Der Viereckig

oder

die amerikanische Kiste.

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»Ich glaub' nicht an Amerika,« sagte einst die alte Lachenbäuerin in der Hohlgasse, als man ihr Vielerlei und darunter auch Fabelhaftes von dem fernen großmächtigen Land erzählte. Die Leute erlustigten sich über diese einfältige Rede, denn die Lachenbäuerin hatte keineswegs damit nur sagen wollen, daß sie nicht an die Verheißungen und Hoffnungen Amerika's glaube, sie erklärte sich einfach dahin, sie glaube überhaupt nicht an das Dasein von Amerika, das sei alles lauter Lug und Trug. Sie bemühte sich dazu nicht zu mehr Beweisen, als die Großen am spanischen Hofe gegen Columbus vorbrachten, sie glaubte eben nicht an Amerika, und fester Unglaube läßt sich eben so wenig überführen als fester Glaube.

Wenn heutigen Tages Jemand im Dorf durch irgend welche Hindernisse nicht nach Amerika auswandern kann, hilft er sich mit der Scherzrede: »Ich glaub' nicht an Amerika, wie die alte Lachenbäuerin.«

Es giebt aber auch landauf und landab kein Haus mehr, in dem man nicht den lebendigen Beweis vom Gegentheil hätte. Da ist ein Geschwister, dort ein Verwandter oder auch nur ein Bekannter in Amerika, man weiß den einzelnen Staat zu nennen, in dem sie sich [183] angesiedelt haben, man hat Briefe von ihnen gelesen und gehört.

Im Wirthshaus des entlegensten Dorfes, wo man aus einem guten Schoppen Kräftigung oder Vergessenheit trinken will, schreibt mitten aus den Tabakswolken eine Zauberhand ihre Mene Tekel an die Wand; da legen zwei Hände sich brüderlich ineinander, da segelt ein buntgeflaggtes Schiff auf grüner See und in flammenrothen Buchstaben leuchtet die Botschaft: »Nach Amerika!« Verschwunden ist alles Selbstvergessen; der Geist, der sich in sich versenken und begnügen wollte, wird mit Zaubergewalt hinausgetragen auf das unabsehbare Wellenwogen der Ueberlegungen und Berathungen. Freilich ist bei dieser Schrift keine Zauberei, sie ist nur ein Meisterstück der Buchdruckerkunst, und die zahllosen Auswanderungsexpeditionen: die Bruderhand, das treue Geleit, die sichere Obhut, die glückliche Zukunft und wie sie sich Alle nennen – Auswanderungsagenten mit ihren Helfershelfern, Wirthen, Schulmeistern und Krämern, sorgen dafür, daß man allerorten eingedenk sein muß, wie weit wir es in der Kunst Gutenbergs gebracht haben. Ist der Blick aber auch nur flüchtig von diesen Zeichen gefesselt worden, so muß auch das Wort ihm folgen, und Menschen die ihr Lebenlang kein anderes Fahrzeug gesehen als den Flotz, das eilig an der Wiese vorbeischwimmt darauf sie mähen, sprechen von gekupferten Dreimastern, vom Leben in Vorkajüte und Zwischendeck. Menschen, die es daheim nicht zu einer Handbreit Erde bringen können, sprechen von Congreßland und den tausend Morgen, die sich[184] leicht erwerben lassen. – Amerika schickte uns einst die Kartoffel, die in der alten Welt heimisch und zum Bedürfniß geworden, in hunderterlei Art bereitet und genossen wird; man kann fast sagen, das Gespräch über Amerika ist auch eine Art von Kartoffel: das wird gesotten und gebraten, in hunderterlei Art bereitet und sogar zum berauschenden Trank hergerichtet. Wie erlaben und erhitzen sich oft die Sonntagsgäste an der Kartoffel in Trank und Wort, und kehren sie dann heim in ihre Behausungen, so kommen sie aus dem fernen Land zurück, und spät in der Nacht wird noch mit der Frau überlegt, ob man nicht auch auswandern wolle, dahin, wo man nicht mehr zinse und steuere; jedes kleine Ungemach hebt alsbald ganz hinweg von dem gewohnten Lebensboden und noch am Morgen bei der Arbeit ist es oft, als ob die Luft von selbst das Wort Amerika spreche; mit Sichel und Sense oder der Pfluggabel in der Hand schaut der Bauer oft aus, als müßte plötzlich Jemand kommen, der ihn abrufe nach dem gelobten Land Amerika. – Glückselig, wer sich bald wieder findet und sich tapfer wehrt auf dem Boden, darauf Geburt und Geschick ihn gestellt.

Es wäre thöricht, die unabsehbare Befruchtung und den großen Alles, bewältigenden Zug der Menschheitsgeschichte in dem Auswanderungstriebe verkennen zu wollen. Das hindert aber nicht, ja fordert eher dazu auf, die Herzen derer zu erforschen, die, vom Einzelschicksale gedrängt in die Reihen der Völkerwanderung eintreten, deren weltgeschichtliche Sendung unermeßbar und den Einzelnen, die mitten im Zuge gehen, unerkennbar [185] ist. Daneben ist es von besonderem Belang, zu beobachten, welche Wandlung solch ein Trieb, der die ganze Zeit ergriffen, im beschränkten Lebenskreise der Scheidenden und Verbleibenden hervorbringt.

Der Statistiker stellt, manchmal mit Bedauern, die Summe Derer zusammen, die in diesem und diesem Jahre das Vaterland auf ewig verlassen; er ermißt, welche Arbeits- und Capitalkraft dadurch dem Vaterlande entzogen wurde; die innere sittliche Macht aber, die den Zurückbleibenden dadurch entzogen und anbrüchig geworden ist, läßt sich nicht in Zahlen fassen und nicht in die Linien der statistischen Tabellen eintragen. Wandert über Berg und Thal, und der Lastträger, der sich euch anschließt, stemmt seinen Stock unter die Last auf seinem Rücken, und ausschnaufend erzählt er euch, wie man in Amerika für seine harte Arbeit doch auch Etwas vor sich bringe und wie er gern dahinzöge, wenn er nur die Ueberfahrtskosten erobern könnte. Dort in jener Hütte wohnt ein altes Paar, einsam und verlassen; es hat seine Kinder, die Freude und Stütze seines Alters, über's Meer ge schickt, damit es doch mindestens ihnen wohlergehe, und ist bereit, den Rest seiner Tage einsam und freudlos zu verbringen, wenn nicht die Kinder es zu sich rufen. In einem andern Hause klagt eine arme Verwandte ihre bittere Noth, und ein noch nicht fünfjähriger Bub' sagt: »Sei zufrieden Base, wenn ich groß bin, geh' ich nach Amerika und schicke dir einen Sack voll Geld.« Der Dienstbote spart sein Lohn zusammen, und stellt die Rahmenschuhe weg, die er zu Georgi und Michaeli [186] bekommt und über alles zunächst Vorliegende hinaus schweift der Gedanke nach Amerika. Das ganze diesseitige Leben wird zu einem mühseligen unruhigen Samstag, hinter dem der lichte amerikanische Sonntag verheißungsvoll winkt. – Hatte jener Bauer Recht, der da sagte: »Wenn eine Brücke hinüberginge über's Meer, es bliebe kein einziger Mensch mehr da?«

Tretet in die Hallen des öffentlichen Gerichts und der ewige Endreim heißt: nach Amerika. Der Brandstifter wollte mit den Versicherungsgeldern – nach Amerika, der Dieb mit dem Erlös seines Diebstahls – nach Amerika; die Kindsmörderin wollte mit ihrem Verführer – nach Amerika, und da er sie verließ, tödtete sie ihr Kind, um sich allein zu retten – nach Amerika, ja selbst der verurtheilte Verbrecher tröstet sich, daß er im Zuchthaus so viel erübrigen könne, um auszuwandern oder gar, daß man ihm die Hälfte seiner Strafzeit schenke und ihn fortschicke – nach Amerika.

Aber nicht nur Verarmte, die sich nicht aufraffen und sich der Hoffnung hingeben, daß die Gemeinde oder der Staat sie endlich über's Meer sende, und nicht nur Verbrecher, die sich mit kecker Hand das Lösegeld aneignen, schauen aus nach Amerika; auch die Menschen, die sich wieder darein gefunden haben, muthig und rechtschaffen auf ihrer Stelle auszuharren, im Lande zu bleiben und sich redlich zu nähren, auch diese tragen oft zeitlebens die untilgbaren Folgen davon, daß sie einst eine andere Sehnsucht über sich kommen ließen. Nur starke Naturen oder solche denen nichts tief geht, überwinden die Unruhe und die Unstätigkeit, die auf [187] lange nicht aus der Seele weichen will, welche einst den Gedanken der Auswanderung in sich gehegt hatte. –

»Ich glaub' nicht an Amerika,« sagen nun aber auch ganz andere Leute, als die alte Lachenbäuerin.

Die Strömung der Auswanderung hat sich auch schon gestaut und ist eine Zeit lang rückwärts gegangen. Viele in Verzweiflung heimgekehrte Auswanderer wissen gar Schauererregendes zu erzählen von der neuen Welt; denn getäuschte Hoffnung macht bitter, läßt das Gute an einer Sache leicht übersehen oder gar verläugnen, und wer von einem Unternehmen abgelassen hat, das er unter der gespannten Aufmerksamkeit Anderer mit großem Eifer versucht hat, der muß die Hindernisse als ungeheuerliche darstellen, um mit seiner Ehre desto besser dabei wegzukommen. Da wird die ehemalige blinde Lobpreisung jetzt zur blendenden Verleumdung. Freilich sind die Gaunereien, die in Amerika unter allerlei Masken oder auch ganz offen freies Spiel haben, oft fabelhaft keck und abenteuerlich, mit Verläugnung alles sittlichen Gefühls und rücksichtsloser Ausnutzung des Nebenmenschen und seines hingebenden Vertrauens; freilich bildet dort die Selbsthülfe, auf die Jeder angewiesen ist, sich oft auch zur lieblosen Selbstsucht aus, und wer von seiner eigenen Kraft verlassen ist, ist ganz verlassen. Aber weil eben die Hoffnungen für Amerika zu hoch gespannt, zu träumerisch unklar waren, weil man ein Fabelreich daraus machte, und amerikanisches Wohlleben zu einem Aberglauben geworden war, ist dieser jetzt vielfach in Unglauben umgeschlagen und – »Ich glaub' nicht an[188] Amerika« heißt es jetzt mit der alten Lachenbäuerin, und das hat sein Gutes. Es wird jetzt aufhören, daß Jeder, der mit seiner Hoffnung oder mit seiner Thätigkeit in die Brüche gekommen ist, alsbald das Weite sucht und alles Heil von der neuen Welt erwartet, und von dieser wird sich eine klare und gerechte Anschauung ausbreiten, die nichts vom Aberglauben und nichts von Unglauben hat, sondern die Bedingungen des alten und des neuen Lebens entsprechend würdigt. – –


Des Lachenbauern Xaveri ist der Enkel jener Alten, die den Spruch that: »Ich glaub' nicht an Amerika,« aber der Xaveri mußte daran glauben, und zwar auf seltsame Weise.


Das war ein unbändiges Gelächter am Rottweiler Markt, vor dem Wirthshause zur Armbrust! Auf einem sattellosen Apfelschimmel saß ein halbwüchsiger Bursche, breitschultrig, mit einem wahren Stiernacken, darauf ein Kopf von gewaltigem Umfange ruhte, die braunen Haare, die geringelt von selbst emporstanden, machten den Kopf noch umfangreicher, und eben war man daran, diesem Haupt die entsprechende Bedeckung zu verschaffen. Der Reiter hielt mitten im Marktgewühl vor einer Bude, und ein Hut nach dem andern wurde ihm heraufgereicht, aber er gab sie alle wieder zurück. Ein älterer Bauer faßte das Pferd am Zügel und führte es sammt dem Reiter durch die drängenden Menschen nach einer andern Bude. Der frühere Versuch wurde hier erneuert, [189] ein Hut nach dem andern wanderte auf das gewaltige Haupt des Reiters und wieder hinab, braune, schwarze und graue Hüte von jener neuen Form, die ohne das Verbot der hohen Regierungen die Menschen verschiedener Bildungsstufen wenigstens der Form nach unter Einen Hut gebracht hätte. Man reckte und zerrte die Hüte, man spannte sie über die Form, aber dennoch war keiner passend. Der Bursche hielt den Zügel des Pferdes und die schwarze Zipfelmütze, die er abgethan, krampfhaft in der linken Hand. Eine große Menschenmenge hatte sich bald leise, bald laut spottend um ihn versammelt; da rief Einer laut: »Der Xaveri hat einen viereckigen Kopf.«

»Es ist beim Blitz wahr, für dich findet sich kein Deckel, reit' nur heim, du Malefizbub,« rief der Mann, der früher das Pferd am Zügel nach der andern Bude geführt hatte, und jetzt schrie Alles laut spottend: »Der Viereckig! der Viereckig!«

Der Reiter nahm die lederüberzogene neue Peitsche, die er über die Brust gespannt hatte, und hieb damit nach Dem, der zuerst »der Viereckig« gerufen hatte; aber dieser war rasch entschlüpft, und als der Reiter in langsamem Schritt durch die Menge weiter ritt, rief ihm Alles nach: »Der Viereckig! der Viereckig!« Die dicken Lippen des Reiters schwollen noch mächtiger an, er schärfte sie bisweilen mit den Zähnen und murmelte Unverständliches vor sich hin, und als er das Menschengedränge hinter sich hatte, peitschte er das Pferd, daß es vorn und hinten ausschlug, und jagte im wilden Galopp davon. Manchen, der still mit sich [190] allein oder laut selbander mit seinem Rausche dahinwandelte, und Manchen, der mehr als nüchtern sein unverkauftes Vieh heimtrieb, hatte er in raschem Ritte fast über den Haufen geworfen, aber er hörte kaum das Fluchen und Schelten hinter sich drein, ja schnelle Steinwürfe erreichten ihn nicht, denn das schwerfällige Pferd trug ihn fast mit Windeseile davon. Gedanken aber sind doch noch schneller, und wir können darum den Reiter leicht geleiten und ihn näher kennen lernen.

Es gab keinen keckern, meisterlosern Buben im Dorfe, als des Lachenbauern Xaveri. Der Lachenbauer – er hieß nicht so, weil er viel lachte, das konnte dem finstern und kargen Manne Niemand nachsagen, sondern weil sein Haus neben der Pferdeschwemme, der sogenannten Lache stand, und nicht weit davon war das allgemeine Waschhaus – der Lachenbauer hatte seine heimliche Freude an all den losen Streichen seines Sohnes Xaveri, und wenn man ihm darüber klagte, pflegte er zu sagen: »Haut ihn, das macht ihn fest; das giebt einen Kerl, der Bäum' umreißt, und ich hab' nichts über ihn zu klagen, mir folgt er auf's Wort.«

Es war fast keine Hand im Dorf, von der nicht Xaveri schon seine Schläge bekommen hatte. Das konnte ihn aber nichts anfechten, im Gegentheil, er gedieh wacker dabei, er war halsstarrig und hartschlägig; was er einmal wollte oder nicht wollte, davon brachte ihn Nichts ab. Seine Hauptheldenthaten vollführte der Xaveri an Sommerabenden bei der Pferdeschwemme, und in den Nächten beim Waschhaus. Wenn die Männer und Burschen an Sommerabenden ihre Pferde in die Schwemme ritten, [191] oder auch nur am Ufer stehend sie an langem Leitseile hineintrieben, so daß die Thiere ihre Nüstern aufbliesen und die Mähnen schüttelten, dann mußten sie den Xaveri mit hineinreiten oder ihn die Peitsche regieren lassen; wollten sie sich dem nicht fügen, so traf unversehens ein Kiesel Reiter oder Pferd. Wie aus der Luft kam der Wurf geschleudert, man konnte nicht sagen, kam er vom Giebel aus dem Hause des Lachenbauern, aus einer Hecke am Weiher oder von irgend einem Baume, das aber war sicher, daß er aus der Hand des Xaveri kam, dessen man nur selten habhaft werden konnte; geschah dieß, so erhielt er seinen ungemessenen Lohn, aber wie gesagt, das geschah doch nur selten, denn der Xaveri war schlau und behend wie eine wilde Katze.

Beharrlichkeit, auch in schlimmen Streichen, übt immer eine gewisse siegreiche Macht. Die Männer und Burschen konnten bei allem Aerger nicht umhin, eine gewisse Freude an dem unbändigen Buben zu haben, und es wäre auch mißlich, ihm im Zorn nachzuspüren, da man bei vergeblichem Forschen noch wacker ausgelacht wurde. So kam es, daß der Xaveri immer freiwillig aufgefordert ward, die Pferde mit in die Schwemme zu reiten, und da er nicht auf allen Pferden sitzen konnte, ertheilte er solche Gunst an diesen oder jenen Altersgenossen und machte sie sich dienstpflichtig; aber keiner war so geschickt wie der Xaveri, er stand barfuß auf dem Pferde und trieb es in das Wasser bis über die Mähne und lenkte es mit einem Zungenschlage wieder zurück.

