion wieder dienen und seiner ganzen löblichen Familie, welche der Himmel mit einem so traurigen Zustand gnädigst verschonen wolle, im Werk erweisen könne, daß ich in dem Werke sei, der ich mich allezeit mit Namen genennet

des Herrn Bruders
dienstschuldigster

Wolffgang von Willenhag.‹


Mit einem solchen Schreiben berichtete ich alle diejenige, welchen die Sache Nachbarschaft halber mußte kundgetan werden. Insonderheit aber die Liesel, welche eigentlich in [739] diesem Spiel die Braut war, um welche man sozusagen dazumal tanzte. Und damit ich die ganze Sache kurz mache, auch die Begierde des Lesers hierinnen nicht aufhalte, noch mit vielen Umschweifen den Verlauf der folgenden Begebenheit hemme, so vermelde ich mit wenigen, daß zwar meine Sophia adelig, aber nicht mit einer solchen Trauer, wie ich wohl billig hätte tragen sollen, ist begraben und beigesetzet worden. Und was ist es nötig, daß ich hier schreibe, wer die Träger oder wer sonst bei der Leiche zugegen gewesen, ob sie um Glock acht Uhr vormittags oder in der Nacht begraben worden und ob sie in eine Kirche oder in den Freithof ist gesetzet worden? An diesem Stück ist wenig gelegen, und wird durch Unterlassung dieser Erzählung keinem nichts benommen noch entwendet sein, man weiß wohl, daß man bei solchen Zuständen kein Alleluja singet und daß sich alle Leute bei dergleichen Prozeßmisericorditer anzustellen wissen, obs ihnen gleich nicht ums Herz ist! Dessen ich ein lebendiges Exempel sein kann. Und weil ich nicht entschlossen bin, durch diese Beschreibung den Leser zu einem unnötigen Grabgang einzuladen, als lasse ich alle diese Totenceremonien unberühret, welche dazumal, wie er sich selbsten leicht einbilden kann, vorgelaufen sind.

14. Capitul. Wolffgang macht mit der Liesel Hochzeit
XIV. Capitul.
Wolffgang macht mit der Liesel Hochzeit; aber das Pænitet hinkt hintendrein.

Nach allen diesen vorübergelaufenen Ceremonien war mir nichts verdrießlicher als das unaufhörliche Mahnen derjenigen Leute, die etwan bei dieser Begräbnis zu tun oder sonsten etwas zu schaffen gehabt hatten. Bald schickte der Priester, bald der Küsterer, bald der Schulmeister, bald der Totengräber, und ließen mich also die Leute weder essen noch trinken. Dadurch ward ich so unwillig, daß ich bald gar keinem nichts gegeben hätte, wenn mir der Student nicht so sehr in Ohren gelegen wäre, daß man den Arbeitern ihren Lohn nicht entziehen und unter einer schweren Todsünd durchaus nicht zurückhalten könnte. Also bezahlte ich sie endlich, [740] was ihnen zukam, machte es aber so sparsam, daß sie wohl vierzigmal laufen mußten, ehe sie ihr Sächlein ausgezahlt bekamen. Denn ich gab heute einen Groschen, morgen wieder achtzehen Pfenninge und wies ihnen dadurch, wie sehr es mich verdrossen, daß sie mich so ungestüm und ohne Aufhören angefahren haben. Und mit einem Wort: ich wurde nach dem Absterben meiner Frauen so wild und ausgelassen, daß man mir fast im ganzen Land nichts Rühmliches, wie wohl zuvor geschehen war, mehr nachsagte. Es sprachen mir dann und wann von einem Kloster etliche Pfaffen zu, aber ich achtete auf ihren Trost sehr wenig. Erstlich, weil mirs nicht gar leid war, vors andere, weil ich wohl merkte, daß es ihnen nur um ein gutes Stück Geld zu tun war. Sie sagten, wie daß mein seliges Weib ohne allen Zweifel im Himmel wäre, weil sie ein überaus frommes und exemplarisches Leben geführet hätte. Als sie aber hundert Gulden begehrten, vor sie zu beten, sagte ich, daß, wenn ihr Vorgeben, welches ich in keinen Zweifel zu ziehen verlangte, wahr und gewiß wäre, so wäre die Sache ganz unvonnöten, und ich wollte die hundert Gulden lieber um einen guten Trunk spendieren, welchen ich zur künftigen Hochzeit haben müßte. Damit hatte ich das Kalb in die Augen geschlagen, und wie ich die zum Feind hatte, war mir fast kein Mensch gut, außer denen, die nicht viel auf sie gehalten haben.

Ich ließ doch keinesweges nach, meine Trauerjahr recht fröhlich und vergnüglich zu passieren, und was ich äußerlich nicht tun dörfte, das trieb ich heimlich desto ärger. Ich dorfte zwar dem Landbrauch nach keine Spielleute halten, aber der Organist von Ollingen und der Student waren auch keine Narren, so konnte auch der Page schon so viel aus der Musik, daß er die andere Fiedel dazu auszuhalten wußte. Dorften wir gleich kein fremdes Frauenzimmer auf das Schloß bitten, so hatte ich doch Dienstmägde genug, die auch aus keinem Eichbaum geschnitten waren, die taugten so wohl zum Tanz als andere Zofen, und wenn sie wußten, daß es so etwas Lustiges abgab, so verrichteten sie ihre Arbeit noch so hurtig und fleißig, da sie sonsten oft nur vor der [741] Tür, dem Tanze zusehend, gestanden und dadurch ihre nötige Geschäfte verabsäumet haben.

Wenn ich von dieser Lust ermüdet war, satzte ich wieder zu Pferd und ritt nach Buchberg auf die Buhlschaft, dadurch ich gar bald allenthalben in dem Land vor einen Bräutigam bin ausgerufen worden. Aber wie ich bald darauf vernahm, so hielt ein Ausländischer von Adel zugleich mit mir um diese Liesel an, welcher an Gütern mich weit übertraf. Weil aber zwischen uns beiden schon zu weit contrahiert war, also mußte derselbe Liebhaber wiederum abziehen, aber vielleicht zu seinem großen Glücke und meinem Verderben: denn als ich die Liesel am Halse hatte, wie ich denn hie die Hochzeit so wenig als die Leiche berühren will, pfiff der Vogel viel ein anders Lied, als er vor der Ehe gepfiffen hatte.

Es ist wohl wahr, wie die Alten den Ehestand mit unterschiedlichen Orden der Geistlichen verglichen haben: das erste Monat ist man im Benedictinerorden, da gehet alles wohlgewünscht und nach Vergnügung her, da ist lauter Lust und Wohlleben und ein unaufhörliches Benedicite. Solches Jubelfest währet auch wohl länger und oft über die Zeit. Hernach kommt man aus dem Benedictiner- in der Prediger Orden, wenn nämlich bald der Mann, bald die Frau gegeneinander zanken und eins dem anderen die Wahrheit prediget. Darnach tritt man aus dem Prediger- in den Cartäuserorden, die sich immer peitschen und geißeln, also peitschet und geißelt man sich auch oft in der Ehe aneinander in dem Hause herum, und da folget der Chorherrenorden, die da stets in dem Chor schreien und heulen, also klagt bald der Mann, bald das Weib über ihr großes Unglück. Durch dieses Übel wird man ein Capuziner, die da nichts über Nacht behalten, also zerfließt solchen unfriedsamen Eheleuten ihr Bißlein Brot unter den Händen und haben weder Vorrat noch anders im Hause. Darnach kommt der Bettlerorden, da man von Haus und Hof und also unversehens um alle seine Güter kommet.

Ein gleichmäßiges fühlete ich allgemach nach vollzogener Ehe, denn die gute Liesel sah viel anders von innen als von außen. Das Gold glänzete schön, aber da mans auf dem Stein [742] strich, war es Blei. Oh, wie zerkratzte ich dazumal meinen Kopf, ich hatte auf demselben nicht so viel Härlein, als oft mich meiner großen Unbesonnenheit gereuet hat. Nebenst dem, daß sie die Weinkanne immer am Maul hatte, war sie in dem Hauswesen überaus fahrlässig. Von den Mägden, welche sie mit guter Obsicht solle regieret haben, mußte sie erst kochen, waschen und backen lernen. So machte sie sich auch so gemein, daß ich kurz nach meiner Hochzeit den Studenten voll Eifer und wider Willen abschaffen mußte, und getrauete mir fast keinen Schreiber zu halten, so schröcklich lief meine Liesel den Burschen nach. Aber dieses alles hatte ich mit dem wohl verdienet, daß ich der alten Frauen so gern wäre los gewesen. ›Oh,‹ sagte ich oft zu mir selbst, ›o liebe Sophia, könnte ich dich mit meinen Nägeln wieder aus der Erden hervorkratzen, ach könnte ich dich wieder lebendig machen, ich wollte auch gar meines Blutes nicht schonen, dich wieder an meine Seite zu bringen!‹ Aber all dieses Wünschen war nunmehr zu spat und vergebens, ja, die Liesel, wenn sie mich so weheklagen und über ihre Faulheit seufzen hörte, lachte mich noch über die Achsel aus und wurf mir vor, daß sie mir nicht nachgelaufen sei, viel weniger mich gebeten habe, sie zu ehlichen, sie [sei vielmehr von mir darzu gedrän]get worden und hätte einen solchen Prahler, wie ich wäre, alle Tage mehr als tausend bekommen wollen. Damit schmiß sie die Tür zu, daß die Gläser vom Gesimse fielen, und wäre nicht zu wundern gewest, wenn ich mich oft vor großem Leide an den obersten Balken des Hauses aufgehangen hätte.

15. Capitul. Im Weinberg geht ein artig Stücklein
XV. Capitul.
Im Weinberg geht ein artig Stücklein mit der schönen Liesel vor.

Zu diesem Übel kam noch das Allerübelste, nämlich die Eifersucht, zu welcher ich allerdings große Ursach hatte. Denn derjenige Edelmann, so mit mir um sie gefreiet hatte, sprach mir, wider gepflogener Gewohnheit, fast wochentlich zu, und ich merkte gar wohl, mit was vor einem Angel [743] er auf die Fischerei ging. Bald wollte er mir Pferde, bald Halsuhren, bald ein Paar Pistolen, bald etwas anders abkaufen. Ich konnte ihm, um Höflichkeit willen, den Zuspruch keinesweges abschlagen; aber da ich von weitem hörte, wie er willens wäre, sich in der Nachbarschaft anzukaufen, da grabelte es mir mächtig in der Leber. Ich bin mein Lebtag nie so voll Grillen als dazumal gestecket, und wenn ich der Liesel vorwurf, daß sie sich gegen ihm gar zu frei heraus ließe, so hielt sie mir ingleichen vor, wie ichs mit ihr gemacht hätte, da meine Frau noch im Leben war. Ich sagte, daß meine Frau alt gewesen und ich von derselben wenig Freud gehabt hätte. Aber sie schützte ein, daß sie bei mir auch wenig Kurzweil genieße, sondern sich stets wider Gewohnheit müßte übers Maul fahren lassen, daraus der geneigte Leser meinen Zustand leichtlich ermessen kann, in welchem ich dazumal bis über die Ohren gestecket.

Aber es war mir sehr gut, daß ich wacker geholhipt wurde, zumalen ich sonst allem Ansehen nach ziemlich ruchlos würde gelebt haben. Deswegen lag ich, wenn ich sonsten spazieren ging, dazumal auf meinen Knien und sah im Ausgang, daß keine Ehe wohl gedeihet, die ohne Andacht und Gebet aus bloßer und blinder Affection angefangen und vollendet wird. Ich klagte es zwar öfters ihren Eltern, aber der Vater konnte nicht helfen, die Mutter wollte es nicht glauben, und mein Weib wurd nur desto ärger. Die Geistlichen wiesen mich zur Geduld. Im Land schrie man mich vor einen Hahnrei aus, und meine Feinde kitzelten sich wacker über mein Unglück. Ha, da wärs kein Wunder gewest, wenn mir gleich Hörner zum Kopf ausgewachsen wären; deswegen nahm ich den Prügel und versuchte, ob sichs nach demselben bessern wollte. Aber es wurde böser und nicht besser, denn einen Teufel schlug ich heraus und zehen hinein. Also war ich auf mich selbsten zornig, und wenn ich an meine vorige Tage gedachte, reute michs nicht wenig, daß ich so unbescheiden eingeplumpft hatte. Ich satzte mir zwar oft vor, heimlich davonzureiten; aber wenn ich das End meines Vorhabens erwog, so war mir mit demselben wenig geholfen. Das Verklagen beim Consistorio war zwar [744] das beste Mittel, aber doch eine solche Sache, die sich nicht wohl tun ließ, weil ich keinen genugsamen Grund hatte, sie von mir zu stoßen. Zudem, so war ich dem Rabenvieh trefflich gut, und daurete mich von Herzen, daß es ihr wegen meiner übel gehen sollte. Sie war über dieses zuweilen so verwegen, daß ich forchte, sie dörfte bei übel ausschlagendem Urteil entweder mir oder ihr ein unverhofftes Leid antun, wie sie denn gewohnet war, mir mit nichts als totschießen, totstechen und ins Wasser stürzen zu drohen, wofern ich sie so in der Leute Mäuler bringen würde, da sie doch dessen die einzige und ursprüngliche Ursach selber war.

Deswegen entschloß ich mich ein anders, und gleichwie sie es arg trieb, so trieb ichs noch desto ärger. Ich rufte nicht allein den Studenten wieder auf das Schloß, welcher sich indessen bei einem Holzförster informationsweise aufgehalten, sondern nahm noch etliche Diener an, die auf der Geige spielen konnten. Dieselben ließ ich mir tapfer aufkratzen, und weil der alte Soldat ein abgefeimter Gesell war, lauschte er fleißig auf diejenige, welche sich gelüsten ließen, meiner Frauen aufzuwarten, und also schnitt er ihnen nicht allein die gewünschte Gelegenheit ab, sondern riß noch dazu die allerlächerlichsten Possen. Durch diesen Alten wurde meine Liesel, so klug sie sich auch gedünken ließ, dennoch stattlich betrogen. Sie brauchte ihn heimlich zu ihrem Briefträger, und weil mein Mitbuhler sich allgemach in der Nähe angekaufet und niedergelassen hatte, traumte mir nichts Gutes. Das allerbeste war, daß mir der Alte alle Heimlichkeiten offenbarte und mein allerbester Parteigänger war. Ich hatte einen Weinberg und in demselben einen alten Turm, allwo ehedessen ein Schloß soll gestanden sein. In diesem Turm hatte es viel Gewölbe, allwo ich auch Sommerszeiten meinen besten Wein und anders Getränk innen liegen hatte. Einsmals ließ ich einen falschen Gevatterbrief an mich stellen, rüstete mich auch bald darauf mit vielen Leuten aus und gab vor, dahin zu ziehen und aufs längste in acht Tagen wieder zurücke zu kehren. Der Alte mußte samt noch einem Diener zu Hause bleiben, weil er vorgab, daß er zu reisen [745] nunmehr zu matt und grau wäre. Also schied ich aus dem Schlosse und ritt in ebendiesen Turm im Weinberg, allwo wir Raum genug hatten, all unsere Pferde einzustellen.

Noch selbigen Nachmittag sah ich zu einem kleinen Fensterlein auf die Straße und sah jemand in einem blauen Rock den Lichtzaun bei der Gartenmauer herauf hocken, welches sonst meine gewöhnliche Liverey war. Nicht lang darnach kam er näher, und ich kannte ihn stracks an dem Hute, daß es der alte Stradiot war, der um meinen Anschlag die allerbeste Nachricht hatte. Er hatte einen Ranzen auf dem Buckel, und als ich ihm mitten im Weingarten entgegenkam, sagte er mir mit mehrerm, wie er von der Frauen nach dem Jungen von Adel geschickt worden, denselben heute noch zu ihr zu bringen. Unten an dem Berg stünde sein Pferd, wollte also gerne wissen, wie er sich in dieser Sache verhalten und ob er eigentlich denselben abholen sollte. Hiermit wies er mir einen Brief, welcher meiner Frauen eigene Hand war, und ich hätte über dieser Treulosigkeit alle Henker fluchen mögen, wenn ich mich vor meinen eigenen Leuten nicht so sehr geschämt hätte. Ich eröffnete hierauf den Brief, welcher also eingerichtet war:


›Tapferer Cavalier,


sofern Demselben beliebet, zu Passierung der heißen Stunden mit Dero Dienerin ein Schachspiel zu versuchen, wird Er in Abwesenheit ihres Mannes freundlich eingeladen. Das übrige mündlich. Er lebe wohl und vergönne mir den Titul seiner Dienerin

Elisabeth von Buchberg.‹


»Was hierinnen begriffen ist,« sagte ich zu dem Krachwedel, »das könnt Ihr wohl mündlich ausrichten, macht die Sache noch so notwendig, und sobald Ihr ihn hiehergebracht, so führet ihn mit Manier in diesen Turm, allwo er die Früchte seiner Leichtfertigkeit sowohl als meine Frau empfinden soll.« Mit solchem nahm er Abschied, satzte sich wieder zu Pferd und ritt hinter dem Berg auf dasjenige Gut, welches der Junge vom Adel etliche Wochen zuvor an sich gehandelt hatte. Indessen versah ich mich und meine Leute mit [746] guten großen Weinstecken, dem Buhler den Buckel brav abzuzausen, und weil ich ihnen die Hoffnung zu einem guten Trankgeld machte, war jeder am beflissensten, sein Bestes zu tun. Der Wein, welcher da wider Gewohnheit unter sie ausgeteilet wurde, erhitzte ihre Stirn, daß ich mir wohl getrauet, mit ihnen nicht allein diesen elenden Gesellen, sondern wohl gar eine Compagnie Fußgänger aus dem Feld zu schlagen. Darum gab ich genaue Obsicht, damit mir dieser Vogel nicht entwischte, und mußte mir einer um den andern fleißig auf der Schildwache stehen, damit wir nicht ausgekundschaftet noch verraten würden.

Endlich ritten sie beide in der Au miteinander daher, und weil ihm der Soldat weisgemacht, als enthielte sich meine Liesel im Gartenturm, wendeten sie sich gegen uns, und ich versteckte mich samt meinen Leuten hin und wider in den Turm. Sie kamen endlich mit den Pferden gar vor die Tür, und weil sich der Buhler nichts Böses besorgete, trat er herein; aber der Soldat schloß stracks hinter ihm die Tür zu und eilete mit den Pferden dem Schlosse zu, daselbst auch die Frau abzuholen und allher zu bringen. Wir indessen wischten über diesen sicher gemachten Kerl hervor und zerklopften ihm sein verliebtes Wams, daß es stäubte, und weil wir alle vermaskiert waren, kannte er keinen; und ich kann nicht sagen, wie sehnlich er um sein Leben gebeten, als ich ihm die Pistol an die Brust gesetzet. Wir schlugen ihm einen Arm und die Spindel am Fuße ab, und wie er endlich ganz ohnmächtig war, stieß ich ihn in ein enges Loch, mit Strohe angefüllt, allwo er seine Schmerzen verpausieren konnte.

Kaum als solches geschehen, kam auch die Frau, welche von dem Soldaten beredet worden, als wartete der Buhler allhier mit großem Verlangen vor dem Garten. Sie schlich ganz heimlich durch die Gänge, und als sie hereinkam, wurde sie gleich ihrem Buhler mit unzähligen Streichen empfangen und ihr fast alle Haar aus dem Kopf geraufet. Also mußte sie ohngefähr lernen, auf was vor gefährlichen Wegen man gehe, wenn man nach verbotenem Wildbret grase.

16. Capitul. Wolffgang wird von seinem Hauskreuz erlöset
[747] XVI. Capitul.
Wolffgang wird von seinem Hauskreuz erlöset.

Dieses, ob es gleich bald darauf weit und breit auskam, auch mir nicht zum Besten ausgedeutet wurde, achtete ich doch nicht gar groß und war vergnügt, daß ich mich so gewünscht an dem Gesindlein gerochen hatte. Wenn ich aber betrachtet, wie hübsch ich ehedessen und zeit währender Ehe mein Maul habe spazieren geführet, so gereuete mich meiner Schärfe hinwieder und mußte mich über mir selber schämen. Kurz darauf wurde ich von dem Jungen von Adel bei dem hohen Gericht verklaget, und weil ich keine genugsame Ursach meines Verfahrens anzeigen können, wurden mir vierhundert Taler Strafe dictiert. Solchergestalten wurde mir mein Leben trefflich sauer gemacht, welches ich auch durch zwei ganze Jahr mit großem Verdruß ertragen müssen.

Aber endlich erkrankte die Liesel unversehens, und weil diese Krankheit in eine Wassersucht ausschlug, mußte sie bald darauf ihr Leben mit unbeschreiblicher meiner Zufriedenheit einbüßen. Aber der Stradiot sagte mir nach ihrem Tode, daß er in den Wein, welchen sie des Tages überflüssig genossen, zuweilen Scheide- und ander Wasser gemischet, davon sie ohne allen Zweifel den Kragen viel ehe, als es sein hätte sollen, zugeschlossen hätte. Und ob ich gleich an diesem Beginnen keinen Wohlgefallen hatte, erfreuete michs doch, daß sich auch dieser alte Salpeter meinen elenden Zustand so sehr hat lassen zu Herzen gehen. Es war mir nicht viel anders, als hätte mir einer einen großen Mühlstein vom Halse genommen. Oh, wie war ich dazumal so herzlich froh! »O Wolffgang,« sagte ich, »das Mal und nimmermehr nicht gefreiet, denn du bist mehr als zuviel gewitziget worden. In stetem Kummer hast du diese drei Jahre hingebracht, Eifer und Verzweiflung hätten dich bald aufgerieben, aber nun hast du Ursache zu frohlocken.« Oh, wie wohl gefiel es mir, daß meine ärgste Peinigerin tot im Sarg lag, keine Schilderei, so künstlich auch solche gemalen war, übertraf diesen lieblichen Anblick. Ich schickte demnach, sobald es sein konnte, zu ihrem Begräbnis zu und ließ es an keiner [748] Kostbarkeit mangeln, daran man hätte spüren können, daß wir so schlimm miteinander hausgehalten hatten. Tat es aber nicht sowohl ihr als ihren Eltern und Freunden zu Ehren, von denen ich noch ein Erb hoffte. Vors andere konnte ich mich vor großen Freuden nicht enthalten, mich auf das äußerste anzugreifen, weil kaum ein gefangener Christ, welcher von dem Türken aus einer sechzigjährigen Gefängnis erlediget wird, so froh sein kann, als ich dazumal bei mir selber gewesen.

Und gleichwie mich das Unglück auf einmal heimgesucht, als verließ mich solches auf einmal wieder, weil den vierten Tag hernach auch ihr junges Söhnlein starb, welches mein wahres Kind zu nennen ich mir großes Gewissen würde gemacht haben. Also wurde diese schlimme Wurzel mit ihrem Zweig auf einmal ausgerottet und das Begräbnis mit großer, ungewöhnlicher Pomp angestellet und vollzogen. Über die Tränen, welche ich bei der Leiche vergossen, verwunderten sich alle diejenige, welche um unser verführtes Leben genügsame Wissenschaft hatten. Aber sie wußten nicht, daß ich vielmehr vor Freuden geweinet habe, und ob mich auch gleich meine Begleiter ziemlich trösteten, hatte ich doch dessen ohnedem so viel in meinem Herzen, daß ich jedem unter ihnen einen ziemlichen Teil wollte mitgeteilet haben, weil sie es wegen ihrer selbst bösen Ehe wohl vonnöten gehabt hätten. Keine Musik hat niemalen so angenehm in meinen Ohren geklungen, als da ich im Kirchhof die Stein auf ihren Sarg werfen hörte. Ja, wenn ich meinen Hochzeits- und diesen Begräbnistag gegeneinander vergleichen will, so bin ich an dem letztern viel vergnügter als an dem ersten gewesen, denn dazumal flossen meine süße Wasser noch ins Meer, aber anitzo sprangen sie wieder heraus. Also ruheten wir alle beide: sie in der Erde und ich von der großen Pein und Marter, mit der sie mich immer und ohne Aufhören in ihrem Leben gequälet hat.

Ich muß mirs selbst aus eigener Schwachheit nachschreiben, daß ich immer in Sorgen und Gedanken gestanden, als würde sie wieder aufstehen und lebendig werden, und also hätte ich sie vermittelst des Rechts der Natur wieder zum [749] Weibe annehmen und mit ihr hausen müssen. Aber wenn ich betrachtete, wie gar ein ungeistliches Leben unser Dorfpriester führete, konnte ich mir leicht den Trost machen, daß er sie nicht wieder auferwecken würde, und wenn die Leute sagten: »Oh, wie ist es so großer Schad um die edle Frau!«, so gedachte ich: ›Du Narr, stecktest du in meiner Haut, würdest du viel anders sprechen!‹ Und dieses sei also genug von meiner so übeln geführten Ehe.

Weil nun gewiß ist, daß eine böse Frau nur mit tausend Freuden kann verloren werden, als ist hingegen genugsam abzumerken, wie mit einem großen Betrübnis man eine fromme Hausmutter verliere. Der Student selbsten verschwur, all sein Leben lang nicht zu heiraten, sondern in ein Kloster zu gehen und ein keusches Leben zu vollführen. Ich bin zwar in der ersten Trauer nicht gar zu betrübt gewesen, noch viel weniger war ichs in der andern, denn ich merkte innerhalb vier Wochen, daß ich in solcher Zeit durch den Fleiß meiner guten Mägde an dem Vieh mehr zugenommen hatte, als sonsten in den dreien Jahren nicht geschehen war. Also erholte ich mich in diesem allgemach wieder, welches ich zuvor gleichsam auf einmal verloren hatte. Der Student schrieb das Trauerjahr über ein eigenes Buch voll von lustigen Grillen, und als er solches vollendet, bat er mich, vor seine geleistete und treue Dienste ihm so viel zu Gefallen zu sein und seine Person an das nächstgelegene Kloster zu recommendieren, weil er Lust hätte, ein Mönch zu werden und in einem solchen Stand sein Leben zu beschließen. Diese Bitte konnte ich ihm keinesweges abschlagen, in Erwägung, daß sein Vorhaben christlich und seine vorgeschützte Dienste nicht allein dieses, sondern wohl ein mehrers um mich verdienet hatten. Brachte ihn also nach etlichen Wochen alldorten bei dem Abten an, welcher ehedessen in meiner Jugend mit mir studiert hatte, und war froh, daß er sich mein eigenes Exempel so plötzlich von aller Welt-und Weiberliebe hatte abschrecken lassen.

Den Soldaten aber kitzelten viel andere Grillen, und weil er heimlich in meine Köchin verliebt war, wollte er ihr mit Gewalt in die Haare. Ich hatte Ursach, mich über beide hoch [750] zu verwundern; denn der Student war jung, hurtig und lustiges Gemüts, dazu wohlproportioniert und der Welt sehr fähig, der Stradiot aber schon ein ausgemergelter Dollfuß, grau von Bart und Haaren, und ob er gleich das Podagra nicht hatte, konnte er doch mit großer Mühe eine Treppe in einem Atem hinaufsteigen. Dennoch gelüstete ihn, zu heiraten und der Welt erst da zu gebrauchen, da er schon mit einem Fuße in dem Grabe stund. Der andere aber vergräbt alle Freude, da er erst derselben hätte leben sollen. Jedoch weil ich hierinnen ihre heimliche Bewegungen nicht erforschen können, war ich dem letzten sowohl als dem ersten zu seinem Vornehmen behülflich, weil sie sich beide um mich wohl verdienet hatten. Also verehlichte ich diesen alten Knisterbart an meine Köchin, welche ihm die Farbe weit besser als mir mein voriges Weib gehalten hat.

17. Capitul. Der Student hat kein Pfaffenfleisch
XVII. Capitul.
Der Student hat kein Pfaffenfleisch; kommt unter der Heimlichkeit des Gespenstes zu Steinbruch.

Bis hieher hat mir mancher saurer Wind über die Nase gegangen, wie auch allen denen, die in meiner Sommergesellschaft einverleibet waren. Philipp schrieb wunderliche Briefe von Hofe, und aus denselben erhellte klar genug, daß diese Hofleute nur die vergnügtesten wären, die keine Verfolgung hätten. Dennoch war er entschlossen, das schlüpferige Hofleben mit Manier zu verlassen und sich auf seinem Gut bei einem Stück Brot zu einer ewigen Ruhe niederzulassen. Sempronio war dem gemeinen Laut nach unter die Kriegsfahne gegangen und suchte durch Pulver und Blei noch zu einer hohen Ehre zu steigen, welche aber nur von diesen Soldaten erhalten wird, die am allerglückseligsten sind. Friderich und Dietrich waren willens, allerehestens in fremde Länder zu gehen und daselbst das Ungemach zu suchen, welches sie ohnedem wohl hätte zu Hause betreffen können. Also waren unser wenig, die sich noch mit einer brüderlichen Einigkeit sicher aneinander vertrauen dorften. Wir machten uns demnach vor dem Abschied der beiden auf [751] Herrn Philippen Gut noch vortrefflich lustig, und sie versprachen, aufs längste innerhalb einem Jahre wieder zurückzukehren und die Gesellschaft also zu continuieren, daß es jedem zum vergnüglichsten ausschlagen möchte. Also nahmen wir dazumal voneinander Abschied, nachdem ich zuvor gebeten worden, unser bisher geführte gute Vertraulichkeit zu entwerfen, auf daß die Nachwelt und insonderheit unsere Nachkommen ein ewiges Zeugnis unserer gepflogenen Freundschaft vor Augen haben.

