Erster Band.

[1] Vorwort.

Wenn das vorliegende Buch erst in diesem Jahre zur Hälfte mit dem Schlusse des ersten Bandes beendigt worden ist, so liegt der Grund weniger an dem Verfasser und Verleger, sondern einmal darin, daß das vorige Jahr eine durch die Verhältnisse nothwendig gewordene Unterbrechung herbeiführte, dann aber auch darin, daß der Verfasser stets auf Unterstützung von fremder Hand rechnete. Wir haben sowohl in Zeitungen als auf den Umschlägen der einzelnen Lieferungen wiederholt die Freunde der Sagenliteratur aus den Gegenden, welche unser Buch vor Augen hat, um Beiträge ersucht, da es absolut unmöglich ist, selbst bei der größten Belesenheit eine auch nur annähernde Vollständigkeit zu erreichen, allein leider umsonst; ein einziger Herr, ein Dresdener Sagenfreund, HerrG. Martius, hat mir eine Anzahl Notizen zukommen lassen, die ich jedoch nur für die am Schlusse des 2. Bandes zu gebenden kurzen Nachträge benutzen konnte, sonst habe ich von keiner Seite auch nur die geringste Beihilfe erhalten. Dies hat mich um so mehr befremdet, als bei meinem Sächsischen Sagenbuch ich wenigstens aus einigen Theilen des Landes Mittheilungen erhielt. Das Königreich Preußen aber ist ein so großer Staat, seine Bewohner haben stets so viel Patriotismus gezeigt, daß man eigentlich hätte erwarten sollen, der oder jener würde im Interesse der Sage sein Scherflein beitragen, um ein Buch, das gewissermaßen den Kern dessen, was uns aus der sagenhaften Vorzeit seines Vaterlandes übrig ist, enthalten soll, möglichst vollkommen zu machen. Allein sei es, daß meine Bitte nicht an den rechten Mann gekommen ist, sei es, daß sie übersehen wurde, sie blieb bis jetzt unerfüllt und ich muß mich darauf [1] beschränken, sie hier nochmals dringend auszusprechen und alle Freunde der preußischen Vorzeit ganz ergebenst aufzufordern, wenigstens für den zweiten Theil des Buches, der den Rhein, das eigentliche Preußen, Schlesien, Pommern und Posen umfassen wird, mich mit Mittheilungen, seien sie auch noch so unbedeutend, zu erfreuen. Ich werde auch das kleinste Körnlein dankbar aufheben und nach bestem Wissen zu benutzen suchen. Allein auch für die bereits bearbeiteten Provinzen (die Marken, Sachsen und Thüringen, der Harz und Westphalen) werde ich etwaige mir noch zugehende Berichtigungen und Mittheilungen dankbar annehmen und am Schlusse des Ganzen unter den Nachträgen zu verwerthen suchen.

Um nun auf mein Buch selbst zurückzukommen, so wird Jeder, der einen auch nur oberflächlichen Blick darauf wirft, sofort erkennen, welchen Zweck der Herr Verleger im Auge hatte, als er die Abfassung desselben dem unterzeichneten Verfasser übertrug. Er wollte dem preußischen Volke eine Sammlung der besten und interessantesten Sagen aus der Vorzeit übergeben und durch populäre Einkleidung sie zum eigentlichen Eigenthum desselben machen. Es mußte also jede gelehrte oder nur für wissenschaftliche Zwecke berechnete Einkleidung oder Anordnung der Stoffe vermieden werden. Aus demselben Grunde mußte Vieles wegbleiben, was sonst unbedingt hier hätte aufgenommen werden müssen, aber ebenso einzelne Sagendarstellungen mitgetheilt werden, welche dem kritischen Auge des deutschen Alterthumsforschers bedenklich erscheinen dürften; das größere Publikum macht andere Ansprüche als der gelehrte Sagenforscher, der höhere Zwecke als die der bloßen Unterhaltung verfolgt. Ich habe indeß möglichst versucht, den wissenschaftlichen Standpunkt festzuhalten und bin nach demselben Plane verfahren, der mir bei meinem ähnlichen Werke über Sachsen vorgezeichnet war. Ich bitte also, daß von Seiten der Kritik bei Beurtheilung meines Buches hierauf gefälligst Rücksicht genommen und nicht Anforderungen an meine Arbeit gestellt werden, welche selbstverständlich die Tendenz derselben ausschließen mußte. Indeß werde ich am Schlusse, wenn mir Raum übrig bleibt, in beizugebenden Zusätzen, wenigstens was Sagenvergleichung angeht, auch nach Möglichkeit den Ansprüchen des gegen wärtigen Standes der Sagenforschung gerecht zu werden suchen.

Die von mir benutzten Quellen, Chroniken, Städtegeschichten, topographischen Werke, Legendensammlungen etc. habe ich gewissenhaft citirt und habe [2] nie versäumt, diejenigen neueren speziellen preußischen Sagensammlungen, aus denen ich einzelne Partien in diese meine Gesammtcollection aufgenommen habe, als primäre Quellen zu nennen. Mündliche Mittheilungen, die mir sehr willkommen gewesen wären, habe ich eben leider, wie bemerkt, nicht erhalten.

Es versteht sich wohl von selbst, daß der Umfang des Buches selbst es verbot, alle mir etwa bekannt gewordenen Sagen einer Provinz aufzunehmen, ich konnte nur auswählen. Dies wird mich bei dem Leser entschuldigen, wenn er diese oder jene ihm vorzugsweise liebgewordene Sage vermissen sollte. Hauptsachen glaube ich nicht vergessen zu haben, wenigstens habe ich die mir bekannten Quellen sämmtlich fleißig studirt, allein, wie gesagt, absolute Vollständigkeit war eben nicht möglich.

Ich hoffe, daß der zweite Band, der den Schluß des Ganzen enthalten soll, nicht so lange auf sich warten lassen soll als der erste, und bitte nur die geehrten Leser, das was ich ihnen bieten konnte, nachsichtsvoll aufzunehmen.


Dresden, 25. August 1867.

Der Verfasser. [3]

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Vorwort. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-432D-4