Hatte er die Männer und seine Altersgenossen sich[192] dienstpflichtig gemacht, daß sie ihm ihre Pferde zur Verfügung stellen mußten, so erpreßte er fast wie ein Raubritter von den wehrlosen Frauen und Jungfrauen Essen und Trinken, was ihm gelüstete, und mancherlei Gunst. Man konnte aufpassen wie man wollte, unversehens fand man den Zapfen an der Laugengelte ausgezogen und die angefeuchtete Asche, die in einem Tuche über die Wäsche ausgebreitet war, in dieselbe gestürzt, ja sogar die aufgehängte Wäsche war nicht sicher und wie von Geisterhänden herabgerissen und erbarmungswürdig zusammengeballt. Das konnte Niemand anders gethan haben, als des Lachenbauern Xaveri. Die Frauen und Mädchen lockten ihn darum an sich, gaben ihm von ihrem Kaffee und Kuchen, versprachen ihm Obst und was er begehrte, und trieben oft ganze Nächte im Waschhause allerlei Scherz und Neckerei mit ihm, so daß man weithin Lachen und Johlen vernahm. Hatte sich der Xaveri nicht bewegen lassen, im Waschhaus zu bleiben, so kam er oft mitten in der Nacht in allerlei Gespenstergestalt daher, und der Jubel war aus dem Schrecken heraus noch ein höherer. Eine besondere Macht erwarb sich der Xaveri noch dadurch, daß er von neidischen, boshaften oder eifersüchtigen Frauen und Mädchen dazu eingelernt wurde, irgend ein verborgenes Stelldichein zu stören oder geheime Wege zu vertreten. Der Xaveri war noch nicht zwölf Jahr alt, als er bereits Verhältnisse im Dorfe kannte, die Vielen erst im spätern Alter offenbar wurden, er war aber auch nach Gunst und Laune verschwiegen, und war natürlich der Kobold des Dorfes in Scherzen und [193] Schelmenstreichen. Es herrschte die allgemeine Stimme im Dorf: »Der Xaveri wird einmal ein fürchterlicher Mensch,« und Jedes that das Seine dazu, daß er das werde; Manche aber sagten auch: »Aus so wilden Buben wird oft was ganz Besonderes.« Beides hörte der Xaveri oft, und er nahm sich Beides gleich sehr zu Herzen, das heißt gar nicht.

Im elterlichen Hause war der Xaveri folgsam, besonders gegen den Vater, gegen die Mutter erlaubte er sich schon manche Widerspenstigkeiten; einen unbedingten Untergebenen hatte er an seinem zwei Jahre ältern Bruder mit Namen Trudpert. Xaveri konnte thun was er wollte, der Bruder half ihm immer heraus, ja er nahm manche Uebelthat auf sich, nur daß Xaveri verschont wurde; denn dieser hatte es ihm wie mit einem Zauber angethan.

Eines Tages, es war im Winter – die alte Lachenbäuerin, von welcher der Spruch herrührt: »Ich glaub' nicht an Amerika,« war schon lange todt, und sie wäre jetzt auch anderer Ueberzeugung geworden – da war großes Halloh im Hause des Lachenbauern. Die Mutter hatte es nicht gestatten wollen, daß der Trudpert seinem jüngern Bruder Alles nachgebe und hatte Xaveri deßhalb geschlagen, bis sie müde war und der Knabe schrie jämmerlich und schnitt Gesichter, aber ohne zu weinen; da kam ein armer Mann, der nach Amerika auswandern wollte und bettelte um Dürrobst oder um etwas Leinenzeug für seine zahlreiche Familie. Im Zorn rief die Mutter:

»Da, nehmt den bösen Buben mit nach Amerika.«

[194] »Ich geh' mit, gleich geh' ich mit,« rief Xaveri aufspringend, aber jetzt wälzte sich der Bruder auf dem Boden und schrie: »Mein Xaveri darf nicht fort, mein Xaveri muß dableiben.«

»Schenk' mir dein Sackmesser und deine Tauben,« unterhandelte Xaveri und der Bruder gab trotz der widersprechenden Mutter Alles und war glücklich als er den Xaveri um den Hals fassen und mit ihm nach dem Taubenschlage gehen konnte.

Von nun an hatte der Xaveri ein untrügliches Mittel, um von seinem Bruder Alles zu erlangen; willfahrte er ihm nicht alsbald, so drohte er: »Ich geh' nach Amerika!« und damit erlangte er allezeit was er wollte: denn dem Trudpert stand gleich das Wasser in den Augen, wenn er diese Drohung hörte.

Auch sonst im Dorfe brachten die Leute den Xaveri oft dazu, daß er seinen Spruch hersagte: »Ich geh' nach Amerika.« Da die Leute an dem Xaveri nichts erziehen konnten und wollten, machten sie sich den genehmern und weit anschlägigern Triumph, ihn auf allerlei Weise zu verhetzen: indem sie ihm oft vorhielten, wie gut es die Kinder in Amerika hätten, da brauche man gar nicht in die Schule zu gehen, und die Buben säßen den ganzen Tag zu Pferde und ritten in Wald und Feld umher und schon mit sechs Jahren bekäme ein Knabe eine Flinte, um Hirsche und Rehe zu schießen. Die Leute waren merkwürdig erfinderisch im Ausmalen von allerlei Ungebundenheit, und der Schreiner Jochem, der mit seiner Familie auswanderte, trieb seine [195] Gemüthlichkeit so weit, daß er mit Xaveri ein Complot einging und ihm versprach, ihn heimlich mitzunehmen. Xaveri kam richtig mitten in der Nacht, in der Jochem mit seiner Familie davonziehen wollte, zu demselben, brachte in einem Packe seine Kleider und in einem Sacke einen ziemlichen Vorrath von Dürrobst. Der Jochem packte das letztere zu unterst in eine große Kiste, schickte aber heimlich nach der Mutter des Xaveri und ließ sie ihren Sohn sammt seinen Kleidern abholen. Das war der erste gewaltige Hohn und Betrug, den Xaveri in seinem Leben erfuhr, aber er verwand ihn bald wieder, zumal da die Mutter die ganze Sache und sogar den Raub am Dürrobst vor dem Vater vertuschte. Im Dorf aber war der Vorgang dennoch ruchbar geworden, man ließ es nicht daran fehlen, den Xaveri in aller Weise zu necken und er vergalt es durch noch übermüthigere Streiche.

In einer Kindesseele verschwinden leicht die Spuren der gewaltigsten Eindrücke; es hat sein Gutes weit mehr als sein Schlimmes, daß die jugendliche Spannkraft in ihrem freien Wachsthum beharrt. Wer aber weiß, was in der schlummernden Kindesseele fortwaltet? Wenn von brausender Locomotive ein brennender Funke in den offenen Kelch einer Blume fällt, vom Winde alsbald verweht und verlöscht wird, ihr seht keine Spur an dem offenen Kelche, aber an dem Boden, darin die Wurzel haftet, ruht die verlöschte Asche, fördernd oder verderbend.

Wenn der Xaveri nicht seinen Bruder damit neckte, dachte er nicht mehr an Amerika, und nur Einmal, als[196] Kinder aus der Schule mit ihren Eltern auswanderten, trug er ihnen auf, dem »Schreiner Jochem drüben« Schimpf und Schande zu sagen; ja er schrieb einen Brief an ihn mit den heftigsten Drohungen, wenn er nicht den Sack, worin das Dürrobst war, wieder mit Gold gefüllt zurückschicke.

In seinem zwölften Jahre stand der Xaveri schon vor Gericht und wurde auf einen Tag eingesperrt. Im Dorfe war eine äußerst verhaßte Persönlichkeit, und zwar diejenige, die die öffentliche Ordnung überwachte. Der »Wullisepple,« so genannt, weil er ehemals Wolle gesponnen hatte, war Ortspolizeidiener geworden und hatte von nun an den Namen »grausig Mall,« d.h. so viel als die grausame Katze, denn er war den Nachtbuben äußerst aufsätzig und konnte seine Augen funkeln lassen wie eine Katze. Nun nahmen die Bursche einst Rache an ihm und dazu gebrauchten sie den Xaveri. Es war auf dem Tanz, da wurde der kleine Xaveri von den Burschen vor die Musikanten hingestellt und er rief: »Aufgepaßt! es kommt ein neuer Tanz!« und sang den Musikanten ein Spottlied auf den grausigen Mall vor. Dieser war zugegen und wollte abwehren, aber die Burschen riefen: »Du gehst 'naus! Du hast das Recht erst um elf Uhr da zu sein! Du bist Polizei und nicht Gast!« Sie bildeten einen Knäuel und drückten den grausigen Mall hinaus; der aber rief: »Ich geh' und ich geh' zum Amt!« Nun war Lachen und Johlen und Singen und der Xaveri wurde von Allen auf den Armen herumgetragen. Der grausig Mall hielt Wort und Xaveri stand mit mehreren Burschen vor Gericht. [197] Man wollte wissen, woher er das Lied habe; er blieb dabei, er habe es Morgens beim Tränken am Wettibrunnen gefunden. Er mußte das Lied vor dem Amtmann nochmals singen, der selbst darüber lachte; und da er dabei beharrte, Niemand angeben zu können, wurde er auf vier und zwanzig Stunden eingesperrt. Als man ihn abführte, rief er: »Wer mich einthut, muß mich auch schon wieder austhun!«

Man kann sich denken, welch eine bewunderte Persönlichkeit Xaveri nach dieser Heldenthat war. Er hatte den giftigen Zorn des grausigen Mall nicht zu fürchten, denn alle Burschen im Dorf waren seine Gönner.

Unter Allen im Dorf, die das Gemüth Xaveri's verhetzten, stand das Zuckermännle obenan. Es giebt wohl in jedem Dorf einen besondern Menschen, der seine eigne Freude daran hat, allerlei Wirrwarr und Feindseligkeit anzustiften, und zwar ganz ohne Eigennutz, wenn man nicht eben in der Freude an diesen Vorfällen einen Eigennutz sehen will. Das Zuckermännle, ein kleiner schmächtiger Schneider, mit verschmitzten grauen Aeuglein in dem faltenreichen Gesichte, hatte, da es noch viel jünger an Jahren war, die alte Krämerin, die sogenannte Zuckerin, geheirathet; es hoffte, seine Alte bald los zu werden und sich dann ein frisches Weibchen nach seinem Sinne zu holen; aber die alte Zuckerin war zäh und dürr, der Tod schien gar kein Verlangen nach ihr zu haben: sie lebte zu besonderem Leidwesen ihres Mannes noch ein und dreißig Jahre. Sie war erst diesen Frühling gestorben, und [198] das Zuckermännle, das unterdeß alt und grau geworden war, ging auf fröhlichen Freiersfüßen. Bei seinem frühern Hauskreuz war es ihm ein besonderes Labsal gewesen, den Xaveri zu allerlei Schelmenstreichen anzustiften und er suchte dann mit heimlicher Schadenfreude die Beschädigten auf, um Mittel und Wege zu neuen Schelmereien zu entdecken. Seit Xaveri aus der Schule entlassen war, zog er sich von seinem ehemaligen Lehrmeister auffallend zurück; man hatte geglaubt, daß Xaveri, der Schulzucht entbunden, mit neuen losen Streichen sich zeigen werde, aber seltsamer Weise war er arbeitsam und still und man hörte nichts von ihm; ja in der Sonntagsschule war er äußerst aufmerksam und ehrgeizig, und die Leute, die prophezeit hatten, daß aus dem Xaveri noch etwas Besonderes werde, frohlockten ob ihrer Weisheit. Es schien, als ob die gewonnene Freiheit und Selbständigkeit ihn geändert hätte. Mehrere Jahre gingen darauf hin, ehe man den rechten Grund erfuhr, und jetzt wunderte man sich, daß man ihn nicht schon früher bemerkt hatte.

In diesem Frühling war Xaveri aus der Sonntagsschule entlassen worden; er war achtzehn Jahre alt und verstand, was es heißt, wenn die Blaumeise im Frühling singt: »D'Zit is do! D'Zit is do! D'Zit ist do!« Noch viel wahrer aber lauteten die Worte, die man dem Gesange eines andern Vogels unterlegt, denn nachahmend das Schwirren und Zwitschern heißt es, daß die Lerche singt: »'s ist e König im Schwarzwald, hat siebe Töchter, siebe Töchter: d'Lies ist d'schönst,', d'schönst', d'schönst'!« Mit dem König konnte Niemand [199] anders gemeint seyn, als der Pflugwirth im Dorf; er hatte zwar nicht sieben Töchter, aber doch fünf, und dazu nur einen Sohn, und auf's Wort hin war es nichts als Wahrheit, daß des Pflugwirths Lisabeth landauf und landab das schönste Mädchen war.

Des Pflugwirths Lisabeth war mit Xaveri zugleich aus der Sonntagsschule entlassen worden und er galt nun für deren öffentlich Erklärten und Keiner im Dorfe wagte ihm dies streitig zu machen, denn von Kindheit an war Xaveri von Allen gefürchtet. Der Pflugwirth schien auch nichts gegen dieses offene Verhältniß zu haben, er hieß den Xaveri, den Sohn eines vermöglichen Bauern im Dorfe, stets bei sich willkommen und sah es mit Genugthuung, daß der Nachwuchs der jungen Burschen im Dorfe sich seinem Hause zuwendete, während bisher Alles dem Wirthshaus zur Linde treu geblieben war; denn der Pflugwirth war ein Fremder, er war von Deimerstetten oder vielmehr von Straßburg in's Dorf gezogen und war er nun auch schon mehr als achtzehn Jahre ansässig, er war doch noch ein Fremder, denn seine Frau war eine Elsäßerin und er selber ein seltsamer Mann, vor dem man eine geheime Scheu hatte, wenn man seiner nicht bedurfte. Sein ganzes Gebaren hatte etwas Fremdes und Auffallendes; wenn er über die Straße ging, lief er allezeit so behend, als wenn er immer zu eilen hätte. Das ist im Dorfe besonders auffällig, wo man sich zu Allem gern Zeit nimmt. Er mußte es noch von der Stadt her gewöhnt sein, an den Menschen vorüberzugehen, ohne sich um sie zu kümmern; er hielt [200] nirgends Stand, und wenn man ihn grüßte, dankte er kurz und knapp. Der Pflugwirth war vordem Hausknecht im »Rebstöckl« in Straßburg gewesen und bildete sich nicht wenig auf seine Welterfahrenheit und besonders auf sein Französisch ein. Um dieses Letztere selbst nicht zu vergessen und noch einen Vortheil für seine Kinder daraus zu ziehen, sprach er mit seinem einzigen Sohne Jacob, den er Jacques nannte, nie anders als französisch und zwar elsässer-französisch. Der Schackle, wie er im Dorfe hieß, war vor den Leuten nur schwer zu bewegen, in der wälschen Sprache zu antworten und bekam deshalb viel Schläge. Im Dorf und in der Schule wurde er deshalb viel geneckt und während die andern Kinder des Pflugwirthes frisch gediehen, war der Schackle ein verbutteter unansehnlicher Knabe. Obgleich er viele Jahre jünger war, hatte Xaveri ihn doch zu sich herangezogen und nur diesem Umstande verdankte er es, daß er in der Schule nicht täglichen Mißhandlungen ausgesetzt war. Seit kurzer Zeit hatte der Pflugwirth aber auch einen tatsächlichen Erfolg von seiner Weltgewandtheit und Sprachkenntniß; er war nicht nur Agent einer französischen Feuerversicherungsgesellschaft, sondern auch, was noch einträglicher war, Agent einer Auswanderungs-Expedition, genannt: »Die Bruderhand.« Nun hatte er oft hin und her zu reisen und sah es gern, daß Xaveri viel in seinem Hause ein- und ausging, denn er half dem sehr unanstelligen Schackle so wie den Töchtern bei dem Feldgeschäfte. Xaveri war weit mehr im Pflugwirthshause als bei seinen Eltern, er war ohne Lohn fast der Knecht des [201] Pflugwirths. Dies gab oft Streit zwischen ihm und dem Vater. Xaveri kehrte sich nicht daran. Seit einigen Wochen aber war er mißlaunisch und zanksüchtig, mehr als je. Von Deimerstetten, dem Geburtsorte des Pflugwirths, kamen sonntäglich die Burschen, und besonders Einer, des Lenzbauern Philipp, warb offenkundig um Lisabeth und diese schien es nicht unwillfährig aufzunehmen. Xaveri schalt mit Lisabeth, ja er klagte es dem Pflugwirth selber; aber dieser beruhigte die »Kinder« mit klugen Worten und Xaveri war wohlgemuth, da auch er sich als Kind des Hauses bezeichnen hörte.

Nun hatte er heute zum Rottweiler Markt seine schwarze Zipfelmütze abthun und sich auch einen breitkrämpigen Hut mit breitem Sammetband und einer hohen Silberschnalle, ganz wie des Lenzbauern Philipp von Deimerstetten, anschaffen wollen; darum war er im Geleit seines Vaters nach Beendigung des Pferdemarktes auf den Krämermarkt geritten und dort beim Wirthshause zur Armbrust hatte er den fürchterlichen Schimpf erfahren und der zuerst den Spottnamen »der Viereckig« gerufen hatte, war gerade des Lenzbauern Philipp von Deimerstetten gewesen und alle Umstehenden, darunter auch Viele aus seinem eigenen Orte, hatten ihn ausgelacht und verhöhnt. Darum raste jetzt der Xaveri in wilder Wuth dahin, er hatte mit dem schönen Hut in's Dorf zurück kehren wollen und jetzt kam er mit dem schändlichen Unnamen, und den hatte ihm sein Nebenbuhler gegeben. Hin und her rasten seine wilden Gedanken. Er haßte den Vater, der mit geholfen, ihn zu beschimpfen und noch dazu gelacht hatte; vor Allem [202] aber schleuderte er seinen bittersten Grimm auf des Lenzbauern Philipp; und wenn er selber darüber zu Grunde ginge, den wollte er krumm und lahm und zu Tode schlagen. Er überlegte nur noch, wie er das in's Werk setze. Der rasche Galopp hatte sein Ende erreicht; am Fuße des Berges, der nach seinem Heimathsdorfe führte, schnauften Roß und Reiter aus, und Xaveri schaute verwirrt umher, als ihn das Zuckermännle grüßte, das eben auch vom Markt heimkehrte. Es war ganz neu gekleidet und seine fröhlichen Mienen schienen nichts zu wissen von dem Flor, den es um den Arm trug. Es lüpfte den neuen Hut und reichte ihn dem Xaveri, damit er erkenne, wie leicht und geschmeidig er sei. Xaveri erschien das als Hohn, er holte schon mit der Peitsche aus, um sie auf den alten Schelmenkopf zu schlagen, da erinnerte er sich noch, daß ja das Zuckermännle nichts von seiner Verspottung wissen könne; er war ja Allen voraus davongeeilt. Ohne zu sagen, was ihm geschehen sei und nur im Allgemeinen von einer Beschimpfung sprechend, verlangte er von dem alten Schlaukopf einen Rath, wie er sich rächen sollte; so sehr aber auch das Zuckermännle darauf drang, Xaveri ließ sich nicht dazu bewegen, seinen Unnamen auf die Lippen zu nehmen und lautlos ritt er dahin, das Zuckermännle ging im Schritt neben ihm.