Nach meiner Heimkunft machte ich den Stradioten zum Haushofmeister, damit er sowohl auf mein Vieh als auf das andere Hauswesen gute Obsicht trüge. Ich aber entschloß mich, gleich wie vorher geschehen, wieder ein Eremit und Einsiedler zu werden. Zu Ende dessen bildete ich mir die Welt von Tag zu Tag abscheulicher ab und vergaß endlich dadurch aller Ehre und Hoheit. Und indem ich einsmal in solchen Gedanken mit meiner Geige an dem Fenster stund und lamentierte, kam ein Pfaff durch das Tor herein und ging geradezu gegen meinem Haus. Ich gedachte erstlich, es wäre etwan ein Bettelmönch, der um Schmalz, Butter, Käs und Fleisch bitten würde. Endlich aber klopfte er an meinem Zimmer an; und als ich solches eröffnete, sah ich den ehrlichen Studenten vor mir stehen, welcher aus dem Kloster ausgesprungen und davongelaufen. »Wie kommen wir hier zusamm,« sagte ich zu ihm, »und wie so schnell in dem staubichten Wetter?« – »Ach, Herr,« sagte er mit einem großen Seufzer, »lasset mich hier niedersitzen und Euch meinen Zustand klagen.« Hiermit satzten wir uns beide nieder, und er schloß das Zimmer zu, daß ihn niemand gewahr wurde. »Ich bin«, sagte er weiter, »vorgestern aus dem Kloster gelaufen, weil ich das Leben durchaus nicht gewohnen kann; und als ich also in der Nacht davonterminierte, kam ich in ein alt Gebäude und wußte nicht, wo ich war. Der große Regen verursachte mich, einen sichern Ort zu suchen, und ich kam in einen Saal, und da merkte ich, daß es auf dem Schloß zu Steinbruch wäre. Sehet, Herr Wolffgang, ich habe das Glück, Euch reich zu machen und von dem Tumult zu erledigen, darum höret: In der Nacht, als ich kaum hineingekommen, [752] kam Euer Vater mit einer großen Fackel zu mir und führte mich mit sich in die Kammer, da Ihr ehedessen zu schlafen pflegtet. Alldort wies er mir sein Conterfey und sprach: ›Gehe hin und sage meinem Sohn, solle ich ruhen, so zertrenne dieses Bild und gib das Geld den Armen!‹ Nach diesen Worten ist er verschwunden, und ich habe mich die ganze Nacht nicht aus dem Schlosse finden können.«

Diese Post des ausgesprungenen Mönchs kam mir wunderlich vor, und weil er glaubte, also setzeten ihm etliche Boten nach, bat er mich, in dem Schlosse ihm ein sicheres Zimmer zu verschaffen, darinnen er sich ohne Gefahr aufhalten möchte. Und weil ich nach seiner Versicherung in Person nach Steinbruch reiten und daselbst das Conterfey, welches ich in der Kammer vergessen hatte, tranchieren mußte, als bat er mich ingleichen, nach verrichteter Sache gar an das Kloster zu reiten und alldorten zu sehen, was wegen seiner guts Neues passierte. Also ritt ich mit einem Knecht und dem Page fort, befahl aber dem alten Musquetier, als nunmehr meinem Hausverwalter, daß er keinen Menschen in meinem Absein weder in noch aus dem Schlosse, es möge auch sein, wer er wolle, passieren ließe, denn ich forchte, der Student dörfte auf falsche Practiquen umgehen und mich viel ärger hinter das Licht führen, als es der ehrliche Wastel – von welchem ich kurz zuvor gehört, daß er gehenket worden – getan hat.

Ich fand es zu Steinbruch eben in dem Zustand, als mir der Student zuvor entworfen hatte, und als ich das Conterfey, so schon ziemlich alt und vom Staub ganz unkenntlich geworden, mit großem Schauer und Grauen heruntergehoben, auch solches ganz allein in der Kammer aufgeschnitten und das Holzwerk daran zerschlagen hatte, fielen mehr denn über die achttausend Ducaten samt vielen Gold- und Silberstücken heraus. Ich hatte genug zusammenzuraspeln und wußte nicht, sollt ich mich mehr fürchten oder freuen. Nachdem ich nun solche teils in meine Stiefel, teils auch in die Säcke gestecket, ging ich wieder hinunter, und als ich das Geld in einem Sack zusammzählen wollte, kam mir unversehens ein Zettul in die Hand, welchen ich ohne Achtgebung [753] unter dem Geld mußte aufgeraffet haben. Es war aber aus demselben so viel abzunehmen, daß mein seliger Vater einen Schatz in dem untersten Keller in einen Pfeiler an der Mauer vergraben, denselben auch in die hundert Jahr verschrieben hätte, und alsdann sollte ihn derjenige kriegen, der seinen Kindern die höchste Freundschaft würde geleistet haben. Dieses Geld aber müßte an das Armut gewendet werden, weil ers im Kriege aus einem Kloster entwendet und sich vor dasselbige Geschmeid all diese Sorten eingewechselt hatte. Dieses war der kurze, aber nachdenkliche Inhalt des Zettuls, welcher meines seligen Vaters eigne Hand war, und ist auch von derselben Stund an hernachmals nicht der geringste Tumult, wie sonsten gewöhnlich geschehen, mehr gehört worden.

18. Capitul. Wolffgangs endliche Lebensresolution
XVIII. Capitul.
Wolffgangs endliche Lebensresolution. Er kommt unverhofft zu der davongelaufenen Beschließerin.

Wer war froher als ich? Das Geld war kaum so bald eingesacket, als ichs mit Genehmhaltung des Abts, dahin ich wegen des Studentens reiten wollte, schon resolviert, dem Armut auszuteilen. Sprengte also quer Feld gegen das Kloster, und mein Knecht log allen Leuten wegen des Gespenstes das Maul so voll, daß er hätte erschwarzen mögen. In dem Kloster war ich gar willkomm und angenehm, weil ich selten ohne Geschenk hineinkam und den Geistlichen zuweilen auf dem Land im Grünen einen Schmaus ausrichtete. Aber sie sagten mir stracks anfangs, daß an dem Studenten, so schwer er auch wägte, dennoch kein Quintlein Pfaffenfleisch wäre. Er hätte all seine Zeit vor seiner Zelle mit Meisenfangen zugebracht, und nachtszeit hätte er sich belieben lassen, auf die Obstbäume zu steigen und die Kirschen herunterzufressen. So viel sie auch abgenommen, so müßte er ehedessen unter lutherischen Leuten gewesen sein, dieweil er stets mit den Brüdern wegen der guten Werke disputiert und ganz nichts auf das Fasten gehalten. Wenn er mit einem oder dem andern wäre aufs Land geschicket worden, daselbsten [754] einen Kranken zu trösten, so pflegte er die Mägde von einem Winkel in den andern herumzutreiben, und wenn er von seinem Obern wäre gestraft worden, war er so keck, ihm Schläge anzubieten, wie er sich denn öfter als zwanzigmal in dem Kloster mit dem Conventdiener gerauft, weil er ihm nicht so voll wie den andern eingeschenket hat. Er hätte auch einmal die Glocken, mit welcher man die Brüder zur Metten aufzuwecken pfleget, mit Heu ausgestoppet und die Pfeifen in der Orgel mit Papier verpappt. In der Kirche selbsten hätte er sich hintenher ein Katzenschwänzlein angeheftet, darüber er die Leute aus der Andacht verstöret und sie in ein leichtfertiges Gelächter bewegt. Alle solche frevle Stücklein hat man an ihm billig abstrafen müssen. Er aber wollte sich dazu nicht verstehen, noch sich dem Gehorsam völlig unterwerfen, wäre also, wie alle liederliche Vögel zu tun pflegen, davongeloffen, und das Convent wüßte keine Ursach, ihm nachzusetzen, zumalen es ohnedem noch ein Probierjahr und seine Gottlosigkeit jedermann zur Genüge bekannt sei.

Diese Antwort der Pfaffen gefiel mir besser, als wenn sie mir, wie sie sonst pflegten, eine Correction wegen meines Lebens gaben, und also hatte ich keinen Scheu, weil die Sache so gar nichts importierte, ihnen zu bedeuten, daß ich den Studenten wüßte, wo er sich dermalen aufhielte. Darum baten sie mich nur um das heilige Kleid; daraus ich wohl abnehmen konnte, daß das heilige Kleid vor sich selbst nichts nützte, wo man nicht vielmehr ein frommes Leben zu führen sich äußerst bemühte. Der Wolf frißt auch die gezeichneten Schafe; also bringt weder Gürtel, Kleid noch Scapulier, sondern ein frommes und christliches Leben zum Himmel.

Die achttausend Ducaten samt den andern Münzen anbelangend, wollte sie der Abt vor sich selbst lieber in dem Kloster als anderstwo angewendet wissen, welches ich mir vorhin leicht hätte einbilden können. Er sagte, daß er itzo eine neue Kapell bauete. Weil ich aber wohl wußte, woher er zu solcher die Intraden bekommen, entschuldigte ich mich und setzte anbei, daß ich solches Geld nach Ausspruch [755] des Studentens dem Armut und nicht einem solchen Kloster, das ohnedem überflüssig reich wäre, vermachen sollte. Aber der Abt wendete wieder ein, daß es der Student dem Kloster vielleicht nur zum Nachteil, also aus bloßem Hirn erfunden und daß das Kloster nicht so reich sei, wie man insgemein davon ausgäbe. In summa: der Abt wußte sich so arm zu machen, daß nichts darüber, und weil er ein guter Orator war, hatte er gute Gelegenheit, mich durch alle Figuren auf seine Meinung zu ziehen.

Ich sagte endlich, daß ich mich darüber besinnen und die Sache bei mir selbsten recht gründlich überlegen wollte, schied also aus dem Kloster, nachdem mich fast jeder Geistlicher mit einem hübschen Bildlein von der allerschönsten Klosterfrauen Arbeit beschenkt hatte. Mit diesem kam ich nach Haus und brachte dem Studenten die Post, welche ich aus Spaß so grausam machte, darob er käsweiß geworden. Endlich sagte ich ihm die Wahrheit und hieß ihn die Kutte ausziehen, welche er willig und gern vom Halse zog, weil er in derselben allgemach voll Läuse geworden. »Sehet,« sagte ich, »wie angelegen ich mir sein lassen, den Abten wegen Eurer zu besänftigen.« Und als ich ihm vortrug, was sie wegen seiner vor Klagen angeführet, auch daß der Abt selbsten in dem Argwohn stünde, als hätte er dem Kloster zum Nachteil das Geld an ein anders Ort, aus bloßem Widerwillen gegen demselben, auszuspenden vorgebracht, machte er ein großes Kreuz vor sich und sprach, daß des Abten Gewohnheit sei, alle Sachen zum übelsten aufzunehmen, und daß er oftermalen von Herzen zörne, wenn die Leute an ein anders Ort häufiger als in sein Kloster opferten. »Sie werfen mir vor,« sagte er, »daß ich die Kirschen von den Bäumen abgebrochen; aber davon schweigen sie still, daß etliche unter ihnen in ebensolcher Arbeit von dem Baume und also die Ärme abgefallen haben.« Über dieser Erzählung hieß ich ihn stillschweigen, vermahnend, daß man von der Geistlichkeit, wer und wo dieselbe auch sei, nichts Böses reden, noch viel weniger ihre Fehler unter das gemeine Volk bringen solle.

Damit fing ich vor mich selbst an zu scrupelieren, wie solche Hauptsumma am besten angelegt würde. ›Stiftest du einen [756] Spital,‹ sagte ich zu mir selber, ›so ist es mit den alten und erlebten Leuten sehr gefährlich. Denn wie bald geraten die Alten in Zank, darüber könnte einer den andern leichtlich mit seiner Krucken totschlagen. Kommt Krieg ins Land, so werden dergleichen Häuser am ersten zerstöret und Schanzen daraus gemacht. Die Güter werden hernachmals unter den Vornehmen im Volk verteilet, und zwackt da einer was und dort wieder einer was von dem Almosen hinweg, welches ihnen aber endlich bekommet wie dem Hund das Grasfressen. Denn indem solche Leute durch dergleichen Mittel reich und groß wollen werden, geraten sie meistenteils an Bettelstab, und geschieht es gleich nicht zeitlich, so müssens die Nachkommen oft in einer unverhofften Sache genugsam erfahren, wie übel ihre Pfenninge gesammlet worden.‹

Endlich wurde ich bei mir eins, auf diesem Schlosse ein ewiges Almosen vor die arme Leute zu stiften. Ich legte nämlich das Geld auf Viehzucht und etliche Weinberge, davor wurf mirs alle Jahr Interesse, weiß nicht so viel, ab, daß ich dreißig Rinder schlachten konnte. Dieselben schlug ich alle auf einen Tag, gab davon jedem Bettler, so viel derer auch im Lande zusammenkommen möchten, ein Pfund Fleisch, zwei Pfund Brot und eine halbe Kanne Wein. Dieses Spend teilete ich jährlich an meines Vaters Namenstag aus, also wunderte sich die ganze Welt über meine große Freigebigkeit. Und als der Student verstanden, wasmaßen ich entschlossen wäre, noch vor hereinbrechendem Winter in dem Wald, da wir uns ehedessen miteinander gebadet hatten, eine Klausen aufzuschlagen und also wieder einen Eremiten abzugeben, bat er mich um eine Recommendation an den Sempronio, mit welchem er entschlossen war, in den Krieg zu gehen. Ich widerredete ihm solches Vorhaben und tat ihm einen Vorschlag, auf mein altes Schloß zu ziehen, allwo ich ihn zum Verwalter desselben Orts machen und in allem nach seinem Willen wollte handeln lassen, doch also, daß er mich, gleich dem alten Soldaten, wöchentlich mit gewisser Speis und Trank versähe. Durch eine solche Condition war ihm nicht allein wohl geholfen, sondern auch trefflich [757] gedienet. Also machte ich ihn zu einem halben Freiherrn, und er hat sich auch überaus häuslich angelassen.

Nach dem ritt ich nach St. Andre, daselbsten all dasjenige einzukaufen, was etwan zu meiner Einsiedlerei möchte vonnöten sein. Als ich dort in die Stadt und vor die Corps de guarde (sonsten Gordegardi) kam, sah ich den ehrlichen Andreas Nobiscum auf dem Esel sitzen. Er war voller Lumpen, und sein Kleid war von so vielerlei Farben zusammengenähet, daß ich nicht eigentlich wissen konnte, unter was vor eine Compagnie er gehörte. »Du ehrlicher Vogel,« rufte ich zu ihm hinauf, »kommen wir da aufs neue zusamm? Wer hat dich geheißen, öffentliche Schandlügen wider mich und mein Schloß zu Steinbruch aufzusetzen? Wart, ich will hingehen und deinem Officier klagen, was ich wider dich weiß!«

Wie ich weiterging, so kam ich bei dem Rathause zu einem Gefängnis, allwo mich eine Weibsperson um eine Beisteuer und Almosen bat. Ich sah mich gegen ihr um und hatte einen billigen Abscheu vor ihrer häßlichen Gestalt wie auch zum Teil vor dem garstigen Loche, darinnen sie gefangen saß. »O liebster Herr Wolffgang,« sagte sie, »erbarmet Euch meiner!« Wie ich sie nun etwas mehrers betrachtete und mich verwunderte, wie sie mich kennen mußte, so war es die ehrbare Beschließerin, welche mit dem Andreas Nobiscum so fein hausgehalten hatte. »Ha, ha!« sprach ich, »fängt man die Vögel so in der Welt? Wie bist du daher gekommen, und was ist dein Verbrechen?« Sie erzählete mir hierauf, daß noch eine bei ihr innen säße, mit welcher sie zwei Kirchen bestohlen und vier Straßenraub samt einem Mord begangen hätte, und also würde sie ihrem Mutmaßen nach bald abgetan werden. Ich entsatzte mich über dieser grausamen Erzählung, gab ihr einen Groschen und wunderte mich, daß alle Schelmenstücke zu seiner Zeit müßten gestrafet werden. Der gute Andreas erschrak so sehr über meiner Gegenwart, daß er im Gesicht ganz erblaßte, er wäre gern in eine andere Gasse und mir aus dem Wege geritten, aber sein Pferd war hierzu viel zu ungeschickt. Ich unterließ aber, weil ich ihm schon einmal verziehen, ihn weiter anzuklagen, sondern kaufte meine Notwendigkeiten ein und machte mich wieder aus der Stadt.

[758] Ob nun zwar der Weg an sich selbst kurzweilig zu reisen und wegen der gangbaren Straße allezeit volkreich war, kam er mir doch ziemlich langweilig vor, in Erwägung, daß ich dazumal, von einsamen Gedanken gleichsam überschüttet, auf andere Sachen wenig achthaben konnte. Das Verlangen, bald zu Hause zu sein, spornte die Pferde trefflich an, und in diesem schnellen Ritt fiel der Page zweimal von seinem ungerischen Renner, um so viel desto leichter, je weniger er all sein Leben lang zu Pferd gesessen. Ich aber war mit meinem guten Schimmel jederzeit voraus, also daß sie mich dazumal alle beide in einem Walde verloren, indem sie sich zu weit an einem Scheidewege auf die linke Hand gewendet. Der Knecht, welcher das Reiten besser als der Page gewohnet, wollte durch eine schleunige Nachfolge seinen Fehler aufheben, und weil ihm der Page unmöglich folgen konnte, geschah es, daß sie alle beide aufs neue verirreten und nur die Meinung hatten, mich einzuholen. Also kam ich alleine nach Haus und wunderte den Knecht, welcher sonsten dieser Straße auch in der allerdunkelsten Nacht mächtig war. Indem kommt des Page Pferd ganz ledig in das Schloß gelaufen, darob ich keine geringe Furcht empfunden habe, denn die Straße war nicht allzu sicher. Weil aber die Unerfahrenheit im Reiten ins Mittel kam, konnte ich leichtlich mutmaßen, daß er, von dem Pferd gleichwie zuvor abgestürzet, auf der Straße wäre liegengeblieben, aber es ist allen beiden recht lächerlich gegangen.

Der Knecht kam bei anbrechendem Morgen vor das Tor, welcher mir nach seiner Ankunft erzählet, daß er die Nacht in dem Wald unter einer großen Eiche sein Lager in zusammengerafftem Laube genommen. »Aber mitten in der Nacht«, sagte er, »fiel ein natürlich Gespenst mit großem Geräusche den Baum herunter, welches mich nicht allein in eine unermeßliche Furcht, sondern sogar zur schnellen Flucht gebracht, also bin ich in dieser Angst endlich hiehergekommen. Wo aber der Page geblieben, ist mir noch zur Zeit unbekannt, weil er, mir nachzufolgen, viel zu schlecht beritten war.« Ich erzählte ihm hierauf, daß er ohne allen Zweifel müsse auf der Straße geblieben sein, indem sein Gaul mit bloßem Zaum ohne Sattel und Stegreif angekommen wäre [759] und weil der Knecht selbsten die eigentliche Gegend ihres Irrtums nicht wußte, war es vergebens, den Page an einem ungewissen Orte suchen zu lassen.

Indem kommt der Page zum Schlosse eingegangen und klagte über seine große Müdigkeit. Er erzählete umschweifig, wie er vom Pferd gefallen. »Denn,« sprach er, »als ich Feuer geben und durch den Pistolschuß dem Knecht einziges Zeichen geben wollen, wirft mich das Pferd aus dem Sattel, und ich hatte genug zu tun, daß ich nicht in einen Sumpf stürzte, an welchem ich dazumal ganz nahe hingeritten bin. Ich lag lang auf der Straße, ehe ich mich recht besinnen konnte. Bin also endlich wieder zu mir selbst gekommen; und wo mich heute morgen nicht ein Bauer auf den rechten Weg geleitet hätte, war ich ohn allen Zweifel noch weiter in dem Wald verirret. Nichts ist mir Wunderlichers auf dieser Irre begegnet, als da ich mich zur Versicherung auf einen Baum begab, weil ich mich vor dem wilden Vieh ziemlich geforchten habe. Als ich nun daroben einschlummerte, geschah es ohngefähr, daß ich den Stamm herunterpurzelte, und indem ich voll Schröckens erwachte, sah ich jemand, der sich an diesem Ort gelagert hatte, nach aller Möglichkeit davonfliehen, weiß aber nicht, ist es ein Mensch oder Gespenst gewesen; aber das ist gewiß, daß es sich, gleichsam als voll Furcht und Zittern, aus dem Staube gemacht.«

Diese Rede des Pagens machte den Knecht ganz schamrot; und ich dachte, mich an solcher Erzählung krank zu lachen, weil der Knecht ein erschröckliches Gespenst gesehen zu haben vorgab, da ihn doch dieser elende Jung in eine so unverhoffte Zagheit und von dar in eine plötzliche Flucht gejaget hatte. Also geht es noch manchem Eisenfresser. Sie geben ungescheuet aus, was sie vor Berge übersteigen wollen, und wenn eine faule Birn, vom Baum durch den Wind abgeblasen, neben sie zur Erde fället, so erschrecken sie, daß ihnen das Herz ineinander fähret. Und weil der Jung aus Oberösterreich und zugleich von guten Einfällen war, mußte er mir zur Vertreibung meiner häufigen Grillen erzählen, wie sein Vaterland beschaffen und was ihm sonsten darinnen begegnet sei. Welches er also anfing und vollendete:

19. Capitul. Sein Page erzählet vom Land ob der Enns
[760] XIX. Capitul.
Sein Page erzählet vom Land ob der Enns.

»Die oberösterreichische Landschaft ist eine unter den vornehmsten des Teutschlandes. Ihre herrliche Situation und die gesunde Luft haben sie allenthalben, noch mehr aber ihre schöne Gebäude, bekanntgemacht, mit welchen sie so wohl als das Latium pranget. Die Höflichkeit der Einwohner hat den Ausländern allezeit zu einer Verwunderung gedienet; und dannenhero ist dem Österreich der rühmliche Name zugewachsen, daß es vor allen andern Ländern, die sich gegen Orient befunden, billig das Höfliche genennet wird. Von Fruchtbarkeit des Landes will ich dermalen diejenigen reden lassen, welche sich aus ihrem reichen Mutterschoße bis auf diese Stund reichlich ernähren. Das herrliche Salzwerk zu Ischel, welches über Gmünden durch den gefährlichen Fall geführet wird, ist ein unvergleichliches Kleinod dieses Landes; und das Eisenerz hat allein den Ruhm, daß es mit ihrem häufigen Erz und absonderlich mit dem guten Stahl das ganze Teutschland wohl versehen könnte. In diesem Land ob der Enns sind etliche See berühmet, auf weichen es herrliche und prächtige Schlösser gebauet, desgleichen noch wenig in Europa gesehen werden. Nur ein einziges Exempel ist das berühmte Schloß Kammer, welches weit in der See mit unvergleichlicher Schönheit aufgeführet ist. Von daraus siehet man gegen Morgen die hohe Spitze des berühmten Traunsteins, der den Inwohnenden vor einen täglichen Calender dienet, indem man durch die Tiefe oder Höhe der herniedersinkenden Wolken das Wetter abzunehmen schon von alters her und absonderlich unter dem gemeinen Landmann gewohnet ist. Dieses Gebirg ist eines unter den höchsten in dem Land und umfänget gleich einer runden Mauer den lieblichen Gmündner See, welcher seinen Namen von der lustigen Stadt nimmet, die zum Ausfluß der Traun, obzwar nicht gar prächtig, jedennoch sehr angenehm in etliche Gassen geführet und zu Ausladung des von Halstatt hingeführten Salzes gar dienlich ist.

Von dar kommt man, wie ich Euer Gestreng vor erzählet habe, auf den Fall, welches den Durchschiffenden fast der [761] allergefährlichste Ort im ganzen Lande ist. Dieser Fall liegt zwischen Gmünden und dem sogenannten Stadel, und was seinen Namen anbetrifft, so wird der Ort also genannt, weil daselbst die gesamte Traun eines Haus hoch über jähe Felsen abstürzet und also vor diesem ganz unmöglich durchzuschiffen war. Es hat aber ein vortrefflicher Werkmeister auf hohe Unkosten des Kaisers daselbst einen Kanal durch den harten Felsen mit unbeschreiblicher Mühe dergestalten gehauen, daß man heutzutage (obzwar mit guter Obsicht) dennoch gar wohl und ohne Hindernis hindurchfahren und also einen unglaublichen Unkosten ersparen kann, welchen man doch mit dem Salz auf der Achse nach dem Stadel zu führen anwenden müßte. Denn weil von der obbesagten Stadt Gmünden aus bis in den Stadel die Traun zwischen den Bergen geschlossen sehr tief gehet, führet man mit wenig Personen gleichsam in etlichen Stunden auf einem einzigen Schiffe so viel Salz nachdem Stadel, als sonsten mit hundert Pferden innerhalb zwei Tagen nicht konnte vollendet werden. Wenn ich der Reißkunst erfahren wäre, wollte ich solchen Ort mit der Kreide figurieren, denn ich bin oftermalen dagewesen und habe mit Augen angesehen, wie die Schiffe gleichsam in einem Augenblick durch den ausgebäumten Kanal durchfahren, welcher sich weit über fünfhundert Schritt lang erstrecket. Ist also dieser durch den allmählichen Umschweif so eingehauen, daß er bei seinem Ausfluß ganz gerade den andern Fluß wieder erreichet und also damit fortgehet.

Und weil ich ehedessen auf dem Schlößlein zu Au bei dem Jäger mich aufgehalten, lief ich fast täglich dahin, die Schiffe durchpassieren zu sehen, und bekam dannenhero manche Kopfnuß, wenn ich durch diese Zeitverschwendung meine andere Verrichtungen verabsaumet habe. Man hört diesen Fall, wenn er geschlossen ist, auf eine gute Stund rauschen; dannenhero man leichtlich, absonderlich aber zu Nachtszeiten, weit umher abnehmen kann, ob er offen oder geschlossen sei. Der Fallmeister daselbst ist mein naher Freund, und habe mit meinem Edelherrn von Häin, dem das Schlößlein Au zugehörte, manch gutes Frühstück allda verzehrt.

[762] Besagter Traunstein, so in dem Gmündner Gebirg der höchste Felsen ist, wird auf die zweiundzwanzig Meil Weges gegen Unterösterreich wegen seiner überaus großen Höhe gesehen. Auf diesem sind die Gemsen und Auerhahnen ein tägliches Wildbret, und wird auch auf solchem an dem Abend des Fests Johannis das sogenannte Johannsfeuer, und zwar auf dreien unterschiedlichen Orten des Gipfels, angezündet, wovon diejenige Person, der solches Feuer bereitet, ein Gewisses zu seinem Lohn empfänget.

Die Hauptstadt in Oberösterreich ist Linz, sie liegt an der Donau; und wenn sie noch einmal so groß wäre, so wollt ich sie allen Städten in Österreich wo nicht vorziehen, jedennoch gleichschätzen. Nichtsdestoweniger ist sie sehr bequem und dem Handel groß genug, der allda getrieben wird. Die Stadt Wels liegt an der Traun, von welchem Fluß ich bereits geredet habe, ist wohl gebauet und pranget mit unterschiedlichen schönen Häusern. Von daraus gehet man über Lambach auf Schwanenstadt, die ehedessen Schwans geheißen. Besagtes Lambach ist ein schönes und herrliches Klöster Benedictinerordens, gestiftet von dem heiligen Adalberto, und wird zur Gedächtnis dessen alle Jahr ein großes Almosen ausgeteilet. Auch ist allda fast die beste Musik, so nächst der wienerischen in dem Erzherzogtum Österreich den billigen Ruhm hat. Aber Schwanenstadt ist ein schlechter Ort, hat etwan in allem zwei Gassen, damit ist der ganze Ort beschrieben. Nicht weit von dieser Stadt ist ein Schloß auf einem hohen Berg, Wolffseck genannt, an welchem sich der Hausrucker anfänget, auf welchem ehedessen die Principalen derjenigen Bauren gesessen, die wider ihre Obrigkeit rebelliert, aber nichts damit ausgerichtet haben, als daß sie mit Schimpf und Schand endlich überwunden, auf die höchsten Galgen gehänget und den ausländischen Herren zur ewigen Leibeigenschaft gleichsam zum Spectacul und Abschreckung der andern sind verschenket worden. Diese, wie bekannt ist, haben sich erstlich von Steffel Vattinger, einem Zimmermann oder, wie etliche wollen, von einem Taglöhner, hernachmals aber, als er erschossen worden, von einem Studenten commandieren lassen, der sie alle stahleisenfest [763] gemacht. Er hat ihnen auf dem Berg bei Lambach, so man den Buchberg nennet, ein Mus gekochet, und wer davon gegessen, in den ist weder Kugel noch Eisen gegangen, und was noch das Wunderlichste ist, so haben die Bauern die Kugeln nicht allein abweisen, sondern dieselbe noch mit der Hand fangen können.«

»Mein lieber Paul,« sagte ich zu meinem Page, »von diesen Dingen kann man genug in der Topographia Austriæ zu lesen bekommen, darum erzähle mir vielmehr, wie dirs in deinem Heimat gegangen und was du vor Herren daselbst aufgewartet hast.« – »Ich bin allda,« sprach er darauf, »was meine Geburt betrifft, in dem Adergey etwan eine Stund von Adersee in dem Markt St. Georgen geboren, welcher unter die Grafschaft der Kevenhiller gehörig. Nächst diesem liegt das hohe Schloß Kogel, allwo ich in meiner Jugend dem Pfleger vor einen Schwammendrucker, wir mans dorten nennet, aufwarten müssen. Weil mir aber der Berg gar zu hoch und oft zu steigen war, indem ich von daraus bis in den Markt fast anderthalb Stunden in die Schul gehen mußte, lief ich davon und kam nach Schörflingen zu der alten Frau Aleitnerin, bei welcher, als bei meiner Großmutter, ich mich drei Jahr lang aufgehalten. Hernach kam ich etwan im zehenten Jahr meines Alters nacher Frankenburg zu dem Hofwirt Pleckenwegner. Daselbst lernete ich rechnen und schreiben. Aber weil er zu frühzeitig starb, kam ich wieder weiter ins Land und wurde zu dem vorgenannten von Häin auf das Schlößlein Au, eine Stund vom Fall, gebracht, allwo ich nicht wußte, was ich eigentlich war. Ich mußte ihm erstlich über Land bei den Gastereien aufwarten. Zu Hause bekam ich in der Küche bald Pfeffer, bald was anders zu stoßen. So half ich auch der Frauen Wasser brennen, und dem Jäger mußte ich ins Holz seine Büchsen nachtragen. Sommerszeiten brauchte man mich auch zum Wetterläuten und Kornschneiden, Herbstzeit mußte ich Äpfel abbeuteln und wurde dann auch dort und da mit Briefen und anderen Posten übers Land geschicket.

Aber, wie ich vorgemeldet, weil ich öfters auf den Fall hin und wieder gelaufen und dadurch meine Zeit so liederlich [764] zugebracht, jagte mich die Edelfrau von dem Schloß hinweg und zog mir noch die Liverey dazu vom Leibe. Ihr Herr begegnete mir gleich im Wald, als ich nach Gmünden ging, und da er mich so im Hemd und meinen leinern Hosen, die ich zu ihm gebracht hatte, dahergehen sah, verwunderte er sich von ferne mit seinem Stecken und fragte mich endlich, wo ich herkäme. ›Paul,‹ sprach er, ›wie kommen wir da zusamm?‹ Als ich ihm aber weinend erzählte, wie mich sein Weib ohne Gnad und Barmherzigkeit so sehr entblößet und mich nur mit einem schwarzen Stück Brot zum Schloß ausgestoßen, nahm er mich wieder mit sich, in Meinung, mir wieder anzuhelfen. Aber in der Nacht hörte ich sie wegen meiner abscheulich in der Kammer zanken. Ich hatte die Liverey wieder an, und weil sichs anließ, als dörfte ich wegen Widerwärtigkeit der Frauen aufs neue ausgeschälet und davongejauket werden, besann ich mich eines Bessern, bin also, nachdem ich unserm großen Hund sein silbern Halsband abgebunden, mit der Liverey noch in selbiger Nacht über die Mauer ausgestiegen und im finsteren Wald davongelaufen, habe auch noch überdas die allerzotenhaftigsten Reimen an das Tor angeschrieben, in welchen ich die Edelfrau viel ärger als die verlaufneste Landstörzerin ausgehudelt habe.«

20. Capitul. Deutet weiter an, wie er zu zweien Mördern gekommen
XX. Capitul.
Deutet weiter an, wie er zu zweien Mördern gekommen.

»So finster es in dem Wald war, hatte ich doch die Wege gleichsam schon im Griff, kam also noch vor Tags zu einem halb eingefallenen Schlößlein zwischen dem Gebirg, allwo mich ein wunderlicher Herr aufgenommen, desgleichen ich noch wenig zuvor gesehen hatte. Er war noch ledig und hatte sehr wenig Leut um sich, von welchen er sich bedienen lassen. Er ging alle Morgen bei Aufgang der Sonne über Gebirg und brachte dann abends entweder einen Beutel voll Geld, einen Sattel, Pistolen oder einen hübschen Mantel nach Haus. Ich kann wohl schwören, daß ich weder ihn noch [765] alle die, so um ihn gewesen, nie keinen Vaterunser habe beten hören. So hatte er auch eine Luftbüchse, mit der er manch schönes Wildbret geschossen und verzehret hat. Er hatte mehr als vier Weibsbilder um sich, und wußte niemand, obs seine Schwestern, Befreundte oder Weiber waren.

Einsmals sagte er zu mir: ›Komm, Bub, wir wollen hinausgehen und die Straßen reinigen!‹ Als ich derowegen mit ihm übers Gebirg ging, kam uns ein Wanderbürschlein entgegen, so einen leinern Ranzen oder Felleisen auf dem Rücken trug. Da merkte ich, mit was vor einer Profession mein Herr sich nährete und wie fleißig er die Straße reinige. ›Lege dich nieder,‹ sprach er zu mir, ›und ducke dich so lange, bis ich mich über ihn hermache, du mußt indessen überall herumsehen, ob nicht jemand auf der Straße wandle, der mich an meinem Vorhaben hindern möchte. Siehst du nun etwas, es sei gleich nahe oder ferne, so gib ein Zeichen und eile geschwinde mit mir das Tal hinunter. Und damit man uns desto weniger auf der Haube sein kann, so wollen wir auf zwei Teil auslaufen, einer dahin, der ander dorthin, weil man sich der Gelegenheit so gut bedienen muß, als man kann!‹ Aus diesem können Euer Gestreng zur Genüge abnehmen, was für ein sauberer Schafhund mein Herr gewesen.

Nach dieser Vermahnung ging er auf die Handwerksbursch zu, und zwar mit einer sonderlichen Manier. Er begehrte in der erst von demselben nur ein geringes Almosen; als sich aber derselbe entschuldigte, daß er selber ein armer Teufel sei, der das Seine auf der Wanderschaft haben müßte, und daß er seine Zehrung von Ort zu Ort zusammenfechten oder, besser zu sagen, zusammenbetteln müßte, so schlug ihm mein ehrlicher Herr, indem er sich so verantwortete, ein Bein unter, fuhr ihm mit einem Servet in das Maul und wußte ihn so meisterlich anzupacken und auszuplündern, daß nichts darüber war. Er drohete ihm noch dazu, daß, wenn er sich nur mit dem geringsten Schrei würde merken lassen, so wollte er ihm nicht allein die Gurgel zudrosseln, sondern noch darzu ein Messer durchs Herze stoßen. Also ließ sich dieser verzagter Lumpenhund voll Schrecken und [766] Zittern leichtlich überwinden, da ich doch oftermal gesehen habe, wie mein Herr wohl von einem Jüngern Bürschlein nicht allein wacker mit der Fuchtel auf dem Platze ist herumgetrieben, sondern oft darzu mit Schimpf und Schand wieder dahin gejagt worden, woher er gekommen ist.

Nicht weit von uns wohnte noch so ein sauberer Gesell, und ob ich schon dazumal jung war, auch noch nicht alt bin, war mir doch in einem solchen Zustand angst und bange. Oh, wie oft seufzete ich nach meiner alten Condition. Es reuete mich wohl tausendmal, daß ich mich zu Au auf dem Schlosse nicht besser gehalten hätte, denn allem Ansehen nach so war ich in einem gefährlichen Zustand, und wär um eine unglückselige Stunde zu tun, daß wir alle, so viel unser auf diesem eingefallnen Raubnest gewohnet haben, wären gehangen worden. Wenn ich bei diesem ein Monat lang gedienet, mußte ich auch dem andern so lange aufwarten, welcher in seinen Handgriffen viel erfahrner als dieser gewesen, denn derselbe hatte keinen gewissen Aufenthalt, sondern blieb diese Nacht in diesem und jene Nacht in jenem hohlen Baume sitzen, in welchen er auch all sein gestohlnes Zeug geflüchtet und verstecket hat. Auf eine solche Weise saß er sicherer als der andere, weil er unmöglich auszukundschaften war. Dennoch wurden sie zuletzt beide gefangen und eingezogen. Als nun das Urteil vollzogen werden sollte, war der eine schon über alle Berge ausgelaufen, welcher auch der Schlaueste war.«

»Wie hieß dieser,« sagte ich hierauf zum Page, »der entrissen, und wie sah er aus?« – »Er war«, antwortete der Knab, »nicht gar lang von Statur, hatte rote Haar und einen schwarzen Bart, sein Name hieß Sebastian; aber unter der Diebszunft, dahin er gehörete, haben sie ihn den Schell-Wastel geheißen, weil ihrer eine ganze Karte sich zusammenrottiert und ein jeder unter ihnen ein gewisses Blatt zu seinem Zunamen hatte. Als einer war der Herz-König, der ander das Grüne Daus, der dritte die Ecker-Sieben und so fort, welches sich Euer Gestreng besser einbilden, als ich es hie mit vielen Umständen an den Tag geben kann.« – »Ja,« sagte ich, »ich weiß mehr um dergleiche Schelmenstück. Dieses ist ohne [767] allen Zweifel ebender Dieb, so mir gedienet hat. O Wastel, Wastel, den Schreiber hab ich in meine Gewalt bekommen, die Beschließerin hat sich nicht verbergen können, du wirst dich endlich unverhofft selbst verraten und an den Tag bringen!«

Unter diesem Gespräch des Jungen zeichnete ich meine zukünftige Klausen auf Papier, wie ich nämlich solche wollte zugerichtet wissen, damit mirs am bequemsten war. Und weil ich meinen beiden Schlössern nahe genug war, brauchte ich zu solchen keine absonderliche Verstände, weil ich bald ab und zu reisete, zu sehen, wie etwan der Student sowohl als der alte Krachwedel haushielte. So hatte ich auch, wie ich droben gemeldet, einen Musicum von einem fürstlichen Hofe bis daher aufgehalten. Weil er aber sehr melancholisch von Gemüt, hat er wenig solche Kurzweilen verübet, die allhier Raum haben könnten, denn er vertrieb seine meiste Zeit bei der Viol di gamb in einem Zimmer alleine, und weil er ein eifriger Christ war, floh er nicht allein die Compagnien insgemein, sondern redete auch sogar mit mir oft kein Wort, es sei denn, daß es die höchste Notwendigkeit erforderte. Und ich halte davor, daß er auch deswegen sehr ungern zu Hofe gedienet, weil es allda große Schrauben abgibt, die er zu ertragen nicht gewohnet war.

Dieser nun, ob ich ihm gleich die Inspection über beide Güter auftragen wollen, entschuldigte sich dennoch wegen seines Unvermögens, weil er mehr in der Partitur als in dem Hauswesen sein Leben lang studiert hatte. Und in der Wahrheit so gefiel mir diese Resolution trefflich wohl und lernte ihn erst kennen, daß er keiner von diesen sei, die zuweilen mehr aus sich machen, als sie sein, und starke Sachen mit schwachen Schultern tragen wollen. Endlich, wer ihnen trauet, der fällt mit ihnen über den Haufen und wird erst nach geschehener Sache gewahr, daß sein Vertrauen anstatt des Felsens Sand angetroffen und auf demselbigen gebauet habe. Ich gab ihm demnach ein ziemliches Stück Geld, und weil ich in der künftigen Eremiterey nichts brauchte als etwan eine rauhe Mönchskutte, als verehrte ich ihm vor seine Müh und bisher an mir angewandten Fleiß etliche saubere [768] Kleider samt aller weißen Wäsche. Davor er mir zu Erweisung seiner Dankbarkeit zwei von seinen besten Büchern, voll von den herrlichsten Compositionen, zurückließ, mit Versprechung, daß er ins Künftige, wohin ihn auch das Glück trüge, mit mir ferner correspondieren und solche Sachen schicken wollte, welche von den besten Künstlern gesetzet wären. Mit einem solchen Verlaß schied er aus dem Schlosse, und ich gab ihm an alle diejenige ein Recommendation-Schreiben mit, die er auf der Reise als meine beste Freunde besuchen und also gleichsam ohne Zehrung aus dem Land kommen konnte.

Also schieden wir freundlich voneinander, welches sonst mit solchen Leuten ein seltsames Stück ist. Denn einen Künstler verlieret man nicht gern, und ein solcher, wie dieser gewesen, trifft tausend gute Herren an, da oft ein Herr unter Tausenden nicht einen solchen Diener antrifft. Ich bin auch jederzeit der Meinung, daß ein Musicus bei Hof das allervergnügteste Leben hat. Ich rede aber von rechtschaffenen Leuten, die das Ihrige verstehen, und nicht von solchen Lumpenhunden, die von eigener Einbildung getrieben sich mehr einbilden, als sie all ihr Leben lang lernen können. Aber dieser gute Freund war fromm, treuherzig, ein guter Künstler, und was das allermeiste ist, so war er die Demut selbst, und was er redete, das meinte er auch. Ich habe ihn niemalen auf einem falschen Wege angetroffen, auch nicht den geringsten Ehrgeiz in ihm verspüret, dannenhero war mir nach seinem Hinscheiden die Zeit sehr traurig, dessen ich ohnedem zu meiner künftigen Einsiedlerei notwendig mußte gewohnet werden.

21. Capitul. Wolffgang valediciert dieser Eitelkeit aufs neue
XXI. Capitul.
Wolffgang valediciert dieser Eitelkeit aufs neue.

Diejenige, welche in Italien reisen wollen, waren allgemach schon etliche Wochen hinweg und wußten nichts um mein Vorhaben. War auch niemandem sonderlich bekannt, wo ich mich aufzuhalten willens sei. Jedennoch, weil das Geschrei [769] von meinem Abschied aus der Welt ziemlich weit ausging, lud mich bald dieser, bald jener guter Freund zu sich; und also valedicierte ich in die acht Wochen, ehe ich recht daran ging. Die Hütte war nunmehr fertig, und zwar eben in dem Wald, darinnen ich zuvor mit dem Studenten und Soldaten so oft gebetet habe, und außer diesen beiden war solche Wohnung nur denen bekannt, welche sie gemacht hatten. Darum rüstete ich mich allgemach zur Sache, und weil es doch einmal sein mußte, schlug ich mir alle widerigen Gedanken aus dem Sinn. Bald wollte ich heute, bald morgen, und durch dieses Cras Cras verschwand mir manche Zeit unter der Hand, darinnen an nichts weniger als an das eremitische Leben gedacht ward.

Endlich kam es zum Zweck, darnach ich schon so lang gezielet hatte, und ich fing, gleich ich mit meinen guten Freunden getan hatte, auch an, die Welt zu beurlauben und von ihr Abschied zu nehmen. »Du bist«, sagte ich, »zwar meine größte Feindin, jedennoch lebe wohl! Du bist meine größte Verfolgerin, jedennoch wünsche ich, daß es dir allezeit glücklich gehe. Du hast mich verachtet, ich wurde nicht bös, hast mich verfolget, ich zörnete nicht. Aber nunmehr kann ich deine Fessel nimmer länger ertragen, ich werde alt, und deine Bürde wird meinen Achseln zu schwer. Ich gehe aus dir als aus einer Befleckten zu der Reinigkeit, als aus einer Falschen zu der Wahrheit. O Welt, in dir ist Betrug das allerherrlichste Kleinod, und wer diesen Reichtum in dir nicht suchet, der ist arm, und wird ihm nimmermehr geholfen. O Welt, du bist eine betrogene Wirtin, die ihre Gäste mit lauter Schauessen tractiert. Du hast mir glänzende Berge vorgesetzet; aber da ich darnach griff, hatte ich statt des Golds Staub in der Hand. Du hast mir klares Wasser versprochen; aber da ichs kostete, war es aus einem trüben Brunnen geschöpfet. Ich habe mich zwar mit Lust an deinen Tisch gesetzet, bin aber allezeit hungeriger davongegangen, als ich gekommen bin. O Welt, du bist zwar eine Wegweiserin; aber wer dir nachfolget, gehet immer irr. Ich habe leider auf deinen Wegen gewandelt, allezeit voll Unruhe und Mattigkeit.

[770] Dir zu Ehren, o Welt, fastete ich mit großem Hunger, dir zu Ehren litt ich Frost und Hitze, Hunger und Durst. Aber was hab ich davon, als daß du mich an statt des verhofften Lohnes noch auslachest dazu? Was habe ich davon als eine schmerzliche Reue, daß ich dir so viel, ja mich selbsten vertrauet hab? Was hab ich nun davon, o Welt, daß ich stets nach dir geseufzet und gleichsam auf meinen Tränen in dir herumgeschwommen? Nichts habe ich davon als Angst und Jammer, Schimpf, Schand, Hohn und Spott, auch, was dieses alles weit übertrifft, noch dazu ein verletztes Gewissen. Ich pflanzte in dir Rosen; aber da ich sie auflesen wollte, waren sie schon verfaulet. Deine Pomp und Pracht schimmerte mir herrlich in die Augen; aber sie sind gleich dem Basilisken, welcher durch sein bloßes Ansehen töten kann. Ich vermeinte in dir auf Rosen und Narzissen zu gehen; aber nunmehr fühle ich die Dörner, welche meine Seel verletzet haben. O Welt, du bist eine falsche Malerin, die mit nichts als mit Schaden zu tun hat. Deine Farben fließen zwar schön, aber sind unbeständig, also daß derjenige, welchen du heute als einen Crœsum abmalest, morgen schon dem Iro gleich mit tausend Ungemach umfangen ist. O Welt, du bist eine blendende Taschenspielerin, zeigest uns mehr Pfenninge, als du im Vermögen hast. Du versprichst, o Welt, die Kranken zu heilen, gibst ihnen aber anstatt einer kostbaren Arznei nur Gift, welches man erst alsdann fühlet, wenn man nicht mehr helfen kann. Du bist eine betrügende Sirene, und wenn du uns arme Menschen mit deiner Stimme in die Arme gelocket, verwandelt sich solche in einen erschröcklichen Gewissensdonner.

Wo seid ihr nun hin, ihr frohen Stunden, ihr fröhliche Täge und ihr kurzweilige Zeiten meiner Jugend? Ach, ihr seid so viel als verloren, und ich spüre jetzt anitzo die bittere Galle, so ihr mir in eurem angenehmen Trank vermischet habt. Was habe ich in euch erworben als anstatt den Genuß das schmerzende Angedenken, anstatt der gepflogenen Laster den Verlust meiner armen Seelen. Ich habe zwar in dir, du blinde Welt, die Sünden nicht gesehen; aber nun erwachen sie und stehen auf, Rache wider mich, als ihren Urheber, [771] schreiend. Der Vorwitz klaget meine Augen an, die Hoffart meinen Geist, der Irrtum und Zwiespalt mein Hartnäckigkeit, der Zorn und Rachgier meine Galle, Feindschaft und Zanksucht meine Meinung. Der Haß wider meinen Nächsten gibt meinem unversöhnlichen Herzen den größten Stoß. Die Fleischeslust überfällt meinen ganzen Leib, und diese spinnt schon einen Faden, an welchem ich ewig sollte gefangen liegen.

Siehe, o Welt, dieses, sonst nichts, hast du mir vor meine Dienste gegeben. Nun sehe ich erst, was ich vor Münz empfangen habe. Ich sehe ein ganzes Meer von demjenigen Trank beisammen, welchen ich über Not und Vermögen in mich geschüttet. Der Fraß bauet große Berge von unnötig verzehrter Speise auf. Die übel angewandte Zeit schickt mir schon einen Wurm zu, der mein Herz ewig martern soll. Ach, warum habe ich dir getrauet, warum habe ich dich so liebgewonnen? Ich fühlte zwar deine Stricke; aber da ich fliehen wollte, war ich schon zu hart gefesselt. Ich fühlete deinen giftigen Trank; aber da ich mich davon entschlagen wollen, wurde ich nur desto durstiger; darum lebe wohl. Ich habe nichts mehr übrig, o Welt, das ich dir zum Valet schenken könne, du hast mir schon alles abgenommen und gleichsam unvermerket geraubet.

Meine kindliche Unschuld opferte ich dir noch in jungen Jahren auf. Meine christliche Einfalt stahl mir deine tausendfältige Hinterlist, mein Herz ist von deiner Scheinheiligkeit geraubet worden. Meine Andacht ist von deiner Gleisnerei besudelt. Die Liebe zum Nächsten hat mir deine Rachgier entwendet, den Fleiß im Lebenswandel habe ich deinem Müßiggang aufgeopfert, den Gehorsam deiner aufgeblasenen Einbildung. Siehst du, o Welt, all diese Eigenschaften und noch viel mehr andere hast du mir geraubet, meine Wachsamkeit übergab ich dem Fraß und der Spielsucht, die billige Ruh der Liebe des Frauenzimmers, meine arme Seele dem ewigen Verderben. So habe ich nun nichts mehr, was ich dir zum Angedenken schenken könnte. Meinen Reichtum verlangst du nicht, denn er ist ohnedem von dem deinen mir geliehen worden; meinen Abscheu vor den Lastern [772] darf ich dir nicht anbieten. Mit meinen Tränen ist dir nicht gedienet, und die Schalkheit, mit welcher dir zum allermeisten geraten wäre, habe ich lang aus dem Herzen verbannet. Die Liebe zur Vollkommenheit verlachest du, und außer dieser wüßte ich nichts in meinem armen Vermögen, was ich dir Dienliches mitteilen könnte. So hab ich dir nichts zu geben, o Welt, als ein kurzes Lebewohl! Es ist ein kurzer Wunsch, welchem, wenn du ihm folgen wirst, so wirst du auch ewig wohl leben.

Was hilft mich meine genossene Ehre, mein eingebildete Hochheit und Ehre? Es ist Tand und Eitelkeit und verschwand noch, ehe ich ihrer recht gewahr worden. Was hilft mich die gepflogene Erdenlust? Sie war mit tausend Sorgen gesuchet, mit Furcht gefunden und in Schmerzen wieder verloren. Es war nur Tand und Eitelkeit. Was hilft mich mein Reichtum und Vermögen? Mit Ungerechtigkeit war er zusammengeschunden, mit offenen Augen mußt er stets bewachet werden, und augenblicklich wird er verloren. Es ist nur ein Tand und Eitelkeit. Was hilft mich die genossene Frauenliebe? Sie war kurz und unbeständig, voll Falschheit und Betrug, und wo ich zuvor ein Quintlein Lust genossen, davor fühle ich nunmehr in dem Herzen tausend Centner des allerbittersten Kummers. Was nützet mir der Neid, welchen ich gegen meinen Nächsten oftmals ohne Ursach getragen? Er war nicht anders als ein Dolch, dessen Spitze in mein eignes Herz gedrungen und solches gleichsam abnagend getötet hat. Was hilft es mich, o Welt, daß ich aus deinem Antrieb und dir zu Ehren bald diesen, bald jenen verleumdet habe? Wahrhaftig, es hilft mich nicht allein nichts, sondern machet mir noch darzu ein schweres Gewissen, weil ich nicht weiß, was ich dermaleins vor eine Rechenschaft deswegen geben soll! Ich wußte wohl die Wort der göttlichen Schrift, daß es hieße: ›Ein Beispiel hab ich euch gegeben, daß ihr euch untereinander liebt, gleichwie ich euch geliebet habe.‹ Aber ich unterließ solches nicht allein, sondern tat noch darzu das Widerspiel.

Was hab ich davon, o Welt, daß ich, deiner Stolzheit ein desto größers Ansehen zu machen, so viel gebauen? Nichts [773] und weniger als nichts! Der Zahn der Zeiten wird endlich noch alles zermalmen, und also vergehet auch der Ziegelhaufen gleich dem Schnee, der von den Strahlen der Sonnen schmelzet. Was hab ich von meiner Gleisnerei und falschem Herzen? Siehe, o Welt, all diese Stücklein habe ich von dir gelernet; aber ich sage dirs wenig Dank. Meine Schamhaftigkeit, mit der ich von Natur begabet war, hast du mir durch deine vielfältige Verführungen bald abgenommen. Gib mir diese wieder zurück, denn du brauchest sie nicht. Ich fodere von dir Rechnung, o Welt, über alle diese Sachen, die du mir geraubet hast. Wo ist meine Frommkeit, meine alte Andacht, meine Liebe gegen die Tugenden, gegen dem Nächsten, mein Gehorsam gegen die Obern, die Barmherzigkeit gegen die Notleidenden und Kranken? Wo ist mein eiferiges Gebet, mein Fasten, mein Almosengeben? Sage mir, wo sind alle meine gute Werk? Wo ist mein Geduld im Kreuz und Leiden, meine Hoffnung in Trübsal, wo ist dieses alles hin? O Welt, du hast es hinter dich geworfen, und damit ich solche nicht mehr finde, hast du sie gar vergraben. Was habe ich von allem diesem von dir zu hoffen? Du weisest mir den Rücken, und nun sehe ich deine Gestalt von hinten viel anders, als sie mir von vornen geschienen hat.

Darum: gute Nacht, o Welt. Ich protestier wider dich und deinen Anhang und sage dir alle Freundschaft auf, mit der ich dir zuvor verbunden gewesen. Ich widerrufe alle die Wort, so ich jemalen dir zu Gefallen geredet habe. All diese Unreinigkeiten, mit welchen ich mich in dir so sehr und oft besudelt, verfluche ich. Was ich in dir Böses begangen, das will ich nicht begangen haben und setze dir, o Welt, für alle diese Untaten meine große und heftige Reue entgegen. Wer dir lebet, der stirbet. Dein Lachen bringet Tränen, dein Tanz einen traurigen Ausgang. Dein Paradies weiß von keinem Apfel der Unschuld, und in deinem Himmel scheinen keine Stern. Deine Sonne ist allezeit dunkel und dem Monden an der Abwechslung gleich. In deiner See fänget man faule Fische, und wer in deinen Wäldern jaget, wird plötzlich von einem Fuchs gebissen. Dein Stolz und Hochmut fällt so geschwind, als er steiget, jedoch bleibt er, was er [774] allezeit gewesen, nämlich Wind und Eitelkeit. Der Strom deiner Traurigkeit fließt allezeit mit Krokodiltränen, und deine Wahrheit ist nur bloß unter dem Titul der Unwahrheit vollkommen. Deine Weisheit ist gläsern, aus welchen sie auch trunken wird; aber die Tochter und Mutter sind von einerlei Gebrechlichkeit. In dir ist es allezeit Winter, und darum gehest du vielleicht ohne Unterlaß im Wolfs- und Fuchspelz, welchen, auf daß er nicht scheine, was er ist, du mit Schafshaut überziehest. O Welt, ich scheide aus dir und will mit deiner Gemeinschaft nichts mehr zu tun haben.

Du versprichst deinen Dienern ein ewiges Leben; aber sie merken nicht, daß dieses Versprechen weit ärger als der bitterste Tod ist. Du lockest sie, indem du vorgibst, ihnen herrliche Pyramiden aufzubauen; aber indem sie diesen zauberischen Werken folgen, kommen sie endlich an die Brandsäule, an welcher ihre ewige Wohlfahrt eingeäschert wird. Du versprichst ihnen Freiheit, und indem sie solcher genießen, werden sie nicht gewahr, an was vor harte Bande du sie angefesselt hast. Die durstigen Weltkinder wallen zu deinem Keller; aber dein vermeinter Nektar ist nur vor die unglückseligen Lippen bereitet. Dein Sonnenzeiger ist schön und zierlich vergüldet; aber ich sehe daran keine Drei, will sagen Treu. Diese Treu und alte Redlichkeit als zwei verwandte Brüder und Gesellen haben zwar in dir das Handwerk gelernet; aber anitzo sind sie verwandert und sind nit mehr in dir zu finden. Ich bleibe zwar in, aber doch nicht bei dir, denn es ist ein anders, in der Welt, ein anders, von der Welt sein. Dein Himmel scheint zwar allzeit klar, aber nur denen, welche blind sind. Du bist ein glückselige Spielerin, weil du uns Menschen oft durch einen einzigen Anblick das Herz abgewinnest, und wer solches bei dir versetzet, hat eine harte Auslösung zu fürchten. Du bist zwar eine Herberge, aber nimmest die nicht auf, die es gut meinen. Du willst keinen redlichen Gast, herentgegen gibst du den Meineidigen den größten Raum, und [die] das Spiel am besten zu karten wissen, die setzest du obenan. Die Einfalt muß dein Hausknecht sein und die Demut deine Küchenmagd. Alle Tugenden brauchest du zu geringen Lappen, [775] und an solche wischen die Weltkinder ihre Schuhe. Die alten Gesetze findet man nicht mehr auf deiner Tafel geschrieben, und wo es in deinem Vermögen stünde, rissest du die Sonne von dem Himmel, damit sie deine häufige Fehler nicht verriete. Bei den größten Völlereien bist du gesund, und tut dir erst alsdann dein Haupt wehe, wenn du über dich sehen solltest, dein ewiges Heil zu betrachten. Deine Ärzte, o Welt, wissen von keiner Krankheit und sehen erst alsdann, daß der Mensch sterblich sei, wenn er tot ist; und also werden deine Diener zweimal begraben: nämlich einmal in die Erd und vors ander in die Höll.

Du bist freigebig genug; aber wem du gibst, der verlieret gemeiniglich den besten Schatz. Die Hoffnung ist in dir, o Welt, zwar ein Acker; aber man findet keine Frucht darauf. Du bildest dir ein, nur alleine weise zu sein, und in diesem Wahn unterstehest du dich, o gottlose Welt, den Werkmeister zu tadeln, der dich gemacht hat. Deine Friedenfahne ist zwar von ferne schön und weiß; aber wenn man sie in der Nähe betrachtet, so sieht man die roten Blutfäden, mit welchen sie allenthalben durchwirket ist. Du speisest deine Kinder allerdings wohl. Hungert sie, so trägest du Brot zu, steckst ihnen aber endlich einen solchen Brocken ins Maul, an dem sie entweder ersticken oder welchen sie nicht vertragen können. Durstet sie, so tränkest du sie so lange, bis sie endlich ertrunken sind. Du säuberst sie auch gleich einer obsichtigen Mutter; und damit kein Ungeziefer auf ihrem Haupt niste, so ziehest du ihnen die Haut über die Ohren ab. Wie manchem hast du so lange gelocket, bis du ihn an den Galgen gebracht? Wie vielen hast du dein Glücksrad gezeiget und ihnen statt desselben das Galgenrad geschenket? Wie vielen hast du gute Winde versprochen, und indem sie ihre Segel gegen dieselbe aufgespannet, haben sie so lang glückselig geschiffet, bis sie endlich in dem Port erschröcklichen Schiffbruch gelitten!

Deine Redekunst hat nur deswegen Blumen erfunden, auf daß man den Stachel und die Dörner nicht davor sehen sollte. Deine Poesie reimet zwar in den Cäsuren, aber nicht in dem Herzen überein. Deine Optica oder Sehekunst [776] schließt allezeit das Auge zu, mit welchem sie nach der Wahrheit sehen sollte. Deine Musik, so lieblich dieselbe auch angestimmet wird, gehet doch allezeit auf ein Ach und Wehe aus. Auf deinen Instrumenten, so künstlich du auch darauf spielest, siehet man doch allezeit bei dem Ausgang alle Saiten gesprungen. Deine Disputierkunst ist wahrhaftig keine andere, als aus vernünftigen Menschen unvernünftiges Vieh zu machen. Deine Weltweisheit verspricht erst in dem hundertsten Jahr die Klugheit; weil aber wenig von deinen Schülern ein solches Alter erleben, sterben die meisten in ihrer Torheit. Deine Theologie redet zwar von GOTT, aber nicht mit GOTT, das ist, du betest selten oder gar nicht, sondern suchest nur unnötige Scrupel, dadurch du das Allernötigste, nämlich deine Seligkeit, versaumest. Deine Rechtsgelehrten sind niemalen geschickter, als wenn sie Unrecht tun sollen. Deine Medici versprechen dir ein langes Leben, welches sie sich doch selbst nicht geben können. Deine Rechenkunst bestehet in lauter Nullen. Die Baukunst ist in dir hochgeschätzt, denn du hast die Luft zum Fundament, darein du deine allerherrlichste Gebäude setzest. Im Erdemessen bist du so beflissen, daß du darüber den Himmel vergissest. Die drei Schwestern Fides, Spes und Charitas wollten dich zu ihrem Bruder machen und mit sich ins wahre Vaterland führen. Weil du sie aber verstoßen, so hast du auch zugleich den Weg verloren, dahin sie dich begleiten wollen.

Siehe, o Welt, alle diese Unarten hegest du; wer sollte dich eine glückselige Mutter nennen? Also fährest du deiner Geburt mit. O unglückselige Söhne! Wer in deinem Schoße sitzet, ist unruhig in seiner Ruh, unglückselig in der größten Glückseligkeit, gehet irr auf dem allergebahntesten Weg, wird ausgeraubet unter den besten Freunden, schlüpfet auf dem besten Pflaster und nimmt in dem allergesundesten Trank Gift zu sich. Hat zwei Augen und siehet mit keinem, und der ihm den Star stechen will, brauchte der Cur nötiger als sein Patient. O Welt, so verkehret gehet es in deinen Grenzen zu! Wer sollte dich lieben, wer sollte nach dir Verlangen tragen?