Im Dorfe ging Xaveri voll Unruhe hin und her, es waren die letzten Stunden, in denen er hier ohne den schändlichen Unnamen lebte. Jedem, der vom Markte kam, schaute er tief in's Gesicht, als wollte er [203] ergründen, wer der erste Verkünder seines Schimpfs wäre. Endlich ging er nach dem Pflugwirthshause und erzählte hier der Lisabeth den ganzen Vorfall, aber noch immer ohne das Wort zu nennen. Er verlangte von Lisabeth, daß sie mit des Lenzbauern Philipp kein Wort mehr spreche, ja ihm sogar die Thür weise; aber sie weigerte ihm das Eine wie das Andere: hier sei ein Wirthshaus, und da müsse man Jeden willkommen heißen. Es war schon Nacht, als die jungen Burschen von Deimerstetten, die auf dem Heimweg nach ihrem Dorfe durch Renkingen mußten, im Pflugwirthshause einkehrten. Xaveri saß am Tische, seine Augen rollten und seine Fäuste ballten sich; bald verließ er die Stube und man sah ihn hastig im Dorf hin und her rennen, aber nicht mehr allein, denn von Haus zu Haus vergrößerte sich sein Anhang; sie gingen endlich Alle gemeinsam auch nach dem Pflugwirthshause, und wenn die Deimerstetter eine Maß Achter kommen ließen, so riefen die Renkinger: »Ein' Maß Zehner!« und wenn die Deimerstetter ein Lied begannen, sangen die Renkinger ein anderes drein und überbrüllten sie. Der Pflugwirth beschwichtigte so gut er konnte, der Schackle mußte die Deimerstetter bedienen und die Lisabeth mußte sich zu den Ortsburschen setzen und durfte nicht vom Platze. Xaveri aber glaubte zu bemerken, daß sie feurige Blicke nach des Lenzbauern Philipp am andern Tische sendete; und jetzt rief dieser: »Lisabeth, frag' einmal den Xaveri, warum er keinen Hut vom Markte mitgebracht hat?«

»Wart', ich will dir einen Glashut aufsetzen, den[204] man dir aus dem Kopfe schneiden muß!« schrie Xaveri, faßte eine Maßflasche, sprang damit über den Tisch und schlug nach dem Kopfe des Philipp. Durch die Abwehr des Pflugwirths und der Kameraden schlug er die Flasche nur an der Wand entzwei, und unter Geschrei und Toben gelang es endlich dem Pflugwirth, eine rasche Versöhnung herzustellen. Er behauptete, wer Feindschaft halte, der habe es mit ihm zu thun, er sei ein Deimerstetter und Renkinger in Einem Stück; er gab selber eine Maß von seinem Besten als Freitrunk und brachte es endlich dahin, daß die Tische aneinander gestoßen wurden und die Burschen beider Orte zusammen saßen und tranken. Der Wein aus Einer Flasche belebte die Zungen, und die gleichen Töne stimmten zusammen, aber doch mochte man beiderseits spüren, daß noch keine Einigkeit da war. Es war schon spät, als die Deimerstetter endlich aufbrachen, die Renkinger wollten ihnen das Geleit geben, der Pflugwirth aber suchte sie davon zurückzuhalten und es gelang ihm bei mehreren, daß sie in seiner Stube blieben. Der Xaveri mit wenigen seiner Genossen beharrte aber dabei, daß er das Geleit gebe und man ließ ihn ziehen; er war nun an Zahl den Deimerstettern nicht überlegen und diese waren berühmt wegen ihrer Stärke. Durch das Dorf ging man still und wohlgemuth mit einander. Xaveri hatte den Plan, erst draußen im Hohlweg die Feinde anzugreifen, aber unversehens platzte er am letzten Hause des Dorfs heraus und fragte den Philipp: »Sag' Philipp, sag' noch einmal, wie hast du mich auf dem Markte geheißen?«

[205] »Laß gut sein, es ist ja vorbei.«

»Nein, sag's nur, ich will's noch einmal hören, sag's! Du mußt. Hast's vergessen?«

»Nein, aber ich sag's nicht!«

»So thu's oder ich werde wild.«

»Du bist ein närrischer Kerl, ein Wort läuft ja an Einem 'runter.«

»Ich will's aber noch einmal von dir hören, nur noch Einmal.«

»Viereckig ist besser als rund,« sagte ein anderer Bursche und kaum hatte Xaveri diese Worte gehört, als er eine Baumstütze am Wege ausriß und den Philipp traf, daß er zu Boden stürzte.

Nun erhob sich allgemeines Schreien, Schlagen und Fluchen, und es hallte weit hinein durch das Dorf. Der Nachtwächter eilte herbei mit seiner Hellebarde und einer Laterne, ihm folgte der grausig Mall mit dem Gewehr über der Schulter. Ihr Ruf nach Ruhe wurde nicht gehört, denn wie ein wilder Knäuel wälzte sich Alles am Boden. Da schoß der grausig Mall über ihren Köpfen weg und in wilder Flucht stob Alles auseinander. Einen aber, der mit Steinen nach ihm warf, glaubte der grausig Mall zu erkennen, er verfolgte ihn und im nahen Wald stellte er sich ihm selber, drang auf den Verfolger ein und rang heftig mit ihm. Der Polizeisoldat riß sich los, faßte sein Gewehr und zerschlug auf dem Haupte seines Gegners den Kolben in Stücke; gleich als wäre nichts geschehen, entfloh der Bursche und höhnend rief der Polizeisoldat: »Lauf du nur, ich erkenn' dich schon morgen, ich hab' dich [206] gezeichnet. Man wird dir ein Lied singen, das du nicht am Wettibrunnen gefunden hast.«

Als der grausig Mall in's Dorf zurückkehrte, kam ihm wunderbarerweise, die Arme auf den Rücken übereinandergelegt, der Xaveri entgegen und grüßte ihn zuvorkommend.

»Ich will dir Morgen groß Dank sagen,« erwiderte der grausig Mall und ging, um sogleich alles Vorgekommene dem Schultheiß zu melden.

Am andern Morgen war eine seltsame Verhandlung beim Schultheißenamt. Xaveri bekannte offen, daß er bei der Rauferei gewesen, aber er läugnete beharrlich, mit dem grausigen Mall in eine persönliche Berührung gekommen zu sein und staunend sah der Diener der öffentlichen Ordnung ihn an; der Xaveri mußte einen Kopf härter als Stahl und Eisen haben, denn nicht die Spur irgend einer Verletzung war daran zu bemerken und Xaveri war so lustig wie je. Der Schultheiß, ein Vetter Xaveri's, ließ die Verhandlung nach dieser Seite hin gern auf sich beruhen, denn Auflehnung und persönlicher Angriff gegen den Polizeisoldaten hätte, wenn vollkommen erwiesen, nicht die leicht zu verwindende Strafe von ein paar Wochen bürgerlichen Gefängnisses oder eine Geldbuße nach sich geführt, sondern entehrendes Arbeitshaus. Um so ernster nahm dagegen der Schultheiß die Rauferei mit den Deimerstetter Burschen, und hier sah sich Xaveri in einer seltsamen Falle gefangen; er wollte durchaus nicht sagen, was eigentlich der Grund seines Zornesausbruchs gegen des Lenzbauern Philipp war, er bezeichnete ihn im [207] Allgemeinen als Ehrenkränkung, und als der Schultheiß spöttelnd darauf kam und auch die Genossen mittheilten, daß der Unname die eigentliche Veranlassung gewesen sei, und als Einer nach dem Andern, unter großem Gelächter das Wort: »der Viereckig« aussprach, war Xaveri voll Wuth und schrie immer:

»Das Wort darf nicht in's Protocoll, das darf nicht auf dem Rathhaus eingetragen sein, sonst ist's ja für ewige Zeiten fest; das darf man gar nicht nennen, gar nicht erwähnen, das leid' ich nicht, sonst hat's der ganze Gemeinderath mit mir zu thun.«

Alle diese Einwände halfen nichts und Xaveri sah zu seinem Schrecken, daß er hervorgerufen, was er auf ewig verstummen machen wollte. Er selbst mußte zuletzt seinen Namen unter ein Protokoll schreiben, worin es deutlich und mehrfach wiederholt hieß, daß er den Schimpfnamen »der Viereckig« habe.

Als er vom Rathhaus herunter kam, ballte er die Faust und knirschend schaute er das Dorf auf und ab. Freilich hatte er fortan den seltenen Ruhm, einen so harten Kopf zu haben, daß das Gewehr des grausigen Mall daran splitterte, ohne ihn zu verletzen. Eine Zeit lang schien es, daß dieser Ruhm einen so bösen Schimpfnamen überdecke. Die Ueberlegenheit im Raufen brachte ihm viel Lob und Ehre ein. Es ist aber doch ein seltsam Ding um solchen Ruhm! Die Bethätigung ungewöhnlicher Kraft, ein wüstes Raufen kann sich eine Zeit lang als Bedeutung geltend machen, dann aber tritt plötzlich eine Ernüchterung ein; die Menschen besinnen sich, was denn das eigentlich sei, und wenn [208] man nicht immer neue glorreiche Thaten aufbringen kann, erscheinen die verjährten Rechte des Gewalthabers plötzlich in Frage gestellt. Eine Widerspenstigkeit gegen das herrische Wesen Xaveri's gab sich im ganzen Dorf kund, er hieß jetzt nur immer »der Viereckig« und mußte das mit guter Miene geschehen lassen, denn er konnte doch nicht immer dreinschlagen. Des Pflugwirths Lisabeth vor Allen entzog sich ihm, sie sah jetzt auf Einmal, daß Xaveri auch gegen sie roh und gewaltthätig gewesen war; er hatte sie behandelt, als müsse man ihm ohne Frage gehorchen und indem sie sich von solcher Unterthänigkeit frei machte, machte sie sich auch von Xaveri selbst ganz frei. Das geschah besonders, seitdem des Lenzbauern Philipp von Deimerstetten ungehindert im Dorfe aus- und einging; denn der Schultheiß hatte Xaveri gedroht, sobald dem fremden Burschen im Dorfe irgend eine Unbill widerfahre, würde er ohne Untersuchung Xaveri dafür in Strafe ziehen, und dieser mußte nun fast selber der Wächter seines Nebenbuhlers sein. Bald wurde Lisabeth Braut mit des Lenzbauern Philipp und Xaveri that, als ob ihm das sehr gleichgültig sei; er besuchte nach wie vor das Haus des Pflugwirthes und als Elisabeth in Deimerstetten Hochzeit machte, ritt er auf seinem wohlbekannten Apfelschimmel dem geschmückten Brautwagen voraus, und an dem schönen breiten Hute, den er sich allerdings ausdrücklich hatte bestellen müssen, flatterten helle Bänder.

Xaveri schien froh, daß er Soldat werden mußte, und an der Fastnacht, bevor er nach der Garnison [209] abging, vollführte er noch einen lustigen Streich, der ihm lange anhaltenden Nachruhm zuzog.

Das Zuckermännle hatte sich bald zu trösten gewußt, und sich ein armes, aber schönes Mädchen aus Deimerstetten zur Frau geholt. Als nun zu Fastnacht die Burschen auf einem Wagen durch's Dorf zogen und die sogenannte »Altweibermühle« darstellten, erschien Xaveri als die verstorbene Zuckerin und wußte ihr Wesen und ihre ganze Art so täuschend nachzuahmen, daß Alles im Dorf darüber jauchzte; und als er unter gewaltigem Schreien in die Mühle geworfen wurde, erschien er auf der andern Seite wiederum als die junge Zuckerin. Selbst vor dem Hause des Verspotteten führten sie das Possenspiel auf und die junge Frau sah vergnüglich dazu lachend aus dem Fenster; das Zuckermännle aber ließ sich nicht sehen. Am Aschermittwoch Morgen hatte Xaveri die Keckheit, sich ein Päckchen Tabak bei der Zuckerin zu holen, diese aber schien gar nicht böse gelaunt, sie war unter Lachen äußerst zuthunlich gegen Xaveri und in einem Anfluge von Tugend und Mißgunst sagte dieser zuletzt: »Laß dich nur nicht mit den hiesigen Burschen ein, dann hast du, wenn dein Alter abkratzt', die Wahl unter Allen.«

Wenige Tage darauf mußte Xaveri in die Garnison und am Morgen vor der Abreise übergab ihm seine Mutter mehrere Päckchen Tabak, die er bei der Zuckerin eingekauft und die diese überbracht hatte. Xaveri hatte nichts gekauft, er nahm aber das seltsame Geschenk doch wohlgemuth mit.

[210] Es gibt Auffälligkeiten und Bezeichnungen für dieselben, die sich auf wundersame Weise überallhin verbreiten. Als Xaveri zu seinem Regimente eingetheilt war, erfuhr er von allen seinen Kameraden den alten Schimpf auf's neue. Der Feldwebel fluchte und wetterte, daß auch dem Beherzten flau zu Muthe wurde; er hatte nach und nach fast sämmtliche Helme auf Xaveri's Haupt probirt, aber keiner paßte. Er drückte ihm die Helme auf den Kopf, das Lederwerk und die Spangen knarrten, aber doch war keiner passend. Endlich sagte er halb fluchend und halb scherzend: »Kerl, du hast ja einen viereckigen Kopf und größer als eine Bombe.« Nun hatte der Xaveri auch in der Kaserne sein gebranntes Leiden, aber er hatte seinen Stolz darauf, daß man ihm eigens einen Helm bestellen mußte, und bei der ersten Visitation des Obersten war er Gegenstand allgemeiner Betrachtung, wobei er nur in sich hineinlachte, denn nach außen lachen durfte man als Soldat nicht mehr im Angesichte der Vorgesetzten.

Ganz gegen alles Vermuthen fühlte sich Xaveri im Soldatenleben wohl; diese strenge, unwandelbare Ordnung, diese unbeugsamen Gesetze übten eine große Macht auf den Burschen aus, der nie die Herrschaft eines fremden Willens gekannt hatte. Dazu kam, daß für Xaveri sich bald eine neue Lustbarkeit aufthat; er war Schütze und nicht lange darauf Signalist geworden.

Draußen am Waldesrand sich auf dem Horne einzuüben, das war ihm eine Lust, und Xaveri's Signale übertönten alle; man mußte ihn nur zwingen, sie nicht zu übermächtig ertönen zu lassen.

[211] Schon im ersten Jahre seines Soldatenlebens erfuhr Xaveri den Tod seines Vaters. Er nahm Urlaub auf zwei Tage, ordnete mit seinem Bruder Alles und ließ sich bereit finden, gegen eine Summe, die sich nahezu auf tausend Gulden belief, dem Bruder, wie es der Vater bestimmt hatte, das väterliche Erbe zu überlassen. Bald hörte er, daß sein Bruder sich verheirathe und seine einzige Schwester mit dem Vetter von des Lenzbauern Philipp verlobt sei. Das Soldatenleben schien aber Xaveri so zu gefallen, daß er nicht einmal zu den Hochzeiten seiner Geschwister heimkam, und besonders glücklich war er, als die Signalisten zu einer Musikbande geordnet und eingetheilt wurden, die nun bei Ein- und Ausmärschen hellauf blies.

Xaveri hatte seine sechs Jahre ausgedient, ohne die Garnison zu verlassen; er war Willens, als Einsteher einzutreten, da kam gerade um dieselbe Zeit das Gesetz der allgemeinen Wehrpflichtigkeit, welche das Einsteherwesen aufhob, und Xaveri kehrte in's Dorf zurück. Er lebte bei seiner Mutter, die von Trudpert ein mäßiges Leibgeding bezog und in der untern Stube des elterlichen Hauses wohnte. Er konnte sich nicht dazu verstehen, bei seinem Bruder in freiwilligen Dienst zu treten und schien dem Rathe seines Vetters, des Schultheißen zu folgen, der ihn ermahnte, sich nach einem rechten »Anstand,« d.h. nach einer vermöglichen Heirath umzuthun. Unterdessen aber lebte er in den Tag hinein, und wie von selbst war er wiederum die meiste Zeit in dem Hause des Pflugwirths. Der Schackle, der sich zum [212] Feldbau untauglich erwiesen, war auswärts in der Lehre bei einem Kaufmann; aber fast noch schöner als ehemals die Lisabeth, war jetzt die zweite Tochter des Pflugwirths, Agathe, geworden. Freilich war sie nicht so beredtsam, und die Leute sagten sogar, sie sei dumm wie Bohnenstroh: aber Xaveri hatte das nie gefunden, sie wußte auf Alles gehörig Rede und Antwort zu geben, von selbst sprach sie allerdings nicht. Xaveri hatte einmal seinen Kopf darauf gesetzt, eine Tochter des Pflugwirths zu haben; war es Lisabeth nicht, so mußte es Agathe sein.

Mit einem Gemisch von Empfindungen hörte und sah Xaveri, daß das Hauswesen der Lisabeth und des Lenzbauern Philipp in Deimerstetten, die bereits sechs Kinder hatten, in Verfall gerathen war; ja die Rede ging, wenn nicht der Pflugwirth noch einmal nachgeholfen hätte, wären sie bereits ganz zu Falle gekommen. Xaveri war nicht hartherzig genug, um sich darüber zu freuen, aber auch nicht so sanftmüthig, daß er nicht eine gewisse Genugtuung dabei empfand. Die ältere Schwester sollte einst die jüngere beneiden und er meinte, der Pflugwirth habe nicht Unrecht gethan, da er ihm Lisabeth versagte; er war damals noch zu jung und unerfahren, aber jetzt hatte er etwas von der Welt gesehen und konnte es dem Dorfe beweisen. Das waren die Gedanken Xaveri's.