[777] Ich kam in dich als ein Schnee, ich gehe aus dir als ein Mohr. Ich fühlete keine Lust; aber da mich deine falsche Lippen küßten, brannte ich wie Feuer, und da ich dich bat, du solltest löschen, hast du statt des Wassers Öl in mein Herz gegossen, dadurch sich die Flamme nur vermehret hat. Ich wollte in dir lernen, meinem Nächsten zu helfen, so hast du mich gelehret, ihn zu betrügen. Ich wollte sehen, wie ich dem Bedürftigen mit hülfreicher Hand beistünde, so hast du mir gezeiget, wie ich ihn um alles bringen sollte. Ich begehrte von dir zu wissen, wie ich recht verträulich sein sollte, so hast du mich gelehret, wie mein Gemüt gleisnerisch zu verbergen sei. Ich wollte in dir den Mantel der wahren Einfalt umnehmen, so weisest du mir, wie ich ihn nach allen Winden wenden und drehen sollte. Siehe, o Welt, so hast du deinen Schüler verführt, ich bin dir keinen Schuldank schuldig. Ich wollte von dir wissen, wie man die Hungerigen speisen, die Durstigen tränken sollte, so sagtest du, ich solle mein Sach alleine verzehren. Ich wollte in die Kirche Geld geben, so hießest du mich solches in die Weinhäuser tragen. Ich wollte dem Hungerigen mein Brot brechen, du hießt michs vor die Hunde werfen. Ich wollte meinen Nächsten loben; aber du verwandelst mir die Lobrede in eine Schmach.

Du, o falsche Welt, warest zwischen meinem Herzen und der Zunge die Schiedmauer, darum redete ich anders, als ich gedachte, und gedachte anders, als ich redete. Wollte ich süßen Wein einschenken, so mengtest du Salz ins Geschirr. Alle Reden meines Nächstens legtest du mir anders aus, als er sie gemeinet hat. Also zerrüttest du meinen Kopf ohne Unterlaß, auf daß du mich dir in allem gleichförmig machen könntest. Ich wollte von dir die Sternseherkunst lernen; aber du hebtest dein Haupt nicht gen Himmel. Dein Calender bestund zwar in einer kurzweiligen Fasnacht; aber wer diese Kunst etwas vorsichtiger erwogen, sah, daß es nur eine immerwährende Marterwoch der frommen Gemüter war. Post Bacchanalia jejunium! Gedenke doch, o Welt, daß, obwohl du eine stete Fasnacht celebrierest, dennoch nach dieser, es sei gleich lang oder kurz, eine Fasten, und zwar [778] welche ich dir nicht wünschen will, die ewige, folgen wird. Da wird es leere Schüssel abgeben. Die Laute, auf der du so frohe und üppige Lieder gespielet, wird da gesprungen und alle Saiten abgerissen sein. Anstatt dieser kannst du die Schlangen der Medusæ aufspannen. Dein Trank, ob er dir gleich anitzo wohl schmecket, wird allda nicht allein die Farbe, sondern auch den Geschmack verwechseln; und weil du, o Welt, bei dem Trunk gleichsam hier auf Erden angepappet sitzest, so wird dir dort nicht unbillig Pech eingeschenket werden. Ich bin in dir genug gemartert, genug gepeiniget worden, nun ist es Zeit, daß ich dir deine Gebrechen vorwerfe und in Erkenntnis derselben dir zugleich absage und dich aus meinem Herzen verbanne. Darum lebe nochmals wohl, und so ich etwas vergessen, welches deiner Unart hiermit hätte sollen vorgeworfen werden, so ist solches aus einem billigen Abscheu geschehen, welchen meine Zunge vor deinen Lastern hat.«

22. Capitul. Er hat im Wald allerlei Anfechtungen
XXII. Capitul.
Er hat im Wald allerlei Anfechtungen.

All diese Wort und hier geschriebene Zeilen redete ich voll Seufzen und Reue in ebendem Zimmer, darinnen ich zuvor so vielerlei Freude genossen, und hatte auch zu solchem Wehklagen allerdings große Ursache. Denn wenn ich mir vor Augen stellete die große Seelengefahr, in welcher ich dazumal gesetzet war, war es höchst nötig, mich mit einer wahren Andacht dem plötzlichen Verderben zu entreißen. Ich habe zwar ehedessen gemeinet, an der schönen Liesel einen großen Fisch zu fangen; aber ihre vermeinte Holdseligkeit hat anstatt des Honigs bitters Salz gegeben, und ich habe erst mit später Reue erfahren müssen, wie sehr mich ihre Gestalt verführet hat. So eine kurze Zeit wir beisammen gewohnet, so viel hat sie eine durch ihre Fahrlässigkeit verdorben, also daß ich erst den Schaden alsdann fühlete, wie nicht mehr zu helfen war; und aus dieser Ursache ward ich mächtig gewitziget, mich nicht leichtlich mehr anzubrennen, sondern stellte mich vielmehr dem Esel gleich, [779] welcher nach gebrochenem Beine nicht mehr aufs Eis gehet. Darum, so tat ich nun mit Gewalt zu der Sache, damit alles zum erwünschten Anfang gelangen möchte. Die Geigen, Fletten und andere musicalische Instrumenten ließ ich teils auf dem Schlosse, teils brachte ich sie auch in die Einsiedlerei, mich durch dieselbe bei trauriger Zeit in etwas zu erfrischen. Meine Bücher stellte ich in der Klausen rings um mich, also daß ich mit denselben gleichsam verbauen war. Also ging ich nach Beurlaubung aller meiner Bedienten mit dem Page in den Wald, weil er sich gleich mir vorgenommen hat, ein einsiedlerisches Leben zu führen und der Welt gänzlich abzusagen. Aber sein Vorsatz dauerte nicht gar zu lange, denn als er das vorige Maulfutter nicht mehr hatte und noch dazu anstatt des guten Bettes auf bloßer Erde vorliebnehmen mußte, schwitzte er die vorgehabte Andacht bald wieder aus, also daß ich ihn etliche Wochen darnach wieder zurücklassen und dem Schreiber auf dem Schlosse vor einen Mithelfer in der Canzeley übergeben mußte, allwo er das Seinige verrichtet. Er brachte mir nichtsdestoweniger vielmal das Essen in den Wald, und dort tat er mir gemeiniglich Relation, was passierte, welches ich auch zum Teil aus des Schreibers Briefen verstanden habe.

Dazumal habe ich mich Herrn Philippens erinnert und wie wunderlich es ihm in seiner ehmaligen Einsiedlerei mit seinem Bau gegangen; auch gedachte ich, daß ein solches Leben, wie ich führte, die allerbeste Art vor diejenigen Menschen wäre, die da in öffentlichen Schimpf und Schand geraten. Denn ich war allenthalben herum mit überwachsenen Bergen umfangen, allwo ich in einem Loche stackte, das der tausendste Mensch ohn sonderliche Mühe nicht leichtlich würde gefunden haben. So hatte ich über dieses etliche Löcher in die felsichte Erde, darinnen ich mich gleich einem Fuchs verstecken und verbergen können, [gegraben]. Frühmorgens ging ich gemeiniglich eine halbe Stund von meiner Klausen in eine alte Kapellen, daselbst meine Andacht abzulegen. Von dar ging ich wieder zurücke und speculierte sowohl in dem Hin- als Hergang von lauter heiligen Sachen, absonderlich aber von der Eitelkeit der Erden, welche Gedanken [780] ich hernach aufs Papier brachte und zum Teil auch diese Histori von Capitul zu Capitul aufzeichnete, weil ich zu solchem die höchste Ruhe und Gelegenheit hatte. Wenn ich vom Schreiben ermüdet war, nahm ich die Schaufel und Hauen, damit wurf ich einen Graben auf, welcher rings um meine Klause herumging. Unterweilen badete ich mich gleichwie vorhin in dem angenehmen Bächlein. Also vertrieb ich die Zeit mit allerlei Abwechslung, die ich sowohl in der Musik, Fischerei, Malerei und Lesung der Schriften gesuchet habe. Und weil ich von beiden Schlössern aus mit genugsamen Victualien versehen worden, unterließ ich sodann, weitschweifig auf die Dörfer herumzuterminieren, wie denn mein weitester Weg sich nirgend als zu der vorbesagten Kapell er streckte, dahin ich mich täglich Andachts wegen verfügte.

So sehr ich mir aber zuvor vorgenommen habe, dem zeitlichen Tand gänzlich Urlaub zu geben, so dachte ich doch immer zurücke an die alten Zeiten und wie lustig ich oftmals in der Welt gewesen. Bald reuete es mich, daß ich ein Einsiedler geworden, indem ich doch ein Cavalier von so stattlichen Mitteln wäre und meine Güter solchen Leuten überließe, die es nicht wert wären. »Wäre es nicht besser,« sagte ich zu mir selber, »daß du dich aufs neue verehlichtest, eine hübsche Dam zum Weib nähmest und mit ihr einen Erben zeugtest, der nach deinem Tode dein rechtmäßiger Erbe wäre? Allein,« sprach ich wieder, »es ist nur ein bloßer Einwurf. Ob deine Güter dein Kind oder ein Fremder erbet, es bleibt doch einer sowenig als der ander ewig auf der Welt; und vielleicht dörft es deinem Kind ärger auf denselben gehen, als es dir gegangen ist. Ein Mensch, der sich überwinden will, muß sich in einem rechtschaffenen Stücke überwinden; und nun hast du die allerbeste Gelegenheit, der Nachwelt zu zeigen, daß du in der Liebe, so dich zum Himmel geleitet, nicht geheuchelt hast. Wird dieses vor ein großes Stück zur Vollkommenheit geschätzet, wenn ein armer Student, der in der Welt nichts mehr zu nagen noch zu beißen hat, endlich in ein Kloster gehet und ewige Armut zu ertragen schwöret, da er doch ohnedem nicht reich ist, [781] wieviel mehr wird es dir zuträglicher sein, wenn du deine rechtmäßige Güter verlässest, die Einkünfte derselben den Armen mildiglich austeilest? O Wolffgang,« sagte ich weiter, »du hast in diesem Fall einen ungemeinen Streit, aber auch in der Obsiegung eine ungemeine Krone zu hoffen, mit welcher nur solche Häupter gekrönet werden, die es würdig sind.

Was hilft es dich, ob du gleich noch vierzig oder funfzig Jahr all dieses deines Reichtums in vollen Freuden genießest? Ob du gleich in der Liebe des vollkommensten Frauenzimmers eine solche Zeit hinbringest? Es kommt doch endlich nach schönem Mittag der Abend; und die Sonne, welche man in ihrem Aufgang heftig angebetet, gehet oft mit schlechter Ehre derjenigen unter, von welchen sie kurz zuvor so eifrig verehret worden. Der Tanz währet nicht so lang, es kommt doch endlich der Kehraus; und alsdann würde es dich reuen, daß du diese Zeit dir und deiner Seele zum Besten nicht anders angewendet hättest, die dir anitzo so gute Gelegenheit gibt, deinem Heil nachzustreben. Es ist zwar auch keine Sünde, sich seiner Güter bescheidentlich zu gebrauchen; aber wer ist der und wo ist er anzutreffen, der bei so guter Gelegenheit nicht sündiget? Darum hasse ich nicht die Güter, sondern vielmehr die Gelegenheit, welche sie zum Fehler oftmals demjenigen an die Hand geben, der nicht dar nach gereiset. Eine schöne Weibsperson ist zwar heftig zu lieben, aber ihre Küsse kommen mit den Winden, und mit diesen gehen sie auch wieder in die Luft. Ihre Liebe hänget in dem Monden, und dannenhero verwechselt sie sich so oft, als jener sein Licht verändert. Du bist gewitziget genug und weißt wohl, wie sehr dich die schöne Liesel gefangen hatte; aber sie wurde dir aus einer Liebhaberin zur Henkerin, aus einer Schönen zur Grausamen, aus einer Gewogenen zur Feindin, aus einer Mutter zur Stiefmutter, aus einer Getreuen zur Verräterin, mit einem Wort: aus dem Leben zum Tod. Wer schätzte sich in der erste vergnügter als du? Aber wer war hernach auch elender als du? Wer war in der erste glückseliger als du? Und wer war hernach betrogener als du? Siehest du, was dir hie begegnet ist, das [782] könnte dir leichtlich wieder begegnen. Wer wär alsdann geplagter als du? Drum bleibe lieber bei deinem vorgenommenen Zweck und lasse einen andern das Unglück erfahren, in welchem du allgemach bis über die Ohren gestecket hast.«

Dieses waren meine Ein- und Gegenwürfe, welche ich gemeiniglich dazumal in Gedanken hatte, wenn ich auf der Viol di gamba spielete. Unterweilen kamen mir auch andere Grillen, nachdem das Wetter oder die Zeiten waren. Das beste war, daß ich zu solchem Leben kein Votum oder anders Gelübde getan, sonst würde ich ohne allen Zweifel große Anfechtungen ausgestanden haben. Widrigenfalls hatte ich allezeit noch Gelegenheit und Recht genug, wieder aus der Eremiterey zu gehen, ein Weib zu nehmen und also aller dieser Güter wieder zu genießen, die ich dermalen verlassen hatte. Aber weil ich nunmehr schon unter diejenigen zu zählen war, die ihre beste Jahr allgemach zurückgeleget haben, ließ ich mich endlich von diesen Grillen nicht viel mehr anfechten und überwand mich endlich dergestalten, daß ich mir selbsten ganz feind wurde. Sooft ich ein Blatt von den Bäumen fallen sah, erinnerte ich mich des Todes. Sooft ich das Feuer erblickte, stellete ich mir die Hölle vor Augen. Bei Aufgang der Sonnen betrachtete ich die Auferstehung der Toten, bei dem großen Waldsturm und heftigen Winden den Untergang der Welt. Durch das Brummen des wilden Viehes bildete ich mir ein die Widerwärtigkeit der Menschen, da einer dem andern bald an seiner Ehre, bald an seinem Namen angreift, ausschandiert und verlästert. Der häufige Regen ermahnete mich an die höchstnötige Bußtränen; die aufsteigende Berg- und Holznebel bildeten mir ab den schröcklichen Sündengestank, der von uns Menschen gegen dem Himmel steiget.

Und in solchen Betrachtungen verbrachte ich eine geraume Zeit im Wald, bis ich des einsamen Lebens ganz gewohnet war. So sehr ich nun bei Mitteln gewesen, lebte ich doch keinesweges also, wie ich wohl hätte tun können. Denn was wäre dieses vor eine Einsiedlerei gewesen, so ich mich ebenso kostbar wie zuvor hätte tractieren wollen. Solchergestalten hätte ich nicht mein Leben, sondern nur den Ort meiner[783] Wohnung verändert und hätte billig ein Faulenzer als Einsiedler können genennet werden, der nur deswegen in dem finstern Wald säße, daß er schlafen und seine billige Geschäfte von sich ablehnen möchte. Aber nein, ich tat deren keines, sondern schlichtete, obwohlen abwesend, meine Hausgeschäfte, soviel möglich, und speisete mich außer Brot und Wassers nur unterweilen mit hartem Käse; und wenn ich ein Fischlein aus dem Bache gezogen, so war solches meine allerköstlichste Mahlzeit. Also mortificierte ich meinen Leib täglich und wurde endlich so zaundürre, hager und mager, daß mich auch die nicht mehr gekannt haben, die am öftern bei mir gewesen sind. Endlich entschlug ich mich auch derer, die mir das Brot vom Schlosse brachten, und weil mir der Weg zu der Kapelle etwas zu weit war, bauete ich endlich meine Klausen dahin; und von daraus hatte ich auch bessere Gelegenheit, mich auf der Höhe herumzusehen, allwo ich unter den schattenreichen Bäumen manche Stund mit Lesung eines Buches passieret und hingebracht habe.

Sechstes Buch

1. Capitul. Wolffgang bestellet sein Hauswesen
I. Capitul.
Wolffgang bestellet sein Hauswesen, begibt sich in Tirol, kommt alldort hinter ein wunderliche Geschicht.

Diese Schrift, ob sie wohl nicht allzuweit noch umschweifig ist, eilet dennoch zum Ende, weil mir niemalen etwas besser gefallen, als wenn ein Historienschreiber fein kurz durchgehet und sich weder in dem Lob noch in der Tadlung einer Sache gar zu lange aufhältet. Soviel ich mich entsinne und gegenwärtiger Augenschein mit sich bringet, hab ich ein gleiches begonnen und nichts davon noch zu der Materie getan, was nicht vonnöten war. Meine erzählte Laster sind meistenteils von mir geflossen; und darum wird außer mir schwerlich jemand sagen können, daß ich ihn getroffen habe. Also ist mir wohl erlaubet, mich selbsten durchzuziehen und alle diese Flecken zu erzählen, mit welchen ich behaftet war. Und also will ich diese satirische Schrift vollenden, damit keiner über mich noch meine spitzige Feder klagen kann.

Einsmals, als ich voller Sorgen saß, den lieblichen Waldvögelein zuhörend, verwunderte ich mich über der Nachtigall, daß, ob es gleich von außen ein ungestaltes Tierlein, dennoch von solcher Eigenschaft wäre, den Menschen mit ihrem annehmlichen Gesang trefflich einzunehmen. Ich bildete mir dadurch ab die innerliche Beschaffenheit manches Menschens, der zwar äußerlich liederlich scheinet und innerlich doch ein lebendiger Geist voll Glauben und guter Werke ist; und daher bekam ich die Gelegenheit, das Welturteil zu tadeln, welches nur nach dem äußerlichen Schein zu richten pfleget. »Oh,« sagte ich, »wie ist doch mancher Mensch eine Nachtigall, welchen doch sein Nächster vor einen Mohren [785] ansiehet. Wie mancher ist entgegen ein schwarzer Rabe, welchen die blinde Welt vor einen Engel hält!« Und indem ich also der Wahrheit nachforschte, kamen Unterschiedliche von Adel und andere Bekannte, welche sich entschlossen hatten, mich in dem Walde zu besuchen. Diese Heimsuchung, ob sie mir schon nit angenehm war, so war sie mir doch auch nicht gar zuwider. Doch weil ich der Welt nunmehr vergessen und meine Affecten ganz verloren hatte, kam mir ein und andere Unterredung, die sie mit mir gepflogen, gar zu weltlich vor. Entschloß mich also, noch selbigen Abends meine Wohnung aufs neue zu verlassen und mich an einen solchen Ort zu begeben, da mich kein Mensch mehr kennte. Denn der Zulauf mehrete sich fast von Tag zu Tag, und je mehr meine Lebensart in dem Land bekannt war, je mehr besuchten mich in der Klause, also daß sich auch endlich gemeine Bürger und Bauern gelüsten ließen, mich zu besuchen und zu sehen, was vor ein Leben ich in dem Wald führte.

Ich eilete demnach in der Stille gegen dem salzburgischen Gebirg, von dar in Tirol zu gehen, weil selbige Gegend eine unter den bergreichesten in ganz Teutschland berufen ist. Solch mein Vornehmen ließ ich niemanden als dem Studenten mit diesem Inhalt zurück: ›Lieber Freund, betrübet Euch nicht, so ich Euch von meinem Hinscheiden in das salzburgische Gebirg berichte, denn Ihr wißt, daß die Sonne, welche heute in das Meer sinket, morgen wiederum aufgehe. Solche Reise kann ich um soviel desto besser verrichten, weil ich weiß, daß ich Euch als einen sorgfältigen Haushalter über alle meine Güter zurückgelassen. Der Anlaß zu solcher Reise ist der große und öftere Zulauf des gemeinen Landvolks, welches zu mir als einem unerhörten Spectacul in die Wüsten kommet und mich nit mit weniger Unzufriedenheit an der Andacht verstöret. Lebet wohl und erhaltet das Lob, welches ich Euch als einem guten Haushalter billig geben muß. Komme ich wieder zurück, so werdet Ihr solches zum ersten erfahren, gleichwie Ihr anitzo alleine berichtet seid, was mein Vorhaben ist. Ich befehle Euch nochmalen alle Sachen und absonderlich das Gesind in gute Obsicht, [786] auf daß ich Euch in eben einem solchen Vergnügen wiederfinden kann, als ich Euch verlassen habe. Lebet wohl!‹

Dieses Schreiben überschickte ich ihm noch zu guter Letze und ließ mir zugleich alle meine Kleinodien in den Wald bringen, die er in Verwahrung hatte. Ich nahm von diesen samt den Gold- und schönen Silberstücken so viel mit mir, als ich in dem untersten Saum meines Rockes vernähen konnte, und also nahm ich von dem Studenten Urlaub, welcher persönlich bei mir in dem Wald gewesen, daselbst anzuhören, was etwan in einem oder dem andern zeit meines Abseins auf beiden Schlössern würde vonnöten sein. Also ließ ich ihn zurück und behalf mich auf meiner Reise meist mit Bettelgehen und kehrte nirgend als in den Klöstern oder auf Pfarrhöfen ein, weil entweder mein damaliger Stand oder aber meine geistliche Gedanken keine andere Herberge duldeten. Ich erlangte endlich meinen Zweck; und nachdem ich durch den Lueg (welches ein sehr enger Paß ober Gollingen an der Salze ist) gekommen, satzte ich mich in ein finsteres Gebirg und nahm mir vor, ehestens eine Wallfahrt nach Rom zu tun. Ich bauete alldorten eine neue Zell und versah mich mit solchem Hausrat, dessen ich nicht entbehren konnte. Wenn ich unterweilen auf einem einschichtigen Bauerndorfe einen großen Laib Brot kaufte, so war solche alle meine Speise, derer ich in einem Monat genoß. Aber das Bergwasser, so ich trank, machte mir nicht allein ziemliche Hitze, sondern noch dazu einen großen Kropf, welches in selbigen Landen nichts Ungemeines ist. Solche Ungestalt, ob es mir gleich seltsam und ungewöhnlich war, achtete ich doch nicht gar viel, weil ich wohl wußte, daß nicht der Leib, sondern die Reinlichkeit der Seele am meisten müßte gepfleget sein. Und weil ich das Wasser nicht anders haben konnte, mußte ich solches nach seiner Art wirken lassen, soviel es wollte. Denn ich war entschlossen, mich etwan so lang allhier zu enthalten, bis das Geschrei wegen meiner Einsamkeit in meinem Lande in etwas würde verschwunden sein, weil der Pöbel zu den neuen Sachen sehr begierig ist und ich also, wie daroben gemeldet, ohne allen Zweifel fast täglich in dem Wald an meinem Vornehmen wäre verhindert worden. [787] Die Donnerwetter, welche an diesen Orten nichts Ungewöhnliches sind, waren mir in der erste erschröcklich zu hören, dabei ich mich erinnerte an den Zorn des Jüngsten Gerichts, und wie mit einem schröcklichen Krachen die Erde im Feuer wird verzehret werden. Auch daß die verdammten Seelen zwischen solchem grausamen Krachen in die ewige Glut hinunterstürzen sollen. Und durch dergleichen Gedanken munterte ich mich zur Andacht auf, bis ich nach abgewichenem Sturm mir zugleich die Lieblichkeit einbildete, welche die Kinder des ewigen Lebens nach so vielem ausgestandenen Kreuz und Verfolgung dieser Erden würden zu genießen haben.

Einsmals, als es auch erschröcklich gewittert hatte, kam eine Mannsperson gegen meiner Hütte gegangen, welche ich in der erste vor einen Beckenknecht angesehen. Er war an seinen Kleidern tropfnaß und hatte zu tun, daß er mit seinem schlechten Röcklein den Leib decken konnte. »O Freund,« sprach er, sobald er mich vor meiner Klause sitzen sah, »ist eine Barmherzigkeit in Euch und habt Ihr einzige Erbarmung über Euren Mitchristen, so nehmet mich heute nacht in Euer Klausen, damit ich allda ruhen und morgen meinen Weg weiter nehmen möge.« Diese Wort verwunderte ich zweierlei Weis. Erstlich, weil ebendieser fremde Mensch Herr Dietrich war, der neulich mit Christophen in Italien gegangen, vors andere, weil ich mir nicht einbilden konnte, welches Unglück ihn in diesen überaus schlechten Habit gestecket. Und weil er mich teils wegen lang gewachsenen Barts, teils auch wegen des Kropfes nicht erkannte, war ich um so viel begieriger, ihn in meine Klausen zu führen und daselbst seinen wunderlichen Zustand anzuhören, mich auch nicht ehe zu offenbaren, bis ich eigentlich erfuhr, wie er sowohl in dieses Elend als auch von der Gesellschaft Herrn Christophens geraten.

Er satzte sich nach wenigen Complimenten, deren er sonsten ziemlich pflegte, an das Tischlein, und als er sich daselbst voll Mattigkeit auf die Bank gestrecket, fing er an folgends zu erzählen: »Andächtiger Freund! Wem zu wohl ist, der geht auf das Eis und bricht ein Bein. Dieses Sprüchwort, [788] ob es wohl von dem Esel gesagt wird, kann doch mit billigem Recht auf viel Menschen gezogen werden, welche da außer ihrem ordentlichen Beruf wandeln und unversehens auf der Straße straucheln, dahin ihr Gang nicht lenket. Wisset demnach, daß ich solches mit eigenem Exempel ohne fernern Umschweif bezeugen kann. Mein Geburt ist hoch genug, und habe die Ehre, mich vor einen vom Adel eines alten Geschlechts in Teutschland zu rühmen. Ich lebte auf meinem Gut in höchster Zufriedenheit. Nachdem mir aber meine Frau mit Tod abgegangen, habe ich mich zwei Jahr hernach gelüsten lassen, mit noch einem meiner besten Freunde das weltbelobte Italien zu besehen und unsere Zeit daselbst im höchsten Vergnügen hinzubringen. Es kam auch endlich zur Abreise, und nachdem ich sowohl als er unsere Güter und Kinder, deren jeder dreie hat, den Aufsehern befohlen, begaben wir uns mit zweien Dienern und einem Page auf den Weg, kamen auch endlich in Venedig glücklich an und besahen das ganze Land mit sonderlicher Zufriedenheit.

Nachdem wir letztens auf der Herausreise wieder in Venedig kamen, wurden wir daselbst zu einer überaus schönen Weibesaperson geführet, derer Schönheit ich Euch nicht genugsam entwerfen noch vorstellen kann. Die Kupplerin, so uns dahin gewiesen, gab sie vor eine vornehme Standsperson an, und ich ließ mich gelüsten, etwas freier mit ihr umzugehen, als ich gesollt habe. Sie war dennoch durchaus nicht zu meinem Willen zu bringen, es sei denn, daß ich ihr die Ehe zusagte und daß ich sie mit mir auf meinem Pferde in Teutschland nehmen wollte. Ihr könnt gedenken, in was Verzweiflung ich damals geraten, indem ich ihr alles zugesaget und schriftlich versichert, was sie von mir [v]erlanget hat. Aber: o wie wurde ich betrogen! Ich kam endlich mit großem Schrecken meines Freundes dahinter, daß sie die allerleichtfertigste Putana in der ganzen Stadt gewesen, die so viel unschuldige Herzen betrogen und verführet hat, so viel mit ihr zu tun gehabt haben.

Diesem Übel zu entfliehen, entschlossen wir uns beide, heimlich davonzuwischen, eileten also aus dem Land, so geschwind es sein konnte; und weil wir uns in diesem Stück [789] mehr geforchten haben, als vonnöten war, verirrten die Diener samt meinem Freund wegen schnellen Laufes der Pferde dergestalten, daß weder ich sie noch sie mich mehr antreffen können. Ich kam nun auf der Straße in eine Herberg, darinnen vielleicht mehr Diebe als Scheiben in dem Fenster waren, denn in der Nacht wurde mir aus der Kammer nicht allein das Kleid, sondern auch aus dem Stall das Pferd samt aller Zugehör gestohlen. Ich hatte von großem Glück zu sagen, daß mich der Wirt nicht gar ermordet, weil er überaus zornig war, da ich von ihm Rechenschaft foderte. In solchem Zank wurf mir sein Weib diese Lumpen zu, und ich war froh, daß ich wenigst vermittelst dieser meiner Gefahr entweichen konnte. Also gehe ich in großer Irre und Unmut herum, und quälen mich teils die innerlichen Gedanken wegen der leichtfertigen Betrügerin, vors andere peiniget mich zugleich äußerlich das große Elend, da ich aus Manglung aller Lebensmittel zu betteln gezwungen werde. Und dieses ist also der kurze Verlauf meines Geschickes, welchem ich ganz frevelhaft in beide Arme gelaufen bin.«

»Ihr habt mir«, sprach ich zu ihm, »genugsam erzählet, aber wisset Ihr auch noch, wie treulich ich diese Reise widerraten habe?« – »Was,« sagte er, sich von der Bank erhebend, »habt Ihr mir diese Reise widerraten?« – »O Dietrich,« antwortete ich, »weißt du noch denjenigen Abend, da wir uns in der Au so fröhlich erzeigten?« Hiermit gingen ihm die Augen auf, und er fiel mir gleichsam voll Tränen um den Hals. »Sei gegrüßet, o du herzliebster Bruder!« sprach er darauf, »wie kommst du hieher in diese schreckliche Wildnis?« Hiermit bat ich ihn, niederzusitzen, und alsdann erzählte ich ihm von Anfang bis zum Ende dasjenige, was er noch nicht gewußt, wie ein sauber Zobel nämlich meine verstorbene Liesel gewesen, und daß aus Ursach dessen ich eine andere Resolution geschöpfet und also in diesen Stand geraten wäre. Er lobte etlichermaßen mein Vornehmen, und da [ich] ihm von meinem Reichtum erzählte, welchen ich in meinem Rocksaum eingenähet hatte, wurde er wieder gutes Muts, denn unsere Güter waren unter uns gleichsam gemein, und was einer hatte, das hatte der ander auch. Er [790] machte demnach tausend Kreuz und glaubte festiglich, daß wir untereinander zu sonderlichen Abenteuern geboren wären. So erfreuet wir aber dazumal waren, so hatten wir doch keine geringe Sorge um den verirrten Christoph und der anderen Knechte. Weil es aber unmöglich war, allda nachzusetzen oder sie auszukundschaften, mußten wir sie dem bloßen Glück überlassen und uns indessen auf Mittel besinnen, wie wir miteinander wieder heimgelangen möchten, weil mir dieselbige Gegend zur Wohnung nicht mehr anstund, indem zu Winterszeit alle die Quellen zuzufrieren und die Berge mit Schnee zuzufallen pflegten.

2. Capitul. Es gibt einen wunderlichen Streit auf dem Weg ab
II. Capitul.
Es gibt einen wunderlichen Streit auf dem Weg ab.