Der Pflugwirth verstand es wiederum, ihn als Knecht ohne Lohn im Hause zu halten und nur zum Essen und Schlafen ging Xaveri zu seiner Mutter. Die Leute schimpften gewaltig darüber und forderten[213] Trudpert auf, das nicht zu dulden: aber dieser konnte sich nicht dazu bringen, scharf gegen seinen Bruder zu sein. Die alte Liebe und Anhänglichkeit aus der Kinderzeit lebte noch in ihm und er hatte deßhalb manchen Streit mit seiner Frau.

Der Pflugwirth betrieb sein Auswanderungsgeschäft noch viel umfänglicher, er hatte sich ein eigenes Gefährte angeschafft und beförderte mit demselben oft ganze Trupps nach Straßburg. Dabei bediente er sich des Xaveri als Kutscher und Postillon, denn durch Renkingen und durch alle Dörfer, die man bis nach Offenburg an die Eisenbahn berührte, blies Xaveri lustig auf seinem Waldhorn, das er in's Dorf mitgebracht hatte. Länger als ein Jahr war Xaveri so der unbelohnte Knecht des Pflugwirths zum Aerger aller Dorfbewohner, die auch die Mutter verhetzen wollten; aber diese war wie Trudpert dem Xaveri mit unerschütterlicher Liebe zugethan. Da starb das Zuckermännle, und kaum war es unter der Erde, als sich ein Schwarm Bewerber bei der vermöglichen und noch immer wohlansehnlichen Wittwe einfand.

Zu großer Belustigung des Dorfes wurde ein Brief des alten, abgestellten Baders von Deimerstetten bekannt, der der Zuckerin schrieb, sie möge sich mit einer Heirath nicht übereilen, seine Frau kränkle immer, und er werde sich glücklich schätzen, sich mit ihr zu verehelichen. Man kann sich denken, wie sehr dieser Brief belustigte, und Manche konnten seine hochtrabend verschmitzten Worte ganz auswendig.

Man konnte recht die Menschen kennen lernen an[214] der Art, wie sie über die Zuckerin sprachen. Sie hatte wenig gute Freunde im Dorfe, sie war eine Fremde und man war ihr neidisch, und überhaupt ist die Krämerin immer eine widerwillig betrachtete Persönlichkeit, weil ihr der Bauer das besonders hochgeschätzte baare Geld geben muß und weil sie allerlei Heimlichkeiten der Bauerfrauen Vorschub leistet. Jetzt schien plötzlich ihr Ruf ein ganz anderer geworden. Manche verkündeten laut ihr Lob und Andere nickten nur still aber vieldeutig dazu. Man konnte ja nicht wissen, in welche Familie die Zuckerin nun bald gehören würde. Eine ihrer Eigenschaften aber wurde mit allgemeinem Lobpreis hervorgehoben, und das war der Acker von anderthalb Morgen, den sie besaß, draußen am Bergesabhang, neben dem Kirchhof, an der Straße nach Deimerstetten. Man ermahnte den Pflugwirth, er solle sich diesen Acker von der Wittwe zu erwerben suchen, der sei grade für ihn gelegen, denn er liebte besonders die Aecker an der Straße; aber er lehnte es ab und sagte spöttisch, der Acker gehöre ja schon einem aus Deimerstetten Gebürtigen. Als man ihn hierauf neckte, er möge den Schackle mit der Zuckerin verheirathen, dann habe er den Acker und brauche keinen neuen Kaufladen einzurichten, sagte er mit schelmischer Gemütlichkeit, er wolle einem guten Freund nicht in den Weg stehen.

Xaveri war still, aber in ihm kochte die Wut, als ihm der Pflugwirth mit zuthulicher Freundlichkeit anrieth, sich auch um die Zuckerin zu bewerben. So hatte er sich zweimal von dem abgeriebenen Schelm betrügen lassen! Dennoch that er wiederum, als ob nichts [215] geschehen wäre, und Tage lang saß er in der Wirthsstube zum Pflug und starrte hin auf die große Tafel an der Wand, darauf ein Schiff auf der See schwamm und mit großen, rothen Buchstaben geschrieben war: Nach Amerika. Der Entschluß schien ihm schwer zu werden; endlich aber eines Sonntags, als fast das ganze Dorf in der Wirthsstube versammelt war, verkündete er, daß er auch auswandere. Einige sagten, daß er daran Recht thäte, und sie hätten das schon lange erwartet, solch ein halbes Leben schicke sich nicht für ihn; Andere dagegen bedauerten seinen Weggang und wieder Andere bezweifelten, daß es ihm Ernst sei.

»Ihr kennt mich dafür, daß das, was ich gesagt habe, auch ausgeführt wird!« schrie Xaveri, und seine alte Trotzigkeit lebte wieder in ihm auf. Das Wort war heraus, er wußte nun, was er wollte, und war nicht mehr von Zweifeln geplagt. Dennoch willfahrte er beim Nachhausekommen seiner Mutter, die von Anderen bereits seinen Entschluß gehört hatte, nicht zu schnell damit zu sein und die Sache noch hinzuhalten, vielleicht fände sich doch noch der rechte »Anstand,« daß er im Lande bleibe. Wochenlang ging er nun im Dorf umher und mußte still sein, denn er wußte Nichts zu antworten, wenn ihn die Leute immerdar fragten: »Bis wann geht's fort?« Er hatte auch im Stillen gehofft, daß der Pflugwirth noch andern Sinnes werde und ihn nicht ziehen lasse, aber dieser hatte sich bereits einen wirklichen Knecht gedingt und Xaveri sah, daß all seine Hoffnung vergebens sei.

Hatte Xaveri bisher die junge Welt im Dorfe [216] beherrscht, so schien es nun, daß er auch mit seinem Weggange eine gewaltige und beispielgebende Macht ausüben sollte. Unter dem ledigen Volke im Dorfe zeigte sich eine ungeahnte und jetzt zum Schrecken Vieler hervortretende Auswanderungslust. In dem Auswanderungstriebe war eine neue Entwicklungsstufe von unberechenbaren Folgen eingetreten. Bisher war man es nur gewohnt, ganze Familien auswandern zu sehen, und mußte man mitunter auch manchen Wohlhabenden scheiden sehen, der Riß unter den Zurückbleibenden war darum doch kein so auffälliger; es schieden Menschen, die sich von ihren Blutsverwandten und Angehörigen schon losgelöst hatten zu einer in sich abgeschlossenen Familie, sie waren nur sich verpflichtet und man konnte sie, wenn auch mit Wehmuth, doch ohne Groll scheiden sehen. Die neue Thatsache aber, daß nun auch ledige Leute auswandern wollten, daß eine ganze Schaar von jungen Burschen und Mädchen sich zusammenthat, um in die weite Welt zu ziehen, brachte die Gemüther auf einmal in seltsame Bewegung.

Wie ein lebendiges Nationalgefühl es schmerzlich empfinden sollte, wenn wie in unsern Tagen noch zukunftsreiche Kräfte sich der Gesammtheit entziehen, so empfand man jetzt im Dorfe, was es heißt, wenn junge Bursche, die man groß gezogen und von denen man Etwas erwarten kann, sich mit ihrer Kraft davon machen. Xaveri war der erste Ledige im Dorfe, der davonzog, und andere Bursche und Mädchen wollten es ihm nachthun; mitten in der Familie that sich eine Selbstsucht auf, von der man bisher keine Ahnung gehabt. Kinder, die [217] man unter Sorgen und Mühen großgezogen und von denen man eine Stütze für's Alter erwartete, dachten jetzt nur an sich, wollten sich selbst eine Zukunft schaffen und die alten Eltern und jungen Geschwister der Stütze und thätigen Kraft beraubt allein lassen. Der Staat duldet es nicht und ahndet es im Betretungsfalle, wenn ein junger Mann sich der Wehrpflicht entziehe, und was ist das Recht des Staates an Dem, der ihn verlassen will? Die Familie hat keine äußere Macht, die den Treulosen zurückhielte, und hätte sie auch eine solche, sie brächte sie nur selten zur Anwendung. In vielen Häusern in Renkingen hörte man lautes Schreien und Lärmen, denn hier wollte ein Sohn und da eine Tochter und dort wollten alle Erwachsenen auswandern; die Eltern klagten, gaben aber meist nach. Denn was opfert die Elternliebe nicht?

Auf den Xaveri aber war Alles zornig, er hatte diese Sucht im Dorfe aufgebracht und sein Beispiel wurde immer angeführt, er hatte es ja am wenigsten nöthig und zog doch über's Meer. Während aber viele Andere sich bereits entschieden hatten, war gerade Xaveri noch zweifelhaft.

Es war an einem schönen Sommernachmittag nach der Heuernte, da fuhr Xaveri eine neue Kiste von weißem Tannenholz auf einem Schubkarren langsam das Dorf hinauf; er stand oft still und ließ die Leute fragen, was er da habe, um ihnen zu sagen, daß das seine Auswanderungskiste sei, wobei er erklärte, wie sie gesetzmäßig genau drei Schuh hoch, drei breit und vier lang sei, denn so müssen diese Kisten sein, um [218] gehörig in den Schiffsraum gebracht werden zu können. Auch beim Schlosser, wo er die Reife darum schlagen, zwei Schlimpen anbringen und die vier Ecken mit starkem Eisenblech beschlagen ließ, wußte er es so einzurichten, daß dies die allgemeine Aufmerksamkeit erregte. Seine Mutter weinte, aber er tröstete sie, daß nun einmal nichts zu ändern sei. –

Er war nun zu seinem ungeordneten und müßigen Leben berechtigt, er zog ja von dannen und durfte sich's wohl noch in der Zeit seines Verweilens in der Heimath bequem machen; er schaffte sich mehrfach neue Kleider an und ging in denselben an Werkeltagen umher. Vor dem Rathhause, wo es alle Leute sehen konnten, wurde die Kiste im Sonnenschein mit blauer Farbe angestrichen. Der grausig Mall ließ sich einen Nebenverdienst als Sackzeichner nicht entgehen, und machte diese Zeichnung mit besonderer Liebe, denn sie entledigte ihn eines von Kindheit auf tückischen Feindes; mit großen Buchstaben schrieb er auf den Deckel und auf die Vorderseite: »Xaver Boger in Neuyork.« Ein großes Rudel Kinder stand immer umher und viel Kopfbrechens und mehrfache Versuche kostete es, hüben und drüben an der Kiste das Waldhorn Xaveri's abzumalen; aber darauf bestand er, und endlich war das große Werk gelungen.

Xaveri brachte die Kiste zu seiner Mutter, diese aber klagte immer, sie könne nicht schlafen wegen der Kiste, es sei ihr immer, als stünde der Sarg ihres Sohnes bei ihr, und es sei auch ein Sarg, er wäre ja todt für sie, wenn er über das Meer ziehe. Weinend [219] und klagend wiederholte sie oft: »Ach! Meine Mutter hat gesagt, ich glaub' nicht an Amerika; ich, ich muß dran glauben!« Auch Trudpert drang in seinen Bruder, doch zu bleiben, er sei sein einziger Bruder, und sie hätten immer treu zusammengehalten, er solle ihn doch nicht verlassen. Der unbeugsame Xaveri erwiderte: »Was der Viereckig einmal will, das führt er auch aus.« Gegen seine Angehörigen ließ er den Zorn los, daß er diesen Schimpfnamen hatte und sie konnten doch nichts dafür. Doch machte Xaveri einen letzten Versuch und ging zum Pflugwirt, mit ihm den Ueberfahrtsvertrag abzuschließen; er hoffte, wenn auch nur halb, daß dies ihn möglicherweise noch nachgiebig machen werde. Aber der Pflugwirth holte mit Bedauern zwei gedruckte Formulare, darauf die Bruderhand sehr schön zu sehen war, füllte sie aus, unterschrieb selber und ließ auch den Xaveri unterzeichnen, worauf er ihm den Vertrag einhändigte mit dem Beifügen: »Du kannst mir auf den Abend oder morgen das Geld bringen, aber bezahlen mußt; was einmal da geschrieben ist, muß bezahlt werden, und du siehst, ich hab' dir ja den billigsten Preis gestellt.« Xaveri nickte bejahend ohne ein Wort zu reden und steckte den Vertrag zu sich. Als er auf dem Heimweg vor dem Hause der Zuckerin vorüber kam, ging er hinauf, um sich Tabak zu holen. Er hatte sie seit seiner Rückkehr nicht wieder besucht, er hatte eine gewisse Furcht vor ihr; jetzt, mit diesem Abschiede in der Tasche, konnte er sie ja wieder sehen. Die Zuckerin war überaus freundlich bei seinem Eintritt, sie schalt zwar lächelnd, daß er sie so auffallend [220] vernachlässigt habe, erklärte ihm aber dabei, wie sie ihm seine gute Ermahnung doch nicht vergessen habe, und wie sie jetzt sehe, daß er Recht gehabt habe, denn sie könne sich der Freier gar nicht erwehren; sie besinne sich aber zweimal, bis sie sich entschließe, um Einen in diese volle Haushaltung einzusetzen, in der mehr stecke als man glaube, und die sie sich bei ihrem Alten habe sauer verdienen müssen. Xaveri sah sich mit Wohlgefallen in dem Hause um, und als eben ein Kind kam, um Essig, und bald darauf der grausig Mall, um sein Nasenfutter zu holen, und noch Andere die Stiege heraufkamen, schickte die Zuckerin mit zutraulichem Bedrängen den Xaveri in die Stube, damit er dort warte, bis sie die Käufer abgefertigt hätte. Unwillkürlich folgte ihr Xaveri, und es muthete ihn behaglich an in der Stube. Der große Lehnsessel stand neben dem Ofen, der jetzt im Herbst schon geheizt war, und Aepfelschnitze, die auf dem Simse gedörrt wurden, verbreiteten einen angenehmen Duft. Die rothgestreiften Vorhänge an den Fenstern, die mit Messing eingelegte nußbaumene Kommode, die gepolsterten Sessel, Alles machte einen behaglichen Eindruck. Man hörte nichts als das schnelle Ticken einer doppelgehäusigen Sackuhr, die an der weißen Wand hing, und das Summen der Fliegen, die jetzt das Herbstquartier bezogen hatten und sich an den Aepfelschnitzen gütlich thaten. Alles im Zimmer war, wenn auch etwas ausgedient, doch sauber und an den festen Platz gestellt; da waren keine Kinder, die Unruhe und Unordnung machten. Xaveri nickte mehrmals mit dem Kopfe vor sich hin, [221] als wollte er sagen: »Das ist nicht so uneben.« Xaveri war in einer nie gekannten weichen Stimmung. Der unterschriebene Ueberfahrtsvertrag in der Tasche, nach dem er mehrmals griff, mußte das bewirken. Er fürchtete sich jetzt fast vor der Zuckerin, er hatte sich zu viel zugetraut; die Abfertigung der Käufer im Laden dauerte lange, und immer hörte er wieder neue die Treppe heraufkommen. Mehrmals dachte er daran, sich aus dieser peinlichen Lage fortzumachen und die Rückkehr der Zuckerin nicht abzuwarten. Was sollte ihm das jetzt? Er mußte fort und hatte von der Zuckerin nie was gewollt, dafür war er sich zu viel werth; aber wenn er jetzt fortging, mußte es ja Aufsehen erregen bei den Kunden im Kaufladen. »Aber, was liegt daran, wenn man dir auch etwas nachsagt? Du ziehst ja über's Meer. Es ist aber auch wieder nicht Recht, die Frau in's Geschrei zu bringen; um ihr das nicht anzuthun, mußt du bleiben.« Und so blieb er mit widerstreitenden Gefühlen. Er stopfte sich seine Pfeife, schlug Feuer und setzte sich behaglich schmauchend in den abgegriffenen großen Ledersessel am Ofen. »Das ist kein übel Plätzle,« dachte er und von diesem Gedanken doch wieder erschreckt, stand er plötzlich auf. Eine eigene Gespensterfurcht überkam ihn am hellen Tag in der stillen Stube; auf diesem Stuhle hatten die alte Zuckerin und das Zuckermännlein sich ausgehustet, das war kein Platz für des Lachenbauern Xaveri. Er schaute an den Pfosten gelehnt durch das Fenster, um zu wissen wer wegging; als aber jetzt des Pflugwirths Agathe aus dem Hause trat, sich umwandte und nach dem Fenster schaute, [222] trat er tief zurück in die Stube, setzte sich aber nicht mehr in den abgegriffenen Ledersessel am Ofen. Endlich klang die Klingel an der Ladenthüre wie bellend, die Thüre wurde abgeschlossen, aber es sprang wieder Jemand die Treppe hinab, man hörte an der Hausthür einen Riegel vorschieben und laut athmend kam die Zuckerin in die Stube und sagte: »So, jetzt bin ich nicht mehr daheim. Wer kein Essig und Oel hat, der kann seinen Salat ungegessen lassen. Du glaubst gar nicht, was man geplagt ist, wenn man so Haus und Geschäft allein über sich hat. Der Verdienst ist gut, ich könnte gar nicht klagen, es ist nicht groß, aber regnet's nicht, so tröpfelt's doch. Das ist Recht, daß du dir deine Pfeife angezündet hast. Ich rieche den Tabak gar gern. Mein Alter hat nicht rauchen können. Jetzt sag, ist's richtig, daß du fortgehst?«

Ohne ein Wort zu erwidern, reichte Xaveri der Zuckerin den unterschriebenen Ueberfahrtsvertrag, und die Hände zusammenschlagend und klagend rief sie: »Ja der Pflugwirth! Wenn den der Teufel holt, zahle ich ihm den Fuhrlohn. Oder ich sage wie die alte Schmiedin einmal von unserm bösen Schultheiß gesagt hat: ich möchte mit dem in derselben Stunde sterben, denn da haben alle Teufel alle Hände voll zu thun, um die Schelmenseele zu fangen, und da kann derweil jedes Andere mit allen seinen Sünden daneben in den Himmel hineinhuschen.«

»Du bist gescheit und scharf,« sagte Xaveri schmunzelnd und auch die Zuckerin schmunzelte; Beide waren mit einander zufrieden und sahen einander eben nicht [223] böse an. Aber was ist da für eine Einheit, wo sich zwei Menschen in solch einem bösen Gedanken vereinigen? Was wird daraus werden?