Wir machten uns also des folgenden Tages auf den Weg, ein jeder in seinem Habit bekleidet, weil wir in solchem mit viel geringerer Zehrung als sonsten durchkommen können. Dietrich wäre zwar lieber zu Pferde gesessen, aber ich sagte, daß, weil er sich zuvor gelüsten lassen, zu Venedig einen lieblichen Weg zu gehen, solle er diesen zu seiner Buß sich nicht zuwider sein lassen. Also bekam er manche Blase auf die Fußsohle und bedauerte vieltausendmal, daß er sich in Venedig nicht besser vorgesehen. Unterwegens kamen wir in einen großen Marktfleck und kehrten alldort in einem Hause ein, allwo man nichts als Geigen, Pfeifen und Tanzen hörte. Als man uns nun wegen Enge des Raums durch einen Knecht in den Stall logieret, erzählete uns derselbe, daß dieser Tumult eine Hochzeit wäre, so ein Kerl wider seinen Willen hätte eingehen müssen. »Es kam«, sprach er in seiner Erzählung, »neulich eine italienische Frau her, die beklagte sich gegen der Obrigkeit, daß sie ein Teutscher vom Adel in Venedig gefreien, ihr auch die Ehe schriftlich versprochen, aber nachdem er sie leichtfertig betrogen, wäre er unsichtbar, sie aber da durch veranlasset worden, ihm auf dem Fuße nachzufolgen. Nachdem sie nun solchen eben hier in dem Markte angetroffen, bat sie um hülfliche Gewalt, damit, wo [791] der Kerl nicht mit Gutem wollte, er dazu möchte gezwungen werden. Ist also die Sache so weit kommen, daß sie heute beide hier im Hause copuliert worden, und dieses bedeutet also die Lust und Fröhlichkeit, welche allhier vorübergehet. Aber, wie die gemeine Rede gehet, so ist ihr Bräutigam kein Teutscher vom Adel, sondern ein Bandit und Straßenräuber, der sich gemeiniglich nach begangenem Mord und Raub allhier zu retirieren pfleget.«

Diese Rede des Knechtes bestürzte uns ausdermaßen, denn wir dachten in der erste auf Christoph, ob etwan dieser unversehens in die Klappe geraten wäre. Solches währte so lang, bis wir endlich das Pferd sahen, welches Dietrich zuvor in der Straßenherberg verloren hatte. Er ging demnach samt dem Knecht von mir hinweg, den Bräutigam zu besehen, und als er zurückbrachte, daß er ebendiesen auch in der vorerwähnten Herberge, allwo er so schrecklich bestohlen worden, gesehen, klagte er ihn bei dem Richter desselben Ortes an, wurde also der saubere Herr Bräutigam noch an dem Hochzeittische an zwei Ketten geschlossen und mit unbeschreiblichem Schröcken der Hochzeitgäste in die allgemeine Custodia geführet. Mir und Dietrichen wurde indessen der Arrest im Wirtshause angekündiget und bis zu Austrag der Sachen eine Wache vors Haus gestellet. Aber es kam bald heraus, wie sauber die ehrbare Braut angelaufen, weil er auf gar viel Bürgerssöhne bekannte, die er außer diesem Ort erschlagen hatte. Und also kann es wohl sein, daß, indem er Dietrichs Kleid zu seiner vermeinten Sicherheit angezogen, er von der Italienerin statt dessen angesehen und also unverhofft gefangen worden. Welches gemeiniglich denjenigen am allerersten zu geschehen pfleget, die am allerkünstlichsten damit umspringen wollen.

Nachdem dem Mörder das Urteil verabfasset, wurden dem Dietrich die geraubten Kleider samt dem Pferd wieder übergeben, die Italienerin aber mit großem Schimpf zur Stadt ausgewiesen. Also betrog sich die Betrügerin selbsten, und ich mußte mich von Herzen verwundern, daß Dietrich gleichsam auf einen Augenblick zur Freiheit, der Mörder aber und sein betrogener Schandbalg zum unverhofften [792] Elende gerieten. Denn so geht es insgemein, daß der, so den andern mit betrügerischer Vorsichtigkeit erschleichen und ins Garn bringen will, gemeiniglich selbsten in die Grube fällt und gar darinnen umkommet.

Wir reiseten demnach unsern Weg, er zu Pferd und ich zu Fuß, weil uns weder Not noch andere Angelegenheit zu eilen zwang. Unsere größte Sorge war nur wegen Christophens, verhofften doch, daß er samt den Knechten ohne allen Zweifel auf richtiger Straße sein würde, ließen uns dannenhero nicht sonderlich deswegen anfechten und discurrierten unterweges bald von diesem, bald von jenem, wie auf solchen Reisen der Gebrauch ist. Indem wir also an einem Morgen bei heller Sonne auf eine Höhe kamen, sehen wir daselbst eine wohlgekleidete Person unter etlichen Kerlen begleitet gleichsam gefangen gegen uns herführen. »Bruder,« sprach Dietrich zu mir, »es ist Christoph, denn ich kenne seinen Federbusch. Laß uns hinzueilen, er ist gefangen worden, und wird ihm nicht viel anders als mir gegangen sein.« Mit diesen Worten, unter welchen er gleichsam entbrannte, eilete er unter die Schar, und weil er ein Geschrei machte, gleich als käme noch ein großer Hinterhalt, verließen die Räuber den wohlbekleideten Menschen und begaben sich zu ihrer eigenen Sicherheit in diejenigen Büsche, welche alldort zwar nit gar dichte, aber doch häufig auseinander gestreuet lagen. Er hat sie nichtsdestoweniger mit verschossenem Zügel verfolget und durch seine gute Obsicht so viel verschaffet, daß er auf dem Weg, welcher sich in unterschiedliche Gänge gegen dem Hauptwald verteilete, nicht verirret ist. Als er aber wieder zurückkam, sahen wir beide mit Verwunderung, daß dieser Gefangene zwar Christophs Kleider anhatte, aber er war es selber nicht, vor welchen wir ihn gehalten haben.

Darum war es nötig, in dieser zweifelhaften Sache den gewissen Zustand zu erfahren, weil Dietrich allgemach mutmaßte, gleich als wäre Christoph von ebendiesem ausgeraubt worden, welchen er durch seine Vorsichtigkeit den Räubern abgejagt. Aber der Entledigte berichtete uns eine andere Geschicht, daß nämlich noch vor Tages ein Reisender [793] zu Fuß auf ihn gestoßen, welcher diese mit seinen Bauernkleidern verwechselt hätte. Aus was Ursach solches geschehen, könnte er nicht erraten; aber das hätte er gesehen, daß er nach seiner Ankleidung eilends ebendiesen Wald hindurchgelaufen. Er wies uns hierauf mit dem Finger die Straße, auf welcher dieser Kleiderwechsel vorgegangen, und setzte anbei, daß kurz darauf diese Räuber gekommen und ihn vielleicht als den Unrechten gefangengenommen. Die einfältige Rede und die Geschicht an sich selbsten nahmen uns die Meinung, die wir wegen der Untreu dieses Menschens geschöpft hatten, ließen ihn demnach von uns, und damit er durch sein Kleid nicht in fernere Ungelegenheit geriete, gab er uns den Hut und Rock um ein billiges Geld mit, und er schlug sich nach solchem gegen einem Abwege, allwo er berichtet, daß die Straße etwas sicherer wäre.

Als wir ihn aus den Augen verloren, begaben wir uns, voll von Furcht und zweiflenden Gedanken, auf ebendie Straße, so uns der Bauer gezeiget hat, und zu schnellerer Reise satzte mich Dietrich hinter sich aufs Pferd, damit wir sowohl den Christoph einholen als dem gefährlichen Nachstellen der Räuber entfliehen könnten.

3. Capitul. Sie stoßen auf Christophen
III. Capitul.
Sie stoßen auf Christophen, der erzählet, wie es ihm in dem Raubnest mit seinen Knechten und dem Page gegangen.

Nach einer halben Stunde trafen wir an einen andern Bauren, welcher mit seinem Stecken ganz langsam vor uns hinging, und als wir zu ihm kamen, fragten wir zugleich um den rechten Weg, bald aus dem Wald zu gelangen. Aber ehe ich michs versah, schmiß er den Dietrich mit seinem Prügel über den Rumpf. Er wollte nach dem Pistol greifen, welches er doch kurz zuvor gegen die Räuber losgeschossen, aber der Bauer fiel ihm bald in die Arme, und sprach er zu ihm: »Was bist du vor ein ehrbarer Gesell, daß du auf der Straße so schnell davonreitest und deine Leute in so großem Unglücke lässest? Meinst du nicht, daß du dadurch die höchste [794] Schand davongetragen?« Aus diesen Reden merkten wir, daß es Bruder Christoph war, welcher diesen Morgen mit dem Bauren die Kleider verwechselt. Und weil wir voll Verlangen waren, seine Geschicht anzuhören, ingleichem auch zu wissen, wie es den Knechten ginge, fing er an und erzählete uns in solchem Fortgang folgende Geschicht:

»Nachdem du«, sprach er zu Dietrichen, »in dem Wald von uns gekommen, wußte ich samt den Knechten nicht, wo aus. In dieser Irre vertrieb ich etliche Tage, bis ich gestern in ein altes Schloß kam, allwo mich der Torwärter berichtet, daß ein Junger vom Adel innen wohnte, der etliche Vettern bei sich hätte und ein gastfreier Mensch sei. Es ward bald Abend, und also hörte ich diese Post nicht ungern, ließ mich derohalben bei dem Vermeinten vom Adel anmelden und als ein Fremder um Nachtherberge bitten. Ich wurde da mit tausend freundlichen Worten angenommen, merkte aber, daß keiner unter den Anwesenden recht teutsch konnte. Die Knechte wie auch unsere Pferde wurden wohl accommodiert, also daß ich mich über die hohe und ungemeine Freigebigkeit des Besitzers höchst verwunderte. An der Tafel, da ich selbige Nacht gespeiset wurde, saß [ein] schönes Frauenzimmer, in welches, wo mir die Eifersucht der Italiener nicht zur Genüge bekannt gewesen, ich mich ohne allen Zweifel verschamoriert hätte. Nach geendigter Mahlzeit, bei welcher sie mich um nichts gefraget, als wie lang ich in Italien gewesen und ob noch ihrer mehr nach mir kommen würden, raumten sie mir ganz allein ein Zimmer ein, in welchem ich schlafen sollte. Es war noch ein wenig Licht und kurz vor der Dämmerung, dahero entschloß ich mich, die Zimmer des Schlosses in etwas zu besichtigen, weil ich ein trefflicher Liebhaber der alten Gebäude und solcher Raritäten bin, die gemeiniglich darinnen angetroffen werden.

In solchem Verlangen kam ich in einen finsteren Gang, und als ich dorten ein altes Gewölbe eröffnet, auch ein wenig hineingeblicket hatte, wurde ich dreier Menschenhäute gewahr, die samt den Haupthaaren an der Wand hingen. Über diesen Anblick schauerte mir der Buckel, und merkte gleich, [795] wieviel es geschlagen, auch daß ich allhier ohne allen Zweifel in einem Raubnest verschlossen sei. Ging nichtsdestominder in diesem Gange fort und kam zu der andern Tür, darein ich zwar nicht gehen, aber doch durch ein rund ausgeschnitten Loch hineinsehen konnte. Aber das Spectacul war in demselben viel trauriger als in dem vorigen, weil ich etliche Menschen, teils an Stricken, teils an Haken, ertötet hangen sah. Über dieses wurde ich ganz bestürzet, eilete wieder zurück, mich mit meinem Degen und Gewehr vorzusehen. Aber ich wurde da erst gewahr, daß mir solches unter währender Abendtafel heimlich wäre aus dem Zimmer getragen worden. Ich rufte meine Knechte durch mein gewöhnliches Pfeiflein, aber da war kein Mensch weder zu sehen noch zu hören. Damit war ich in unvergleichlicher Furcht, absonderlich da ich sah, daß aus dem Zimmer, worein ich logiert worden, weder durch das Fenster noch sonsten eine einzige Ausflucht war, derer ich mich mit Vorteil hätte bedienen können.

Indem kommt eine Weibsperson aus dem Zimmer, welche ich wegen der Dunkelheit nicht wohl kennen können, ob sie jung oder alt war. Aber das hörte ich an ihrer Sprache, daß sie entweder eine Teutsche oder aber in Teutschland erzogen war, die sprach mit wenigen und leisen Worten: ›Machet Euch fort, o schöner Jüngling, oder es kostet Euer junges Leben!‹ Mit diesen Worten schloß sie die Tür wieder zu, und nach solchem hörte ich gleichsam als durch eine Wand, wußte aber nicht, wars neben, unter oder ober mir, etliche miteinander welsch reden, aus welchem so viel zu vernehmen war, als hätten sie nunmehr die Knechte schon caput gemacht, nun wären sie willens, auch ihrem Herrn, als mir, den Rest zu geben. Zu Ende dessen wären alle Türen verschlossen, und man sollte mich mit gesamter Hand in der Finstern überfallen und ohne alle Barmherzigkeit totmachen. ›Senza misericordia‹, sagte einer, und darauf waffneten sie sich, soviel ich durch die stille Nacht hören konnte.

Ich aber verschloß meine Tür, soviel möglich war, zerschnitt meinen Scharlachmantel in gewisse Teile, die ich aneinanderknüpfte, und mich, so geschwind es sein konnte, [796] in aller Stille über das Fenster abließ. Es glückte mir dieser Sprung so wohl, daß ich endlich, obschon der Ort ziemlich mit Dornen verwachsen war, dennoch ohne sonderliche Gefahr durch das Gesträuße über eine kurze Mauer den Berg hinunter und also in den nächsten Wald kam. Aber allem Ansehen nach müssen indessen die ehrlichen Vögel schon in meinem Zimmer gewesen sein, weil ich bald darauf ein Licht in demselben gesehen, mit welchem sie auch zum Fenster ausgeleuchtet und sich ohne allen Zweifel über das Mittel meiner Ausflucht verwundert haben. Solches brachte mich in ein neuen Schrecken, und weil ich mir wohl einbilden konnte, sie würden mir nachsetzen, eilete ich in der Nacht meist dem Gestirn nach und kam heute früh zu einem Bauren, mit welchem ich meine Kleider verwechselt habe.

Aber sage mir,« sprach er weiter zu Dietrichen, »wie bist du wieder dazu kommen und wer ist dieser, der mit dir reitet?« Hiermit erzählete er ihm dasjenige, was ihm in seiner Irre in dem Walde begegnet und was es mit der Venetianerin vor einen wunderlichen Ausgang genommen, auch, daß ich der ehrliche Wolffgang wäre, welcher nunmehr entschlossen, die Welt mit ihren vielfältigen Stricken zu entfliehen und sich der Eitelkeit in einem heiligen Einsiedlerstand zu entreißen.

Da kann ich nicht genugsam beschreiben, wie freudig wir aneinander empfangen, ja, wie mit einem großen Vergnügen wir miteinander die Reise vollbracht haben. Nichts war uns leiders als der Verlust der dreien Diener und des Page, welche ohne allen Zweifel nunmehr schon im Salze liegen würden. Denn Chri stoph erzählte, daß er der gänzlichen Meinung wäre, die Mörder hätten ihm anstatt des Wildbrets Menschenfleisch in schwarzer Tunke vorgesetzet, davon sie selbsten einen ziemlichen Teil gefressen haben. Indem wir so miteinander Wort wechselten, kam der Page unversehens nächst an einer Stadt zu uns und konnte lang, entweder vor Verwunderung oder Freude, seinen Herrn gefunden zu haben, kein Wort reden. Er erzählete endlich, daß die drei Knechte ohne allen Zweifel würden ermordet sein, er aber wäre mit sonderlichem Vorteil entkommen. »Sobald wir«, [797] sprach er, »ins Schloß geritten, schauerte mir die Haut bei einem Kerker, darinnen ich etliche Gefangene sitzen sah. Ich ging hinzu, und als ich verstanden, daß dieses eines unter den berühmtesten Raubnestern sei, wollt ich Euch solches andeuten, wenn mich nicht hieran alle die verhindert hätten, die da nicht gerne gesehen haben, daß einer mit dem andern redete. Es kam mir auch ziemlich verdächtig vor, daß fast ein jeder unter uns absonderlich ist einlogieret und also keiner bei dem andern gelassen worden. Noch mehr wurde ich in meiner Meinung gestärket, als ich den Kerl, so unser Gewehr verwahren sollte, gesehen hab, wie er mit dem Ladestab visitierte, ob die Pistolen geladen wären. Gab demnach, den andern ganz unwissend, gegen die Fremden vor, wie mich mein Herr nach einem Mantel zurückschickte, welchen wir auf der Straße samt einem Matratzen, darinnen unser Wechsel sei, unachtsam verloren hätten. Also ritt ich spornstreiches davon und habe Euch samt den Knechten schon lange beweinet.« Über diesen artigen Fund des Page mußten wir uns höchst verwundern, obwohlen wir auch wünschten, daß es den andern armen Teufeln auch so glücklich möchte ausgeschlagen haben, welche ohne allen Zweifel das Bad austrinken müssen. Dahero machten sich Dietrich und Christoph kein geringes Gewissen über ihrer unvorsichtigen Reise, und daß sie zu allem diesem Unglück und Totschlag die einzige Ursache waren.

4. Capitul. Nachdem ihnen der Page seinen Zustand erzählete
IV. Capitul.
Nachdem ihnen der Page seinen Zustand erzählete, eröffnete er ihnen seinen Lebenslauf; wie es in der Apotheke hergegangen.

Weil wir aber ehedessen insgesamt gewohnt waren, auf der Reise die Zeit mit kurzweiligen Erzählungen zu passieren, als mußte uns der Page, nachdem wir uns in der Stadt mit Pferden und allerlei Zugehör versehen und daselbst uns bei einer Mahlzeit sehr wohl gefüttert hatten, auf dem Wege seinen Lebenslauf entwerfen, welches er also anfing und hinausführte:

[798] »Anfangs meiner Histori zu melden, so ist denkwürdig, daß ebendas Haus, in welchem zu Eger der berühmte Wallensteiner erstochen worden, meines Vaters gewesen. In demselben Hause ward ich geboren und bis ins zehente Jahr erzogen, als mir meine Eltern mit Tod abgingen und ich zu einem Apotheker erst in die Kost, hernach gar in die Lehre verdinget worden. Daselbsten stiftete ich so viel Schelmenstücklein, als ich erdenken konnte. Den Leuten gab ich anstatt Zimmet Muscatblühe, und anstatt Kupferwasser gab ich ihnen Vitriol, unter den Hutzucker mischte ich Salz und streuete unter die Mandelkern den bittersten Pfeffer. Ja, wenn ich um dieses gestraft wurde, war mirs nichts Neues, daß ich den Gesellen was anders in ihre Mörser tat, davon mir oft der Buckel so abgebleuet worden, daß mir die Haut ledig geworden. Die Tobakpfeifen, mit welchen wir in der Stadt den allerbesten Handel führten, stopfte ich mit dem Zipfel alle unserem Hunde, mit Ehren zu melden, ins Hintercastell, und dannenhero mußte ich lachen, wenns die Tobakschmäucher so tapfer ins Maul nahmen. Aber als dieses Stücklein auskam, geschah es, daß ihrer viel die Pfeifen mit Petschierwachs versiegelten. Den Schülern, wenn sie mit den Jesuiten in einer Procession gegangen und unterweilen vor unserm Hause stehengeblieben, habe ich gar oft die Mäntel zusammengeheftet; und dieses trieb ich auch in den Kirchen mit den Bauermägden, dannenhero die Hundepeitscher mehr auf mich als auf die Hunde haben Achtung geben müssen. Den Leuten, die mir am allerwenigsten getan hatten, wurf ich nachtszeit die meisten Fenster ein, und soviel mir fremde Hund in die Apotheke kamen, denen stutzte ich entweder die Schwänze oder die Ohren ab, hatten sie aber ohnedem keine, so gab ich ihnen ein Purgier ein, daß oft in einem Tag die Hund viel mehr Recipe als die Kranken bekommen haben.

Zu diesem stiftete ich noch andere Jungen an, die gleichwie ich lehrenshalber in der Apotheke waren. Auf die Papier, daraus wir Deuten oder Stanitzchen machen sollten, schrieben wir die garstigsten Briefe, und wenn ein vornehmes Frauenzimmer um ein Zahnpulver schickte, gaben wir solches [799] gemeiniglich in einem solchen Papier hin, darüber sie sich oft haben krank gelachet. Nicht weniger taten wirs den Gelehrten, und wenn ein Pfaff aus einem Kloster um etwas schickte, wickelten wir solches in ein Papier, darauf stund also geschrieben:

›Vielgeliebter Schatz, Du hast mich neulich berichtet, daß Du seiest lutherisch geworden, nun will ichs auch werden, denn die Pfaffen sind nichts nutz. Auch will ich, ehe ich aus der Stadt scheide, das Kloster anzünden und heimlich davonlaufen. Dem Burgermeister will ich die Fenster einwerfen und will sehen, wie ich wacker mit Dir buhlen kann. Es ist noch ein Pfaff hier, der will ausspringen und mit mir lutherisch werden, desselben Namen will ich Dir morgen oder übermorgen schreiben. Lebe wohl, Du Tausendschätzelein, ich bitte Dich, Du wollest sanfte schlafen, ich halte nichts wie Du auf Pfaffen.‹

Solche Briefe erdichteten wir viel hundert, und nachdem eine Standsperson um etwas in die Apotheke schickte, nachdem gaben wir ihm einen Zettel mit, als zum Exempel: Es schickte einsmals ein Bürger um ein Vomitiv, der hatte eine schöne Frau, demselben schickten wir um das Gläslein folgenden Brief: ›Hochgeehrter Freund! Berichte demselben, daß der (hiermit nannten wir des Patienten Namen) eine schöne Frau geheiratet, weiß aber leider nicht, daß der (hiermit nannten wir dessen Nachbar) täglich bei ihr sich einfindet und ehedessen wohl mit ihr bekannt gewesen etc.‹

Über solche Briefe, ob sie gleich nicht allemal von jedem sind gelesen worden, entstund doch in der ganzen Stadt ein wunderlich Gemürmel, denn es raufte sich bald diese, bald jene Partei, die wir so heimlich zusammengehetzet und untereinander veruneiniget hatten. Mein Herr, der Apotheker, mußte endlich aufs Rathaus, welcher nicht wußte, wer ihm das Papier eigentlich verhandelt hätte, weil bald ein Schüler, bald ein Schreiber, bald ein anderer alte Scartequen hineinbrachte, die er ihnen mit Käs oder Tobak abhandelte. Ja, ich glaube, daß unsere Schelmerei noch lange wäre verborgen geblieben, so wir nicht in einem solchen Schreiben den Stadtschreiber einen Rotbart geheißen hätten, welcher [800] Titul dazumal viel verhaßter als der Bärnhäuter-Titul war. Darum visitierte er endlich die Apotheken mit zweien Ratsverwandten; und weil wir nicht so klug waren, unser Hand oder aufs wenigste die Dinte zu verändern, kam er uns unvermerkt hinter die Sprünge, und hätte ohne allen Zweifel den Rotbart mit neuer Pomada eingeseifet, so wir nicht noch unter währender Visitation davongelaufen und dem Apotheker all sein Wochengeld aus der Schublade gestohlen hätten.

Dazumal war ein berühmter Oculist und Zahnarzt im Lande, vor dessen Söhne wir uns beide ausgaben; und weil es ohnedem unserer Profession war, die Wasser meisterlich zu färben, brachten wir bald so viel zusammen, die ohnedem einfältige Bauren zu betrügen. Doch taten wir solches mit einer neuen List; denn mein Gesell gab sich vor den Patienten aus. Wenn ich nun feilhatte, so krunkste er, als ein Fremder, auf allen vieren gegen meinen Stand, bat mich um eine Arzenei. ›Ach!‹ sagte er, ›wie quälet mich der Magen, wie sticht mich das Milz, wie faulet mir die Leber, wie verzehret sich meine Lunge!‹ – ›Du guter Freund,‹ sprach ich, ›da will ich dir bald davon abhelfen. Komme her, hast du kein Geld, so gebe ichs den Armen umsonst!‹ Mit solchen Worten gab ich ihm ein paar Tropfen von dem gefärbten Wasser zu verschlucken, damit richtet er sich auf, stellete sich an, als ob er aus einer großen Krankheit erlöset worden, und machte mir durch sein Exempel unter den Leuten solchen Glauben, dergleichen sie noch schwerlich gegen einem Arzt gehabt haben. Da hieß es wohl: mundus vult decipi, und wie ers in diesem Dorf machte, so machte ichs den andern Sonntag in jenem. Unterweilen gaben wir uns auch vor Pilger von Compostell aus und verkauften die gelben Marmor vor Adlersstein. Letztlich kamen wir auf eine Kirchweih, und weil sich daselbst uns unwissend ein Dieb enthielt, welchen die Obrigkeit allda ausgekundschaftet, daß er vor unserem Stand stehe und unserer Plauderei zuhörte, kamen die Schulzen mit ihren Habfesten herzu, denselben zu greifen. Wir wußten nicht, sollt es uns oder einem andern gelten, und weil wir, von eigenem Gewissen überzeuget, uns nichts Guts bewußt [801] waren, verließen wir den Tisch samt unseren Kram und eileten, so schnell wir konnten, dem nächsten Wald zu, aus Oculisten Waldmänner zu werden.

Nach diesem fingen wir an, vor den Häusern zu singen das Lied: ›Ist ein Leben in der Welt, das mir also wohl gefällt, so ist es das Schäferleben, merkt mich eben‹ etc. Dadurch wir uns ziemlich weit in die Welt hineingepracticieret haben. Ich muß es gestehen, daß es mir noch nie so gut als in diesem Bettlerstand gegangen. Wir stunden auf, wann wir wollten; so mangelte es uns weder an Geld noch Essen. Aber das war unsere einzige Pein, daß wir keine Jurisdiction hatten, die Läuse aus unsern Kleidern zu schaffen; und wenn wir auf dem Weg sonst nichts miteinander zu tun noch zu reden hatten, warfen wir einander die Läuse auf das Wams. Endlich kam ich zu einem Edelmann auf ein Schloß, und mein Kamerad ließ sich unterhalten. Also sind wir dazumal voneinander gekommen, und weiß keiner unter beiden, wo der ander geblieben ist.«

5. Capitul. Wunderliche Hochzeit auf einem adeligen Schloß
V. Capitul.
Wunderliche Hochzeit auf einem adeligen Schloß.

»Bei diesem von Adel, welcher ein rechtes Muster von einem lustigen und vergnügten Menschen war, enthielt sich ein Stalljung, der unterstund sich, der Edelfrauen ihr Aufwartmädchen zu lieben, welches sie erst neulich aus einer Stadt mit sich gebracht hatte. Wenn man aller beider Jahre zusammengenommen und sie dem allerperfectesten Rechenmeister sollte übergeben haben, so hatte man unmöglich dreißig daraus zählen können; und weil ich dazumal des Herrn sein Jung und sie verstandenermaßen der Frauen ihr Mädchen gewesen, hätte ich hier billig, wegen Einigkeit der Charge, um den Vorgriff eifern können. Ich muß es auch gestehen, daß es mich oft von Herzen verdrossen, wenn sie der Frauen dort und da heimlich ein Band oder andere Sache abgezwacket und solches dem Stalljungen verehret hat. Dannenhero rauften wir uns gemeiniglich die Woche dreimal, [802] und wenn ich noch daran gedenke, so kam mir derselbe Streit nicht viel anders vor, als welchen die alten Ritter um eine schöne Dam oder zu Ehren einer königlichen Princessin getan haben. In solchem Kampfe riß ich ihm gemeiniglich das geschenkte Band vom Arm, allwo ers auf dem Wamsärmel hinter den Aufschlag genähet hatte, und alsdann zerzauste ich ihm auch seine Haar fast alle aus dem Kopf, daß ihn gar viel vor grindig angesehen haben. Unterweilen biß auch einer den andern in die Nase, und wenn wir uns hinter der Schloßmauer ganz matt und kraftlos wie zwei junge Hähne abgekampelt hatten, so kam gemeiniglich der Gutscher oder ein anderer mit dem Ochsenziemer zum Beschluß und prügelte einen da-, den andern dorthin.

Endlich kam die Ursach unserer Uneinigkeit vor den Herrn, welcher, weil er wußte, daß ich und der Stalljung Feinde zusammen wären, fast alle Sonntag unter uns eine Fechtschul anstellete. Die Fraue aber gab genauer auf die Sache Achtung und wurde endlich gewahr, daß sich der Stalljung gelüsten ließ, mit dem Catherl (so hieß die Höppin) heimlich aus dem Schlosse zu laufen und sie zum ehlichen Gemahl zu nehmen. Sie beredeten sich miteinander in dem Gewölb, so nächst am Schlachthaus stund; und weil ich dazumal mit der Frauen wegen der Kerzenlichter darinnen zu tun hatte, hörten wir ihren närrschen Vorschlag und das kindische Vornehmen mit Verwunderung an. ›Morgen,‹ sagte das Catherl, ›wenns Mitternacht und fein finster ist, so wollen wir über die alte Bastei (war ein Ort, da ehedessen ein Contrascarpi gestanden, aber dermalen ganz ruiniert war) aussteigen, durch den Mühlbach waten und also fortlaufen. Was sollst du dich in dem Schlosse von dem blinden Schindhund (so hieß sie mich, weil ich ein wenig scheel sah) so hudeln lassen und alle Sonntag mit ihm fechten. Du weißt es nicht, woher ers konnte, daß er dir mit dem Dusacken fast allemal eines über den Schädel gibt; aber neulich habe ichs gesehen, daß ihm der Herr fechten lernet und zeiget, wie er dir eine gute Kappe versetzen soll. Aber was wollen wir tun, wenn wir hinweg sind?‹ – ›Da will ich wohl‹, sprach er, ›zusehen. Ich kann auf der Leier, das will ich so lang treiben, [803] bis es besser wird. Ich weiß auch einen Edelmann über dem Wald, der erhält uns alle beide, bis wir groß sind. Siehe du indessen zu, daß du etwas Rechtschaffnes bei dem Kopf kriegest und daß du die Frau fein brav bestiehlest, ich will den Knechten die Säckel wacker visitieren. Aber wo treffe ich dich an?‹ – ›Ich werde,‹ sagte sie, ›sobald die Uhr eilfe geschlagen, meine Sachen zusammenpacken und zu dir an den Schlagbaum kommen!‹ – ›Wohlan!‹ antwortete er, ›so will ich daselbst warten, gib aber wohl acht, daß du dich weder mit einem Wort oder sonsten verschnappest, und damit mans desto weniger merke, was du willens bist, so stelle dich krank oder sage zu der Magd, da du schläfest, du habst den Durchfall, und also wird sie dein Aufstehen aus dem Bette vor nichts Böses ausdeuten.‹

Diese Unterredung zwischen beiden Parteien hörten wir mit Verwunderung; und wenn sie durch etliche über den Schloßhof wandernde Leute nit wären verstöret worden, hätten sie noch ein mehrers offenbaret. Die Edelfrau wollte unter währendem Gespräche sie immer voneinanderstäupen, aber sie enthielt sich noch vor Zorn und ersonn eine andere Art, dadurch sie beide weidlich könnten ausgezahlet werden. Sie offenbarte solches ihrem Herrn, welcher nit langsam war, einen Stallknecht zu bestellen, der in der Nacht anstatt des Hansels (so hieß der saubere Bräutigam) am Schlagbaum aufpaßte und mit dem Catherl, als der Braut, in den nächsten Wald entwischte, sie auch daselbst in dem Finstern dergestalten zerklopfte und zerzauste, so gut und kräftig es immer sein konnte. Sein Kammerdiener aber, welcher ein starker und untersetzter Kerl war, mußte sich verkleiden und anstatt der Catherl mit dem Hansel davonmarschieren, denselben auch auf der Straße dergestalten abschmieren, daß ihn der Buckel sein Leben lang nach einer solchen Hochzeit nicht mehr jucken würde.

Also wars bestallt, und also ging die Sache auch perfect zum Ende. Denn als es wollte elfe werden, schlich der Hansel allgemach an den Schlagbaum, und der verkleidete Kammerdiener kam mit einem Beutel unterm Arme in den Hof, worauf sie beide ihn öchster Stille über die alte Bastei ausgestiegen. [804] Nach diesem kam an dessen Stelle der Stallknecht und zu ihm die Catherl, und solches traf so just ein, daß die erste Partei kaum eine Viertelstund voraus war. Und ist nichts mehr zu bedauern gewesen, als daß dieser Poß in der Finster vorübergegangen, sonst würde man sich ohne allen Zweifel schicklicht über die Posturen gelacht haben, welche sie da zu Verdeckung ihrer Schalkheit formiert. Man hörte endlich, weiß nicht, wegen Stille der Nacht oder aber weil es nicht gar zu weit vom Schlosse war, ein großes Geschrei, welches das Echo aus dem Wald zurückschickte, und weil der Edelmann in dem obern Stock wohnte, vernahmen wir aus dem Schall desto ausführlicher, daß es die liebliche Stimme der Catherl wäre, welche ein recht erbärmliches Concert angestimmet hatte. Nach etwan einer halben Stund kamen beide Brautdiener fast zugleich wieder in das Schloß, jeder mit einem stumpfen Stecken, daraus man wohl abnehmen können, daß den beiden Verlobten ein schlechtes Geschenk aufgesetzet worden. Aber ob dieses gleich eine kindische Sache betrifft, so war doch die Invention des Edelmannes gut genug, daraus man leichtlich ein Possenspiel machen könnte. Denn ich gebe demselben Edelmann noch immer Beifall, welcher davor gehalten, daß keine Invention zu loben sei, welche man nicht also einrichtet, daß sie auch auf dem Theatro könne agiert und vorgestellet werden.«

6. Capitul. Er siehet ein Gespenst
VI. Capitul.
Er siehet ein Gespenst, erzählet von dem verliebten Præceptor.

»Ich habe auf diesem Schlosse mehr gelernet als in der Apotheke, denn die Edelfrau konnte mit Wasserbrennen, Zukkerbacken und andern Sachen besser umgehen als mein gewesener Patron samt allen seinen Gesellen. So unterrichtete mich auch der Præceptor im Latein, und mußte mit des Herrn seinen zweien Söhnen heute dieses, morgen ein anders Argument machen. Dieser Præceptor war ein Student von Linz, allwo er in der Rhetorik gesessen und unter dem Prætext, als wollte ihn der Edelmann zum Hofschreiber machen, [805] allhergezogen ist. Er wäre auch, nachdem man ihm solches Versprechen nicht gehalten, wieder hinweggezogen und ein Franciscanermönch geworden, wenn er sich nicht von dem schönen Frauenzimmer und anderen Hofmägden hätte zurückhalten lassen. Unsere Schul hatten wir nächst an dem Frauen-Zimmer an. Dannenhero gab er uns die allerhärtesten Sachen auf, über welche wir die Köpfe wohl drei Stunden aneinander zerbrechen mußten und doch nicht fertig werden konnten. Unterdessen ging er allezeit hinüber und sah zu, wie sie näheten. Also wurde er von Tag zu Tag verliebter und also [wir] auch fäuler, weil wir in der letzte fast wieder vergessen, was wir zuvor gelernet hatten. Wir schliefen bei ihm in seiner Kammer, da hat er oft in dem Schlaf solche Sachen geredet, die abscheulich waren. Soviel ich und die zwei Jungen vom Adel mit der Dinte gesudelt und gemalet haben, hat er doch alles leiden können, außer wenn wir einen Schärer oder einen Ziegenbock gewiesen. Denn er war eines Schneiders Sohn und wurde niemals zorniger, als so wir vor seiner Tür oder auch wohl in dem Hofe wie die Ziegen meckerten.

Endlich starb die Frau an der Schwindsucht, und wir hörten die Nacht zuvor, ehe sie gestorben, in dem ganzen Schlosse ein schröckliches Gepolter und Rumoren der Gespensten, deren es allhier nichts Neues war. Absonderlich schlug es an unsere Kammertür, gleich als würfe einer eine Schaufel voll Erde mit Sandsteinen vermischet an dieselbe. So schlug auch der Schloßzeiger mehr denn tausend Ziffer nacheinander, und in der Kapell sah man die ganze Nacht auf allen Altären Lichter brennen. Es hat auch solches Tumultuieren nach ihrem Tode nicht ablassen wollen, und wurden diejenigen, welche nichts von Gespensten hielten, am allermeisten davon erschrecket. Etliche gaben es ihrer Kargheit, etliche der Hoffart, andere ihrer Verleumdung schuld, damit sie sehr unter ihres gleichen ist verhaßt gewesen.

Ich muß hier noch ein Stücklein erzählen, welches mir kurz vor ihrem Hinscheiden in ihrem Zimmer begegnet. Sie lag daselbst etliche Wochen krank, und ich mußte ihr bei einem großen Wachslicht die Wache halten. Dazumal war es ein [806] Winter und gar bald Nacht, dannenhero saß ich einsmals unter währendem Abendessen ganz alleine bei ihr und las ihr etliche Totengebet vor. Indem ich so lese, klopfet jemand an die Stubentür. Da gedachte ich, es wäre vielleicht eine Post vom Herrn, und machte auf. Als ich aber hinaussah, stund eine Frau ohne Kopf daraußen in einem sehr altfränkischen Habit. Ich tat vor großem Schrecken einen lauten Schreckschrei, machte die Tür in einem starken Schlag zu, und die Edelfrau fragte mich um die Ursach meines so plötzlichen Schreckens. Ich sagte endlich, was ich gesehen, und als sie mich von dieser Frauen reden hörte, zog sie ein Büchlein, welches nächst an dem Bett auf einem Schränklein lag, hervor, und: ›Siehst du,‹ sprach sie, ›ist sie also aufgezogen, wie hier gemalen ist?‹ Ich sagte ja, denn ebendiesen Aufzug, welcher in dem Büchlein war, hatte auch die Frau ohne Kopf! Darauf seufzete sie und sprach: ›Gehe, mein liebes Kind, und hole den Kaplan, denn es ist Zeit!‹ Damit kam fast der ganze Hof in ihrem Zimmer zusammen, und sie starb ihrem Herrn in den Armen bald darauf, nachdem ich den Priester zu ihr gerufen.

Es ist aber, wie ich hernach erfahren, dieses Gespenst ehedessen eine Besitzerin des Schlosses gewesen, welche ihr Ehegemahl wegen Eifersucht im falschen Verdacht gehabt, auch endlich in der Blindheit sich so weit verleiten lassen, daß er ihr heimlich den Kopf abgehauen, und von selbiger Stund an soll sich diese Frau allezeit ein Stund vorher sehen lassen, wenn eines auf dem Schloß sterben solle. Meinetwegen mag etwas an der Sache sein oder nicht, ich erzähle nur, was mir ist erzählet worden; denn einer glaubet es, der andere nicht. Also will ich, beiden zu Gefallen, solches gern an seinem Orte beruhen lassen. Aber gewiß ist es, daß nach ihrem Absterben großes Gepolter in der Kirche gehöret worden. Ob sich nun der Præceptor auch zuweilen vor ein Gespenst angekleidet und das liebe Frauenzimmer besucht habe, weiß ich nicht, aber dieses weiß ich, daß er einmal von dem Hofschneider abscheulich ist abgeklopft worden.

Mein Herr verbrachte seine Trauerzeit im höchsten Vergnügen. Weil ihm auch nicht so viel Gesind mehr nutz und [807] nötig war, schaffte er etliche von seinen Leuten ab, obschon andere sagten, er hätte es nur darum getan, daß er nicht so viel in die Trauer kleiden dörfte, denn er war ein bißchen geizig und sah die Leute lieber arbeiten als essen. Er behielt also neben mir nur den Præceptor und einen Schreiber, welcher ihm auf der Reise auch vor einen Laquay, der Præceptor aber vor den Kammerdiener aufwarten mußte. Also war dieser Student: Discipulus, Famulus, Præceptor & omnia tresque, welches er nicht zu sein vonnöten gehabt hätte, so ihn nicht zu solcher Sklaverei die liebe gezogen, die er zu der Beschließerin dieses Schlosses getragen. Diese war die einzige Sonne seines Himmels und der einzige Leitstern seines auf der See herumfahrenden Liebesschiffleins. Ja, wenn ich noch daran gedenke, was vor närrsche Namen er ihr in seinen Liedern gegeben, möchte ich einen Buckel lachen. Nur eines zu gedenken, machte er auch folgendes:


Meine Sonne ist verflossen
In dem dunklen Abend-Hesper,
Ich wünsch euch, ihr Venus-Possen,
Allen einen Bonus Vesper.
Lippen, die in Unmut leben,
Kosten euren Nectartrank;
Und von dieser Unglücksreben
Werden sie matt, blaß und krank.
Ich will dich nun nicht mehr kennen,
Ganz betrogner Bogenschütze,
Denn wenn du mein Herz siehst brennen,
Gießt du Öle in die Spritze.
Feuer, so von dir geleget,
Bringet zwar ein frohen Mut,
Doch, wer diese Flammen heget,
Fühlet Frost in seiner Glut.
Wo ist denn ein solcher Kerl,
Sagt, ihr Jungfern, an der Reih,
Der so schlank gleich einer Schmerl
[808]
Und wie ich so schöne sei?
Ich geh höflich auf der Gassen
Vor den Fenstern hin und her,
Ihr hätt' Ursach, mich zu hassen,
Wenn ich Heber-Toffel wär.
Ist mein Vater gleich ein Schneider,
Sagt mir, was kann ich davor?
Ich wollt selbsten wünschen, leider,
Daß er wäre Auditor.
Dann wollt ich mich bald bequemen,
Eine mir zu lesen aus.
Aber so muß ich mich schämen
Wie ein Katz im Taubenhaus.«
7. Capitul. Wunderliche Vereinigung
VII. Capitul.
Wunderliche Vereinigung. Der Præceptor verplempet sich.

All diese Sachen erzählete uns der Page auf der Straßen, und wir verwunderten uns nicht unbillig über den Præceptor, welche sonsten insgemein dergleichen Eitelkeiten sehr ergeben sind, die sie sich nämlich geschwinde verlieben und ihre Affection in einem Lied zu verstehen geben. Und weil solcher Discurs nicht unangenehm war, fuhr der Page weiter fort, und sprach er: »Gleichwie dieses Lied ist, also waren auch die andere alle, die er dem Kammermenschen zu Ehren machte. Und diese Bräuterei kam ihm absonderlich dazumal wohl zustatten, als sich mein Herr auf eine andere Heirat gefaßt machte. Er heiratete eines vornehmen Freiherrns Tochter, welche nicht allein sehr reich, sondern noch dazu überaus schön und klug war. Nachdem er solche mit sich heimgeführet, wollt sie sich nicht zu ihm legen. Sie saß oft die ausgehende Nacht bis an den lichten Morgen in der Stube auf einem großen Reisekasten und wollte sich von ihrem Herrn durchaus nicht bereden lassen, mit ihm in die nächst angelegene Kammer zu gehen. In solcher Kammer hatte es zwei Stufen, und weil ich endlich die Sach merkte, [809] hörte ich den Herrn oft heraus- und wieder oft hineintrappen.

Einsmals ging er in seinen Meierhof spazieren, welcher etwan eine gute Viertelstund über dem Feld hinüber lag. Ich mußte mit ihm gehen und die Flinte nachtragen, weil sich auf demselben Weg öfters ein Häslein aufduckte. Er war ganz traurig und melancholisch, vielleicht wegen der Ursach, die ich schon gesagt habe, und daß er solches Elend keinem Menschen klagen dörfte. Darum redete ich ihn an und fragte: ›Euer Gestreng, warum sind Sie so traurig?‹ – ›Du Bärnhäuter,‹ sagte er, ›was hast du hiernach zu fragen, du kannst mir doch nicht helfen!‹ – ›Warum soll ich Euer Gestreng nicht helfen können?‹ sagte ich, ›ich weiß wohl und ist mir sattsam bekannt, was Ihnen ist.‹ – ›Was ist mir denn?‹ fragte er mich. ›Das ist, Euer Gestreng,‹ antwortete ich, ›daß sich Ihr Gemahlin nicht zu Sie legen wollen.‹ – ›Was,‹ sprach er hierauf, sich gegen mich umwendend, ›wer hat dir das Ding gesagt?‹ – ›Euer Gestreng,‹ sagte ich, ›das kann ich aus dem Licht wissen, weil sie gar oft zu mir vors Bett kommet, mich aufstehen, ein licht anzünden heißet, und also bleibt sie oft die ganze Nacht am Tische sitzen, und ich muß ihr bald ein Lied singen, bald wieder ein kurzweiliges Märlein erzählen.‹ – ›Ha, ha,‹ sprach der Edelmann ganz bestürzt, ›ist ihr der Schuh da zerrissen? Ich sage dir, offenbar unsere Uneinigkeit nicht, denn es liegt mir ein ziemliches Stück meiner Ehre daran. Aber sage, wie willst du mir helfen?‹

Hiermit gab ich ihm meinen Vorschlag zu verstehen, welchen er sich trefflich gefallen ließ. Ich machte mich derohalben ganz in geheim in das Zimmer, wo sie zu weinen pflegte, und steckte mich daselbsten hinter die Tapeten. An das Ort des Reisekastens legte ich eine große Fliegenklatsche, welche ich an einem Zwirnsfaden angebunden. Als sie nun wieder ins Zimmer kam und sie der Herr ins Bett rufte, fing sie statt der Antwort an zu weinen. Damit löschte der Herr sein Licht und ging zu Bett. Nach etwan einer halben Viertelstund, als sie immer nach ihrem Vaterland geseufzet und sich zu ihrer Mutter gesehnt hatte, tat [810] ich einen Zug mit der Klatsche, da hüpfte sie von dem Kasten auf. Ich zog noch einmal, da trat sie ein paar Schritt gegen der Kammer. Wie ich solches merkte, schlich ich mich hinein, und als die Klatsche über die zwei Stufen hinansprang, fing sie an zu schreien und wurf sich über Hals und über Kopf zu ihrem Herrn ins Bette, und also trieb ich sie mit der schwachen Fliegenklatsche dahin, wohin man sie sonsten schwerlich mit zwanzig Pferden würde gebracht haben.

Aber da ich gedachte, auf diesem Schlosse noch mehr zu lernen, verehlichte sich der Præceptor mit der Beschließerin, und wurde ihm auf dem Schlosse die Hochzeit ausgerichtet. Er hatte, weil er noch jung war, Zeit genug, den Ehestand sowohl zu genießen als denselben zu bedauern, denn es fing sich das Elend unter diesen Eheleuten eher an, ehe daß der Himmel grauete. Auf dem Schloß konnt er nicht mehr bleiben, weil es sein gegenwärtiger Zustand verhinderte. Endlich zog er ins Dorf in die Mühle und reisete auf eine Zeitlang in dem Land herum, einen Dienst zu suchen. Er konnte ein bißchen auf der Orgel schlagen, aber es waren der Stümper ohnedem so viel im Lande wie der gestutzten Hunde; dahero kam er ohne sonderliche Verrichtung wieder nach Haus und bedauerte seinen blinden Liebeseifer wohl tausendmal. Er informierte dennoch die zwei adeligen Knaben täglich drei Stunden, und deswegen schickte der Edelmann zu essen, ob es schon die neue Frau nicht gern gesehen hat, denn sie war denen nicht gut, die in der Ehe lebten, ob sie gleich selbst verehlichet war. Oder es kann auch sein, weil sie sich wegen der Stiefkinder nicht groß annahm, noch denjenigen einzigen Dank erwies, welche derselben Aufnehmen gesuchet. Und weil ich allgemach anfing, ihre Schinderei und Hartnäckigkeit, welche sie gegen die Dienstboten und Untertanen erwiesen, zu tadeln und zu spotten, stach sie mich bald vom Brett; und so lieb sie mich sonst gehabt hatte, so feind wurde sie mir, als ich unterschiedliche Versche wider sie ans Tor geschrieben, die nit viel besser als ein Pasquill herauskamen, oder aber, welche nicht viel anders ausgeleget wurden.

[811] Ich mußte demnach das Schloß raumen, und dem Studenten wurden auch seine Victualien eingezogen. So hieß man uns beide auf einen Tag gehen, wohin uns der Weg tragen würde. Also waren wir beide gleich elend, nur daß ich nicht beweibt war, und also hatte der Student zwei, ich aber nur ein Elend auf dem Halse.«

8. Capitul. Artiges Orgelschlagen
VIII. Capitul.
Artiges Orgelschlagen. Der Page kommt zu einem eifersüchtigen Geilhansen in Dienste.

»Der Edelmann gab doch jedem einen Ducaten samt einem Reisebüchlein und Schreibcalender auf die Reise; und die Ursach, warum er mich abgeschaffet, ist allgemach gemeldet. Aber den Studenten tat er darum weg, weil ihm die Frau spinnenfeind war und die zwei Knaben ohnedem in eine öffentliche Stadtschul sollten geschicket werden. Darum weinete der gewesene Præceptor samt seiner Frauen, welche hochschwanger war, in ihrem Häuslein bei dem Ofen, weil er sich weder zu raten noch zu helfen wußte. Sein Weib konnte zwar hübsch klöppeln und nähen, aber die Bauern bezahlens nicht. So hat auch die Edelfrau viel lieber in einer weit abgelegenen Stadt als bei ihr eine Spitze bestellet, daraus man ihre Abgunst genugsam und mit allen Fingern greifen können. Drum wars das beste Mittel, daß ihr Mann etliche geklöppelte Stück Spitzen zu sich nahm und also mit mir die Reise antrat.

Wir versprachen unterwegens gegeneinander, daß der, so unter uns beiden am ersten Dienst kriegte, der sollte dem andern all sein Geld schenken, was er bei sich trüge, und mit dieser Condition gingen wir bald auf dem Land betteln, bald hausieren. Er verkaufte dennoch ziemlich viel von seiner weißen Ware. Wenn er irgendeine Elle vor einen halben Taler los wurde, so hatten wir schon wieder auf eine ganze Wochen Zehrung genug, denn wir lebten gar gesparsam, und mußte uns trefflich kitzeln, wenn wir einen ganzen Hering auf einmal verzehret haben. Endlich schien ihm eine gute Sonne, weil wir in eine Stadt kamen, welche zwar nicht [812] gar übrigs groß, jedennoch hübsch gelegen und darinnen gar wohlfeil zu zehren war. Unser erster Gang war allezeit gegen die Klöster und Pfarrhöfe, und weil erst selbiger Tagen der Organist seine Stelle an einen anderen Ort verändert hat, bat der Pfarrer, daß er wollte die Vesper spielen und sich hören lassen. Dieser Geistliche hielt allerdings viel auf ihn, weil ihn die große Armut und Dürftigkeit überaus demütig machte. So redete er über dieses hübsch Latein, und der Pfarrer gedachte, wo er so wohl auf der Orgel schlagen als reden könnte, wäre der Sache genugsam Rat geschaffet. Er hielt uns demnach zu Gast, und weil dazumal eine Kirchenmahlzeit celebriert wurde, soffen wir uns beide um so viel desto eher blind voll, je weniger wir des Weins gewohnet und auch zum Teil ausgehungerte Kletzenfresser waren.

Als er nun in die Vesper kam, kannte er weder Clavier noch Register. Nichtsdestoweniger satzte er sich auf den Stuhl, übergab sich aber – mit Ehren zu melden – unter währendem Schlagen, daß also das ganze Clavier besudelt, bald oben, bald unten steckenblieb. Wie er das Register ausziehen will, so schlupfte er mit der Hand ab und stieß den Cantor mit dem Ellebogen in die Seite, daß er wider das Chorgitter stolperte. Er lief auf dem Pedal herum, wie [wenn] er toll und töricht wäre, verlor aber in solchem Gerümpel einen Schuh vom Fuße. Da sah man, wie zerrissen seine Strümpfe waren, und daß die bloße Zehen hervorguckten. Er bewegte sich auch dergestalten mit dem Leib, daß ihm der Mantel vom Halse und der Rock aufsprang; und weil er durch diese Motion ziemlichen Wind gemachet, so fiel zugleich sein musicalischer Zettul vom Pult hinunter, welchen er auf dem Pedal immer mit Füßen getreten, daß es Fetzen gab. Er war so arg, daß er drei Finger mit Fleiß verbunden, gleich als wären sie bei ihm beschädiget worden; aber er konnte doch nicht zu der Stelle gelangen, weil diese Musik abscheulich untereinander geklungen hat. Als die Vesper aus war, wollte sich niemand blicken lassen, der uns einzige Ehre zu erweisen verlanget, also begaben wir uns wieder auf die Reise, ob es etwan an einem andern Ort eine bessere Orgel hätte.

[813] Endlich kam ich bei einer von Adel in Dienste, weil sie mich nach ihrem Vorgeben zu einem Schreiber gebrauchen wollte. Sie war noch ledig und wollte dannenhero mit ehestem Hochzeit machen, und ob der Student gerne allda in Dienst kommen wäre, so dorfte sie ihn doch wegen ihres Liebsten nit aufnehmen, welcher ihr kaum mich, geschweige denn einen ältern Menschen, auf dem Schlosse wegen großer Eifersucht hat verstatten wollen. Ich erzählte ihr nichtsdestoweniger meines Kameraden elenden Zustand, darob sie sich dergestalten erbarmet, daß sie ihm vierzehen Tag lang auf dem Schlosse zu essen und trinken gegeben. Davor machte er ihr ein Carmen und schrieb ihr auch sonsten allerlei schöne Versch auf ihre Bilder. Demnach mußten wir wieder voneinander, und ich hatte von meinem Ducaten noch etwan sechs Groschen. Die gab ich ihm, nach unserm Vertrag. Er sagte, weil ihm das Glück so gar nicht wollte, so müßt er sich auf bessers Wetter gedulden und sehen, ob er irgend auf einem Dorf möchte Schulmeister werden. Er stimmte vor seinem Abzug der Jungfrauen etliche alte Clavichordi und bezog solche mit neu stählenen Saiten, davor sie ihm etliche Reichstaler in Ansehung seiner äußersten Armut auf den Weg geschenket. So hat er auch vor seine Spitzen etliche Taler eingeschächert und in allem so viel Geld zusammgebracht, daß er den Winter über wohl hat auskommen können.

Ich gab ihm das Geleit eine halbe Meil Weges außer das Schloß, und daselbst nahmen wir voneinander Abschied. Er sagte zu guter Letz, daß, wo er sich nicht anbringen könnte, wollte er mit Ohrfeigen handeln, denn wenn er einem eine gäbe, so bekäme er zehen wieder, könnte also unmöglich verderben. Mit diesen Worten wendete er sich von mir und hat vielleicht zu weinen angefangen, weil er sich geschämet hat, auf der Straße umzusehen; und also kam mir der arme Teufel samt seinem Wanderbündel aus den Augen.

Nach wenigen Wochen machte meine Jungfer Hochzeit, welche es etlichmal zwischen dieser Zeit gereuet hat, daß sie so einen eifersüchtigen Mann genommen. Er war ein Witwer und hatte schon die dritte Frau gehabt, und weil sie [814] noch jung und ohne Freund war, hat sie sich leichtlich von dessen Anverwandten dahin bereden lassen, daß sie den alten Schmieralen heiratete, welcher die Eifersucht selbst war. ›O Cordel,‹ sagte er zu ihr, ›du mußt dich eingezogen und hübsch stille halten!‹ Zu Ende dessen gab er ihr nichts zu lesen als den Gebrauch der italienischen Frauen, welche des Jahrs kaum einmal zum Fenster ausschauen, geschweige auf die Gasse kommen. Er erzählte ihr von nichts als von Nonnen-Leben, und wie hübsch dieselbe in ihren Zellen den ganzen Tag sitzen blieben und fleißig beteten. Wo sie im Hause hinging, da schlich er ihr auf dem Fuß nach, und dorfte weder Jung noch Knecht ein heimliches Wort mit ihr sprechen. In der Kirche ließ er ihr einen Stuhl bauen, darin man sie und sie hinwiederum niemanden heraus sehen konnte, nur obenher hatte er zwei Löcher, dadurch sie die Predigt hörte. Wenn er wohl bei Laun war, so mußte sie ihm die Läuse aus den grauen Haaren suchen, und solches war fast ihre allerbeste Kurzweil. Es wirds kein Fremder mit Wahrheit sagen können, daß er diese schöne Dam all sein Lebtag zu sehen bekommen, so schrecklich verwahrte sie der alte Hümpler. Er sagte oft: ›Ein Mann soll sich zehenmal lieber zum Schelmen machen, als nur einmal seine Frau von einem andern küssen lassen!‹, und es war ihm nie ängster, als wenn sie zur Beicht ging, denn er trauete keinem Menschen, er möchte gleich geistlich oder weltlich sein, etwas Gutes zu. Wenn ihr der Schneider das Kleid meßte, so dorfte er sie kaum angreifen; und die Brief, so an sie geschrieben wurden, eröffnete er alle, und sie dorfte auch nichts schreiben, welches er nicht zuvor gesehen hatte.

Darum nahm ich meine alte Stücklein wieder hervor, und so gut ichs in der Apotheke gemacht hatte, so gut machte ichs auch allhier, nur mit dem Unterschied, daß ich allhier mit der linken Hand schrieb, und also konnte man die Hand unmöglich kennen. Ich schrieb derhalben einsmals einen solchen Brief: ›Allerwerteste unter den Schönen! Wenn mir die große Eifersucht Ihres alten Schafhäusers nicht bekannt wäre, so hätte ich mich schon lange erkühnet, Ihre holdseligste Person, die an dem Wert allen [815] Kleinodien des berühmten Arabien vorzuziehen, untertänigst zu besuchen. Weil aber Ihr Herr die Eifersucht selbst, ja ein solcher Mann ist, der kaum dulden kann, daß Sie einen Hund bei sich habe, als wird er wegen solchen Beginnen nicht allein bei seinesgleichens allenthalben billig verhasset, sondern macht sich noch dazu den allerübelsten Namen. Dergleichen Gesellen, wie er ist, werden sonst am ersten betrogen, und eine solche Frau, wie Sie ist, hätte wohl billige Ursach, ihn zu strafen, weil er Ihrer Ehre und bekannten Keuschheit kein mehrers zutrauet. Wo ich wüßte, daß es Ihr Wille wär, wollte ich mit einer solchen extraordinar List in das Schloß kommen, daß auch keine Maus merken sollte, daß ich da wäre. Wenn ich aber komme und sehe, daß Ihr der Alte sogar auf dem Fuße nachgehet, so habe ich noch einen solchen Puffer hinter meinem Rocke, der ihm seinen Frevel genugsam dämpfen kann. Sie lebe wohl, o Unglückseligste unter den Schönen, und vergönne mir die hohe Ehre, mich zu heißen:

Ihres Namens ewigen Verwunderer.

Ein bekannter Freund.‹


Diesen Brief partierte ich durch gewisse Jungen ins Schloß, und kann nicht sagen, wie der Alte darüber erschrocken ist. Er wußte nicht, woher er war, dennoch forchte er und schämte sich, daß seine Wahrheit so weltkündig wäre. Nicht lang darnach kam ein Fähndrich an, welcher aus dem Krieg wieder nach Haus reisete, und weil mein Herr meinte, dieser wäre es, welcher den Brief geschrieben hat, ließ er ihn mit seiner Frauen hantieren, wie ihm beliebte. Nichtsdestominder schickte er mich allenthalben hinnach, und wenn ich wieder zu ihm kam, so hieß es: ›Hast du nicht dies gesehen, hast du nicht das gesehen? Hat ers nicht so gemacht? Hat er nicht so gesagt? Was hat sie gesagt? Was hat sie getan? Hat sie ihn nicht angelacht? Hat sie ihn angesehen?‹ und mehr dergleichen. Aber weil mir die Frau gar zu lieb war, redete ich das Allerbeste von ihr. Im Fall aber solches nicht gewesen wäre, wollte ich den alten Narren nicht allein in großen Kummer, sondern sie dazu in wackere Püffe gebracht [816] haben. ›Nein, mein Herr,‹ sagte ich, ›Ihr habt eine redliche Frau, sie wird ja das Ding nicht tun. Ei, was wollt Ihr meinen, nimmermehr ist Eure Frau eine solche, wie Ihr Euch selbst einbildet, Ihr werdet ihr ja das Reden nicht verbieten, noch zornig werden, so sie einen andern anschauet. Wozu hat uns die Natur das Maul, wozu hat sie uns die Augen gegeben?‹ – ›Ja, ja,‹ sagte er, ›du sagst schon wahr, aber halt nicht zu viel, nicht zu viel!‹ – ›Ja,‹ sagte ich, ›es heißet auch nicht zu wenig, nit zu wenig. Ihr trauet ihr zu wenig und tut ihr zu viel.‹ Damit kratzte er sich voll Seufzen wieder hintern Ohren. ›Gehe,‹ sagte er, ›siehe wieder zu, was passiert, ich wollt, daß der Henker den Kerl geholt hätte! Was hat er auf meinem Schloß zu tun? Er ist allgemach eine halbe Stunde dagewesen, könnte wohl wieder wegreiten. Ha, ha, er ist auf die Buhlschaft kommen, ja, ja, auf diese ist er kommen. Ach, gehe, gehe und sieh zu, daß er bald wieder wegreite.‹ Und also machte ers mit allen, die ihm zusprachen.

Ehe er schlafen ging, leuchtete er in alle Winkel wie auch ober und unter die Bettstatt, griff auch unter den Strohsack und visitierte alle Kleiderkästen, ob sich vielleicht jemand zu seinem Nachteil dahin verstecket hatte. Und wenn der Wind nur ein bißchen ans Fenster stieß, so meinte er, es würfe jemand an. Wenn sie über Feld ging, so passierte er hinter ihr drein, und so viel sie an einem fremden Ort mit einem andern Wort redete, so viel gab er ihr nach ihrer Heimkunft Ohrfeigen. Einsmals redete sie im Schlaf, da meinte er nicht anders, als wäre ein Kerl bei ihr. Er brannte also sein Licht an und saß die ausgehende Nacht bei demselben am Bette. Einsmals bildete er sich ein, als wär unter seinen Mägden eine verkleidete Mannsperson, und damit er eigentlich hinter die Wahrheit gelangen konnte, hieß er die Magd mit mir in den Heustadel gehen; daselbst hieß er mich, sie über den hohen Stoß abzuschüpfen, wovon sie auf das untere Strohe ohne Gefahr fallen konnte, wie denn die jungen Knaben oft dergleichen Sprünge tun. Und also konnte der Edelmann, indem sie sich im Fall wohl dreimal überstürzte, aus dem Zweifel geraten, daß dem nicht also gewesen, [817] wie er sich fälschlich eingebildet hat. Er starb aber bald darnach, und weiß nicht, ob die Wittib wieder gefreien hat oder nicht, indem ich von dar zu dem von Seewalchen und von dar zu Euch gekommen bin.«

9. Capitul. Die Magdalena hat nichts Guts im Sinn
IX. Capitul.
Die Magdalena hat nichts Guts im Sinn; wird wieder auf guten Weg gebracht.