Die Zuckerin fuhr indeß geschmeichelt rasch fort: »Den Pflugwirth kennt Keiner, das ist ein Seelenverkäufer, der hat dich zum Narren gehabt, und dich hineingeritten, bis du nicht mehr gewußt hast, wo anders 'naus, und da macht er noch seinen Profit dabei. Wenn ich Gift hätte und wüßte, daß Niemand anders davon essen thät', dem gäb' ich's, der ist nichts Besseres werth. Ach! und ich hab's immer gesagt, du bist so gut, nur zu gut. Es ist unerhört, daß ein Mensch wie du und aus einer solchen Familie auswandern soll. Das lasse ich mir gefallen bei Einem, der nicht mehr weiß, wo aus und ein und der keinen Anhang hat. Mich dauert nur deine gute, rechtschaffene Mutter, der drückt es das Herz ab, und eine bessere Frau giebt es nicht zwischen Himmel und Erde.«

Minder dieser Ruhm und dieses zutrauliche Lob, als der anfängliche Zorn gegen den Pflugwirth, drang Xaveri tief in die Seele; sie sprach es aus, was er selber schon oft gedacht hatte, und um seinetwillen hatte sie diesen Zorn. Nicht nur ein Gegenstand gemeinsamer Verehrung, sondern oft noch weit mehr der eines gemeinsamen Hasses eint die Gemüther, und erst die Folge lehrt, welches Band dauernder sei. Das heftige und ingrimmige Wesen der Zuckerin sprach jetzt Xaveri sehr an, weil es sich gegen den Mann seines Hasses kehrte; er ward zutraulich und freundlich gegen die Wittwe und glaubte es ihr schuldig zu sein, daß er [224] sie lobte und ihr Hauswesen bewunderte, während sie ihn vom Speicher bis zum Stalle umherführte. Mit einer verblüffenden Offenherzigkeit erklärte sie dann zwischen hinein:

»Kannst dir denken, daß es mir an Freiern nicht fehlt, aber ich mag Keinen von Allen; ich will Keinen, der einem in der Hand zerbricht. Ich will dir's nur gestehen, dir darf ich's schon sagen, ich bin ein bißchen hitzig und obenhinaus, aber auch gleich wieder gut, und drum will ich grade einen Mann, der den Meister macht, der ein rechter Mann ist und nicht unterduckt. Für die Frau gehört sich's, daß sie untergeben ist, und das kann ich nur sein gegen Einen, vor dem ich Respect habe, der fest hinsteht.«

Diese, in verschiedenen Wendungen halb lächelnd halb klagend vorgebrachten Selbstanschuldigungen, die doch wieder ruhmreich waren, machten den Xaveri ganz wirbelig; seine Antworten, die er doch manchmal einfügen mußte, bestanden in unverständlichem Murren und Brummen, das eben so sehr Mißmuth wie Wohlgefallen ausdrücken konnte und in der That auch Beides ausdrückte.

Trotz freundlicher Zurede kehrte aber Xaveri doch vom Stalle aus nicht mehr in die Stube zurück. Er verließ plötzlich das Haus und rannte die ersten Schritte schnell wie fliehend davon. Es war Nacht geworden, und auf dem Heimwege gelobte er in sich hinein, daß er sich nie mehr zu solcher Vertraulichkeit mit der Zuckerin verleiten lassen wolle; das war Einmal geschehen und nie wieder. Er war des Lachenbauern Xaveri, der sich [225] nicht an eine abgedankte Wittwe vergeben durfte, die gar nicht einmal wußte, woher sie war. Und grade daß die Zuckerin seinen großen Familienanhang lobte und das Gelüste zeigte, in denselben einzutreten, erweckte wieder das ganze stolze Bewußtsein in ihm. Jetzt zum Erstenmal kam ihm aber auch der Gedanke, daß er drüben in Amerika nicht mehr des Lachenbauern Xaveri sei, da galt sein Familienansehen nichts mehr. Das war nun freilich nicht mehr zu ändern.

Es mußte aber doch etwas Eigentümliches in Xaveri vorgehen, weil er am Abend und den ganzen andern Tag seiner Mutter nichts davon sagte, daß er den Ueberfahrtsvertrag abgeschlossen und am heutigen Tage bezahlt habe. Erst von der Zuckerin vernahm sie das spät am Abend. Sie war gekommen, um ihr frisches Backwerk zu bringen und wußte viel davon zu sagen, wie gern der Xaveri dabliebe, er wisse schon wo er gleich daheim sei; es käme nur darauf an, ihn dahin zu bringen, daß er, ohne sich vor den Leuten dem Spott auszusetzen, wieder umkehre; man müsse darum thun, als ob man ihn zwinge daheimzubleiben, das sei was er wolle, aber nur nicht sagen könne.

Die Mutter, der die Schwiegertochter zwar nicht recht anstand, war doch glücklich, daß sie ihren Xaveri daheim behalten sollte und lange, ehe dieser zum Schlafen kam, war es unter den beiden Frauen ausgemacht und entschieden, daß er bleiben müsse.

Xaveri war indeß an diesem Tage vor dem versammelten Gemeinderathe erschienen und hatte seinen Austritt aus der Gemeinde gemeldet. Der Schultheiß rieth [226] ihm, daß er gar nicht nöthig habe, sein Heimathsrecht aufzugeben, er könne sich einfach einen Paß nehmen, und wenn es ihm in Amerika nicht gefalle, wieder zurückkehren oder auch unterwegs andern Sinnes werden. Xaveri lachte höhnisch über diese Zumuthung und drang jetzt gerade um so mehr auf Entlassung aus dem Orts- und Heimathsverbande.

»Nun denn,« rief zuletzt der Schultheiß, »wenn's sein muß, wollen wir's gleich an's Amt ausfertigen; aber ich rathe dir, besinn dich noch einmal.«

»Bin schon besonnen, fort geh' ich,« sagte Xaveri trotzig.

Gelassen erwiderte der Schultheiß nochmals: »Xaveri, ich mein' du verbindest dir den unrechten Finger.«

»Ich weiß selber, wo mir's fehlt, und ihr seid auch kein Doctor. Behüt's Gott!« schloß Xaveri und ging davon.

»Es ist wie's im Sprüchwort heißt: wenn's der Geis zu wohl auf dem Platz ist, da scharrt sie,« sagte ein Gemeinderath hinter ihm drein und der Schultheiß setzte hinzu: »Es ist halt der viereckig Hartkopf.« – Er hatte aber doch Unrecht; gerade weil Xaveri innerlich ein Schwanken empfand, that er nach außen um so trotziger und unbeugsamer. Erst am andern Morgen gelang es der Mutter, ihm den Antrag wegen der Zuckerin zu machen, aber Xaveri that auch hier unmuthig und entgegnete: »Wie könnt Ihr mir so einen Antrag machen? Werd' ich so Eine nehmen? So Eine findet man noch, wenn der Markt schon lange vorbei ist.«

Mehrere Tage war nun ein seltsames Widerspiel[227] von verdeckten Meinungen in der niedern Leibgedingstube: die Mutter lobte die Zuckerin überaus und hatte doch im Innern keine rechte Zuneigung zu ihr und der Xaveri that, als ob er gar nichts davon hören wolle und im Geheimen war es ihm doch lieb, daß man ihn damit bedrängte. Die Mutter erinnerte sich aber wohl, daß ihr die Zuckerin mitgetheilt hatte, der Xaveri wolle gezwungen sein damit er sich vor den Leuten nicht zu schämen brauche, daß er von seinem Auswanderungsentschlusse abstehe. Sie war eben daran, alle möglichen Bitten und Gründe vorzubringen und führte schon die Hand nach den Augen, um die zukünftigen Thränen abzuwischen, als grade der Vetter Schultheiß eintrat. Er überbrachte Xaveri die verlangten Papiere und sagte spöttisch, daß er ihn nun als Fremden im Dorfe begrüße; er sei hier nicht mehr daheim. Die Mutter schrie laut auf und die Thränen stellten sich jetzt in Fülle ein. Xaveri aber ergriff mit zitternden Händen die Papiere und starrte auf die großen rothen Siegel. Der Trudpert, der eben in's Feld fahren wollte, kam auch in die Stube zur Mutter, er sah schnell was hier vorging, und stemmte die geballte Faust still auf die blaue Kiste, die auf der Bank stand. Eine Weile schwiegen alle Vier, die in der Stube versammelt waren, nur die Mutter schluchzte vernehmlich. Als jetzt aber der Schultheiß weggehen wollte, hielt sie ihn zurück und mit mächtiger Beredsamkeit schilderte sie nun, welch ein Glück der Xaveri im Dorfe machen könne, wie er gewiß kein solches über dem Meere finde, und wie er sich dabei noch sagen [228] könne, daß er seine alte Mutter nicht vor der Zeit ins Grab bringe. Als sie endlich den Namen der Zuckerin nannte, schaute Trudpert wie erschrocken um, aber er schwieg. Xaveri starrte zur Erde und der Schultheiß zeigte sich als eifriger Beistand der Mutter und half ihr, wenn auch nicht die Zuckerin, doch das schöne Beibringen, das sie besaß, zu loben. Die Mutter redete sich nun immer mehr in Eifer hinein und was vorhin nur gewaltsame und von außen erregte Wärme war, wurde jetzt zu einer von innen kommenden; denn so eigen geartet ist das Menschenherz, daß es bald nicht mehr weiß und nicht mehr wissen will, was ihm gegeben und was aus ihm gekommen ist. Die Mutter pries sich und die ganze Familie glücklich, die Eines der Ihrigen an der Seite einer solchen Frau und in solch einem Hauswesen wußte. Xaveri hatte bei diesen Worten aufgeschaut und aus seinem Blicke sprach's, daß er an sich und seinen Gedanken zweifelte. War denn eine Heirath mit der Zuckerin in der That ein solches Glück? Fast aber hätte das übertriebene Lobpreisen der Mutter Alles zerstört, wenn nicht der Schultheiß mit bedachtsamer Ruhe Jegliches in gehörigen Betracht gezogen hätte, so daß auch endlich Trudpert nickte. Zuletzt stieg es wie ein Leuchten im Antlitze Xaveri's auf, als der Schultheiß darlegte, Xaveri verstünde ja jetzt das Geschäft der Auswanderungsbeförderung so gut wie der Pflugwirth und er könne, wenn er die Zuckerin heirathe, mit seinem freien Vermögen die Sache so in die Hand nehmen, daß er dem Pflugwirth das Handwerk lege. Das schien bei Xaveri einen gewaltigen [229] Eindruck zu machen, aber er schwieg noch immer bis endlich Trudpert die Hand auf die Schulter des Bruders legend sagte: »So red' doch auch, wir wollen dich nicht zwingen.«

»Nein, wir wollen ihn zwingen, ich geb' dir keine Hand, ich red' kein Wort mit dir, ich weiß nicht, was ich thue. Dein Vater unter'm Boden wird mir's nicht verzeihen, daß ich ihm verhehlt habe, wie du als Kind mit dem Schreiner Jochem hast davongehen wollen. Er hätt' einen Eid geschworen, daß er dich verflucht, wenn du je fortgehst. Soll ich jetzt das für ihn thun? Soll ich? Ich muß. Ich hab' dich mein Lebtag nicht zwingen können, von kleinauf nicht, jetzt thu' ich's nicht anders, ich zwing' dich: jetzt zwing' ich dich, es geschieht zu deinem Heil, folg mir nur das Einemal. Eine Mutter weiß am besten, was ihrem Kinde gut ist, ich hab' dich unterm Herzen getragen, ich kenn' dich doch am besten, ich weiß deine Gedanken, du folgst mir, ich bin deine Mutter, du thust's deiner Mutter zulieb und du thust's gern und es wird dein Glück sein in dieser Welt und in jener.« So rief die Mutter mit beredtem Mund und hielt zwischen ihren beiden Händen die Hand Xaveri's, der wie erwachend lächelte, aber noch immer nicht redete.

»So sag' doch ein Wort,« drängte endlich der Schultheiß und Xaveri platzte heraus: »Ich habe meine Entlassung, ich hab' meinen Ueberfahrtsvertrag, ich kann nicht mehr daheimbleiben.«

»Hast dein Ueberfahrtsgeld schon bezahlt?« fragte Trudpert zuerst.

[230] »Ja, auf den Kreuzer,« erwiderte Xaveri.

Vor Allem wendete sich nun das Denken des Schultheißen und Trudperts darauf, wie man das Geld von dem Pflugwirth wieder heraus bekäme. Xaveri redete nichts darein und die Mutter, welche die Hand ihres jüngsten Sohnes nicht mehr losließ, sagte:

»Das hat nichts zu sagen und wenn's auch verloren ist; besser als ein Kind verloren.«

»Das verstehen die Weiber nicht, man kann kein Geld 'nausschmeißen,« riefen Trudpert und der Schultheiß wie aus Einem Munde, der Letztere aber fügte noch hinzu: »Ich will's schon machen, ich will schon ein gut Theil wieder von ihm herauskriegen, er hat mich auch oft nöthig; aber es ist jetzt verteufelt, Xaveri! Hättest du mir nur gefolgt und dein Heimathsrecht nicht aufgegeben, jetzt mußt du dich beim Blitz wieder in die Gemeinde aufnehmen lassen; nun, sie können dir's nicht verweigern, aber die ganze Hetzerei und das Gethue wäre nicht nöthig gewesen.«

»Wenn ich auch bleiben möcht',« sagte Xaveri endlich, »Euch zulieb Mutter und auch Euch, Vetter Schultheiß, und auch wegen deiner Trudpert, wenn ich auch möcht', ich kann nicht, ich hab's den Anderen versprochen mitzugehen, und kurzum, ich laß mich nicht anbinden, ich bin nicht der, der dasteht, wo man ihn hinstellt.«

Nun erklärte der Schultheiß in Hohn und Zorn, daß in der Welt Jeder für sich selber zu sorgen habe und Xaveri solle nur einmal die Briefe von den Leuten aus Amerika lesen, da sei's erst recht so, da halte man [231] zusammen, so lange man Vortheil davon habe und keine Minute länger, und man könne Niemand versprechen, daß man sich selber vor sein Glück stehen wolle.

Xaveri sah bei dieser Darlegung dem Schultheiß steif in's Gesicht und der Schultheiß konnte nicht ahnen, wie sehr es traf, als er noch hinzusetzte, in Amerika gelte des Lachenbauern Xaveri nicht mehr als jeder andere hergelaufene Knecht. Das war ja ganz dasselbe, was er an jenem Abend, als er von der Zuckerin wegging, schmerzlich gedacht hatte.

»Ich muß doch fort und ich geh' auch,« sagte er abermals mit halber Stimme und heftete den Blick auf die blaue Kiste. Es schien ihn jetzt nur noch der Gedanke zu beherrschen, daß er einmal dem Dorfe Ade gesagt und daß es auch dabei bleiben müsse. Die Mutter ahnte dies, sie zischelte dem Trudpert etwas in's Ohr, worauf dieser wegging und mit wunderbar heiterem Sinn spöttelte sie nun darüber, wie es so lustig sei, daß man das ganze Dorf zum Narren gehabt habe; von den Nachkommen der alten Lachenbäuerin gehe Keiner nach Amerika, sie hätten's nicht nöthig. Indem sie nun mit seltsamem Geschick ausführte, was Dieser und Jener zum Dableiben Xaveri's sagen werde, brach sie den scharfen Nachreden, um welche diesem allerdings bangte, mit klugem Geschick im Voraus die Spitzen ab.

Trudpert kam bald wieder, aber unter der Thür hörte man ihn sagen: »Geh' du nur voraus.« Er, der eigentlich scheel dazu sah und der neuen Schwägerin[232] nicht zugethan war, that doch ehrerbietig gegen sie, und die neue Schwägerin war Niemand anders als die Zuckerin, die mit aufgerichtetem Haupt Xaveri die Hand bot. Die Mutter, welche die Hand Xaveri's gehalten hatte, legte sie nicht ohne fühlbares Widerstreben in die dargereichte der Zuckerin und sagte: »Gott Lob und Dank, daß das so schön fertig geworden ist.« Auch der Schultheiß und Trudpert brachten nun ihre Glückwünsche zur Verlobung. Xaveri nickte still.

So war also Xaveri Bräutigam und blieb daheim.

Der Schultheiß ging auf's Rathhaus, Trudpert auf's Feld und Xaveri blieb noch lange mit seiner Braut bei der Mutter; er wollte vorher die seltsame Kunde sich im Dorfe verbreiten und bereden lassen, ehe er sich mit seiner Braut zeigte. Vor dieser öffentlichen Schaustellung bangte ihm überhaupt sehr, nur das glückstrahlende Gesicht seiner Mutter erheiterte ihn, und er sagte sich's zum Erstenmal in seinem Leben, daß er eigentlich ein guter Sohn sei. Fast nur der Mutter zu lieb that er schön mit seiner Braut, aber dennoch willfahrte er ihr nicht, sie jetzt nach Hause zu geleiten. Die Zuckerin ging allein. Den ganzen Tag verließ Xaveri die Stube nicht, er saß fast immer still in sich zusammengekauert auf seiner blauen Kiste; er las wiederholt seinen Ueberfahrtsvertrag und dann las er ihn nicht mehr und starrte hin auf das Papier, auf die abgebildete Bruderhand, auf die gedruckten Zeilen, zwischen denen sein Name eingeschrieben war und dann sah er nichts mehr und Alles schwamm ihm vor den Augen. Erst in der Dämmerung machte er sich auf [233] Zureden der Mutter auf, seine Braut zu besuchen; er wurde von allen Begegnenden angehalten und spöttisch hieß man ihn willkommen aus Amerika. Und ebenso spöttisch klangen die Glückwünsche zu seiner Verlobung.