Zwischen dieser und anderen zeitkürzenden Historien kamen wir endlich mit großen Freuden wieder nach Haus und wurden von den Unserigen allerseits auf das höflichste empfangen. Aber ein Weib, welches ehedessen auf Dietrichs Landgut als eine Spinnerin gedienet, rufte ihn noch auf offener Straßen hinter einen Baum, allwo sie ihm umständlich erzählet, daß seine einzige Muhme nach seinem Abscheiden sich in das allerliederlichste Leben begeben und nunmehr in einer bekannten Stadt gleichsam in einem öffentlichen Hause sich aufhielte. Diese Erzählung wie auch das Angedenken der zurück in dem Raubnest gebliebenen Knechte waren das einzige Übel, das wir unter so vielen angenehmen Freuden fühleten; und weil wir gleichsam noch in voller Reise waren, ritten wir dahin, und Christoph weinete unterweges die lichten Tränen, weil er rundraus gestund, daß er sich in die Magdalena, so hieß dieselbe, rechtschaffen verliebt, sich auch entschlossen hätte, sie nach seiner Zurückkunft zu ehelichen.

Nicht lange darnach kamen wir in die Stadt, und zwar in ein solches Wirtshaus, darin manch ehrliches Gemüt mag geradbrecht sein worden. Denn als wir die erste Mahlzeit gegessen, kam eine alte Kupplerin zu uns und fing schon an von ferne mit ihrem Schmunzeln zu verstehen zu geben, was sie uns in der Nähe sagen wollte. Sie zog die Gosche nicht viel enger als eine Fuhrmannstasche voneinander, und man erschrak, so man ihre Löcher, welche ihr ganz zahnlos im Munde waren, erblickete. »Ihr Herren,« sagte sie heimlich zu uns, »beliebt Ihnen, ein halbes Stündlein mit perfecten Frauenzimmer zu passieren, so lesen Sie sich in diesem [818] Büchlein eine aus.« Hiemit gab sie uns ein Buch, in welchem mehr als funfzehen Weibspersonen abgemalet stunden, darunter zwar diejenige nicht zu finden war, von welcher uns die Spinnerin erzählet hatte. »Ich sehe wohl,« sagte Dietrich, »daß hierinnen saubere Gesichter sind, aber wo ist diese, so Magdalena heißet? Sie ist ja hier und hält sich auch unter dieser Gesellschaft auf?« – »Ja,« sprach die Kupplerin, »sie ist erst neulich angekommen und dahero noch nit gezeichnet worden.« Als wir dieses aus ihr hatten, verkleideten sie mich aus meinem Einsiedlers-Habit, und also ging ich mit der Alten in das Haus, weil es höchst nötig war, dem Feuer zu begegnen, da die Funken noch in der Asche lägen.

Sie führte mich durch einen finsteren Gang, und das ganze Gemach war ziemlich dunkel gebauet, vielleicht darum, weil allda Werke der ewigen Finsternisse getrieben wurden. Ich seufzete vor Schrecken, aber die Alte sprach: »Seid getrost, es wird bald besser werden!«, und mit diesen Worten brachte sie mich zu der Magdalena, bei welcher noch zwei andere Dirnen im Zimmer stunden, von welchen sie allem Ansehen nach hineingelocket worden. Ich sagte zur Kupplerin, daß ich mit der Magdalena allein wollte zu tun haben, derowegen hieß sie die beiden Gespielinnen mit Manier hinweggehen; und ehe ich michs versah, stund der Tisch schon voll Confect. Soviel ich hierauf discurrierend von der Magdalena verstehen konnte, so hätte sie ihre Frau Mutter, welche ein rechter alter böser Balg war, dergestalten geprügelt und geschlagen, daß sie sich endlich entschlossen habe, dieses Leben anzufangen, wie sie denn erst vor acht Tagen hereingekommen wäre.

Ich nahm darauf ihre Hand, und als sie die meinige entgegen faßte, kannte sie den Ring ihres Vetters Dietrichens, der mir solchen in dem Wirtshause an den Finger gestecket. Über solchem Anblick entfärbte sie sich gänzlich und wurde gleich einem weißen Tuch. »Kennet Ihr«, sagte ich darauf, »aus diesem Ring, wer ich bin und zu was Ende ich hiehergekommen? Ich buhle nicht um Euren Leib, sondern vielmehr um Eure arme Seel, welche sich in eine so erschröckliche Gefahr gesetzet hat. Ich verlange Euch nicht zu meiner, sondern zu der Himmelsliebe zu bereden, dahin ich [819] Euch durch meine gute Leitung führen will. Wie könnt Ihr es, o Magdalena, immermehr verantworten, daß Ihr, Eures alten Geschlechtes und vornehmen Herkommens ganz vergessend, alle Freundschaft so auf die Seite setzet und Euch in eine solche Lebensart begebet. Meinet Ihr nit, daß ein Aug über Euch wache, von welchem all Eure heimliche Taten gesehen werden? Wo ist Euer Gewissen, Eure vorige Andacht und Euer ehmaliger Ruhm? O Magdalena, gehet in Euch selbst und folget in diesem Stück der heiligen Büßerin, mit welcher Ihr gleichen Namen führet. Ich bin Wolffgang, dessen Person und Leben Ihr nicht kann verborgen sein. Darum folget mir und begebet Euch beizeiten wieder nach Haus. Man muß die wunderliche Art der Mutter nicht so übel auslegen. Eltern haben ein großes Recht über Kinder; und wenn geschrieben stehet: Du sollst Vater und Mutter ehren!, so heißt es nicht allein, einen frommen Vater und Mutter, sondern auch einen wunderlichen Vater und Mutter. Darum machet Euch fertig und verlasset diesen schändlichen Ort. Mancher gehet mit Lachen herein und mit Weinen wieder hinaus. Er ist im Hereingang voll Unschuld, und im Austritt fühlet er die allerschärfeste Geißel des verletzten Gewissens. Ihr wisset, daß Euch Herr Christoph von Unterberg heimlich geliebet hat, dieser ist in Person allhier, Euch von diesem ärgerlichen Leben, in welchem Eure Seele so gewiß verloren wäre, als ich hier vor Euren Augen stehe, abzumahnen und sich, wofern Ihr annoch unbefleckt und rein seid, mit Euch annoch zu vermählen; darum sagt, was Ihr zu tun entschlossen und ob Euer sonst williges Gemüt durch diese Rede zu bewegen ist?«

Sie weinete unter diesen Worten die lichten Tränen, darum schärfte ich ihr das Capitul durch eine lange Sermon und brachte sie endlich noch selbigen Abend mit einem Mantel verdecket zu uns in das Wirtshaus, allwo sie ihrem Vetter ihr Verbrechen nicht allein abgebeten, sondern versprach noch über dieses, mit Versicherung, daß sie in solchem Stand in keiner Unreinigkeit gelebet, allen kindlichen Gehorsam. Doch daß ihre Mutter hinfüro mit ihr etwas höflicher und bescheidener umginge, weil sie kein Kind mehr [820] wäre und also mit keinen Schlägen wollte getractieret sein. Diese und alle andere bescheidene Handlungen der Jungfrauen entzündeten Christophen je länger je mehr, und zwar endlich dergestalten, daß er sich noch auf der Heimreise mit ihr verlobt und sie dannenhero stets vor sich auf dem Pferde geführet, mit ihr ein höfliches und seltsames Gespräche führend, dadurch er seine bisher auf der Reise mannigfältig ausgestandene Zufälle um ein merkliches versüßet hat.

10. Capitul. Die Knechte kommen wieder los
X. Capitul.
Die Knechte, so im Raubnest gewest, kommen wieder los.

Hierauf war die Ankunft der Verreisten bald durch den gemeinen Ruf in dem Land ausgetragen. Gottfrid, Wilhelm von Abstorff, der Advocat von Ollingen wie auch der kurzweilige Philipp überschickten den Angekommenen tausend Willkomm. So war auch Sempronio wieder aus dem Felde ins Quartier zurückgelanget, daß sich also die vorige Gesellschaft nicht allein wieder beisammen, sondern auch im höchsten Vergnügen befand. Ich begab mich ingleichen wieder nach meiner alten Klause zu der alten Kapelle im Wald, mich daselbst mit einem dazu bereiteten Salz meines Kropfes zu curieren und meiner fernern Andacht nachzuhangen. Nichtsdestoweniger entschloß ich, bei so beschaffenem Zustande dann und wann, gleichwie ehedessen Herr Friderich getan hatte, in dem Land herumzugehen und meinen guten Bekannten zuzusprechen, doch mit dem Unterschied, daß ich nicht, wie er getan, mit einem Sack betteln noch auch den Einsiedlers-Habit antragen wollte. Dannenhero ließ ich mir ein ehrbares Reisekleid mit starken Bundschuhen verfertigen, wohl wissend, daß weder das Kleid noch der einsame Ort, sondern der innerliche Schmuck und die Absonderung von der Erden ein frommes Leben mache.

Soviel ich sonsten von meinen Haushaltern verstanden, hatten sich meine Güter indessen ein merkliches vermehret. So wurde mir auch das Geld, welches ich vor Dietrichen auf der Reise ausgeleget, in purem Gold gleichsam doppelt bezahlet, [821] daß ich so manchen halben Tag genug in Ausmusterung der unterschiedlichen Gold- und Silbersorten zu tun und zu klauben hatte. Mit diesem Schatz bestimmte ich endlich, noch eine Kirche zu bauen und mir also dadurch viel ein länger Gedächtnis zu stiften, als wenn ich etliche ungeratene Kinder gezeugt hätte, welche mich in dem Grab geschimpfet und meinen Namen der Nachwelt zum Spott gemacht hätten. »Ha, es ist dir besser,« sagte ich, »daß du ohne Kinder stirbest, als daß du eine ungeratene Frucht auf Erden lässest. Willst du ein Gedächtnis nach dir, so baue eine Kirche, begabe sie mit guten Einkünften, so ist der Handel schon richtig.« Also vertrieb ich dazumal in dem Wald meine Zeit, unterweilen enthielt ich mich auch auf dem alten Schloß zu Steinbruch und gab daselbst den Bauren Audienz, welche mich schon eine ziemliche Zeit nicht mehr gesehen hatten. Führte also ein halb geistlich und ein halb weltlich Leben; und je andächtiger ich war, je größer wuchs mein Reichtum, bis ich endlich unter die Reichesten im ganzen Land gezählet worden.

So wurde mir auch meine Tat, indem ich die Magdalena von ihrem bösen Vorhaben wieder zurückgebracht, unter vielen Leuten, ob es zwar noch nit allzuweit ausgekommen war, dennoch vor ein vortreffliches Stück ausgeleget. Denn es ist viel härter, einen Irrenden auf den rechten Pfad bringen als ihn auf ebener Bahne zu erhalten; und also war die Hochzeit auf Dietrichs Schlosse angestellet, dabei die gesamte Gesellschaft erschien. Ich selbsten kam in meinem Reisekleide an, und als wir über der Tafel am fröhlichsten waren, kam der Torwärter mit einem Abschied zu uns, welcher einem Kerl zustund, der da vor dem Tor um ein Almosen bettelte. Sobald wir aber solchen eröffnet, fanden wir, daß er eben einem unter den Knechten zustund, die etliche Wochen zuvor in dem Raubnest, nach dem Inhalt dieser obigen Schrift, zurückgeblieben. Niemand verwunderte sich mehr, als die wir um diese Sache wußten und uns allgemach eingebildet hatten, als wären diese Leute in dem Raubnest schon lang verfaulet. Derohalben las man den Brief geschwinde durch, welcher in folgendem Inhalt bestund:

[822] ›Ich, Julio vom Kreuz, Ritter der Insul Malta, bekenne durch Zeigern dieses, daß, ob ich ihn gleich als einen durch meine Faust aus der Gewalt der Räuber Erlöseten zeit seines Lebens zur ewigen Leibeigenschaft hätte verbinden und verhaften können, dennoch zu seinem Besten und zu Ausbreitung des Ruhms der Ritterschaft ohne Entgelt frei und ledig gelassen, also daß er nicht allein, wo es seine Gelegenheit ist, sich sicher und ohne Gefahr in anständige Dienste einlassen, sondern die Zeit seines Lebens mir mit nichts, als wozu ihn seine Dankbarkeit anweiset, verpflichtet sein darf. Urkündlich und zu Bekräftigung dieses habe ich mich auf sein dienstliches Ersuchen eigenhändig unterschreiben und mein gewöhnliches Petschaft hiebei anfügen wollen.‹

Zu besserer Auslegung dieser Schrift ließen wir ihn durch den Torwärter an die Tafel rufen, allwo er uns nicht allein mit unbeschreiblicher Freude empfangen, sondern noch dazu alle diese Sachen erzählet, welche mit ihm und seinen Gesellen in dem Raubnest vorgelaufen. Weil nun die ganze Compagnie von dem vorigen Discurs allgemach satt und ermüdet war, baten wir ihn, zu unserm desto größern Vergnügen, seinen Zustand zu erzählen und auf das allerkürzeste zu entwerfen, wie und auf was Weise er losgekommen. Hiermit fing er an, und nachdem er sich nächst dem Schenktisch niedergelassen, redete er so:

»Dieselbe Nacht, als wir in dem Raubnest angelanget, ließ man unter uns Dienern keinen zu dem andern. Mich schlossen sie, sobald ich die Pferde in Stall gebracht, in eine finstere Kammer, darinnen ganz kein Fenster zu sehen war. In solcher Dunkelheit machte ich mir die allerwunderlichsten Gedanken und merkte schier, wo es hinauswollte. Es half da weder Schreien noch Rufen, sondern ich mußte da im Finstern so lange sitzenbleiben, als lang diese Gesellen wollten, und hätte ich auch darinnen vor Hunger sterben müssen. Endlich brachte mir ein Kerl Brot und Wasser und hieß mich gutwillig in die Fessel zu begeben, indem mein Herr allgemach seinen Rest schon empfangen hätte. Über dieser Zeitung, wie Ihr leichtlich urteilen könnet, habe ich mich sehr entsetzet und mich ohne allen Widerstand anschließen [823] lassen. Ich fragte zwar, wo meine Kameraden wären, weil ich aber verstanden, daß es keinem besser als mir ginge, konnte ich weiter nichts aus der Sache machen und mußt mit Geduld erwarten, was daraus werden wollte. Ihr könnt euch leichtlich einbilden, was ich in diesem finsteren Gewölb vor Grillen gefangen habe, und weil ich weder Uhr noch Glocke hörte, wußte ich oft nicht, war es Tag oder Nacht.

Nicht lange darnach schloß man mich wieder aus, und als ich auf den Hof kam, sah ich meine zwei Gesellen wie die Hunde aneinandergekuppelt mitten auf demselben stehen; und also führten sie uns wieder gen Welschland, auf ebender Straße, dahin wir zuvor hergeritten haben. Den dritten Tag darnach kamen wir in einen Wald, darinnen eine große Jagd vorüberging, und allda traf uns das sonderliche Glück, daß, indem ein junger Ritter einem Hirsch nachstellete, er mit etlichen Jägern an uns stieß. Er hieß die Räuber stillstehen, und als er aus uns geforschet, auf was vor eine Art sie uns gefischet hätten, umringte er sie und nahm sie gefangen. Nach diesem hat er auch ihr Schloß zerstöret und darinnen großen Reichtum von gestohlenen Sachen angetroffen. Uns aber, die er zu solcher Hülfe gebrauchet, gab er, nachdem die Burg auf den Grund verwüstet worden, frei und jedem zur Versicherung dessen einen solchen Brief, wie Ihr von mir gesehen habet. Meine zwei Gesellen liegen krank, ich aber habe mich wieder allher begeben, zu suchen, wem meine Dienste anstehen.« Auf diese Relation nahm ihn Christoph, bei dem er gedienet, wieder an und verdoppelte ihm seinen Jahrlohn.

Hierauf erhebte sich unter den Hochzeitgästen eine Frag, ob der Mensch, es möge auch sein, wer er wolle, durch die Zigeuner und Wahrsager aus den Lineamenten der Hand oder der Stirn nicht wissen könne, was ihm vor Glück oder Unglück zustoßen könne. Allein es wurde gesagt, daß zwar die Lineamenten der Hand zuweilen etwas andeuten, das doch notwendig nicht geschehen müßte. Das Gestirn des Himmels oder die Constellationes des Menschen machten ihn wohl zuweilen zu einer Tugend oder einem Laster geneigt, [824] aber sie nötigten ihn nicht. Wie an dem gelehrten Socrate zu sehen, der eine böse Physiognomie hatte und doch sehr tugendsam gelebet hat. Also kann man eine Natur, die zum Bösen durch die Geburt geneigt ist, dennoch mit einem vorsichtigen Fleiß dergestalten zwingen und umwenden, daß das Gute draus folget. Hingegen versaumet auch oft mancher seine gute Neigung durch allzu gelindes Nachsehen seiner Natur und tut vor das Gute das Böse. Und was hilft es auch endlich, wenn der vorwitzige Mensch gleich weiß, ob es ihm wohl oder übel gehen werde? Soll es ihm wohl gehen, so verläßt er sich drauf, soll es ihm übel gehen, so betrübt er sich und hat also auf beiderlei Weis große Gefahr zu befürchten. Was wäre es, wenn man einem Mann, der seines Weibs gern los wäre, wahrsagte, daß sie vor ihm sterben würde? Nun, gesetzet, es geschähe also und sie stürbe ein Vaterunser lang ehe als er, was ist ihm damit geholfen? Dennoch hätte er sich immer indessen drauf verlassen, und auf die letzte hätte er doch keinen Nutzen davon gehabt. Einer forchte sich vor dem Wasser, dem wurde wahrgesagt, er würde nicht ertrinken, da freuete er sich über die Maßen, aber endlich wurde er gehangen. Mancher wünschet sich ein hohes Alter. Da wurde auch einem gesagt, der da forchte, er würde kaum dreißig Jahr alt werden, daß er ein steinalter und eisgrauer Mann werden sollte. Aber was half ihm sein Alter, indem ihm nach der Weissagung ein Bein gebrochen, nachmals hat er den Stein bekommen und hat solchen Schmerzen bis ins Grab viel Jahr lang tragen müssen. Eine Frau hätte gern Kinder, und wie man ihr sagte, daß sie sollte deren acht bekommen, war ihre Freude unmäßlich. Aber als es erfüllet war, wurde sie von einem Kind da, von dem andern dort geschlagen und brachten sie also ins Grab. Einem wurde gesagt, er sollte verbrennt werden. Darum war er immer traurig, enthielt sich der Gesellschaft und floh alle böse Gesellschaft. Als er nun einsmals an dem Abend bei seinem licht einschlief, ergriff die Flamm die Tapeten, und er mußte jämmerlich im Feuer sterben, ehe man ihm helfen können.

Drum sind solche Wahrsagungen bloßerdings nicht allein [825] nichts nutze, sondern auch verboten und unchristlich, absonderlich aber denen an ihrer Seligkeit schade und nachteilig, die gar zu viel darauf halten. Ja, es geschicht nicht selten, daß es denen, die darauf bauen, eben also gehet, wie sie glauben, und nicht darum, daß es also sein hat müssen, sondern wegen des Aberglaubens, den sie darauf gehabt haben. Daher sind unter den Christen noch so viel Aberglauben, und werden oft an den Kindern um der Mutter ihrer Leichtglaubigkeit willen alle die Dinge wahr, die sie liederlich geglaubet hat. Hätte sie es aber nicht geglaubet, so wäre auch nichts daraus geworden. Gleichwie nun der Gerechte um seines Glaubens willen lebet, also wird der Ungerechte um seines Unglaubens willen gestraft. Was helf es dich, wenn dir gleich einer sagte, du solltest der reiche Crœsus werden, wenn du mit ihm auf den Scheiterhaufen gesetzet würdest? Also suchet der Vorwitz nur hohe Dinge und weiß doch nicht, daß die Baueraxt viel glücklicher als ein Königsscepter sei. Aber solang man einer Sache nicht genossen hat, schätzt man sich immer unvergnügt. Wenn mans aber genossen, so sieht man erst, daß man in der Meinung, die man davon gehabt, betrogen worden. Wie mancher lebte noch, der sich da wahrsagen lassen, er würde ertrinken? Über solches sind ihrer etliche betrübt worden, haben der Melancholey mehr eingeraumet, als sie gesollet, und haben sich endlich aus purer Desperation selbst in das Wasser gestürzet und sind ihres eigenen Leibs um ihres Unglaubens willen zu Mörder geworden.

11. Capitul. Redet von Wahrsagen und Träumen
XI. Capitul.
Redet von Wahrsagen und Träumen, absonderlich von dem Scanderbeg.

Die Gelegenheit zu dieser Frage gab etliches Frauenzimmer, welches sich kurz zuvor von einem jungen Vetter des Herrn Friderichs hatte in die Hand gucken lassen, und dannenhero hatten sie aus der Erzählung des Knechtes Ursach genommen, dieser Sache etwas nachzufragen. Es wurde hierauf auch von Träumen geredet und diesen mehrer Kraft als dem [826] Handgucken zugeschrieben, weil man in göttlicher Schrift etliche Exempel finde und insonderheit des Josephs, welcher dem Bäcker und Mundschenken ihre Träume ausgeleget und allen beiden, obzwar mit merklichem Unterscheid, dieselben gedeutet hat. Denn der eine kam wieder zur vorigen Ehrenstelle, der andere aber wurde an den lichten Galgen gehangen. Also träumet noch manchem Menschen, absonderlich aber hohen Personen und an welchen viel gelegen ist, und wird diesen gleichsam vorbildsweise angedeutet, was ihnen vor Glück oder Unglück zustoßen, item, wie die oder jene Veränderung sich ereignen wird. Einem berühmten Professor auf der Universität Wittenberg traumte, als wäre ihm seine Schlaguhr vom Tische auf den Boden gefallen. Als er folgendes Tages über die Elbe gefahren und diesen Traum einem seiner guten Freunde erzählet, sind sie beide ertrunken. Der Mutter des preiswürdigen Helden Scanderbegs oder Alexandri Castrioti, dessen Leben und Geschichten so weit bekannt sind, als die Sonne gehet, dieser, sage ich, traumte in der Nacht, darauf sie diesen ihren tapfern Helden geboren, als käme eine erschröcklich große Schlange aus ihr, so mit dem Haupt vor Constantinopel reichte und den türkischen Kaiser verschlänge, mit dem Schwanz aber reichte dieser Wurm bis an die teutsche Grenzen. Über diesen Traum ist die schwangere Frau heftig erschrocken, aber ihr Herr Johannes legte ihr den Traum wohldeutend aus, wie denn hernachmals in dem Werk erfolget ist, daß dieser Scanderbeg ein so großer Held geworden, der den Türken so oft in die Flucht geschlagen hat, als oft er von ihm ist angegriffen worden. Er hat über sechzig öffentliche Haupttreffen wider den Erbfeind gewonnen und ist nicht öfter als einmal in allem seinem Streit in die Flucht geschlagen worden. Dieses ist geschehen vor Griechisch-Weißenburg in Ungarn, vielleicht darum, auf daß er ein Zeugnis hinterließe, daß auch der größte Held könnte überwunden werden.

Ich will unter allen dies einige von ihm allhier gedenken: Als er einsmals von dem türkischen Kaiser durch einen Abgesandten ersuchet worden, er solle auf Trau und Glauben [827] ihm, dem Kaiser, seinen Säbel, mit welchem er die Türken gemeiniglich in zwei Teil auf einen Hieb voneinander geteilet, überschicken, hat er solchen dem Gesandten mitgegeben, welchen auf dem kaiserlichen Hof kein Soldat, so geschickt derselbe auch gewesen, hat schwingen und brauchen können. Der Kaiser, welcher gemeinet, als wäre dieser nicht der rechte, schickte ihm solchen wieder und schrieb, daß es unmöglich der rechte sein könnte, weil ihn unter allen seinen Leuten keiner zu schwingen wüßte. Da schrieb Scanderbeg hinwieder an den Kaiser, daß er ihm zwar den rechten Säbel, aber nicht die Faust und den Arm überschickt hätte, mit welchem dieser Säbel geführet und geschwungen würde, und solle er solche Wirkung seines Säbels allernächstens im Felde erfahren. Wie er denn dadurch solche Taten verrichtet, die hier nicht alle können erzählet noch aufgezeichnet werden. Es ist ein eigenes Buch heraus, darinnen dieses mannlichen Helden Lebenslauf sehr zierlich und angenehm zu lesen und noch Unzähliges zu finden ist, was zu des curiösen Lesers Vergnügung dienet.

Will also dieses dermalen von etlichen und nicht von allen Träumen aller Leute gesagt haben. Denn nachdem man zuweilen lebet, nachdem traumet man auch. Ein anders ist ein Præsagium, ein anders ein Phantasma. Da es nun heutzutage so viel Traumdeuter und Traumbücher gibt, läßt man jedem die Freiheit zu lügen, was er will, und glaubt unterdessen doch wohl, daß die Wahrheit der heutigen Traumdeuter meistenteils mit Lügen versiegelt sind. Auf dieses redete man von Visionen, Gesichtern und absonderlich von Sonntagskindern, welche vor andern solche Sachen am ersten sehen sollten. Denn es war ein Edelmann zugegen, der sagte, er hätte in seinem Dorfe einen Schuhknecht, derselbe wär ein solches Sonntagskind und könnte einem einen ganzen Tag lang von lauter solchen Sachen erzählen: Wie er nämlich einsmals auf seiner Wanderschaft, als es hätte wollen Abend werden, bei einer Dorfkirche vorbeigegangen und auf der Freithofmauer ringsherum lauter Hunde sitzen und bei jedem ein Wachskerzlein hätte brennen gesehen. Solche Erzählungen referierte uns der Alte von Adel von diesem [828] Schuhknecht etliche, welche mehr fabelhaft aussahen als die älteste Märlein; und es ist nicht zu leugnen, daß es manchen Galgenvogel abgibt, welcher, nachdem er siehet, daß den Leuten dadurch einziges Wohlgefallen geschiehet, gibt er sich vor ein Sonntagskind aus und erdichtet so viel Lügen, als ihm einfallen. Welches ohne Zweifel diesem redlichen Manne mit dem Schuhknecht auch mag begegnet sein, weil er allem Ansehen nach gar viel und große Häuser auf dergleichen Grillen bauete. Die Linien in der Hand aber insonderheit hier zu gedenken, sind dieselbe nicht von Natur, sondern vielmehr deswegen in der Hand, weil man durch stete Auf- und Zuschließung der Hand solche in die Fläche einpresset und figurieret. Denn man nehme die Haut an einem andern Ort des Leibs, tue oder zwicke solche oft zusammen, so wird es, nachdem man drucket, auch eine solche Lineam abgeben, welche aber, weil die Motion, dadurch sie verursachet worden, nicht continuiert, bald wiederum vergehen muß.

Hiernächst redete man, wegen Veranlassung des Scanderbegs, von unterschiedlichen großen und starken Helden wie auch von Riesen und anderen großgewachsenen Leuten, dabei des großen Rolandes, der in dem Pyrenäischen Gebirg gestorben und begraben ist, öfters und mit vielem gedacht ist worden. Sein Horn und Schwert sollen von großen Kräften gewest sein, daß, wenn er solches geblasen, all seine Feinde gezittert haben. Mit seinem Schwert hat er sowohl durch den härtesten Stahl und Eisen als durch Leinwat und Tuch hauen können. Und dannenhero verlachte man diejenigen Scribenten, die aus Veranlassung solcher wahrer Eigenschaften weiß nicht was vor Ritterbücher geschrieben, da bald ein Hug Schapler, bald ein Ritter mit den silbern Schlüsseln ein Abenteuer überwunden und einen Riesen totgeschlagen hat. Doch haben dergleichen Lügen ihren sonderlichen Nutzen unter der Handwerksbursch, welche sich sonn- und feiertags ohnedem in den Wirts- und Leutgebhäusern (so heißt mans in Österreich) voll und halb unsinnig saufen. Solchem zu steuern hat, wie ich meine, die alte Welt dergleichen Märlein in Druck ausgehen lassen, [829] damit sie die müßige Stunden in Durchlesung solcher Blätter nicht so unnütz zubrächten. Aber es geschicht oft, daß, wenn ein Schuhknecht, Schmiedknecht oder Weberknapp lieset, wie ein wackerer Ritter der edle Herr Hug Schapler gewesen und wie fix er die Ritter über die Schindmähren hinuntergestoßen habe, so bilden sie sich ein, auch große Ding zu tun. Fangen dannenhero oft um einer Lumpensach oder um ihrer Mädchen willen mit einem andern Handwerksbursch einen Streit an und zerzausen sich aneinander wie die Wildkatzen, daß bald einer hinten, der andere vorn am Kopfe ein Loch davonträgt und mit zerrissenem Überschlag nach Haus wandert. Und obschon zu diesem Handel solche Bücher eigentlich nicht können eine Ursach genennet werden, so sind sie doch deswegen nicht zu loben, weil die Bursch etwas Bessers davor lesen könnten. Doch ist die Jugend und absonderlich die wachsende Stärke begierig, von großen Taten zu hören, und ich weiß selbst, wie mir ehedessen gewesen, wenn ich noch als ein Jüngling zu dergleichen Büchern geraten können. Da hätte ich nicht Zucker vor solche Historien gefressen, absonderlich da ich vom starken Gofrey las, und wie manches Abenteuer in der schönen Magelone enthalten war.

Dadurch habe ich oft meine Schulsachen versaumet, aber nichtsdestominder mein Gemüt trefflich beherzt gemacht, weil ich oft solche Kerl anzugreifen getrauet, welches mancher Schlucker von zweiundzwanzig Jahren nicht hätte unterstehen dörfen. Ich war auch, weiß nicht aus was Ursach, den großen und starken Leuten viel gewogner als den kleinen und schwachen Hosenkönigen, die kaum eine halbe Spann weit über das Wams heraus sehen und derer man ihrer zwei in ein Felleisen zusammenpacken kann. Absonderlich ergötzte mich die Histori im Fortunato, da er und sein getreuer Leopold ihren Wirt zu Constantinopel so artig in den Born geworfen. Aber gleichwie mir solche Lust bald kam, also verschwand sie auch bald, und gleichwie ich die Zeit solcher Jugend mit dergleichen Schriften vertrieben, also vertrieb ich das folgende Alter als ein erwachsener Jüngling unter dem Frauenzimmer, bei welchem es mir auch sehr [830] abenteuerlich gegangen. Dieses habe also von dem Discurs melden wollen, welchen wir allda über Tafel kreuzweis untereinander gehalten haben.

12. Capitul. Der Pfarrer erzählet von Mönche und Pfaffen
XII. Capitul.
Der Pfarrer erzählet von unterschiedlichen Orden der Mönche und Pfaffen.

Nach diesem redete man von der schröcklichen Verwegenheit der Räuber und anderen ehrlosen Gesindleins, absonderlich aber von den welschen Banditen, die da oft um einen schlechten Recompens nicht allein die Leute wacker abprügeln, sondern sie mit einem heimlichen Puffer in die Rappagnie brennen, daß ihnen der letzte Atem vergehet. Einer erzählte diese, ein anderer eine andere Historia. Auf solches verwechselte sich der Discurs wieder in eine andere Materie. Da kam die Frage mit ein, obs besser wäre, groß oder klein, mager oder fett zu sein. Da lobte das Frauenzimmer die Großen vor die Kleinen, und weil solches ein Junger von Adel, so ein lustiger Kamp war, nicht wohl leiden konnte, daß man ihn durch diesen zufälligen Discurs wegen seiner niedrigen Postur durch die Hechel gezogen, ließ er durch seinen Pagen, welcher eine helle Stimme hatte, hinter dem Ofen folgendes Lied absingen:


Ihr Leute pfleget mein zu lachen
Und könnet trefflich höhnisch sein,
Daß ich hab einen kleinen Rachen
Und schiebe große Brocken 'nein.
Den kleinen Hunden hänget man
Die allergrößten Klöppel an.
Wenn ich noch zwanzig Mäuler hätte
Und funfzig Finger in der Hand,
Ich wollt noch endlich werden fette
Wie eine Sau im Bayerland.
So aber hab ich all mein Schmer
Gleichwie die Ziegen innenher.
[831]
Ich bin ein armer Käsemaden
Und kaum so schwer als eine Laus.
Ich bitt, begucket meine Waden,
Sie sehen wie ein Blasrohr aus.
Drum laßt mich meinen Hunger stillen,
Auf daß ich meine Strümpf mög füllen!

Diese drei Strophen, so kurz sie waren, so lang lachten wir darüber, denn der Jung war ein Erzschelm und hatte sie, wie sein Herr selbst bekannte, ihm selbst einsmals zur Lust aufgesetzet, wie er dann noch mehr dergleichen absingen müssen, daraus man wohl abnehmen können, daß er einen fähigen Kopf und noch zu einem mehrerm geschickt war, wie ehedessen der kurzweilige Jäckel gewesen, von welchem daroben im dritten Capitul des vierten Buches ein mehrers erzählet worden, wie listig er eine und andre Invention an die Welt gebracht. Und wenn ich gewußt hätte, wo er sich dermalen enthielte, hätte ich ihn ohne allen Zweifel in meine Schlösser aufgenommen und ihn mit einem guten Dienst versehen. Nach diesem tanzte man, bei welchem ich den Gedanken des Augustini nachgehangen, der da vorgibt, daß jeder Tritt in dem Tanz gleichsam ein Gang zu der Höllen sei. Und wenn mans recht betrachten will, so ist es nicht viel anders. Als ein Weltmann habe ich zwar solches nicht erkennet, aber nachdem ich alle zeitliche Eitelkeiten aus dem Kopfe verbannet, kennete ich viel Sachen, die ich zuvor vor Gold gehalten, daß sie nur Stein und Blei wären.

Darum führte ich indessen mit dem Dorfpfarrer einen Discurs vom Klosterleben, und daß mancher Mönch in seiner Zellen sicherer säße als der König in Portugallen. Solcher und dergleichen Reden gebrauchten wir uns bei einem hübschen Gläslein Wein, und haben wir gleich nicht getanzet, so haben wir doch desto mehr getrunken. Er sagte, daß die Klöster allgemach anfingen, ihrer alten Freigebigkeit zu vergessen, und daß es ihn unbeschreibliche Mühe gekostet habe, den titulum mensæ zu erbetteln, weil man solchen nur diesen am allerehesten zu geben beflissen war, von welchen man den meisten Nutzen hätte, nach dem Sprüchwort: [832] manus manum lavat. »Mein Herr,« sagte ich, »was ist der titulus mensæ, und was hat es damit vor eine Beschaffenheit?« – »Es ist«, antwortete er, »eine alte und löbliche Ordnung unter uns Geistlichen, daß, wenn einer auf dem Lande will Priester werden, muß er aus einem Kloster den titulum mensæ haben, das ist: wenn etwan einer aus zustoßender Krankheit krumm, lahm, siech oder sonsten gebrechlich wird, davon er seinem Amte nicht mehr vorstehen kann, so ist es klar, daß die Dorf- oder Bauerschaft einen solchen Krüppel nicht ernähren kann. Nun dörfte es dem andern wie dem ersten gehen, und würde also den Pfarrkindern eine große Last auf den Hals geladen. So ist demnach dieser titulus mensæ eine Versicherung und Brief, daß, wenn man nämlich mit einzigem Gebresten beladen und dadurch ganz untauglich würde, seinem Dienst ferner vorzustehen, so muß das Kloster, aus dem man solchen Brief hat, den Priester zu sich nehmen und ihn zeit seines Lebens erhalten und pflegen. Stirbt aber der Pfarrer im Dorfe, so ist er hingegen schuldig, all sein Hab und Gut dem Kloster zu verschreiben und zu vertestieren.«

Diese Ordnung, gleichwie sie an sich selbst löblich ist, gefiel mir ausdermaßen wohl, weil dadurch zu beiden Teilen gleichsam ein Interesse war. Er erzählte mir ingleichen von unterschiedlichen Orden der Mönche, als erstlich von dem scharfen Leben der Cartäuser, welche das ganze Jahr kein Fleisch essen dörfen, und solches genießen sie nicht eher, bis der Christtag auf einen Freitag fällt, das ist alle sieben Jahr einmal. »Sie dörfen«, sagte er, »die ganze Woche nur zweimal, und zwar nur eine Stund, miteinander reden, und solcher Discurs ist von lauter himmlischen Sachen; die übrige Zeit in der Wochen sehen und reden sie wenig oder gar nichts miteinander. Sooft sie aneinander begegnen, so spricht der eine: ›Memento mori!‹, gedenke des Todes. Dieses ist ihr gewöhnlicher Gruß, dadurch sie sich ihrer Sterblichkeit erinnern. Sie peitschen sich alle Wochen dreimal aufs Blut und tragen härene Kleider auf dem bloßen Leib. Sie lassen durchaus kein Weibsbild, wes Standes oder Condition dieselbe auch sei, in ihre Klöster, und man hat zu tun, daß man in ihre Kirchen kommet. Sie stehen um Mitternacht zur Metten [833] auf und verrichten oft in der härtesten Kälte die allerlängste Andacht. In diesen Orden sind viel Fürsten und Grafen getreten und haben darin bis an ihr Ende mit unglaubiger Geduld und Pönitenz gelebet. Es ist gleichwohl nichts Geringes, alle seine Güter verlassen, derselben sich in Ewigkeit verzeihen und in einen solchen strengen Orden zu gehen, absonderlich an einem solchen Herren, der in der Welt in aller Pracht und Üppigkeit leben könnte. Sie schlafen auf schlechten Betten und bringen fast ihr ganzes Leben mit Meditieren zu; dahero sind die Betrachtungen, welche sie von dem Himmel, der Höllen, dem Tod und dem Letzten Gericht geschrieben, überaus wohl zu lesen. Ihre Klöster sind von den Städten abgesondert, und ihre gewöhnlichste Speise sind Fisch und Kohl samt anderen Gartenfrüchten. Wenn einer in Anfechtung fället, so läutet er ein Glöcklein, zu welchem jeder in seiner Zelle einen Henkel hat, auf daß die andern vor ihn beten, und also weiß keiner, wer geläutet hat. Ein recht alter Cartäusermönch ist ein rechtes Muster der Traurigkeit und Melancholey, lebt stets in der allergrößten Demut und Observanz gegen die Obern, ist von der Welt nicht allein mit dem Leib, sondern auch mit dem Geist abgesondert, hält stets im Gebet und guten Werken an, weinet und seufzet über seine Sünden, betrachtet stets himmlische Sachen. Verachtet hingegen die Erde und all ihre Werke, überwindet sich selbst und seine falsche Begierden, gibt allen seinen Brüdern und Religiosen ein gutes Exempel, schreibet der Nachwelt zunutz andächtige Betrachtungen und redet nichts mit seinem Nächsten, als was zu dessen Heil und Seligkeit dienlich ist.

Zu einem so harten und strengen Leben gehöret eine gute und wohlbedachte Resolution, und ist dieser Orden entsprungen von dem Bruno, welchen etliche, absonderlich in Frankreich, vor heilig halten. Derselbe, wie aus der Histori bekannt ist, hat in Paris einen guten Freund gehabt, welcher ein vornehmer Rechtsgelehrter und sonsten dem äußerlichen Schein nach ein frommer Mann war. Als er aber gestorben und ihm wie gebräuchlich vor dem Sarg in der Kirche das Responsorium: Responde mihi gesungen worden,[834] richtete sich dieser Tote aus dem Sarg in die Höhe und sprach: ›Accusatus sum!‹, ich bin angeklaget worden. Als man des andern Tages wieder sang: Responde mihi, antworte mir, so sprach der Verstorbene wieder, indem er sich mit unaussprechlichem Entsetzen vieler tausend Menschen wieder aufhebte: ›Coram justo Deo judicio judicatus sum!‹, ich bin vor dem gerechten Gericht Gottes geurteilet worden. Den dritten Tag, als sich das Volk mit großem Gedräng abermal in der Kirche eingefunden, den Ausgang zu erwarten, erhebte sich dieser Verstorbene abermal auf den Versch Responde mihi und schrie: ›Justo Dei judicio [in] æternum damnatus sum!‹, ich bin durch das gerechte Gericht Gottes ewig verdammet worden. Dieses erschreckliche Spectacul bewegte diesen Bruno als seinen gewesenen guten Freund dergestalten, daß er die Welt verließ und in der Cartause – davon sie den Namen der Cartäuser führen –, nit weit von Paris, sich zu einer unbeschreiblichen Buße niederließ, und von diesem kommet also ursprünglich die Ordnung der Brunoiten, insgemein Cartäuser genannt. Und es ist nit zu leugnen, daß bei so augenscheinlichen Exempeln manchem ruchlosen Menschen das Herz trefflich gerühret wird, dadurch man siehet, wie nötig es sei, den Schein fahrenzulassen und der Wahrheit, wie es an sich selbst ist, mit aller Andacht und Sorgfaltigkeit unabläßlich nachzugehen.«

Weiter erzählete er mir von Capucinern, die nichts über Nacht behalten dörfen, und an diese gemahnten mich viel liederliche Brüder, welche ich zwar in einem certo Tertio hiermit will verglichen haben, welche auch all ihr Sächlein am Abend vertun, daß sie am Morgen fast betteln gehen müssen. Darnach lobte er den Orden der Benedictinermönch und sagte, daß er ehedessen bei ihnen studiert hätte, allwo er so viel Product bekommen, als rote Buchstaben im Calender wären. Auch daß dieselben Pfaffen die höchste Vergnügung in Auskehrung der Knaben ihrer Hinter-Castell suchten. Auf solches gedachte er der Canonicorum Regularium und sagte, daß er vor allen andern ein solcher hätte sein mögen. Aber weil er die Musik nicht verstanden, so haben sie ihn nicht annehmen wollen.

[835] Hiermit tat er von den Jesuiten Meldung, welche unter den andern allen die Allerehrgeizigsten wären, und daß ihrer etliche auf nichts studierten, als ihren Nächsten um das Seinige zu bringen. »Diese«, sagte er, »haben bis anhero tapfer vor den Papst und katholische Religion gestritten. Ihr Vorfechter war der berühmte Cardinal Bellarminus, dessen Schriften ich sehr hoch halte. Dieser hat allein so viel geschrieben, davon sich die anderen alle behelfen können. Auch ist unter ihnen berühmt der gelehrte Ariaga von Prag, wie auch der spitzfindige Jodocus Kedd, der ihrer viel aus dem Luthertum zu uns gebracht hat. Er war ein guter Disputator, und haben ihm seine Gegner nichts abgewinnen können. Er hat auch das Lob, daß er nichts oder wenig ausgeschrieben, sondern alles aus seinem Kopf und eigener Arbeit hervorgebracht. Wo er in eine Stadt kam, darinnen es Lutheraner gab, so schenkte er ihnen gemeiniglich zu Ostern und Pfingsten zwölf gedruckte Fragstücke, die bluthart aufzulösen waren. Also hat er die meisten, die ihm geantwortet haben, nur ausgelachet und hat sich durch seine Schriften absonderlich das Lob unter den Controversisten erworben, daß keiner so compendios als er jemals gedisputiert habe.

Aber der Pater Scherer ist in argutiis mehr als der Kedd bekannt, denn was Kedd mit Ernst angriff, das begunnte der Scherer nur auszuhöhnen, denn er sagte, daß das Luthertum keiner Disputation würdig wäre, darum hat er solches auch in allen seinen Schriften und Predigten nur ausgelachet. Einsmals sagte er zu Wien: ›Euer Lieb und Andacht! Die lutherischen Prädicanten schreiben zu ihrem Nam gemeiniglich ein lateinisches D oder ein M. Das D soll Doctor heißen, das M Magister. Aber es heißet so viel als Dieb und Mörder, wie die Schrift sagt: Dieb und Mörder sind sie gewesen. Also kann ich sie nicht anders heißen, weil es nicht anders in der Schrift stehet.‹ Ein andersmal predigte er vom Kirchenornat. ›Hört,‹ sprach er zu Krems in ihrer Kirche, ›wisset ihr, warum die Lutheraner und Calvinisten so gar keinen Schmuck in ihrer Kirche haben? Sie hängen ihn all an ihre Weiber!‹ Noch mehr dergleichen ist häufig in seinen Predigten [836] zu finden, und ich halte allerdings viel auf seine Inventionen.«

Diese vermischte Erzählungen des Pfarrers hörte ich mit allem Fleiß an, aber ich gab ihm weder mit Worten noch mit Mienen zu verstehen, was ich davon hielte. Aber nichts gefiel mir besser, als da er von dem Orden der fratrum ignorantiæ schwatzte, denn derselben Brüder ist die ganze Welt voll, und wenn es endlich mit allen Gelehrten auf den Grund kommet, so sind sie doch fratres ignorantiæ, und ich wollte, daß ich auch ein solcher Bruder sein und um all diese Schelmenstücke nicht wissen könnte, welche die Welt zu treiben pfleget. Denn in solcher Ignoranz stecket die allervollkommenste Scienz und Wissenheit, habe auch meinesteils diese jederzeit vor die Gelehrteste gehalten, die am wenigsten gewußt haben.

13. Capitul. Krachwedel ist Wolffgangs leiblicher Bruder
XIII. Capitul.
Krachwedel ist Wolffgangs leiblicher Bruder.

Bis daher habe ich mit großem Vergnügen auf der Hochzeit des Herrn Christophens gelebet, und nachdem sich die Hochzeitgäste wieder verloren, nahm ich gleich ihnen meinen Rückmarsch nach der Klausen, allwo ich zu Verkürzung der Zeit das Leben meiner seligen Eltern, welches sie mit eigener Hand aufgeschrieben, durchlesen habe. Ich hatte sie ehedessen noch niemalen gesehen oder aufs wenigste in der Bibliothek unter anderen Büchern nicht geachtet, weil sie nur in schlechten Pergament eingenähet waren. Aber weil solche Bücher unter anderen in einem Tragkorb unvorsichtig mit in die Klause getragen worden, sah ich endlich mit Wunder, was ich bis daher noch nicht gewußt hatte. Unter andern enthielt sich in denselben ein Paragraphus, daß nämlich meine selige Frau Mutter einsmals im großen Brand, welcher auf dem alten Schlosse zu Steinbruch in der Nacht entstanden, ein Kind mit Namen Emanuel zurückgelassen, welches ohne allen Zweifel, weil dazumal alles in die Asche gefallen, mußte verbronnen sein. Über dieses betrübte ich mich sehr, denn es hatte mir weder Vater noch Mutter davon [837] gesaget, habe dahero um diese Sachen keine gewisse Nachricht haben können. Nur dieses fand ich dabei, daß der Knab an dem rechten Fuß nur vier Zehen gehabt habe. Und als ich die Zeit zusammenrechnete, so wäre dieser mein Bruder um neunundzwanzig Jahr älter als ich gewesen, wenn er noch gelebt hätte. Nun war ich auch der Jüngsten keiner, sondern zählte allgemach neunundfünfzig Jahr, betrübte mich nichtsdestoweniger um diesen verbronnenen Emanuel und ließ ihm bald darnach in die Kirche zu Steinbruch einen Grabstein setzen.

Einsmals aber, als ich daselbst etliche Sachen wegen eines Grenzsteins schlichtete, kam eine steinalte Frau vors Tor und bettelte ein Almosen. Die erzählte unter andern, daß sie ehedessen allhier bei dem Pfarrer gedienet und daß es dazumal einen Brand gehabt hätte, in welchem das Schloß bis auf den Grund niedergesunken. »Ich half«, sprach sie, »ausräumen und fand ein junges Knäblein in einer Wiegen, das nahm ich heraus und legte es auf eine Gutsche, denn es waren gleich fremde Leute im Dorf. Möchte wohl wissen, ob dasselbe Kind noch lebte oder wo es wär. Denn wie ich wieder davonlief, ging auch das Dorf an, und die fremden Leute sind in der Nacht ohne allen Zweifel mit dem Kind, unwissend, daß solches auf dem Wagen war, davongefahren.«

Diese Rede der alten Bettlerin machte mich ganz verwirret, fragte nichtsdestoweniger noch mehr aus ihr; und allem Ansehen nach war ebendieses Kind der Emanuel, von welchem ich zuvor in meiner Eltern ihrem Lebenslauf gelesen hatte. Ich konnte aber, so sehr ich mich bemühete, dennoch nichts von diesem Emanuel erfahren, stellete also das Geschicke dem Himmel heim und lebte in meiner Einsiedlerei wohl drei Jahr in und zwischen allerlei Zufällen, welche solchen einsamen Leuten zuzustehen pflegen. Meine größte Freude war dazumal, daß ich auf unterschiedliche Dörfer ausging und den Geistlichen zusprach. Einsmals wagte ich mich ein bißchen weiter in das Land, und weil es dazumal zu wittern und regnen anfing, kehrte ich abermal in einem Pfarrhof ein, welchen ich sonsten willens war vorbeizugehen. [838] Der Pfarrer war ein überaus frommer Mann, und weil er auf seine Predigt zu studieren hätte, bat ich ihn indessen um ein Buch, darinnen die Zeit zu passieren. Er wies mich darauf in seine Bibliothek und stellete meinem Belieben frei, was ich indessen lesen wollte. Da eröffnete ich bald dieses, bald jenes. Endlich kam ich über die Kirchenacta und fand, gleichsam als hätte es so sein müssen, ein Blatt, darinnen stund geschrieben: ›Den Dritten dieses Monats ist ein Kind von dem Edlen Herrn von Selg allher ins Dorf geschicket worden, daß solches von einem seiner Bauern auferzogen würde. Dieses Knäblein ist besagtem Herrn von Selg, als er in dem Dorfe zu Steinbruch über Nacht gelegen, unter währendem Brand auf seine Gutsche geleget und, von ihm unwissend von wem, zum Schimpf und Spott angehangen worden. Die Bauern loseten drum, und traf das Los Nachbar Hans Krachwedel, der es auch ernähret und endlich zum Schmiedhandwerk gebracht hat.‹

Diese Nachricht las ich mit sonderlichem Herzklopfen aus dem Buch. Ich konnte durchaus nicht ruhen, unter die Geschichte zu gelangen und auf den Grund zu fischen. Brachte demnach so viel zuwegen, daß sie das Kind Andreas geheißen. Die Dorfschaft wußte aber nicht mehr, wohin dasselbe Kind gekommen wäre, weil fast der zehente nicht so alt war, daß er deswegen Rechenschaft geben konnte. Ich machte mir demnach treffliche Gedanken auf den alten Krachwedel, den ehrlichen Musquetier, welchen ich nach obigem Inhalt auf dem neuen Schlosse zum Verwalter bestellet. Denn er hieß eigentlich mit Namen Andreas, mit dem Zunamen Krachwedel, gleichwie der Bauer geheißen, der ihn auferziehen müssen. Da machte ich mich folgenden Morgens auf den Weg und kam endlich nach Hause. Und damit ich der Wahrheit desto besser gewahr würde, mußte er sich ausziehen und mir seinen rechten Fuß zeigen. Es fand sich in dem Weißen, was mir zuvor gleichsam als in einem Schatten ist erzählet worden. Hiermit konnt ich mich länger nicht bergen, sondern offenbarte ihm seine Geburt, welches er um so viel desto leichter glaubete, weil ihm auch wegen seines Geburtsbriefs das Handwerk hat wollen geleget werden. Ich [839] sagte, daß er der wahre Emanuel sei, und dannenhero weinten wir zusammen die allerhäufigsten Freudentränen und beschmerzten zugleich, daß wir erst in unserm hohen Alter aneinander kennenlerneten. Nichtsdestoweniger wollten wir diese späte Bekanntschaft mit einer desto größeren Einigkeit verbinden und uns eine friedliche Ruh zu der größten Glückseligkeit dienen lassen.

Hiemit übergab ich ihm das Schloß zu seinem Erb, dadurch er so mutig ward, daß meine Schwägerin zu ihrem ersten Erb, dazu ich schon vor vier Jahren Gevatter gestanden, noch einen dazubekam. Also wurde diese Geschicht nicht allein weit ausgetragen, sondern noch dazu meine große Freigebigkeit in Überlassung des Schlosses rühmlichst gelobet und gepriesen. Nach solchem hebte ich den Grabstein zu Steinbruch wieder aus, und er brauchte solchen zu einem Tisch, daran er seine allerbesten Freunde speisete. Und also ward der alte Knisterbart mein lieber Bruder und sein Weib, als meine geweste Köchin, meine Schwägerin und eine vom Adel, darein sie sich durchaus nicht zu finden gewußt. Weil aber die Heirat einmal geschlossen war, mußten wirs so dabei bewenden lassen, und ihr Mann war mit ihr so vergnügt, als ob sie eine königliche Princessin gewesen wäre, weil die Ehe nicht in der Geburt, sondern in Vereinigung der Herzen und Gemüter bestehet.

Als ich nun alle diese Sachen geschlichtet hatte, befahl ich meinen ältesten Vetter in gute Aufsicht eines Præceptoris, welchen Leuten ich von Jugend auf bin gut und wohlgewogen gewesen. Christoph aber und die andern berichteten mich, daß Herr Philipp das Hofleben nun gänzlich verlassen und sich auf seinem Gut zur ewigen Ruhe gesetzet hätte. Herr Wilhelm hat seinem Einsiedler gefolget, und gleichwie jener in seiner Klause, also betete und lebte dieser in seinem Schlößlein zu Abstorff, allwo wir ehedessen so manchen guten Fisch und Wildbraten samt einem frischen Gläslein Wein verzehret haben. Gottfrid lebte an seinem Ort im höchsten Wohlstand. Sempronio ist endlich zur hohen Charge gelanget und ein berühmter Soldat geworden. Friderich führte mit seiner Amalia zu Ichtelhausen ein vergnügtes Leben, [840] und von dem bekamen wir gemeiniglich die Ordinar-Zeitungen, was etwan hin und wieder in der Welt passierte. Dietrich brachte seine Zeit meistens in der Liebe zu, die er gegen eine Frauensperson von sonderlicher Schönheit getragen, und solche war er allerehestens zu heiraten willens. Christoph lebte mit seiner Magdalena gar wohl zufrieden und schaffte sich durch die Viehzucht großen Nutzen. Der Advocat, dessen hierinnen öfters gedacht worden, war gestorben, und dessen Tochter, so ein Ausbund von einem perfecten Mädchen war, heiratete der Student auf dem alten Schloß, welches ich ihm zeit seines Lebens geschenkt hatte; hernach aber soll es des alten Krachwedel seinen Kindern erblich heimgefallen sein.

Deswegen spickte der Student seinen Beutel beizeiten, und wo sich ein Bauer oder sonsten ein räudiger Knecht nur in dem geringsten verschnäckelte und mit seinem Mitbuhler auf dem Tanzboden raufte, so strafte er ihn, daß ihm der Hals hätte knacken mögen. Gleichwie ichs nun zuvor getrieben, also trieb ers auch und verbrachte seine Zeit mit tausendmal kurzweiligern Sachen, als ich getan hatte. Er kam gar oft mit seiner Flinte in den Wald zu mir, allwo ich diese Geschicht, zwar anfangs nur den vierten Teil, hernachmals aber gänzlich ausgearbeitet und beschrieben habe. Ob ich auch wohl anfangs entschlossen gewesen, nur einen einzigen Sommer zu beschreiben, hat sich doch dort und dar unter uns etwas zugetragen, das zur gänzlichen Histori eben wohl vonnöten gewesen. Ich wurde auch, als ich dieses schrieb, berichtet, wasgestalten mein ehemaliger Diener, der ehrliche Wastel, wäre aufs Rad geleget worden. Also bleiben die Laster nicht ungestrafet, und mangelt ihnen niemalen an der Rute, mit welcher sie sollen gestäupet werden. Kurz darauf wurde ein Kerl vom Herren Christophen an mich mit nachfolgenden Zeilen über schicket:

›Herzvertrauter Bruder! Dieser gegenwärtige Freund ist der elende Tropf, welcher mit allzu zeitiger Mariage sein Fortun verscherzet hat. Du kannst dich dessen wohl entsinnen, was uns der Page auf der Reise von ihm erzählet hat, daß er nirgends keinen Dienst bekommen können. Weil ich nun weiß, [841] daß Du zu seiner Accommodation genugsame Gelegenheit an der Hand hast, wird es an dem geneigten Willen keinesweges mangeln, welchen Du mir in dieser Bitte erweisen wirst. Ich lebe hinwiederum in Deinen Diensten, und dieser redliche Teufel wird solche Gratification lebenslang gegen Dir und den Deinigen zu demerieren wissen. Lebe vergnügt!‹

14. Capitul. Wolffgang begibt sich wieder in den Wald
XIV. Capitul.
Wolffgang, nachdem er seine Güter erbmäßig übergeben und der Welt ganz abgesagt hatte, begibt sich wieder in den Wald und macht also dieser ganzen Sommer-Geschicht ein ENDE.

Aus diesem verstund ich, daß es ebender gute Freund war, der ehedessen mit Christophens Page auf dem Edelhof gedienet, davon in dem siebenten und achten Capitel dieses sechsten Buches ist gehandelt worden. Ich machte ihn demnach zum Registrator, zum Korn-und Brauschreiber; in summa, was ich wußte, dazu er tauglich war, dazu mußt er sich brauchen lassen. Insonderheit mußte er die Kinder des alten Krachwedels im Lesen und Schreiben unterrichten, weil er zu solcher Function gleichsam von Jugend auf gewöhnet war. Entgegen gab ich ihm auch einen guten Sold, also daß er mit seinem Weib und Kindern wohl auskommen konnte, ohne was er mir sonst dort und dar wird auf den Schwanz geschlagen haben. Als er sich aber auf dem Schlosse wieder ein wenig ausgefressen, fing er an, seine alte Traurigkeit fahrenzulassen, und stiftete ärgere Possen an als der andere Student. Demnach hieß ich diesen den Virgilium und den andern den Horatium, weil sie alle beide gute Poeten waren. Ich aber begab mich wieder aufs neue aus dem Wald, weil es allgemach anfing Winter zu werden, und nahm meine Wohnung in einem abgelegenen hübschen Stüblein auf dem alten Schlosse, mich daselbsten zeit währender Kälte hübsch warm zu halten. Zuweilen kam der Krachwedel, zuweilen der Virgilius zu uns herüber, allwo wir die Zeit mit Brett- oder Kartenspiel bei einem hübsch geräucherten Schinken passierten. Unterweilen mußten uns die Bauern eine Comödie [842] agieren, dabei wir uns oft krank gelachet, und weil der Horatius die schlafende Ratzen auf eine sonderliche Art in der Küche fangen konnte, vertrieben wir in solchem Spaß bald so, bald wieder anders fast den halben Winter. Nichtsdestoweniger gedachte ich in solcher Zeitvertreibung allezeit an die Vermahnung Thomæ a Kempis, welcher im zwölften Capitel des ersten Buches der Nachfolgung Christi also saget:

›Du bist, o Mensch, allzeit betrübt und elend, wo du auch immer dich aufhältest und an allen den Orten, wohin du dich wendest, wenn du dich nicht zu GOTT bekehrest. Warum betrübst du dich, weil dirs nicht gehet, wie du willst und es dein Verlangen erfordert? Wer ist derjenige, der alles nach seinem Willen hat? Weder ich noch du, noch ein anderer Mensch auf dem Erdboden. Es ist kein Mensch in der Welt ohne Anfechtung und Trübsal, und ob er gleich ein König oder großer Monarch ist. Es sprechen die niedrigen Gemüter: sehet, was genießet dieser und jener Mensch vor guter Tage? Oh, wie ist er so reich, so groß, so mächtig und so glückselig! Aber gib viel mehr acht auf die himmlische Güter, so wirst du bald sehen, daß diese zeitliche Güter gar nichts und mit einer steten Ungewißheit verbunden sind, weil sie niemalen ohne Sorg und Angst besessen werden. Es ist keine Glückseligkeit, überflüssige Güter haben, sondern ist dem Menschen gar genug, so er mittelmäßig leben kann. Es ist wahrhaftig eine große Mühseligkeit, auf Erden leben; je mehr der Mensch verlanget nach dem Himmlischen, je bitterer wird ihm dieses Irdische. Denn er wird gewahr, daß all dieses Zeitliche, dargegen gerechnet, gar nichts sei. Denn Essen, Trinken, Wachen, Schlafen, Ruhen, Arbeiten und anderer Notwendigkeiten der Natur abwarten, ist wahrlich nichts als ein großes Elend und eine rechte Qual einem andächtigen Menschen, der sich nach der Erlösung von seinen Sünden sehnet. Denn der innerliche Mensch wird sehr gedrücket von des Leibes Notwendigkeiten in dieser Welt. Daher betet der Prophet, daß er von diesen möchte erlediget werden, wenn er spricht: Erlöse mich von meinem Anliegen!‹

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TextGrid Repository (2011). Beer, Johann. Romane. Die kurzweiligen Sommer-Täge. Die kurzweiligen Sommer-Täge. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2E54-6