Die Mutter saß still daheim und betete immerfort; es lag ihr schwer auf dem Herzen, daß sie vielleicht doch ihr Kind in's Elend hineingezwungen habe, Xaveri hatte so gar kein Bräutigams-Ansehen; aber sie tröstete sich wieder, daß es die zurückgehaltene Auswanderung, nicht die widerwärtige Verlobung sei, die den Trübsinn in sein Angesicht brachte.

Die Zuckerin war unwillig, daß ihr Bräutigam erst jetzt sich zeigte, und dieser mußte, um sie zu versöhnen, zärtlicher sein als ihm zu Sinne war. Als er im Gespräch darauf kam, daß er dem Pflugwirth das Handwerk legen wolle, sagte die Zuckerin zuerst: »Das geht nicht, das leid' ich nicht; mein Mann muß daheim bleiben und nicht draußen ich weiß nicht was treiben.«

Xaveri erhob sich auf diese Worte und sah sie zornig an, da setzte sie schnell begütigend hinzu: »Nun, es läßt sich ja drüber reden, es braucht ja nicht Alles heut' ausgemacht zu sein.« Als Xaveri zuletzt sich noch ein Päckchen Batzenknaster mitnahm und sich's durchaus nicht nehmen ließ, es zu bezahlen, gab ihm seine Braut noch ein anderes Päckchen Tabak und sagte: »Probir einmal den, der kostet die Hälfte, probir' ihn nur, und er wird dir auch schmecken, so gut wie der theuere; es ist ja nur geraucht.«

»Du bist hauslich,« sagte Xaveri mit spöttischem Lob, aber die Zuckerin nahm dies für ein wirkliches hin.

[234] Das Einzige, was Xaveri zu Hause der Mutter klagte, war diese Geschichte mit dem Tabak, aber die Mutter beschwichtigte ihn: »Sie ist halt ein blutarmes Mädchen gewesen, das den Kreuzer werth halten muß, und hat nachher den Geizhals gehabt. Weiber verthun genug, sei froh, daß du eine häusliche hast, und sie wird sich schon dran gewöhnen was der Brauch ist bei Einem, der aus einem rechtschaffenen Bauernhaus kommt.«

Xaveri fügte sich darein, daß man sich ins Leben finden müsse so gut es geht, und seltsam! diese weiche entsagende Stimmung, die der Trotzkopf zum Erstenmal in seinem Leben kannte, machte ihn minder empfindlich gegen die Neckereien, die er vielfach auszustehen hatte wegen seines Daheimbleibens. Die Leute waren ihm fast gram, daß er sie um ihre Theilnahme an seinem Weggehen betrogen hatte; sie hatten ihm diese gewidmet und er war ihnen nun auch schuldig, wegzugehen. Fast eine stehende Frage, die man an ihn richtete, war, wie es in Amerika aussehe, und wie er die Seekrankheit überstanden habe. Zu seiner Verlobung glückwünschte man ihm großentheils aufrichtig und weil Xaveri gerade wegen dieser in sich bedrückt war, fühlte er die Spöttereien wegen seines Verbleibens fast gar nicht.

Der Pflugwirth hatte sich dazu verstanden, das Ueberfahrtsgeld wieder herauszugeben, aber die Bedingung festgesetzt, daß man als billigen Entgelt nun auch die Hochzeit in seinem Hause feiere. War diese ganze Hochzeit eine eigentlich erzwungene, so war es[235] nun auch noch der Ort der Feier. Braut und Bräutigam hatten keine rechte Freude aneinander und der Wirth und seine Leute, die freundlich und ehrerbietig zu ihnen thaten, empfanden nichts bei dieser Schaustellung.

Acht Tage vor seiner Hochzeit wanderten die Burschen und Mädchen aus, mit denen Xaveri hatte ziehen wollen. Er sah ihnen mit trübem Blick nach, aber er schüttelte Alles von sich und sagte sich innerlich vor, daß er daheim ein Glück gemacht habe, vielleicht größer als es ihm in Amerika zu Theil geworden wäre und dabei blieb er des Lachenbauern Xaveri.

In der Nacht vor seiner Hochzeit fuhr Xaveri seine blaue Kiste, darinnen seine ganze Ausrüstung für die Auswanderung war, in das Haus seiner Braut. Die Zuckerin wollte sogleich die Aufschrift auskratzen und die Kiste in den Kaufladen verwenden, aber Xaveri bestand mit Heftigkeit darauf, daß die Kiste bleibe wie sie sei, und daß seine ganze Gewandung darin aufbewahrt werde. Er stellte die Kiste in das Schlafzimmer vor das Bett und sagte scherzend: »Ich steige über Amerika hinüber in's Bett.«

Ein wohlangebrachter Scherz hat immer etwas Versöhnendes. An diesem Abend übernachtete Xaveri zum Letztenmal im Hause der Mutter und zum Erstenmal war er in der Seele eigentlich recht froh, er wußte nicht warum und wollte es auch nicht wissen.

Bei der Hochzeit ging es lustig her, nur war die Zuckerin einmal unwillig, weil Xaveri mehr als nöthig war, mit Lisabeth, die von Deimerstetten herübergekommen [236] war, und mit ihrer jüngern Schwester Agathe getanzt hatte. Xaveri versöhnt sie bald, und als seine Frau mit seinem Bruder Trudpert tanzte, stieg er zu den Musikanten hinauf und blies den amerikanischen Marsch, den er so oft den Auswanderern auf dem Wagen aufgespielt hatte, als lustigen Hopser und erntete darüber großes Lob.

Xaveri trug so zu sagen Amerika immer auf dem Leibe, denn er ging in der fremdländischen, mehrfach zu wechselnden Kleidung, die er sich für die neue Welt angeschafft hatte; aber er trug auch Amerika immer noch im Herzen, und das war viel gefährlicher. In der ersten Zeit nach seiner Verheirathung durfte er sich's schon hingehen lassen, daß er sich nur halb der Arbeit widmete; aber als er auf Bedrängen der Frau sich derselben mehr annehmen sollte, zeigte sich's, daß er jetzt doppelt schlaff war. Der Gedanke der Auswanderung hatte ihn erlahmt, er hatte sich gewöhnt, das Dorf gar nicht mehr als den Kreis seiner Thätigkeit anzusehen, er hatte, so zu sagen, auf einen neuen Lebensmontag gehofft, an dem er sich scharf in's Geschirr legen wollte; jetzt sollte er mitten in der alten Woche im alten Gleise doppelt frisch zugreifen. Und wie das Dorf und Alles, was darin vorging, ihm keine Freude mehr machte – weil er sich daran gewöhnt hatte, sich nur von einem ganz andern Leben, von ganz andern Verhältnissen Erfrischung zu versprechen und Alles, was um ihn her vorging, gleichgültig zu betrachten – so war ihm auch gleicherweise das erheirathete Anwesen alt und morsch, es bot keine [237] Gelegenheit, mit starker Kraft etwas ganz Neues zu schaffen, wie er sich's so glänzend ausgedacht hatte. Er war eben in ein verwittwetes Anwesen versetzt; die ganze alte Welt, die ganze gewohnte Umgebung hatte ihm etwas Verwittwetes. Er konnte sich das nicht deutlich machen, aber er fühlte es nichtsdestominder. Gern gab er seiner Frau darin nach, daß er dem Pflugwirth das Handwerk nicht legte; es war ihm Recht, daß er nichts Besonderes, eigenthümliche Anstrengung und Zusammenfassung Erforderndes zu thun hatte. Er lebte gern so in den Tag hinein, und es war ihm schon zu viel, daß er damit zu thun hatte, neues Vieh anzuschaffen – denn das alte war verkommen – daß er neue Feldgeräthe anschaffen mußte – denn die alten waren gar nicht zu gebrauchen. Das Anwesen der Zuckerin und die Fülle des Hauses waren nicht so bedeutend, als es den Anschein gehabt hatte. Die Vorräthe im Kaufladen waren geborgt, und Xaveri, der sein Vermögen auf Zinsen anlegen wollte, mußte mehr als die Hälfte in das Haus stecken, und durfte sich davon vor den Leuten nichts merken lassen, um nicht zum Schaden auch noch den Spott zu haben. Dabei hatte er über die kleinste Anordnung, die er im Hause traf, scharfe Auseinandersetzungen mit seiner Frau. Sie hatte einst gewünscht, einen Mann zu haben, dem sie untergeben sei; und das Geringste, was dieser nun selbständig verfügen wollte, erregte ihre heftigste Einsprache. Xaveri, der einst über das ganze Dorf und noch weit darüber hinaus geherrscht hatte, sah, daß es ihm nicht gelingen wollte, die eigene Frau in seine Gewalt zu bekommen. [238] Er rang mit ihr um die Oberherrschaft, und weil es zwischen ihnen an der Liebe fehlte, die nicht eifert, war Herrschaft ihr einziges Ziel. Wenn Eins merkte, daß das Andere Dies oder Jenes besser verstand, herrschte darüber nicht Freude und Anerkennung, sondern Neid und Schmälsucht. Xaveri hatte, ohne vorher ein Wort davon zu sagen, den ganzen Viehstand im Hause verändert, und weil er damit, zum Theil nicht ohne seine Schuld, unglücklich war und mit Verlust noch einmal ändern mußte, ließ sich's die Frau nicht entgehen, ihm solches oft und mit Schadenfreude zu wiederholen und ihm zu zeigen, daß er nichts verstünde und sich von Jedem betrügen lasse. Bei solchen Erfahrungen und Wahrnehmungen war Xaveri wohl bös auf seine Frau, aber noch mehr auf seine Mutter, seinen Bruder und alle seine Verwandten. Er sah in allem nur sein Ungeschick für die alte Welt, man hätte ihn sollen ziehen lassen, er wäre ein ganz anderer Mann geworden in Amerika, das war sein steter Gedanke. Mit Ungestüm forderte er oft Hülfeleistungen und Beistand von seinen Angehörigen; sie durften ihm, wie er glaubte, nichts versagen, sie waren es ihm schuldig, da er ihnen zulieb daheim geblieben war. Wenn man ihn bei solchen Zumuthungen auf seine eigene Kraft und Thätigkeit hinwies und Jedes unbekümmert um das Andere seinem Tagewerk nachging, knirschte er in sich hinein: ihm war ja himmelschreiend Unrecht geschehen, er war daheim geblieben, um eine hülfebereite Verwandtschaft zu haben und es gab ja gar kein Zusammenhalten mehr; er war einsam und auf sich gestellt, als wäre er in [239] weiter Wildniß. Die Familienangehörigkeit erschien ihm eben auch als eine Lüge, wie Alles auf der Welt. Tage und Wochen lang sah sich Niemand nach ihm um, und doch hatten sie gethan, als könnten sie nicht leben, wenn er nicht da wäre. Wie freundschaftlich und zuthulich war damals das ganze Dorf und besonders seine Verwandtschaft gewesen, als er fortgehen wollte, und jetzt zeigten sie nicht den hundertsten Theil jener Herzlichkeit. Der Pflugwirth erschien jetzt noch als der Bravste, der war doch immer der gleiche Schelm gewesen.

Mit Absicht entzog sich jetzt Xaveri den Seinigen und verspottete sie. Besonders gegen seinen Bruder Trudpert faßte er einen tiefen Widerwillen, der war immer so ruhig und still, ging unablässig in seinem Geleise seinen Geschäften nach, und hatte nicht einmal ein freiwilliges Wort für das Anliegen eines Andern, geschweige einen Beistand. Er war mit dem Pfluge in's Feld gefahren, als Xaveri nach dem Markt ging, um neues Vieh einzukaufen, er hatte ihm kaum Glück auf den Weg gewünscht. Hätte er nicht als älterer, erfahrener Bruder freiwillig mitgehen und Xaveri vor dem Ungeschick bewahren müssen, in das er für sich allein gerathen war?

Am meisten aber war Xaveri doch auch bös auf sich selber und zwar natürlich darum, weil er der Narr gewesen war, dem Geflenne und Gezerre der Seinigen nachzugeben und daheim zu bleiben.

Mitten in all diesem Sinnen und Grübeln war es fast wunderlich und Xaveri schüttelte oft selbst darüber [240] den Kopf, daß er jetzt so viel über die Menschen und über sich selbst nachdenken mußte. Es schien, als habe er bis jetzt alle seine Jahre nur träumend verbracht und jetzt auf Einmal ginge ihm das Leben auf, so verwirrt und düster.

Ein jeder Menschengeist, so dumpf er auch scheinen mag und so sonnenlos auch sein Standort ist, hat doch seine kürzer oder länger andauernde Blüthenzeit. War der Kelch, der sich hier erschloß, eine Distel oder gar eine Giftpflanze? Die Nahrung mindestens, die Xaveri zu sich nahm, war in Zorn und Hader vergiftet. Er hatte einen unüberwindlichen Abscheu vor allem Geschirr, das vom Zuckermännle und der alten Zuckerin herstammte, und wenn er das seiner Frau sagte, daß er die Alten immer husten höre, lachte sie ihn höhnisch darüber aus, und suchte seinen Ekel noch zu vermehren. Er suchte sich fortan zu überwinden, aber – es mag seltsam scheinen, und doch ist es so – eine Hauptursache vieler Verstimmungen war: die Zuckerin bereitete das Essen so, daß es Xaveri fast gar nicht genießen konnte. Anfangs half er sich damit, daß er sich, zuerst wie zum Scherz, dann aber zu bitterem Ernst von seiner Mutter das Nöthige bereiten ließ und bei ihr verzehrte; er scheute sich noch, vor den Leuten zu zeigen, wie es ihm ergehe.

Wie seltsam war es Xaveri zu Muthe! Sonst ging er satt aus dem Hause und jetzt ging er hungrig aus demselben um im Wirthshause zu essen. Er schämte sich, Etwas zu bestellen und doch war ihm so öde und so bitter. Er ließ sich manchmal verstohlen in der [241] Küche Etwas geben und aß es hinter dem Hause. Bald aber bestellte er sich schon oft am Tage vorher was er morgen haben wolle, und aß vor aller Welt im Wirthshause. Und wenn er nach Hause kam, sprach seine Frau, die das immer schon erfahren hatte, ihm das Nachgebet dazu; sie machte ihm nun zum Possen das Essen immernoch schlechter und aß selber vorher insgeheim.

Xaveri hatte nie Karten gespielt, aber jetzt saß er oft bis tief in die Nacht hinein im Wirthshause und spielte. Er wollte sich selber vergessen, nichts von sich und seinem Elend wissen, und er fragte sich nicht mehr, worin eigentlich dies sein Elend bestehe, und wie es zu fassen und zu ändern sei. Er sagte sich immer nur, daß er im Elend sei; das war eine ausgemachte Sache, und er wollte ermüdet sein und nichts mehr denken können, wenn er spät heimkam und sich zum Schlafen niederlegte. Anfangs gewann er im Spiel, aber er machte sich nichts aus dem Gewinn; er wollte das zeigen und wurde immer waghalsiger. Natürlich spielte man auch nicht trocken, und in der Hitze von Spiel und Trunk gab's manchmal Händel, aber sie wurden bald wieder geschlichtet; denn Spielgenossen sind seltsam friedfertig, und trotz allen Streites denken sie doch innerlich immer wieder darauf, des zu erhoffenden Vergnügens und Gewinnstes nicht zu entbehren. Nun verlor Xaveri geraume Zeit, denn er hatte seine Gedanken nicht beim Spiel; bei jeder Karte die er wie einen Axthieb auf den Tisch warf, dachte er oft und oft an seine Frau, daß die ihn zwinge liederlich zu sein und zu spielen. Er wollte sich aber nicht mehr [242] zwingen lassen, setzte eine Zeitlang aus und schaute nur zu, wie die Andern spielten; später glaubte er es besser gelernt zu haben und that wieder mit, aber auch jetzt verlor er unbegreiflicher Weise fast immer. Er lachte laut und verspottete sich über seinen Verlust, aber innerlich nahm er sich fest zusammen und rührte fortan keine Karte mehr an.

Xaveri, der bei aller Wildheit doch noch immer eine gewisse Ehrfurcht vor der Häuslichkeit hatte, die er in so schöner Weise bei seinen Eltern kennen gelernt, bewog seine Mutter, hier vermittelnd einzugreifen, und es gelang der alten Lachenbäuerin, eine entsprechende Friedsamkeit herzustellen. Die beiden Eheleute schienen wieder geraume Zeit in Eintracht miteinander zu leben. Xaveri ermannte sich und griff wacker zu, aber sobald nur der kleinste Zwist ausbrach, sobald nur das geringste Ungemach sich zeigte, war immer sein erster Gedanke: »O, wär' ich doch, wo mich meine Kiste hinweist!« Er hatte dies einmal gegen seine Frau ausgesprochen und sie holte die Axt und wollte die Kiste zertrümmern und verfluchte ganz Amerika und jeden Gedanken daran. Nur mit der größten Milde und Nachgiebigkeit und durch den schließlichen Vorhalt, daß die Kiste fünf Gulden werth sei, und daß er sie bei nächster Gelegenheit einem Auswanderer verkaufe, rettete er sie noch. Wenn aber fortan ein Gedanke an die neue Welt in Xaveri aufstieg, verschloß er ihn in sich; manchmal konnte er minutenlang in der Kammer auf die Kiste hinstarren und seine Gedanken zogen weit ab von Allem, was ihn umgab.

[243] Wenn Xaveri Abends im Pflugwirthshause saß, schaute er durch die Tabakswolken oft nach jener Tafel, darauf das Schiff schwamm, und wo mit rother Schrift zu lesen war: »Nach Amerika!« Wenn er heimkam, machte er dann jenes Scherzwort zur Wahrheit, daß er über Amerika in's Bett stieg.

Im Frühling war eine lustige Hochzeit im Dorf, die aber ihre traurigen Folgen hatte. Der Schackle war zurückgekehrt und heirathete eine Kaufmannstochter aus der nahen Amtsstadt; er errichtete einen großen Kaufladen, mit langen bis an den Boden reichenden Fenstern, wie man solche im Dorf noch nie gesehen. Die Zuckerin, die, gestützt auf ihren jetzigen Familienanhang bei Schultheiß und Gemeinderath, die Gestattung dieser Concurrenz hatte verhindern wollen, brachte nichts zu Stande, und sie, die einst die Familie Xaveri's so hoch gerühmt hatte, konnte nicht genug Schimpfworte auf dieselbe finden und den Xaveri hieß sie fast nicht mehr anders als den »Garnichts,« weil er einmal gesagt hatte: »Ich kümmere mich um die Sache gar nichts!« und dabei festgeblieben war. Die Zuckerin suchte jetzt den Xaveri zu stacheln, daß er dem Pflugwirth dafür seinen Auswandererhandel verderbe; Xaveri aber war nicht mehr dazu aufgelegt, dennoch versagte er sich die Schadenfreude nicht, ihr vorzuhalten, daß sie ihn verhindert habe, als es noch Zeit war, und ihn jetzt ermahne, da es zu spät sei. Nun wollte sie, daß er mindestens nicht zu Schackle's Hochzeit gehe, aber auch hierin willfahrte ihr Xaveri nicht; er war ja der alte Beschützer des Schackle gewesen und [244] schloß zuletzt auf jede Ermahnung: »Ich bin kein Krämer!«

Xaveri pfiff lustig, als es zum Hochzeitsschmaus des Schackle ging, und hörte nicht auf das Brummen und auf das laute Schelten seiner Frau, er zog sein bestes amerikanisches Gewand an und versteckte noch darunter sein Waldhorn. Er entsetzte sich fast, als er seine Frau ansah: wie hatte diese sich so fürchterlich verändert! Ihre ganze Erscheinung war so über alle Maßen vernachlässigt, daß er fast gar nicht glauben mochte, das sei seine Frau. Die Zuckerin wußte, daß ihr Mann noch vom Soldatenleben her viel auf ein propres Wesen hielt, und fast zu seinem Aerger vernachlässigte sie sich immer mehr und lachte wenn er sie Hanfbutz (Vogelscheuche im Hanfacker) nannte. »Kannst dich anziehen und auf den Abend auch nachkommen, ich will einmal gut essen!« sagte Xaveri und ging nach dem Pflugwirthshause. Das Waldhorn tönte am Abend das ganze Dorf herauf; es konnte Niemand anders sein, als der Xaveri, der so schön blies. Die Zuckerin saß daheim in Zorn und bitterm Haß und sie wußte am Ende nichts Anders zu thun, womit sie ihren Mann ärgern könnte, als daß sie ein Beil holte, um die Kiste zu zertrümmern. Er hütete die Kiste wie ein Kleinod, er hatte seine Frau gebeten, ja ihr streng befohlen, sie nie zu berühren; darum sollte sie jetzt zerstört werden. Die Zuckerin besann sich aber doch wieder, daß sie einen namhaften Geldwerth zerstörte und ließ nun ihren Zorn damit aus, daß sie mit dem Beil den Namen Xaveri's und die beiden Waldhörner[245] auskratzte. Sie ging vor das Haus und jetzt sagte ihr eine wohlwollende Nachbarin, der Xaveri tanze wie ein junger Bursch. Schnell sprang sie nach dem Wirthshaus und eilte athemlos die Treppe hinauf. Dort tanzte Xaveri eben mit des Pflugwirths Agathe und jauchzte und sang dabei; schnell drang sie durch die tanzenden Paare und stand vor ihrem Xaveri: »Was machst du da?« schrie sie laut.

»Guck, die ist halt schöner als du!« erwiderte Xaveri. Fluchend mit gellem Schreien, daß darob die Musik einhielt, schimpfte nun die Zuckerin Agathe, die aber ruhig entgegnete: »Was schändest so? Ich mag ihn nicht; wenn ich ihn gemocht hätt', hätt'st du ihn nicht kriegt!«

»Du siehst ja aus wie ein Hanfbutz!« rief Xaveri und in übermüthiger Laune begann er das Lied zu singen:


I g'sieh kein Rab, i g'sieh kein Vogel –

Der Hanfbutz, der Hanfbutz, der Hanfbutz isch do!


Die Musik begann die Weisung zu spielen und Alles jauchzte hellauf und tanzte und drückte die Zuckerin hinaus. Diese eilte zu Xaveri's Mutter und zu Trudpert. Bald sah man Letztern auf dem Tanzboden und Xaveri verschwand gleich nach ihm.

Im Leibgedingestübchen der Mutter gab es nun heftige Erörterungen, oft von Weinen und Schreien unterbrochen. Die Mutter hatte schnell die Laden zugemacht. Es sollte kein Laut nach außen dringen. Xaveri, der ohnedieß nur verzweifelt lustig gewesen war, [246] erkannte wohl bald sein Unrecht, aber er hatte wieder seinen alten Trotzkopf und wollte das nicht gestehen, bis endlich Trudpert, der sein Lebenlang gutmüthig und nachgiebig gegen ihn gewesen war, auf ihn zusprang und schwur, ihn zu erdrosseln, wenn er nicht in sich gehen und sich bessern wolle. Die Mutter weinte und wehrte ab so viel sie vermochte und nach der eigenthümlichen Frauenart sprachen ihre Klagen nichts davon, wie jammervoll dieser Bruderstreit an sich war, sie wiederholte nur immer: »Was ist das für eine Schande vor den Leuten, daß ihr so Händel miteinander habt! Um Gotteswillen! Das ganze Dorf läuft ja zusammen! Draußen steht Alles und horcht zu!«

Die Zuckerin saß auf der Bank und hielt die Hände still ineinander. Xaveri schaute nur Einmal mit wildem Blick nach ihr hinüber; wie ein Blitz durchzuckte ihn der Gedanke, wie schändlich es von seiner Frau sei, daß sie ihm nicht beistehe und seinen Bruder nicht abwehre, der ihm fast den Hals zudrehte. »Laß los, du hast Recht,« rief er, aber doch keuchend. »Du mußt Recht haben, weil Du so gegen mich sein kannst. Das hätt' ich nie geglaubt!«

»Ich hätt's auch nie geglaubt!« sagte Trudpert, ließ ab und seine Hände zitterten.

Xaveri versprach aufrichtig, sich zu bessern, und als er mit seiner Frau heimging, schaute ihm die Mutter aus ihrem Fensterchen nach und betete auf den nächtigen Weg der Heimgehenden noch lange inbrünstige Gebete.

Der offenkundige Zerfall, den Xaveri herbeigeführt[247] hatte, schmerzte ihn sehr; wir müssen aber sagen, nicht sowohl um des verlorenen Glücks willen, als um die preisgegebene Ehre. Vor Tag ging er mit dem Pflug in's Feld oder zum Holzfällen in den Wald und kehrte erst am Abend wieder heim. Im Wirthshaus sah man ihn lange nicht. Die Leute sagten, sein Gesicht sei zerkratzt, er könne sich nicht sehen lassen, man habe ihn solch einen Ausruf einmal bei Nacht schreien hören; das war nicht der Fall, seine Frau hatte ihm nur während seiner Abwesenheit seinen Namen von der Kiste abgekratzt und so oft er nun darauf sah, kochte ein Ingrimm in seiner Seele; er sprach zwar nur Einmal davon, immer aber mußte er daran denken, wie ganz anders es stünde, wenn er mit seinem unversehrten Namen davongezogen wäre über's Meer. Im Hause wurde wenig gesprochen, es war weder Streit noch Friede. Nur Einmal entbrannte jener wieder, als die Zuckerin die Kiste verkauft hatte und Xaveri eben dazu kam, wie man sie abholen wollte. Er hielt sie zurück mit dem Bedeuten, sein Eigenthum dürfe niemand Anders verkaufen als er selbst.

Die Zuckerin, deren Kramladen ganz verödete, kochte ihrem Mann fast gar Nichts mehr und er mußte sich wieder bei seiner Mutter erholen.

Die Ernte kam herbei. Xaveri ging schon vor Tag hinaus nach dem Acker neben dem Kirchhofe. Dieses Hinausschreiten im kühlen Morgennebel, da sich ein grauer Schimmer auf Gras und Staude legt, diese Freude am frischen Gang aus Dumpfheit und Verzerrung zur Arbeit, die jetzt noch als Lust entgegenwinkt, [248] der Gruß der Begegnenden, die sich zu gleichem Thun aufmachten und einander in der sichern Hoffnung auf einen hellen Tag bestärkten: Alles machte Xaveri plötzlich im Innersten froh; er dachte kaum mehr an sein verworrenes Leben und es schien ihm leicht zu glätten, mindestens wollte er Alles thun, damit es schön und heiter werde. Xaveri war trotz Allem doch noch Bauer genug, daß er seine Freude an dem schönen Acker hatte, den er jetzt sein eigen nannte; er lachte vor sich hin, als er denken mußte: es ist doch gut, daß sich die Wiesen und Aecker nichts um die Händel im Hause kümmern und beim Unfrieden nicht davon laufen; sie wachsen still, und wie prächtig steht hier das Korn! Ihr seid doch glückliche Menschen und Gott ist gut, daß er euch den Unfrieden nicht entgelten läßt. –

Der erste Anschnitt eines Ackers hat immer etwas Feierliches, besonders für den einsam Arbeitenden; der alte Lachenbauer hatte immer gebetet ehe man anfing; Xaveri that das nun zwar nicht, aber indem er die Sichel noch einmal wetzte, wetzte er gleichsam noch einmal seine Gedanken und die waren: daß er fortan arbeitsam und friedsam sein wolle. – Das Feld war ergiebig, die niedergelegten Halme, die sogenannten Sammelten, lagen so nahe aneinander, daß man gar keine Stoppeln mehr sah, und das ist das fröhlichste Zeichen einer reichen Ernte. Die Sonne war emporgestiegen, die Lerchen sangen in blauer Luft, aber Xaveri horchte nicht hin und sah nicht auf, seine Gedanken waren drüben in Amerika: »Wie anders wäre das, wenn du dort zum Erstenmal Ernte hieltest, auf [249] einem vordem nie bebauten Boden! Hier tönt die Morgenglocke – dort hört man kein Geläute; vom Acker daneben hört man Menschenstimmen – dort vernimmt man nichts. Es ist doch besser auf dem Boden zu bleiben, den schon die Vorfahren bebaut und der Geschlecht auf Geschlecht genährt, und wer weiß, ob du drüben noch lebtest« ... Xaveri richtete sich verschnaufend auf und sah nach dem Kirchhofe. – »Dort liegt dein Vater und dort deine Ahne, von welcher der Spruch herrührt: ich glaube nicht an Amerika.« Zum Erstenmal in seinem Leben empfand er, was es heißt, den Boden zu verlassen, in dem die Gebeine der Angehörigen ruhen; aber dieser Gedanke streifte ihn nur flüchtig und im Weiterarbeiten dachte er: »Auch du wirst einmal dort liegen. Dieses Leben hast du nur Einmal und willst es so in Haß und Hetzerei verbringen? Fang' es frisch an, so lang es noch nicht verloren ist; dein Weib wird schon gut sein, sie muß, wenn sie sieht, daß du gut bist. Wir haben unser reichliches Brod, warum sollen wir denn nicht gut miteinander auskommen? Ich will nicht mehr an Amerika denken. Es muß uns hier gut gehen und wir haben's besser als tausend Andere, und wenn jetzt das alt' Zuckermännle den Löffel erst grad' aus dem Maul gethan hätt', ich thät' damit essen und es schmeckt' mir; das darf nichts mehr gelten. Wenn sie mir nur auch bald Essen bringt« ... Dieser letzte Gedanke war es, bei dem Xaveri am längsten verharren mußte, denn er spürte in sich einen Mahner und auch von außen wurde er daran erinnert. Von den benachbarten Aeckern hörte [250] man gemeinsames Sprechen und oft lautes Lachen. Es war sechs Uhr, man hatte den Schnittern das Essen gebracht und überall, so weit er sehen konnte, wandelten Frauen und Kinder mit Körben und Töpfen. Denkt deine Frau allein nicht an dich und glaubt sie, daß du nicht auch hungrig wirst und schneidest du denn für dich allein? So sprach es in Xaveri, und der im Hunger doppelt leicht gereizte Zorn wollte wieder in ihm aufsteigen und Alles bewältigen; aber noch wurde er seiner Herr und sagte sich, daß seine Frau sich verspätet haben könne, oder daß sie im Kaufladen aufgehalten werde. Er schnitt allein weiter, während Alles um ihn her ruhte und sich gütlich that; das aber nahm er sich vor, es sollte als Zeichen des Friedens gelten, ob seine Frau ihm Essen bringe oder nicht. Sieben Uhr war schon vorüber, ringsumher war Alles wieder neugestärkt an der Arbeit und Xaveri, der immer weiter schnitt, empfand tiefes Mitleid mit sich, daß ihm das Weinen nahe stand; er fühlte sich verlorener hier, als wäre er in der neuen Welt. Oft schaute er aus, aber immer sah er seine Frau noch nicht. Er wollte davonlaufen, aber in einer Art von heldenmütiger Selbstvernichtung wollte er unaufhörlich weiter arbeiten bis er niedersänke vor Ermattung und die Leute dann sahen, wie es ihm ergehe. Endlich, es schlug acht Uhr, da sah er seine Frau den Berg herabkommen, sie hatte weder Korb noch Topf bei sich. Auch das wollte Xaveri verwinden, sie konnte ja wieder umkehren. Als sie aber näher kam und so verwahrlost aussah in der nachlässigsten Kleidung mit der Sichel [251] in der Hand, da konnte er sich nicht enthalten, halb scherzend auszurufen: »Du siehst ja wieder aus wie der Hanfbutz. Guck, es ist kein Vogel weit und breit, es singt keine Lerche wo du bist, du bist halt der Hanfbutz.« Die Zuckerin stand still und lachte höhnisch. Da rief Xaveri abermals: »Hast Nichts zu essen?« »Da wächst ja gutes Brod, iß davon,« erwiderte die Zuckerin, »das ist mein Acker, den Ich zugebracht habe; iß aber nur, so viel du magst, ich schenk' dir's.« »Aber dir ist nichts geschenkt,« schrie Xaveri und hackte da wo er stand, seine Sichel in den Boden und stampfte sie noch mit dem Fuße hinein, dann verließ er das Feld. Die Frau schimpfte und klagte hinter ihm drein, er aber drehte sich nicht mehr um, ging in das Haus, raffte Alles, was er zu eigen besaß, in seine Kiste und eilte damit zu seiner Mutter. Dieser erzählte er Alles, was am Morgen beim Schneiden in ihm vorgegangen und wie er so friedfertig gegen seine Frau gewesen war und sie nur im Scherz geneckt habe. Die Mutter mochte ihm hundertmal erklären, daß das ja die Frau nicht wissen konnte, daß man sich erst wieder necken dürfe, wenn man schon lange Frieden habe; Xaveri mochte wohl etwas davon einsehen, denn er antwortete nichts darauf, er wiederholte nur, daß es bei seinem Schwure bleibe, er habe, als er die Sichel in den Boden getreten, in sich hineingeschworen, nie mehr hier zu Lande eine in die Hand zu nehmen, und dabei bleibe es, keine Gewalt des Himmels und der Erde brächte ihn davon ab. –

Ein unbeugsamer Trotz gegen die ganze Welt, der[252] sich leicht in Selbstzerstörung verwandelt, setzte sich in Xaveri fest. Mitten in der hohen Erntezeit, wo im Dorfe so zu sagen jeder Finger, der sich regen kann, in Arbeit ist, saß Xaveri draußen am Waldrand und blies auf seinem Waldhorn. Durch dies Benehmen ward Xaveri des ganzen Vortheils und des ihm allgemein zuerkannten Rechts gegen seine Frau verlustig. Solch ein Müßiggang war unerhört und empörend. Man hielt Xaveri anfangs für närrisch, dann aber wendete sich Haß und Verachtung des ganzen Dorfes gegen ihn. Selbst Trudpert ließ seinen Bruder in heftigen Worten an; ja er drohte, der Mutter von der ausbedungenen Nahrung abzuziehen, wenn sie den Xaveri noch länger damit füttere; er wolle die Sache vor Gericht kommen lassen. Mit lang verhaltenem Ingrimm erwiderte Xaveri, daß ihm das Recht sei, und er werde sich jetzt bei dem Gericht ausweisen, wie er durch Trudpert in der Erbtheilung zu kurz gekommen sei.

In der That versuchte auch Xaveri einen Rechtsstreit darüber anhängig zu machen, ging oft nach der Stadt, besprach seine Angelegenheit im Wirthshaus mit allerlei fremden Menschen und erholte sich Raths bei einem Rechtsanwalt, der indeß immer mehr eigentliche Belege von ihm verlangte. Xaveri redete sich vor, daß er diese beschaffen könne.

Es giebt für einen in sich uneinigen und müßiggängerischen Menschen nichts Bequemeres als einen Rechtsstreit. Da hat man immer die Ausrede bei der Hand: wenn erst diese Sache geschlichtet ist, dann geht [253] wieder Alles in Ordnung, und einstweilen entschuldigt man für sich die Nichtsthuerei. So erging es auch Xaveri, und ein geheimer Stolz kam noch dazu. Er konnte sich nicht läugnen, daß in seinem ganzen Thun und Lassen etwas Unmännliches sei. Er mußte, sich oft im Stillen gestehen, daß er eigentlich keine rechte Mannesgeltung habe. Jetzt in den Wirthshäusern in der Stadt, im Vorzimmer bei dem Rechtsanwalt und im innern Stübchen bei diesem selber, jetzt war er doch ein Mann. Wer kann das noch bestreiten, daß einer der einen Rechtsstreit führt, Protokolle und Abschriften ausfertigen läßt, worin sein Name groß geschrieben ist in Fractur, und der mit landesfarbigen Schnuren zusammengeheftete Acten ausfüllt – wer kann bestreiten, daß das ein Mann sein muß, der solches veranlaßt?

Indeß zeigte sich bald, daß der Rechtsstreit zu keinem Ziel führe, und Xaveri ließ ihn ebenso leicht als er ihn aufgenommen, auf Anrathen seines Rechtsanwaltes wieder fallen. Trudpert und Xaveri redeten fortan kein Wort mehr mit einander, und diesem war von allen Menschen im Dorfe Niemand mehr zugethan als seine Mutter. Sie ging zu Jedermann und redete gut von ihrem Xaveri, sie wollte im Einzelnen ihm wiedergewinnen, was er auf Einmal und bei Allen verloren hatte, und sie allein hoffte noch immer, daß Alles sich wieder ausgleiche; aber vergebens. Der Mutter allein erzählte Xaveri, was in ihm vorging, sonst wanderte er durch das Dorf, grüßte Niemand und hielt den Blick immer zur Erde gesenkt, denn er verwünschte es innerlich, [254] daß er nicht fort konnte, nicht auf Einmal in eine ganz andere Welt, daß er immer wieder heim mußte um zu essen. Diese natürliche Befriedigung des Lebensbedürfnisses ward ihm zur Qual. Draußen am Waldesrand lag er dann Tage lang und schaute hinaus in die Felder, wo die Menschen hin und her gingen. Sein sonst so scharfes Auge schien jetzt plötzlich die Dinge nicht mehr recht zu unterscheiden. Trotzdem er oft einen Männerhut zwischen den Kornfeldern sich fortbewegen sah, wollte er doch glauben, und glaubte es auch, ja indem er sich halb aufrichtete, war es ihm ganz deutlich – daß er eine Frau sähe und gar seine eigne Frau, die ihm winke, daß sie komme und ihn hole; aber die Gestalt verschwand wieder und er blieb allein. Der graue Meilenstein am Wege, den er doch genau kannte, den hielt er jedesmal beim Aufschauen für einen Menschen, der nach ihm ausblicke. War das Täuschung oder Selbstbetrug? Wer kann in solchem Falle entscheiden? Seltsam war und blieb, daß es jedesmal eintraf, so oft er sich's auch vorhersagte. Hörte er einen Schritt sich seinem Lagerplatze nähern, kam ein Mann, eine Frau oder ein Kind, so blinzelte er und richtete sich ein wenig auf, es war gewiß Jemand, den seine Frau nach ihm schickte; und wenn der Kommende vorüberging ohne ihn zu achten, hustete er, um gewiß zu sein, daß er bemerkt und nicht verfehlt worden sei. Dann warf er sich wieder auf das Antlitz nieder, als wolle er sich in die Heimatherde einbohren und eingraben. Jetzt liegst du noch auf der Heimatherde, und bald mußt du sie verlassen! sagte er [255] oft vor sich hin, und während er mit einem Grashalm in seinen Zähnen stocherte, sang er dann wieder und wieder:


Und wer einen steinigen Acker hat

Und einen stumpfen Pflug,

Und ein böses Weib daheim,

Der hat zu feilen g'nug.


Der Vers kam ihm gar nicht aus dem Sinn, als wären es nur noch die einzigen Worte die er kannte und kein anderes mehr.

Ja, was denkt und sinnt nicht Alles ein Mensch, der in sich verwirrt und verwahrlost ist und sich noch mehr verwirrt und verwahrlost!

Xaveri war wie ein Fieberkranker, der im Bette liegt und in einfachen Linien an der Wand, in Leisten und Nägeln allerlei Bilder und Zeichen sieht, Schnäuzchen und Henkel am Wasserkrug wird zu Mund und Höcker eines seltsamen Männchens, und Schränke, Stühle und der Tisch, Alles verwandelt sich in beängstigende Ungeheuer.

Wenn Xaveri den Weg dahin ging und seinen Schatten sah, kam es ihm oft vor, als wäre er selber nur noch ein Schatten; er spielte mit seinen Schattenbildern und machte allerlei Sprünge und Stellungen wie die Kinder. Die Leute hielten ihn für närrisch.

Aber was ist denn ein Mensch, der die ihm gegebenen Verhältnisse nicht so zu fassen und zu gestalten weiß, daß wenn auch nicht Glück, doch Ruhe und Frieden daraus erwachsen muß?

[256] Die Sühneversuche zwischen Xaveri und seiner Frau, die vor dem Pfarrer, vor dem Kirchenconvent und dem Amte wiederholt abgehalten wurden, blieben erfolglos. Xaveri bestand darauf, daß er nie mehr zu seiner Frau zurückkehre. Die Entscheidung zog sich lange hin, und endlich im Herbst wurden sie getrennt, da sie nicht geschieden werden konnten. Mehr als ein Drittheil seines Vermögens, das Xaveri in das Hauswesen gesteckt hatte, war verloren; es zeigte sich bei der Auseinandersetzung ein auffälliger Rückgang des Besitzthums, aber doch blieb Xaveri noch so viel, um in der Ferne sein Heil suchen zu können. Noch einmal wurde die Kiste frisch angestrichen, noch einmal der Name darauf geschrieben und abermals ein Ueberfahrtsvertrag mit dem Pflugwirth abgeschlossen. Des Lenzbauern Philipp von Deimerstetten und Lisabeth mit ihrer zahlreichen Familie wanderten zu gleicher Zeit mit Xaveri aus.

Das war ein anderes Abschiednehmen als vor einem Jahre. Damals war Xaveri stolz und im vollen Bewußtsein seiner Geltung, Jeder mußte bedauern, daß er wegging; jetzt reichte man ihm kaum die Hand und sprach kaum halbe Worte, und Xaveri glaubte es diesem und jenem anzusehen, daß man ihn fortwünschte, und er nahm sich nun als einzige und letzte Rache vor, Keinem mehr Ade zu sagen. Nur auf dringendes Bitten der Mutter ging er zu Trudpert und reichte ihm die Abschiedshand. »Ich verzeihe dir,« sagte Trudpert. »Und ich verzeihe dir,« trotzte Xaveri und ging fort. Die Brüder, die einst so einträchtig miteinander gelebt, schieden jetzt in innerem Groll; Jeder glaubte sich [257] vom Andern tief gekränkt und Jeder sprach Worte, die ganz Anderes ausdrückten, als was sie eigentlich sagten.

Xaveri hielt sein Waldhorn in der Hand, als er, auf dem Wagen neben seiner blauen Kiste stehend, durch das Dorf fuhr; er hatte lustig blasen wollen, aber er brachte es nicht zu Stande, es versetzte ihm den Athem. Er schaute um und um nach den gewohnten Menschen: dort lud Einer Mist und nickte ihm im Aufladen zu, dort spannte Einer seine Ochsen ein und das Joch in der Hand haltend, rief er ein Lebewohl. Drescher kamen aus den dunkeln Scheunen, nickten und riefen noch ein »B'hüt's Gott!« und kaum war er vorbei, so hörte er hinter sich den Tactschlag der Dreschflegel. Mitten im Dorf stand die Zuckerin am Weg. »Du da, leg' dich vor's Rad, daß ich über dich wegfahren kann,« schrie ihr Xaveri zu. Die Frau schaute wild um sich, nahm einen gewaltigen Stein auf und schleuderte ihn nach Xaveri. Der Stein kollerte auf die Kiste und zerriß noch einmal den Namen. Xaveri öffnete ohne ein Wort, im Anblick vieler Versammelten, die Kiste und legte den Stein hinein. Jetzt fiel die Zuckerin auf die Kniee und schrie: »Bleib' da! Verzeih', ich bitt' dich mit aufgehobenen Händen, verzeih'. Ich seh' was ich gethan habe; bleib' da. Du bist mein Mann, laß mich's an dir gut machen.« Xaveri war leichenblaß geworden, aber er schüttelte mit dem Kopf und fuhr davon. Die Zuckerin wankte heim und saß lange weinend auf ihrer Hausschwelle, bis Leute kamen und sie in ihr Haus brachten. –

[258] Xaveri war unterdeß, den Hut in die Augen gedrückt, das Dorf hinausgefahren. Draußen, nicht weit vom Kirchhof, schob er den Hut in die Höhe, da erhob sich eine Frauengestalt, die am Wege saß. Xaveri erkannte jetzt seine Mutter, von der er doch schon Abschied genommen; er sprang vom Wagen und die Mutter umfaßte ihn und rief: »Xaveri, sei gut und bleib' da, bleib' bei mir allein, wenn du willst, aber besser, geh' zu deiner Frau! Wenn du auch etwas zu leiden hast, denk', du bist auch viel Schuld! Guck, dort legt man mich bald in den Boden! Kehr' noch einmal um, alle Menschen auf Erden und die Engel im Himmel werden dir's vergelten, was du an deiner Mutter thust; es wird dir gewiß gut gehen!«

Zum Erstenmal in ihrem Leben sah die Mutter den Xaveri bitterlich weinen und er sprach mit aufgehobenen Händen: »Mutter, da schwör' ich's unter freiem Himmel, ich thät' umkehren, Euch zu Lieb, wenn ich könnte! Ich hätt' mich schon lange umgebracht, wenn Ihr nicht wäret. Ich steh' jetzt da, ich hab' Niemand auf der weiten Welt als Euch! Ich möcht' mein Lebenlang da Stein' schlagen auf der Straß', wenn ich nur bei Euch bleiben könnt'! Mutter, ich sollt' Euch das nicht sagen, es macht Euch das Herz nur noch schwerer! Mutter, ich muß fort, ich muß! B'hüt's Gott! B'hüt's Gott, Mutter!«

Er sprang auf den Wagen und fuhr rasch davon. Vom Thal herauf hörte man ihn noch lange auf dem Waldhorn blasen; die Leute auf den Feldern, die das hörten, schimpften auf die Hartherzigkeit Xaveri's, die [259] Mutter aber wußte, daß er ihr noch Zeichen geben wollte, so lange sie ihn hörte, sie horchte hinaus, – bis sie nichts mehr vernahm, dann kehrte sie in's Dorf zurück ....

Die Töne des Waldhorns waren längst verklungen, der Name Xaveri's wurde im Dorf kaum mehr genannt; denn die Menschen können sich nicht damit abgeben, Verschwundenes allezeit in Erinnerung zu behalten, und das hat auch sein Gutes. Nur drei Menschen nannten noch oft den Namen Xaveri's und zwei davon fast nur um gegen ihn loszuziehen: das waren die Zuckerin und Trudpert. Aber daß sie immer wieder von Xaveri sprachen, und zwar nur zu der Mutter und gern zuhörten, wie diese den verlorenen Sohn vertheidigte, darin lag doch wieder ein Beweis, daß sie tief im Herzen nicht von Xaveri lassen konnten. Die Mutter aber sagte stets: »Es kennt meinen Xaveri Keines als ich. Er hat im Grunde das beste Herz von der Welt, nur hat er einen falschen Stolz. Hätte ich's verstanden, oder hätte ihn ein Anderes dazu bringen können, daß er seinen harten Willen auf etwas Gutes stellte, er hätte es ebenso fest ausgeführt als jetzt das Verkehrte. Daß er sich das Amerika in den Kopf gesetzt, das hat ihn verwirrt; es war ja wie wenn's ihm auf die Stirn geschrieben wär', und jetzt ist er unstet und flüchtig und mir sagt's mein Herz, er denkt an uns wie wir an ihn, und wenn Gedanken, die an einem Menschen reißen, ihn ziehen könnten, sie wären stärker als alle Dampfwagen und brächten uns wieder zu einander.«

Wie gesagt, auch die Zuckerin hörte gern so reden,[260] denn sie schien in sich gegangen zu sein; sie lebte still und arbeitsam und war besonders liebreich und ehrerbietig gegen die Schwiegermutter, bei der sie nicht abließ, bis sie zu ihr in's Haus zog, und Alles, was sie ihr Gutes that, schien ihr ein doppelter Trost, als ob sie es damit auch zugleich dem fernen Verlorenen erweise.

Man spöttelte Anfangs viel über die Verheirathung der alten Lachenbäuerin mit der Zuckerin, aber die Menschen lassen schließlich auch das Gute ohne Spott gewähren.

Drei Jahre waren vorüber, man hatte nichts mehr von Xaveri gehört. Da wanderte eines Samstag Abends im Spätsommer ein Mann mit einer Kraxe auf dem Rücken vom Thal herauf; er hob oft rasch den Kopf, dann senkte er ihn wieder zur Erde und schritt mit leisem Murmeln vorwärts. An dem Kirchhof hob er die Kraxe vom Rücken und starrte lang auf eine blaue Kiste, die aufrecht auf die Kraxe gebunden war; wenn auch vielfach zerkritzelt, war dennoch deutlich auf dem Deckel zu lesen: Xaver Boger in Neuyork. Ja, es war Xaveri, der wieder heimkehrte; noch sah er breit und kraftvoll aus, aber seine Wangen waren eingefallen, und als er jetzt, das Kinn auf die Hand gestützt hineinschaute über das Dorf, wo jetzt die Abendglocke läutete und aus allen Fenstern wie tausend und abertausend Lichter das Abendroth wiederglänzte, da zog auch über das Angesicht des Bedrückten ein Freudenstrahl. Dann setzte er sich an den Wegrain und verbarg sein Gesicht an der Kiste, in der es seltsam kollerte.

[261] Spät in der Nacht klopfte es am Haus der Zuckerin, und von der Treppe hörte man einen durchdringenden Schrei ...

In der Stube saßen noch lange nach Mitternacht Xaveri und seine Frau und Niemand als der Mond, dessen Strahlen schräg in's Zimmer fielen, hat gehört, was sie einander sagten.

»Wie lang ist's, daß ich zum Erstenmal da gesessen habe,« sagte endlich Xaveri, auf den abgegriffenen Lehnstuhl zeigend.

»Ja, und in dem ruht jetzt deine gute Mutter aus!« sagte die Frau. »O, die hat immer an dich geglaubt. Es ist gut, daß sie schläft; wir müssen's ihr morgen früh leise beibringen. O, die wird neu aufleben.«

»Ich will sie jetzt nur im Schlaf sehen,« sagte Xaveri.

»Nein,« entgegnete die Frau ihn haltend, »du kannst sie damit tödten, wenn sie aufwacht. Sei geduldig, bezwinge dich.«

»Ja, ich hab' mich bezwungen, und das will ich zeigen,« sagte Xaveri. »Ich bin doppelt umgekehrt.«

Und noch einmal öffnete sich die Hausthür und Mann und Frau traten heraus und wanderten still durch die schlafenden Gassen. Xaveri trug Etwas in beiden Händen.

»Laß mich's tragen,« bat die Frau, »Ich hab' die Schuld, Ich hab' die Sünde gethan.«

»So nimm,« sagte Xaveri. »Ich hatte mir vorgenommen wie du auch wärest, ich will's in Geduld tragen; aber ich sehe, du kannst gut sein und sollst [262] es bleiben. O, ich habe mit dem da mein ganzes Elend durch die ganze Welt getragen, durch die alte und durch die neue. – Es hat sich Keines von uns Zweien biegen wollen, drum hat's brechen müssen. Wie gesegnet hätten wir leben können als Ehre und Vermögen noch unser eigen war! Das Erste können wir wieder gewinnen und das Andere – müssen wir entbehren lernen.«

»Und jetzt,« sagte die Frau als sie am Weiher beim elterlichen Hause Xaveri's standen, und sie hob den Stein auf, den Xaveri wieder mitgebracht, »und jetzt versenken wir mit dem da alles Elend und alles Vergangene in's tiefe Wasser.«

Der Stein klatschte laut auf in dem Weiher. Im Mondschein bildeten sich silberne Ringe darüber.


* * *


Es läßt sich denken, welch ein Aufsehen die Heim kehr Xaveri's im Dorfe machte, aber er ertrug allen Spott und alles Mitleid geduldig, und täglich sprach er seine Zufriedenheit aus, daß er allen, denen er Kummer gemacht, noch in Freuden vergelten könne; besonders aber seiner Mutter.

Xaveri, der nun zu den Aermeren im Dorfe gehörte, arbeitete auch bei seinem Bruder als Knecht, und wo es sonst etwas Mühseliges zu thun gab, war er bei der Hand, und bald hieß es: »Der Xaveri kann schaffen wie ein Amerikaner.«

Als der grausig Mall starb, wurde Xaveri Dorfschütze. Er hält gute Ordnung, denn er kennt alle Schliche.

[263] Von seinem amerikanischen Leben erzählt er nur den Seinigen. Vielleicht aber können wir doch noch einmal die Erlebnisse des Viereckigen berichten. Wenn Jemand im Dorf ihn an seine Auswanderung erinnert, hat er die Redensart: »Meine Großmutter hat gesagt: Ich glaub' nicht an Amerika. Aber Ich hab' daran glauben müssen, und jetzt bin ich bekehrt.«

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TextGrid Repository (2011). Auerbach, Berthold. Erzählungen. Schwarzwälder Dorfgeschichten. Sechster Band. Der Viereckig oder die amerikanische Kiste. Der Viereckig oder die amerikanische Kiste. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-1406-9